Urteil des BVerwG vom 26.05.2005

Windkraftanlage, Genehmigung, Befragung, Verfahrensmangel

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 4 B 29.05
OVG 8 A 11492/04
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 26. Mai 2005
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. P a e t o w ,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht G a t z und die Richterin am Bundesver-
waltungsgericht Dr. P h i l i p p
beschlossen:
Die Beschwerde des Beigeladenen gegen die Nichtzulassung der
Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-
Pfalz vom 21. Januar 2005 wird zurückgewiesen.
Der Beigeladene trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfah-
ren auf 5 000 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die auf § 132 Abs. 2 Nr. 3 und 1 VwGO gestützte Beschwerde des Beigeladenen hat
keinen Erfolg.
1. Die Revision ist nicht wegen der behaupteten Verfahrensmängel zuzulassen.
a) Die Beschwerde macht in erster Linie geltend, dass das Berufungsgericht den
Sachverhalt nicht richtig aufgeklärt und dadurch gegen § 86 Abs. 1 VwGO verstoßen
habe. Sie meint, dass es eines ergänzenden Gutachtens bedurft hätte, "soweit das
OVG entgegen dem schriftlichen Gutachten einen Tonzuschlag aufschlägt".
Die Rüge geht schon deshalb ins Leere, weil sie auf einem unzutreffenden Tatsa-
chenvortrag basiert. Die Beschwerde behauptet der Sache nach, dass das Beru-
fungsgericht in der - von ihm bejahten - Frage, ob in die Immissionsprognose ein
Tonzuschlag einzustellen sei, dem Gutachten des Sachverständigen Dipl.-Ing. P.
widersprochen habe. Dem ist nicht so. Der Gutachter hat weder in seinem schriftli-
chen Gutachten vom 17. Dezember 2003 noch anlässlich seiner ergänzenden Be-
fragung in der Berufungsverhandlung die Auffassung vertreten, bei der Prognose sei
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auf einen Tonzuschlag zu verzichten.
Entgegen der Auffassung der Beschwerde stellt es keinen Verfahrensmangel dar,
dass das Berufungsgericht keinen Beweis darüber erhoben hat, ob die zur Geneh-
migung gestellte Windkraftanlage vom Typ Nordex aufgrund des zwischenzeitlichen
Einbaus schallreduzierender Komponenten keine Tonhaltigkeit mehr aufweist. Bei
der Prüfung, ob der Vorinstanz ein Verfahrensfehler unterlaufen ist, ist von deren
materiellrechtlicher Rechtsauffassung auszugehen, auch wenn diese verfehlt sein
sollte (BVerwG, Urteil vom 25. März 1987 - BVerwG 6 C 10.84 - Buchholz 310 § 108
VwGO Nr. 183, stRspr). Nach Ansicht des Berufungsgerichts sind die behaupteten
Änderungen der Anlage (Verbesserung des Kühlsystems durch Ersetzung der nach
außen wirkenden Luftkühler durch eine ausschließlich intern gelagerte Wasserküh-
lung) nicht Gegenstand der Baugenehmigung und können deshalb im Rechtsstreit
über die Rechtmäßigkeit der Baugenehmigung nicht berücksichtigt werden (UA
S. 13). Vor diesem Hintergrund hatte das Berufungsgericht keinen Anlass, der Frage
nachzugehen, ob und inwieweit die angeführten baulichen Veränderungen an der
Windkraftanlage deren Tonhaltigkeit vermindern.
Soweit sich die Beschwerde dagegen wendet, dass das Berufungsgericht in die
Prognose der Immissionsbelastung durch die Windkraftanlage einen Sicherheitszu-
schlag (u.a. wegen möglicher "Serienstreuung") hineinrechnet, zeigt sie keinen Ver-
fahrensmangel auf, sondern legt dar, warum sie die Aussage im Berufungsurteil, der
Prognose sei der mit einem Sicherheitszuschlag versehene Schallleistungspegel
zugrunde zu legen, der für die Nennleistung bei einer Referenzmessung desselben
Anlagentyps ermittelt worden sei, für inhaltlich falsch hält.
b) Die Beschwerde wirft dem Berufungsgericht ferner vor, nicht zu verstehen gege-
ben zu haben, dass ihm die Nebenbestimmung, die der Beklagte in der mündlichen
Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht der Baugenehmigung beigefügt hat, zum
Schutz der Kläger nicht ausreiche. Die Nebenbestimmung sieht vor, dass der von der
genehmigten Windkraftanlage erzeugte Lärm Werte von 55 dB(A) tags und 40 dB(A)
nachts am Wohnhaus der Kläger nicht überschreiten darf. Die Beschwerde knüpft
ihren Vorhalt an § 104 Abs. 1 VwGO, wonach der Vorsitzende die Streitsache mit
den Beteiligten tatsächlich und rechtlich zu erörtern hat.
