Urteil des BVerwG vom 29.01.2004

Spielplatz, Grundstück, Rüge, Zusage

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 4 B 107.03
OVG 10 A 2630/00
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 29. Januar 2004
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. P a e t o w
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. R o j a h n und G a t z
beschlossen:
Die Beschwerde der Kläger gegen die Nichtzulassung der Re-
vision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land
Nordrhein-Westfalen vom 11. September 2003 wird zurückge-
wiesen.
Die Kläger tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens als
Gesamtschuldner.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdever-
fahren auf 5 000 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die auf § 132 Abs. 2 Nr. 1 und 3 VwGO gestützte Beschwerde bleibt erfolglos. Das
Beschwerdevorbringen rechtfertigt die Zulassung der Revision nicht.
1. Die erhobenen Verfahrensrügen greifen nicht durch.
1.1 Die Kläger rügen, das Berufungsgericht habe nicht den durch die Klageanträge
konkretisierten Streitgegenstand, sondern seinen eigenen Vergleichsvorschlag beur-
teilt. Der Klageantrag beziehe sich auf eine konkrete Baugenehmigung und die Ent-
fernung konkret platzierter Spielgeräte (Kletterturm mit Röhrenrutsche) und nicht auf
eine - zudem unsichere - neue Standortplanung der Beklagten für diese Spielgeräte
auf dem Spielplatz.
Diese Rüge ist unbegründet. Zwar ist ein Urteil, das einen Teil des Streitgegenstan-
des unbeschieden lässt, fehlerhaft. Es verstößt gegen § 88 VwGO. Danach darf das
Gericht einerseits über das Klagebegehren nicht hinausgehen und muss dieses an-
dererseits erschöpfen (vgl. auch BVerwG, Urteil vom 22. März 1994 - BVerwG 9 C
529.93 - BVerwGE 95, 269 <273>). Gebunden ist das Gericht nur an das erkennbare
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Klageziel, so wie sich dieses ihm im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung
aufgrund des gesamten Parteivorbringens darstellt (vgl. BVerwG, Urteil vom 22. Mai
1980 - BVerwG 2 C 30.78 - BVerwGE 60, 144 <149 f.>). Gemessen an diesen
Grundsätzen liegt der geltend gemachte Verfahrensfehler nicht vor.
Die Kläger haben im Berufungsverfahren ihren Schlussantrag erster Instanz auf-
rechterhalten, die der Beklagten zu 2 erteilte Baugenehmigung des Beklagten zu 1
zur Errichtung eines Spielplatzes auf dem näher bezeichneten Grundstück in
Wuppertal (nebst Widerspruchsbescheid) aufzuheben und die Beklagte zu 2 zu ver-
urteilen, den auf diesem Grundstück errichteten Kletterturm mit Röhrenrutsche und
den Streetball-Ständer zu beseitigen. Das Oberverwaltungsgericht hat die Berufung
der Beklagten zu 2 zugelassen und festgestellt, dass Streitgegenstand der zugelas-
senen Berufung die der Beklagten zu 2 mit der erstinstanzlichen Entscheidung auf-
gegebene dauerhafte Entfernung des ursprünglich auf dem Spielplatzgrundstück
errichteten Kletterturms und der damit verbundenen Röhrenrutsche ist. Der von den
Klägern mit ihrer Anschlussberufung gestellte Antrag ist nach Ansicht des Beru-
fungsgerichts, soweit er die Aufhebung der für den Spielplatz erteilten Baugenehmi-
gung und die Beseitigung des Streetball-Ständers zielt, unzulässig, weil insoweit die
Voraussetzungen einer Anschlussberufung nicht erfüllt sind. Dass diese Rechtsauf-
fassung auf einem Verfahrensfehler beruht, zeigt die Beschwerde auch nicht an-
satzweise auf.
