Urteil des BVerwG vom 15.06.2009

Aktenwidrige Feststellung, Anteil, Überwälzung, Bayern

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 4 B 20.09
VGH 4 BV 07.3067
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 15. Juni 2009
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Rubel
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Gatz und Petz
beschlossen:
Die Beschwerde der Beklagten gegen das Urteil des Bay-
erischen Verwaltungsgerichtshofs vom 18. Dezember
2008 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwer-
deverfahren auf 738 400 € festgesetzt.
G r ü n d e :
I
Das Berufungsgericht hat festgestellt, dass der zwischen den Beteiligten ge-
schlossene städtebauliche Vertrag vom 24. Juli 2003 nichtig ist. Zur Begrün-
dung heißt es in dem angefochtenen Urteil, es fehle an der erforderlichen Kau-
salität zwischen der städtebaulichen Maßnahme, der zusätzlichen Anbindung
des Gewerbegebiets Eching-Ost an das überörtliche Straßennetz, und dem
Vorhaben der S. AG. Die vertragliche Überwälzung der Kosten für den Auto-
bahnzubringer auf die Klägerin und die übrigen Neunutzer widerspreche zudem
dem Gebot der Angemessenheit und dem Gleichheitsgrundsatz. Die Heranzie-
hung nur der Neunutzer, nicht aber der Altnutzer sei mit dem Gleichbehand-
lungsgebot nicht vereinbar, wenn - wie hier - die städtebauliche Maßnahme
nicht in dem Sinne teilbar sei, dass sie anteilig einer bestimmten Nutzergruppe
zugeordnet werden könnte. Selbst im Fall einer – unterstellten - Teilbarkeit ste-
he der Heranziehung der Neunutzer entgegen, dass die Beklagte nicht eindeu-
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tig nachvollziehbar den auf die Alt- und Neunutzer jeweils entfallenen Anteil
nebst einem etwaigen Eigenbehalt (für den Nutzen des Zubringers für die All-
gemeinheit) aufgelistet und bei den Neunutzern den auf sie entfallenden Anteil
entsprechend dem Verteilungsschlüssel nach § 7 des städtebaulichen Vertrags
umgelegt habe. Selbst wenn man zu Gunsten der Beklagten davon ausgehen
wollte, der von ihr getragene Anteil (vorläufig 13,1 Mio. DM) stelle die Über-
nahme des auf die Altnutzer entfallenden Anteils dar, ergäbe sich bei einem
unterstellten gleichen Vorteil für Alt- und Neunutzer ein Missverhältnis zu Las-
ten der Neunutzer (ca. 13,1 Mio. DM zu ca. 22,7 Mio. DM aus städtebaulichen
Verträgen mit den Neunutzern). Dies gelte erst recht, wenn man darauf abstel-
le, dass gemessen an den prognostizierten Verkehrsströmen die Altnutzer zu ¾
begünstigt würden.
Gegen die Nichtzulassung der Revision wendet sich die Beklagte mit ihrer Be-
schwerde.
II
Die auf sämtliche Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 VwGO gestützte Be-
schwerde hat keinen Erfolg.
Ist die vorinstanzliche Entscheidung - wie hier - auf mehrere selbständig tra-
gende Begründungen gestützt, so kann die Revision nur zugelassen werden,
wenn hinsichtlich jeder dieser Begründungen ein Revisionszulassungsgrund
aufgezeigt wird und vorliegt (vgl. Beschluss vom 9. Dezember 1994 - BVerwG
11 PKH 28.94 - Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 1 VwGO Nr. 4; stRspr). Wenn
nur bezüglich einer Begründung ein Zulassungsgrund gegeben ist, kann diese
Begründung nämlich hinweggedacht werden, ohne dass sich der Ausgang des
Verfahrens ändert.
Das Berufungsgericht hat die seine Entscheidung selbständig tragende Be-
gründung, die vertragliche Überwälzung der Kosten für den Autobahnzubringer
allein auf die Klägerin und die sonstigen Neunutzer widerspreche dem Ange-
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messenheitsgebot und dem Gleichbehandlungsgebot, ihrerseits mit mehreren
selbständig tragenden Argumenten untermauert. Die Grundsatzrügen nach
§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO und die Divergenzrügen nach § 132 Abs. 2 Nr. 2
VwGO beziehen sich auf die rechtlichen Ansätze des Berufungsgerichts, die
Unteilbarkeit der städtebaulichen Maßnahme stehe der Heranziehung allein der
Neunutzer entgegen und die Heranziehung der Neunutzer scheitere selbst im
Falle der unterstellten Teilbarkeit daran, dass die auf die Allgemeinheit, Altnut-
zer und Neunutzer entfallenen Kosten nicht plausibel und transparent aufge-
schlüsselt seien. Beide Rügen erfassen nicht die weitere Begründung. Das Be-
rufungsurteil ist bei dem Vorwurf der fehlenden Auflistung der Kosten nach
Gemeindeanteil, Anteil für Altnutzer und Anteil für Neunutzer nicht stehen
geblieben, sondern hat in einem weiteren Schritt zu Gunsten der Beklagten un-
terstellt, dass sich die Kosten zuordnen lassen, indem der von der Beklagten zu
tragende Anteil von vorläufig 13,1 Mio. DM für die Altnutzer in Ansatz gebracht
worden ist und 22,7 Mio. DM von den Neunutzern aufgebracht werden müssen.
