Urteil des BVerwG vom 14.09.2015

Grundstück, Unparteilichkeit, Gebäudehöhe, Erfüllung

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 4 B 16.15
VGH 2 BV 13.789
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 14. September 2015
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Rubel
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Gatz und Dr. Külpmann
beschlossen:
Der Richter am Bundesverwaltungsgericht … ist von der
Ausübung des Richteramtes in diesem Verfahren ausge-
schlossen.
Die Beschwerde der Kläger gegen die Nichtzulassung der
Revision in dem Urteil des Bayerischen Verwaltungsge-
richtshofs vom 11. Dezember 2014 wird zurückgewiesen.
Die Kläger tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens
als Gesamtschuldner.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwer-
deverfahren auf 7 500 € festgesetzt.
G r ü n d e :
I. Über die Beschwerde entscheidet der Senat ohne die Mitwirkung des Richters
am Bundesverwaltungsgericht …, zu dessen engerem Freundeskreis eine Be-
teiligte gehört. Dieser Grund ist geeignet, im Sinne von § 42 Abs. 2 ZPO i.V.m.
§ 54 Abs. 1 VwGO Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des Richters zu recht-
fertigen. Denn es reicht aus, wenn vom Standpunkt der Beteiligten aus gesehen
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hinreichende objektive Gründe vorliegen, die bei vernünftiger Würdigung aller
Umstände Anlass geben, an der Unparteilichkeit eines Richters zu zweifeln
(stRspr, BVerwG, Urteil vom 5. Dezember 1975 - 6 C 129.74 - BVerwGE 50, 36
<38> und Beschluss vom 25. Juni 2015 - 9 B 31.15 - juris Rn. 3). Dies ist jeden-
falls bei nahen persönlichen Beziehungen zwischen einem Richter und einem
Beteiligten der Fall (vgl. BGH, Beschluss vom 31. Januar 2005 - II ZR
304/03 - BGHReport 2005, 1350).
II. Die auf alle Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 VwGO gestützte Beschwer-
de bleibt ohne Erfolg. Sie ist jedenfalls unbegründet.
1. Die Revision ist nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache
nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzulassen.
Grundsätzlich bedeutsam im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ist eine
Rechtssache, wenn in dem angestrebten Revisionsverfahren die Klärung einer
bisher höchstrichterlich ungeklärten, in ihrer Bedeutung über den der Be-
schwerde zugrunde liegenden Einzelfall hinausgehenden, klärungsbedürftigen
und entscheidungserheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts (§ 137 Abs. 1
VwGO) zu erwarten ist. In der Beschwerdebegründung muss dargelegt (§ 133
Abs. 3 Satz 3 VwGO), also näher ausgeführt werden, dass und inwieweit eine
bestimmte Rechtsfrage des Bundesrechts im allgemeinen Interesse klärungs-
bedürftig und warum ihre Klärung in dem beabsichtigten Revisionsverfahren zu
erwarten ist (stRspr, BVerwG, Beschlüsse vom 2. Oktober 1961 - 8 B
78.61 - BVerwGE 13, 90 <91> und vom 9. April 2014 - 4 BN 3.14 - ZfBR 2014,
479 Rn. 2).
a) Die Beschwerde hält für grundsätzlich klärungsbedürftig, ob die vom Ober-
verwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 26. Juni
2014 - 7 A 2725/12 - BauR 2014, 1919) entwickelten und vom Verwaltungsge-
richtshof übernommenen Kriterien für den bauplanungsrechtlichen Begriff des
Doppelhauses mit Bundesrecht in Übereinstimmung stehen. Dies führt nicht zur
Zulassung der Revision, weil der Senat die von der Beschwerde insoweit ange-
sprochenen Fragen in dem nach Ablauf der Beschwerdebegründungsfrist veröf-
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fentlichten Revisionsurteil vom 19. März 2015 (- 4 C 12.14 - BauR 2015, 1309
zu OVG Münster, Urteil vom 26. Juni 2014 - 7 A 1276/13 -) beantwortet hat.
