Urteil des BVerwG vom 27.01.2004

Versorgung, Bebauungsplan, Gemeinderat, Entstehungsgeschichte

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 4 B 3.04
VGH 3 S 439/03
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 27. Januar 2004
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. P a e t o w und
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. L e m m e l und Dr. J a n n a s c h
beschlossen:
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Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der
Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-
Württemberg vom 3. November 2003 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdever-
fahren auf 150 000 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die Klägerin wendet sich mit der Nichtzulassungsbeschwerde gegen die Abweisung
ihrer Klage, mit der sie die Erteilung eines Bauvorbescheids für ein Geschäftshaus
begehrt. Im Mittelpunkt des Rechtsstreits steht die Frage, welche bauliche Nutzung
der Bebauungsplan "Gewerbegebiet zwischen Daimler- und Schwieberdinger Stra-
ße" für ihr Grundstück zulässt. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts setzt
der Bebauungsplan ein eingeschränktes Gewerbegebiet fest und enthält ferner die
textliche Festsetzung, dass Einzelhandelsbetriebe mit - näher beschriebenen - "in-
nenstadtrelevanten" Branchen abweichend von § 8 Abs. 2 BauNVO nur ausnahms-
weise zulässig seien, "soweit dies zur Versorgung der Wohnbevölkerung im Stadtteil
K. mit Waren des täglichen Bedarfs erforderlich ist". Das Berufungsgericht hält die
textliche Festsetzung mit ihrem letzten Halbsatz für nichtig. Es nimmt an, dass der
Bebauungsplan mit dem Inhalt teilwirksam sei, dass er sämtliche Einzelhandelsbe-
triebe mit innenstadtrelevantem Sortiment ausschließe. Dagegen macht die Be-
schwerde geltend, die Nichtigkeit der Beschränkung auf die Betriebe, die zur Versor-
gung der Wohnbevölkerung im Stadtteil K. erforderlich seien, müsse dazu führen,
dass nunmehr Einzelhandelsbetriebe mit innenstadtrelevantem Sortiment einschrän-
kungslos zulässig seien.
Die auf § 132 Abs. 2 Nr. 1 und 2 VwGO gestützte Beschwerde bleibt erfolglos. Aus
der Beschwerdebegründung ergibt sich kein Grund, der die Zulassung der Revision
rechtfertigen könnte.
Mit der Frage, "ob die Umstufung einer allgemein zulässigen Nutzung zu einer aus-
nahmsweise zulässigen Nutzung auf der Grundlage von § 1 Abs. 5 BauNVO den ge-
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nerellen Ausschluss der allgemein zulässigen Nutzung als Vorstufe voraussetzt und
notwendigerweise mit der Umstufung verbunden ist", wendet sich die Beschwerde
gegen die Auslegung der "Einzelhandelsklausel" durch das Berufungsgericht, nach
der der Rat der Beklagten im Plangebiet in erster Linie sämtliche Einzel-
handelsbetriebe mit innenstadtrelevantem Sortiment habe ausschließen und dann
ausnahmsweise die zur Versorgung der Bevölkerung im Stadtteil K. erforderlichen
Betriebe habe zulassen wollen. Die Frage hat keine über den vorliegenden Fall hin-
ausreichende grundsätzliche Bedeutung, sondern richtet sich danach, ob es dem Rat
der Beklagten bei seiner Planung mehr um die Versorgung der Bevölkerung des
Stadtteils K. oder um die Gewährleistung der Sanierungsziele in den Ortskernen
Ko...s und M...s ging. Das Berufungsgericht hat unter Berücksichtigung der Entste-
hungsgeschichte des Bebauungsplans und der örtlichen Verhältnisse in seinem Gel-
tungsbereich letzteres angenommen (vgl. BU S. 21 ff.). Auf dieser einzelfallbezoge-
nen Würdigung, nicht auf dem zur Verdeutlichung seiner Interpretation vom Beru-
fungsgericht herangezogenen Stufenmodell, beruht die Entscheidung der Vorinstanz.
Dasselbe gilt für die Frage, "ob die Auslegung der Festsetzungen eines Bebauungs-
plans dazu führen kann, dass die Festsetzungen um einen Text ergänzt werden
müssen, der sich in der Bebauungsplanurkunde nicht findet und vom Gemeinderat
nicht beschlossen wurde". Das Berufungsgericht hat die streitige Regelung anders
als die Beschwerde ausgelegt. Auf der Grundlage seiner Auslegung bedurfte es kei-
ner Ergänzung des Textes, die die Festsetzung ändert, sondern allenfalls einer klar-
stellenden Formulierung, die jedoch mit dem Willen des Gemeinderats - wie ihn das
Berufungsgericht als gegeben ansieht - übereinstimmt und ihn lediglich verdeutlichen
soll. Eine solche "Textergänzung" ist zulässig; ob sie sachlich zutrifft, ist eine Frage
des Einzelfalls ohne grundsätzliche Bedeutung.
Schließlich beruht auch die Frage, "ob im Falle der Teilnichtigkeit einer textlichen
Festsetzung des Bebauungsplans an die Stelle der unwirksamen Festsetzung ein
anderer Text treten kann, um den der als Satzung beschlossene Bebauungsplan
ergänzt wird, ohne dass dieser Text Gegenstand des Satzungsbeschlusses war", auf
einer Interpretation des Plans, die das Gericht so nicht vorgenommen hat. Versteht
man die textliche Festsetzung mit dem Berufungsgericht in dem Sinne, dass Einzel-
handelsbetriebe mit innenstadtrelevantem Sortiment grundsätzlich unzulässig und
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nur ausnahmsweise zur Versorgung des Stadtteils K. zulässig sein sollen, so stellt
sich die von der Beschwerde aufgeworfene Frage nicht.
Soweit die Beschwerde eine Divergenz zum Urteil des Bundesverwaltungsgerichts
vom 18. Februar 1994 - BVerwG 4 C 4.92 - (BVerwGE 95, 123 <126>) rügt, ist sie
unzulässig, weil sie nicht den Darlegungsanforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3
VwGO genügt. Sie zeigt nämlich nicht auf, dass das Berufungsgericht den in dieser
Entscheidung enthaltenen Rechtssatz in Zweifel gezogen habe, dass für eine be-
stimmte Auslegung kein Raum sei, wenn der Plan selbst keinen Anhalt für sie biete,
und dass Erläuterungsbericht und Begründung eines Bauleitplans seine Darstellun-
gen und Festsetzungen nicht ergänzen, sondern nur zu ihrer Verdeutlichung beitra-
gen könnten. Vielmehr macht die Beschwerde sinngemäß nur geltend, bei Beach-
tung dieses Rechtssatzes hätte das Berufungsgericht zu einem anderen Ergebnis
kommen müssen. Das genügt nicht; eine angeblich fehlerhafte Anwendung eines
vom Bundesverwaltungsgericht aufgestellten Rechtssatzes stellt keine Divergenz im
Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO dar.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung be-
ruht auf § 13 Abs. 1 Satz 1, § 14 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 GKG.
Dr. Paetow
Dr. Lemmel
Dr. Jannasch