Urteil des BVerwG vom 13.10.2011, 4 A 4000.10
Flughafen, Nacht, Anwohner, Zahl
BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
BVerwG 4 A 4000.10
Verkündet am 13. Oktober 2011 Ott als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 20. und 21. September 2011 durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Rubel, den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Jannasch, die Richterinnen am Bundesverwaltungsgericht Dr. Philipp und Dr. Bumke und den Richter am Bundesverwaltungsgericht Petz
am 13. Oktober 2011 für Recht erkannt:
Soweit die Beteiligten den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt haben, wird das Verfahren eingestellt.
Im Übrigen werden die Klagen abgewiesen.
Von den Gerichtskosten und den außergerichtlichen Kosten des Beklagten und der Beigeladenen tragen die Klägerin zu 4 sowie - jeweils als Gesamtschuldner - die Kläger zu 2 und 3, zu 5 und 6 sowie zu 7 und 8 je 3/16.
Der Beklagte und die Beigeladene tragen jeweils 1/8 der Gerichtskosten und der außergerichtlichen Kosten der Kläger.
Im Übrigen findet eine Kostenerstattung nicht statt.
G r ü n d e :
I
1Die Kläger sind Eigentümer von Wohngrundstücken in der Nähe des Flughafens Berlin-Schönefeld. Sie wenden sich gegen den vom Beklagten erlassenen
Planergänzungsbeschluss „Lärmschutzkonzept BBI“ zum Vorhaben „Ausbau
Verkehrsflughafen Berlin-Schönefeld“ vom 20. Oktober 2009.
2Der angegriffene Planergänzungsbeschluss (PEB) ergänzt den Planfeststellungsbeschluss des Beklagten vom 13. August 2004 zum Ausbau des Verkehrsflughafens Berlin-Schönefeld (PFB). Durch den Planfeststellungsbeschluss wurde die Grundlage für den Ausbau des Flughafens zum alleinigen
internationalen Verkehrsflughafen für die Region Berlin-Brandenburg geschaffen. A II 5.1.1 PFB regelte den Flugbetrieb während der Nacht (22:00 bis
6:00 Uhr). In dieser Zeit sollten grundsätzlich nur lärmarme Flugzeuge starten
und landen dürfen (5.1.1 Nr. 1). Ausbildungs- und Übungsflüge waren grundsätzlich nicht zulässig (5.1.1 Nr. 4). Abgesehen hiervon sollten Starts und Landungen während der gesamten Nacht zulässig sein.
3Auf ausgewählte Musterklagen von Anwohnern und Gemeinden hat der Senat
den Beklagten durch Urteile vom 16. März 2006 - BVerwG 4 A 1001.04,
1073.04, 1075.04 und 1078.04 (BVerwG 4 A 1075.04 veröffentlicht in BVerwGE
125, 116) - verpflichtet, u.a. über eine weitergehende Einschränkung des
Nachtflugbetriebs in Teil A II 5.1.1 des Planfeststellungsbeschlusses vom
13. August 2004 in der Fassung vom 21. Februar 2006 unter Beachtung der
Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden. Soweit der Planfeststellungsbeschluss den ausgesprochenen Verpflichtungen entgegenstand, hat er
ihn aufgehoben. Im Übrigen hat er die Klagen abgewiesen.
4Um der Verpflichtung aus den Urteilen vom 16. März 2006 nachzukommen, hat
der Beklagte den Planergänzungsbeschluss vom 20. Oktober 2009 erlassen.
Durch diesen Beschluss hat A II 5.1.1 PFB folgende Fassung erhalten:
5.1.1 Flugbetriebliche Regelungen
Ab Inbetriebnahme der planfestgestellten neuen Südbahn unterliegt der Flugbetrieb folgenden Regelungen:
1) In der Zeit zwischen 23:30 und 5:30 Uhr Ortszeit dürfen keine Luftfahrzeuge starten oder landen.
