Urteil des BVerwG vom 16.01.2012

Gesetzliche Frist, Kopie, Post, Versicherung

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 4 B 1.12
VGH 4 A 1053/11
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 16. Januar 2012
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Rubel
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Gatz und Petz
beschlossen:
Auf die Beschwerde des Beigeladenen wird der Beschluss
des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 12. Oktober
2011 aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Ent-
scheidung an den Hessischen Verwaltungsgerichtshof zu-
rückverwiesen.
Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Schlussent-
scheidung vorbehalten.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwer-
deverfahren auf 7 500 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die auf § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO gestützte Beschwerde ist mit dem Ergebnis
der Zurückverweisung (§ 133 Abs. 6 VwGO) begründet. Der angefochtene Be-
schluss leidet an einem Verfahrensfehler, weil der Verwaltungsgerichtshof die
Berufung des Beigeladenen nicht wegen Versäumung der Berufungsbegrün-
dungsfrist hätte verwerfen dürfen, sondern dem Antrag des Beigeladenen auf
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hätte stattgeben müssen.
Nach § 60 Abs. 1 VwGO ist jemandem, der ohne Verschulden verhindert war,
eine gesetzliche Frist einzuhalten, auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen
Stand zu gewähren. Unverschuldet ist die Verhinderung u.a. dann, wenn der
Absender ein Schriftstück so rechtzeitig absendet, dass bei der üblichen Post-
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laufzeit mit dem rechtzeitigen Eingang beim Empfänger gerechnet werden
kann.
Der Prozessbevollmächtigte des Beigeladenen hat vorgetragen, er habe am
Nachmittag des 13. Mai 2011 die Berufung begründet und den Schriftsatz noch
am selben Tag bei der Poststelle in der G. Straße in R. abgegeben. Da die Frist
für die Begründung der Berufung am 30. Mai 2011, einem Montag, ablief, war
bei dem behaupteten Geschehensablauf die Fristversäumnis unverschuldet.
Der Verwaltungsgerichtshof hat sich indessen nicht davon überzeugen lassen,
dass der Prozessbevollmächtigte des Beigeladenen am 13. Mai 2011 über-
haupt einen Schriftsatz mit einer Berufungsbegründung angefertigt hat. In den
eidesstattlichen Versicherungen des Bevollmächtigten und seiner Kanzleiange-
stellten Anja K. sei zwar von „dem oben genannten 13.05.2011“ die Rede, eine
entsprechende Erwähnung finde sich jedoch in keiner der beiden eidesstattli-
chen Versicherungen mit der Folge, dass ein eindeutiger Bezug zum vorliegen-
den Verfahren nicht erkennbar sei. Glaubhaft gemacht sei lediglich, dass der
Bevollmächtigte „insgesamt drei Schriftsätze“ gefertigt und zur Post gebracht
habe, nicht jedoch, dass sich darunter auch der Berufungsbegründungsschrift-
satz im vorliegenden Verfahren befunden habe. Hiergegen wendet sich die Be-
schwerde zu Recht.
Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichtshofs hat der Bevollmächtigte des
Beigeladenen glaubhaft gemacht, am Nachmittag des 13. Mai 2011 den Schrift-
satz mit der Berufungsbegründung angefertigt zu haben, den er dem Verwal-
tungsgerichtshof am 11. August 2011 in Kopie übersandt hat (GA Bl. 372 ff.).
