Urteil des BVerwG vom 05.08.2015

Treu Und Glauben, Allgemeiner Rechtsgrundsatz, Belastung, Erhaltung

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 4 B 22.15
OVG 2 L 175/13
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 5. August 2015
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Rubel
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Gatz und Dr. Decker
beschlossen:
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung
der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts
des Landes Sachsen-Anhalt vom 18. Februar 2015 wird
zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Außergerichtliche Kosten der Beigeladenen sind nicht er-
stattungsfähig.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwer-
deverfahren auf 100 000 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die auf § 132 Abs. 2 Nr. 1 und 3 VwGO gestützte Beschwerde hat keinen Er-
folg.
1. Das Oberverwaltungsgericht hat den mit dem Hauptantrag verfolgten An-
spruch des Klägers auf Erteilung einer Abbruchgenehmigung für das unter
Denkmalschutz stehende Gebäude B.-straße … in H. verneint und seine Ent-
scheidung auf zwei jeweils selbständig tragende Versagungsgründe gestützt.
Zum einen könne der Abriss nicht genehmigt werden, weil die unveränderte
Erhaltung des Denkmals den Kläger nicht unzumutbar belaste (UA S. 26). Auf
die Belastung durch erhöhte Erhaltungskosten wegen des maroden Zustands
des Denkmals könne sich der Kläger nicht berufen, weil sie ihre Ursache darin
hätten, dass Erhaltungsmaßnahmen dem öffentlichen Recht zuwider unterblie-
ben seien. Der Einwand einer Belastung durch erhöhte Erhaltungskosten sei
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nicht nur ausgeschlossen, wenn der Verpflichtete im Laufe der Lebenszeit eines
Denkmals als dessen Eigentümer Unterhaltungsmaßnahmen unterlassen habe,
sondern auch dann, wenn - wie hier - der Verpflichtete "sehenden Auges" ein
sanierungsbedürftiges Denkmal erwerbe, die Denkmaleigenschaft bekannt und
die Sanierungsbedürftigkeit offensichtlich sei (UA S. 28 f.). Der Erteilung der
Abrissgenehmigung stehe zum anderen entgegen, dass der Kläger nicht alle
Möglichkeiten einer Erhaltung des Denkmals ausgeschöpft habe (UA S. 30). Er
könne das Denkmal der A. … GmbH verkaufen, die bereit sei, einen angemes-
senen Preis zu zahlen, und willens und imstande sei, das Denkmal fachgerecht
zu sanieren.
Ist die vorinstanzliche Entscheidung auf mehrere selbständig tragende Begrün-
dungen gestützt, so kann die Revision nur zugelassen werden, wenn hinsicht-
lich jeder dieser Begründungen ein Revisionszulassungsgrund aufgezeigt wird
und vorliegt (vgl. BVerwG, Beschluss vom 9. Dezember 1994 - 11 PKH 28.94 -
Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 1 VwGO Nr. 4 S. 4; stRspr). Wenn nur bezüg-
lich einer Begründung ein Zulassungsgrund gegeben ist, kann diese Begrün-
dung nämlich hinweggedacht werden, ohne dass sich der Ausgang des Verfah-
rens ändert.
a) Der Kläger wirft zum ersten Begründungselement folgende als grundsätzlich
bedeutsam bezeichnete Frage auf:
Kann im Lichte von Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG in Verbin-
dung mit den Grundsätzen von Treu und Glauben und der
Folgenbeseitigung behördlichen Unrechts ein privater
Denkmaleigentümer darauf verwiesen werden, die Unzu-
mutbarkeit der Erhaltung könne er nicht geltend machen,
weil
- er sich nicht auf die Belastung durch erhöhte Erhaltungs-
maßnahmen berufen könne, die dadurch verursacht wer-
den, dass Erhaltungsmaßnahmen in der Vergangenheit
öffentlichem Recht zuwider unterblieben sind;
- er "sehenden Auges" ein sanierungsbedürftiges Denkmal
erworben habe und ihm die Denkmaleigenschaft sowie die
Sanierungsbedürftigkeit bekannt waren,
wenn die öffentliche Hand zuvor selbst Verfügungsberech-
tigte und Eigentümerin des Denkmals war, so dass ent-
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weder nicht öffentlichem Recht zuwider Erhaltungsmaß-
nahmen unterblieben sind oder sie selbst öffentlichem
Recht zuwider Erhaltungsmaßnahmen unterlassen hat?
Die Frage führt nicht zur Zulassung der Revision nach § 132 Abs. 2 Nr. 1
VwGO.
Anknüpfungspunkt für die Frage ist § 10 Abs. 5 Satz 3 Denkmalschutzgesetz
des Landes Sachsen-Anhalt (DenkmSchG ST). Danach kann der Verpflichtete
sich nicht auf die Belastung durch erhöhte Erhaltungskosten berufen, die
dadurch verursacht werden, dass Erhaltungsmaßnahmen diesem Gesetz oder
sonstigem öffentlichen Recht zuwider unterblieben sind. Das Denkmalschutz-
gesetz des Landes Sachsen-Anhalt gehört nicht zum Recht, das nach § 137
Abs. 1 VwGO revisibel ist. Fragen zu seiner Auslegung und Anwendung wären
daher in einem Revisionsverfahren nicht klärungsfähig.
