Urteil des BVerwG vom 13.10.2011

Flughafen, Nacht, Anwohner, Zahl

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
BVerwG 4 A 4001.10
Verkündet
am 13. Oktober 2011
Ott
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 20. und 21. September 2011
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Rubel,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Jannasch,
die Richterinnen am Bundesverwaltungsgericht Dr. Philipp und Dr. Bumke und
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Petz
am 13. Oktober 2011 für Recht erkannt:
Soweit die Beteiligten den Rechtsstreit in der Hauptsache
für erledigt erklärt haben, wird das Verfahren eingestellt.
Im Übrigen werden die Klagen abgewiesen.
Von den Gerichtskosten und den außergerichtlichen Kos-
ten des Beklagten und der Beigeladenen tragen die Kläger
zu 8 und 9 als Gesamtschuldner 1/24, die Kläger zu 3, 6,
7, 10, 15, 16, 21, 24, 29, 30, 31 und 36 sowie - jeweils als
Gesamtschuldner - die Kläger zu 1 und 2, 4 und 5, 11 und
12, 13 und 14, 17 und 18, 19 und 20, 22 und 23, 25 und
26, 27 und 28, 32 und 33, 34 und 35 jeweils 1/30.
Der Beklagte und die Beigeladene tragen jeweils 23/240
der Gerichtskosten und 1/10 der außergerichtlichen Kos-
ten der Kläger zu 1 bis 7 und 10 bis 36.
Im Übrigen findet eine Kostenerstattung nicht statt.
G r ü n d e :
I
Die Kläger wenden sich gegen den vom Beklagten erlassenen Planergän-
zungsbeschluss „Lärmschutzkonzept BBI“ zum Vorhaben „Ausbau Verkehrs-
flughafen Berlin-Schönefeld“ vom 20. Oktober 2009. Sie sind überwiegend Ei-
gentümer von zu Wohnzwecken genutzten Grundstücken in der Umgebung des
Flughafens Berlin-Schönefeld; teilweise sind sie auch Erbbauberechtigte.
Der angegriffene Planergänzungsbeschluss (PEB) ergänzt den Planfeststel-
lungsbeschluss des Beklagten vom 13. August 2004 zum Ausbau des Ver-
kehrsflughafens Berlin-Schönefeld (PFB). Durch den Planfeststellungsbe-
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schluss wurde die Grundlage für den Ausbau des Flughafens zum alleinigen
internationalen Verkehrsflughafen für die Region Berlin-Brandenburg geschaf-
fen. A II 5.1.1 PFB regelte den Flugbetrieb während der Nacht (22:00 bis
6:00 Uhr). In dieser Zeit sollten grundsätzlich nur lärmarme Flugzeuge starten
und landen dürfen (5.1.1 Nr. 1). Ausbildungs- und Übungsflüge waren grund-
sätzlich nicht zulässig (5.1.1 Nr. 4). Abgesehen hiervon sollten Starts und Lan-
dungen während der gesamten Nacht zulässig sein.
Auf ausgewählte Musterklagen von Anwohnern und Gemeinden hat der Senat
den Beklagten durch Urteile vom 16. März 2006 - BVerwG 4 A 1001.04,
1073.04, 1075.04 und 1078.04 (BVerwG 4 A 1075.04 veröffentlicht in BVerwGE
125, 116) - verpflichtet, u.a. über eine weitergehende Einschränkung des
Nachtflugbetriebs in Teil A II 5.1.1 des Planfeststellungsbeschlusses vom
13. August 2004 in der Fassung vom 21. Februar 2006 unter Beachtung der
Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden. Soweit der Planfeststel-
lungsbeschluss den ausgesprochenen Verpflichtungen entgegenstand, hat er
ihn aufgehoben. Im Übrigen hat er die Musterklagen abgewiesen.
Um der Verpflichtung aus den Urteilen vom 16. März 2006 nachzukommen, hat
der Beklagte den Planergänzungsbeschluss vom 20. Oktober 2009 erlassen.
Durch diesen Beschluss hat A II 5.1.1 PFB folgende Fassung erhalten:
5.1.1 Flugbetriebliche Regelungen
Ab Inbetriebnahme der planfestgestellten neuen Südbahn unterliegt
der Flugbetrieb folgenden Regelungen:
1) In der Zeit zwischen 23:30 und 5:30 Uhr Ortszeit dürfen keine Luft-
fahrzeuge starten oder landen.
2) In der Zeit zwischen 22:00 und 6:00 Uhr Ortszeit dürfen strahlge-
triebene Flugzeuge mit einer maximal zulässigen Abflugmasse von
mehr als 20 000 kg auf dem Flughafen nur starten oder landen, wenn
sie nachweisen, dass ihre gemessenen Lärmzertifizierungswerte in
der Summe mindestens 10 EPNdB unter der Summe der für sie gel-
tenden Grenzwerte gemäß Band 1, Teil II, Kapitel 3 des Anhangs 16
zum Abkommen über die Internationale Zivilluftfahrt (ICAO-
Abkommen) liegen. …
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3) Von den unter Nr. 1) und 2) genannten Regelungen sind ausge-
nommen:
a)
Landungen von Luftfahrzeugen, wenn die Benutzung des
Flughafens als Not- oder Ausweichflughafen aus meteorologi-
schen, technischen oder sonstigen Sicherheitsgründen erfolgt,
b)
Starts und Landungen von Luftfahrzeugen, die sich im Einsatz
für den Katastrophenschutz oder für die medizinische Hilfeleis-
tung befinden oder die für Vermessungsflüge von Flugsiche-
rungsunternehmen bzw. in deren Auftrag eingesetzt werden,
c)
Starts und Landungen von Luftfahrzeugen, die bei Staatsbe-
suchen und für Regierungsflüge sowie Militär- und Polizeiflüge
eingesetzt werden.
4) Von den unter Nr. 1) genannten Regelungen sind ausgenommen:
a)
Starts und Landungen von Luftfahrzeugen im Luftpostverkehr
werktags in den fünf Nächten von Montag auf Dienstag bis
Freitag auf Samstag,
b)
verspätete Starts von Luftfahrzeugen im Interkontinental-Ver-
kehr zu Zielen außerhalb Europas sowie außerhalb der
nichteuropäischen Mittelmeer-Anrainerstaaten, deren planmä-
ßige Abflugzeit vor 23:30 Uhr Ortszeit liegt, bis 24:00 Uhr
Ortszeit,
c)
verspätete Landungen von Luftfahrzeugen, deren planmäßige
Ankunftszeit vor 23:30 Uhr Ortszeit liegt, bis 24:00 Uhr Orts-
zeit und verfrühte Landungen von Luftfahrzeugen, deren
planmäßige Ankunft nach 5:30 Uhr Ortszeit liegt, ab 5:00 Uhr
Ortszeit,
d)
Starts und Landungen von Luftfahrzeugen bei deren Bereit-
stellung und instandhaltungsbedingter Überführung als Leer-
flüge bis 24:00 Uhr Ortszeit und ab 5:00 Uhr Ortszeit.
5) In der Zeit zwischen 22:00 und 23:00 Uhr Ortszeit sind auch ver-
spätete Landungen von Flugzeugen mit Lärmzulassung nach
Band 1, Teil II, Kapitel 3 des Anhangs 16 zum ICAO-Abkommen im
gewerblichen Verkehr gestattet, wenn deren planmäßige Ankunfts-
zeit vor 22:00 Uhr Ortszeit liegt.
6) An- und Abflüge im Rahmen von Ausbildungs- und Übungsflügen
sind in der Zeit von 22:00 bis 6:00 Uhr Ortszeit sowie an Sonn- und
Feiertagen nicht zulässig. Nach vorheriger Zustimmung der örtlichen
Luftaufsicht können Ausbildungs- und Übungsflüge an Werktagen bis
23:00 Uhr Ortszeit durchgeführt werden, wenn sie nach luftverkehrs-
rechtlichen Vorschriften über den Erwerb, die Verlängerung oder Er-
neuerung einer Erlaubnis oder Berechtigung als Führer eines Luft-
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fahrzeugs zur Nachtzeit erforderlich sind und die Flüge nicht vor
22:00 Uhr Ortszeit beendet werden können. Als Feiertag im oben
genannten Sinne gilt jeder Feiertag, der in den Gesetzen über die
Sonn- und Feiertage der Länder Berlin oder Brandenburg genannt
ist.
7) (Triebwerksprobeläufe)
8) … (Schubumkehr)
9) Zum Schutz der Nachtruhe sind Starts und Landungen bei Flügen
nach Instrumentenflugregeln mit Ausnahme der in A II 5.1.1 Nr. 3)
genannten Flüge und der im Abschnitt A II 5.1.1 Nr. 4) a) genannten
Luftpostflüge wie folgt geregelt:
a)
Starts und Landungen sind zwischen 23:00 und 24:00 Uhr
sowie 5:00 und 6:00 Uhr bis zu einer jährlichen Nachtver-
kehrszahl von 12 852 für die Sommer- und Winterflugplanpe-
riode zulässig.
b)
Die Nachtverkehrszahl ist die Summe der Starts und Landun-
gen über alle Zeitscheiben, pro Zeitscheibe jeweils multipliziert
mit einem Nachtflugfaktor. Die maßgeblichen Nachtflugfakto-
ren und Zeitscheiben sind wie folgt definiert: Nachtflugfaktor 1
für 23:00 bis 23:30 Uhr Ortszeit, Nachtflugfaktor 2 für 23:30
bis 24:00 Uhr Ortszeit, Nachtflugfaktor 2 für 5:00 bis 5:30 Uhr
Ortszeit und Nachtflugfaktor 1 für 5:30 bis 6:00 Uhr Ortszeit.
c)
Für jede Flugplanperiode ist die geplante Nachtverkehrszahl
im Voraus zu ermitteln. Die geplante Nachtverkehrszahl darf in
der Sommerflugplanperiode maximal 71 % (9 125) der zuge-
lassenen jährlichen Nachtverkehrszahl betragen, in der Win-
terflugplanperiode 29 % (3 727). Drei Jahre nach Inbetrieb-
nahme der planfestgestellten Südbahn ergibt sich für die
kommenden Jahre die Aufteilung der jährlich zugelassenen
maximalen Nachtverkehrszahl (12 852) auf die Sommer- und
Winterflugplanperiode jeweils aus den Durchschnittswerten
der Aufteilung der tatsächlichen Nachtverkehrszahlen auf die
Sommer- und Winterflugplanperiode der sechs zurückliegen-
den Flugplanperioden.
d)
Zur Berücksichtigung von Verspätungen und Verfrühungen
sowie ungeplanter Flüge muss die geplante Nachtverkehrs-
zahl erstmalig vor Beginn der Flugplanperiode, in der die plan-
festgestellte Südbahn in Betrieb geht, mindestens um 36 %
unter der maximal zulässigen Nachtverkehrszahl der Flug-
planperiode liegen (Minderungsbetrag). Drei Jahre nach Inbe-
triebnahme der planfestgestellten Südbahn ergibt sich für die
kommenden Flugplanperioden der Minderungsbetrag jeweils
als Durchschnittswert der tatsächlichen Nachtverkehrszahlen
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aller Verspätungen und Verfrühungen sowie ungeplanter Flü-
ge in den letzten drei Jahren.
e)
Sofern nach Ablauf der jeweiligen Flugplanperiode festgestellt
wird, dass die maximal zulässige Nachtverkehrszahl aufgrund
der tatsächlich durchgeführten Starts und Landungen über-
schritten wurde, muss in der kommenden Flugplanperiode die
geplante Nachtverkehrszahl um den Minderungsbetrag und
zusätzlich um den Überschreitungsbetrag unter der maximal
zulässigen Nachtverkehrszahl liegen.
f)
Die geplante Nachtverkehrszahl und die tatsächliche Nacht-
verkehrszahl der letzten Flugplanperiode einschließlich einer
Flugbewegungsstatistik für die maßgeblichen Zeitscheiben
sind der Genehmigungsbehörde unverzüglich zu übermitteln,
die geplante Nachtverkehrszahl erstmalig vor Beginn der
Flugplanperiode, in der die planfestgestellte Südbahn in Be-
trieb geht. Der Aufbau und Inhalt der Flugbewegungsstatistik
sind mit der Genehmigungsbehörde abzustimmen.
10) … (Verteilung der Flüge auf die Start- und Landebahnen)
11) Die Genehmigungsbehörde kann in begründeten Einzelfällen
Abweichungen von den vorgenannten flugbetrieblichen Regelungen
zulassen.
Die Kläger, die bereits gegen den Planfeststellungsbeschluss vom 13. August
2004 geklagt hatten, haben - mit Ausnahme der Kläger zu 8 und 9 - im Anhö-
rungsverfahren rechtzeitig Einwendungen erhoben. Am 16. Februar 2010 ha-
ben sie die vorliegenden Klagen erhoben. Sie halten den Planergänzungsbe-
schluss aus mehreren Gründen für rechtswidrig:
In formeller Hinsicht sei zu beanstanden, dass sich die DB Netz AG und die DB
Station und Service AG, die gemeinsam mit der Beigeladenen am 17. Februar
2000 einen einheitlichen Planfeststellungsantrag gestellt hätten, am Planergän-
zungsverfahren nicht beteiligt hätten. Zudem hätten die zahlreichen Gutachten,
die erst nach Abschluss des Anhörungsverfahrens vorgelegt worden seien, eine
ergänzende Anhörung erforderlich gemacht. Der für den Erlass des Planergän-
zungsbeschlusses zuständige Beamte sei befangen gewesen.
Den Nachtflugbedarf stütze der Beklagte im Kern auf das von der Beigeladenen
vorgelegte Gutachten der A. GmbH (im Folgenden: A.) vom 9. Mai 2007 und
den in seinem eigenen Auftrag erstellten Abschlussbericht der I. GmbH (im Fol-
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genden: I.) vom Juni 2009. Beide Gutachten litten an Fehlern, die ihre Verwert-
barkeit ausschlössen. Die von I. vorgenommene Hochrechnung sei keine den
fachlichen Standards genügende Prognosetechnik für eine Verkehrsprognose;
das Rechenmodell sei eine „Black Box“.
Plausible Gründe für den Nachtflugbetrieb seien im Planergänzungsbeschluss
nicht dargelegt. Selbst wenn man derartige Gründe bejahe, seien sie nicht
- jedenfalls nicht für die Zeit zwischen 23:00 und 6:00 Uhr - geeignet, die
gegenläufigen Lärmschutzbelange der Anwohner zu überwinden. Es gehe aus-
schließlich um die kommerziellen Belange der Beigeladenen und der Flugge-
sellschaften. Für die luftverkehrliche „Erschließung“ der Region sei - wie der
Flughafen Tegel bestätige - ein Flugbetrieb zwischen 23:00 und 6:00 Uhr nicht
erforderlich. Das von der Beigeladenen vorgelegte Gutachten zu den regional-
wirtschaftlichen Effekten überzeichne die Auswirkungen von Betriebsbeschrän-
kungen während der Nacht.
Die der Ermittlung der Lärmbetroffenheiten zugrunde gelegten parallelen Ab-
flugstrecken seien aus Gründen der Flugsicherheit nicht vertretbar. Die gleich-
zeitige unabhängige Durchführung von IFR-Abflügen erfordere um mindestens
15° divergierende Abflugkurse. Der Planergänzungsbeschluss gehe - wie be-
reits der Planfeststellungsbeschluss - von im Wesentlichen unzutreffenden Be-
troffenheiten aus; insbesondere bleibe die Betroffenheit zehntausender zusätz-
licher Anwohner außer Betracht.
Die Abwägung weise ein erhebliches Ungleichgewicht zu Lasten der Belange
der Lärmbetroffenen auf. Die Kontingentierungsregel sei nicht geeignet, dieses
Defizit auszugleichen. Der Beklagte habe die Gewichtungsvorgaben des
Grundsatzes G 9 des Landesentwicklungsplans Flughafenstandortentwicklung
vom 30. Mai 2006 (LEP FS) und des § 19 Abs. 11 Satz 1 des Gemeinsamen
Landesentwicklungsprogramms der Länder Berlin und Brandenburg vom
1. November 2003 (LEPro) nicht berücksichtigt bzw. sie nicht mit dem ihnen
zukommenden Gewicht in die Abwägung eingestellt. Die Gewichtung der Lärm-
schutzbelange im Planergänzungsbeschluss sei auch nicht konsistent mit der
Gewichtung, die bei der Standortauswahl vorgenommen worden sei. Die Ge-
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sundheitsgefährdungen durch nächtlichen Fluglärm habe der Beklagte zu ge-
ring gewichtet. Neuere Erkenntnisse der Lärmwirkungsforschung habe er nicht
berücksichtigt, sondern sei einem fehlerhaften Gutachten von Herrn
Prof. Dr. Sch. gefolgt.
Die Kläger beantragen,
den Beklagten zu verpflichten, über eine weitergehende
Einschränkung des Nachtflugbetriebes in Teil A II
Ziff. 5.1.1 Abs. 1, Abs. 4, Abs. 6 und Abs. 9 des Planfest-
stellungsbeschlusses vom 13. August 2004 in der Fas-
sung des Planergänzungsbeschlusses vom 20. Oktober
2009 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts
erneut zu entscheiden,
hilfsweise
den Beklagten zu verpflichten,
über weitergehende Einschränkungen des Nachtflugbe-
triebes in der Zeit zwischen 23:00 und 6:00 Uhr Ortszeit in
Teil A II Ziff. 5.1.1 Abs. 1, Abs. 4, Abs. 6 und Abs. 9 des
Planfeststellungsbeschlusses vom 13. August 2004 in der
Fassung des Planergänzungsbeschlusses vom
20. Oktober 2009 unter Beachtung der Rechtsauffassung
des Gerichts erneut zu entscheiden,
und hinsichtlich des Haupt- und Hilfsantrags den Planfest-
stellungsbeschluss aufzuheben, soweit er diesen Ver-
pflichtungen entgegensteht.
Soweit die Klagen ursprünglich auch auf weitergehenden passiven Schallschutz
gerichtet waren, haben sie den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt er-
klärt.
Der Beklagte verteidigt den Planergänzungsbeschluss und beantragt,
die Klagen abzuweisen, soweit sie noch aufrechterhalten
sind.
Im Übrigen hat auch er den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt.
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Die Beigeladene beantragt,
die Klagen abzuweisen.
Für den Fall, dass es hierauf ankommt, stimmt sie den Erledigungserklärungen
zu.
II
Soweit die Beteiligten den Rechtsstreit in der Hauptsache übereinstimmend für
erledigt erklärt haben, ist das Verfahren entsprechend § 92 Abs. 3 Satz 1
VwGO einzustellen. Im Übrigen sind die Klagen mit Ausnahme der Klagen der
Kläger zu 8 und 9 zulässig, aber nicht begründet.
A. Zulässigkeit
Die Kläger zu 8 und 9 sind nicht im Sinne des § 42 Abs. 2 VwGO klagebefugt.
Sie können nicht geltend machen, durch den Planfeststellungsbeschluss in der
Fassung des Planergänzungsbeschlusses in eigenen Rechten verletzt zu sein.
Sie sind gemäß § 10 Abs. 4 Satz 1 LuftVG mit allen Einwendungen gegen den
Plan ausgeschlossen. Wird ein ergänzendes Verfahren durchgeführt, haben
sich die Einwendungen auf die Fragen zu beziehen, die sich im Ergänzungsver-
fahren stellen und geregelt werden sollen (Urteil vom 24. Juli 2008 - BVerwG
4 A 3001.07 - BVerwGE 131, 316 Rn. 37). Die Kläger zu 8 und 9 haben im
Planergänzungsverfahren, wie sie selbst einräumen, Einwendungen nicht erho-
ben, obwohl in der Bekanntmachung der Auslegung und der Einwendungsfrist
auf die Rechtsfolge der Präklusion hingewiesen wurde (Amtsblatt für Berlin
2007 S. 2713 ).
Die Kläger zu 8 und 9 meinen, sie hätten aufgrund der ausgelegten Unterlagen
ihre Betroffenheit nicht hinreichend erkennen können. Unterlagen zu den Aus-
wirkungen des Fluglärms und zu grundstücks- bzw. ortsteilbezogenen Dauer-
schallpegeln und Maximalpegelhäufigkeiten hätten nicht ausgelegen. Dem ist
nicht zu folgen. Ausgelegen haben u.a. die „Ermittlung der Fluglärmbelastung
auf Grundlage aktueller Prognosen zum Nachtflugverkehr“ der Beigeladenen
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vom 18. Juni 2007 und eine Karte im Maßstab 1 : 50 000 des Nachtschutzge-
biets nach der aktuellen, ebenfalls ausgelegten Bedarfsprognose der A. sowie
des Nachtschutzgebiets des Planfeststellungsbeschlusses vom 13. August
2004 (Beiakte 1). Auf der Basis dieser Unterlagen war es den Einwendern mög-
lich, ihre Lärmbetroffenheit zu erkennen; die Kenntnis der genauen, für ihr
Grundstück prognostizierten Lärmbelastung war hierfür nicht erforderlich.
B. Begründetheit
Die Klagen sind nicht begründet. Die flugbetrieblichen Regelungen in A II 5.1.1
Nr. 1, 4, 6 und 9 PFB i.d.F. des PEB leiden nicht an Fehlern, die zu einem An-
spruch der Kläger auf eine erneute Entscheidung führen.
I. Verfahren
Die von den Klägern geltend gemachten Fehler des Planergänzungsverfahrens
liegen nicht vor.
