Urteil des BVerwG vom 04.09.2014

Urkunde, Rechtsnorm, Rechtsstaatsprinzip, Beurkundung

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 4 B 29.14
OVG 4 Bf 106/13
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 4. September 2014
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Rubel
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Gatz und Dr. Decker
beschlossen:
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung
der Revision in dem Urteil des Hamburgischen Oberver-
waltungsgerichts vom 31. März 2014 wird zurückgewie-
sen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwer-
deverfahren auf 101 129 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die auf § 132 Abs. 2 Nr. 1 und 2 VwGO gestützte Beschwerde bleibt ohne Er-
folg.
1. Das Beschwerdevorbringen ergibt nicht, dass die Revision wegen grundsätz-
licher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen wäre.
Grundsätzlich bedeutsam im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ist eine
Rechtssache dann, wenn in dem angestrebten Revisionsverfahren die Klärung
einer bisher höchstrichterlich ungeklärten, in ihrer Bedeutung über den der Be-
schwerde zugrunde liegenden Einzelfall hinausgehenden, klärungsbedürftigen
und entscheidungserheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts (§ 137 Abs. 1
VwGO) zu erwarten ist. In der Beschwerdebegründung muss dargelegt (§ 133
Abs. 3 Satz 3 VwGO), d.h. näher ausgeführt werden, dass und inwieweit eine
bestimmte Rechtsfrage des Bundesrechts im allgemeinen Interesse klärungs-
bedürftig und warum ihre Klärung in dem beabsichtigten Revisionsverfahren zu
erwarten ist (stRspr; so bereits Beschluss vom 2. Oktober 1961 - BVerwG 8 B
78.61 - BVerwGE 13, 90 <91>; siehe auch Beschluss vom 1. Februar 2011
- BVerwG 7 B 45.10 - juris Rn. 15). Daran fehlt es hier.
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Die Klägerin hält zunächst die Frage für grundsätzlich klärungsbedürftig,
ob das bundesverfassungsrechtliche Rechtsstaatsgebot
als unverzichtbare Mindestanforderung für eine wirksame
Ausfertigung von Rechtsnormen verlangt, dass eine von
dem Ausfertigungsorgan unterzeichnete Urkunde als Ori-
ginalurkunde hergestellt wird, um auf diese Weise die
Funktion der Ausfertigung, d.h. die Identität der anzuwen-
denden Norm und ihres Inhalts mit dem vom Normgeber
beschlossenen sicherzustellen, wenn das Landesrecht
keine konkretisierenden Vorschriften über die Ausfertigung
von Rechtsnormen, insbesondere von Rechtsverordnun-
gen vorsieht.
Diese Frage führt nicht zur Zulassung der Revision, denn sie ist auf der Grund-
lage der vorhandenen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ohne
Weiteres zu verneinen. Die Anforderungen an die Ausfertigung von Landes-
recht ergeben sich bei Fehlen einfachgesetzlicher Vorschriften des Bundes-
rechts für den jeweiligen Rechtsbereich in erster Linie aus landesrechtlichen
und damit irrevisiblen Vorschriften. Das hat das Bundesverwaltungsgericht in
Bezug auf Bebauungspläne entschieden und gilt auch für sonstiges Landes-
recht (vgl. Beschluss vom 16. Mai 1991 - BVerwG 4 NB 26.90 - BVerwGE 88,
204 <208> = Buchholz 406.11 § 12 BBauG/BauGB Nr. 18). Dass Art. 82
Abs. 1 GG dabei keinen allgemein gültigen Maßstab für Normausfertigungen
enthält, ist ebenfalls geklärt (vgl. Urteil vom 26. September 2001 - BVerwG 6 C
5.01, 1 C 19.00 - juris Rn. 17). Allerdings muss nach Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG
die verfassungsmäßige Ordnung in den Ländern den Grundsätzen des Rechts-
staats im Sinne des Grundgesetzes entsprechen. Das danach in Verbindung
mit Art. 20 Abs. 3 GG für die Länder geltende Rechtsstaatsprinzip enthält zwar
keine in allen Einzelheiten bestimmten Gebote und Verbote. Es bedarf der Kon-
kretisierung durch die verfassungsrechtlich zuständigen Organe. Dabei müssen
aber fundamentale Elemente des Rechtsstaats und die Rechtsstaatlichkeit im
Ganzen gewahrt bleiben. Das Rechtsstaatsgebot verlangt die Identität der an-
zuwendenden Norm und ihres Inhalts mit dem vom Normgeber Beschlossenen
(sog. „Identitätsfunktion“, „Beurkundungs- und Gewährleistungsfunktion“; vgl.
