Urteil des BVerwG vom 24.02.2004

Rechtliches Gehör, Landschaft, Meldung, Umweltverträglichkeitsprüfung

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 4 B 101.03
8 A 01.40083
8 A 01.40085
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 24. Februar 2004
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. P a e t o w
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht H a l a m a und G a t z
beschlossen:
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Die Beschwerde der Kläger gegen die Nichtzulassung der Re-
vision in dem Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs
vom 22. Juli 2003 wird zurückgewiesen.
Die Kläger tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens im
Verhältnis der auf sie entfallenden Streitwertanteile.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdever-
fahren auf 50 000 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die in den Schriftsätzen vom 3. und vom 5. November 2003 auf sämtliche Zulas-
sungsgründe des § 132 Abs. 2 VwGO gestützte Beschwerde ist unbegründet.
1. Die Rechtssache hat nicht die grundsätzliche Bedeutung, die ihr die Kläger beile-
gen.
a) Die Frage, ob "eine maßgebliche Änderung eines Vorhabens in rechtlicher Hin-
sicht gegeben (ist), wenn bei der Planrechtfertigung und -Abwägung der planungs-
rechtlichen Entscheidung vorrangig die Verkehrswirksamkeit des planfestgestellten
Abschnittes berücksichtigt wird und nicht die beabsichtigte Verkehrswirksamkeit des
geplanten Gesamtvorhabens", rechtfertigt nicht die Zulassung der Revision auf der
Grundlage des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Sie lässt sich anhand der Rechtsprechung
des Bundesverwaltungsgerichts unschwer beantworten, ohne dass es eigens der
Durchführung eines Revisionsverfahrens bedarf. Nach Ansicht des Erstgerichts erüb-
rigte sich ein neues Planfeststellungsverfahren, weil das Vorhaben, das den Ge-
genstand des zweiten Ergänzungsbeschlusses vom 1. August 2001 bildet, im Hin-
blick auf Abschnittsbildung, Linienführung und Ausbaustandard die gleichen Merk-
male aufweist wie das am 1. August 1994 planfestgestellte Vorhaben. Diese Sicht-
weise entspricht der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts. Danach kann
von einem neuen Vorhaben keine Rede sein, wenn das Konzept, das der Planungs-
entscheidung zugrunde liegt, nicht berührt wird bzw. trotz etwaiger Änderungen die
Identität des Vorhabens gewahrt bleibt (vgl. BVerwG, Urteile vom 27. März 1992
- BVerwG 7 C 18.91 - BVerwGE 90, 96, vom 21. März 1996 - BVerwG 4 C 19.95 -
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BVerwGE 100, 370 und vom 27. Oktober 2000 - BVerwG 4 A 18.99 - BVerwGE 112,
140). Den Bezugspunkt bildet das konkrete Projekt, für das im Sinne des § 73 Abs. 1
VwVfG das Planfeststellungsverfahren eingeleitet worden ist, auch wenn es sich
hierbei lediglich um einen Teilschritt im Zuge der Verwirklichung eines umfassende-
ren Gesamtprojekts handelt (vgl. BVerwG, Urteil vom 10. April 1997 - BVerwG 4 C
5.96 - BVerwGE 104, 236). Eine veränderte Beurteilung der Planrechtfertigung oder
der Verkehrswirksamkeit mag für die Frage der Rechtmäßigkeit der Planung von Be-
deutung sein. Zur Klärung des Vorhabensbegriffs trägt sie nichts bei.
b) Auch die Frage, "inwieweit sich der Entwurf des neuen Bundesverkehrswegepla-
nes auf die Beurteilung eines Gesamtvorhabens aus(wirkt), wenn insoweit zahlreiche
Einschränkungen im Hinblick auf die zukünftige Planrechtfertigung für ein Gesamt-
vorhaben gegeben sind", verleiht der Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung.