1. Nichtbeteiligung der Bahngesellschaften
Die Kläger halten den Planergänzungsbeschluss für rechtswidrig, weil sich von
den drei Trägern des Vorhabens - Beigeladene, DB Netz AG und DB Station
und Service AG - nur die Beigeladene am Planergänzungsverfahren beteiligt
habe. Sie meinen, der Planfeststellungsbeschluss in der Fassung des Planer-
gänzungsbeschlusses müsse von dem gemeinsamen Willen der ursprünglichen
Antragsteller getragen sein; vorliegend lasse sich in keiner Weise erkennen,
dass die Bahngesellschaften ein Planergänzungsverfahren durchführen wollten.
Der Einwand ist unbegründet. Soweit das Bundesverwaltungsgericht den Plan-
feststellungsbeschluss vom 13. August 2004 durch die Musterurteile aufgeho-
ben hatte, war im Planergänzungsverfahren über den von den Trägern des
Vorhabens gestellten ursprünglichen Antrag erneut zu entscheiden; ein neuer
Antrag der Vorhabenträger war nicht erforderlich. Dass die Bahngesellschaften
ihren ursprünglichen Antrag nicht hätten aufrecht erhalten wollen, kann aus ih-
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rer Nichtbeteiligung am Planergänzungsverfahren nicht geschlossen werden.
Sie haben den Antrag auf Planfeststellung gemeinsam mit der Beigeladenen
gestellt, weil auf dem Flughafengelände auch der Tiefbahnhof errichtet und be-
trieben werden soll. Die vom Senat in den Urteilen vom 16. März 2006 festge-
stellten Mängel des Lärmschutzkonzepts haben mit diesem Teil des Vorhabens
nichts zu tun. Unabhängig hiervon würde eine fehlende Beteiligung der Bahn-
gesellschaften am Planergänzungsverfahren, selbst wenn sie erforderlich ge-
wesen wäre, die Kläger nicht i.S.d. § 113 Abs. 5 VwGO in ihren Rechten verlet-
zen. Ein etwaiges Antragserfordernis bestünde ausschließlich im öffentlichen
Interesse und im Interesse des jeweiligen Antragstellers, nicht im Interesse der
Flughafenanwohner.
2. Antragsunterlagen
Die Kläger meinen weiter, dass die nach Abschluss des Anhörungsverfahrens
vorgelegten Unterlagen, insbesondere das vom Beklagten eingeholte
I.-Gutachten zum Nachtflugbedarf sowie die lärmmedizinische Stellungnahme
von Herrn Prof. Dr. Sch. ein ergänzendes Anhörungsverfahren erfordert hätten.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts genüge es zwar,
wenn die ausgelegten Unterlagen gegenüber den Anwohnern eine hinreichende
Anstoßwirkung erfüllten; es dürfe den Behörden aber nicht erlaubt werden, das
Schwergewicht der zu treffenden tatsächlichen Feststellungen in den Verfah-
rensabschnitt nach Durchführung des Anhörungsverfahrens zu verlegen mit der
Folge, dass die Gutachten erstmalig im gerichtlichen Verfahren erörtert würden.
Ein ergänzendes Anhörungsverfahren war entgegen der Auffassung der Kläger
nicht erforderlich. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts
müssen nicht alle Unterlagen, die möglicherweise zur umfassenden Beurteilung
der Rechtmäßigkeit der Planung erforderlich sind, ausgelegt werden, sondern
nur solche, die - aus der Sicht der potenziell Betroffenen - erforderlich sind, um
das Interesse an der Erhebung von Einwendungen bewusst zu machen. Ob
Gutachten dazugehören, beurteilt sich nach den Gegebenheiten des Einzelfalls.
Das gilt auch für nachträglich eingeholte Gutachten; Anlass, sie auszulegen,
besteht nur, wenn die Behörde erkennt oder erkennen muss, dass ohne diese
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Unterlagen Betroffenheiten nicht oder nicht vollständig geltend gemacht werden
können (Urteile vom 18. März 2009 - BVerwG 9 A 39.07 - BVerwGE 133, 239
Rn. 30, vom 8. Juni 1995 - BVerwG 4 C 4.94 - BVerwGE 98, 339 <344> und
vom 5. Dezember 1986 - BVerwG 4 C 13.85 - BVerwGE 75, 214 <224 ff.>).
Dass die nachträglich vorgelegten Unterlagen, insbesondere das I.-Gutachten
und die lärmmedizinische Stellungnahme von Herrn Prof. Dr. Sch., zum Errei-
chen der Anstoßwirkung hätten ausgelegt werden müssen, machen die Kläger
selbst nicht geltend. Eine hiervon unabhängige Verpflichtung, alle Unterlagen,
die für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Planung erforderlich sind, bereits
im Anhörungsverfahren auszulegen, besteht - wie dargelegt - nicht.
3. Befangenheit
Als Verfahrensfehler machen die Kläger schließlich geltend, dass der Leiter des
für die Planfeststellung von Flugplätzen zuständigen Referats des Beklagten
und Unterzeichner des Planergänzungsbeschlusses, Herr Ministerialrat B., be-
fangen gewesen sei.
Ein Grund im Sinne des § 1 Abs. 1 VwVfGBbg i.V.m. § 21 Abs. 1 VwVfG, der
geeignet ist, Misstrauen gegen die unparteiische Amtsausübung zu rechtferti-
gen, liegt vor, wenn aufgrund objektiv feststellbarer Tatsachen für die Beteilig-
ten bei vernünftiger Würdigung aller Umstände die Besorgnis nicht auszu-
schließen ist, ein bestimmter Amtsträger werde in der Sache nicht unparteiisch,
unvoreingenommen oder unbefangen entscheiden (Kopp/Ramsauer, VwVfG,
12. Aufl. 2011, § 21 Rn. 13; Bonk/Schmitz, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG,
7. Aufl. 2008, § 21 Rn. 9). Die rein subjektive Besorgnis, für die bei Würdigung
der Tatsachen vernünftigerweise kein Grund ersichtlich ist, reicht nicht aus (Be-
schluss vom 13. September 2007 - BVerwG 4 A 1007.07 - Buchholz 310 § 54
VwGO Nr. 68 Rn. 14).
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3.1 Vertraulichkeitszusage gegenüber den Fluggesellschaften
Als Befangenheitsgrund machen die Kläger zunächst geltend, der Beklagte ha-
be dem Wunsch der Fluggesellschaften nach Vertraulichkeit ihrer im Planer-
gänzungsverfahren abgegebenen Stellungnahmen Rechnung getragen und
einen Informationsanspruch der Kläger insoweit verneint. Auch im Rahmen der
Akteneinsicht im gerichtlichen Verfahren, die in den Räumen des Beklagten
habe gewährt werden sollen, habe er die entsprechenden Unterlagen nicht zur
Verfügung gestellt. Eine Entscheidung des Senats darüber, welche Unterlagen
den Klägern zur Verfügung gestellt werden müssten, habe er offenbar nicht ab-
warten wollen. Durch dieses eigenmächtige, von Herrn Ministerialrat B. zu ver-
antwortende Verhalten sei in erheblicher Weise in die prozessualen Rechte der
Kläger eingegriffen worden.
Die Entscheidungen des Beklagten über den Antrag der Kläger auf Einsicht in
die Unterlagen der Luftverkehrsgesellschaften vom 26. Oktober 2009 (Beiak-
te 18 Bl. 2051) und über den Umfang der bereitgestellten Akten im Rahmen der
Akteneinsicht nach § 100 Abs. 1 VwGO können eine Befangenheit von Herrn
Ministerialrat B. von vornherein nicht begründen. Der Beklagte hat diese Ent-
scheidungen erst Erlass des Planergänzungsbeschlusses vom
20. Oktober 2009 getroffen. Die Besorgnis der Befangenheit könnte sich allen-
falls aus der von Herrn Ministerialrat B. zu verantwortenden Vertraulichkeitszu-
sage ergeben, die der Beklagte den Luftverkehrsgesellschaften gegeben hat,
als er sie um ergänzende Darlegungen zum Nachtflugbedarf bat. In dem
Schreiben vom 19. Dezember 2008 (Beiakte 16 Bl. 968 <972>) heißt es:
„Abschließend ist festzuhalten, dass soweit es sich bei
den erfolgten Angaben um interne Betriebsplanungen
handelt, die nach Ihrer Einschätzung für die Luftverkehrs-
gesellschaft wettbewerbsrelevant und damit sensibel sind,
diese als solche gekennzeichnet werden können. Diese
Angaben werden dann im weiteren Verlauf des Verfahrens
vom MIR entsprechend vertraulich behandelt.“
Sollte der Beklagte damit zugesichert haben, Anträge auf Akteneinsicht bereits
deshalb abzulehnen, weil die Luftverkehrsgesellschaften Angaben als geheim-
haltungsbedürftig gekennzeichnet haben, hätte er Rechte der Kläger verkürzt;
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die Planfeststellungsbehörde muss selbst prüfen, ob die Angaben der Flugge-
sellschaften Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse enthalten und ob dieser
Schutz ausnahmsweise zurücktreten muss, weil das öffentliche Interesse an
der Bekanntgabe überwiegt (§ 1 UIG Bbg i.V.m. § 9 Abs. 1 Satz 1 UIG). Ein
hinreichendes Indiz für eine Voreingenommenheit gegenüber den Klägern wäre
diese fehlerhafte Rechtsauffassung allerdings nicht. Die Zusage zielte auf den
Schutz der Luftverkehrsgesellschaften vor ihren Wettbewerbern, nicht auf eine
Benachteiligung der Kläger. Unabhängig hiervon zeigt das weitere Vorgehen
des Beklagten nach Eingang des Akteneinsichtsgesuchs der Kläger, dass er
den Luftverkehrsgesellschaften lediglich zusichern wollte, Dritten keine Akten-
einsicht zu gewähren, ohne die betroffene Fluggesellschaft hierzu - wie in § 1
UIG Bbg i.V.m. § 9 Abs. 1 Satz 3 UIG vorgesehen - anzuhören. Eine Zusiche-
rung dieses Inhalts ist nicht geeignet, die Besorgnis der Unparteilichkeit zu be-
gründen.
3.2 Aktenführung
Als weiteren Befangenheitsgrund machen die Kläger geltend, der Beklagte ha-
be auf Verfügung von Herrn Ministerialrat B. mehrere tausend Seiten Aktenvor-
gänge in Sonderakten, den „Vertragsakten“, geführt. Dadurch sei bewusst ver-
sucht worden, die prozessualen Möglichkeiten der Kläger einzuschränken. Au-
ßerdem sei bewusst und gezielt die Fertigung von Besprechungsvermerken
unterlassen worden.
Durch die Ausgliederung der „Vertragsakten“, die nicht nur geheimhaltungsbe-
dürftige Vorgänge, wie etwa die Abrechnungen mit den Sachverständigen und
Verfahrensbevollmächtigten, sondern auch sonstigen verfahrensbezogenen
Schriftverkehr mit dem jeweiligen Vertragspartner enthalten, hat der Beklagte
zwar gegen seine aus § 99 Abs. 1 VwGO folgende Pflicht verstoßen, dem Ge-
richt vollständige Verwaltungsakten vorzulegen. Verfahrensfehler rechtfertigen
die Besorgnis der Befangenheit jedoch nur, wenn aus ihnen bei objektiver Be-
trachtung auf eine unsachliche Einstellung des Amtsträgers gegenüber einem
Beteiligten geschlossen werden kann (Kopp/Schenke, VwGO, 17. Aufl. 2011,
§ 54 Rn. 11). Das wäre der Fall, wenn die Führung der „Vertragsakten“ darauf
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- 17 -
gerichtet gewesen wäre, die Kläger in der Wahrnehmung ihrer über die Akten-
einsicht hinausgehenden Rechte zu behindern. Hierfür ist nichts ersichtlich. Der
Beklagte hat die „Vertragsakten“ nach dem Erörterungstermin vom 21. Juli 2010
auf Aufforderung des Gerichts vorgelegt. Dass die Kläger bestimmte Einwen-
dungen gegen den Planergänzungsbeschluss nicht erheben konnten, weil ih-
nen die Einsicht in die „Vertragsakten“ zunächst vorenthalten worden war, ha-
ben sie selbst nicht geltend gemacht.
Eine Behörde muss nicht über jede Besprechung einen Vermerk zu den Akten
nehmen; lediglich wesentliche Vorgänge müssen in den Akten dokumentiert
werden (Kopp/Ramsauer a.a.O. § 29 Rn. 14 ff.; Bonk/Kallerhoff, in: a.a.O. § 29
Rn. 32). Dass ihnen durch den Verzicht auf die Fertigung von Besprechungs-
vermerken wesentliche Informationen vorenthalten worden sein könnten, zeigen
die Kläger nicht auf. Jedenfalls die Ergebnisse der Besprechungen sind in den
Verwaltungsvorgängen dokumentiert. So hat z.B. I. - wie in einer Besprechung
vom 17. Oktober 2008 mit dem Beklagten vereinbart - mit E-Mail vom 16. De-
zember 2008 eine Beurteilung vom 10. Dezember 2008 des A.-Gutachtens zum
Nachtflugbedarf, eine Beurteilung vom 3. Dezember 2008 zu dem Gutachten zu
den regionalwirtschaftlichen Effekten und eine Beurteilung der Argumente und
Gegenargumente (CADEC) vorgelegt. Diese Vorgänge befinden sich in den
Verwaltungsvorgängen (Beiakte 16 Bl. 986 ff.). Als Ergebnis der Besprechung
beauftragte der Beklagte I. außerdem, ein eigenes Gutachten zum Nachtflug-
bedarf zu erstellen (Beiakte 27 Bl. 545). Auch dieses Gutachten ist bei den Ak-
ten (Beiakte 17 Bl. 1689 - 1798).
II. Materielle Rechtmäßigkeit
In der Sache hat der Beklagte bei seiner erneuten, in der mündlichen Verhand-
lung auf Anraten des Gerichts durch eine klarstellende Erklärung präzisierten
Entscheidung über die Einschränkung des nächtlichen Flugbetriebs die im Urteil
vom 16. März 2006 dargelegte Rechtsauffassung des Senats beachtet. Auch im
Übrigen hat er die Belange der Kläger rechtsfehlerfrei abgewogen.
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- 18 -
1. Anforderungen an eine Regelung des Nachtflugbetriebs
Die Planfeststellungsbehörde ist gemäß § 8 Abs. 4 Satz 1 LuftVG ermächtigt,
im Rahmen der Planfeststellung für die Anlegung oder wesentliche Änderung
eines Flughafens auch den Flugbetrieb zu regeln. Zentrales Element dieser
Ermächtigung ist die mit ihr verbundene Einräumung planerischer Gestaltungs-
freiheit (Urteile vom 29. Januar 1991 - BVerwG 4 C 51.89 - BVerwGE 87, 332
<341> und vom 7. Juli 1978 - BVerwG 4 C 79.76 u.a. - BVerwGE 56, 110
<116>). Begrenzt wird die Gestaltungsfreiheit der Planfeststellungsbehörde
durch das fachplanerische Abwägungsgebot i.V.m. dem in § 29b Abs. 1 Satz 2
LuftVG enthaltenen Gebot, auf die Nachtruhe der Bevölkerung in besonderem
Maße Rücksicht zu nehmen. Das Abwägungsgebot verlangt, dass - erstens -
eine Abwägung überhaupt stattfindet, dass - zweitens - in die Abwägung an
Belangen eingestellt wird, was nach Lage der Dinge in sie eingestellt werden
muss, und dass - drittens - weder die Bedeutung der betroffenen öffentlichen
und privaten Belange verkannt noch der Ausgleich zwischen ihnen in einer
Weise vorgenommen wird, die zur objektiven Gewichtigkeit einzelner Belange
außer Verhältnis steht (Urteile vom 29. Januar 1991 a.a.O. S. 341 und vom
7. Juli 1978 a.a.O. S. 122 f.). Innerhalb dieser Grenzen wird das Abwägungs-
gebot nicht verletzt, wenn sich die Planfeststellungsbehörde in der Kollision
zwischen verschiedenen Belangen für die Bevorzugung des einen und damit
notwendig für die Zurückstellung eines anderen entscheidet; die darin liegende
Gewichtung der von der Planung berührten öffentlichen und privaten Belange
ist vielmehr ein wesentliches Element der planerischen Gestaltungsfreiheit und
damit der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle entzogen (Urteil vom 14. Februar
1975 - BVerwG 4 C 21.74 - BVerwGE 48, 56 <64>, dort zum Bundesfernstra-
ßengesetz).
Die sich aus dem Abwägungsgebot i.V.m. § 29b Abs. 1 Satz 2 LuftVG ergeben-
den Anforderungen an eine Regelung des nächtlichen Flugbetriebs hat der Se-
nat in seinem Urteil vom 16. März 2006 - BVerwG 4 A 1075.04 - (BVerwGE
125, 116 Rn. 267 ff.) und der nachfolgenden Rechtsprechung (Urteile vom
9. November 2006 - BVerwG 4 A 2001.06 - BVerwGE 127, 95 Rn. 67 - 74, vom
24. Juli 2008 - BVerwG 4 A 3001.07 - BVerwGE 131, 316 Rn. 39, 93 und vom
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16. Oktober 2008 - BVerwG 4 C 5.07 - BVerwGE 132, 123 Rn. 51) wie folgt
konkretisiert:
In der sogenannten Nachtkernzeit (0:00 bis 5:00 Uhr) setzt die Zulassung von
Nachtflugbetrieb einen standortspezifischen Nachtflugbedarf voraus. Allein die
Absicht, dem Flugverkehr, vor allem dem Linien-, Charter- und Frachtverkehr,
optimale Entfaltungsmöglichkeiten zu bieten, rechtfertigt es nicht, die Lärm-
schutzbelange der Anwohner hintanzustellen. Es müssen vielmehr Umstände
gegeben sein, die im Unterschied zur Mehrzahl der anderen deutschen Flughä-
fen einen unbeschränkten Nachtflugbetrieb zu rechtfertigen geeignet sind. Für
den Flughafen Berlin-Schönefeld hat der Senat vorgegeben, dass die Nacht-
kernzeit grundsätzlich frei von Flugaktivitäten bleiben muss (Urteil vom 16. März
2006 a.a.O. Rn. 290).
Für die Nutzung der Nachtrandstunden, also die Zeit von 22:00 bis 24:00 Uhr
und 5:00 bis 6:00 Uhr, ist ein standortspezifischer Bedarf nicht erforderlich.
Auch die Durchführung eines Flugbetriebs in den Nachtrandstunden bedarf im
Rahmen der Abwägung im Hinblick auf § 29b Abs. 1 Satz 2 LuftVG jedoch einer
besonderen Begründung. Starts und Landungen dürfen nicht ohne erkennbare
Notwendigkeit gerade in diesen Zeitraum - und damit außerhalb der unter
Lärmgesichtspunkten weniger problematischen Tagesstunden - gelegt werden.
In den Nachtrandstunden und hier insbesondere in der Zeit zwischen 22:00 und
23:00 Uhr besitzt der Lärmschutz allerdings nicht dasselbe hohe Gewicht wie in
der Nachtkernzeit. Daraus folgt, dass sich plausibel nachgewiesene sachliche
Gründe, weshalb ein bestimmter Verkehrsbedarf oder ein bestimmtes Ver-
kehrssegment nicht befriedigend innerhalb der Tagesstunden abgewickelt wer-
den kann, im Zuge der Abwägung gegen die Belange des Lärmschutzes durch-
setzen können. Solche Gründe können sich z.B. aus den Erfordernissen einer
effektiven Flugzeug-Umlaufplanung, aus den Besonderheiten des Interkontinen-
talverkehrs (Zeitzonen, Verspätungen, Verfrühungen) oder aus dem Umstand
ergeben, dass der Flughafen als Heimatflughafen oder Wartungsschwerpunkt
von Fluggesellschaften deren Bedürfnisse nachvollziehbar nicht ausschließlich
in den Tageszeiten abdecken kann (Urteil vom 16. März 2006 a.a.O.
Rn. 287 f.).
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- 20 -
Für die Ermittlung und Gewichtung des Nachtflugbedarfs in den Nachtrand-
stunden bedeutet das: Grundvoraussetzung für die Anerkennung eines Nacht-
flugbedarfs ist die Darlegung einer Nachfrage nach Nachtflugverkehr. Das gilt
jedenfalls für die planbaren Verkehre, insbesondere den Passagier- und Fracht-
verkehr. Nachtflugbedarf kann sich zwar nicht nur aus einer tatsächlichen, ak-
tuell feststellbaren Nachfrage ergeben, sondern auch aus der Vorausschau
künftiger Entwicklungen; eine entsprechende Bedarfslage muss aber bei vo-
rausschauender Betrachtung in absehbarer Zeit mit hinreichender Sicherheit
erwartet werden können (Urteile vom 20. April 2005 - BVerwG 4 C 18.03 -
BVerwGE 123, 261 <271 f.>, vom 16. März 2006 a.a.O. Rn. 282 und vom 9. Juli
2009 - BVerwG 4 C 12.07 - BVerwGE 134, 166 Rn. 17). Die Bedienung der
Nachfrage muss zudem von den Planungszielen, die die Anlegung oder den
Ausbau des Flughafens gerechtfertigt haben, umfasst sein. Eine Nachfrage
nach Verkehren, für die der Flughafen nicht geplant wurde, kann die Zulassung
von Nachtflugbetrieb von vornherein nicht rechtfertigen.
Die Darlegung einer Nachfrage ist notwendige Voraussetzung für die Zulassung
von Nachtflugbetrieb; sie allein genügt für die Zulassung von Nachtflugbetrieb
jedoch nicht. Die Verkehrsinteressen sind nur dann geeignet, sich im Wege der
Abwägung gegen die Lärmschutzinteressen der Anwohner durchzusetzen,
wenn es ausgehend von den Gegebenheiten des Luftverkehrsmarktes betriebli-
che oder strukturelle Gründe dafür gibt, den Verkehr gerade in den Nachtrand-
stunden abzuwickeln. Die Planfeststellungsbehörde muss plausibel darlegen,
warum der Nachtflugbedarf gerade in der Nacht besteht. Plausible Gründe für
die Inanspruchnahme der Nachtrandzeiten können auch dann gegeben sein,
wenn es nur um wenige Flugbewegungen geht; die Zahl der Flugbewegungen
ist insoweit ohne Bedeutung.