Streitgegenstand des Berufungsverfahrens ist die vom Verwaltungsgericht
Düsseldorf in seinem Urteil vom 31. März 2000 ausgesprochene Verpflichtung der
Beklagten zu 2, den auf dem Spielplatzgrundstück erbauten Kletterturm mit Röhren-
rutsche zu beseitigen. Das Berufungsgericht sieht darin die Verpflichtung der Beklag-
ten zu 2, die bezeichneten Spielgeräte zu entfernen und (auf diesem Spielplatz-
grundstück) nicht wieder aufzustellen. Dieses Beseitigungs- und Unterlassungsbe-
gehren entspricht dem Berufungsvorbringen der Kläger, die insbesondere in ihrer
Reaktion auf den gerichtlichen Vergleichsvorschlag in ihrem Schriftsatz vom 27. März
2003 eindeutig zum Ausdruck bringen, dass sie sich gegen die Errichtung dieser
Spielgeräte auf dem Spielplatz als solchen, also ohne Beschränkung auf einen
bestimmten Standort (etwa in der Nähe ihres Wohnhauses) zur Wehr setzen.
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Über die streitgegenständliche Verpflichtung der Beklagten zu 2, Kletterturm mit
Röhrenrutsche zu entfernen und nicht wieder aufzustellen, hat das Berufungsgericht
entschieden. Einen entsprechenden Beseitigungs- und Unterlassungsanspruch der
Kläger hat es verneint, weil diese Spielgeräte den einschlägigen materiellen Vor-
schriften entsprächen. Bei diesem rechtlichen Ausgangspunkt konnte das Beru-
fungsgericht die Frage, ob die seiner Ansicht nach von der Baugenehmigung für den
Spielplatz nicht erfassten Geräte (Kletterturm mit Röhrenrutsche) genehmigungsbe-
dürftig waren, offen lassen.
Bei der Entscheidung über den Beseitigungs- und Unterlassungsanspruch der Kläger
ist das Berufungsgericht von der Wirksamkeit der von den Klägern bei einer Baulast-
übernahme im Mai 1988 eingegangenen Verpflichtung ausgegangen, auf Ansprüche
aus einer möglichen Lärmbeeinträchtigung durch den auf dem benachbarten Grund-
stück vorgesehenen städtischen Spielplatz zu verzichten. Ungeachtet dieses Ver-
zichts prüft die Vorinstanz jedoch, ob die von den Klägern geltend gemachten Lärm-
immissionen die Schwelle einer möglichen Gesundheitsbeeinträchtigung erreichen.
Das Berufungsgericht prüft diese Frage unabhängig von einem konkreten Standort
des Kletterturms mit Röhrenrutsche auf dem Spielplatz und kommt zu dem Ergebnis,
dass die Schwelle einer möglichen Gesundheitsbeeinträchtigung angesichts der ört-
lichen Verhältnisse nicht überschritten werde. Standortbezogen argumentiert das
Berufungsgericht hingegen, soweit es prüft, ob die Beklagte zu 2 es im Hinblick auf
die konkrete Ausgestaltung oder das Material des Kletterturms und der Röhrenrut-
sche unterlassen habe, vermeidbare Beeinträchtigungen für die Nachbarschaft aus-
zuschließen. In diesem Zusammenhang berücksichtigt die Vorinstanz die im Beru-
fungsverfahren abgegebene Zusicherung der Beklagten vom 1. April 2003, der es die
Zusage entnimmt, im Falle eines Obsiegens in diesem Verwaltungsrechtsstreit die
streitbefangenen Spielgeräte an einen Standort (wieder) aufzustellen, "der möglichst
weit vom Grundstück der Kläger - insbesondere vom dortigen hinteren Ruhe- und
Terrassenbereich - entfernt ist" (Urteilsabschrift S. 14). In den Urteilsgründen heißt
es hierzu ferner, angesichts des nunmehr vorgesehenen Standortes hätten die
Kläger nicht zu befürchten, von der obersten Plattform des Kletterturms aus neugie-
rigen Blicken oder gar Steinwürfen ausgesetzt zu sein.
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Vor diesem Hintergrund greift die von den Klägern mit der Beschwerde (sinngemäß)
erhobene Rüge, das Berufungsgericht habe sich nicht mit dem Anspruch der Kläger,
von einem Wiederaufbau der streitbefangenen Spielgeräte am bisherigen Standort in
der Nähe ihres Wohnhauses verschont zu bleiben, auseinander gesetzt, nicht durch.