Danach lässt sich weder abstrakt-generell noch mathematisch-prozentual be-
stimmen, ob zwei grenzständig errichtete Baukörper ein Doppelhaus bilden. Es
bedarf vielmehr einer Würdigung des Einzelfalls unter Betrachtung quantitativer
und qualitativer Gesichtspunkte (BVerwG, Urteil vom 19. März 2015 - 4 C
12.14 - BauR 2015, 1309 = juris Rn. 19). Für den Begriff der Hausgruppe gelten
diese Grundsätze entsprechend (BVerwG, Beschluss vom 19. März 2015 - 4 B
65.14 - juris Rn. 6).
b) Die Revision ist auch nicht zur Klärung der Frage zuzulassen, ob die Grund-
stücksgröße, die Länge der einseitigen Bebauung der gemeinsamen Grenze
sowie das Verhältnis dieser Länge zur unbebaut bleibenden gemeinsamen
Grenze für das Gebot der Rücksichtnahme von Bedeutung sind.
Für die Begriffe der Hausgruppe und des Doppelhauses ist in der Rechtspre-
chung bereits geklärt, dass es allein auf die wechselseitige Verträglichkeit der
grenzständigen Gebäude ankommt. Bestehende oder fehlende Bebauungs-
möglichkeiten sind danach unbeachtlich (BVerwG, Beschluss vom 19. März
2015 - 4 C 12.14 - BauR 2015, 1309), ebenso die Größe der jeweiligen Grund-
stücke. Die Länge der einseitig grenzständigen Bebauung hat der Verwaltungs-
gerichtshof in Übereinstimmung mit der Senatsrechtsprechung (vgl. BVerwG,
Urteil vom 24. Februar 2000 - 4 C 12.98 - BVerwGE 110, 355 <361>) in den
Blick genommen (UA Rn. 28). Das Verhältnis der Länge der einseitigen Grenz-
bebauung zur verbleibenden unbebauten Grenze ist dagegen für die Verträg-
lichkeit der Gebäude nicht von Bedeutung.
Sollte die Frage auf das Gebot der Rücksichtnahme im Übrigen gemünzt sein,
so ist in der Rechtsprechung geklärt, dass ein Vorhaben, das in jeder Hinsicht
den aus seiner Umgebung hervorgehenden Rahmen wahrt, sich dann in die
Eigenart der näheren Umgebung nicht einfügt, wenn dieses Vorhaben es an der
gebotenen Rücksichtnahme auf die sonstige, also vor allem auf die in seiner
unmittelbaren Nähe vorhandene Bebauung fehlen lässt (stRspr, vgl. BVerwG,
Urteil vom 26. Mai 1978 - 4 C 9.77 - BVerwGE 55, 369 <378>). Dabei kommt es
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auf die Umstände des Einzelfalles an (BVerwG, Urteil vom 20. Dezember
2012 - 4 C 11.11 - BVerwGE 145, 290 Rn. 32). Von diesen Grundsätzen aus-
gehend hat der Verwaltungsgerichtshof unter Berücksichtigung der Größe der
verbleibenden Freiflächen auf dem klägerischen Grundstück sowie Länge und
Höhe der einseitigen grenzständigen Bebauung einen Verstoß gegen das Ge-
bot der Rücksichtnahme verneint (UA Rn. 29 f.). Die Kläger legen nicht dar, in-
wiefern eine Berücksichtigung des Verhältnisses von einseitig grenzständiger
Bebauung zur Länge der verbleibenden unbebauten Grenze dieses Ergebnis in
Zweifel ziehen könnte, namentlich, welchen nachbarlichen Belang sie insoweit
beeinträchtigt sehen.
c) Die Kläger halten für grundsätzlich klärungsbedürftig, ob allein die bauord-
nungsrechtliche Zulässigkeit eines Bauvorhabens dieses zwangsläufig rück-
sichtsvoll im Sinne des Bauplanungsrechts und im Sinne des nachbarrechtli-
chen Ausgleichsverhältnisses macht. Auch dies führt nicht zur Zulassung der
Revision.