Urteile vom 1. Juli 2010 - BVerwG 4 C 4.08 - BVerwGE 137, 247 Rn. 13 =
Buchholz 406.11 § 35 BauGB Nr. 381 und vom 5. Februar 2009 - BVerwG 7 CN
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1.08 - Buchholz 406.400 § 23 BNatSchG 2002 Nr. 1 Rn. 23, Beschlüsse vom
16. Mai 1991 a.a.O., vom 9. Mai 1996 - BVerwG 4 B 60.96 - Buchholz 406.11
§ 12 BauGB Nr. 21 = juris Rn. 3 und vom 27. Januar 1998 - BVerwG 4 NB
3.97 - Buchholz 406.12 § 1 BauNVO Nr. 24 S. 16 = juris Rn. 16), nicht jedoch
die Bestätigung der Legalität des Normsetzungsverfahrens („Legalitätsfunktion“;
vgl. Beschlüsse vom 16. Mai 1991 a.a.O. S. 208 f., vom 27. Januar 1998 a.a.O.
und vom 25. Juli 2000 - BVerwG 6 B 38.00 - Buchholz 421.0 Prüfungswesen
Nr. 399 = juris Rn. 3; Urteil vom 16. Dezember 1993 - BVerwG 4 C 22.92 -
Buchholz 406.11 § 29 BauGB Nr. 52 S. 20 f. = juris Rn. 18). Aus dieser Beur-
kundungs- und Gewährleistungsfunktion folgt, dass geprüft werden muss, ob
die zu verkündende Fassung der Rechtsnorm mit der vom Normgeber be-
schlossenen Fassung der Norm übereinstimmt; es muss erkennbar sein, dass
der Normgeber die ihm obliegende Prüfung vorgenommen hat (Urteil vom
1. Juli 2010 a.a.O. Rn. 15). Die Identität des Normtextes mit dem vom Normge-
ber Beschlossenen wird dabei durch seine Ausfertigung bestätigt (Beschlüsse
vom 16. Mai 1991 a.a.O., vom 27. Januar 1998 a.a.O., vom 25. Juli 2000 a.a.O.
