Urteil des BVerwG vom 03.05.2002

Aktiven, Konkretisierung, Kontrolle, Scheidung

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BESCHLUSS
BVerwG 4 B 2.02
OVG 11 D 92/96.AK
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 3. Mai 2002
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht
Dr. P a e t o w und die Richter am Bundesverwaltungsgericht
Prof. Dr. Dr. B e r k e m a n n und G a t z
beschlossen:
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzu-
lassung der Revision in dem Urteil des Ober-
verwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-
Westfalen vom 19. September 2001 wird zurückge-
wiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdever-
fahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen
Kosten der Beigeladenen, die diese selbst tra-
gen.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das
Beschwerdeverfahren auf 10 000 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die Beschwerde ist unbegründet. Das Vorbringen der Beschwerde
ergibt nicht, dass die geltend gemachten Voraussetzungen des
§ 132 Abs. 2 Nr. 1 oder 3 VwGO erfüllt sind.
1. Die unter Ziff. 1 der Beschwerdebegründung vom 10. Dezember
2001 erhobene Grundsatzrüge (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) bleibt
ohne Erfolg.
Liegen die zu erwartenden Lärmbeeinträchtigungen oberhalb der
Immissionsgrenzwerte, so ist damit entschieden, dass das Vor-
haben die zwingende Zumutbarkeitsgrenze des § 3 Abs. 1 BImSchG
überschreiten wird und daher unzulässig ist (vgl. BVerwG, Ur-
teil vom 9. Februar 1995 - BVerwG 4 C 26.93 - BVerwGE 97, 367
<375 f.>). Die Immissionsgrenzwerte sind mithin "äußerste"
Werte, die nicht überschritten werden dürfen. Auch unterhalb
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der verordnungsrechtlich festgelegten Grenzwerte kann eine be-
stehende Schutzwürdigkeit abwägungserheblich sein (vgl.
BVerwG, Urteil vom 16. Dezember 1993 - BVerwG 4 C 11.93 -
Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr. 96 = NVwZ 1994, 691; vgl. auch
VGH Mannheim, Urteil vom 13. März 1996 - 5 S 1743/95 - VBlBW
1996, 423 = DVBl 1996, 929 [L]; a.A. wohl VGH München, Urteil
vom 16. März 1993 - 8 A 92.40089 - UPR 1993, 235). Ob dies der
Fall ist, richtet sich nach Lage der näheren Umstände und mag
vor allem bei atypischen Verhältnissen bedenkenswert sein.
Das Erstgericht geht in seiner Entscheidung von der Annahme
aus, dass das planfestgestellte Vorhaben den zwingenden Erfor-
dernissen der Lärmvorsorge genügt, da die verordnungsrechtlich
festgelegten Lärmgrenzwerte beachtet seien. Legt man diese An-
nahme - welche die Beschwerde allerdings als fehlerhaft kriti-
siert - zugrunde, so darf daraus nicht gefolgert werden, dass
unterhalb der eingehaltenen Grenzwerte kein Raum mehr für eine
abwägungsbezogene Entscheidung ist. Diesen Schluss zieht das
Erstgericht auch nicht. Das Gericht verneint zwar, dass der
Kläger mangels Enteignungsbetroffenheit die getroffene Tras-
senwahl zur umfassenden gerichtlichen Nachprüfung stellen
kann. Das entspricht der ständigen Rechtsprechung und wirft
als solches keinen Klärungsbedarf auf. Insoweit weist die Be-
schwerde auch keine Gesichtspunkte auf, die über den erreich-
ten Stand der vorhandenen Rechtsprechung hinausführen. Das
Erstgericht spricht jedoch ausdrücklich aus, dass die Plan-
feststellung die Belange des Nachbarschutzes des Klägers bei
ihrer Abwägung hinreichend berücksichtigt habe. Insoweit seien
keine Fehler zu erkennen. Trifft diese rechtliche Beurteilung
zu, dann stellt sich die von der Beschwerde unter Ziff. 1 als
klärungsbedürftig aufgeworfene Frage nicht. Auch der Eigen-
tumsschutz des Art. 14 Abs. 1 GG ist alsdann beachtet. Wie
klarstellend zu bemerken ist, dient die erhobene Grundsatzrüge
nicht dazu, die sachliche Richtigkeit der vorinstanzlichen
Würdigung der tatsächlichen Umstände zu prüfen.
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2. Die Planfeststellungsbehörde hat für die Verwendung eines
lärmmindernden Straßenbelages einen Abschlag von 2 dB(A) als
Korrektur für unterschiedliche Straßenoberflächen zugelassen.