Sie lässt sich anhand der einschlägigen gesetzlichen Vorschriften unter Berücksich-
tigung der zu diesen Regelungen ergangenen Rechtsprechung des Senats ohne
weiteres außerhalb eines Revisionsverfahrens beantworten. Nach § 1 Abs. 2 Satz 1
des Fernstraßenausbaugesetzes - FStrAbG - in der Fassung vom 15. November
1993 (BGBl I S. 1878) entsprechen die in den Bedarfsplan aufgenommenen Bau-
und Ausbauvorhaben den Zielsetzungen des § 1 Abs. 1 FStrG. Nach § 1 Abs. 2
Satz 2 FStrAbG ist die Feststellung des Bedarfs für die Linienbestimmung nach § 16
FStrG und für die Planfeststellung nach § 17 FStrG verbindlich. Diese Bindung gilt
auch für das gerichtliche Verfahren (vgl. BVerwG, Urteile vom 8. Juni 1995 - BVerwG
4 C 4.94 - BVerwGE 98, 339, vom 25. Januar 1996 - BVerwG 4 C 5.95 - BVerwGE
100, 238 und vom 19. Mai 1998 - BVerwG 4 C 11.96 - Buchholz 407.4 § 17 FStrG
Nr. 138). Sie entfällt nicht automatisch, wenn nachträglich Umstände eintreten, die zu
einer Neubewertung Anlass geben können. Wie aus § 4 Satz 2 FStrAbG erhellt, ist
der Bedarfsplan vielmehr gegebenenfalls durch Gesetz entsprechend anzupassen.
Allenfalls dann, wenn sich die Verhältnisse im Nachhinein so grundlegend gewandelt
haben, dass die ursprüngliche Bedarfsentscheidung gänzlich unhaltbar geworden ist,
beansprucht die Bedarfsfeststellung keine Verbindlichkeit mehr (vgl. BVerwG, Urteile
vom 18. Juni 1997 - BVerwG 4 C 3.95 - Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr. 131 und vom
27. Oktober 2000 - BVerwG 4 A 18.99 - a.a.O.). Der Entwurf eines neuen
Bundesverkehrswegeplanes, der im Vergleich mit früheren Verkehrswegeplanungen
durch ein höheres Maß an planerischer Zurückhaltung gekennzeichnet ist, ist
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insoweit für sich genommen nicht geeignet, einen Geltungsverlust zu begründen. Der
Bundesverkehrswegeplan ist als ein Instrument verkehrsträgerübergreifender
Planung ein Investitionsrahmenplan. Als solcher ist er nicht dazu bestimmt und ge-
eignet, Auskunft über die Realisierbarkeit konkreter Infrastrukturmaßnahmen zu ge-
ben.
Auch wenn die Kläger, worauf einige ihrer Formulierungen hindeuten, mit ihrer Fra-
gestellung an den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Änderung des Fernstra-
ßenausbaugesetzes (BTDrucks 15/1657) anknüpfen sollten, zeigen sie keinen Klä-
rungsbedarf auf. In dem Bedarfsplanentwurf, der diesem Entwurf als Anlage beige-
fügt ist, ist die B 15 neu wie in dem derzeit maßgeblichen Bedarfsplan weiterhin als
eine Fernstraßenverbindung zwischen der A 93 im Norden und der A 8 im Süden
zeichnerisch dargestellt. Allerdings weisen einzelne Abschnitte "mit besonderem na-
turschutzfachlichen Planungsauftrag" bzw. "mit festgestelltem hohen ökologischen
Risiko" die Besonderheit auf, dass sie nach den Erläuterungen im Textteil erst mit
der Einstellung in den Straßenbauplan als Anlage zum Bundeshaushalt Vorhaben
des dringlichen oder des weiteren Bedarfs werden. Der Senat hätte indes keinen
Anlass, in dem von den Klägern erstrebten Revisionsverfahren der Frage nachzuge-
hen, welche rechtlichen Folgerungen sich für den Fall der Billigung durch den Ge-
setzgeber aus diesen Maßgaben für die Planrechtfertigung ergeben. Denn das Erst-
gericht stellt - zutreffend - fest, dass der Abschnitt, der den Gegenstand des anhän-
gigen Rechtsstreits bildet, in dem Planentwurf ebenso wie in dem Bedarfsplan, auf
dessen Grundlage der angefochtene Planfeststellungsbeschluss erlassen wurde, als
vordringlicher Bedarf gekennzeichnet ist. Wieso die Planrechtfertigung für ein Vor-
haben, für das gegenwärtig und voraussichtlich auch zukünftig ein vordringlicher Be-
darf besteht, zweifelhaft sein sollte, legen die Kläger nicht dar und ist auch sonst
nicht ersichtlich. Die durch den Bedarfsplan erzeugte Bindungswirkung wird, soweit
die Bedarfsfeststellung reicht, nicht deshalb in Frage gestellt, weil der Gesetzgeber
darauf hinweist, dass die Verwirklichung seiner Planungsvorstellungen außerhalb
des Planabschnitts im weiteren Streckenverlauf auf Schwierigkeiten stoßen kann.
