Urteil des BVerwG vom 01.06.2007

Ausnahme, Bebauungsplan, Gemeinde, Absicht

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 4 B 13.07
VGH 1 BV 02.2147
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 1. Juni 2007
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Paetow,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Rojahn und die Richterin
am Bundesverwaltungsgericht Dr. Philipp
beschlossen:
Die Beschwerde der Beigeladenen gegen die Nichtzulas-
sung der Revision in dem Urteil des Bayerischen Verwal-
tungsgerichtshofs vom 26. Januar 2007 wird zurückge-
wiesen.
Die Beigeladene trägt die Kosten des Beschwerdeverfah-
rens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwer-
deverfahren auf 10 225,84 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die auf den Zulassungsgrund des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO gestützte Be-
schwerde bleibt ohne Erfolg. Die Rechtssache hat nicht die grundsätzliche Be-
deutung, die ihr die Beigeladene beimisst.
1. Die Beigeladene möchte in einem Revisionsverfahren rechtsgrundsätzlich
geklärt wissen,
ob für die Erhebung einer Verpflichtungsklage auf Neube-
scheidung zur Durchsetzung der Verpflichtung einer Be-
hörde aus einem Urteil gemäß § 113 Abs. 5 VwGO das
Rechtschutzbedürfnis gegeben ist, wenn auch ein Antrag
nach § 172 VwGO gestellt werden kann.
Entscheidungserheblich wäre diese Frage nur für den hier gegebenen Fall,
dass die Bauaufsichtsbehörde den Antrag, über den Bauantrag entsprechend
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der rechtskräftig festgestellten Verpflichtung neu zu entscheiden und die Bau-
genehmigung zu erteilen, ablehnt, weil die Gemeinde nach Eintritt der Rechts-
kraft des Bescheidungsurteils einen dem Vorhaben entgegenstehenden Be-
bauungsplan oder eine Veränderungssperre zur Sicherung eines solchen Be-
bauungsplans bekannt gemacht hat. Dass in einem solchen Fall die Möglich-
keit, einen Antrag nach § 172 VwGO zu stellen, der Zulässigkeit einer erneuten,
auf Erteilung der Baugenehmigung gerichteten Verpflichtungsklage nicht ent-
gegensteht, ergibt sich ohne weiteres aus dem Gesetz und der bereits vorlie-
genden Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts.
Kommt die Behörde im Fall des § 113 Abs. 5 VwGO der ihr im Urteil auferlegten
Verpflichtung nicht nach, kann das Gericht des ersten Rechtszugs auf Antrag
unter Fristsetzung gegen sie ein Zwangsgeld bis 10 000 € durch Beschluss
androhen, nach fruchtlosem Fristablauf festsetzen und von Amts wegen voll-
strecken (§ 172 Satz 1 VwGO). Ist der Behörde im Urteil gemäß § 113 Abs. 5
Satz 2 VwGO die Verpflichtung auferlegt worden, über den Bauantrag des Klä-
gers unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden,
kann sie einem auf Vollziehung dieser Verpflichtung gerichteten Antrag entge-
genhalten, dass sich nach Eintritt der Rechtskraft des Bescheidungsurteils die
Rechtslage zum Nachteil des Klägers geändert habe. Der Anspruch auf erneute
Entscheidung über den Bauantrag unter Beachtung der Rechtsauffassung des
Gerichts steht, auch wenn er tituliert ist, unter dem Vorbehalt, dass sich die
Sach- und Rechtslage nicht in rechtlich relevanter Weise ändert; insoweit reicht
die Rechtskraft eines Bescheidungsurteils nicht weiter als die eines Urteils, das
die Behörde verpflichtet, die beantragte Baugenehmigung zu erteilen (vgl. Urtei-
le vom 26. Oktober 1984 - BVerwG 4 C 53.80 - BVerwGE 70, 227, vom
27. Januar 1995 - BVerwG 8 C 8.93 - Buchholz 310 § 121 VwGO Nr. 70 S. 8
und vom 19. September 2002 - BVerwG 4 C 10.01 - BVerwGE 117, 44 <47>).
Ob der Einwand, dass sich die Rechtslage nachträglich zum Nachteil des Klä-
gers geändert habe, ohne weiteres die Vollstreckung nach § 172 VwGO aus-
schließt oder ob die Behörde - wozu der Verwaltungsgerichtshof neigt (UA
S. 11) - eine Vollstreckungsgegenklage (§ 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 767 ZPO)
erheben muss, kann dahinstehen. Wenn eine Behörde - wie hier - den erneuten
Antrag, die Baugenehmigung zu erteilen, unter Berufung auf eine Änderung der
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Rechtslage ablehnt, ist nicht zweifelhaft, dass sie auf einen Vollstreckungs-
antrag, sollte dies erforderlich sein, auch eine Vollstreckungsgegenklage erhe-
ben dürfte. Kann der Kläger mithin durch einen Antrag nach § 172 VwGO ein
neues Klageverfahren nicht vermeiden, besteht kein Grund, das Rechtsschutz-
bedürfnis für eine erneute Verpflichtungsklage zu verneinen und ihn auf das
Vollstreckungsverfahren zu verweisen.
