Urteil des BVerwG vom 09.04.2010

Rechtliches Gehör, Neue Beweismittel, Genehmigung, Kritik

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 4 B 16.10
(BVerwG 4 B 69.09)
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 9. April 2010
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Rubel,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Gatz und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Bumke
beschlossen:
Die Anhörungsrüge der Kläger gegen den Beschluss vom
22. Februar 2010 - BVerwG 4 B 69.09 - wird zurückgewie-
sen.
Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens jeweils zur
Hälfte, mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der
Beigeladenen, die diese selbst trägt.
G r ü n d e :
Die Anhörungsrüge hat keinen Erfolg. Zu Unrecht machen die Kläger geltend,
der Senat habe ihren Anspruch auf rechtliches Gehör in entscheidungserhebli-
cher Weise verletzt. Sie haben daher keinen Anspruch nach § 152a Abs. 1
Satz 1 VwGO auf Fortführung ihres Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens.
1. Eine Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör sehen die Kläger zu-
nächst darin, dass der Senat bei der Behandlung ihrer unter Rn. 8 des angegrif-
fenen Senatsbeschlusses als vierte Frage wiedergegebenen Grundsatzrüge
eine willkürliche Rechtsauffassung vertreten habe, ohne den Klägern zuvor Ge-
legenheit zur Stellungnahme gegeben zu haben. Die schlüssige Darlegung ei-
nes Gehörsverstoßes lässt dieses Vorbringen allenfalls unter dem Gesichts-
punkt einer Überraschungsentscheidung erkennen. Als eine solche Entschei-
dung stellt sich der Senatsbeschluss jedoch nicht dar. Der Senat hat sich viel-
mehr insoweit mit dem zentralen Anliegen der Beschwerde auseinandergesetzt
und der Auffassung der Kläger, ihr Anspruch auf effektiven Rechtsschutz führe
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im Verfahren des Wiederaufgreifens zwingend zur Aufhebung der bestands-
kräftigen Baugenehmigung der Beigeladenen, im Einklang mit der Auffassung
des Verwaltungsgerichtshofs den nahe liegenden Gesichtspunkt entgegen-
gehalten, eine solche Rechtsfolge sei bei einer Nachbarklage im Hinblick dar-
auf, dass nach den bindenden Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs le-
diglich ein Anspruch auf Verschärfung der Schutzauflagen besteht, zur Gewäh-
rung effektiven Rechtsschutzes weder erforderlich noch angemessen. Diese
Besonderheit des Falles nehmen die beiden von den Klägern angeführten Zi-
tatstellen aus Literatur und Rechtsprechung, deren Nichtberücksichtigung die
Kläger beanstanden, nicht in den Blick. Das Vorbringen der Kläger unter Ziffer 1
bis 3, 5 und 6 ihrer Anhörungsrüge erweist sich auf dieser Grundlage ebenso
wie das Vorbringen zu Ziffer 4, mit dem sie geltend machen, der Senat habe
ihren Vortrag zur mangelnden Schutzwürdigkeit des Vertrauens der Beigelade-
nen nicht berücksichtigt, als bloße Kritik an der rechtlichen Würdigung des Se-
nats, um eine erneute Überprüfung ihrer Nichtzulassungsbeschwerde zu errei-
chen. Das ist aber nicht Aufgabe und Gegenstand der Anhörungsrüge (Be-
schluss vom 1. April 2008 - BVerwG 9 A 12.08 - juris).
2. Mit ihrem Vorbringen unter Ziffer 7 kritisieren die Kläger die Handhabung der
rechtlichen Voraussetzungen für die Zulassung der Revision durch den Senat.
Das lässt eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör nicht erkennen.
Im Übrigen hat der Senat entgegen der Behauptung der Kläger durchaus und
im Einklang mit der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts
die fehlende grundsätzliche Bedeutung der von den Klägern aufgeworfenen
Fragen dargelegt ( BA Rn. 9 f., 12).
3. Entgegen der Ansicht der Kläger (unter Ziffer 8) hat der Senat die in Rn. 8
des angegriffenen Senatsbeschlusses unter (2) wiedergegebene Frage nach
der Auslegung eines Begriffes einer früheren Entscheidung des Bundesverwal-
tungsgerichts der Sache nach im Zusammenhang mit Frage (3) beantwortet,
soweit ihr Entscheidungserheblichkeit beizumessen ist (BA Rn. 9 f.). Zu weiter-
gehenden Ausführungen war der Senat auch in Ansehung des Anspruchs auf
rechtliches Gehör nicht verpflichtet.