Das Gewicht, das einem nachtrandspezifischen Verkehrsbedarf in der behördli-
chen Abwägung zukommt, hängt von zahlreichen Faktoren ab. Maßgebend
sind insbesondere die sich aus den Planungszielen ergebende Verkehrsfunk-
tion des Flughafens und seine Stellung im Luftverkehrsnetz (vgl. Urteil vom
20. April 2005 a.a.O. S. 272). Die Verkehrsfunktion des Flughafens und seine
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Stellung im Luftverkehrsnetz bestimmen die Erwartungen, die berechtigterweise
an das Verkehrsangebot zu stellen sind, insbesondere an die Zahl und die Di-
versität der Destinationen, die Frequenz der Verbindungen und die Erreichbar-
keit des Flughafens in den frühen Morgen- und späten Abendstunden. Diese
Erwartungen sind entscheidend dafür, ob das Verkehrsangebot ohne die in Re-
de stehenden Nachtflugverbindungen noch als „befriedigend“ (Urteil vom
16. März 2006 a.a.O. Rn. 288) angesehen werden kann. Von Bedeutung kann
ferner sein, ob der Bedarf von einem anderen Flughafen nachfragegerecht ge-
deckt werden könnte (Urteil vom 20. April 2005 a.a.O. S. 272).
Die Verkehrsfunktion des Flughafens und seine Stellung im Luftverkehrsnetz
sind ein zentraler Bezugspunkt für die Gewichtung des Nachtflugbedarfs; einen
von der Abwägung im Einzelfall unabhängigen Vorrang gegenüber den Lärm-
schutzbelangen der Anwohner verleihen sie dem Nachtflugbedarf nicht. Der
Nachtflugbedarf muss im Wege der Abwägung in ein ausgewogenes Verhältnis
zu den berechtigten Lärmschutzbelangen der Anwohner gebracht werden (Ur-
teil vom 16. März 2006 a.a.O. Rn. 288). Nicht nur die Anwohner müssen Beein-
trächtigungen hinnehmen; auch bei den Planungszielen können und müssen
gegebenenfalls Abstriche gemacht werden.
Auch der Umfang der Nachfrage ist für die Gewichtung des Nachtflugbedarfs
relevant. Je dringlicher ein bestimmter Nachtflugbedarf tatsächlich ist, desto
bedeutsamer ist sein Gewicht im Rahmen der Abwägung (Urteil vom 29. Januar
1991 - BVerwG 4 C 51.89 - BVerwGE 87, 332 <368> und vom 20. April 2005
a.a.O. S. 268). Mit der Zahl der Flugbewegungen wächst allerdings auch das
Gewicht der Lärmschutzbelange. Für die Flughafenanwohner bedeutet jeder
zusätzliche Flug eine zusätzliche Belastung, jeder Flug, der unterbleibt, eine
Entlastung (Urteil vom 9. November 2006 a.a.O. Rn. 76).
2. Ermittlung und Gewichtung des Nachtflugbedarfs
Ausgehend hiervon hat der Beklagte einen Bedarf für den im Planergänzungs-
beschluss zugelassenen Nachtflugverkehr zu Recht bejaht; er hat auch nicht
die Bedeutung und das Gewicht dieses Bedarfs verkannt.
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- 22 -
2.1 Nachfrage nach Nachtflügen
Zum Nachweis der Nachfrage nach Nachtflügen hat sich der Beklagte nicht auf
das von der Beigeladenen vorgelegte A.-Gutachten „Der besondere Bedarf an
der Durchführung von Nachtflugbewegungen während der Nachtzeiten am
Flughafen Berlin Brandenburg International“ vom 9. Mai 2007 (Beiakte 1) ge-
stützt, sondern auf das von ihm selbst in Auftrag gegebene I.-Gutachten „Nacht-
flugbedarf am Flughafen Berlin Brandenburg International“ vom Juni 2009 (Bei-
akte 17 Bl. 1689 ff. - im Folgenden: Nachtflug-Gutachten). Er hat dem
A.-Gutachten zwar die Verwertbarkeit attestiert (PEB S. 69 f.), die von A. ermit-
telte Zahl von Nachtflugbewegungen jedoch tendenziell für zu hoch erachtet
(PEB S. 72 Abs. 1). Die insoweit gegen das A.-Gutachten gerichteten Einwände
der Kläger sind mithin nicht entscheidungserheblich.
2.1.1 Verwertbarkeit der I.-Nachtflugprognose
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts unterlie-
gen Verkehrsprognosen nur eingeschränkter gerichtlicher Kontrolle. Das Ge-
richt hat nur zu prüfen, ob die Prognose nach einer geeigneten Methode durch-
geführt wurde, ob der zugrunde gelegte Sachverhalt zutreffend ermittelt wurde
und ob das Ergebnis einleuchtend begründet ist (Urteile vom 20. April 2005
a.a.O. S. 275, vom 13. Dezember 2007 - BVerwG 4 C 9.06 - BVerwGE 130, 83
Rn. 50 und vom 9. Juni 2010 - BVerwG 9 A 20.08 - Buchholz 407.4 § 17 FStrG
Nr. 208 Rn. 73). Ausgehend hiervon ist die im I.-Gutachten erstellte Nachtflug-
prognose nicht zu beanstanden.
2.1.1.1 Bestandsaufnahme
Als Grundlage der Prognose hat I. die Flugbewegungsdaten der Flughäfen Te-
gel, Tempelhof und Schönefeld für das Jahr 2008 ausgewertet und auf diese
Weise die zeitliche Verteilung des Flugverkehrs aufgeschlüsselt nach Verkehrs-
segmenten ermittelt (Kapitel 3 des Nachtflug-Gutachtens). Einwendungen ge-
gen diese Bestandsaufnahme haben die Kläger nicht erhoben. Sie rügen aller-
dings, dass der Ausgangsdatensatz maßgeblich von den Nachtflugbewegungen
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auf dem Flughafen Berlin-Schönefeld mit seiner unbeschränkten Nachtbe-
triebserlaubnis geprägt werde und zwar in einem Ausmaß, das in keinem Ver-
hältnis zur Bedeutung Schönefelds im Berliner Flughafensystem stehe. Warum
dies zu einer Überschätzung des Nachtflugbedarfs führen sollte, ist nicht er-
sichtlich. Das Nachtflug-Gutachten ermittelt gerade zunächst die Nachfrage
nach Nachtflügen bei einem unbeschränkten Nachtflugbetrieb (Kapitel 8) und
erst anschließend die Auswirkungen von Betriebsbeschränkungen (Kapitel 9).
2.1.1.2 Hochrechnung
In einem zweiten Schritt hat I. aus einer anderen Verkehrsprognose Wachs-
tumsraten 2005 : 2020 für die einzelnen Verkehrssegmente abgeleitet und mit
deren Hilfe unter Berücksichtigung der tatsächlichen Entwicklung bis 2008 das
Nachtflugaufkommen je Verkehrssegment unter status-quo-Bedingungen auf
das Jahr 2020 hochgerechnet (Kapitel 7 des Nachtflug-Gutachtens). Grundlage
für die Ermittlung der Wachstumsraten war die „Luftverkehrsprognose Deutsch-
land 2020“ vom Dezember 2006 (Anlage zum Schriftsatz des Beklagten vom
18. Oktober 2010 - im Folgenden: Masterplan-Prognose), die I. im Auftrag der
Initiative „Luftverkehr für Deutschland“ für die Fortschreibung des Masterplans
zur Entwicklung der Flughafeninfrastruktur erstellt hat. Die genannte Initiative
wurde im Jahr 2003 von der DFS Deutsche Flugsicherung GmbH, der Flugha-
fen München GmbH, der Fraport AG und der Deutsche Lufthansa AG unter der
Schirmherrschaft des Bundesministers für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
gegründet (Masterplan zur Entwicklung der Flughafeninfrastruktur, Dezember
2006, http://www.initiative-luftverkehr.de/fileadmin/Downloads/ILfD-Master-
plan.pdf, S. 3). Die Masterplan-Prognose hat für alle deutschen Flughäfen ab
1 Mio. Passagiere (Stand 2005) sowohl das Flugbewegungs- als auch das Pas-
sagieraufkommen in 2020 prognostiziert; Basisjahr der Prognose ist das Jahr
2005 (Masterplan-Prognose S. 2). Die Prognosen wurden mit Hilfe eines Ge-
samtverkehrsmodells errechnet, dessen Ursprünge auf die Bundesverkehrswe-
geplanung zurückgehen (a.a.O. S. 6). In einem ersten Schritt wird das Gesamt-
verkehrsaufkommen, darunter das flughafenunabhängige Luftverkehrsaufkom-
men, in Form einer nach Marktsegmenten differenzierten Quelle-Ziel-Matrix für
den Ist-Zustand aus empirischen Grundlagen ermittelt und unter Berücksichti-
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gung der sozioökonomischen Entwicklung und der Entwicklung des Verkehrs-
angebotes und der Nutzerkosten aller Verkehrszweige prognostiziert. In einem
zweiten Schritt erfolgt die Aufteilung des Luftverkehrsaufkommens auf die Flug-
häfen durch ein Flughafen-Wahlmodell, das die landseitige Erreichbarkeit und
das Luftverkehrsangebot der Flughäfen berücksichtigt (a.a.O. S. 6). Die Quelle-
Ziel-Matrix umfasst die Verkehrsströme zwischen allen Quellen (Raumeinhei-
ten, hier Kreisregionen im Inland und 342 Auslandsregionen) und Zielen, eben-
falls in Raumeinheiten (a.a.O. S. 7). Sie ist sachlich gegliedert nach Verkehrs-
mitteln (Flugzeug, Bahn, motorisierter Individualverkehr, Bus), Reisezwecken
(geschäftlich, privat, sonstiger Privatverkehr) sowie nach out- und inbound
(a.a.O. S. 9). Sie basiert auf hochgerechneten Fluggastbefragungen, die mit
den Relationsstatistiken des Statistischen Bundesamtes und entsprechenden
Statistiken des Auslands abgeglichen werden (a.a.O. S. 12).
Die Hochrechnung mit den aus dieser Prognose abgeleiteten Wachstumsraten
ist eine geeignete Methode zur Ermittlung des Nachtflugaufkommens in 2020
auf dem ausgebauten Flughafen Berlin-Schönefeld. Sie ist keine schlichte
Trendprognose. Ob eine solche genügen würde, kann deshalb offen bleiben
(vgl. Urteil vom 18. März 2009 - BVerwG 9 A 39.07 - BVerwGE 133, 239
Rn. 107). I. hat nicht die Entwicklung des Nachtflugverkehrs in der Vergangen-
heit nach Maßgabe eines sich daraus ergebenden Trends fortgeschrieben,
sondern aus einer Modellprognose für den Gesamtverkehr Wachstumsraten für
die einzelnen Verkehrssegmente abgeleitet und diese der Entwicklung des
Nachtflugverkehrs zugrunde gelegt. Den Flugverkehr unmittelbar durch eine
Modellprognose zu ermitteln, wäre auf der Grundlage der vorhandenen Daten
nicht möglich gewesen; die zeitliche Lage der Verkehrsströme (Tag/Nacht) ist in
den vorhandenen Quelle-Ziel-Matrizes nicht hinterlegt (I.-Stellungnahme vom
15. Oktober 2010 S. 32).
Die der Hochrechnung zugrunde liegende Hypothese, dass sich im Prognose-
zeitraum zwar das Aufkommen des jeweiligen Verkehrssegments, nicht aber
die zeitliche Struktur innerhalb des Segments und damit das Verhältnis von
Tag- und Nachtflügen ändert, ist plausibel. Sie wird durch die zu erwartende
Veränderung der Verkehrsstruktur am ausgebauten Flughafen Berlin-Schöne-
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- 25 -
feld als alleinigem Flughafen für Berlin nicht infrage gestellt. Die Wachstumsra-
ten sind nicht für den Gesamtverkehr, sondern spezifisch für die einzelnen Ver-
kehrssegmente ermittelt worden.
Für den ausgebauten Flughafen Berlin-Schönefeld hat die Masterplan-Prog-
nose für das Jahr 2020 33,2 Mio. Passagiere und 367 000 Flugbewegungen
prognostiziert (Masterplan-Prognose S. 72, 90). Sie weist die Flugbewegungen
nicht segmentspezifisch aus, sondern unterscheidet lediglich zwischen Passa-
gierverkehr, Fracht/Post und Allgemeiner Luftfahrt (a.a.O. S. 90). Den Gesamt-
bewegungszahlen liegt jedoch eine Erfassung der Flugbewegungen je Flugha-
fen mit folgenden Angaben zugrunde: von Flughafen, nach Flughafen, Ver-
kehrsart (Passage, Fracht, sonstige), Airline (Allianz), Anzahl Passagiere, An-
zahl t Fracht, Anzahl Flugbewegungen (I.-Stellungnahme vom 28. Januar 2011
S. 16). Mit diesen Zusatzinformationen lassen sich die Flugbewegungen den für
das Nachtflug-Gutachten definierten Verkehrssegmenten (vgl. Nachtflug-
Gutachten S. 20 f.) zuordnen. Dass I. die Flugbewegungen in der Masterplan-
Prognose teilweise nach anderen Gesichtspunkten aggregiert hat - so sind z.B.
Hub-Flüge im Sinne der dortigen Tab. 3-8 (Masterplan-Prognose S. 41 ff.) nur
Interkontinentalflüge und mit den Hub-Feeder-Flügen des Nachtflug-Gutachtens
nicht zu vergleichen (I.-Stellungnahme vom 28. Januar 2011 S. 16 f.) -, stellt die
Plausibilität dieses Vorgehens nicht infrage.
Das dargelegte, der Masterplan-Prognose zugrunde liegende Gesamtver-
kehrsmodell ist eine geeignete Methode zur Ermittlung des künftigen Luftver-
kehrsaufkommens an einem bestimmten Flughafen. Das kann der Senat auf
der Grundlage der Masterplan-Prognose, des Nachtflug-Gutachtens, der ergän-
zenden schriftlichen Stellungnahmen von I. und der Erläuterungen von Herrn
Dr. Schu. in der mündlichen Verhandlung feststellen. Dem Antrag der Kläger,
dem Beklagten aufzugeben, sämtliche Informationen wie Verkehrsströme,
Fluggastbefragungen, Reiseanalysen, Mobilitätsdaten oder OAG-Weltflugplan,
welche der durch die I.-Prognose in Bezug genommenen Masterplan-Prognose
zugrunde liegen, beizubringen und den Klägern nach Vorlage dieser Unterlagen
entsprechende Akteneinsicht zu gewähren, brauchte er nicht zu entsprechen.
Die Ermittlung der Wachstumsraten ist auch ohne Offenlegung der genannten
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Unterlagen keine „Black Box“. Inwieweit die Ausgangsdaten und die Verarbei-
tungsschritte einer Verkehrsprognose dokumentiert werden müssen, um deren
Verwertbarkeit überprüfen zu können, ist eine Frage der Beweiswürdigung, die
sich nicht allgemeingültig beantworten lässt (Beschlüsse vom 1. April 2009
- BVerwG 4 B 61.08 - NVwZ 2009, 910 Rn. 24 und vom 14. April 2011
- BVerwG 4 B 77.09 - juris Rn. 44). Ob - wie I. geltend macht - die Quelle-Ziel-
Matrizes Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse darstellen, kann offen bleiben;
etwaige Dokumentationsdefizite würden dadurch nicht unbeachtlich. Soweit die
Daten erforderlich sind, um die Verwertbarkeit des Gutachtens zu beurteilen, ist
es im Grundsatz Sache des Auftraggebers, bei Erteilung des Gutachtenauftrags
sicherzustellen, dass der Gutachter ihm die erforderlichen Daten übergibt. Hat
der Auftraggeber dies unterlassen, kann zwar auch das Gericht die Vorlage der
Daten nicht erzwingen; die fehlende Offenlegung geht jedoch zulasten des Auf-
traggebers, das Gutachten ist nicht verwertbar. Hier brauchte der Beklagte, so-
weit es um die Wachstumsraten geht, eine über die Vorlage der Masterplan-
Prognose und die im gerichtlichen Verfahren nachgelieferten Erläuterungen
hinausgehende Dokumentation nicht zu verlangen. Auch wenn er die Nacht-
flugprognose selbst erstellt hätte, wäre eine weitergehende Dokumentation
nicht erforderlich gewesen. Dies folgt zwar entgegen der Auffassung des Be-
klagten nicht allein daraus, dass die Masterplan-Prognose aus Sicht des Nacht-
flug-Gutachtens eine externe Quelle ist. Es kommen hier jedoch mehrere Um-
stände hinzu: Die Masterplan-Prognose wurde weder speziell für den Flughafen
Berlin-Schönefeld noch zur Ermittlung des Nachtflugbedarfs erstellt, sondern für
eine realistische Bedarfsplanung der deutschen Luftverkehrswirtschaft insge-
samt; die Gefahr, dass Wertungen und Ausgangsdaten mit Blick auf ein be-
stimmtes Prognoseergebnis ausgewählt wurden, besteht mithin nicht. Allenfalls
mangelnde Sorgfalt oder Sachkunde des Gutachters hätten zu Fehlern führen
können. Dagegen spricht indes, dass die Prognose bereits mehrfach verwendet
worden ist und dabei jeweils Anerkennung gefunden hat. Sie wurde zunächst
von der Initiative „Luftverkehr für Deutschland“ für die Fortschreibung des Mas-
terplans zur Entwicklung der Flughafeninfrastruktur vom Dezember 2006, so-
dann von der Bundesregierung für ihr Flughafenkonzept 2009 (S. 17 - 19) ver-
wendet. Die der Masterplan-Prognose zugrunde liegenden Daten wurden für
die Nachtverkehrsprognose für den Flughafen Leipzig/Halle ausgewertet. Der
- 27 -
Senat hat diese Prognose nicht beanstandet; er ist davon ausgegangen, dass
die Methodik der Masterplan-Prognose wissenschaftlichen Ansprüchen genügt
(Urteil vom 24. Juli 2008 - BVerwG 4 A 3001.07 - Buchholz 442.40 § 8 LuftVG
Nr. 31 Rn. 67 f.). Das Gesamtverkehrsmodell findet im Übrigen auch in der
Bundesverkehrswegeplanung des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und
Stadtentwicklung (BMVBS) Verwendung. Das BMVBS hat für die Fernstraßen-
planung die Verwendung der Daten der Bedarfsplanprognose bzw. der Bun-
desverkehrswegeplanung sogar vorgegeben (Urteile vom 18. März 2009
- BVerwG 9 A 39.07 - BVerwGE 133, 239 Rn. 110 und vom 9. Juni 2010
- BVerwG 9 A 20.08 - Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr. 208 Rn. 77). Gegen die
der Masterplan-Prognose zugrunde gelegten Annahmen zur Entwicklung der
Rahmenbedingungen der Luftverkehrswirtschaft bestehen ebenfalls keine Be-
denken; sie sind mit einem projektbegleitenden Arbeitskreis, dem u.a. das
BMVBS und Fachministerien der Länder angehörten, abgestimmt worden (Mas-
terplan-Prognose S. 4; I.-Stellungnahme vom 15. Oktober 2010 S. 5 f., 28). Vor
diesem Hintergrund hätte es konkreter Anhaltspunkte dafür bedurft, dass bei
der Aufnahme der Grundlagendaten und den Zwischenberechnungen Fehler
unterlaufen oder dass unvertretbare Einzelwertungen getroffen worden sein
könnten. Solche Anhaltspunkte bestehen nicht; auch die Kläger haben sie nicht
aufgezeigt.
Die Masterplan-Prognose war bei Erlass des Planergänzungsbeschlusses noch
hinreichend aktuell. Die Basisdaten wurden nicht - wie von den Klägern geltend
gemacht - aus der für den Bundesverkehrswegeplan 2003 erstellten Prognose
übernommen, sondern auf das Jahr 2005 aktualisiert; lediglich die Methodik der
damaligen Prognose blieb im Wesentlichen unverändert. Den vorübergehenden
Einbruch der Weltwirtschaft Ende des Jahres 2008 konnte die Masterplan-Prog-
nose nicht berücksichtigen. Die Erwartung, dass der Konjunktureinbruch die
Entwicklung des Luftverkehrs nicht nachhaltig beeinflussen würde, war jedoch
bezogen auf den Prognosehorizont 2020 nicht unrealistisch. Auch die aktuelle,
im Jahr 2006 nicht absehbare Ölpreisentwicklung steht der Verwertbarkeit der
Masterplan-Prognose für das Nachtflug-Gutachten nicht entgegen. Als bestim-
menden Faktor für die Entwicklung des Luftverkehrs hat die Masterplan-Prog-
nose nicht den Ölpreis selbst, sondern nur u.a. die Luftverkehrspreise einge-
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- 28 -
stellt und bei diesen neben den Ölpreisen eine Reihe von weiteren preistrei-
benden und preissenkenden Faktoren verglichen (Masterplan-Prognose
S. 32 - 35). Die außergewöhnliche Entwicklung eines einzelnen Faktors stellt
die Stimmigkeit des Gesamtergebnisses nicht infrage.