Nach Auffassung des beschließenden Senats lassen sich die Urteilsgründe (Urteils-
abschrift S. 14, unterer Absatz) dahin verstehen, dass die Beklagte zu 2 nach der
Rechtsauffassung des Berufungsgerichts ihre Verpflichtung, vermeidbare Beein-
trächtigungen der Nachbarschaft auszuschließen, verletzen würde, wenn die streit-
befangenen Spielgeräte nach Abschluss dieses Rechtsstreits wieder am bisherigen
Standort in der Nähe des Grundstücks der Kläger aufgestellt würden. Im Übrigen war
ein Eingehen auf den bisherigen Standort der umstrittenen Spielgeräte aufgrund der
Prozesserklärung der Beklagten zu 2 vom 1. April 2003 nicht veranlasst. Mit der
Konkretisierung des künftigen, vom Wohnhaus der Kläger möglichst weit entfernten
Standorts ist die Beklagte dem Begehren der Kläger teilweise entgegengekommen.
Aufgrund der rechtlichen Bindungswirkung, die das Berufungsgericht der Zusiche-
rung der Beklagten zu 2 beigelegt hat, sind die Kläger, soweit sie sich gegen die
Platzierung der Spielgeräte am bisherigen Standort zur Wehr setzen, klaglos gestellt
worden. Die von den Klägern vermisste Aufklärung der Frage, ob am bisherigen
Standort der streitbefangenen Spielgeräte die gesetzlichen Abstandsflächen einge-
halten sind, erübrigte sich daher.
1.2 Die von den Klägern erhobene Aufklärungsrüge (§ 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO) hin-
sichtlich der vom Kletterturm mit Röhrenrutsche ausgehenden Lärmbeeinträchtigun-
gen erfüllt die Darlegungsanforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO nicht. Nach
ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts verletzt ein Gericht seine
Pflicht zur erschöpfenden Sachverhaltsaufklärung grundsätzlich dann nicht, wenn es
von einer sich nicht aufdrängenden Beweiserhebung absieht, die eine anwaltlich ver-
tretene Partei nicht ausdrücklich beantragt hat (BVerwG, Beschluss vom 5. August
1997 - BVerwG 1 B 144.97 - NVwZ-RR 1998, 784; Beschluss vom 11. August 1999
- BVerwG 11 B 61.98 - Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 1 VwGO Nr. 19). Die ord-
nungsgemäße Rüge der Verletzung der Aufklärungspflicht setzt voraus, dass unter
Auseinandersetzung mit dem Prozessgeschehen und der Begründung der beru-
fungsgerichtlichen Entscheidung schlüssig aufgezeigt wird, dass sich dem Beru-
fungsgericht auch ohne ausdrücklichen Beweisantrag eine weitere Sachverhaltser-
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mittlung aufdrängen musste (BVerwG, Beschluss vom 19. August 1997 - BVerwG
7 B 261.97 - NJW 1997, 3328). Daran lässt es die Beschwerde fehlen. Sie zeigt ins-
besondere nicht auf, dass das Berufungsgericht ausgehend von seiner Rechtsauf-
fassung, entscheidungserheblich sei (nur) die bestimmungsgemäße Benutzung der
Spielgeräte, eine missbräuchliche Nutzung der Röhrenrutsche regelmäßig und über
längere Zeit anhaltend sei unwahrscheinlich, Anlass für eine weitere Sachver-
haltsaufklärung in der von der Beschwerde bezeichneten Richtung hätte sehen müs-
sen. Allein der Umstand, dass das Verwaltungsgericht zu einer anderen Einschät-
zung der Lärmimmissionen gelangt ist, zeigt die Notwendigkeit einer Beweisaufnah-
me in der Berufungsinstanz nicht auf. Ob sich dem Berufungsgericht weitere Tatsa-
chenermittlungen hätten aufdrängen müssen, beurteilt sich nach seiner Rechtsauf-
fassung über die Entscheidungserheblichkeit geltend gemachter Tatsachen.
