Urteil des BVerwG vom 07.10.2014

Eigentumsgarantie, Öffentlich, Entzug, Gefahr

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 4 B 22.14
OVG 7 A 1844/12
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 7. Oktober 2014
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Rubel
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Petz und Dr. Külpmann
beschlossen:
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Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung
der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts
für das Land Nordrhein-Westfalen vom 6. März 2014 wird
zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf
20 000 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die auf § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO gestützte Beschwerde bleibt erfolglos.
Die Klägerin ist Eigentümerin eines Grundstücks, das u.a. mit einem Hochhaus
aus den 1970er Jahren bebaut ist. Die Beklagte gab ihr durch Bescheid auf, die
dort vorhandenen Abfallschächte außer Betrieb zu nehmen und deren Öffnun-
gen zu verschließen. Die dagegen erhobene Klage haben die Vorinstanzen ab-
gewiesen (VG Köln, Urteil vom 3. Juli 2012 - 2 K 5193/10 - ZMR 2013, 158;
OVG Münster, Urteil vom 6. März 2014 - 7 A 1844/12 - BauR 2014, 1272).
1. Die Beschwerde hält für grundsätzlich klärungsbedürftig,
ob die § 17 Abs. 1, § 20 Abs. 2 KrWG konzeptionell einer
landesrechtlichen Vorschrift entgegenstehen, welche un-
abhängig von einem erfolgten Entsorgungsausschluss
durch den öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger auf
eine Trennung von Abfällen aus privaten Haushaltungen
abzielt.
Die Frage würde sich in einem Revisionsverfahren nicht stellen. Nach der für
die Entscheidung im Revisionsverfahren maßgeblichen Auslegung des Landes-
rechts (§ 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 560 ZPO) kann bei Beachtung der weiteren
Anforderungen nach § 46 Abs. 2 bis 5 BauO NRW die Erteilung einer Abwei-
chung nach § 73 Abs. 1 Satz 1 BauO NRW in Betracht kommen. In diesem Zu-
sammenhang nennt das Oberverwaltungsgericht Sachverhalte, in denen der
Betrieb eines Abfallschachts unter dem Gesichtspunkt der Mülltrennung unbe-
denklich sein möge, so etwa bei einem vollständigen Verzicht auf Mülltrennung
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durch den Entsorgungsträger (UA S. 14). Der Vorwurf der Beschwerde, § 46
Abs. 1 Satz 2 und 3 BauO NRW beabsichtige die faktische Durchsetzung der
Mülltrennung auch für private Haushalte, losgelöst von der abfallrechtlichen
Entscheidungszuständigkeit des öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgers, setzt
damit einen Inhalt des Landesrechts voraus, den ihm das Oberverwaltungsge-
richt nicht beigemessen hat.
2. Die Frage,
ob die Befugnis der Behörde, sich zur Erfüllung ihrer Auf-
gaben des Mittels des Verwaltungsakts zu bedienen, im
Wege der Gesetzesauslegung auch dann bejaht werden
kann, wenn mehrere einschlägige gesetzliche Ermächti-
gungen bestehen, deren Anwendungsvoraussetzungen
nicht einschlägig sind,
wäre in einem Revisionsverfahren nicht klärungsfähig. Die Auffassung des
Oberverwaltungsgerichts, § 46 Abs. 1 Satz 2 und 3 BauO NRW ermächtige
zum Einschreiten durch Verwaltungsakt (UA S. 18), während die Vorausset-
zungen anderer, ausdrücklich geregelter Ermächtigungsgrundlagen des Lan-
desrechts nicht vorlägen, wäre in einem Revisionsverfahren bindend (§ 173
Satz 1 VwGO i.V.m. § 560 ZPO). Hiervon unabhängig hat das Bundesverwal-
tungsgericht die von der Beschwerde allgemein formulierte Frage bereits be-
jaht: Die Befugnis, durch Erlass eines Verwaltungsakts zu handeln, muss nicht
stets ausdrücklich in der gesetzlichen Grundlage erwähnt sein, es reicht aus,
wenn sie sich einem Gesetz im Wege der Auslegung entnehmen lässt (Urteil
vom 7. Dezember 2011 - BVerwG 6 C 39.11 - BVerwGE 141, 243 Rn. 14 f.).
Dabei steht das Vorliegen ausdrücklich geregelter Ermächtigungsnormen der
Auslegung weiterer Vorschriften im Sinne impliziter Ermächtigungsnormen nicht
entgegen (Urteile vom 22. November 1994 - BVerwG 1 C 22.92 - BVerwGE 97,
117 <121> und vom 7. Dezember 2011 a.a.O. Rn. 24).