Ausweislich seiner eidesstattlichen Versicherung vom 20. Juni 2011 (GA
Bl. 358 f.) lag der am 29. April 2011, einem Freitag, eingegangene Beschluss
mit der Akte am 13. Mai 2011 noch auf seinem Schreibtisch. Weiter heißt es in
der eidesstattlichen Versicherung: „Nach Abarbeitung der ‚aufgelaufenen Akten’
aus der 18. KW“ - die 18. Kalenderwoche war die erste Maiwoche, in der der
Bevollmächtigte jeweils ganztägig auf einer Seminarveranstaltung war (Anmer-
kung durch den Senat) - „habe ich zum Nachmittag des 13.05.2011 sowohl
zwei weitere fristgebundene Schriftsätze, einen an das Amtsgericht Rüdesheim
am Rhein sowie einen an das Landgericht Frankfurt am Main diktiert und ferti-
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gen lassen“. Dieser Satz ist erkennbar unvollständig. Sagen wollte der Bevoll-
mächtigte offensichtlich, dass er nach Abarbeitung der aufgelaufenen Akten aus
der 18. KW am „Nachmittag des 13.05.2011 sowohl
zwei weitere
fristgebundene Schriftsätze, einen an das Amtsgericht Rüdesheim am Rhein
sowie einen an das Landgericht Frankfurt am Main diktiert (habe) und (habe)
fertigen lassen“. Zweifel an der Glaubhaftigkeit dieses Vorbringens sind nicht
veranlasst. Der Bevollmächtigte hat, bekräftigt durch die Kanzleiangestellte K.
(GA Bl. 360 f.), eidesstattlich versichert, nach dem Diktat eines Schriftsatzes
per Spracherkennung, Herstellung desselben sowie Unterzeichnung vermerke
er auf einer aus der EDV ausgedruckten Fristenliste diese Tatsache durch sein
Namenskürzel. In den vorinstanzlichen Akten (Bl. 383, 384) befinden sich die
Kopien zweier Auszüge aus der Fristenliste, die Frau K. am 13. Mai 2011 um
15:33 Uhr und 15:35 Uhr erstellt hat. Sie weisen am Ende der jeweiligen Zeile
mit Angaben zum Berufungsverfahren des Beigeladenen das Namenszeichen
des Bevollmächtigten aus, im späteren Auszug handschriftlich ergänzt um das
Datum „13.5.“. Der Umstand, dass in den eidesstattlichen Versicherungen von
„dem oben genannten 13.05.2011“ die Rede ist, eine entsprechende Erwäh-
nung sich darin aber nicht findet, ist nicht geeignet, den schlüssig geschilderten
und belegten Geschehensablauf in Frage zu stellen. Die sprachliche Ungenau-
igkeit beruht ersichtlich darauf, dass der Bevollmächtigte Passagen aus der Be-
gründung des Wiedereinsetzungsantrags (GA Bl. 350 ff.) in die eidesstattlichen
Versicherungen übernommen („herüberkopiert“) hat und ihm entgangen ist,
dass der Abschnitt aus dem Wiedereinsetzungsantrag, in dem der 13. Mai 2011
erstmals genannt wird, nicht Bestandteil der eidesstattlichen Versicherungen
geworden ist und deshalb die Inbezugnahme dieses Datums ins Leere geht.
Der Bevollmächtigte des Beigeladenen hat auch glaubhaft gemacht, dass der
Schriftsatz mit der Berufungsbegründung einer der drei Schriftsätze war, die er
am Nachmittag des 13. Mai 2011 selbst zur Poststelle gebracht hat. Nach Er-
halt des unterschriebenen Schriftsatzes hat Frau K. ihn kuvertiert, frankiert und
in das Postausgangsfach der Kanzlei gelegt. Das belegt das Kürzel PF (für
postfertig) auf der für die Kanzleiakten bestimmten Kopie (GA Bl. 376). Zwar
fehlt die Datumsangabe unter dem Kürzel, es spricht aber alles dafür, dass
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Frau K. den Schriftsatz noch am 13. Mai 2011 versandfertig gemacht hat; denn
der Bevollmächtigte des Beigeladenen hat am Nachmittag des 13. Mai 2011
außer dem Schriftsatz mit der Berufungsbegründung und den zwei Schriftsät-
zen an das Amtsgericht Rüdesheim und das Landgericht Frankfurt am Main
keine weiteren Schriftsätze diktiert und fertigen lassen, und die übrige Aus-
gangspost war bereits von einer anderen Mitarbeiterin zum generellen Büro-
schluss um 14:00 Uhr mitgenommen worden (GA Bl. 359).
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.
Prof. Dr. Rubel
Dr. Gatz
Petz
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