2.1.1.3 Glättung
Um die zeitliche Verteilung der Nachfrage zu ermitteln, die sich auf dem ausge-
bauten Flughafen Berlin-Schönefeld bei einem nicht beschränkten Flugbetrieb
einstellen würde, hat I. in einem dritten Prognoseschritt die unter status-quo-
Bedingungen errechnete Nachfragekurve „geglättet“ (Kapitel 8 des Nachtflug-
Gutachtens). Sie hat für jeden Zeitpunkt die Flugbewegungen aufsummiert, die
bis 30 Minuten vor- und 30 Minuten nachher stattfinden, die Werte gemittelt und
angetragen. Einbezogen in dieses Verfahren hat sie nur die Flugbewegungen,
die auf die Flughäfen Tegel und Tempelhof entfallen; am Flughafen Berlin-
Schönefeld ist der Flugbetrieb bis zur Inbetriebnahme der neuen Südbahn oh-
nehin zeitlich unbeschränkt zulässig.
Der Glättung liegt die Annahme zugrunde, dass ein Teil der Flugbewegungen,
die sich kurz nach Betriebsbeginn in Berlin-Tegel und kurz vor dem dortigen
Betriebsende „stauen“, ohne die Betriebsbeschränkungen in die bisherige Be-
triebspause hinein verlagert würden. Das ist plausibel. Nichts spricht dafür,
dass der starke Anstieg der Flugbewegungen nach 6:00 Uhr und der abrupte
Abfall nach 23:00 Uhr allein auf die Nachfrage zurückzuführen ist.
Die Plausibilität wird durch die Kontrollrechnungen der Kläger nicht infrage ge-
stellt. Sie machen geltend, dass das Gutachten Gründe für den im Vergleich
zum Gesamtverkehr überproportionalen Anstieg des Nachtflugverkehrs nicht
aufzeige. Besonders deutlich werde die unterschiedliche Entwicklung von Ge-
samt- und Nachtverkehr beim Low-Cost-Verkehr. Die Zahl der Flugbewegungen
in diesem Segment solle von 89 157 in 2008 (Nachtflug-Gutachten S. 31
Tab. 3-4) auf 144 434 in 2020 (a.a.O. S. 85 Tab. 8-2), also um 62 % steigen.
Die Zahl der Nachtflugbewegungen steige im gleichen Zeitraum von 4 325 auf
7 670, also um 77 %, die Zahl der Flugbewegungen zwischen 23:00 und
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- 29 -
6:00 Uhr von 278 auf 1 057, also um 280 %. Da die Hochrechnung von einheit-
lichen Wachstumsraten für Tag und Nacht ausgeht, ist das überproportionale
Wachstum der Nachtflugbewegungen rechnerisch eine Folge der Glättung.
Dass der Nachtflugverkehr insgesamt bei einem unterstellten Wegfall der zeitli-
chen Betriebsbeschränkungen auch real stärker wachsen wird als der Tagflug-
verkehr, ist - wie dargelegt - plausibel und zwar auch in der für den Low-Cost-
Verkehr prognostizierten Größenordnung. Die große prozentuale Steigerung für
die Zeit zwischen 23:00 und 6:00 Uhr ist in erster Linie auf die geringe absolute
Zahl von Flugbewegungen in diesem Zeitraum unter status-quo-Bedingungen
(278 Flugbewegungen - a.a.O. S. 31 Tab. 3-4) zurückzuführen - der Low-Cost-
Verkehr wird anders als die touristischen Verkehre überwiegend auf dem Flug-
hafen Tegel abgewickelt - und die im Verhältnis dazu große absolute Zahl von
Flugbewegungen insgesamt (144 434 Flugbewegungen) und dementsprechend
auch zwischen 22:30 und 23:00 Uhr (2 634 Flugbewegungen - a.a.O. S. 80
Tab. 7-1) sowie nach 6:00 Uhr. Der „Stau-Effekt“ ist bei einem aufkommens-
starken Verkehrssegment mit hohem Nachtfluganteil stark; das ist nicht unplau-
sibel.
Die Glättung führt auch in den Zeitsegmenten von 22:00 bis 22:30 Uhr zu einem
Anstieg der Flugbewegungen von 7 872 (Nachtflug-Gutachten S. 81 Tab. 7-2)
auf 8 325 (a.a.O. S. 89 Tab. 8-5). Das ist rechnerisch die Folge davon, dass
zwischen 21:30 und 22:00 Uhr deutlich mehr Flugbewegungen stattfinden als
von 22:00 bis 22:30 Uhr. Die Glättung führt auf der anderen Seite für die Zeit
von 22:30 bis 23:00 Uhr zu einer Verringerung der Flugbewegungen von 7 005
auf 6 253. Insoweit ist die Glättung lediglich ein statistisches Verfahren zur ver-
feinerten Betrachtung der Halbstundensegmente.
2.1.1.4 Auswirkungen von Betriebsbeschränkungen
Im letzten Prognoseschritt hat I. ein mögliches Modell für eine Regelung des
Nachtflugbetriebs entwickelt (Nachtflug-Gutachten S. 100 Tab. 9-2) und ausge-
hend hiervon die Zahl der Nachtflugbewegungen in 2020 prognostiziert (a.a.O.
S. 102 Tab. 9-4). Das Betriebsmodell entspricht weitgehend den im Planergän-
zungsbeschluss getroffenen Regelungen, lässt aber von 5:00 bis 5:30 Uhr und
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- 30 -
von 23:30 bis 24:00 Uhr Flugverkehr weitergehend zu. Bei diesem Betriebsmo-
dell wird sich die Zahl der Flugbewegungen in der Durchschnittsnacht 2020
nach Einschätzung von I. von 76,6 (a.a.O. S. 101 Tab. 9-3) auf 71,1 (a.a.O.
S. 102 Tab. 9-4), also um 5,5 Flugbewegungen, verringern.
Die Kläger vermissen eine Begründung dafür, wann von einer Verschiebung
und wann von einem Entfallen eines Fluges auszugehen sei. Herr Dr. Schu. hat
hierzu in der mündlichen Verhandlung dargelegt, dass ein Flug, der umlaufbe-
dingt für die Kernzeit der Nacht geplant werde, bei einem Nachtflugverbot in der
Regel ersatzlos entfalle. Eine Verschiebung um bis zu 30 Minuten in die Nacht-
randzeiten habe man hingegen in der Regel als möglich angesehen; dieser
Zeitraum sei eine Setzung. Im Übrigen könnten sich im Zielgebiet ansässige
Fluggesellschaften auf nächtliche Betriebsbeschränkungen besser einstellen
als Home-Base-Carrier. Da die Durchführung eines Fluges auf einer unterneh-
merischen Entscheidung beruht, die nicht nur von den Betriebszeiten des Flug-
hafens, sondern einer Vielzahl weiterer Faktoren abhängt, ist die Prognose, wie
sich Beschränkungen des Flugverkehrs auf das Flugangebot auswirken, mit
großen Unsicherheiten behaftet. Eine Überprüfung konkreter Umlaufplanungen
ist - wie noch darzulegen sein wird - nicht möglich. Welche weiteren Ermittlun-
gen I. zur Ermittlung der Verschiebbarkeit von Flügen hätte anstellen sollen, ist
nicht ersichtlich. Dass Flüge, die kurz nach Ende oder kurz vor Wiederbeginn
des Betriebs geplant sind, leichter verschoben werden können als Flüge mitten
in der Kernzeit, ist plausibel. Ausgehend hiervon hält sich die Annahme, dass
Flüge bei einer zeitlichen Beschränkung des Nachtflugbetriebs in der Regel ent-
fallen, wenn sie um mehr als 30 Minuten verschoben werden müssten, inner-
halb des für eine solche Prognose erforderlichen Wertungsrahmens.
76
- 31 -
2.1.2 Ergänzende Prognose des Beklagten
Der Beklagte hat die von I. vorgeschlagenen Betriebsregelungen, die in be-
stimmten Verkehrssegmenten und in bestimmten Jahreszeiten Flugbetrieb von
5:00 bis 24:00 Uhr vorsahen, nicht vollständig übernommen. Er hat den Nacht-
betrieb weitergehend beschränkt; Flugbetrieb ist grundsätzlich nur von 5:30 bis
23:30 Uhr zulässig. Ausgehend von dem in Tabelle 9-4 des Nachtflug-Gutach-
tens (S. 102) ermittelten Bedarf hat er die planmäßigen Flugbewegungen in den
halben Stunden vor und nach der Kernzeit auf die nächstliegenden halben
Stunden verlagert (vgl. E-Mail des Beklagten an I. vom 24. August 2009, Beiak-
te 17 Bl. 1880). Das Ergebnis dieser Anpassungen findet sich in der Tabelle auf
S. 147 des Planergänzungsbeschlusses.
Der Beklagte hat sodann die Flugbewegungen in der Durchschnittsnacht 2020
ausgehend von der in der Masterplan-Prognose ermittelten deutschlandweiten
durchschnittlichen Steigerungsrate von 2,6 % pro Jahr auf das Jahr 2023 - das
ist der Prognosehorizont der dem Antrag auf Planfeststellung zugrunde liegen-
den Verkehrsprognose - weiter hochgerechnet und zwar auf 77 Flugbewegun-
gen in der Durchschnittsnacht und 103 Flugbewegungen in der typischen Spit-
zennacht (PEB S. 148).
2.1.3 Plausibilität des Gesamtergebnisses
Das Ergebnis der Nachtverkehrsprognose ist plausibel. Die vom Beklagten auf
der Grundlage des I.-Gutachtens ermittelten Flugbewegungszahlen entspre-
chen in ihrer Größenordnung den Flugbewegungszahlen, die bereits im Plan-
feststellungsverfahren für die Fluglärmberechnungen ermittelt wurden. Die da-
maligen Lärmberechnungen gingen von 16 734 Flugbewegungen (ohne Hub-
schrauber; 17 074 incl. Hubschrauber) zwischen 22:00 und 6:00 Uhr in den
sechs verkehrsreichsten Monaten des Prognosejahres 20XX aus (Gutachten
M 2 S. 31 Tab. 3-14 und 3-15, Beiakte 235 ). Auf der Grundlage
der Verkehrsverteilung der letzten Jahre war festgelegt worden, dass 60 % der
gesamten Flugbewegungen eines Jahres auf die sechs verkehrsreichsten Mo-
nate entfallen (a.a.O. S. 51). Der Beklagte hat für das Jahr 2023 28 068 Flug-
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- 32 -
bewegungen (ohne Hubschrauber) zwischen 22:00 und 6:00 Uhr prognostiziert
(Darstellung der Planfeststellungsbehörde vom 1. September 2009 zur Entwick-
lung der Nachtflugbewegungen von 2008 bis 2023 im Planergänzungsbe-
schluss, S. 7 Tab. B.3). Das entspricht 16 840 Flugbewegungen in den sechs
verkehrsreichsten Monaten und damit ziemlich genau den im Planfeststellungs-
verfahren für den Prognosehorizont 20XX ermittelten Flugbewegungen. Bei
diesem Vergleich ist allerdings zu berücksichtigen, dass im Prognosejahr 20XX
360 000 Flugbewegungen/Jahr erreicht sein sollen (a.a.O. S. 29), I. in seinem
Nachtflug-Gutachten (S. 78) aber bereits für das Jahr 2020 von 367 000 Flug-
bewegungen ausgegangen ist. Der Vergleich bestätigt jedoch, dass das dem
Planergänzungsbeschluss zugrunde liegende Prognoseergebnis nicht aus dem
Rahmen bisheriger Prognosen fällt. Es bleibt im Übrigen auch unter den Flug-
bewegungszahlen, die A. im Auftrag der Beigeladenen ermittelt hat (PEB
S. 71).
Die Plausibilität des Prognoseergebnisses wird durch den von den Klägern vor-
gelegten Modellflugplan 2015 (Anlage K 66 zum Schriftsatz vom 31. August
2011), der zwischen 5:30 und 6:00 Uhr nur zwei, zwischen 23:00 und 23:30 Uhr
nur vier Flugbewegungen vorsieht, nicht infrage gestellt. Der Planergänzungs-
beschluss geht für die genannten Zeitsegmente zwar von erheblich mehr, näm-
lich von 10,0 bzw. 13,6 Flugbewegungen aus (PEB S. 147); ein Vergleich die-
ser Zahlen ist jedoch nicht aussagekräftig. Der Modellflugplan 2015 wurde für
einen anderen Zweck und nach anderen Grundsätzen erstellt als die Nachtflug-
prognose im Planergänzungsverfahren. A. hat den Modellflugplan im Jahr 2010
für die Beigeladene erstellt, um zu ermitteln, zu welchen Tageszeiten zeitglei-
che Abflüge von beiden Bahnen benötigt werden. Flüge, die bei unbeschränk-
tem Verkehr zwischen 23:30 und 5:30 Uhr geplant würden, wurden, weil für die
Fragestellung nicht relevant, für den Modellflugplan ersatzlos gestrichen. Be-
messungstag ist zudem ein konkreter Flugplantag, nicht ein gemittelter Durch-
schnittstag. Im Übrigen sind die Unterschiede zwischen beiden Prognosen bei
einem Vergleich der Nachtrandzeiten von 22:00 bis 23:30 Uhr und von 5:30 bis
6:00 Uhr insgesamt erheblich geringer als in den von den Klägern betrachteten
Zeitsegmenten.
82
- 33 -
Die Kläger machen geltend, der Nachtflugbetrieb entspringe nicht den Wün-
schen und der Nachfrage der Fluggäste, sondern allenfalls den Wünschen der
Fluggesellschaften. Zum Beweis der Tatsache, dass die durch die Fluggäste
begründete Nachfrage nach Luftverkehrsdienstleistungen gerade nicht auf
Nachtflüge gerichtet sei und dass seitens der Fluggäste als maßgebliche Nach-
frager eine (Flug-)Reisezeit während der Nacht weit überwiegend abgelehnt
werde, haben sie die Einholung eines Sachverständigengutachtens beantragt
(Beweisantrag Nr. 3). Die unter Beweis gestellte Tatsache ist nicht entschei-
dungserheblich. Maßgebend für den Nachtflugbedarf ist nicht die innere Hal-
tung der Fluggäste, sondern ihr tatsächliches Nachfrageverhalten. Dieses ist
uneinheitlich und wird nicht nur durch die Flugzeiten, sondern durch eine Viel-
zahl weiterer Faktoren, u.a. durch den Flugpreis, bestimmt. Zum tatsächlichen
Nachfrageverhalten liegt mit dem Nachtflug-Gutachten von I. ein verwertbares
Gutachten vor. Unabhängig hiervon werden die Ergebnisse dieses Gutachtens
durch die von den Klägern vorgelegte Emnid-Umfrage (Anlage K 67 zum
Schriftsatz vom 31. August 2011) nicht infrage gestellt. Auch nach dem Gutach-
ten werden Flüge in 2020 weit überwiegend während des Tages und nur zu
etwa 7 % während der Nacht nachgefragt. In dieser Größenordnung haben
auch die von Emnid Befragten angegeben, am liebsten während der Nacht-
stunden abzufliegen (11 %) oder anzukommen (7 %). Anhaltspunkte dafür,
dass die Luftverkehrsgesellschaften, um eine Nachfrage nach Nachtflügen her-
vorzurufen, verlustbringende Flüge durchführen, hat der Beklagte im Übrigen
nicht festgestellt (PEB S. 77 Abs. 4). Seine Ermittlungen haben vielmehr erge-
ben, dass in der Nacht signifikant mehr Passagiere pro Flug befördert werden
als am Tag (PEB S. 112 Abs. 2).
2.2 Planungsziele
Die Verkehre, die der Beklagte in der Nacht zugelassen hat, sind von den Pla-
nungszielen für den Ausbau des Flughafens Berlin-Schönefeld umfasst. Die
Planungsziele ergeben sich aus dem Planfeststellungsbeschluss für den Flug-
hafenausbau vom 13. August 2004. Die Planfeststellungsbehörde hat sie im
Planergänzungsbeschluss zutreffend zusammengefasst. Der Ausbau des Flug-
hafens Berlin-Schönefeld dient hiernach dem durch die Landesplanung vorge-
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- 34 -
gebenen Ziel, den künftigen nationalen und internationalen Luftverkehrsbedarf
der Länder Berlin und Brandenburg durch Konzentration auf einen einzigen
Flughafenstandort zu decken (PEB S. 160 Abs. 5, S. 161 Abs. 3). Durch die
Bündelung der Verkehrsströme von den bisherigen Standorten Tegel, Tempel-
hof und Schönefeld auf dem Flughafen Berlin-Schönefeld soll ein Flughafen für
die Hauptstadt Berlin und die Metropolregion Berlin-Brandenburg entstehen,
dessen Verkehrsbedeutung zwar nicht an die größeren Flughäfen Frankfurt
Main und München heranreichen wird, der aber doch eine herausragende, über
die bisherigen Berliner Flughäfen hinausgehende Bedeutung erlangt (PEB
S. 162 Abs. 3) und damit zu einem insgesamt verbesserten Flugangebot führt.
Durch einen Zuwachs der Umsteigeverkehre soll insbesondere der in Berlin
bisher nur schwach ausgeprägte (PEB S. 101 Abs. 2) Interkontinentalverkehr
stärker entwickelt werden. Nicht zuletzt hierfür wird der Flughafen erstmals mit
Start- und Landebahnen von mehr als 3 500 m Länge ausgestattet (PFB
S. 335). Darüber hinaus soll der ausgebaute Flughafen spezifische Funktionen
Berlins als Hauptstadt und Regierungssitz erfüllen. Unter anderem im Hinblick
hierauf hat das Bundesministerium für Verkehr als oberste Luftfahrtbehörde der
Bundesrepublik Deutschland das öffentliche Interesse des Bundes am Ausbau
des Flughafens bejaht (PFB S. 344 Abs. 6). Von Bedeutung ist im vorliegenden
Zusammenhang schließlich das Ziel, durch den Ausbau des Flughafens die re-
gionale Wirtschaftskraft Berlins und Brandenburgs zu stärken und zu erhalten
(PEB S. 148 f.; PFB S. 348 f.). Dieses Ziel ist für sich allein betrachtet zwar
nicht geeignet, die Zulassung von Nachtflugverkehr zu rechtfertigen (vgl. Urteil
vom 26. April 2007 - BVerwG 4 C 12.05 - BVerwGE 128, 358 Rn. 52; Beschluss
vom 1. April 2009 - BVerwG 4 B 61.08 - NVwZ 2009, 910 Rn. 62). Es kann je-
doch für die Gewichtung eines Verkehrsbedarfs von Bedeutung sein.
Sämtliche Verkehre, die der Beklagte während der Nacht zugelassen hat, sind
von den dargelegten verkehrlichen Planungszielen umfasst. Das gilt auch für
Flüge im Zusammenhang mit der Luftfahrzeuginstandhaltung. Ihre Zulassung
dient nicht allein der Stärkung der Region als Standort von Instandhaltungsbe-
trieben, sondern in erster Linie der Aufrechterhaltung des regelmäßigen Flugbe-
triebs im Passagier- und Frachtverkehr (vgl. Urteil vom 24. Juli 2008 - BVerwG
4 A 3001.07 - Buchholz 442.40 § 8 LuftVG Nr. 31 Rn. 75).
86
- 35 -
2.3 Nachtfluggründe
Der Beklagte hat im Planergänzungsbeschluss sachliche Gründe, weshalb die
einzelnen Verkehre nicht befriedigend innerhalb der Tagstunden abgewickelt
werden können, plausibel dargelegt.
2.3.1 Hub-Feeder-Verkehr
Die sinnvolle Vernetzung eines Flughafens mit in- und ausländischen Passa-
gierdrehkreuzen ist ein Grund für die Zulassung von Flugbetrieb in den Nacht-
randstunden; das ist in der Rechtsprechung des Senats anerkannt (Urteil vom
24. Juli 2008 a.a.O. Rn. 41 ff.). Der Beklagte hat dargelegt, dass bereits heute
die Beschränkung der Betriebszeit in Berlin-Tegel auf 6:00 bis 23:00 Uhr dazu
führt, dass die vorhandene Nachfrage nach Hub-Feeder-Flügen nicht ausrei-
chend befriedigt werden kann (PEB S. 85 Abs. 2). Der erste Flug nach Frankfurt
Main (Abflug 6:00 Uhr, Ankunft 7:10 Uhr) erreiche die Anschlüsse zu bedeut-
samen Metropolen wie Barcelona, Genf, Madrid, Mailand und Rom, zu denen
es keine Direktflüge der Lufthansa gebe, nicht mehr. Der letzte Abbringer (Ab-
flug 21:45 Uhr, Ankunft 22:50 Uhr) könne Verbindungen aus Genf, Madrid, Mai-
land und Rom ebenfalls nicht herstellen (PEB S. 82 Abs. 2, 3). Ausgehend hier-
von ist die Einschätzung, dass wichtige Zu- und Abbringerflüge zu und von in-
und ausländischen Drehkreuzflughäfen nur nachfragegerecht durchgeführt
werden können, wenn zumindest die Randstunden bis 23:30 Uhr und ab
5:30 Uhr für planmäßigen Flugbetrieb zur Verfügung stehen (PEB S. 112
Abs. 5), nicht zu beanstanden.
Die Kläger wenden ein, dass die genannten Metropolen bereits heute von Berlin
aus überwiegend direkt angeflogen würden. Direktverbindungen einer Luftver-
kehrsgesellschaft stellen die Berechtigung von nächtlichen Hub-Feeder-Flügen
einer anderen Luftverkehrsgesellschaft jedoch nicht infrage. Das Luftverkehrs-
netz, in das der Flughafen durch Hub-Feeder-Flüge eingebunden werden soll,
besteht nicht zwischen den Flughäfen als solchen; es entsteht erst durch die
von einer Luftverkehrsgesellschaft und den mit ihr in einer Allianz assoziierten
Partnern unterhaltenen Drehkreuze und die von ihnen angebotenen Flugver-
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bindungen. Ob es für eine Luftverkehrsgesellschaft sinnvoll ist, einen Hub-
Feeder-Flug anzubieten, hängt nicht von der Sinn- und Dauerhaftigkeit jeder
einzelnen Drehkreuzverbindung ab (vgl. Urteil vom 24. Juli 2008 a.a.O. Rn. 46).