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Der Senat hat Zweifel, ob das vom Berufungsgericht mit den Beteiligten geführte
Rechtsgespräch den von der Beschwerde aufgezeigten Mangel tatsächlich aufweist;
denn ausweislich der Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 21. Januar
2005 wurde die Sach- und Rechtslage mit den Beteiligten "eingehend" erörtert. Den
Zweifeln braucht jedoch nicht nachgegangen und eine dienstliche Äußerung der an
der Berufungsverhandlung beteiligten Richter nicht eingeholt zu werden. Die Erörte-
rungsrüge scheitert nämlich daran, dass das Berufungsgericht nicht verpflichtet war,
sich schon vor der Urteilsberatung auf eine Rechtsauffassung festzulegen und diese
in der mündlichen Verhandlung zu offenbaren (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 13. Aufl.,
§ 104, Rn. 4; BVerwG, Beschluss vom 26. Juni 1998 - BVerwG 4 B 19.98 - juris).
Außerdem mussten die Prozessbeteiligten schon vor dem abschließenden Rechts-
gespräch in Rechnung stellen, dass es aus Sicht des Berufungsgerichts mit der Ne-
benbestimmung zu Gunsten der Kläger nicht getan war. Da es der eingangs der
mündlichen Verhandlung erfolgten Befragung des Sachverständigen P. zu den
Lärmimmissionen am Wohnhaus der Kläger nicht bedurft hätte, wenn mit der Ne-
benbestimmung der Schutz der Kläger sichergestellt gewesen wäre, ließ der Ablauf
der Berufungsverhandlung jedenfalls aus Sicht eines Rechtskundigen darauf schlie-
ßen, dass nach Auffassung des Berufungsgerichts der Schutz der Kläger durch die
Nebenbestimmung nicht gewährleistet war. Sollten der Beklagte und der Beigelade-
ne die Prozesssituation verkannt und deshalb nicht versucht haben, die drohende
Niederlage mit einer - die vorhandene Nebenbestimmung verschärfenden - Auflage
"in Form einer konkreten Betriebsregelung auf Begrenzung der Emissionen der An-
lage auf einen unterhalb der Nennleistung liegenden Schallleistungspegel in Verbin-
dung mit einer entsprechenden Steuerung der Anlage" abzuwenden, wären sie dafür
selbst verantwortlich.
2. Die Revision ist auch nicht wegen der behaupteten grundsätzlichen Bedeutung der
Rechtssache zuzulassen. Der Zulassungsgrund des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ist
nicht den Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO entsprechend dargelegt.
Die Darlegung setzt die Formulierung einer bestimmten, höchstrichterlich noch un-
geklärten und für die Revisionsentscheidung erheblichen Rechtsfrage des revisiblen
Rechts und außerdem die Angabe voraus, worin die allgemeine, über den Einzelfall
hinausgehende Bedeutung bestehen soll (vgl. BVerwG, Beschluss vom 19. August
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1997 - BVerwG 7 B 261.97 - NJW 1997, 3328). Diesen Anforderungen wird die Be-
schwerde nicht gerecht. Sie erschöpft sich darin, im Gewand der Grundsatzrüge die
vorinstanzliche Würdigung der Sach- und Rechtslage nach Art einer Berufungsbe-
gründung anzugreifen.
Die Revision wäre selbst dann nicht zuzulassen, wenn dem Beschwerdevorbringen
bei wohlwollender Auslegung die fallübergreifende Frage entnommen werden könn-
te, ob Nachbarn einer baulichen Anlage, deren uneingeschränkter Betrieb zu einer
Überschreitung der maßgeblichen Immissionsgrenzwerte führt, die Aufhebung der
Baugenehmigung beanspruchen können oder sich damit begnügen müssen, dass in
der Genehmigung Immissionswerte festgeschrieben sind, die zu einem gedrosselten
Anlagenbetrieb zwingen, und deren Einhaltung überwacht wird. Diese Frage lässt
sich ohne weiteres dahingehend beantworten, dass sich Dritte, die eine Genehmi-
gung anfechten, mit Nebenbestimmungen zu ihrem Schutz nur dann zufrieden geben
müssen, wenn diese zur Erreichung des angestrebten Ziels geeignet sind (vgl. auch
P. Stelkens/U. Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 6. Aufl., § 36, Rn. 64a).
Das Berufungsgericht hat verneint, dass die Kläger durch die der Baugenehmigung
nachträglich beigegebene Nebenbestimmung hinreichend sicher geschützt werden.
Zur Begründung hat es ausgeführt, dass die messtechnische Überprüfung der
Einhaltung der Immissionswerte erfahrungsgemäß auf erhebliche Schwierigkeiten
stoße, weil dabei bestimmte Voraussetzungen wie Windgeschwindigkeit und
Windrichtung erfüllt sein müssten, und derartige praktische Probleme hier auch be-
reits aufgetreten seien. An diese tatrichterliche Würdigung ist der Senat nach § 137
Abs. 2 VwGO gebunden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO und die Streitwertentschei-
dung auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1, § 72 Nr. 1 GKG.
Dr. Paetow Gatz Dr. Philipp