und vom 21. Dezember 2011 - BVerwG 8 B 72.11 - Buchholz 430.3 Kammer-
beiträge Nr. 33 Rn. 6). Folglich genügt etwa das bloße Herstellen einer ge-
druckten Fassung einer Rechtsnorm als Ausfertigung nicht (Urteil vom 1. Juli
2010 a.a.O. Rn. 15). Weiteres, insbesondere zu Art und Weise der Prüfung und
ihrer Beurkundung, also - so ist zu ergänzen - des (geeigneten) Nachweises,
dass diese Identitätsprüfung stattgefunden hat, gibt das Bundesrecht, insbe-
sondere das Bundesverfassungsrecht, indessen nicht vor (Urteile vom 1. Juli
2010 a.a.O. Rn. 15 und vom 16. Dezember 1993 a.a.O.; Beschlüsse vom
16. Mai 1991 a.a.O. S. 209, vom 9. Mai 1996 a.a.O. und vom 27. Januar 1998
a.a.O.). So verlangt es z.B. nicht, dass ausdrücklich der Begriff „ausgefertigt“
oder „Ausfertigung“ verwendet wird (Beschluss vom 27. Oktober 1998
- BVerwG 4 BN 46.98 - Buchholz 406.11 § 10 BauGB Nr. 40 = juris Rn. 5). Es
lässt - auch hinsichtlich des jeweiligen Normtypus - zudem Unterschiede zu,
denn die Regeln über Art, Inhalt und Umfang der Ausfertigung gehören grund-
sätzlich dem (irrevisiblen) Landesrecht an (s.o. sowie Urteil vom 16. Dezember
1993 a.a.O., Beschluss vom 16. Mai 1991 a.a.O.). Bundesrecht „wacht“ ledig-
lich darüber, ob das Landesrecht überhaupt eine angemessene Kontrolle der
Authentizität ermöglicht. Näheres entscheidet aber abschließend der Landes-
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gesetzgeber (Beschluss vom 8. Mai 1995 - BVerwG 4 NB 16.95 - NVwZ 1996,
372, insoweit nicht veröffentlicht in Buchholz 406.11 § 244 BauGB Nr. 1 = juris
Rn. 6). Das gilt auch für die Frage, ob vom Normgeber eine Urschrift hergestellt
und auf dieser durch Unterschrift bestätigt werden muss, dass der Inhalt der
Urkunde so vom Normgeber beschlossen worden ist. Insofern hat der Senat
bereits betont, dass es jedenfalls vor dem Hintergrund des bundesverfassungs-
rechtlichen Rechtsstaatsgebots auch ausreichend sein kann, dass der Sat-
zungsbeschluss schriftlich fixiert und vom Bürgermeister unterschrieben ist, al-
so gerade keine einheitliche (Original-)Urkunde hergestellt wird (Beschlüsse
vom 16. Mai 1991 a.a.O. S. 209 und vom 27. Oktober 1998 a.a.O.). Einen
darüber hinausgehenden Klärungsbedarf zeigt die Beschwerde nicht auf.
Die von der Beschwerde weiter aufgeworfene Frage,
ob § 154 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 154 Abs. 3 Satz 1 BauGB
als Rechtsgrundlage für die Festsetzung von sanierungs-
rechtlichen Ausgleichsbeträgen mit dem Rechtsstaatsprin-
zip in seiner Ausprägung als der Rechtssicherheit dienen-
des Gebot der Belastungsklarheit und Belastungsvorher-
sehbarkelt im Sinne von Art. 20 Abs. 3 GG vereinbar ist,
wenn es der (Landes-)Gesetzgeber versäumt hat, neben
einer Verjährungsregelung eine absolute gesetzliche zeit-
liche Obergrenze festzulegen, um sicherzustellen, dass
Ausgleichsbeträge für sanierungsbedingte Erhöhungen
des Bodenwertes eines Grundstücks nicht zeitlich unbe-
grenzt nach Erlangung der sanierungsbedingten Erhöhun-
gen des Bodenwertes festgesetzt werden können,
führt nicht zur Zulassung der Revision. Sie würde sich in einem Revisionsver-
fahren nicht stellen, da das Oberverwaltungsgericht - von seinem Rechtsstand-
punkt aus zutreffend - keine Feststellungen dazu getroffen hat, wann die Sanie-
rungsmaßnahmen tatsächlich abgeschlossen worden sind; aufgrund der Zu-
rückverweisung des Rechtsstreits wird das Verwaltungsgericht dieser Frage
gegebenenfalls nachzugehen haben. Unabhängig davon hat der Senat in sei-
nen Urteilen vom 20. März 2014 - BVerwG 4 C 11.13 u.a. - (zur Veröffentli-
chung in der amtlichen Sammlung vorgesehen) die Frage rechtsgrundsätzlich
geklärt.