3. Die Frage,
ob das verfassungsrechtliche Gebot der rationellen Ziel-
findung bei der Beschränkung grundrechtlicher Freiheiten
im Rahmen der legislatorischen Zwecksetzungskompe-
tenz gewahrt wird, wenn der Gesetzgeber schlagwortartig
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auf die Zielsetzungen eines anderen Gesetzes und (gege-
benenfalls) auch auf „Erfahrungen“ in der Vergangenheit
verweist,
bedarf keiner Klärung in einem Revisionsverfahren. Inhalts- und Schrankenbe-
stimmungen des Eigentums im Sinne von Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG müssen
dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit genügen (BVerfG, Beschlüsse vom
2. März 1999 - 1 BvL 7/91 - BVerfGE 100, 226 <240 f.> und vom 16. Februar
2000 - 1 BvR 242/91 und 1 BvR 315/99 - BVerfGE 102, 1 <17>), zu dessen An-
forderungen die Verfolgung eines legitimen Zwecks gehört. Es liegt auf der
Hand, dass auch der Verweis auf bestehende Regelungen einen solchen legi-
timen Zweck „schlagwortartig“ bezeichnen kann. Wann eine solche Bezeich-
nung im Einzelfall ausreicht, entzieht sich rechtsgrundsätzlicher Klärung. Wel-
che weiteren Folgen die Beschwerde einem „verfassungsrechtlichen Gebot ra-
tioneller Zielfindung“ (richtig wohl: „rationaler Zielfindung“) entnehmen will, legt
sie nicht im Sinne von § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO dar.
4. a) Die Beschwerde möchte rechtsgrundsätzlich geklärt wissen,
ob es für die Geeignetheit einer gesetzlichen Regelung im
Sinne des verfassungsrechtlichen Grundsatzes der Ver-
hältnismäßigkeit der Darlegung von tatsächlichen An-
haltspunkten durch den Gesetzgeber bedarf, welche den
Schluss zulassen, eine gesetzliche Maßnahme werde
einen Beitrag zum Erreichen des mit ihr verfolgten Zieles
leisten.
Die Frage bedarf ebenfalls keiner Klärung in einem Revisionsverfahren. Für die
Eignung einer gesetzlichen Regelung reicht es aus, wenn jedenfalls die Mög-
lichkeit einer Zweckerreichung besteht (BVerfG, Beschlüsse vom 12. Dezember
2006 - 1 BvR 2576/04 - BVerfGE 117, 163 <188 f.> und vom 8. Juni 2010
- 1 BvR 2011/07, 1 BvR 2959/10 - BVerfGE 126, 112 <144>; stRspr). Dass
Bundesrecht hierfür die Darlegung von tatsächlichen Anhaltspunkten durch den
Gesetzgeber nicht fordert, folgt schon daraus, dass es die Begründung von Ge-
setzentwürfen nicht verlangt (Redeker/Karpenstein, NJW 2001, 2825 <2827>).
b) Die von der Beschwerde in diesem Zusammenhang angenommene Abwei-
chung von einem Beschluss des Bayerischen Obersten Landesgerichts (Be-
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schluss vom 18. Januar 1996 - 2Z BR 115/95 - NJWE-MietR 1996, 159) führt
nicht zur Zulassung der Revision nach § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO. Denn die Vor-
schrift setzt eine Abweichung von Urteilen des Bundesverwaltungsgerichts, des
Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bun-
desverfassungsgerichts voraus.
5. Die Beschwerde möchte rechtsgrundsätzlich geklärt wissen,
ob ein dauerhaftes bauordnungsrechtliches Nutzungsver-
bot für einen bestandskräftig genehmigten Raum, zu des-
sen zweckentsprechender Herstellung der Eigentümer
aufgrund der zur Zeit seiner Errichtung geltenden gesetzli-
chen Vorschriften verpflichtet war, verfassungsgemäßer
Gegenstand einer gesetzlichen Regelung sein kann, die
weder eine konkrete Gefahr für Leben oder Gesundheit
voraussetzt noch einen finanziellen Ausgleich für den voll-
ständigen Entzug der privatnützigen Verwendbarkeit ge-
währt.
Die Frage führt ebenfalls nicht zur Zulassung der Revision. Nach Auffassung
des Oberverwaltungsgerichts ist die Nutzung der Abfallschächte durch die Bau-
genehmigung gedeckt (UA S. 17), der Gesetzgeber habe aber mit § 46 Abs. 1
Satz 2 und 3 BauO NRW die Anpassung der bestehenden Anlagen an geänder-
te Anforderungen angeordnet (UA S. 12). Diese Auslegung wäre in einem Revi-
sionsverfahren maßgebend nach § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 560 ZPO. Denn
in welchem Umfang das Vertrauen in den Fortbestand einer bestimmten
Rechtsposition Schutz genießt, richtet sich nach der Norm, die hierfür die
Grundlage bildet. Diese bestimmt auch, ob und wie sich nachträgliche Rechts-
änderungen auf einen in früherer Zeit legal geschaffenen Baubestand auswir-
ken (Urteil vom 7. November 1997 - BVerwG 4 C 7.97 - Buchholz 11 Art. 14 GG
Nr. 316 S. 32).
