Urteil des BVerwG vom 10.05.2010

Treu Und Glauben, Rechtliches Gehör, Aufrechnung, Überzeugung

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 4 B 18.10
OVG 1 KO 693/07
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 10. Mai 2010
durch die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Gatz und Dr. Jannasch
sowie die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Philipp
beschlossen:
Die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung
der Revision in dem Urteil des Thüringer Oberverwal-
tungsgerichts vom 18. November 2009 wird zurückgewie-
sen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens
mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten des Vertre-
ters des öffentlichen Interesses, die dieser selbst trägt.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwer-
deverfahren auf 13 702,62 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die auf den Zulassungsgrund des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO gestützte Be-
schwerde bleibt ohne Erfolg.
1. Eine Verletzung rechtlichen Gehörs sieht der Beklagte darin, dass das Ober-
verwaltungsgericht nicht geprüft hat, ob die Klageforderung verjährt ist. Seine
Prozessbevollmächtigte habe die Einrede der Verjährung in der mündlichen
Verhandlung erhoben. Gleiches habe der frühere Prozessbevollmächtigte be-
reits im vorangegangenen Eilverfahren getan.
Die Rüge ist unbegründet. Der Anspruch auf rechtliches Gehör verpflichtet das
Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und
in Erwägung zu ziehen (Beschluss vom 23. August 2006 - BVerwG 4 A
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1067.06 - UA - juris Rn. 3). Das Oberverwaltungsgericht könnte diese Pflicht
verletzt haben, wenn der Beklagte die Einrede der Verjährung erhoben hätte.
Die Überzeugung, dass er dies getan hat, kann der Senat jedoch nicht gewin-
nen.
Schriftsätzlich hat der Beklagte die Einrede der Verjährung im Klageverfahren
nicht erhoben. Er hat geltend gemacht, dass die Rückforderung der Städtebau-
förderungsmittel Treu und Glauben widerspreche (Schriftsatz vom 21. April
2006, S. 2) und dass er die Mittel zweckentsprechend verwendet habe und
deshalb nicht mehr bereichert sei (Schriftsatz vom 12. November 2007, S. 7);
auf Verjährung hat er sich hingegen nicht berufen. Auch der Antrag seines frü-
heren Prozessbevollmächtigten vom 22. Februar 2005 im einstweiligen Rechts-
schutzverfahren (4 E 199/05 Ge) enthält die Einrede nicht. Lediglich in einem
der Antragsschrift als Anlage beigefügten Schreiben vom 24. Januar 2005 an
den Beklagten hat der damalige Prozessbevollmächtigte die Einrede der Ver-
jährung erhoben. Dass dieses Schreiben zum Gegenstand des Vorbringens im
Klageverfahren geltend gemacht werden sollte, hat der Beklagte nicht
- jedenfalls nicht mit der erforderlichen Eindeutigkeit - zum Ausdruck gebracht.
Eine ausdrückliche Bezugnahme auf die Erklärung im Schreiben vom
24. Januar 2005 hätte spätestens im Berufungsverfahren nahegelegen. Denn
bereits das Verwaltungsgericht hatte den Beklagten zur Rückzahlung der Städ-
tebauförderungsmittel verurteilt, ohne auf die Frage der Verjährung einzugehen.
Zum Beweis dafür, dass seine Prozessbevollmächtigte in der mündlichen Ver-
handlung vor dem Oberverwaltungsgericht die Einrede der Verjährung erhoben
hat, beruft sich der Beklagte auf die Aussagen seiner Prozessbevollmächtigten
und seines Sohnes, der im Sitzungssaal anwesend war, als Zeugen, die Partei-
vernehmung des Klägers und ein Schreiben seiner Prozessbevollmächtigten
vom 20. November 2009. Das Beschwerdegericht kann die erforderlichen Fest-
stellungen im Wege des Freibeweises treffen (Beschluss vom 19. Dezember
2006 - BVerwG 6 PB 12.06 - NVwZ 2007, 714 m.w.N.). Der Frei-
beweis senkt nicht die Anforderungen an die richterliche Überzeugungsbildung,
sondern stellt das Gericht - im Rahmen pflichtgemäßen Ermessens - im Be-
weisverfahren und bei der Gewinnung der Beweismittel freier (Beschluss vom
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24. Juli 2008 - BVerwG 9 B 41.07 - Buchholz 310 § 108 Abs. 1 VwGO Nr. 58).
