Urteil des BVerwG vom 21.07.2010

Verantwortlichkeit, Ermessen, Beseitigungsverfügung, Verfahrensmangel

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 4 B 1.10
OVG 1 LB 33/08
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 21. Juli 2010
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Rubel,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Jannasch und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Bumke
beschlossen:
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung
der Revision in dem Urteil des Schleswig-Holsteinischen
Oberverwaltungsgerichts vom 24. September 2009 wird
zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens
mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beige-
ladenen, die diese selbst tragen.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwer-
deverfahren auf 15 000 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die geltend gemachten Zulassungsgründe rechtfertigen die Zulassung der Re-
vision nicht.
1. Grundsätzliche Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) misst die Beschwerde
folgender Frage bei:
Erwachsen aus den spezifischen Aufgaben des Zwangs-
verwalters gemäß § 152 ZVG Beschränkungen seiner ord-
nungsrechtlichen Verantwortlichkeit? Führen die bundes-
rechtlich festgelegten Beschränkungen der rechtlichen
Handlungsmöglichkeiten des Zwangsverwalters zu einer
ordnungsrechtlich zu beachtenden beschränkten Möglich-
keit seiner Inanspruchnahme? Kann er insbesondere statt
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des Eigentümers des von ihm zwangsverwalteten Grund-
stücks bzw. des Insolvenzverwalters über das Vermögen
dieses Eigentümers zum (Teil-)Abriss eines auf dem
Grundstück befindlichen Gebäudes verpflichtet werden?
Diese Frage ist nicht geeignet, das Revisionsverfahren zu eröffnen, weil ihr kei-
ne Entscheidungserheblichkeit zukommt. Die grundsätzliche ordnungsrechtliche
Verantwortlichkeit des Zwangsverwalters aufgrund seiner tatsächlichen
Sachherrschaft, von der die Vorinstanz ausgeht (vgl. hierzu auch BGH, Urteil
vom 18. Februar 2010 - III ZR 295/09 - NVwZ 2010, 789 Rn. 47), stellt auch die
Beschwerde nicht in Frage. Mit ihrer Grundsatzrüge, die sie auch mit einem
angeblichen Widerspruch zu Rechtssätzen des Bundesgerichtshof begründet,
thematisiert sie lediglich die Frage nach den Grenzen dieser Verantwortlichkeit,
insbesondere ob sie auch Substanzeingriffe wie einen Teilabriss einschließt,
der nach ihrer Ansicht die dem Zwangsverwalter durch § 152 Abs. 1 ZVG ein-
geräumten Befugnisse übersteigt. Diese Frage hat das Oberverwaltungsgericht
allerdings nicht abschließend entschieden. Es hat die Zulässigkeit der Inan-
spruchnahme des Zwangsverwalters vielmehr tragend darauf gestützt, dass
selbst das Fehlen einer solchen Befugnis zu Substanzeingriffen nicht zur
Rechtswidrigkeit der angefochtenen Beseitigungsverfügung, sondern nur zu
einem Vollzugshindernis führt, das durch den Erlass einer Duldungsverfügung
gegenüber dem oder den insoweit Mitberechtigten ausgeräumt werden kann.
Hiermit setzt sich die Beschwerde jedoch nicht auseinander.
2. Als Verfahrensmangel (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) macht die Beschwerde
einen Verstoß gegen den Überzeugungsgrundsatz (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO)
geltend. Das Oberverwaltungsgericht sei bei der Beurteilung der Frage, ob der
Beklagte die Adressatenauswahl auf hinreichende Ermessenserwägungen ge-
stützt habe, von einem falschen bzw. unvollständigen Sachverhalt ausgegan-
gen und habe wesentliches Vorbringen des Beklagten nicht berücksichtigt oder
unzutreffend unterstellt. Auch diese Rüge greift nicht durch.