Ein Hub-Feeder-Flug verbessert die Einbindung des Flughafens in das Luftver-
kehrsnetz auch dann, wenn sich die Passagiere auf eine größere Zahl von An-
schlussflügen verteilen, jedem einzelnen Anschlussflug für sich betrachtet also
nur eine geringe Bedeutung zukommt.
Die Kläger legen weiter dar, dass die Fluggesellschaften bislang den Zu- und
Abbringerverkehr vom Flughafen Tegel zu den von ihnen unterhaltenen Dreh-
kreuzen zwischen 6:00 und 23:00 Uhr abwickeln und die Betriebszeit teilweise
nicht einmal ausschöpfen. Dass der Hub-Feeder-Verkehr einen weitergehenden
Nachtflugbetrieb nicht erfordert, folgt daraus nicht. Auf dem Flughafen Tegel
muss der Hub-Feeder-Verkehr bereits wegen des dort geltenden Nachtflugver-
bots zwischen 6:00 und 23:00 Uhr abgewickelt werden. Die Zahl von nächtli-
chen Hub-Feeder-Flügen wird zwar insbesondere zwischen 23:00 und
23:30 Uhr gering sein - der Beklagte geht für die Durchschnittsnacht 2020 von
0,6 Flugbewegungen aus (PEB S. 147) -; auch diese wenigen Flugverbindun-
gen sind jedoch geeignet, die Einbindung des ausgebauten Flughafens Berlin-
Schönefeld in das Luftverkehrsnetz zu verbessern und für die Zukunft zu si-
chern.
Anhaltspunkte dafür, dass die ersten Knoten nach dem Ausbau der Flughäfen
Frankfurt Main und München - wie die Kläger meinen - später und die letzten
Knoten früher beginnen werden, sind nicht ersichtlich. Nach Einschätzung des
Beklagten wird die Erweiterung der Kapazitäten an den beiden Flughäfen viel-
mehr dazu führen, dass die Anzahl der Flüge steigt, für die eine Anschlussver-
bindung nach Berlin nicht mehr besteht (PEB S. 83 Abs. 2). Entgegen der Auf-
fassung der Kläger muss auch nicht davon ausgegangen werden, dass sich die
Fluggesellschaften aufgrund der künftigen Verkehrsbedeutung des ausgebau-
ten Flughafens Berlin-Schönefeld auf dessen Nachtbetriebsregelung einstellen
und für Anschlussverbindungen sorgen werden. Die Knotenstrukturen an den
Drehkreuz-Flughäfen haben sich über einen längeren Zeitraum gebildet. Sie
sind in erster Linie abhängig von der geographischen Lage des Flughafens und
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den Entfernungen zu den Hauptzielgebieten (A.-Gutachten S. 38). In diese
Strukturen müssen sich alle anzubindenden Anschlüsse einfügen. Dass die
Verkehrsbedeutung des ausgebauten Flughafens Berlin-Schönefeld so weit
wachsen könnte, dass er seinerseits die Knotenstrukturen prägt, liegt fern.
2.3.2 Direktverbindungen der konventionellen Fluggesellschaften
Für den Point-to-Point-Verkehr der konventionellen Fluggesellschaften hat der
Beklagte dargelegt, dass dieser Verkehr weitgehend im Tagflugbetrieb durchge-
führt und sich hieran auf absehbare Zeit nichts ändern wird (PEB S. 89 Abs. 2).
Die klassischen Pendlerstrecken würden allerdings bis 23:00 Uhr nachgefragt
(PEB S. 89 Abs. 3); ohne nächtliche Betriebsbeschränkungen wäre auch nach
23:00 Uhr und in der Kernzeit eine geringe Nachfrage vorhanden (PEB S. 90
Abs. 2). Die Direktverbindungen der klassischen Fluggesellschaften würden
auch als Hub-Feeder-Flüge genutzt; oft entstünden erst durch die Kombination
von Point-to-Point-Verkehr mit Hub-Feeder-Verkehr hinreichend starke Ver-
kehrsströme, die die Einrichtung der Verbindung ermöglichten (PEB S. 90
Abs. 4).
Auch damit ist ein sachlicher Grund für die Zulassung dieser Verkehre in den
Nachtrandstunden dargelegt. Die Kläger bestreiten die Überschneidung mit den
Hub-Feeder-Verkehren nicht. Sie machen geltend, der Beklagte habe für die
Zeit von 23:00 bis 6:00 Uhr weniger als eine Flugbewegung im klassischen
Point-to-Point-Verkehr prognostiziert (PEB S. 90 Abs. 3); inwiefern diese eine
Flugbewegung in der Lage sein sollte, die Angebotsqualität „zu stabilisieren und
nachhaltig zu verbessern“ (PEB S. 90 Abs. 4), sei nicht erkennbar. Die zitierte
Aussage bezieht sich nicht nur auf die Zeit von 23:00 bis 6:00 Uhr; sie schließt
die Stunde von 22:00 bis 23:00 Uhr mit 1,4 Flugbewegungen ein. Ausgehend
hiervon ist die Einschätzung, dass sich das Angebot an Direktverbindungen
nachhaltig verbessern kann, wenn es nicht nur die Nachfrage nach 7,3 Hub-
Feeder-Flügen, sondern zugleich die Nachfrage nach 2,3 Flugbewegungen im
klassischen Point-to-Point-Verkehr bedient, nicht zu beanstanden.
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2.3.3 Direktverbindungen der Low-Cost-Carrier und der Touristikverkehre / Um-
laufplanungen
Der Nachtflugbedarf der Low-Cost-Carrier und im Touristikbereich ergibt sich
insbesondere aus den Erfordernissen einer effektiven Umlaufplanung. Der Be-
klagte hat im Planergänzungsbeschluss dargelegt:
Die Low-Cost-Carrier versuchten, die Nachfragebedürfnisse auf Kurz- und Mit-
telstrecken so miteinander zu kombinieren, dass sie durch nahezu optimale
Einsatzdauer mit maximal möglichen Blockstunden günstige Kostenstrukturen
erreichten. Es würden bis zu vier Umläufe abgewickelt. Zu diesem Zweck wür-
den die Nachtrandzeiten bis 24:00 Uhr in Anspruch genommen. Die Rotations-
pläne ließen aufgrund der minimalen Bodenzeiten, aber auch aufgrund von Ka-
pazitätsengpässen an den Quell- und Zielflughäfen kaum Potential für eine Ver-
lagerung der Flüge in den Tag (PEB S. 91 Abs. 4).
Im Touristikverkehr stehe der Nachfrage derzeit nahezu über 24 Stunden ein
adäquates Angebot gegenüber; die Gesamtumlaufzeiten einzelner Flugzeuge
betrügen bis zu 21 Stunden; es zeigten sich ausgeprägte Touristikverkehre in
der Nachtkernzeit (PEB S. 95 Abs. 4). Die Passagiere strebten die Ausnutzung
des ersten und letzten Urlaubstages an und flögen möglichst früh morgens und
spät abends (PEB S. 97 Abs. 2). Gründe für Nachtflüge ergäben sich insbeson-
dere aus saisonalen Nachfragespitzen, dem Veranstalterkonzept, den Fluglän-
gen im Mittelstreckenbereich, Zeitverschiebungen, Erfordernissen eines effizi-
enten Fluggeräteeinsatzes und der mangelnden Verfügbarkeit von Slots und
Abfertigungsressourcen an den Zielflughäfen (PEB S. 98 Abs. 2). Die Entfer-
nung Berlins zu den wichtigsten Zielorten, die mehrheitlich im Westen und Sü-
den liegen, sei größer als von den meisten anderen deutschen Flughäfen; zur
Sicherstellung vergleichbarer Streckenangebote müsse der Flughafen Berlin-
Schönefeld entsprechend länger geöffnet sein (PEB S. 99 Abs. 1).
Damit sind sachliche Gründe für die Nutzung der Nachtrandstunden dargelegt.
Nach der Rechtsprechung des Senats können die Erfordernisse einer effektiven
Flugzeug-Umlaufplanung die Inanspruchnahme der Nachtrandzeiten rechtferti-
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gen (Urteile vom 16. März 2006 - BVerwG 4 A 1075.04 - BVerwGE 125, 116
Rn. 288 und vom 24. Juli 2008 - BVerwG 4 A 3001.07 - BVerwGE 131, 316
Rn. 48 ff.). Umlaufplanungen sind komplexe Entscheidungen, in die das erwar-
tete Passagieraufkommen, die an den Flughäfen verfügbaren Start- und Lande-
zeiten (Slots), die Möglichkeiten des Personaleinsatzes, die Wartungsmöglich-
keiten sowie hinsichtlich des eingesetzten Flugzeugtyps beispielsweise Kapazi-
tät, Reichweite und Wartungszeiten einfließen (Urteil vom 24. Juli 2008 a.a.O.
Rn. 52). Sie beruhen maßgebend auf unternehmerischen Entscheidungen der
Luftverkehrsgesellschaften. Eine umfassende Prüfung der Verlagerungsmög-
lichkeiten von Flügen innerhalb der Nacht und von der Nacht in den Tag kann
eine Planfeststellungsbehörde nicht vornehmen. Sie kann den Fluggesellschaf-
ten lediglich einen Rahmen für ihre Umlaufplanungen setzen. Davon ist der Be-
klagte zu Recht ausgegangen (PEB S. 93 Abs. 2, S. 97 Abs. 4).
Da der Beklagte sich nicht in der Lage gesehen hat, konkrete Flugpläne und
Umlaufplanungen einer umfassenden Detailprüfung zu unterziehen (PEB
S. 106 f.), hat er zur Darlegung des Nachtflugbedarfs ergänzend auf die von I.
im Nachtflug-Gutachten (Kapitel 4) untersuchten repräsentativen Musterumläu-
fe und die auf dieser Grundlage durchgeführten Modellrechnungen zurückge-
griffen. I. hat für verschiedene typische Flugstrecken und Umkehrzeiten ermit-
telt, wie viele Umläufe in 16 (6:00 bis 22:00 Uhr), 17 (6:00 bis 23:00 Uhr), 18
(5:30 bis 23:30 Uhr) und 19 (5:00 bis 24:00 Uhr) Betriebsstunden möglich wä-
ren. Den Berechnungen liegt die Annahme zugrunde, dass die gewählten Be-
triebszeiten sowohl für Berlin als auch für den Zielflughafen gelten. Betrachtet
hat I. sieben Umläufe im Shuttle-Betrieb (Nachtflug-Gutachten S. 46 ff. Tab. 4-1
bis 4-7) und zwei Umläufe mit einer Kombination von zwei Zielen (a.a.O.
S. 57 f. Tab. 4-8 und 4-9). Anschließend hat I. in einer Modellrechnung für 17
typische Flugstrecken (Shuttle-Betrieb) die Summe der Umläufe und Blockzei-
ten im Verhältnis zu den Betriebszeiten ermittelt (a.a.O. S. 60 f. Tab. 4-10 und
4-11). Sowohl ein Teil der Einzelberechnungen als auch die Modellrechnung
haben ergeben, dass die Produktivität der Flugzeuge bei einer Verlängerung
der Betriebszeit von 16 auf 17 Stunden und von 16 auf 18 Stunden überpropor-
tional zunimmt (Nachtflug-Gutachten S. 62; PEB S. 108, 109 Abs. 4). In der
Modellrechnung führt eine Verlängerung der Betriebszeit von 16 auf 17 Stunden
102
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(dies entspricht einem Zuwachs von 6,25 %) bei den Blockstunden zu einem
Zuwachs von 11,2 %, eine Verlängerung der Betriebszeit von 16 auf
18 Stunden (Zuwachs: 12,5 %) zu einem Zuwachs der Blockstunden von
19,5 %. Die Blockstunden wachsen also im Vergleich zu den Betriebsstunden
überproportional (Nachtflug-Gutachten S. 62; PEB S. 109 Abs. 4).
Die Kläger halten die Modellrechnung nicht für aussagekräftig; die Annahme,
dass die Strecken im Shuttle-Betrieb beflogen würden und dass die Betriebszei-
ten für Berlin und den Zielflughafen gleich seien, sei nicht realitätsgerecht. Die
Wirklichkeit genau abzubilden, nimmt das Modell jedoch auch nicht für sich in
Anspruch. Es soll den Zusammenhang zwischen der Länge der Betriebszeiten
der Flughäfen und den Blockstunden der Flugzeuge für unterschiedliche Um-
laufzeiten in typisierter Form aufzeigen; Vereinfachungen sind hierfür unum-
gänglich. Sie sind bei den Rückschlüssen von dem Modell auf die Wirklichkeit
zu berücksichtigen. I. hat im Übrigen nicht nur Umläufe im Shuttle-Betrieb, son-
dern auch zwei Streckenkombinationen untersucht (a.a.O. S. 57 Tab. 4-8:
Kombination von Zielen mit zweieinhalb und viereinhalb Stunden Flugzeit;
a.a.O. S. 58 Tab. 4-9: Kombination von Zielen mit 70 Minuten und 2 Stunden
Flugzeit). Auf die konkreten Flugziele kommt es für die Musterumläufe, soweit
die Flugzeiten gleich sind, im Übrigen nicht an. Dass die ausgewählten Flugzei-
ten, Umkehrzeiten und die sich daraus ergebenden Zeiten für einen Umlauf für
den von Berlin ausgehenden Flugbetrieb repräsentativ sind, stellen auch die
Kläger nicht in Abrede. Dem Beklagten war auch bewusst, dass das Modell
nicht genau der betrieblichen Wirklichkeit entspricht (PEB S. 109 Abs. 1 und 3);
er hat die Aussagekraft des Modells nicht überschätzt.
Die Kläger rügen, I. habe in der Tab. 4-6 (Flugzeit 3 ½ Stunden) einen halben
Umlauf zu wenig berücksichtigt; eine Rückkehr der Flugzeuge vom Zielort sei
nicht erst in 18, sondern bereits in 17 Betriebsstunden möglich. Dieser Einwand
dürfte berechtigt sein; die Nichtberücksichtigung des halben Umlaufs in einem
von insgesamt neun Musterumläufen ist auf das Abwägungsergebnis aber nicht
von Einfluss gewesen (§ 10 Abs. 8 Satz 1 LuftVG). Der Fehler ist in die Modell-
rechnung nicht eingegangen. Betrachtet werden dort Flugzeiten ab Berlin von
3 Stunden 20 Minuten (200 Minuten). Insoweit geht auch die Modellrechnung
103
104
- 41 -
davon aus, dass sowohl in 17 als auch in 18 Betriebsstunden zwei volle Umläu-
fe möglich sind (Nachtflug-Gutachten S. 60 f. Tab. 4-10 und 4-11).
Die quantitativen Aussagen des Nachtflug-Gutachtens zum Verhältnis von Be-
triebszeiten zu Blockstunden gelten nur für die gewählten Ausgangsdaten; an-
dere Flug- und Umdrehzeiten würden zu anderen Ergebnissen führen. Da die
betrachteten Musterumläufe für den Flugbetrieb in Berlin repräsentativ sind, ist
das Modell jedoch geeignet, den Zusammenhang zwischen den Betriebszeiten
des Flughafens und den Blockzeiten der Flugzeuge näherungsweise abzu-
schätzen. Eine weitergehende Bedeutung hat auch der Beklagte dem Modell
nicht beigemessen. Er hat lediglich angenommen, dass bei 18 Betriebsstunden
ein „deutlich effizienterer“ Flugbetrieb möglich sei als bei 16 Stunden (PEB
S. 109 Abs. 5); quantifiziert hat er diesen Effizienzgewinn - anders als in den
Modellrechnungen - nicht.
Der Beklagte ist auf der Grundlage der Analyse der Low-Cost- und der Touris-
tikverkehre sowie der repräsentativen Musterumläufe zu der Einschätzung ge-
langt, dass für effektive Umlaufplanungen Betriebszeiten von 5:30 bis 23:30 Uhr
erforderlich sind; anderenfalls wären nach seiner Einschätzung Umläufe unter
wirtschaftlich vernünftigen Bedingungen nicht mehr möglich mit der Folge, dass
wichtige Flugverbindungen entfielen und die Verkehrsfunktion des Flughafens
nicht unerheblich beeinträchtigt würde (PEB S. 98 Abs. 1, S. 111 Abs. 2). Diese
Einschätzung ist rechtlich nicht zu beanstanden. Erforderlich meint in diesem
Zusammenhang allerdings nicht, dass die Zulassung von Flugbetrieb für die
Erreichung der Planungsziele zwingend erforderlich wäre, sondern lediglich,
dass es im Interesse einer unter betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten sinn-
vollen und vertretbaren Planung vernünftigerweise geboten ist, diesen Zeitraum
für Umlaufplanungen zu öffnen. Von einer zwingenden Erforderlichkeit ist auch
der Beklagte nicht ausgegangen. Er ist zwar der Auffassung, dass ein völliges
Nachtflugverbot der Verkehrsfunktion bzw. dem Widmungszweck des Verkehrs-
flughafens Berlin-Schönefeld widerspräche (PEB S. 165 Abs. 2); dass bereits
eine weitergehende Beschränkung des Nachtflugbetriebs, insbesondere ein
grundsätzliches Nachtflugverbot von 23:00 bis 6:00 Uhr, die Verkehrsfunktion
des Flughafens insgesamt infrage stellen würde, hat er hingegen nicht ange-
105
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- 42 -
nommen. Insoweit hat er es lediglich im Hinblick auf die Planungsziele für ver-
nünftigerweise geboten gehalten, den Nachtflugbetrieb nicht weiter als von
23:30 bis 5:30 Uhr grundsätzlich zu beschränken.
Der Beklagte hat damit die Bedeutung des Nachtflugbedarfs aufgrund von Um-
laufplanungen nicht verkannt. Er hat diesem Bedarf insbesondere aufgrund der
im Zeitraum von 22:00 bis 23:30 Uhr und von 5:30 bis 6:00 Uhr relativ starken,
bereits aktuell vorhandenen Nachfrage nach Nachtflügen ein hohes Gewicht
beigemessen (PEB S. 112 Abs. 2). Das ist ausgehend von der Verkehrsfunktion
des ausgebauten Flughafens Berlin-Schönefeld rechtlich nicht zu beanstanden.
Die Erfordernisse einer effektiven Umlaufplanung sind nicht an jedem deut-
schen Verkehrsflughafen unabhängig von seiner Stellung im Luftverkehrsnetz
und seiner geographischen Lage in gleicher Weise geeignet, die Inanspruch-
nahme der Nachtrandzeiten zu rechtfertigen. An die Erreichbarkeit des einzigen
Verkehrsflughafens der Metropolregion Berlin-Brandenburg dürfen auch im Be-
reich der Low-Cost- und der Touristikverkehre höhere Anforderungen gestellt
werden als an andere Flughäfen mit einem kleineren Passagieraufkommen im
Einzugsbereich und geringerer Bedeutung als Zielgebiet. Hinzu kommt, dass
die Entfernung zu den für Berlin wichtigsten Zielorten, die mehrheitlich im Sü-
den und Westen liegen, größer ist als von den meisten anderen deutschen
Flughäfen (PEB S. 99 Abs. 1).
Die Kläger wenden ein, dass die Verkehrsfunktion des Flughafens insbesonde-
re im Bereich der Low-Cost- und der Touristikverkehre durch weitergehende
Nachtflugbeschränkungen nicht beeinträchtigt werde. Das Fluggastaufkommen
werde nicht erheblich weniger ansteigen. Für das Originäraufkommen von
Fluggästen aus der Region Berlin-Brandenburg und für Städtereisen nach Ber-
lin sei der ausgebaute Flughafen Berlin-Schönefeld praktisch ohne Alternative.
Eine Verletzung des Abwägungsgebots ergibt sich aus diesem Vortrag nicht.
Dass das Flugangebot tendenziell weniger attraktiv wird, wenn die Betriebszei-
ten beschränkt werden und sich die Kostenstrukturen der Luftverkehrsgesell-
schaften verschlechtern, liegt auf der Hand. Die Kläger halten die Folgen eines
solchen Attraktivitätsverlustes für weniger gravierend als der Beklagte. Dass
dieser mit seiner Bewertung die Bedeutung des Nachtflugbedarfs aufgrund von
107
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- 43 -
Umlaufplanungen verkannt und damit den mit der Planungsermächtigung ver-
bundenen Einschätzungs- und Bewertungsspielraum überschritten hätte, folgt
daraus nicht.
Gleiches gilt, soweit die Kläger unter Berufung auf die Flughäfen Tegel, Düs-
seldorf und Hamburg geltend machen, dass Low-Cost- und touristische Ver-
kehre auch erfolgreich zwischen 6:00 und 22:00 Uhr (Starts in Düsseldorf) bzw.
23:00 Uhr (Landungen in Düsseldorf, Starts und Landungen in Tegel und Ham-
burg) abgewickelt werden könnten. Dass auf den genannten Flugplätzen wegen
der dortigen Betriebsbeschränkungen nach 23:00 Uhr und vor 6:00 Uhr Passa-
gierverkehr nicht stattfindet, sich aber gleichwohl ein Low-Cost- und Touristik-
verkehr entwickelt hat, bedeutet nicht, dass ein weitergehender Nachtflugbedarf
auf dem ausgebauten Flughafen Berlin-Schönefeld nicht besteht. Der Beklagte
hat einen solchen Bedarf dargelegt. Er verkennt das Gewicht dieses Bedarfs
nicht, wenn er an die Erreichbarkeit des Flughafens Berlin-Schönefeld höhere
Anforderungen stellt als an die von den Klägern herangezogenen Flughäfen.