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2. Die Revision ist nicht nach § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO zuzulassen. Die Kläge-
rin legt nicht dar, dass das angefochtene Urteil vom Urteil des Bundesverwal-
tungsgerichts vom 1. Juli 2010 (a.a.O.) abweicht.
Zur Darlegung des Zulassungsgrundes der Divergenz ist gemäß § 133 Abs. 3
Satz 3 VwGO erforderlich, dass die Beschwerde einen inhaltlich bestimmten,
die angefochtene Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz benennt, mit
dem die Vorinstanz einem in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsge-
richts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder
des Bundesverfassungsgerichts tragenden Rechtssatz in Anwendung dersel-
ben Rechtsvorschrift widersprochen hat (Beschlüsse vom 19. August 1997
- BVerwG 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 VwGO Nr. 26 und vom
13. Juli 1999 - BVerwG 8 B 166.99 - Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 2 VwGO
Nr. 9). Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt.
Die Klägerin entnimmt dem Urteil vom 1. Juli 2010 (a.a.O.) den Rechtssatz,
„Beurkundung“ in diesem Sinne bedeute als unverzichtbare Mindestanforde-
rung an eine Ausfertigung, dass eine vom Ausfertigungsorgan unterzeichnete
Urkunde als Originalurkunde hergestellt werden müsse und nur so eine wirk-
same Ausfertigung einer Rechtsnorm vorgenommen werden könne. Wie oben
unter 1. ausgeführt, hat der Senat einen solchen Rechtssatz in der Entschei-
dung nicht aufgestellt. Auch im Übrigen kann nicht festgestellt werden, dass das
Oberverwaltungsgericht dem genannten Urteil des Bundesverwaltungsgerichts
die Gefolgschaft verweigert hätte (vgl. UA S. 11 ff.). Das Berufungsgericht hat
ausgeführt, durch das zur Anwendung gelangte Normsetzungsverfahren, das
der ständigen Praxis des Senats der Beklagten beim Erlass von Rechtsverord-
nungen entspreche, sei hinreichend gewährleistet worden, dass der in der Aus-
gabe des Hamburgischen Gesetz- und Verordnungsblatts vom 19. April 1982
(S. 69) veröffentlichte Normtext dem Normsetzungsbeschluss des Senats der
Beklagten vom 6. April 1982 entsprochen habe (UA S. 14 unten). Dabei sei das
Normsetzungsverfahren in seiner Gesamtheit - von der Vorbereitung der Be-
schlussfassung über die Beschlussfassung durch den Senat der Beklagten, die
Protokollierung dieser Beschlussfassung, das anschließende Herstellen einer
konsolidierten Textfassung bis hin zu dem Anbringen des Vermerks „Gegeben
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in der Versammlung des Senats ( ... )“ - in den Blick zu nehmen. Denn dass der
verfassungsrechtlich gebotene „Ausfertigungsmindeststandard" gewährleistet
sei, erschließe sich gerade aufgrund einer Gesamtschau des Normsetzungsver-
fahrens (UA S. 15).
Soweit die Beschwerde dem Oberverwaltungsgericht (sinngemäß) eine fehler-
hafte Subsumtion des Urteils vom 1. Juli 2010 (a.a.O.) vorhält, ist dies für die
Beurteilung der Divergenzrüge ohne Belang, denn der Tatbestand des § 132
Abs. 2 Nr. 2 VwGO ist nicht erfüllt, wenn die Vorinstanz einen Rechtssatz des
Bundesverwaltungsgerichts im Einzelfall rechtsfehlerhaft anwendet oder daraus
nicht die rechtlichen Folgerungen zieht, die etwa für die Sachverhalts- und Be-
weiswürdigung geboten sind (stRspr; vgl. Beschluss vom 19. August 1997
- BVerwG 7 B 261.97 - NJW 1997, 3328 = Buchholz 310 § 133 VwGO
Nr. 26).
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung
des Streitwerts folgt aus § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3, § 52 Abs. 1 GKG.
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