c) Mit der Frage, ob "es zulässig (ist), dass die Planfeststellungsbehörde ihrerseits
ein Gesamtvorhaben hinsichtlich der Beurteilung der Verkehrswirksamkeit in Teilstü-
cke auftrennt und insoweit den Versuch einer 'eigenständigen Planrechtfertigung'
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unternimmt", zeigen die Kläger ebenfalls keinen Klärungsbedarf auf. Die gegenwärti-
ge und voraussichtlich auch die zukünftige Planrechtfertigung lässt sich nach den
vom Verwaltungsgerichtshof getroffenen und durch die Gesetzgebungsmaterialien
bestätigten Feststellungen daraus herleiten, dass das Vorhaben als vordringlicher
Bedarf Bestandteil des Bedarfsplans für die Bundesfernstraßen ist. Nicht weil die
Planfeststellungsbehörde den Versuch einer "eigenständigen Planrechtfertigung"
unternommen hat, sondern weil der Gesetzgeber dies in § 1 Abs. 2 FStrAbG so be-
stimmt, ist davon auszugehen, dass das Vorhaben den Zielsetzungen des § 1 Abs. 1
FStrG entspricht und zur Deckung eines vorhandenen Verkehrsbedarfs vernünfti-
gerweise geboten ist. In der Rechtsprechung des Senats ist geklärt, dass die Auf-
nahme in den Bedarfsplan auf den nachfolgenden Planungsstufen nicht von der
Verpflichtung entbindet, der Frage nachzugehen, ob das Vorhaben nach den zum
Abwägungsgebot entwickelten Grundsätzen zulassungsfähig ist. Die gesetzliche Be-
darfsfeststellung erzeugt Bindungswirkungen nur insoweit, als eine nachfolgende
Planfeststellung nicht mit der Begründung verweigert werden darf, es sei kein Ver-
kehrsbedarf vorhanden. Mit welchem Gewicht der vom Gesetzgeber festgestellte
Bedarf in der Konkurrenz mit anderen Interessenpositionen zu Buche schlägt, hängt
von der konkreten Planungssituation ab (vgl. BVerwG, Urteile vom 12. Dezember
1996 - BVerwG 4 C 29.94 - BVerwGE 102, 331 und vom 20. Mai 1999 - BVerwG 4 A
12.98 - Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr. 154). Unüberwindliche gegenläufige Belange
können dazu nötigen, von der Planung Abstand zu nehmen (vgl. BVerwG, Urteile
vom 8. Juni 1995 - BVerwG 4 C 4.94 - a.a.O., vom 25. Januar 1996 - BVerwG 4 C
5.95 - a.a.O. und vom 10. April 1997 - BVerwG 4 C 5.96 - a.a.O.). Ob eine im Be-
darfsplan vierstreifig konzipierte Bundesstraße Eingriffe in Natur und Landschaft oder
in sonstige Rechtsgüter rechtfertigt, hängt nicht zuletzt von ihrer Verkehrswirksamkeit
ab, die unterschiedlich zu beurteilen ist, je nachdem, welche Bedeutung ihr als
überregionaler oder bloß regionaler Verkehrsträger im Straßennetz der Bundes-
republik Deutschland zukommt. Das Erstgericht hat diese Zusammenhänge erkannt
und anhand der verschiedenen denkbaren Szenarien, die von einem Bau der B 15
neu bis zur A 92 über eine Verlängerung bis hin zur A 94 und eine Fortsetzung bis
zur A 8 reichen, im Einzelnen gewürdigt. Die Kläger legen nicht dar, in welcher Rich-
tung die höchstrichterliche Rechtsprechung in diesem Punkt der Präzisierung oder
der Fortentwicklung bedarf. Soweit sie darauf hinweisen, dass für die B 15 neu ein
Bedeutungsschwund von einer "magistralen Verbindung europäischen Standards" zu
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einer "bloßen Verbindung von Teilen der Oberpfalz mit Teilen Oberbayerns bzw.