Mit dem Flughafen Berlin-Tegel ist der ausgebaute Flughafen Berlin-Schönefeld
im Übrigen schon deshalb nicht zu vergleichen, weil er der einzige Verkehrs-
flughafen der Region Berlin-Brandenburg sein wird. Anders als auf dem Flugha-
fen Berlin-Tegel darf auf dem Flughafen Berlin-Schönefeld bis zur Inbetrieb-
nahme der neuen Südbahn während der gesamten Nacht geflogen werden.
Insbesondere die touristischen Verkehre machen von dieser Ausweichmöglich-
keit Gebrauch. Von 4 469 Nachtflügen zu touristischen Zielen wurden in 2008
1 181 Flüge auf dem Flughafen Berlin-Schönefeld in der Nachtkernzeit durch-
geführt (Nachtflug-Gutachten S. 29 Tab. 3-3).
Entgegen der Auffassung der Kläger hat der Beklagte auch nicht ein öffentli-
ches Interesse an Flügen „zu jedem Preis“ bejaht. Er ist vielmehr davon ausge-
gangen, dass ein Nachtflug in der Regel nur durchgeführt wird, wenn es neben
dem Preis auch andere Gründe für eine entsprechende Nachfrage gibt, wie z.B.
die Ausnutzung des ersten bzw. letzten Urlaubstages bei Privatreisenden oder
die Nutzung ganzer Arbeitstage bei Geschäftsreisenden (PEB S. 114 Abs. 2).
109
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- 44 -
Unbegründet ist schließlich der Vorwurf, dass es sich bei den zur Rechtferti-
gung des Nachtflugbetriebs angeführten Gründen, insbesondere den Erforder-
nissen einer effektiven Umlaufplanung, ausschließlich um private und kommer-
zielle Belange der Beigeladenen und der Fluggesellschaften handele. Es ist ein
Ziel der Landesplanung, den Flughafen Berlin-Schönefeld zur Deckung des na-
tionalen und internationalen Luftverkehrsbedarfs der Länder Berlin und Bran-
denburg weiterzuentwickeln (Z 1 LEP FS vom 30. Mai 2006, GVBl Bbg II
S. 154). Der Ausbau des Flughafens Berlin-Schönefeld zum einzigen Verkehrs-
flughafen der Region Berlin-Brandenburg dient der Umsetzung dieses Ziels. Es
liegt nicht nur im privaten Interesse der Beigeladenen und der Luftverkehrsge-
sellschaften, sondern auch im öffentlichen Interesse, den Luftverkehr, für den
der Flughafen ausgebaut wird, durch bedarfsgerechte Betriebsregelungen zu
ermöglichen. Davon ist der Beklagte zu Recht ausgegangen (PEB S. 112
Abs. 5, S. 161 f.). Die kommerziellen Interessen der Beigeladenen, der Luftver-
kehrsgesellschaften und der Touristikunternehmen einerseits und die Interes-
sen der Passagiere andererseits müssen im Übrigen nicht gegenläufig sein.
Eine frühe Ankunft am Zielort und eine möglichst späte Abreise können - ins-
besondere bei Kurzurlauben und Geschäftsreisen - auch im Interesse der Pas-
sagiere liegen. Auch die Möglichkeit, die Reise zu einem günstigen Preis anzu-
bieten, liegt sowohl im Interesse der Luftverkehrsgesellschaften und Reisever-
anstalter als auch der Passagiere.
2.3.4 Interkontinentalverkehr
Für den Interkontinentalverkehr hat der Beklagte im Planergänzungsbeschluss
dargelegt, dass sich für Flugverbindungen in bestimmte Regionen der Welt auf-
grund der Zeitverschiebungen und der Streckenlängen relativ enge Zeitfenster
entwickelt hätten (PEB S. 102 Abs. 4, S. 104 Abs. 1). Aufgrund der geographi-
schen Lage Berlins müssten die Abflüge in Richtung Fernost/Asien später erfol-
gen als von weiter westlich gelegenen Flughäfen (PEB S. 103 Abs. 2). Um die
Wirtschaftlichkeit der Langstreckendienste zu sichern, müsse zudem ein Zu-
und Abbringernetz von innerdeutschen und Europadiensten das örtliche Auf-
kommen unterstützen (PEB S. 101 Abs. 4). Die morgendliche Ankunft der Inter-
kontinentalflüge müsse der ersten Abflugwelle zu innerdeutschen und europäi-
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113
- 45 -
schen Zielen, die zwischen 6:00 und 7:00 Uhr liege, vorlaufen; deshalb sei es
wichtig, dass Landungen im Interkontinentalverkehr ab 5:30 Uhr möglich seien
(PEB S. 102 Abs. 5). Entsprechend müsse der Abflug im Interkontinentalver-
kehr den letzten zwischen 22:00 und 23:00 Uhr eintreffenden Ankünften nach-
laufen, also auch die Zeitscheibe bis 23:30 Uhr nutzen können (PEB S. 103
Abs. 3).
Damit ist ein sachlicher Grund für die Nutzung der Nachtrandzeiten von 22:00
bis 23:30 Uhr und von 5:30 bis 6:00 Uhr plausibel dargelegt. Die Besonderhei-
ten des Interkontinentalverkehrs sind nach der Rechtsprechung des Senats ge-
eignet, die Inanspruchnahme der Nachtrandzeiten zu rechtfertigen (Urteil vom
16. März 2006 - BVerwG 4 A 1075.04 - BVerwGE 125, 116 Rn. 288). Die Klä-
ger wenden im Wesentlichen ein, dass der Interkontinentalverkehr auf die Inan-
spruchnahme der Nachtrandzeiten nicht angewiesen sei; auf den Flughäfen
Düsseldorf und Berlin-Tegel werde er jedenfalls zwischen 6:00 und 23:00 Uhr
abgewickelt. Der im Planergänzungsbeschluss dargelegte weitergehende Be-
darf an nächtlichen Interkontinentalflügen auf dem ausgebauten Flughafen Ber-
lin-Schönefeld wird dadurch nicht infrage gestellt. Mit dem Flughafen Berlin-
Tegel ist der künftige „Single-Airport“ Berlin-Brandenburg - wie bereits darge-
legt - auch im Hinblick auf den Interkontinentalverkehr nicht zu vergleichen. In
2008 wurden 402 von insgesamt 978 nächtlichen Interkontinentalflügen nicht in
Tegel, sondern auf dem Flughafen Berlin-Schönefeld in der Nachtkernzeit
durchgeführt (Nachtflug-Gutachten S. 35 Tab. 3-6). Eine solche Ausweichmög-
lichkeit wird es nach Inbetriebnahme der neuen Südbahn nicht mehr geben. Im
Übrigen geht es nicht nur darum, den ausgebauten Flughafen Berlin-Schöne-
feld überhaupt mit interkontinentalen Destinationen zu verbinden, sondern den
Reisenden am Zielflughafen attraktive Anschlussverbindungen anbieten zu
können. Dies setzt eine Einbindung in die dortigen Drehkreuze voraus (PEB
S. 103 f.).
Der Beklagte durfte dem Nachtflugbedarf für den Interkontinentalverkehr ein
hohes Gewicht beimessen. Gerade im Bereich des Interkontinentalverkehrs soll
die Konzentration des gesamten Berliner Flugverkehrs auf einen Standort ein
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- 46 -
verbessertes Flugangebot ermöglichen. Die Zulassung von Flugbetrieb in den
Nachtrandstunden kann dieses Ziel befördern.
2.3.5 Luftfrachtverkehr
Gründe für die Nutzung der Nachtrandzeiten von 22:00 bis 23:30 Uhr und 5:30
bis 6:00 Uhr für Frachtflüge ergeben sich aus den Abläufen der Logistik. Der
Beklagte hat hierzu im Planergänzungsbeschluss dargelegt:
Der üblichen Logistik des Luftfrachtverkehrs auf Nicht-Hub-Flughäfen entspre-
chend würden die Sendungen abends nach Beendigung der Produktion einge-
sammelt, zum Flughafen transportiert, dort verladen und „gebündelt“ zu einem
Hub-Flughafen geflogen, dort nachts zusammen mit den anderen ankommen-
den Waren auf die Ziele bzw. die entsprechenden Flugzeuge verteilt, die dann
in den frühen Morgenstunden, vor Produktionsbeginn, an den Zielflughäfen lan-
den. Für diese Logistikkette sei die Nutzung der Nachtrandzeiten an den Nicht-
Hub-Flughäfen von entscheidender Bedeutung (PEB S. 116 Abs. 3).
Das ist plausibel. Der Beklagte hat den Bedarf an nächtlichem Luftfrachtverkehr
entgegen der Auffassung der Kläger auch nicht überschätzt. Dass der Fracht-
im Vergleich zum Passagierverkehr in Berlin nur eine untergeordnete Rolle
spielt und spielen wird, hat er erkannt; er weist aber unwidersprochen darauf
hin, dass fast zwei Drittel (61,9 %) der Flugbewegungen nachts stattfinden
(PEB S. 115 Abs. 4). Dass er der Deckung dieses Bedarfs trotz des geringen
Aufkommens eine erhebliche Bedeutung für Berlin als Wirtschaftsraum (PEB
S. 119 Abs. 4) beimisst, ist nicht zu beanstanden. Auch ein geringes Frachtauf-
kommen kann für bestimmte Produktionsabläufe von entscheidender Bedeu-
tung sein. Der nächtliche Frachtverkehr kann auch nicht - wie die Kläger weiter
meinen - zu vergleichbaren Bedingungen über den Flughafen Leipzig/Halle ab-
gewickelt werden. Die Transportwege würden sich verlängern; zudem haben
die Expressdienstleister TNT, UPS und FedEx - anders als DHL - ihre Verteil-
zentren nicht in Leipzig/Halle, sondern in Berlin und Umgebung (A.-Stellung-
nahme vom 23. Januar 2009 S. 26 - 29, Beiakte 16 Bl. 1211 <1235 - 1238>).
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- 47 -
2.3.6 Luftpostverkehr
Für Nachtpostflüge (A II 5.1.1 Nr. 4 a PFB i.d.F. des PEB) hat der Beklagte ei-
nen standortspezifischen Bedarf auch für die Kernzeit der Nacht zu Recht an-
erkannt. Postflüge sind auf die Nutzung der Nachtkernzeit angewiesen. Sie sind
seit mehreren Jahrzehnten ein fester Bestandteil des Luftverkehrsgeschehens
(Urteil vom 24. Juli 2008 - BVerwG 4 A 3001.07 - Buchholz 442.40 § 8 LuftVG
Nr. 31 Rn. 76). Die Deutsche Post AG hatte zwar mit Schreiben vom 22. Juli
2009 (Beiakte 17 Bl. 1824) mitgeteilt, dass innerdeutsche Nachtluftpostflüge
von und nach Berlin mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit künftig
auch bei saisonal erhöhtem Briefaufkommen nicht mehr erforderlich seien. Der
Beklagte ist dieser Einschätzung jedoch zu Recht nicht gefolgt. Hauptgrund für
ein Nachtflugpostnetz ist die Einhaltung der Zustellquote im Rahmen der Brief-
laufzeit „E + 1“ nach § 2 Nr. 3 PUDLV. Die Einschätzung des Beklagten, dass
Nachtflüge zur Einhaltung dieser Quote weiter erforderlich sein können, hat sich
nach Erlass des Planergänzungsbeschlusses als richtig erwiesen. Die Deut-
sche Post AG führt seit dem 30. November 2009 wieder sechs Nachtflüge
durch. Sie hat selbst eingeräumt, dass die Brieflaufzeiten im Inland nach Ein-
stellung der Flüge in einzelnen Verkehrsrelationen nicht mehr die gewünschten
Qualitätsstandards erreicht haben (Schreiben vom 21. Oktober 2009, Beiak-
te 18 Bl. 2039). Der Flughafen Leipzig/Halle wäre für diese Flüge keine gleich-
wertige Alternative. Der Flughafen Berlin-Schönefeld ist aufgrund seiner geo-
graphischen Lage deutlich besser geeignet, den Briefverkehr auf der großen
Distanz zwischen dem Südwesten und dem Nordosten Deutschlands in kurzer
Zeit abzuwickeln.
2.3.7 Allgemeine Luftfahrt
Der nächtliche Taxi- und Werkverkehr hat nach Einschätzung des Beklagten
trotz seines geringen Aufkommens - für die Durchschnittsnacht 2020 wird mit
0,9 Flugbewegungen gerechnet (PEB S. 147) - für den Wirtschafts-, Kultur- und
Medienstandort Berlin-Brandenburg eine wichtige Bedeutung. Er werde genutzt,
um zeitkritische geschäftliche Termine wahrzunehmen, wenn die Luftverkehrs-
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- 48 -
gesellschaften keine geeigneten Verbindungen bereit hielten (PEB S. 129
Abs. 2).
Damit ist ein Nachtflugbedarf plausibel dargelegt. Er ergibt sich aus der Er-
reichbarkeit der Metropolregion Berlin-Brandenburg im Taxi- und Werkverkehr
auch während der frühen Morgen- und späten Abendstunden. Der Taxi- und
Werkverkehr ergänzt insoweit den Linienverkehr. Dass er nach der Zahl der
Flugbewegungen und der Passagiere gegenüber dem Linienverkehr nur eine
untergeordnete Rolle spielen wird, steht der Anerkennung des vorhandenen
Bedarfs nicht entgegen.
2.3.8 Ausbildungs- und Übungsflüge
Mit der in A II 5.1.1 Nr. 6 PFB i.d.F. des PEB getroffenen Regelung hält der Be-
klagte an der bereits im Planfeststellungsbeschluss enthaltenen inhaltsgleichen
Regelung A II 5.1.1 Nr. 4 fest. Die Kläger verteidigen insoweit zwar die Zuläs-
sigkeit ihrer Klage; aus welchen Gründen die Regelung rechtswidrig sein sollte,
legen sie jedoch nicht dar. Hierfür ist auch nichts ersichtlich.
2.3.9 Flüge im Zusammenhang mit der Luftfahrzeuginstandhaltung
Wartungsflüge dienen der Aufrechterhaltung des regelmäßigen Flugbetriebs
und dürfen jedenfalls in dem Umfang zugelassen werden, in dem ihre Verkehre
die Nachtzeit in Anspruch nehmen können (Urteil vom 24. Juli 2008 a.a.O.
Rn. 73, 75). Nach A II 5.1.1 Nr. 4 d PFB i.d.F. des PEB sind Starts und Landun-
gen von Luftfahrzeugen bei deren Bereitstellung und instandhaltungsbedingter
Überführung als Leerflüge über die reguläre Betriebszeit hinaus bis 24:00 Uhr
und ab 5:00 Uhr zulässig. Zur Begründung dieser Regelung hat der Beklagte
dargelegt: Wegen der Einbindung der Flugzeuge in die täglichen Umläufe und
der hohen Auslastung müssten die Instandhaltungsarbeiten möglichst in den
Nachtstunden, insbesondere der Nachtkernzeit, durchgeführt werden. Nächtli-
che Betriebsbeschränkungen könnten zu erheblichen Ineffizienzen führen,
wenn instandgesetzte Flugzeuge am Morgen nicht rechtzeitig dem Flugzeug-
umlauf zugeführt bzw. die Flugzeuge zur Wartung und Instandsetzung nicht
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unmittelbar nach Beendigung ihres Einsatzes zum Flughafen Berlin-Schönefeld
verbracht werden könnten (PEB S. 133 Abs. 3). Bereitstellungs- oder Positio-
nierungsflüge als Leerflüge seien darüber hinaus notwendig, falls ein Ersatz-
flugzeug von oder nach Berlin zu überführen sei (PEB S. 133 Abs. 4).
Damit ist ein Nachtflugbedarf bis 24:00 Uhr und ab 5:00 Uhr plausibel darge-
legt. Es geht um größere Wartungsarbeiten, wie die A- und C-Checks, die nur
an technisch hierfür ausgestatteten Standorten durchgeführt werden können
(PEB S. 132 Abs. 2). Da Wartung und Instandsetzung die reguläre Umlaufpla-
nung möglichst nicht beeinträchtigen sollen, besteht ein berechtigtes Interesse
an der Möglichkeit, derartige Leerflüge dem regulären Flugbetrieb zeitlich vor-
bzw. nachlaufen zu lassen. Gleiches gilt für die Bereitstellung von Ersatzflug-
zeugen.
Die Kläger machen auch hier geltend, dass der geringe Umfang des Verkehrs
- der Beklagte geht für die Durchschnittsnacht 2020 von 1,3 Flugbewegungen
aus (PEB S. 147) - gegen einen Nachtflugbedarf spreche. Das ist - wie bereits
dargelegt - nicht der Fall. Sie meinen weiter, es bleibe unklar, welche Flugzeu-
ge über Nacht nach Berlin zur Wartung verbracht werden müssten. Leerflüge
sind erforderlich für Flugzeuge, die außerhalb ihrer regulären Umlaufplanung
nur zur Wartung nach Berlin kommen; von welchen Flughäfen sie anfliegen, ist
nicht relevant. Die Kläger meinen schließlich, bei Flugzeugen, die als Ersatz für
ein defektes Flugzeug beschafft werden müssten, sei es eben so, dass es zu
Verspätungen komme; in besonderen Fällen werde man sich mit Ausnahmege-
nehmigungen behelfen können. Die Vermeidung von Verspätungen liegt jedoch
auch im öffentlichen Interesse (Urteil vom 24. Juli 2008 a.a.O. Rn. 55). Wenn
die Notwendigkeit, ein Ersatzflugzeug zu beschaffen, Bereitstellungsflüge wäh-
rend der Nachtrandzeiten generell rechtfertigt, besteht kein Grund für eine Ein-
zelfallprüfung. Ohne Not wird im Übrigen keine Fluggesellschaft Leerflüge
durchführen.
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2.3.10 Sonderverkehre
Die Zulassung von Sonderverkehren greifen die Kläger, nachdem der Prozess-
bevollmächtigte des Beklagten in der mündlichen Verhandlung auf Anraten des
Gerichts erklärt hat, dass Militärflüge im Sinne des Abschnitts A II 5.1.1 Nr. 3 c
PFB i.d.F. des PEB nur Flüge von Luftfahrzeugen der Flugbereitschaft des
Bundesministeriums der Verteidigung und von Gastluftfahrzeugen der Regie-
rungen oder militärischer Einrichtungen anderer Staaten sind, nicht mehr an.
2.3.11 Verspätungen und Verfrühungen
Zur Begründung des Nachtflugbedarfs für verspätete Landungen bis 24:00 Uhr,
verfrühte Landungen ab 5:00 Uhr, verspätete Starts im Interkontinentalverkehr
bis 24:00 Uhr (A II 5.1.1 Nr. 4 b und c PFB i.d.F. des PEB) sowie verspätete
Landungen von nicht lärmarmen Flugzeugen bis 23:00 Uhr (A II 5.1.1 Nr. 5 PFB
i.d.F. des PEB) hat der Beklagte ausgeführt:
Unpünktlichkeiten im internationalen Luftverkehr ließen sich auch in Zukunft
nicht vollständig vermeiden (PEB S. 143 Abs. 2); es sei aber nicht erkennbar,
dass die Fluggesellschaften die Verspätungen oder Verfrühungen gezielt er-
zeugten bzw. deren Konsequenzen bewusst in Kauf nähmen (PEB S. 143
Abs. 3). Planmäßige Flüge müssten auch bei Verspätungen landen können und
zwar möglichst auf dem Zielflughafen; eine Umleitung auf einen anderen Flug-
hafen sei mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden. Geeignete Ausweichflug-
häfen stünden in näherer Umgebung nicht zur Verfügung (PEB S. 143 Abs. 4).
Frühankünfte träten vor allem im Interkontinentalverkehr auf. Ohne Landemög-
lichkeit müsste das Flugzeug in Warteschleifen in der Luft bleiben - mit allen
ökonomischen und ökologischen Folgen (PEB S. 142 Abs. 3).
Damit ist ein Bedarf für die Verspätungsregelungen plausibel dargelegt. Da die
Personenbeförderung im Luftverkehr Bestandteil des öffentlichen, für jeden
Nutzer zugänglichen Verkehrs ist, besteht ein allgemeines Interesse daran, den
Luftverkehr möglichst planmäßig abzuwickeln (Urteil vom 24. Juli 2008 a.a.O.
Rn. 55); dieses Interesse besteht auch im Luftfrachtverkehr. Das Ausweichen
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auf andere Flughäfen stört die Abwicklung des Luftverkehrs erheblich; auch die
Passagiere werden dadurch in hohem Maße belastet. Das gilt bereits dann,
wenn - wie bislang mit dem Flughafen Berlin-Schönefeld für den Flughafen Ber-
lin-Tegel - ein Ausweichflughafen in der Nähe vorhanden ist. Dass der Beklagte
die Flexibilität des Berliner Flughafensystems aus anderen Gründen, insbeson-
dere zur Reduzierung der Lärmbetroffenheiten (vgl. Urteil vom 16. März 2006
- BVerwG 4 A 1075.04 - BVerwGE 125, 116 Rn. 109 ff.), selbst aufgegeben hat,
steht der Anerkennung eines Bedarfs nicht entgegen. Dass Verfrühungen - wie
die Kläger weiter geltend machen - vermeidbar sind, ist nur teilweise richtig.