Das Erstgericht hat dies gemäß Tabelle B der Anlage 1 zu § 3
der 16. BImSchV gebilligt. Dagegen erhebt die Beschwerde als
solches keine Einwendungen. Sie hält es jedoch für eine Frage
von grundsätzlicher Bedeutung, ob die Planfeststellungsbehörde
die inhaltliche Ausfüllung der vorgesehenen Straßenoberfläche
uneingeschränkt dem Vorhabenträger überlassen dürfe. Nach An-
sicht der Beschwerde muss der Planfeststellungsbeschluss eine
inhaltliche Konkretisierung des lärmmindernden Straßenbelages
vornehmen.
Die von der Beschwerde formulierte Frage rechtfertigt keine
Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung. Der
Frage fehlt die für eine Zulassung erforderliche Klärungsbe-
dürftigkeit. Nicht jede Frage sachgerechter Auslegung und An-
wendung einer revisiblen Vorschrift enthält gleichzeitig eine
gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO erst im Revisionsverfahren zu
klärende Fragestellung. Nach der Zielsetzung des Revisionszu-
lassungsrechtes ist Voraussetzung vielmehr, dass der im
Rechtsstreit vorhandene Problemgehalt aus Gründen der Einheit
des Rechts einschließlich gebotener Rechtsfortentwicklung eine
Klärung gerade durch eine höchstrichterliche Entscheidung ver-
langt. Das ist nach der ständigen Rechtsprechung aller Senate
des Bundesverwaltungsgerichts dann nicht der Fall, wenn sich
die aufgeworfene Rechtsfrage auf der Grundlage der vorhandenen
Rechtsprechung und mit Hilfe der üblichen Regeln sachgerechter
Gesetzesinterpretation ohne weiteres beantworten lässt. So
liegt es hier.
§ 3 Satz 1 16. BImSchV regelt, wie die Immissionsgrenzwerte
zu ermitteln sind. Er bestimmt, dass der maßgebliche Beurtei-
lungspegel für Straßen nach der Anlage 1 der Verordnung zu be-
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rechnen ist. Zu den Faktoren, die den Verkehrslärm beeinflus-
sen, gehört danach unter anderem die Beschaffenheit der Stra-
ßenoberfläche. Sie findet Eingang in die Berechnung, indem
nach der Tabelle B zur Anlage 1 des § 3 der 16. BImSchV ver-
schiedene Oberflächenarten mit bestimmten Korrekturwerten zu
berücksichtigen sind. Bei den ausdrücklich in der Tabelle auf-
geführten Straßenoberflächen handelt es sich um solche, die
- auch in ihrer Lärmwirkung - dem Verordnungsgeber bekannt wa-
ren. Nach dessen Bewertung ergibt sich aus den unterschiedli-
chen Korrekturwerten für die verschiedenen Straßenoberflächen
im Ergebnis eine einheitliche Lärmbelastung, die Grundlage für
die Bestimmung der Immissionsgrenzwerte nach § 2 der
16. BImSchV ist (vgl. BVerwG, Beschluss vom 1. April 1999
- BVerwG 4 B 87.98 - Buchholz 406.25 § 43 BImSchG Nr. 12 =
NVwZ-RR 1999, 567). Auf diese Bewertung greift die Planfest-
stellungsbehörde mit ihrer Entscheidung zur Aufbringung einer
lärmmindernden Straßenoberfläche zurück (vgl. auch BVerwG, Ur-
teil vom 11. Januar 2001 - BVerwG 4 A 13.99 - Buchholz 406.25
§ 43 BImSchG Nr. 16 = NVwZ 2001, 1154 zum "Splittmastix-
asphalt"). Daraus ergeben sich keine Fragen von grundsätzli-
cher Bedeutung.
Die Beschwerde misstraut dem Vorhabenträger, dass dieser die
ihm aufgegebenen Straßenoberflächen mit der vorausgesetzten
Lärmminderungswirkung herstellen werde. Ihre daraus abgeleite-
te Forderung, die Planfeststellungsbehörde müsse in geeigneter
Weise - etwa durch Konkretisierung der Belagsqualität - für
die Beachtung ihrer Entscheidung sorgen, gibt der Rechtssache
indes keine grundsätzliche Bedeutung. Es fehlt insoweit an der
erforderlichen Klärungsbedürftigkeit. Das Fachplanungsrecht
geht insgesamt davon aus, dass der staatliche Vorhabenträger
die ihm im Planfeststellungsbeschluss gemachten Vorgaben der
Durchführung in loyaler Art und Weise erfüllen wird. Dem Ge-
setzgeber genügt dies. Das schließt nicht aus, dass die Plan-
feststellungsbehörde etwa bei unsicherer, in seinen Auswirkun-
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gen schwer zu beurteilender tatsächlicher Sachlage dem Vorha-
benträger im Planfeststellungsbeschluss Auflagen zur Kontrolle
bei der Durchführung des Vorhabens macht. Das kann auch zur
Wahrung der Rechte der von der Planung Betroffenen geschehen.