Niederbayerns" zu verzeichnen sei, und nachdrücklich in Abrede stellen, dass "die
Gründe für eine Neuverbindung von der A 93 bei Regensburg bis zur A 92 bei
Landshut von solchem Gewicht seien, dass sie die dieser Planung - mit eigenständi-
ger Verkehrsfunktion - entgegenstehenden Belange, insbesondere von Natur und
Landschaft, zu überwinden vermögen", lassen sie es damit bewenden, der Würdi-
gung des Erstgerichts, die sie für unzutreffend halten, ihre eigene Einschätzung ent-
gegenzusetzen.
d) Auch mit der Frage, ob "es zulässig (ist), dass die Planfeststellungsbehörde im
Rahmen einer gesamtvorhabensbezogenen Vorausschau im Sinne eines 'Blickes
nach vorn' lediglich einen grobmaschigen Maßstab anlegen muss, der in Intensität
und Detailgenauigkeit hinter einer förmlichen Umweltverträglichkeitsprüfung zurück-
bleibt", zeigen die Kläger keinen Zulassungsgrund im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1
VwGO auf. In der Rechtsprechung des Senats ist geklärt, dass ein Gesamtprojekt in
Teilabschnitte aufgespalten werden darf. Die Teilplanung darf sich jedoch nicht so-
weit verselbstständigen, dass Probleme, die durch die Gesamtplanung ausgelöst
werden, unbewältigt bleiben (vgl. BVerwG, Urteil vom 26. Juni 1981 - BVerwG 4 C
5.78 - BVerwGE 62, 342; Beschluss vom 26. Juni 1992 - BVerwG 4 B 1. - 11.92 -
Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr. 89). Ihre Folgen für die weitere Planung dürfen nicht
gänzlich ausgeblendet werden. Das läuft aber nicht darauf hinaus, bereits im Rah-
men der Planfeststellung für einen einzelnen Abschnitt mit derselben Prüfungsinten-
sität, gar einer vorgezogenen förmlichen Umweltverträglichkeitsprüfung, der Frage
nach den Auswirkungen auf nachfolgende Planabschnitte oder womöglich auf das
Gesamtvorhaben nachzugehen. Andernfalls würden die Vorteile, die eine Ab-
schnittsbildung im Interesse nicht nur einer praktikablen und effektiv handhabbaren,
sondern auch einer leichter überschaubaren Planung rechtfertigen, wieder zunichte
gemacht. Ausreichend ist die Prognose, dass der Verwirklichung der weiteren Pla-
nungsschritte keine von vornherein unüberwindlichen rechtlichen oder tatsächlichen
Hindernisse entgegenstehen (vgl. BVerwG, Urteile vom 28. Februar 1996 - BVerwG
4 A 27.95 - Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr. 110, vom 10. April 1997 - BVerwG 4 C
5.96 - a.a.O. und vom 27. Oktober 2000 - BVerwG 4 A 18.99 - insoweit in BVerwGE
112, 140 nicht abgedruckt). Die Kläger zeigen nicht auf, welche zusätzlichen Er-
kenntnisse das von ihnen erstrebte Revisionsverfahren sollte erwarten lassen. Die
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Planfeststellungsbehörde ist im Rahmen einer "gesamtvorhabensbezogenen Vor-
ausschau" (Ergänzungsbeschluss vom 1. August 2001, S. 16 bis 19) der Frage
nachgegangen, ob die Planung im weiteren Fortgang insbesondere im Bereich der
Isarhangleite, der Großen Vils und der Moosmühlwiesen Gefahr läuft, auf unüber-
windbare Planungsbarrieren zu stoßen. Sie legt im Einzelnen die Gründe dar, die
nach ihrer Einschätzung die Annahme rechtfertigen, dass sich die Hindernisse, die
sich in diesen Landschaftsräumen abzeichnen, letztlich ausräumen lassen. Demge-
genüber stützen die Kläger sich auf den Bedarfsplanentwurf, dem sie entnehmen,
dass die Planung in einigen Folgeabschnitten mit einem "hohen ökologischen Risiko"
behaftet ist. Es liegt indes auf der Hand, dass der gesetzgeberische Auftrag, die
Umweltauswirkungen in den näher bezeichneten Streckenabschnitten sorgfältig zu
prüfen, nicht auf ein voraussichtlich negatives Ergebnis der Prüfung schließen lässt,
dem bereits im derzeitigen Planungsstadium im Wege eines "Blicks nach vorn"
Rechnung zu tragen ist.