2. Die Beigeladene möchte weiter rechtsgrundsätzlich geklärt wissen,
ob die Absicht einer Gemeinde, einen wegen Mängeln
unwirksamen, aber heilbaren Bebauungsplan nach Feh-
lerheilung neu zu erlassen, grundsätzlich geeignet ist, die
Versagung einer Ausnahme im Rahmen einer Ermes-
sensausübung nach § 34 Abs. 2 i.V.m. § 31 Abs. 1 BauGB
zu begründen, wenn die Ausnahme mit den Fest-
setzungen des zu erlassenden Bebauungsplans nicht ver-
einbar ist.
Auch diese Frage würde sich in einem Revisionsverfahren so allgemein nicht
stellen. Der Verwaltungsgerichtshof hat es als ermessensfehlerhaft angesehen,
die Erteilung einer Ausnahme gemäß § 34 Abs. 2 i.V.m. § 31 Abs. 1 BauGB aus
allgemeinen Erwägungen zu versagen, die zum völligen Ausschluss der
ausnahmsweise zulässigen Nutzung in dem Gebiet führen (UA S. 20). Nach
diesem Maßstab dürfe die Ausnahme für die Spielhalle nicht aus dem von der
Beigeladenen genannten Grund versagt werden, dass Vergnügungsstätten in
dem hier in Rede stehenden Gebiet generell ausgeschlossen sein sollten, aber
in anderen Gewerbegebieten der Beigeladenen zulässig seien (UA S. 21). Ent-
scheidungserheblich wäre mithin lediglich die Frage, ob die Absicht einer Ge-
meinde, die Zulassung von Vergnügungsstätten in einem faktischen Gewerbe-
gebiet durch Erlass eines Bebauungsplans im gesamten Gewerbegebiet aus-
zuschließen, geeignet ist, die Versagung einer Ausnahme im Rahmen der Er-
messensausübung zu rechtfertigen. Dass diese Frage mit dem Verwaltungsge-
richtshof zu verneinen ist, ergibt sich ohne weiteres aus dem Gesetz. Entspricht
die Eigenart der näheren Umgebung einem der in der BauNVO bezeichneten
Baugebiete, beurteilt sich die Zulässigkeit des Vorhabens nach seiner Art allein
danach, ob es nach der Verordnung in dem Baugebiet allgemein zulässig wäre;
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auf die nach der Verordnung ausnahmsweise zulässigen Vorhaben ist § 31
Abs. 1 BauGB, im Übrigen ist § 31 Abs. 2 BauGB entsprechend anzuwenden
(§ 34 Abs. 2 BauGB). Vorhaben, die in einem durch Bebauungsplan ausgewie-
senen Baugebiet nach der BauNVO ausnahmsweise zulässig sind, sollen nach
dieser Vorschrift auch in einem faktischen Baugebiet im Wege einer Einzelfall-
entscheidung nach Ermessen zugelassen werden können. Diese Grundent-
scheidung des Gesetzes für die ausnahmsweise Zulässigkeit der in der
BauNVO bezeichneten Nutzungen darf die Behörde durch ihre Ermessenser-
wägungen nicht in Frage stellen. Nach der BauNVO ausnahmsweise zulässige
Vorhaben kann sie deshalb aus Erwägungen, die für das gesamte Gebiet Gel-
tung beanspruchen, nicht im Wege einer Ermessensentscheidung, sondern nur
mit den Mitteln der Bauleitplanung (vgl. § 1 Abs. 6 Nr. 1 BauNVO) ausschlie-
ßen. Eine Befreiung kann nach der Rechtsprechung des Senats im Rahmen der
Ermessensausübung zwar auch versagt werden, wenn die Gemeinde die
Absicht hat, einen bestehenden Bebauungsplan zu ändern, und die Befreiung
mit der vorgesehenen Planänderung nicht vereinbar ist (Urteil vom
19. September 2002 - BVerwG 4 C 13.01 - BVerwGE 117, 50 <56>). Auf Aus-
nahmen nach § 34 Abs. 2 i.V.m. § 31 Abs. 1 BauGB kann diese Rechtspre-
chung jedoch nicht übertragen werden. Denn eine das Ermessen begrenzende
Grundentscheidung für die ausnahmsweise Zulässigkeit der in der BauNVO
entsprechend bezeichneten Nutzungen gibt es für Nutzungen, die nur im Wege
einer Befreiung zugelassen werden können, nicht.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertent-
scheidung auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.
Dr. Paetow Prof. Dr. Rojahn Dr. Philipp
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