Eine Verlangsamung des Fluges ist nur innerhalb gewisser Grenzen möglich
(Urteil vom 24. Juli 2008 a.a.O. Rn. 56; PEB S. 142 Abs. 4). Warteschleifen
sind aus den im Planergänzungsbeschluss (S. 142 Abs. 3) dargelegten Grün-
den keine eindeutig bessere Alternative. Schließlich weisen die Kläger auf den
ebenfalls stadtnahen Flughafen Düsseldorf hin, der sich auch hinsichtlich der
Verspätungsregelungen erhebliche Restriktionen zum Schutz der Anwohner
gefallen lassen müsse. Für die Abendstunden hat allerdings auch der Flughafen
Düsseldorf eine Verspätungsregelung (Nachtflug-Gutachten S. 67). Lediglich
am Morgen werden Landungen erst ab 6:00 Uhr zugelassen - ohne Ausnahme
für Verfrühungen. Ein Bedarf für verfrühte Landungen auf dem Flughafen Ber-
lin-Schönefeld ist, auch wenn ihre Zahl gering ist, belastbar dargelegt. Dass der
Flughafen Düsseldorf ohne eine solche Regelung auskommen muss, obwohl
dort ebenfalls Interkontinentalverkehr stattfindet, muss sich der Flughafen Ber-
lin-Schönefeld nicht entgegenhalten lassen.
2.4 Verlagerbarkeit von Flugbewegungen
Die Kläger haben zum Beweis der Tatsache, dass es ungeachtet der dargeleg-
ten Nachtfluggründe möglich sei, die von I. im Rahmen der Bedarfsprognose für
die Zeitscheiben 22:00 bis 22:30 Uhr, 23:00 bis 23:30 Uhr und 5:30 bis 6:00 Uhr
prognostizierten/hochgerechneten Flüge - hilfsweise bezogen auf die jeweiligen
Verkehrssegmente - auf die - bezogen auf die drei Zeitscheiben zwischen 22:00
und 23:30 Uhr - jeweils vorgelagerte halbstündige Zeitscheibe bzw. hinsichtlich
der Zeitscheibe zwischen 5:30 und 6:00 Uhr auf die nachgelagerte Zeitscheibe
zu verlagern, die Einholung eines Sachverständigengutachtens beantragt (Be-
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- 52 -
weisantrag Nr. 2). Zur Begründung haben sie ausdrücklich darauf hingewiesen,
dass es nicht um die Betrachtung einzelner prognostischer Flugbewegungen
gehe, sondern darum, ob die in den verschiedenen Zeitscheiben prognostizier-
ten Flüge in den jeweiligen Verkehrssegmenten befriedigend in den vorgelager-
ten bzw. in den nachgelagerten Zeitscheiben abgewickelt werden können. Ob
und inwieweit ein Verkehrsbedarf befriedigend innerhalb der Tag- und der an-
grenzenden Nachtrandstunden abgewickelt werden kann, ist keine dem Beweis
zugängliche Tatsachen-, sondern eine Rechtsfrage. Wie bereits dargelegt, ist
maßgebend, welche Gründe geeignet sind, die Inanspruchnahme der Nacht-
randzeiten zu rechtfertigen, und wie diese Gründe insbesondere im Hinblick auf
die Verkehrsfunktion des Flughafens und seine Stellung im Luftverkehrsnetz zu
gewichten sind.
2.5 Regionalwirtschaftliche Aspekte
Der Beklagte hat die regionalwirtschaftlichen Auswirkungen einer Beschrän-
kung des nächtlichen Flugbetriebs ausreichend ermittelt. Er hat die Bedeutung
der regionalwirtschaftlichen Belange nicht überschätzt.
Der Beklagte ist davon ausgegangen, dass die Realisierung des Ausbauvorha-
bens positive wirtschaftliche und strukturelle Effekte für die Hauptstadtregion
haben werde (PEB S. 155 Abs. 1). Die im Gutachten der Beigeladenen (Ar-
beitsgemeinschaft IfV Köln / KE-Consult, Regionalwirtschaftliche Effekte einer
Betriebsgenehmigung mit Kernruhezeit für den Airport Berlin Brandenburg In-
ternational BBI vom 20. Juni 2007, Beiakte 1) herausgearbeiteten Ursachenbe-
ziehungen zwischen der Steigerung der Verkehrsnachfrage und -leistung an
einem Flughafen in Relation zu Flugbetriebsbeschränkungen in den Nachtzei-
ten und der von diesem Flughafen ausgehenden direkten Beschäftigungswir-
kungen seien plausibel, wenn auch die Zahlen möglicherweise nicht exakt be-
legbar seien (PEB S. 155 Abs. 3). Insgesamt änderten die verfügten Flugbe-
schränkungen zur Nachtzeit nichts daran, dass das Ausbauvorhaben generell
geeignet sei, positive arbeitsmarktpolitische Effekte auszulösen (PEB S. 155
Abs. 4). Der Beklagte habe durch die Öffnung der Nachtrandzeiten bis
23:30 Uhr und ab 5:30 Uhr die durchaus vorhandenen negativen regionalwirt-
139
140
141
- 53 -
schaftlichen Auswirkungen von Flugbeschränkungen minimiert. Er halte die ver-
fügten Betriebsregelungen auch unter Würdigung des öffentlichen Interesses an
Arbeitsplätzen sowie der Erhaltung und Stärkung der Wirtschaftskraft der
Hauptstadtregion für vertretbar (PEB S. 156 Abs. 2).
Die Kläger meinen, dass das Gutachten der Beigeladenen die Effekte von
Flugbeschränkungen in der Nachtzeit überbewerte; der Beklagte folge dieser
Überbewertung. Es werde verkannt, dass ein Großteil des bei uneingeschränk-
tem Flugbetrieb bestehenden Verkehrs nicht wegfallen, sondern sich in den Tag
verlagern werde.
Die Einwände der Kläger sind unbegründet. Der Beklagte hat sich die quantita-
tiven Einschätzungen insbesondere der Passagierverluste in dem Gutachten
der Beigeladenen, die auch I. für überhöht gehalten hat (Bericht vom
3. Dezember 2008 S. 7, Beiakte 16 Bl. 987 <996>), nicht zu eigen gemacht. Er
musste die regionalwirtschaftlichen Auswirkungen von Nachtflugbeschränkun-
gen auch nicht weiter ermitteln oder quantifizieren, insbesondere auch nicht
- wie von den Klägern gefordert - für eine Beschränkung des Flugbetriebs auf
6:00 bis 23:00 Uhr. Denn er hat den regionalwirtschaftlichen Effekten im Rah-
men seiner Abwägung von vornherein nur eine eingeschränkte Bedeutung bei-
gemessen. Er ist zwar davon ausgegangen, dass der Flughafenausbau auch
deshalb im öffentlichen Interesse liegt, weil er der Stärkung und Erhaltung der
regionalen Wirtschaft dient (PEB S. 148 Abs. 4), und dass sich Beschränkun-
gen des nächtlichen Flugbetriebs negativ auf dieses Ziel auswirken (PEB
S. 152 Abs. 2). Den Nachtflugbedarf hat er jedoch ausschließlich auf die Nach-
frage nach Nachtflügen und die strukturellen und betrieblichen Gründe für deren
Durchführung in der Nacht gestützt, nicht auf die regionalwirtschaftlichen Effek-
te des Nachtflugbetriebs. Auch in der Gesamtabwägung hat er diese Effekte
lediglich punktuell im Zusammenhang mit den Bereitstellungs- und Überfüh-
rungsflügen und deren Bedeutung für die Flugzeuginstandhaltungsbetriebe
(PEB S. 171 Abs. 4) sowie beim Luftfrachtverkehr (PEB S. 169 Abs. 4) in seine
Erwägungen einbezogen. Die regionalwirtschaftlichen Gesamtauswirkungen
der von ihm verfügten Betriebsbeschränkungen hat er lediglich geprüft, um der
Forderung nach einer weitergehenden Zulassung von Nachtflugbetrieb und
142
143
- 54 -
dem Argument zu begegnen, dass die positiven wirtschaftlichen und strukturel-
len Effekte des Flughafenausbaus für die Region Berlin-Brandenburg durch die
verfügten Beschränkungen des nächtlichen Flugbetriebs infrage gestellt wür-
den. Die Frage, ob dies bei einer weitergehenden Beschränkung des Flugbe-
triebs, etwa auf 6:00 bis 23:00 Uhr, der Fall wäre, brauchte er nicht zu stellen,
da er eine solche Regelung im Rahmen der Abwägung schon wegen des dar-
gelegten Nachtflugbedarfs nicht als angemessen angesehen hat.
3. Ermittlung und Gewichtung der Lärmschutzbelange
Der Beklagte hat die Lärmschutzbelange der Kläger ausreichend ermittelt. Er
hat das Gewicht dieser Belange nicht zu gering eingeschätzt.
3.1 Flugroutenprognose
Welche Auswirkungen der Betrieb eines Flugplatzes auf die Anwohner und die
Umwelt hat, hängt nicht nur von Art und Umfang des Flugbetriebs auf dem
Flugplatz, sondern auch von den Flugwegen und der Flughöhe der Flugzeuge
im Luftraum ab. Der Flugbetrieb auf dem Flugplatz kann im Planfeststellungs-
verfahren geregelt werden (§ 8 Abs. 4 LuftVG), die Benutzung des Luftraums in
der Umgebung des Flugplatzes nicht (Urteil vom 11. Juli 2001 - BVerwG 11 C
14.00 - BVerwGE 114, 364 <377>). Sie wird maßgebend durch sogenannte
Flugverfahren bestimmt. Die Flugverfahren einschließlich der Flugwege, Flug-
höhen und Meldepunkte werden vom Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung
(BAF) auf der Grundlage von Vorarbeiten der Deutschen Flugsicherung GmbH
(DFS) durch Rechtsverordnung festgelegt (§ 32 Abs. 4 Nr. 8, Abs. 4c LuftVG,
§ 27a Abs. 2 Satz 1 LuftVO). Müssen die Flugverfahren für ein neues Bahnsys-
tem festgelegt werden, kann dies erst nach der Planfeststellung der neuen
Bahnen geschehen. Auch nach Inbetriebnahme des Bahnsystems können die
Flugverfahren geändert werden (vgl. Urteile vom 28. Juni 2000 - BVerwG 11 C
13.99 - BVerwGE 111, 276 und vom 24. Juni 2004 - BVerwG 4 C 11.03 -
BVerwGE 121, 152). Die Ermittlung der Lärmbetroffenheiten im Planfeststel-
lungsverfahren ist hiernach systemimmanent mit der Unsicherheit behaftet,
dass die Flugrouten für die An- und Abflüge nicht feststehen. Die Planfeststel-
144
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147
- 55 -
lungsbehörde muss nicht alle realistischerweise in Betracht kommenden Flug-
routen auf die zu erwartenden Lärmbeeinträchtigungen untersuchen; sie kann
sich auf die Betrachtung bestimmter Flugrouten beschränken. Die Flugrouten
gehören zu den prognostischen Annahmen, die der Lärmermittlung zugrunde
zu legen sind (Beschluss vom 18. August 2005 - BVerwG 4 B 17.05 - juris
Rn. 27 ).
3.1.1 Anforderungen an die Flugroutenprognose
Die prognostische Flugroutenplanung muss besonderen, sich aus ihrer Funk-
tion ergebenden Anforderungen genügen: Sie muss zum einen die Modalitäten
des Flugbetriebs hinreichend genau abbilden; zum anderen muss sie regelmä-
ßig mit dem BAF oder der DFS abgestimmt sein.
Für das Planfeststellungsverfahren genügt eine prognostische planung der
An- und Abflugverfahren - eine Detailplanung würde dem vorläufigen Charakter
der nur prognostischen Planung nicht gerecht. Auch die prognostische Planung
darf jedoch nicht beliebig „grob“ sein. Sie muss die Modalitäten des Flugbe-
triebs soweit abbilden, wie dies für die jeweilige im Planfeststellungsverfahren
zu treffende Entscheidung erforderlich ist. Für die Regelung des Flugbetriebs
muss sie nicht so genau sein wie für die Festlegung der Schutz- und Entschä-
digungsgebiete. Letztere sollen es ermöglichen, individuelle, im Wege der Ab-
wägung nicht überwindbare Schutzansprüche durchzusetzen. Über die Rege-
lung des Flugbetriebs ist hingegen auf der Grundlage einer Abwägung zu ent-
scheiden (§ 8 Abs. 1 und 4 LuftVG). Relevant für diese Abwägung ist, wie viele
Anwohner ungefähr durch Fluglärm betroffen sein werden und wie schwer die
jeweilige Betroffenheit sein wird. Welche Anwohner betroffen sein werden, ist
- anders als für die Festlegung der Schutz- und Entschädigungsgebiete - nicht
erheblich. Der Flugbetrieb wird geregelt für einen Flughafen an einem bestimm-
ten Standort mit einer bestimmten Siedlungsstruktur in seiner Umgebung. Die
Regelung soll grundsätzlich auch dann Bestand haben können, wenn andere
An- und Abflugverfahren festgelegt werden als im Planfeststellungsverfahren
angenommen wurde. Unabhängig vom Verlauf der jeweiligen Flugrouten muss
bei der Flughafenplanung davon ausgegangen werden, dass nach den örtlichen
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- 56 -
Gegebenheiten bestimmte Siedlungsgebiete durch Fluglärm betroffen werden
können. Vor diesem Hintergrund ist eine Änderung der Flugrouten für die Rege-
lung des nächtlichen Flugbetriebs unter Lärmschutzgesichtspunkten in der Re-
gel nur relevant, wenn wesentlich dichter besiedelte Gebiete auf passiven
Schallschutz angewiesen wären als angenommen.
Die Prognose der An- und Abflugverfahren muss zudem in aller Regel mit dem
BAF oder der DFS abgestimmt sein. Für hoheitliche Planungen gilt der Grund-
satz der Problembewältigung; der Planfeststellungsbeschluss muss die von
dem Planvorhaben in seiner räumlichen Umgebung aufgeworfenen Probleme
bewältigen (Urteile vom 7. März 2007 - BVerwG 9 C 2.06 - BVerwGE 128, 177
Rn. 19 und vom 1. Juli 1999 - BVerwG 4 A 27.98 - BVerwGE 109, 192 <201>).
Hierzu ist die Planung nicht in der Lage, wenn sie eine beliebige Flugroutenpla-
nung zugrunde legt; sie muss von realistischen Annahmen ausgehen. Die Pro-
gnose ist entgegen der Auffassung des Beklagten nicht erst dann fehlerhaft,
wenn die Flugroutenplanung aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen nicht
realisiert werden kann oder wenn bereits zum Zeitpunkt der Planfeststellung
definitiv feststeht, dass das BAF andere Flugstrecken festlegen wird. Ob eine
Flugroutenplanung realistisch ist, kann die Planfeststellungsbehörde regelmä-
ßig allein nicht beurteilen. Nicht sie, sondern die DFS ist für die Planung, das
BAF für die Festlegung der An- und Abflugverfahren zuständig. Ziel der Ab-
stimmung ist die Bestätigung, dass die dem Planfeststellungsantrag zugrunde
liegende prognostische Flugroutenplanung realisierbar ist und dass sie den bis-
herigen Planungen der DFS entspricht, ihre Umsetzung also realistischerweise
zu erwarten ist.
3.1.2 Prognose der DFS vom November 1997 / März 1998
Der Beklagte hat der Ermittlung der Lärmbetroffenheiten im Planergänzungs-
verfahren - wie im gesamten Planfeststellungsverfahren - eine von der DFS er-
stellte Grobplanung der Anflugstrecken vom November 1997 (Beiakte 45
2004> Bl. 29 f.) und der Abflugstrecken vom März 1998 zugrunde gelegt (a.a.O.
Bl. 84 f.). Die DFS hatte diese Planungen der bereits vor Eingang des Planfest-
stellungsantrags beim Beklagten eingerichteten „Arbeitsgruppe An- und Abflug-
151
152
153
- 57 -
verfahren EDDB“ vorgelegt. Die DFS ging bei ihrer Planung, ohne hierauf aus-
drücklich hinzuweisen, davon aus, dass die beiden Bahnen des Flugplatzes
nicht unabhängig voneinander genutzt werden sollten. In der 3. Sitzung der Ar-
beitsgruppe vom 30. März 1998 wurde sie gebeten zu prüfen, welche Auswir-
kungen Achsabstand und Schwellenversatz der Pisten auf die gleichzeitige un-
abhängige Durchführung von IFR-Flugverkehr haben (a.a.O. Bl. 79 <80>). Mit
Schreiben vom 20. August 1998
(a.a.O. Bl. 92 f.)
teilte sie mit, dass der vorge-
sehene Achsabstand (1 900 m) und der Schwellenversatz (1 250 m) keine
nachteiligen Auswirkungen auf die gleichzeitige unabhängige Durchführung des
IFR-Flugverkehrs hätten. Zugleich wies sie „deutlich“ darauf hin, dass die
gleichzeitige unabhängige Durchführung von IFR-Abflügen von beiden Pisten
unmittelbar nach dem Start eine Divergenz der Abflugkurse von mindestens 15°
erfordere. Ebenso müssten die Abflugkurse um mindestens 30° von den Fehl-
anflugkursen der jeweils anderen Piste abweichen. Da derartige Präzisierungen
in der übergebenen Grobplanung nicht berücksichtigt worden seien, sei bei der
weiteren Verwendung dieser Unterlagen ein entsprechender Toleranzbereich
zu berücksichtigen. Der Beklagte bat die Vorhabenträgerin, diese Vorgaben der
DFS bei den weiteren Planungen zu berücksichtigen (a.a.O. Bl. 95 f.).
Die Vor-
habenträgerin erwiderte, dass sie die Forderung der DFS bei der Konstruktion
der Standard Instrument Departures nicht berücksichtigt habe (a.a.O. Bl. 98 f.).
Eine exakte Berücksichtigung solcher modifizierter Abflugwege würde die De-
klarierung zusätzlicher Abflugstrecken erfordern, was nicht vorgesehen sein
könne. Sie gehe davon aus, dass die Hinweise der DFS nicht zu einer Verände-
rung der Streckengeometrie führten; anderenfalls müsste kurzfristig ein Klä-
rungsgespräch mit der DFS herbeigeführt werden. Ein solches Gespräch fand
am 29. September 1998 in der Hauptverwaltung der DFS statt; ein Ergebnispro-
tokoll liegt nicht vor. In einem nicht zu den Verwaltungsvorgängen gelangten
Schreiben vom 7. Oktober 1998 wandte sich der Geschäftsführer der Vorha-
benträgerin, Herr Dr. H., an das Bundesministerium für Verkehr mit der Bitte um
Unterstützung bei der Lösung eines Problems mit der DFS. In einer schriftlichen
Stellungnahme zum Datenerfassungssystem habe die DFS festgestellt, dass
bei gleichzeitiger unabhängiger Durchführung von IFR-Abflügen eine Divergenz
der Abflugkurse von 15° erforderlich werde. Das Ministerium werde gebeten,
Einfluss auf die DFS dahingehend zu nehmen, dass sie ihre Stellungnahme
- 58 -
zum vorliegenden Datenerfassungssystem modifiziere. Die DFS nahm mit
Schreiben vom 26. Oktober 1998 (a.a.O. Bl. 106) unter Bezugnahme auf die
Besprechungen vom 30. März und 29. September 1998 erneut Stellung. Sie
legte dar, dass die von der Vorhabenträgerin zugrunde gelegte Streckengeome-
trie grundsätzlich den derzeitigen Planungen der DFS entspreche. IFR-Anflüge
könnten bei dem geplanten Bahnabstand unabhängig voneinander durchgeführt
werden. Sie wies jedoch darauf hin, dass, um parallele Abflüge gleichzeitig von
beiden Pisten zu gewährleisten, generell eine Divergenz der Abflugwege von
15° erforderlich wäre. Dies bedeute, dass es bei den vorliegenden Abflugver-
fahren während der Verkehrsspitzen zu Abflugverzögerungen kommen könne.
Weiter wies sie darauf hin, dass die Flugverfahren nicht Gegenstand einer Plan-
feststellung seien, sondern jederzeit optimiert werden könnten. Die Festlegung
der für die Inbetriebnahme des neuen Bahnsystems notwendigen Flugverfahren
werde erst kurz vor Betriebsaufnahme erfolgen.
Im Planfeststellungsverfahren nahm die DFS als Trägerin öffentlicher Belange
mit Schreiben vom 3. Juli 2000 Stellung (Beiakte 322 Nr. 170). Zur
Möglichkeit paralleler IFR-Abflüge wiederholte sie praktisch wortgleich den In-
halt ihres Schreibens vom 26. Oktober 1998. Im Planergänzungsverfahren er-
hob sie im Anhörungsverfahren keine Einwendungen gegen das Vorhaben
(Schreiben vom 18. Januar 2008, Beiakte 6 Stellungnahme 500007). Auf eine
schriftliche Anfrage des Beklagten vom 10. Oktober 2008 (Anlage zum Schrift-
satz des Beklagten vom 25. Juli 2011) teilte sie unter dem 15. April 2009 mit,
eine kurzfristige Festlegung von Flugverfahren würde dem Grundsatz wider-
sprechen, die Verfahren erst nach einer gründlichen Abwägung aller Faktoren
einzuführen; sie könne daher noch keine konkreten Angaben zur Flugverfah-
rensplanung geben (Beiakte 17 Bl. 1576).