e) Die Kläger halten folgende weitere Fragen für klärungsbedürftig:
"Ist die Nichtmeldung eines Gebiets als europäisches Vogelschutzgebiet bereits dann
unbedenklich, wenn der Beklagte es für zu unbedeutend für eine Meldung hält?
Wenn ja, gilt das auch dann, wenn anerkannte Naturschutzverbände, wie der Bund
Naturschutz in Bayern e.V. und der Landesbund für Vogelschutz, fachlich fundiert
anderer Auffassung sind?
Kann das Gericht im Falle einander widerstreitender Auffassungen aufgrund eigener
Sachkunde entscheiden, oder drängt sich die Einholung eines Sachverständigengut-
achtens auf?
Hat das Gericht im Falle widerstreitender Auffassungen zu überprüfen, ob staatli-
cherseits mindestens folgende Bewertungskriterien berücksichtigt worden sind: Sel-
tenheit, Empfindlichkeit und Gefährdung der betreffenden Vogelarten; Populations-
dichte und Artendiversität des fraglichen Gebiets; Entwicklungspotential und Netz-
verknüpfung (Kohärenz) des fraglichen Gebiets; Erhaltungsperspektiven der bedroh-
ten Arten; Stand der Netzbildung im betroffenen Bundesland?"
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Auch diese Fragen nötigen, soweit sie sich überhaupt losgelöst von den Besonder-
heiten des Einzelfalls in verallgemeinerungsfähiger Weise beantworten lassen, nicht
zur Zulassung der Revision. Nach welchen Kriterien Vogelschutzgebiete und
FFH-Gebiete auszuwählen sind, war verschiedentlich Gegenstand der höchstrichter-
lichen Rechtsprechung. Danach unterliegt die Identifizierung solcher Gebiete nur
einer eingeschränkten Kontrolle durch die Verwaltungsgerichte. Überprüfbar ist, ob
eine Ausweisung als Vogelschutzgebiet oder eine Meldung als FFH-Gebiet aus fach-
fremden, etwa wirtschaftlichen Erwägungen unterblieben ist. Ansonsten eröffnet so-
wohl die Vogelschutzrichtlinie als auch die FFH-Richtlinie den Mitgliedstaaten einen
fachlichen Beurteilungsspielraum in der Frage, welche Gebiete die europarechtlich
maßgeblichen Auswahlkriterien erfüllen. Nach Art. 4 Abs. 1 Satz 4 VRL erklären die
Mitgliedstaaten die für die Erhaltung der im Anhang I aufgezählten Vogelarten zah-
len- und flächenmäßig geeignetsten Gebiete zu Schutzgebieten. Unter Schutz zu
stellen sind nicht sämtliche Landschaftsräume, in denen vom Aussterben oder sonst
bedrohte Vogelarten vorkommen, sondern nur die Gebiete, die sich am ehesten zur
Arterhaltung eignen. Zu den Bewertungskriterien gehören neben Seltenheit, Emp-
findlichkeit und Gefährdung einer Vogelart u.a. die Populationsdichte und Artendi-
versität eines Gebiets, sein Entwicklungspotential und seine Netzverknüpfung sowie
die Erhaltungsperspektiven der bedrohten Art. Je mehr der im Anhang I genannten
Vogelarten in erheblicher Anzahl von Exemplaren vorkommen, desto höher ist der
Wert als Lebensraum einzuschätzen. Je bedrohter, seltener oder empfindlicher die
Arten sind, desto größere Bedeutung ist dem Gebiet beizumessen, das die für ihr
Leben und ihre Fortpflanzung ausschlaggebenden physikalischen und biologischen
Elemente aufweist. Nur Habitate, die unter Berücksichtigung dieser Maßstäbe für
sich betrachtet in signifikanter Weise zur Arterhaltung beitragen, gehören zum Kreis