Dass es gleichwohl die Angemessenheit von Leistung und Gegenleistung ver-
neint hat, beruht auf der Ansicht, dass bei gleichem oder gar überwiegendem
Vorteil einer städtebaulichen Maßnahme für Altnutzer die Belastung der Neu-
nutzer diejenige der Altnutzer nicht wesentlich übersteigen dürfe.
Hiergegen wendet sich die Beschwerde allein mit einer Verfahrensrüge nach
§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO. Sie hält dem Berufungsgericht eine aktenwidrige
Feststellung vor. Die Annahme eines Missverhältnisses zu Lasten der Neunut-
zer stehe in offenkundigem Widerspruch zu dem Akteninhalt, aus dem sich er-
gebe, dass der Freistaat Bayern einen Zuschuss zu den Kosten des Autobahn-
zubringers in Höhe von 12 Mio. DM gewährt habe. Hätte das Berufungsgericht
diesen Umstand nicht außer Acht gelassen, wäre es zu dem Ergebnis gekom-
men, dass die insgesamt von der öffentlichen Hand getragenen Kosten mit 25,1
Mio. DM den von den Privaten getragenen Kostenanteil bereits jetzt nicht
unerheblich überstiegen. Zudem habe die Vorinstanz aktenwidrig ignoriert, dass
der von der Beklagten zu tragende Kostenanteil insbesondere im Hinblick auf
noch zu zahlende Enteignungsentschädigungen um einen weiteren sieben-
stelligen Euro-Betrag ansteigen werde und sich die von der öffentlichen Hand
getragenen Kosten deshalb noch erheblich erhöhten.
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Die Verfahrensrüge greift nicht durch. Das Berufungsgericht hat den von der
Beklagten zu tragenden Kostenanteil dem von den Privaten zu tragenden Kos-
tenanteil gegenübergestellt und hat den auf die Beklagte entfallenden Anteil mit
vorläufig 13,1 Mio. DM beziffert. Der Wert ist richtig und vom Berufungsgericht
nicht als fixe, sondern als vorläufige, der Veränderung zugängliche Größe ge-
kennzeichnet. Damit steht fest, dass der Vorhalt der Beschwerde, das Beru-
fungsgericht sei von einem aktenwidrigen Sachverhalt ausgegangen, unberech-
tigt ist. Der Bereich der Tatsachenfeststellung ist vom materiell-rechtlichen
Standpunkt der Vorinstanz aus zu beurteilen, auch wenn dieser Standpunkt
rechtlich verfehlt sein sollte (Urteil vom 25. März 1987 - BVerwG 6 C 10.84 -
Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 183; stRspr). Mit einer Kritik an der tatrichterli-
chen Beweiswürdigung und Überzeugungsbildung lässt sich danach ein Verfah-
rensmangel nicht aufzeigen (Beschluss vom 2. November 1999 - BVerwG 4 BN
41.99 - UPR 2000, 226). Eine solche Kritik übt die Beschwerde aber in Wahr-
heit. Sie beanstandet nämlich, dass das Berufungsgericht den Zuschuss des
Freistaats Bayern nicht der Beklagten „gutgeschrieben“ und eine mögliche oder
zu erwartende Kostensteigerung auf Seiten der Beklagten nicht in einem Sinne
gewürdigt hat, der für die von der Klägerin in Anspruch genommene Rechtspo-
sition ungünstig ist.
Da die Beschwerde mit ihrem Angriff gegen die Auffassung des Berufungsge-
richts scheitert, der städtebauliche Vertrag sei selbst dann wegen eines Miss-
verhältnisses von Leistung und Gegenleistung nichtig, wenn die Beklagte mit
ihrem Kostenanteil den auf die Altnutzer entfallenden Anteil habe tragen wollen,
kann offen bleiben, ob die sonstigen Rügen geeignet wären, die Zulassung der
Revision auszulösen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO und die Streitwertfest-
setzung auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 3 GKG.
Prof. Dr. Rubel
Gatz
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