1.3 Die Rüge der Beschwerde, das Berufungsgericht habe ein Überraschungsurteil
erlassen und dabei den Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103
Abs. 1 GG) sowie die Hinweispflicht des § 86 Abs. 3 VwGO verletzt, greift ebenfalls
nicht durch. Das Berufungsgericht war nicht gehalten, den Klägern vor Erlass des
Urteils seine Einschätzung der durch den Kletterturm und die Röhrenrutsche verur-
sachten Lärmimmissionen sowie der pädagogischen und sportmedizinischen Eig-
nung dieser Spielgeräte für Kleinkinder und jüngere Schulkinder mitzuteilen. Ein
Überraschungsurteil liegt vor, wenn das Gericht einen bis dahin nicht erörterten
rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt zur Grundlage seiner Entscheidung
macht und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gibt, mit der die Beteiligten nach
dem bisherigen Verlauf des Verfahrens nicht zu rechnen brauchten (BVerwG, Be-
schluss vom 11. August 1999 - BVerwG 11 B 61.98 - Buchholz 310 § 132 Abs. 2
Ziff. 1 VwGO Nr. 19). Eine derartige Fallkonstellation zeigt die Beschwerde nicht auf.
Die ordnungsgemäße Ausstattung des Spielplatzes mit altersgerechten Spielgeräten
und die mit ihrer bestimmungsgemäßen Nutzung verbundenen Lärmimmissionen
standen offensichtlich und für alle Beteiligten erkennbar im Mittelpunkt des Prozess-
geschehens, insbesondere auch der vom Berichterstatter des Berufungsgerichts
durchgeführten Beweisaufnahme an Ort und Stelle. Anhaltspunkte dafür, dass das
Berufungsgericht ohne vorherigen Hinweis auf einen rechtlichen Gesichtspunkt ab-
gestellt hat, mit dem auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter selbst
unter Berücksichtigung der Vielfalt vertretbarer Rechtsauffassungen nicht zu rechnen
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brauchte (vgl. BVerwG, Beschluss vom 12. Februar 1999 - BVerwG 3 B 169.98 -
SächsVBl 1999, 184), sind dem Beschwerdevorbringen nicht zu entnehmen.
2. Die Rechtssache besitzt nicht die grundsätzliche Bedeutung, die ihr die Kläger bei-
messen.
Die Frage, "wie sich ein Hinweis/Zusage einer Prozesspartei (Behörde) auf angebli-
ches zukünftiges Verhalten (Planung) auf den Streitgegenstand auswirkt und abwei-
chend vom tatsächlich gegebenen Sachverhalt zum Gegenstand der Urteilsfindung
gemacht werden darf", könnte in einem Revisionsverfahren nicht in verallgemeine-
rungsfähiger Weise für eine Vielzahl von Fällen geklärt werden. Die Fragestellung ist
ersichtlich auf die besonderen Umstände des vorliegenden Streitfalls zugeschnitten
und kann auch nur vor dem Hintergrund der konkreten Umstände des Einzelfalls be-
antwortet werden. Die Antwort auf die aufgeworfene Frage hängt insbesondere von
dem jeweiligen Inhalt der von einem Prozessbeteiligten abgegebenen Erklärung und
von den jeweiligen prozessualen Begleitumständen ab.
Die Beschwerde wirft ferner die Fragen auf, ob und inwieweit die Spielgeräte als
bauliche Anlagen "der zweckentsprechenden Einrichtung" eines Spielplatzes ent-
sprechen und damit gemäß § 65 Abs. 1 Ziff. 29 der Landesbauordnung baugeneh-
migungsfrei sind und nach welchen Kriterien und durch wen die "zweckentsprechen-
de Einrichtung" von Kinderspielplätzen, insbesondere ihre pädagogische und sport-
medizinische Eignung für bestimmte Altergruppen (Kleinkinder, jüngere Schulkinder)
zu beurteilen ist. Diese Frage betrifft die Auslegung und Anwendung irrevisiblen
Landesrechts und könnte schon deshalb nicht der Klärung in einem Revisionsverfah-
ren zugeführt werden (vgl. § 132 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. § 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO).
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 und § 159 Satz 2 VwGO, die
Streitwertfestsetzung auf § 14 Abs. 1 und 3, § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG.
Dr. Paetow Prof. Dr. Rojahn Gatz