Angesichts der bereits vorliegenden Erkenntnisse sind die vom Beklagten an-
gebotenen Beweise nicht geeignet, dem Beschwerdegericht die Überzeugung
zu verschaffen, dass seine Prozessbevollmächtigte die Verjährungseinrede in
der mündlichen Verhandlung erhoben hat.
In das Protokoll ist die Verjährungseinrede nicht aufgenommen worden. Da sie
nicht zu den Förmlichkeiten gehört, die nach § 160 Abs. 1 bis 3 ZPO zwingend
in das Protokoll aufzunehmen sind und auf die sich die Beweiskraft des Proto-
kolls gemäß § 165 ZPO erstreckt, kann allein aus der Nichterwähnung im Pro-
tokoll nicht geschlossen werden, der Beklagte habe die Einrede nicht erhoben.
Da andere, ebenfalls nicht protokollierungsbedürftige Erklärungen protokolliert
wurden, hätte es aber nahegelegen, auch die Verjährungseinrede in das Proto-
koll aufzunehmen.
Dass die Verjährungseinrede in der mündlichen Verhandlung erhoben worden
sei, hat der Beklagte bereits mit einem Protokollberichtigungsantrag geltend
gemacht. Das Oberverwaltungsgericht hat in seinem auf diesen Antrag ergan-
genen Beschluss festgestellt, dass „nach dem übereinstimmenden Erinne-
rungsbild der Richter und der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle, die an der
Verhandlung mitgewirkt haben, … von der Bevollmächtigten des Beklagten
ausdrücklich keine Verjährungseinrede erhoben worden“ sei. Über den Proto-
kollberichtigungsantrag haben zwar nur der Vorsitzende und die Urkundsbeam-
tin der Geschäftsstelle entschieden; Zweifel daran, dass der Beschluss die Er-
innerung aller beteiligten Richter zutreffend wiedergibt, hat der erkennende Se-
nat jedoch nicht. Deshalb besteht kein Anlass, dienstliche Erklärungen der be-
teiligten Richter einzuholen. Auch die übrigen Beteiligten sind zu dem Proto-
kollberichtigungsantrag gehört worden. Der Prozessbevollmächtigte der Kläge-
rin hat mitgeteilt, dass dem Bürgermeister der Klägerin eine Verjährungseinrede
nicht erinnerlich sei. Angesichts dessen ist nicht ersichtlich, welche Erkennt-
nisse seine Vernehmung als Partei erbringen sollte. Der Vertreter des öffentli-
chen Interesses hat von einer Stellungnahme zum Protokollberichtigungsantrag
abgesehen. Ihn um eine dienstliche Äußerung zu bitten, hätte jedoch ebenfalls
keine Aussicht auf Erfolg. Denn der Beklagte trägt selbst vor, der Vertreter des
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öffentlichen Interesses habe auf Befragen ausdrücklich mitgeteilt, dass er sich
weder daran erinnern könne, dass die Prozessbevollmächtigte die Verjäh-
rungseinrede erhoben habe noch dass sie dies nicht getan habe. Die Prozess-
bevollmächtigte des Beklagten hat bereits in der Beschwerdebegründung dar-
gelegt, wie sie den Verlauf der mündlichen Verhandlung erinnert. Dass sie da-
von überzeugt ist, in der mündlichen Verhandlung die Verjährungseinrede er-
hoben zu haben, wird durch ihr Schreiben an den Beklagten vom 20. November
2009 bestätigt. Es ist auch durchaus möglich, dass sie den Ablauf der mündli-
chen Verhandlung zutreffend wiedergibt. Selbst wenn der Bruder des Beklagten
ihre Darstellung bestätigen sollte, könnte der Senat jedoch nicht die Überzeu-
gung gewinnen, dass die gegenteilige Erinnerung der erkennenden Richter des
Oberverwaltungsgerichts und der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle nicht
den Tatsachen entspricht. Es wären vielmehr beide Geschehensabläufe mög-
lich. Ein Gehörsverstoß lässt sich nicht mit der erforderlichen hinreichenden
Gewissheit feststellen. Damit werden die Anforderungen an die Überzeugungs-
bildung nicht überspannt. Der Beklagte hätte für die Klarheit sorgen können,
indem er die Verjährungseinrede im Klageverfahren schriftsätzlich oder zu Pro-
tokoll des Gerichts erhebt.