Fehler in der Sachverhalts- und Beweiswürdigung, wie sie die Beschwerde gel-
tend macht, sind revisionsrechtlich regelmäßig nicht dem Verfahrensrecht, son-
dern dem sachlichen Recht zuzuordnen und können einen Verfahrensmangel
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grundsätzlich nicht begründen (stRspr; vgl. etwa Beschluss vom 19. Oktober
1999 - BVerwG 9 B 407.99 - Buchholz 310 § 108 Abs. 1 VwGO Nr. 11). Ein
Verstoß gegen den Überzeugungsgrundsatz setzt deswegen voraus, dass das
Gericht Umstände übergeht, deren Entscheidungserheblichkeit sich ihm hätten
aufdrängen müssen. Denn erst in diesem Fall fehlt es an einer tragfähigen
Grundlage für die innere Überzeugungsbildung des Gerichts sowie für die
Überprüfung seiner Entscheidung darauf, ob die Grenze einer objektiv willkür-
freien Würdigung überschritten ist (Urteil vom 5. Juli 1994 - BVerwG 9 C
158.94 - BVerwGE 96, 200 <208 f.> m.w.N.; Beschluss vom 18. Mai 1999
- BVerwG 7 B 11.99 - juris Rn. 4). Davon ist jedenfalls dann auszugehen, wenn
Feststellungen des Gerichts aktenwidrig sind oder gegen Denkgesetze versto-
ßen. Solche Mängel macht die Beschwerde der Sache nach geltend. Sie liegen
aber nicht vor.
Die Beschwerde meint, die Annahme des Oberverwaltungsgerichts, der Beklag-
te habe den Kläger ermessensfehlerfrei als Adressat der Beseitigungsverfü-
gung ausgewählt, beruhe auf aktenwidrigen Feststellungen, weil das Oberver-
waltungsgericht in seinem Berufungszulassungsbeschluss vom 6. November
2008 dargelegt habe, dass der Beklagte im Hinblick auf die fortbestehende Haf-
tung des Beigeladenen zu 3 als Eigentümer kein Ermessen ausgeübt und im
Übrigen zu Unrecht von der Haftung des Zwangsverwalters ausgegangen sei.
Das lässt aktenwidrige Feststellungen nicht erkennen (vgl. zu den Anforderun-
gen etwa Beschluss vom 19. November 1997 - BVerwG 4 B 182.97 - Buchholz
406.11 § 153 BauGB Nr. 1 m.w.N.). Bei den gegenübergestellten Ausführungen
des Oberverwaltungsgerichts handelt es sich zunächst um Rechtsauffassun-
gen. Soweit ihnen ein Tatsachenkern zukommt, beruht er im Berufungszulas-
sungsbeschluss jedenfalls auf vorläufigen Einschätzungen des Oberverwal-
tungsgerichts, deren Wahrheitsgehalt sich im Laufe des Berufungsverfahrens
erst erweisen muss und an die das Gericht deswegen nicht gebunden sein
kann.
Aktenwidrig ist die Annahme des Oberverwaltungsgerichts, der Beklagte sei
sich seines Ermessensspielraums hinsichtlich der Adressatenauswahl bewusst
gewesen, entgegen der Auffassung der Beschwerde auch nicht deswegen, weil
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der Vertreter des Beklagten in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwal-
tungsgericht nach dem Inhalt des Protokolls (GA Bl. 94) ausgesagt hat, „dass
seiner Auffassung nach allein der Kläger als Verfügungsadressat in Betracht
komme. Ein Ermessen in Bezug auf eine Adressatenauswahl gebe es insoweit
nicht.“ Einen „zweifelsfreien“ Widerspruch, der so offensichtlich ist, dass es ei-
ner weiteren Beweiserhebung zur Klärung des richtigen Sachverhalts nicht be-
darf, legt die Beschwerde damit nicht dar. Das Oberverwaltungsgericht hat
vielmehr nachvollziehbar und ohne weiteres vertretbar dargelegt, dass aus der
Aussage nicht auf einen Ermessensausfall geschlossen werde könne, weil der
Beklagtenvertreter den Bescheid in der mündlichen Verhandlung nicht begrün-
det, sondern verteidigt habe. Ein „zweifelsfreier“ Rückschluss auf einen Ermes-
sensausfall der Behörde zum maßgeblichen Zeitpunkt der letzten Behörden-
entscheidung lässt sich daraus jedenfalls nicht ziehen. Insofern greift auch der
Einwand der Beschwerde, die Annahme des Oberverwaltungsgerichts verstoße
gegen Denkgesetze, nicht durch. Die Kritik des Klägers erweist sich vielmehr
als bloßer Angriff gegen die Sachverhalts- und Beweiswürdigung der Vorin-
stanz, der eine Zulassung der Revision nicht begründen kann.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO, die
Streitwertfestsetzung auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.
Prof. Dr. Rubel
Dr. Jannasch
Dr. Bumke
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