der im Sinne des Art. 4 VRL geeignetsten Gebiete (vgl. BVerwG, Urteile vom
31. Januar 2002 - BVerwG 4 A 15.01 - Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr. 168, vom
14. November 2002 - BVerwG 4 A 15.02 - BVerwGE 117, 149 und vom 15. Januar
2004 - BVerwG 4 A 11.02 - zur Veröffentlichung vorgesehen). Ob ein Landschafts-
raum als FFH-Gebiet zu melden ist, ist nach Art. 4 Abs. 1 FFH-Richtlinie anhand der
im Anhang III Phase 1 genannten Kriterien zu ermitteln. Die Eignungsmerkmale sind
so formuliert, dass sie für unterschiedliche ökologisch-fachliche Bewertungen offen
sind. Weist ein Gebiet ein Ausstattungspotential auf, das es aus fachwissenschaftli-
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cher Sicht vertretbar erscheinen lässt, von einer Meldung abzusehen, so nimmt die
FFH-Richtlinie diese Entscheidung hin. Nur Landschaftsräume, die die von der Richt-
linie vorausgesetzte ökologische Qualität zweifelsfrei aufweisen, gehören zum Kreis
der potentiellen Schutzgebiete, die dem europarechtlichen Schutzregime unterliegen
(vgl. BVerwG, Urteile vom 31. Januar 2002 - BVerwG 4 A 15.01 - a.a.O., vom
17. Mai 2002 - BVerwG 4 A 28.01 - BVerwGE 116, 254 und vom 27. Februar 2003
- BVerwG 4 A 59.01 - Buchholz 406.400 § 61 BNatSchG 2002 Nr. 1). Im Lichte die-
ser Rechtsprechung versteht sich von selbst, dass sich der Tatrichter bei der Frage
der Vogelschutz- oder der FFH-Würdigkeit eines Gebiets gestützt auf fachliche Äu-
ßerungen über gegenteilige Wertungen, auch eines Naturschutzvereins, hinwegset-
zen darf.
2. Die Divergenzrüge ist unzulässig. Sie genügt nicht den Darlegungsanforderungen
des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO. Im Urteil vom 14. November 2002 - BVerwG 4 A
15.02 - (a.a.O.) hat der Senat den Rechtssatz aufgestellt, dass "die Planung eines
Straßenbauvorhabens in einem Gebiet, das maßgeblich aus wirtschafts- und ver-
kehrspolitischen Gründen nicht in die Landesliste für das Netz 'Natura 2000' aufge-
nommen wurde, rechtswidrig (ist), wenn nicht auszuschließen ist, dass das Gebiet
aus ornithologischer Sicht zu den geeignetsten Schutzgebieten in dem Bundesland
gehört". Aus dem Beschwerdevorbringen ergibt sich nicht, dass die Vorinstanz einen
Rechtssatz formuliert hat, der dieser Rechtsauffassung widerspricht. Das angefoch-
tene Urteil bietet keine Anhaltspunkte dafür, dass es der Beklagte aus wirtschafts-
oder verkehrspolitischen Gründen unterlassen hat, den Planungsraum als Vogel-
schutzgebiet auszuweisen. Das Erstgericht hebt vielmehr auf die "ornithologische
Wertigkeit" des Gebiets ab, die es nach "quantitativen und qualitativen Kriterien" be-
stimmt (UA S. 18). In Übereinstimmung mit der Senatsrechtsprechung weist es in
diesem Zusammenhang darauf hin, dass den Mitgliedstaaten bei der Identifizierung
europäischer Vogelschutzgebiete "ein naturschutzfachlicher Beurteilungsspielraum"
eröffnet ist, den es im konkreten Fall als gewahrt ansieht, weil "die Vorgehensweise
des Beklagten vertretbar" ist. Dass die Kläger diese Einschätzung aus den von ihnen
dargelegten Gründen nicht teilen, lässt sich nicht als Beleg für eine Abweichung im
Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO werten.
