Urteil des BVerwG vom 21.09.2010

Überschreitung, Genehmigung, Gebäudetiefe, Zahl

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 4 B 25.10
OVG 8 A 11342/09
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 21. September 2010
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Rubel,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Gatz und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Bumke
beschlossen:
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung
der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts
Rheinland-Pfalz vom 11. März 2010 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 10 000 € fest-
gesetzt.
G r ü n d e :
Die auf § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO gestützte Beschwerde der Klägerin gegen die
Nichtzulassung der Revision bleibt ohne Erfolg.
1. Die Frage,
ob die Genehmigung eines Vorhabens, die die bisher vor-
handenen, die Umgebung prägenden Merkmale eines
Gebiets … nicht beachtet, zu einem neuen Umgebungs-
rahmen nach § 34 Abs. 1 BauGB führt oder (ob) das Er-
fordernis des Einfügens weiterhin an den früher vorhan-
denen Strukturen gemessen werden kann,
hält die Beschwerde für klärungsbedürftig, weil das Oberverwaltungsgericht
nicht berücksichtigt habe, dass bereits der genehmigte Anbau an das Haus der
Klägerin den maßgeblichen Umgebungsrahmen nach § 34 Abs. 1 BauGB we-
sentlich verändert habe; es hätte die beiden Ausbaustufen des klägerischen
Anbaus separat betrachten und bewerten müssen.
Die Frage stellt sich nicht; sie beruht auf Annahmen, von denen das Ober-
verwaltungsgericht nicht ausgegangen ist. Das Oberverwaltungsgericht hat
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sich bei der Ermittlung der Eigenart der näheren Umgebung auf die Inau-
genscheinnahme der Örtlichkeit gestützt und als Umgebungsrahmen die
bebauten Grundstücke Nordpfad Nr. 4 bis 12 bestimmt, die eine nahezu
gleiche Gebäudetiefe von ca. 8 m aufweisen (UA S. 8). Dass sich das Vor-
haben im Hinblick auf die sich ergebende faktische Baugrenze von ca. 8 m
nicht einfüge, begründet das Oberverwaltungsgericht - wie auch die Be-
schwerde erkennt - unter Außerachtlassung der mit Genehmigung vom
20. Juli 2005 zugelassenen Gebäudevertiefung im Kellergeschoss damit,
dass mit dem Vorhaben eine Überschreitung um weitere 3,50 m erfolge
(UA S. 9 f.). Es hat zwar angemerkt, dass sich die 2005 genehmigte Wohn-
raumerweiterung in einer Tiefe von 6 m von der Umgebung abhebe, dabei
jedoch ausdrücklich auf die erteilte Baugenehmigung verwiesen, mit der die
Beklagte dem Bedürfnis nach erweitertem Wohnraum in dem Siedlerhaus
der Kläger habe Rechnung tragen wollen. Dass das Oberverwaltungsgericht
nur auf die streitgegenständliche Überschreitung abstellt, erhellt sich auch
aus dem Hinweis, dass „dies“, also die 2005 genehmigte Wohnraumerwei-
terung, nicht bedeuten könne, dass eine weitere Überschreitung der Umge-
bungsverhältnisse wegen der bereits eingetretenen Überschreitung der hin-
teren Baugrenze unbeachtlich zu sein habe (UA S. 10). Die Schlussfolge-
rungen, die die Klägerin aus der Feststellung des Oberverwaltungsgerichts
zieht, dass das beantragte Vorhaben zu einer Gebäudetiefe von insgesamt
17,75 m führe (UA S. 8), erweisen sich vor diesem Hintergrund als nicht
tragfähig.
Abgesehen davon hat das Oberverwaltungsgericht eine Überschreitung des
Umgebungsrahmens - selbständig tragend - damit begründet, dass das Unter-
geschoss auch hinsichtlich des Maßes der baulichen Nutzung den Rahmen
überschreite (UA S. 10 f.). Hierzu trägt die Beschwerde keinen Zulassungs-
grund vor, so dass es auch an der Entscheidungserheblichkeit der Grundsatz-
rüge fehlt.
2. Die zweite Frage, mit der die Beschwerde geklärt wissen will, ob § 34
Abs. 3a Satz 1 Nr. 1 BauGB nur für Räume gilt, die unmittelbar für Wohnzwe-
cke genutzt werden, stellt sich nicht, weil für das Oberverwaltungsgericht maß-
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geblich war, dass eine Abweichung „jedenfalls“ dem Einzelfallkriterium des § 34
Abs. 3a Satz 1 BauGB widersprechen würde.
3. Die Frage,
ob das Einzelfallerfordernis des § 34 Abs. 3a Satz 1
BauGB verletzt ist, wenn in einer kleineren Zahl von weite-
ren Fällen dieselben Voraussetzungen für ein Abweichen
gegeben wären und wenn auch in diesen Fällen die Grün-
de des § 34 Abs. 3a Satz 1 Nr. 2 und 3 BauGB einer Ab-
weichung nicht entgegenstehen,
beruht wiederum auf Annahmen, von denen das Oberverwaltungsgericht nicht
ausgegangen ist. Entgegen der Auffassung der Beschwerde hat das Oberver-
waltungsgericht nicht angenommen, dass ein Abweichen von der Umgebungs-
bebauung nur dann in Frage kommt, wenn die Voraussetzungen für das Ab-
weichen lediglich bei einem einzigen Grundstück erfüllt sind. Es hat die An-
nahme eines Einzelfalls vielmehr deswegen verneint, weil auf sämtlichen
Grundstücken des Umgebungsrahmens eine solche tief in die Grundstücke
hineinragende Bebauung absehbar möglich wäre und dies erst recht gelte,
wenn der Rahmen weiter gefasst wäre (UA S. 14). Davon, dass das Oberver-
waltungsgericht „rein schematisch“ vorgegangen wäre, kann keine Rede sein.
Auch mit der Schlussfolgerung, angesichts der Übertragbarkeit der Abweichung
vom Maß der baulichen Nutzung und der überbaubaren Grundstücksfläche auf
diese gleichgelagerten Grundstücksverhältnisse lasse sich ein Abgrenzungs-
merkmal nicht mehr finden, setzt sich die Beschwerde nicht auseinander. Sie
macht vielmehr nur nach Art einer Berufungsbegründung geltend, die Erteilung
entsprechender Abweichungen sei städtebaulich nicht schädlich und für keinen
Nachbarn nachteilig, und greift die Ausführungen des Oberverwaltungsgerichts
als nicht nachvollziehbar an. Grundsätzlicher Klärungsbedarf wird damit nicht
aufgezeigt.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestset-
zung auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.
Prof. Dr. Rubel
Dr. Gatz
Dr. Bumke
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