Das Oberverwaltungsgericht hat die Vorschrift für verhältnismäßig im engeren
Sinn gehalten. Den Interessen der Betroffenen sei durch eine mehrjährige
Übergangsfrist hinreichend Rechnung getragen, einer Ausgleichsleistung be-
dürfe es nicht (UA S. 15). Außerdem könne grundsätzlich auch die Erteilung
einer Abweichung auf der Grundlage des § 73 Abs. 1 Satz 1 BauO NRW in Be-
tracht kommen. Das Oberverwaltungsgericht hat sich dabei von den Vorgaben
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der grundgesetzlichen Eigentumsgarantie leiten lassen. Im Rahmen der Eigen-
tumsgarantie ist auch der rechtsstaatliche Grundsatz des Vertrauensschutzes
zu berücksichtigen, der in Art. 14 Abs. 1 GG für vermögenswerte Güter eine
eigene Ausprägung erfahren hat. Im Falle einer Änderung der Rechtsordnung
muss der Gesetzgeber für Eingriffe in durch Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG geschütz-
te subjektive Rechte legitimierende Gründe haben. Regelungen im Sinne des
Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG, die zu solchen Eingriffen führen, sind nur zulässig,
wenn sie durch Gründe des öffentlichen Interesses unter Berücksichtigung des
Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit gerechtfertigt sind. Die Eingriffe müssen
zur Erreichung des angestrebten Zieles geeignet und erforderlich sein, insbe-
sondere dürfen sie den Betroffenen nicht übermäßig belasten und für ihn des-
wegen unzumutbar sein (BVerfG, Beschluss vom 14. Januar 2010 - 1 BvR
1627/09 - BRS 76 Nr. 160 m.w.N.). Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG verlangt, dass in
erster Linie Vorkehrungen getroffen werden, die eine unverhältnismäßige Be-
lastung des Eigentümers real vermeiden und die Privatnützigkeit des Eigentums
so weit wie möglich erhalten, etwa durch Übergangsregelungen; Härtefällen im
Einzelfall ist gegebenenfalls durch Dispens- und Abweichungsvorschriften ent-
gegenzuwirken (BVerfG, Beschluss vom 2. März 1999 - 1 BvL 7/91 - BVerfGE
100, 226 <245>). Die Beschwerde legt nicht - wie erforderlich - dar, dass dieser
verfassungsrechtliche Maßstab selbst einen die Zulassung der Revision recht-
fertigenden Klärungsbedarf aufwirft (vgl. Beschluss vom 21. Dezember 1994
- BVerwG 4 B 266.94 - NVwZ 1995, 601 <602>).
6. Hinsichtlich der Frage,
ob es dem Landesgesetzgeber aus Gründen der Kohä-
renz der gesetzlichen Regelung und der gebotenen
Gleichbehandlung verwehrt ist, eine gesetzliche Regelung
zu einem bundesrechtlich geregelten Lebenssachverhalt
zu erlassen, wenn nicht auch Lebenssachverhalte mit ver-
gleichbarem Regelungsbedarf einer gesetzlichen Regle-
mentierung unterzogen werden,
genügt die Beschwerde nicht dem Darlegungserfordernis des § 133 Abs. 3
Satz 3 VwGO. Die Vorschrift verlangt die Formulierung einer bestimmten,
höchstrichterlich noch ungeklärten und für die Revisionsentscheidung erhebli-
chen Rechtsfrage des revisiblen Rechts und außerdem die Angabe, worin die
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allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung bestehen soll
(stRspr, vgl. Beschluss vom 19. August 1997 - BVerwG 7 B 261.97 - Buchholz
310 § 133 VwGO Nr. 26 S. 14). Hierzu reichen die pauschalen Hinweise
nicht aus, die Maßgeblichkeit von Kohärenzerwägungen sei kaum konturiert
und es gebe auch außerhalb des Betriebs von Abfallschächten eine „verbreitete
Fehlwurfproblematik“. Insbesondere legt die Beschwerde nicht dar, für welche
Regelungsbereiche sie eine gesetzliche Regelung vermisst, inwieweit diese
dem Betrieb von Abfallschächten vergleichbar sein sollen und welche verfas-
sungsrechtlichen Anforderungen sie dem von ihr behaupteten Kohärenzgebot
entnehmen will.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO, die Festsetzung des
Streitwerts aus § 52 Abs. 1, § 47 Abs. 1 und 3 GKG.
Prof. Dr. Rubel
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