3. Auch die Verfahrensrügen greifen nicht durch.
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a) Das Erstgericht hat dadurch, dass es die Frage, ob der Planungsraum die Merk-
male eines faktischen Vogelschutzgebiets oder eines potentiellen FFH-Gebiets auf-
weist, trotz entsprechender Beweisanträge der Kläger nicht zum Gegenstand einer
Beweisaufnahme gemacht hat, weder gegen den Grundsatz verstoßen, den Sach-
verhalt in Anwendung des § 86 Abs. 1 VwGO zu erforschen, noch die Pflicht verletzt,
im Sinne des § 108 Abs. 2 VwGO rechtliches Gehör zu gewähren. Weitere Ermitt-
lungen, die gegebenenfalls eine Beweiserhebung mit einschließen, hat der Tatrichter
nur dann anzustellen, wenn es nach seiner materiellrechtlichen Auffassung um Tat-
sachen geht, auf die es für die Entscheidung ankommt. Auch unter dem Blickwinkel
der Gewährung rechtlichen Gehörs muss er einem Beweisantrag nur dann nachge-
hen, wenn ihm das materielle Recht hierzu Anlass bietet. Das Erstgericht leitet seine
Überzeugung, dass der für das Planvorhaben in Anspruch genommene Landschafts-
raum nicht die Qualität eines faktischen Vogelschutzgebiets hat, daraus ab, dass die
fraglichen Flächen in der IBA-Liste 2000 nicht aufgeführt sind und nach Auffassung
der vom Beklagten "eingeschalteten Sachverständigen" keiner der von den Klägern
bezeichneten Vogelarten als Schwerpunktgebiet dienen (UA S. 19/20). Nach der
Rechtsprechung des Senats stellt das IBA-Verzeichnis für die Gebietsauswahl ein
bedeutsames Erkenntnismittel dar, das bei der nach Art. 4 Abs. 1 Satz 4 VRL gebo-
tenen Eignungsbeurteilung als gewichtiges Indiz eine maßgebliche Rolle spielt (vgl.
BVerwG, Urteile vom 19. Mai 1998 - BVerwG 4 A 9.97 - BVerwGE 107, 1 vom
14. November 2002 - BVerwG 4 A 15.02 - a.a.O. und vom 22. Januar 2004
- BVerwG 4 A 32.02 - zur Veröffentlichung vorgesehen). Wird diese Indizwirkung
noch durch die Ergebnisse standortbezogener gutachtlicher Erhebungen verstärkt,
so rechtfertigt dies den Schluss, dass der fragliche Bereich nicht zu den zahlen- und
flächenmäßig geeignetsten Gebieten im Sinne des Art. 4 Abs. 1 Satz 4 VRL gehört,
auch wenn aufgrund der Äußerungen von Fachleuten eine gegenteilige Wertung
ebenfalls vertretbar erscheint. Eine abweichende Beurteilung brauchte sich dem
Erstgericht nicht deshalb aufzudrängen, weil die vom Beklagten eingeholten fachli-
chen Stellungnahmen nicht die Qualität von Sachverständigengutachten im Sinne
der §§ 402 ff. ZPO haben, sondern nach der Einschätzung der Kläger lediglich als
wenig substantiierter Parteivortrag einzustufen sind. Dem Tatrichter ist es nicht ver-
wehrt, sämtliches Material zu verwerten, das sich aus seiner Sicht als entschei-
dungsrelevant erweist, unabhängig davon, von welcher Seite es in das Verfahren
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eingeführt worden ist. Ob er eine ihm vorgelegte fachliche Stellungnahme als bloßen
"Interessenten"-Vortrag zur Kenntnis nimmt, ohne aus ihr irgendwelche Folgerungen
zu ziehen, oder ob er sie zur Grundlage seiner Urteilsfindung macht, hängt davon ab,
welche Aussagekraft er ihr beimisst. Je unzweifelhafter eine gutachtliche Äußerung
als Ausdruck der Sachkundigkeit, Unparteilichkeit und Objektivität zu qualifizieren ist,
desto unbedenklicher eignet sie sich als Entscheidungsstütze (vgl. BVerwG, Be-
schluss vom 23. Februar 1994 - BVerwG 4 B 35.94 - Buchholz 407.4 § 17 FStrG
Nr. 97). Die Kläger ziehen die Sachkunde und die Integrität der vom Beklagten ein-
geschalteten Sachverständigen nicht in Zweifel. Sie zeigen Gesichtspunkte auf, die
nach ihrer Einschätzung für die Richtigkeit ihrer eigenen Bewertung sprechen, ma-
chen aber selbst nicht geltend, dass jede andere Sichtweise fachlich unvertretbar ist.