Die vom Kläger formulierte Frage wird nicht deshalb zu einer Frage des revisib-
len Rechts, weil der Kläger einen Bezug zu den Grundsätzen von Treu und
Glauben und der Beseitigung der Folgen behördlichen Unrechts herstellt. Der
Grundsatz von Treu und Glauben ist ein allgemeiner Rechtsgrundsatz, und all-
gemeine Rechtsgrundsätze gehören, soweit sie zur Ergänzung oder Korrektur
von Landesrecht herangezogen werden, ebenfalls dem Landesrecht an
(BVerwG, Urteil vom 17. Februar 1984 - 7 C 67.82 - BVerwGE 69, 46 <48>;
stRspr). Gleiches gilt hier für den Folgenbeseitigungsanspruch. Er dient der Er-
gänzung des jeweiligen Fachrechts und ist Bestandteil des Landesrechts, wenn
die hoheitliche Maßnahme, deren Folgen beseitigt werden sollen, auf Landes-
recht beruht (Neumann, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Aufl. 2014, § 137 Rn. 65).
Die Frage betrifft auch nicht deshalb revisibles Recht, weil der Kläger geltend
macht, das Oberverwaltungsgericht habe sie unter Verletzung von Bundesrecht
- nämlich des Rechts aus Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG - beantwortet. Wird mit der
Nichtzulassungsbeschwerde gerügt, die Auslegung und Anwendung von Lan-
desrecht verstoße gegen Bundesrecht, ist näher darzulegen, inwiefern die bun-
desrechtliche Norm, die gegenüber dem Landesrecht als korrigierender Maß-
stab angeführt wird, ihrerseits ungeklärte Fragen von grundsätzlicher Bedeu-
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tung aufwirft (BVerwG, Beschlüsse vom 21. Dezember 1994 - 4 B 266.94 -
NVwZ 1995, 601 = juris Rn. 6 und vom 30. Juni 2003 - 4 B 35.03 - Buchholz
310 § 108 Abs. 1 VwGO Nr. 26 = juris Rn. 4). Dem wird der Kläger nicht ge-
recht. Er will geklärt wissen, wie § 10 Abs. 5 Satz 3 DenkmSchG ST auszule-
gen ist, ohne dass die Auslegung gegen Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG verstößt.
Damit thematisiert er eine landesrechtliche Fragestellung (vgl. BVerwG, Be-
schluss vom 23. März 1992 - 5 B 174.91 - Buchholz 310 § 132 VwGO Nr. 306
S. 42).
b) Die auf das zweite Begründungselement zugeschnittene Grundsatzfrage:
Erfordert eine unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismä-
ßigkeit einer Inhalts- und Schrankenbestimmung von
Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG zumutbare Veräußerungsmög-
lichkeit eines denkmalgeschützten Gebäudes den Nach-
weis der, ggf. eingeschränkten, Marktfähigkeit des denk-
malgeschützten Gebäudes oder reicht ein einziges
Kaufangebot - hier eines gemeinnützigen Denkmalver-
eins - ohne Hinzutreten weiterer kompensatorischer Maß-
nahmen aus, um eine zumutbare Veräußerungsmöglich-
keit zu begründen?
braucht ebenso wie die Verfahrensrügen unter II.2. der Beschwerdebegründung
nicht beschieden zu werden, weil die Grundsatzrüge, mit welcher der Kläger die
erste Begründung angreift, keinen Erfolg hat.
2. Die Verfahrensrüge, mit der die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts
über den Hilfsantrag des Klägers beanstandet wird, zwingt nicht zur Zulassung
der Revision nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO. Zu Unrecht wendet sich der Klä-
ger dagegen, dass das Oberverwaltungsgericht die Klage auch mit dem Hilfsan-
trag auf Feststellung, dass es sich bei dem Wohn- und Geschäftshaus auf dem
Grundstück in H. B.-straße … nicht um ein Kulturdenkmal im Sinne des § 2
DenkmSchG ST handelt, abgewiesen hat. Seine Auffassung, das Oberverwal-
tungsgericht hätte dem Hilfsantrag teilweise stattgeben und feststellen müssen,
dass das nördliche Nebengebäude seine Denkmaleigenschaft verloren hat, trifft
nicht zu. Das Oberverwaltungsgericht hat den Feststellungsantrag auf das "strit-
tige" Gebäude bezogen (UA S. 33). Gemeint hat es damit das im Verzeichnis
der Kulturdenkmale des Landes Sachsen-Anhalt verzeichnete dreigeschossige
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Hauptgebäude in straßenbildender Ecklage und nicht auch das nördliche Ne-
bengebäude in der K. S.-straße; denn es folgt der Stellungnahme des Beigela-
denen zu 1 vom 5. Dezember 2013, wonach der markante Eckbau über die er-
forderliche Denkmalfähigkeit verfüge, weil er nach wie vor die Bau- und Nut-
zungsgeschichte und die Umbaugeschichte des 19. Jahrhunderts vermittle, und
es sich bei dem niedrigeren Erweiterungsbau Richtung Norden lediglich um ei-
nen Anbau handele, dessen Verlust wegen substantieller Abgängigkeit die
Denkmalfähigkeit des Gebäudes B.-straße … nicht in Frage stelle (UA S. 17).
Den Hilfsantrag - über dessen Wortlaut hinaus - auch auf das nördliche Neben-
gebäude zu erstrecken, war nicht veranlasst, weil sowohl der Beklagte als auch
der Beigeladene zu 1 übereinstimmend davon ausgegangen sind und es des-
halb unstreitig ist, dass dieses Nebengebäude seine Denkmaleigenschaft verlo-
ren hat (UA S. 3); es bedurfte daher einer entsprechenden Feststellung nicht.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO und
die Streitwertfestsetzung auf § 47 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3, § 52 Abs. 1 GKG.
Prof. Dr. Rubel
Dr. Gatz
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