2. Einen weiteren Verfahrensverstoß sieht der Beklagte darin, dass das Ober-
verwaltungsgericht den Zahlungsanspruch in Höhe von 3 103,14 € gestützt auf
eine zivilrechtliche Anspruchsgrundlage (§ 812 Abs. 1 Satz 1 BGB) zuerkannt
hat; hierfür sei es nicht zuständig gewesen.
Auch diese Rüge ist unbegründet. Das Oberverwaltungsgericht hat seine Zu-
ständigkeit zu Recht gemäß § 17 Abs. 2 Satz 1 GVG bejaht. Nach dieser Vor-
schrift entscheidet das Gericht des zulässigen Rechtsweges den Rechtsstreit
unter allen in Betracht kommenden rechtlichen Gesichtspunkten. Das Oberver-
waltungsgericht war das Gericht des zulässigen Rechtswegs. Die Klägerin hat
die Erstattung von auf öffentlich-rechtlicher Grundlage ausgezahlten Städtebau-
förderungsmitteln in Höhe von 13 702,62 € verlangt. Für diesen Anspruch ist
gemäß § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO der Verwaltungsrechtsweg gegeben. Vor Kla-
geerhebung hatte die Klägerin den Erstattungsanspruch zwar gegen eine un-
bestrittene Forderung des Beklagten für Bauleistungen in Höhe von 3 103,14 €
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aufgerechnet; sie selbst hielt diese Aufrechnung aber später für unwirksam und
hat deshalb die Rechnung des Beklagten durch Zahlung beglichen. Das Ober-
verwaltungsgericht hat bereits die Aufrechnung als wirksam angesehen und
gemäß § 389 BGB insoweit das Erlöschen des Erstattungsanspruchs festge-
stellt. Hierzu war es schon deshalb berechtigt, weil der Bestand der Gegenfor-
derung über 3 103,14 € nicht streitig war (vgl. Urteil vom 12. Februar 1987
- BVerwG 3 C 22.86 - BVerwGE 77, 19 <24>; Rennert, in: Eyermann, Verwal-
tungsgerichtsordnung, 12. Auflage 2006, § 41 Rn. 19). In dieser Höhe hat es
einen zivilrechtlichen Anspruch der Klägerin gegen den Beklagten aus unge-
rechtfertigter Bereicherung bejaht. Durch das Begleichen der Rechnung habe
der Beklagte ohne Rechtsgrund eine Leistung erlangt, denn die der Rechnung
zu Grunde liegende Forderung für Bauleistungen sei bereits durch die Aufrech-
nung erloschen gewesen. Auch dieser zivilrechtliche Anspruch war Teil des
beim Oberverwaltungsgericht anhängigen Rechtsstreits. Das Oberverwaltungs-
gericht ist weder über den Klageantrag noch über den zu seiner Begründung
vorgetragenen Sachverhalt hinausgegangen. Dass die Klägerin die Klageforde-
rung auf der Grundlage dieses Sachverhalts insgesamt als öffentlich-rechtlichen
Erstattungsanspruch und nicht - wie das Oberverwaltungsgericht - teilweise als
zivilrechtlichen Bereicherungsanspruch qualifiziert hat, ändert daran nichts.
Werden aus einem einheitlichen Lebenssachverhalt mehrere Ansprüche
geltend gemacht, die teilweise dem einen, teilweise einem anderen Rechtsweg
zuzuordnen sind, verbleibt es bei der Zuständigkeit des zuerst angerufenen
Gerichts (Beschluss vom 30. April 2002 - BVerwG 4 B 72.01 - BRS 65 Nr. 237).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestset-
zung auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.
Dr. Gatz
Dr. Jannasch
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