Auch unter dem Aspekt der FFH-Eignung des Planungsraums hat das Erstgericht
seine im Rahmen der Ortsbesichtigung getroffenen eigenen Feststellungen nicht zum
Maßstab der fachlichen Beurteilung gemacht. Vielmehr hat es durch sie - ähnlich wie
im Zusammenhang mit der Vogelschutzproblematik - lediglich die Wertungen des
"vom Beklagten im Verfahren eingeschalteten Sachverständigen" bestätigt gefunden
(UA S. 20 bis 23). Es musste diese für seine Überzeugungsbildung maßgebliche
Grundlage nicht deshalb als erschüttert ansehen, weil sich die von den Klägern
vertretene Gegenauffassung fachlich ebenso gut vertreten lässt.
b) Der geltend gemachte Verstoß gegen § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO liegt ebenfalls
nicht vor. Die Kläger halten dem Erstgericht vor, sich unter Verkennung der tatsächli-
chen Gegebenheiten davon überzeugt zu haben, dass im Falle einer Fortsetzung der
B 15 neu in Richtung Süden im Bereich der Isarleite eine Trassenführung durch eine
rund 500 m breite Lücke zwischen zwei potentiellen FFH-Gebieten möglich sei. In
der Verletzung des in § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO normierten Grundsatzes der freien
Sachverhaltswürdigung kann zwar ausnahmsweise nicht bloß ein materiellrechtli-
cher, sondern auch ein verfahrensrechtlicher, einer Verfahrensrüge zugänglicher
Verstoß liegen, wenn sich ein Gericht seine Überzeugung anhand eines unrichtigen
oder unvollständigen Sachverhalts bildet. Für einen solchen Fall gibt das Beschwer-
devorbringen hier aber nichts her. Die Kläger stellen nicht in Abrede, dass sich das
Erstgericht im Wege einer Ortsbesichtigung einen Eindruck von den Örtlichkeiten
verschafft hat. Der Verwaltungsgerichtshof hält als Beweisergebnis fest, dass die
Isarleite zwischen den beiden FFH-Gebieten "einen deutlichen Einschnitt in Form
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eines Seitentals" aufweist (UA S. 15). Hieraus folgert er, dass "sowohl die Topografie
als auch die hier bereits vorhandenen Beeinträchtigungen der Landschaft" unabhän-
gig davon, ob sich die Isarleite nicht auch - etwa mit Hilfe eines Tunnels - an anderer
Stelle queren lässt, ohne dass ein FFH-Gebiet unmittelbar in Anspruch genommen
wird, "eine Trassenführung in diesem Bereich nahe(legen)". Die Kläger treten dieser
Würdigung mit dem Hinweis entgegen, dass sich in dem Taleinschnitt bereits die
Straße nach Hallwang befindet. Das Erstgericht hat dies nicht übersehen. Bei der Be-
schreibung der Örtlichkeiten erwähnt es nicht nur diese Straße, sondern auch die
Reste einer "Panzerstraße" und die Abstellfläche einer Baufirma (UA S. 15). Nach
seiner Wertung stehen diese Baulichkeiten indessen dem Bau der B 15 neu weder
als tatsächliches noch als rechtliches Hindernis im Wege. Die Kläger teilen diese
Einschätzung nicht. Dieser Dissens lässt sich aber nicht als Beleg dafür anführen,
dass die angefochtene Entscheidung auf einer unzutreffenden Tatsachengrundlage
beruht.
4. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 und § 159 Satz 1 VwGO
i.V.m. § 100 Abs. 1 ZPO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 14 Abs. 1 und 3 und
§ 13 Abs. 1 Satz 1 GKG. Von dem Gesamtstreitwert entfallen auf den Kläger zu 1
15 000 € und auf den Kläger zu 2 35 000 €.
Dr. Paetow
Halama
Gatz