Urteil des BVerwG vom 15.03.2012

Öffentlichkeit der Gerichtsverhandlung, Kritik, Verfahrensmangel, Härte

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 4 B 11.12
VGH 1 B 11.224
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 15. März 2012
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Rubel
und die Richterinnen am Bundesverwaltungsgericht Dr. Philipp und Dr. Bumke
beschlossen:
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung
der Revision in dem Urteil des Bayerischen Verwaltungs-
gerichtshofs vom 1. Dezember 2011 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens
mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigela-
denen, die diese selbst trägt.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwer-
deverfahren auf 20 000 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die auf sämtliche Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 VwGO gestützte Be-
schwerde bleibt ohne Erfolg.
1. Die Beschwerde rügt, dass der Verwaltungsgerichtshof bei der mündlichen
Verhandlung im Sitzungssaal des Rathauses der Beigeladenen vor dem Sit-
zungssaal keine Terminstafel ausgehängt habe.
Eine Verletzung der Vorschriften über die Öffentlichkeit der Gerichtsverhand-
lung (§ 55 VwGO i.V.m. § 169 Satz 1 GVG), die einen absoluten Revisions-
grund darstellen würde (§ 138 Nr. 5 VwGO), ergibt sich aus diesem Vorbringen
nicht. Eine Verhandlung ist nach der Rechtsprechung des Senats schon dann in
dem von § 55 VwGO in Verbindung mit § 169 Satz 1 GVG geforderten Sinne
„öffentlich“, wenn sie in Räumen stattfindet, die während der Dauer der Ver-
handlung grundsätzlich jedermann zugänglich sind; die genannten Vorschriften
gebieten nicht, dass die mündliche Verhandlung in jedem Fall durch Aushang
bekannt gemacht werden muss (Beschlüsse vom 20. Juli 1972 - BVerwG 4 CB
71.70 - Buchholz 310 § 55 VwGO Nr. 3, vom 3. Januar 1977 - BVerwG 4 CB
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70.76 - Buchholz 310 § 138 Ziff. 5 VwGO Nr. 1 und vom 17. November 1989
- BVerwG 4 C 39.89 - juris Rn. 3). Ein solcher Aushang ist jedenfalls dann nicht
erforderlich, wenn die mündliche Verhandlung außerhalb des Gerichtsgebäudes
stattfindet. Insbesondere wenn die mündliche Verhandlung in einem Rathaus
oder einem vergleichbaren Gebäude durchgeführt wird, wird es allerdings in der
Regel zweckmäßig sein, an der Anschlagtafel und am Sitzungssaal auf die Ver-
handlung hinzuweisen. Ob eine auswärtige mündliche Verhandlung jedenfalls
im Gerichtsgebäude durch Aushang bekannt gemacht werden muss, braucht
hier nicht entschieden zu werden, denn die von der Beschwerde selbst wieder-
gegebene Äußerung des Vorsitzenden gibt keinen Anlass zu Zweifeln, dass
dies hier geschehen ist.
2. Als weiteren Verfahrensmangel rügt die Beschwerde eine Verletzung des
rechtlichen Gehörs. Der Verwaltungsgerichtshof habe es unterlassen, sich mit
der Frage der offensichtlich nicht beabsichtigten Härte für die Klägerin zu be-
fassen, weil er irrigerweise angenommen habe, dass die Grundzüge der Pla-
nung berührt seien. Auch diese Rüge bleibt ohne Erfolg. Die Beschwerde ver-
kennt, dass bei der Prüfung, ob der Vorinstanz ein Verfahrensfehler unterlaufen
ist, von deren materiellrechtlicher Rechtsauffassung auszugehen ist, selbst
wenn diese verfehlt sein sollte. Soweit sie geltend macht, die Rechtssache ha-
be grundsätzliche Bedeutung, weil die Auffassung des Verwaltungsgerichts-
hofs, dass hier die Grundzüge der Planung berührt seien, von einer Entschei-
dung des Oberverwaltungsgerichts Hamburg abweiche, legt sie die behauptete
grundsätzliche Bedeutung nicht hinreichend dar. Hierzu hätte sie eine bestimm-
te, höchstrichterlich noch ungeklärte und für die Revisionsentscheidung erhebli-
che Rechtsfrage des revisiblen Rechts formulieren und angeben müssen, worin
die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung bestehen soll
(Beschluss vom 19. August 1997 - BVerwG 7 B 261.97 - NJW 1997, 3328).
3. Die Beschwerde macht geltend, der Verwaltungsgerichtshof sei von dem Be-
schluss des Senats vom 15. März 2000 - BVerwG 4 B 18.00 - (BRS 63 Nr. 41)
abgewichen. Sie legt eine Divergenz im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO
jedoch nicht in der erforderlichen Weise dar. Es fehlt die Bezeichnung eines
abstrakten entscheidungstragenden Rechtssatzes, mit dem die Vorinstanz ei-
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nem ebensolchen Rechtssatz des Bundesverwaltungsgerichts widersprochen
hat (Beschluss vom 19. August 1997 a.a.O.). Die Beschwerde macht lediglich
geltend, der Verwaltungsgerichtshof habe die vom Bundesverwaltungsgericht
aufgestellten Grundsätze zur Beantwortung der Frage, ob eine Planänderung
die Grundzüge der Planung berührt, falsch angewandt. Eine solche Kritik an der
Rechtsanwendung im Einzelfall kann weder einer Divergenz- noch einer
Grundsatzrüge zum Erfolg verhelfen. Im Übrigen verkennt die Beschwerde,
dass es im Beschluss vom 15. März 2000 nicht - wie hier - um eine Abweichung
von Festsetzungen zur überbaubaren Grundstücksfläche im Wege der Be-
freiung, sondern um eine planerische Änderung der festgesetzten Art der bauli-
chen Nutzung ging.
4. Die Beschwerde meint, die Ausführungen des Verwaltungsgerichtshofs zur
Relevanz der Überschreitung der Baugrenzen für die planerischen Grundüber-
legungen der Beigeladenen seien „einfach falsch“. Die Revision kann jedoch
nur aus den in § 132 Abs. 2 VwGO genannten Gründen zugelassen werden.
Einen solchen legt die Beschwerde nicht dar. Ein Verstoß gegen die Denkge-
setze und damit ein Verfahrensmangel läge nur vor, wenn der Verwaltungsge-
richtshof einen aus Gründen der Logik schlechthin unmöglichen Schluss gezo-
gen hätte. Das ist nicht der Fall.
5. Auch die abschließende Kritik der Beschwerde an der Sachverhaltswürdi-
gung und der Bestimmung der Grundzüge der hier in Rede stehenden Bauleit-
planung durch den Verwaltungsgerichtshof ist nicht geeignet, einen Grund für
die Zulassung der Revision darzulegen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO, die
Streitwertfestsetzung auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.
Prof. Dr. Rubel
Dr. Philipp
Dr. Bumke
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