Die Frage ist weder klärungsbedürftig noch klärungsfähig. In der Rechtspre-
chung ist geklärt, dass das in § 34 Abs. 1 BauGB enthaltene Gebot der Rück-
sichtnahme auch verletzt sein kann, wenn etwa die landesrechtlichen Vorschrif-
ten über die Abstandsflächen gewahrt sind (BVerwG, Beschluss vom 11. Jan-
uar 1999 - 4 B 128.98 - Buchholz 406.19 Nachbarschutz Nr. 159 S. 2 m.w.N.).
Der Verwaltungsgerichtshof legt seiner Entscheidung keinen hiervon abwei-
chenden Rechtssatz zugrunde, sondern verneint tatrichterlich eine Verletzung
des Gebots der Rücksichtnahme (UA Rn. 29 f.). Die in diesem Zusammenhang
angeführten bauordnungsrechtlichen Vorschriften illustrieren seine Argumenta-
tion, gehen aber nicht auf den von der Beschwerde angenommenen Rechtssatz
zurück. Ob die Wirkungen des streitgegenständlichen Anbaus auf dem klägeri-
schen Grundstück einer Grenzgarage oder einem Sichtschutzzaun vergleichbar
sind, ist eine Tatfrage, die keiner revisionsgerichtlichen Kontrolle unterliegt.
2. Die Revision ist auch nicht wegen Divergenz nach § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO
zuzulassen.
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Zur Darlegung des Zulassungsgrundes der Divergenz ist gemäß § 133 Abs. 3
Satz 3 VwGO erforderlich, dass die Beschwerde einen inhaltlich bestimmten,
die angefochtene Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz benennt, mit
dem die Vorinstanz einem in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsge-
richts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder
des Bundesverfassungsgerichts aufgestellten ebensolchen, die Entscheidung
tragenden Rechtssatz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift widersprochen
hat (stRspr, vgl. BVerwG, Beschluss vom 19. August 1997 - 7 B 261.97 - Buch-
holz 310 § 133 VwGO Nr. 26 S. 14). Ferner muss dargelegt werden,
inwiefern das angefochtene Urteil auf dieser Abweichung beruht (BVerwG, Be-
schluss vom 11. Juni 1974 - 6 B 42.74 - Buchholz 310 § 132 VwGO Nr. 122
S. 70).
a) Die Revision ist nicht wegen einer Divergenz zum Senatsurteil vom 24. Feb-
ruar 2000 - 4 C 12.98 - (BVerwGE 110, 355 <360>) oder einer nachträglichen
Divergenz zu dem Senatsurteil vom 19. März 2015 - 4 C 12.14 - (BauR 2015,
1309 = juris Rn. 14 f.) zuzulassen.
Nach diesen Urteilen lässt sich weder abstrakt-generell noch mathematisch-
prozentual festlegen, in welchem Umfang bei einem Doppelhaus die beiden
Haushälften aneinander gebaut sein müssen. Der Verwaltungsgerichtshof legt
hiervon abweichend den Rechtssatz zugrunde, ein einheitlicher Baukörper kön-
ne jedenfalls dann nicht mehr angenommen werden, wenn sich auch nur eines
der Merkmale Geschosszahl, Gebäudehöhe, Bebauungstiefe und -breite sowie
das Brutto-Raumvolumen um mehr als die Hälfte unterscheide (UA Rn. 27
a.E.). Die Revision ist dennoch nicht nach § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO zuzulas-
sen, weil das Urteil auf dieser Abweichung nicht beruht.