Auf der Grundlage dieser schriftlichen Stellungnahmen der DFS durfte der Be-
klagte - unabhängig davon, ob ihm das sogenannte H.-Schreiben bekannt war -
nicht davon ausgehen, dass die DFS für den unabhängigen Bahnbetrieb paral-
lele Abflugstrecken planen würde. Von einem abhängigen Bahnbetrieb durfte er
ebenfalls nicht ausgehen. Die Herstellung eines unabhängig benutzbaren Paral-
lelbahnsystems, auf dem An- und Abflüge auf beiden Bahnen gleichzeitig
154
155
- 59 -
durchgeführt werden dürfen, war ein wesentlicher Grund für den Ausbau des
Flughafens (PFB S. 336 Abs. 1, S. 409 Abs. 5). Der Senat hat die Entscheidung
gegen einen abhängigen und für einen unabhängigen Parallelflugbetrieb in sei-
nem Urteil vom 16. März 2006 (BVerwG 4 A 1075.04 - BVerwGE 125, 116
Rn. 221) nicht beanstandet. Der unabhängige Betrieb paralleler Bahnen unter-
liegt aber besonderen Anforderungen. Anhang 14 Band I zum Chicagoer Ab-
kommen über die Internationale Zivilluftfahrt empfiehlt für den unabhängigen
Betrieb paralleler Bahnen zunächst Mindestabstände zwischen den Bahnen,
und zwar für Ankünfte 1 035 m und für Abflüge 760 m (Nr. 3.1.12). Das ICAO-
Dokument 4444, auf das Anhang 14 hinweist, verlangt für unabhängige Abflüge
von parallelen Bahnen darüber hinaus, dass die Abflugrouten unmittelbar nach
dem Abheben um mindestens 15° divergieren sollen (Nr. 6.7.2.2 Buchst. b).
Dokument 9643 enthält eine entsprechende Regelung (Nr. 3.2 Buchst. b).
Ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen es mit den ICAO-
Vorschriften vereinbar wäre, wie am Flughafen München auch am Flughafen
Berlin-Schönefeld für gleichzeitige Abflüge parallele Abflugstrecken festzulegen,
kann offen bleiben. Eine solche Planung war mit der DFS nicht abgestimmt; sie
hatte ihre Forderung, bei gleichzeitigen Abflügen eine Divergenz der Abflug-
routen von 15° einzuhalten, nicht aufgegeben. Ihren Schreiben konnte auch
nicht die Absicht entnommen werden, die Divergenz der Abflugwege in jedem
Einzelfall mittels Flugverkehrskontrollfreigaben gemäß § 26 Abs. 2 LuftVO zu
erreichen. Während der Nacht werden parallele Starts zwar voraussichtlich
nicht benötigt; dass die DFS deshalb - wie der Beklagte meint - für die Nacht an
den parallelen Abflugstrecken festhalten würde, hatte sie in ihren Schreiben
ebenfalls nicht zu erkennen gegeben. Auch tatsächlich hat die Möglichkeit, die
Flugverfahren für Tag und Nacht differenziert zu regeln (vgl. Urteil vom 4. Mai
2005 - BVerwG 4 C 6.04 - BVerwGE 123, 322 <325, 328>), in den weiteren
Planungen der DFS keine Rolle gespielt.
Ausgehend hiervon sind die im Beweisantrag Nr. 4 unter Ziffer 3 enthaltenen
Beweisbehauptungen, dass seitens der DFS für die Nachtzeit statt festgelegter
Abflugverfahren eine individuelle Regelung der Abflugverfahren durch den je-
weiligen Fluglotsen - wie gegenüber der Formulierung des Beweisantrags sinn-
156
157
- 60 -
gemäß zu ergänzen ist - geplant gewesen sei, dass die Planungen der
DFS vorgesehen hätten, auch in der Nacht Abflugverfahren festzulegen, bei
denen die jeweiligen Routen um mindestens 15° voneinander divergieren, und
dass eine Einzelfallabwicklung der Starts in der Nacht durch Fluglotsen zu kei-
nem Zeitpunkt geplant gewesen und auch fachlich nicht geeignet sei, nicht ent-
scheidungserheblich. Gleiches gilt für die im Beweisantrag Nr. 1 enthaltene ers-
te Tatsachenbehauptung, dass Herr Ministerialrat B. mit den als Zeugen be-
nannten Herren S., K. und Ba. im Rahmen der Besprechung vom 29. Septem-
ber 1998 übereingekommen sei, dass die ursprüngliche Grobplanung der An-
und Abflugverfahren wegen des seitens der Beigeladenen geforderten unab-
hängigen Parallelbetriebs nicht mehr tragfähig und vollständig dahingehend zu
überarbeiten sei, dass Abflugverfahren mit um 15° divergierenden Abflugrouten
dargestellt werden sollten, ebenso wie für die zweite Tatsachenbehauptung,
dass Herr Ministerialrat B. nach dem Schreiben von Herrn Dr. H. vom
7. Oktober 1998 bei der DFS entweder den Zeugen S. oder den Zeugen K. an-
gerufen und diesem mitgeteilt habe, dass eine Überarbeitung der Grobplanung
entgegen den Absprachen vom 29. September 1998 nicht mehr erfolgen, son-
dern die DFS an den ursprünglich geplanten parallelen An- und Abflugverfahren
festhalten sollte. Wie bereits dargelegt, musste der Beklagte unabhängig von
diesen Beweisbehauptungen bereits aufgrund der schriftlichen Stellungnahmen
der DFS davon ausgehen, dass diese nicht an den parallelen Abflugwegen
festhalten, sondern divergierende Abflugwege planen würde.
Konsequenzen hieraus hätte der Beklagte bei der Festlegung der Schutz- und
Entschädigungsgebiete ziehen müssen; diese Gebiete hätte er nicht auf der
Grundlage paralleler Abflugrouten festlegen dürfen. Das ist im vorliegenden
Verfahren jedoch nicht mehr relevant. Die Beteiligten haben den Rechtsstreit
insoweit übereinstimmend für erledigt erklärt, nachdem der Beklagte sich ver-
pflichtet hat, nach der erstmaligen Festlegung der Routen durch das BAF die
bisher festgelegten Schutz- und Entschädigungsgebiete insgesamt neu auszu-
weisen; die Nebenbestimmungen zu den bereits festgelegten Schutz- und Ent-
schädigungsgebieten bleiben hiervon unberührt.
158
159
- 61 -
Soweit es um die Regelung des Nachtflugbetriebs geht, war hingegen die für
den abhängigen Bahnbetrieb erstellte Grobplanung der An- und Abflugrouten
ausreichend, um die Lärmbetroffenheiten auch bei unabhängigem Bahnbetrieb
abzuschätzen. Die Anflugrouten sind von dem Modus des Bahnbetriebs ohne-
hin nicht berührt; sie können auch bei unabhängigem Bahnbetrieb - wie in der
Grobplanung der DFS vom November 1997 vorgesehen - in gerader Verlänge-
rung der beiden Bahnen durchgeführt werden. Bei den Abflugrouten muss für
den unabhängigen Bahnbetrieb allerdings davon ausgegangen werden, dass
die Flugwege um bis zu 15° nach Norden oder nach Süden abknicken. Abflug-
routen in diesem Korridor würden zwar teilweise andere Gebiete betreffen als
die parallelen Abflugwege der DFS-Grobplanung; diese Gebiete wären jedoch
nicht oder jedenfalls nicht erheblich dichter besiedelt als diejenigen, die von pa-
rallelen Abflugrouten betroffen wären. Das ergibt sich bereits aus einer Grob-
analyse der Siedlungsstruktur der Flughafenumgebung. Betroffen wäre im ei-
nen wie im anderen Fall der Randbereich der Metropole Berlin; die dichter be-
siedelte Metropole selbst wäre nicht betroffen. Abflüge in Richtung Westen
- das sind etwa 2/3 aller Abflüge -, die um bis zu 15° nach Norden oder Süden
abknicken, ändern den Umfang der Betroffenheiten in dem für den passiven
Schallschutz relevanten Bereich gegenüber geraden Abflügen allenfalls un-
erheblich. Bei nach Norden abknickenden Abflügen von der Nordbahn würde
Blankenfelde-Mahlow etwas weiter nördlich überflogen. Stärker als bei geraden
Abflügen wäre Großbeeren betroffen; im Gegenzug würde Diedersdorf entlas-
tet. Um 15° nach Süden abknickende Abflüge von der Südbahn würden Blan-
kenfelde-Mahlow eher entlasten. Auch eine Berechnung der DFS für die Flug-
lärmkommission mit dem NIROS-Programm hat ergeben, dass eine abknicken-
de Route unter Lärmschutzgesichtspunkten sogar günstiger wäre als gerade
Abflüge (Präsentation „Flugverfahrensvorschläge der Fluglärmkommission für
BBI“ vom 14. Februar 2011, http://www.mil.brandenburg.de/sixcms/de-
tail.php/484669, Folien 25 ff.). Für Abflüge in Richtung Osten ist die Situation
allerdings nicht in gleicher Weise eindeutig. Die Gebiete, die bei um 15° nach
Süden abknickenden Abflügen von der Südbahn auf passiven Schallschutz an-
gewiesen wären, dürften etwas dichter besiedelt sein als die von geraden Ab-
flugstrecken betroffenen Gebiete. Der Norden von Eichwalde und Schulzendorf
würde entlastet; die Mitte von Schulzendorf, der Süden von Eichwalde und der
- 62 -
Nordrand von Zeuthen wären neu auf passiven Schallschutz angewiesen; eine
andere Größenordnung der Betroffenheiten insgesamt würde aber hierdurch
nicht erreicht. Ein Abknicken von der Nordbahn nach Nordosten würde zu Di-
rektüberflügen von Bohnsdorf in geringer Höhe und damit zu einer nicht un-
erheblichen Zunahme der besonders starken Betroffenheiten führen. Dass die-
se unter Lärmschutzgesichtspunkten ungünstigste Variante zur Umsetzung der
15°-Divergenz gewählt werden würde, war jedoch von vornherein unwahr-
scheinlich. Diese Variante musste deshalb nicht betrachtet werden. Insgesamt
bleiben damit die durch die Berücksichtigung der 15°-Toleranz möglichen Ver-
änderungen der Lärmbetroffenheiten in einem Unsicherheitsbereich, der bei der
prognostischen Flugroutenplanung für die Regelung des nächtlichen Flugbe-
triebs ohnehin mitgedacht werden muss.
Daran ändert auch der Umstand nichts, dass abknickende Abflugwege nicht
mehr im selben Korridor wie die Anflugwege verlaufen. Die Zahl der Flüge steigt
dadurch nicht; lediglich die Verteilung des Lärms ändert sich. Die Belastung
neuer Anwohner durch abknickende Abflugwege führt zugleich zu einer Entlas-
tung der durch gerade Abflüge Betroffenen. Selbst wenn diese wegen der An-
flüge auf passiven Schallschutz angewiesen bleiben, besteht diese Belastung
für viele nicht mehr bei beiden Betriebsrichtungen und damit an jedem Tag,
sondern nur noch bei einer Betriebsrichtung. Gleiches gilt für die Anwohner, die
aufgrund der abknickenden Abflugwege neu in das Nachtschutzgebiet einbezo-
gen werden müssen; auch sie benötigen den passiven Schallschutz nur bei ei-
ner Betriebsrichtung.
Dass um mehr als 15° abknickende Abflugstrecken festgelegt werden würden,
wenn dies nicht - wie z.B. bei der in der Planung der DFS vom 4. Juli 2011 ent-
haltenen Route „LUDDI-kurz“ (vgl. Anlage zum Beklagtenschriftsatz vom 1. Au-
gust 2011, Folie 20 f.), die unmittelbar nach Verlassen der Südbahn in Richtung
Osten bereits vor Erreichen von Schulzendorf stark nach rechts abbiegt - zu
einer Verringerung der Lärmbetroffenheiten führt, musste der Beklagte nicht in
Betracht ziehen; insbesondere musste er nicht von einer Verwirklichung der von
der DFS nach Erlass des Planergänzungsbeschlusses präsentierten, um mehr
als 15° nach Norden abknickenden Route über Stahnsdorf, Teltow und Klein-
160
161
- 63 -
machnow (vgl. Anlage K 62 zum Klägerschriftsatz vom 21. Dezember 2010)
ausgehen. Die DFS hatte in ihrem Schreiben vom 26. Oktober 1998 bestätigt,
dass die auf der Grundlage ihrer Grobplanung erstellte Streckengeometrie
grundsätzlich ihren Planungen entspreche; mehr als die Berücksichtigung des
Toleranzbereichs hatte sie auch im Schreiben vom 20. August 1998 nicht ge-
fordert. Hiervon war sie weder im Planfeststellungs- noch im Planergänzungs-
verfahren abgerückt. Ob sie - wie die Kläger mit der ersten Tatsachenbehaup-
tung ihres Beweisantrags Nr. 4 unter Beweis stellen - im Jahr 2009 bei der Er-
arbeitung von Luftraummodellen und hierbei durchgeführten NIROS-Berech-
nungen, Realzeit- und Schnellzeitsimulationen von der Route über Stahnsdorf,
Teltow und Kleinmachnow ausging und den Beklagten hierüber vor dem
20. Oktober 2009, jedenfalls aber vor öffentlicher Bekanntgabe des Planergän-
zungsbeschlusses im Januar 2010 informierte, ist nicht entscheidungserheblich.
Gleiches gilt für die zweite Beweisbehauptung, Mitarbeiter der Beigeladenen
hätten in einem von der DFS eingerichteten „Kernteam“ an der Erarbeitung der
Luftraummodelle mitgearbeitet und damit Kenntnis von den Modellen, der
Schnellzeitsimulation der NIROS-Berechnung und der ersten Realzeitsimulation
gehabt. Maßgebend für die Abstimmung der Flugroutenprognose mit der DFS
sind die von ihr im Planfeststellungs- und im Planergänzungsverfahren abgege-
benen schriftlichen Erklärungen. Diese enthalten keinen Hinweis auf die Route
über Stahnsdorf, Teltow und Kleinmachnow. Der Beklagte musste nicht auf je-
den zwischenzeitlichen Planungsstand der DFS bei der Vorbereitung der ver-
bindlichen An- und Abflugverfahren reagieren.
3.2 Lärmberechnung
Ausgehend von der dargelegten, für die Regelung des nächtlichen Flugbetriebs
ausreichenden Flugroutenprognose hat der Beklagte die Lärmbetroffenheiten in
der für die Abwägung relevanten Größenordnung zutreffend ermittelt. Er hat für
die bereits im Planfeststellungsverfahren ausgewählten Immissionsorte sowohl
den L
Aeq
Tag
und den L
Aeq
Nacht
als auch die mittlere tägliche Verteilung der ma-
ximalen A-Schallpegel über 55 dB(A) in der Nacht nach der 1. Fluglärmschutz-
verordnung neu berechnen lassen (Beiakte 17 Bl. 1826 ff., 1832 ff.). Die Be-
rechnungen haben im Wesentlichen die Ergebnisse des Ausgangsverfahrens
162
163
- 64 -
bestätigt (PEB S. 156 f., S. 160 Abs. 4). Hiernach werden ca. 40 000 Anwohner
auf passiven Schallschutz angewiesen sein (PEB S. 166 Abs. 1). Das den neu-
en Berechnungen zugrunde gelegte Datenerfassungssystem enthält allerdings
Eingabefehler. Das hat der Beklagte selbst eingeräumt; die Fehler beruhten auf
einer versehentlichen doppelten Eingabe der Rohdaten bei der Berechnung der
3-Sigma-Regelung nach der 1. Fluglärmschutzverordnung, der fehlenden Anla-
ge der A-Matrix-Daten für die virtuelle Bahn sowie einem Übertragungsfehler
bei den Hubschrauberstrecken. Sie führten zu einer geringen Vergrößerung des
Nachtschutzgebiets im Westen und Osten des Flughafens. Dass diese Einga-
befehler geeignet sein könnten, die der Abwägung zugrunde gelegte Größen-
ordnung der Lärmbetroffenheiten infrage zu stellen, machen die Kläger selbst
nicht geltend; hierfür gibt es auch keine Anhaltspunkte.
3.3 Lärmmedizin und Lärmwirkungsforschung
Die neueren Erkenntnisse der Lärmmedizin und der Lärmwirkungsforschung
brauchte der Beklagte für die Gewichtung der Lärmschutzbelange nicht zu wür-
digen.
Maßgebender Bezugspunkt für die Gewichtung der Lärmschutzbelange ist die
sogenannte fachplanungsrechtliche Zumutbarkeitsschwelle, bei deren Über-
schreiten passiver Schallschutz zu gewähren ist (vgl. Urteile vom 16. März 2006
- BVerwG 4 A 1075.04 - BVerwGE 125, 116 Rn. 251 und vom 21. September
2006 - BVerwG 4 C 4.05 - BVerwGE 126, 340 Rn. 34). Die Erkenntnisse der
Lärmmedizin und der Lärmwirkungsforschung sind bei der Festlegung dieser
Schwelle zu berücksichtigen. Auch Lärmbeeinträchtigungen unterhalb der fach-
planungsrechtlichen Zumutbarkeitsschwelle sind abwägungsrelevant (Urteil
vom 16. März 2006 a.a.O. Rn. 268). Hat die Planfeststellungsbehörde die fach-
planungsrechtliche Zumutbarkeitsschwelle fehlerfrei bestimmt, genügt es für die
Abwägung grundsätzlich, die Lärmschutzbelange ausgehend von dieser
Schwelle zu gewichten: Sie sind umso gewichtiger, je näher die Lärmbelastun-
gen an die fachplanungsrechtliche Zumutbarkeitsschwelle heranreichen, ihr
Gewicht ist umso geringer, je weiter sie hinter dieser Schwelle zurückbleiben.
164
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Eine Auseinandersetzung mit den Erkenntnissen der Lärmmedizin und der
Lärmwirkungsforschung ist für diese Gewichtung nicht erforderlich.
Der Beklagte hat die Schwelle, bei deren Überschreiten passiver Schallschutz
für Schlafräume zu gewähren ist, rechtsfehlerfrei bestimmt. Vor Inkrafttreten
des Gesetzes zur Verbesserung des Schutzes vor Fluglärm in der Umgebung
von Flugplätzen vom 1. Juni 2007 (BGBl I S. 986) mussten mangels normativer
Vorgaben die Zulassungsbehörde und im Streitfall die Gerichte entscheiden,
welche Lärmpegel den Anwohnern tags und nachts zugemutet werden dürfen;
die im Fluglärmschutzgesetz vom 30. März 1971 (BGBl I S. 282) genannten
Lärmwerte waren hierfür nicht aussagekräftig (vgl. Urteil vom 16. März 2006
a.a.O. Rn. 254). Insoweit hat sich die Rechtslage durch das Gesetz vom 1. Juni
2007 geändert. Das neu gefasste Fluglärmschutzgesetz - FluglärmG - verfolgt
zwar weiterhin nur einen eingeschränkten Zweck. Es soll in der Umgebung von
Flugplätzen bauliche Nutzungsbeschränkungen und baulichen Schallschutz
zum Schutz der Allgemeinheit und der Nachbarschaft vor Fluglärm regeln (§ 1
FluglärmG); die Regelung des sogenannten aktiven Schallschutzes insbeson-
dere durch Betriebsbeschränkungen bleibt dem Planfeststellungsverfahren vor-
behalten (vgl. BTDrucks 16/508 S. 17; BVerfG, Beschluss vom 4. Mai 2011
- 1 BvR 1502/08 - NVwZ 2011, 991 Rn. 23). Durch den neu eingefügten § 8
Abs. 1 Satz 3 LuftVG hat es nunmehr jedoch auch Bedeutung erhalten für die
bei der Planfeststellung nach § 8 Abs. 1 Satz 2 LuftVG erforderliche Abwägung
der von dem Vorhaben berührten öffentlichen und privaten Belange einschließ-
lich der Umweltverträglichkeit. Gemäß § 8 Abs. 1 Satz 3 LuftVG sind hierbei
zum Schutz der Allgemeinheit und der Nachbarschaft vor schädlichen Umwelt-
einwirkungen durch Fluglärm die jeweils anwendbaren Werte des § 2 Abs. 2
FluglärmG zu beachten. Diese Vorschrift soll sicherstellen, dass bei der Bewäl-
tigung der durch Fluglärm hervorgerufenen Probleme im Rahmen der Abwä-
gung keine anderen als die nach dem Fluglärmschutzgesetz maßgeblichen
Werte für die Lärmschutzbereiche zugrunde gelegt werden (BTDrucks 16/508
S. 24). § 8 Abs. 1 Satz 3 LuftVG i.V.m. § 2 Abs. 2 Satz 2 FluglärmG legt die
fachplanungsrechtliche Zumutbarkeitsgrenze auch mit Wirkung für die fachpla-
nerische Abwägung normativ fest (Beschluss vom 1. April 2009 - BVerwG 4 B
61.08 - Buchholz 442.40 § 8 LuftVG Nr.
34 Rn. 33; zustimmend: Rathgeb, in:
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Giemulla/Schmid, LuftVG, Stand August 2010, § 6 Rn. 126; Kämper, ZLW
2009, 16 <22>; Paetow, NVwZ 2010, 1184 <1190>; a.A. Mechel, ZUR 2007,
561 <566>). Jedenfalls zur Bestimmung der fachplanungsrechtlichen Zumut-
barkeitsgrenze müssen lärmmedizinische Gutachten im luftrechtlichen Zulas-
sungsverfahren nicht mehr eingeholt werden (vgl. BTDrucks 16/3813 S. 11 f.).
A II 5.1.3 Nr. 1 PFB i.d.F. des PEB gewährt passiven Schallschutz für Schlaf-
räume bei Überschreiten eines L
Aeq Nacht innen
von 35 dB(A) - das entspricht unter
Berücksichtigung eines Pegelunterschieds zwischen außen und innen von
15 dB(A) (vgl. Anlage zu § 3 FluglärmG) einem L
Aeq Nacht außen
von 50 dB(A) -
und eines L
Amax
von 6 × 55 dB(A). Diese bereits im Planfeststellungsbeschluss
2004 und damit vor Inkrafttreten des neu gefassten Fluglärmschutzgesetzes
festgelegten Werte sind für die Anwohner günstiger als die gemäß § 2 Abs. 2
Satz 2 Nr. 1a FluglärmG bis zum 31. Dezember 2010 maßgebenden Werte für
neue Flughäfen (L
Aeq Nacht
= 53 dB, L