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4. Soweit die Kläger (unter Ziffer 9) geltend machen, die vom Senat zur Frage
der Aufhebbarkeit der Genehmigung im Verfahren des Wiederaufgreifens ver-
tretene Rechtsauffassung sei objektiv willkürlich, führt diese Rüge nicht über
das oben (unter 1.) behandelte Vorbringen hinaus. In der Sache selbst überse-
hen die Kläger, dass die hier in Rede stehende prozessuale Situation, die durch
das Vorgehen gegen eine bestandskräftige Genehmigung gekennzeichnet ist,
nicht ohne Weiteres mit derjenigen einer Anfechtungsklage gegen einen noch
nicht bestandskräftigen Verwaltungsakt gleichgesetzt werden kann.
5. Mit ihren weiteren Ausführungen (unter Ziffer 10), mit denen sie die Nichtbe-
rücksichtigung ihres Vorbringens in der Nichtzulassungsbeschwerdebegrün-
dung (S. 7 und 10 f.) rügen, üben die Kläger wiederum lediglich inhaltliche Kritik
an der rechtlichen Würdigung des Senats. Mit dem von den Klägern in Bezug
genommenen Urteil vom 21. April 1982 - BVerwG 8 C 75.80 - (Buchholz 316
§ 51 VwVfG Nr. 11) hat sich der Senat ebenso wie mit den Erfordernissen des
effektiven Rechtsschutzes und der danach gebotenen Rechtsfolge entgegen
der Behauptung der Kläger ausdrücklich auseinandergesetzt. (BA Rn. 10).
6. Zu Unrecht rügen die Kläger (unter Ziffer 11 und 14), der Senat habe ihr
Vorbringen darauf verkürzt, die Beigeladene habe die Baugenehmigung mit
betrügerischen Mitteln erlangt, während sie dargelegt hätten, dass mindestens
16 Falschangaben der Beigeladenen dazu geführt hätten, dass der Lärm zu
niedrig berechnet worden sei; es sei für den Senat mithin erkennbar gewesen,
dass die Kläger geltend machen, die Genehmigungsbehörde habe aufgrund
dieser Falschangaben die immissionsrechtliche Zumutbarkeit des Nachbarvor-
habens zu Unrecht bejaht. Der Senat hat in seinem angegriffenen Beschluss
dargelegt, warum es im Rahmen der Grundsatz- und Verfahrensrügen - nämlich
im Blick auf die bestehende Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts
(BA Rn. 12) bzw. die maßgebliche Rechtsauffassung des Verwaltungsge-
richtshofs (BA Rn. 16) - auf dieses Vorbringen nicht ankommt. Das gilt im Übri-
gen auch in Bezug auf die vom Verwaltungsgerichtshof (unter Rn. 63) verneinte
Frage, ob die Aufrechterhaltung der Genehmigung gegenüber den Klägern
„schlechthin unerträglich“ wäre, weil der Verwaltungsgerichtshof insoweit nicht
auf die einfachrechtliche Zumutbarkeitsgrenze, sondern die Einhaltung verfas-
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sungsrechtlicher Schutzanforderungen abstellt, deren Nichteinhaltung auch die
Kläger nicht geltend machen.
7. Soweit die Kläger schließlich (unter Ziffer 12, 13 und 15) als Verstoß gegen
den Anspruch auf rechtliches Gehör geltend machen, der Senat habe ihre einen
Aufhebungsanspruch begründenden Ausführungen zur Widersprüchlichkeit und
Unbestimmtheit der Genehmigung sowie zum fehlenden Sachbescheidungsin-
teresse der Beigeladenen unberücksichtigt gelassen, greift diese Rüge schon
deswegen nicht durch, weil es auf dieses Vorbringen im Rahmen der
Nichtzulassungsbeschwerde nicht entscheidungserheblich ankommt. Denn
nach der für den Umfang der Sachverhaltserforschung maßgeblichen
Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichtshof (Rn. 74) hat sich die Verpflich-
tung zum Wiederaufgreifen auf den durch das neue Beweismittel allein aufge-
rufenen Teilaspekt der Lärmbelastung des Anwesens der Kläger beschränkt.
8. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 159 Satz 1 VwGO i.V.m.
§ 100 Abs. 1 ZPO, § 162 Abs. 3 VwGO. Einer Streitwertfestsetzung bedarf es
nicht, weil sich die Gerichtsgebühr unmittelbar aus Nr. 5400 der Anlage 1 zum
Gerichtskostengesetz ergibt.
Prof. Dr. Rubel
Dr. Gatz
Dr. Bumke
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