Der Rechtssatz des Verwaltungsgerichtshofs stellt - in negativer Formulie-
rung - notwendige Bedingungen für das Vorliegen eines einheitlichen Baukör-
pers auf, deren mangelnde Erfüllung das Bestehen einer Hausgruppe oder ei-
nes Doppelhauses ausschließt. Der so verstandene Rechtssatz trägt das Urteil
schon deshalb nicht, weil der Verwaltungsgerichtshof das Bestehen einer
Hausgruppe bejaht und nicht etwa - in Anwendung dieses Rechtssatzes - ver-
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neint hat. Der Verwaltungsgerichtshof hat seiner Entscheidung dagegen nicht
den darüber hinausgehenden Rechtssatz zugrunde gelegt, die angeführten Be-
dingungen seien hinreichende Bedingungen, bei deren Erfüllung stets ein ein-
heitlicher Baukörper vorliege (vgl. zu dieser Unterscheidung BVerwG, Urteil
vom 19. März 2015 - 4 C 12.14 - BauR 2015, 1309 = juris Rn. 14). Seine An-
nahme, es bestehe weiterhin eine Hausgruppe, beruht nicht auf einer vom Se-
nat als bundesrechtswidrig beanstandeten mathematisch-prozentualen Be-
stimmung. Dies zeigen die weiteren Ausführungen: Als maßgeblich hat der
Verwaltungsgerichtshof die konkreten Umstände des Einzelfalls angesehen, die
angeführten quantitativen Kriterien sind nach seiner Auffassung nicht abschlie-
ßend (UA Rn. 27 a.E. "insbesondere"). Er hat ergänzend die absolute Gebäu-
dehöhe betrachtet, das Maß der jeweiligen Abweichung gewichtet ("deutlich
weniger als die Hälfte"; "Unterordnung"), die absolute Höhe des grenzständigen
Anbaus in den Blick genommen und durch den Vergleich der Kubatur mit einem
typischen Garagenanbau qualitativ bewertet, die Bausituation im Übrigen ge-
würdigt und abschließend eine Wahrung des Charakters als Hausgruppe bejaht
(UA Rn. 28).
b) Die Beschwerde entnimmt im Übrigen dem Senatsurteil vom 24. Februar
2000 - 4 C 12.98 - (BVerwGE 110, 355) den Rechtssatz, bei der Beurteilung
eines Doppelhauses oder einer Hausgruppe dürften absolute oder relative Grö-
ßenangaben nicht in Rechnung gestellt werden. Einen solchen Rechtssatz hat
der Senat indes weder in dem genannten Urteil noch in seinem Urteil vom
19. März 2015 - 4 C 12.14 - (BauR 2015, 1309) aufgestellt.
c) Die weiter behauptete Divergenz zu den Senatsurteilen vom 24. Februar
2000 - 4 C 12.98 - (BVerwGE 110, 355 <359>) und vom 5. Dezember
2013 - 4 C 5.12 - (BVerwGE 148, 290 Rn. 21) ist nicht dargelegt. Dies gilt so-
wohl für das (grundsätzliche) Verbot eines einseitigen Grenzanbaus in der offe-
nen Bauweise (UA Rn. 26) als auch für die geforderte Rücksicht auf die Bebau-
ung in unmittelbarer Nähe (vgl. UA Rn. 29). Der bloße Vorwurf, der Verwal-
tungsgerichtshof habe Rechtssätze des Bundesverwaltungsgerichts fehlerhaft
angewendet, führt nicht zur Zulassung wegen Divergenz (stRspr, BVerwG, Be-
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schluss vom 19. August 1997 - 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 VwGO
Nr. 26 S. 14).
3. Die Revision ist schließlich nicht nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zuzulassen.
Die Rüge eines Verstoßes gegen Art. 103 Abs. 1 GG verfehlt die Darlegungs-
anforderungen, weil die Kläger nicht - wie erforderlich - vortragen, was sie auf
den von ihnen vermissten rechtlichen Hinweis noch vorgetragen hätten (stRspr,
vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 28. März 2013 - 4 B 15.12 - BauR 2013, 1248
Rn. 14 und vom 19. Februar 2014 - 4 B 40.13 - juris Rn. 15
gedruckt in BayVBl. 2014, 477>).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 159 Satz 2 VwGO, die
Festsetzung des Streitwerts auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.
Prof. Dr. Rubel
Dr. Gatz
Dr. Külpmann
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