Dazu lässt sich jedoch keine allgemeine Regel aufstellen.
Vielmehr ist dies eine abwägungsbezogene Frage, deren Beant-
wortung sich nach den Umständen des Einzelfalles richtet. Dass
im Streitfall in der Anwendung der Tabelle B zur Anlage 1 des
§ 3 der 16. BImSchV - anders als ggf. bei der sog. Öffnungs-
klausel der zugehörigen Fußnote der genannten Tabelle - keine
Besonderheiten gegeben sind, liegt auf der Hand.
Bei dieser Rechtslage kann dahinstehen, ob das von der Be-
schwerde verfolgte Begehren von dem vorinstanzlich gestellten
Klageantrag überhaupt erfasst wird.
3. Die Beschwerde kritisiert die vom Erstgericht gebilligte
Lärmberechnung inhaltlich in mehrfacher Hinsicht. Sie meint,
das Berechnungsverfahren bei fehlenden "langen, geraden Stre-
cken" bedürfe im Hinblick auf die vom Vorhabenträger gemäß den
RLS-90 vorgenommenen Teilstückberechnung der rechtsgrundsätz-
lichen Klärung. Das gelte auch für die Frage der Maßgeblich-
keit des jeweiligen Messortes. Außerdem sei dem vorinstanzli-
chen Gericht für die Bemessung der maßgebenden nächtlichen
Verkehrsstärke M ein Verfahrensfehler unterlaufen. Das Gericht
habe sich bei seiner Entscheidung auf Erkenntnisse aus einem
anderen Gerichtsverfahren bezogen. Dieses Verfahren sei weder
durch einen Schriftsatz des Beklagten in das vorliegende Ver-
fahren eingeführt, noch seien die Akten des anderen Verfahrens
beigezogen worden.
Das Vorbringen der Beschwerde rechtfertigt aus prozessualen
Gründen keine Zulassung der Revision. Hat das vorinstanzliche
Gericht seine Entscheidung mehrfach tragend begründet, dann
muss die Beschwerde für jeden der Begründungsstränge der Ent-
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scheidung einen selbständigen Zulassungsgrund vortragen. Die
Beschwerde ist danach nur begründet, wenn bei jedem der Mehr-
fachgründe ein gesetzlicher der Zulassungsgrund zulässig vor-
getragen und auch gegeben ist (vgl. BVerwG, Beschluss vom
9. Dezember 1994 - BVerwG 11 PKH 28.94 - Buchholz 310 § 132
Abs. 2 Ziff. 1 VwGO Nr. 4). Diese Voraussetzungen erfüllt das
Beschwerdevorbringen nicht. Das Erstgericht hat seine Ent-
scheidung für den begehrten aktiven Lärmschutz tragend auch
darauf gestützt, dass der Kläger selbst bei erhöhten Lärmbe-
einträchtigungen bis zu 2,0 dB(A) nachts keinen Anspruch auf
aktiven Lärmschutz habe. Ein entsprechender Anspruch scheitere
hier an den Voraussetzungen des § 41 Abs. 2 BImSchG (Urteils-
abdruck S. 21 f.). Die Kosten für die zusätzlichen Maßnahmen
des aktiven Lärmschutzes stünden außer Verhältnis zu dem ange-
strebten Schutzzweck. Das wird näher dargelegt. Die Beschwerde
hat gegenüber dieser Begründung einen selbständigen Zulas-
sungsgrund nicht geltend gemacht. Soweit sie sich mit Fragen
der Kosten auseinandersetzt, betrifft dieses Vorbringen die
abwägungsbezogene Trassenwahl.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 154 Abs. 2, 162
Abs. 3 VwGO. Die Festsetzung des Streitwertes folgt aus § 14
Abs. 3, § 13 Abs. 1 Satz 1 und § 73 Abs. 1 GKG.
Paetow
Berkemann
Gatz