2) In der Zeit zwischen 22:00 und 6:00 Uhr Ortszeit dürfen strahlgetriebene Flugzeuge mit einer maximal zulässigen Abflugmasse von mehr als 20 000 kg auf dem Flughafen nur starten oder landen, wenn sie nachweisen, dass ihre gemessenen Lärmzertifizierungswerte in der Summe mindestens 10 EPNdB unter der Summe der für sie geltenden Grenzwerte gemäß Band 1, Teil II, Kapitel 3 des Anhangs 16 zum Abkommen über die Internationale Zivilluftfahrt (ICAO- Abkommen) liegen. …
3) Von den unter Nr. 1) und 2) genannten Regelungen sind ausgenommen:
a) Landungen von Luftfahrzeugen, wenn die Benutzung des Flughafens als Not- oder Ausweichflughafen aus meteorologischen, technischen oder sonstigen Sicherheitsgründen erfolgt,
b) Starts und Landungen von Luftfahrzeugen, die sich im Einsatz für den Katastrophenschutz oder für die medizinische Hilfeleistung befinden oder die für Vermessungsflüge von Flugsicherungsunternehmen bzw. in deren Auftrag eingesetzt werden,
c) Starts und Landungen von Luftfahrzeugen, die bei Staatsbesuchen und für Regierungsflüge sowie Militär- und Polizeiflüge eingesetzt werden.
4) Von den unter Nr. 1) genannten Regelungen sind ausgenommen:
a) Starts und Landungen von Luftfahrzeugen im Luftpostverkehr werktags in den fünf Nächten von Montag auf Dienstag bis Freitag auf Samstag,
b) verspätete Starts von Luftfahrzeugen im Interkontinental- Verkehr zu Zielen außerhalb Europas sowie außerhalb der nichteuropäischen Mittelmeer-Anrainerstaaten, deren planmä-
ßige Abflugzeit vor 23:30 Uhr Ortszeit liegt, bis 24:00 Uhr Ortszeit,
c) verspätete Landungen von Luftfahrzeugen, deren planmäßige Ankunftszeit vor 23:30 Uhr Ortszeit liegt, bis 24:00 Uhr Ortszeit und verfrühte Landungen von Luftfahrzeugen, deren planmäßige Ankunft nach 5:30 Uhr Ortszeit liegt, ab 5:00 Uhr Ortszeit,
d) Starts und Landungen von Luftfahrzeugen bei deren Bereitstellung und instandhaltungsbedingter Überführung als Leerflüge bis 24:00 Uhr Ortszeit und ab 5:00 Uhr Ortszeit.
5) In der Zeit zwischen 22:00 und 23:00 Uhr Ortszeit sind auch verspätete Landungen von Flugzeugen mit Lärmzulassung nach Band 1, Teil II, Kapitel 3 des Anhangs 16 zum ICAO-Abkommen im gewerblichen Verkehr gestattet, wenn deren planmäßige Ankunftszeit vor 22:00 Uhr Ortszeit liegt.
6) An- und Abflüge im Rahmen von Ausbildungs- und Übungsflügen sind in der Zeit von 22:00 bis 6:00 Uhr Ortszeit sowie an Sonn- und Feiertagen nicht zulässig. Nach vorheriger Zustimmung der örtlichen Luftaufsicht können Ausbildungs- und Übungsflüge an Werktagen bis 23:00 Uhr Ortszeit durchgeführt werden, wenn sie nach luftverkehrsrechtlichen Vorschriften über den Erwerb, die Verlängerung oder Erneuerung einer Erlaubnis oder Berechtigung als Führer eines Luftfahrzeugs zur Nachtzeit erforderlich sind und die Flüge nicht vor 22:00 Uhr Ortszeit beendet werden können. Als Feiertag im oben genannten Sinne gilt jeder Feiertag, der in den Gesetzen über die Sonnund Feiertage der Länder Berlin oder Brandenburg genannt ist.
7) (Triebwerksprobeläufe)
8) … (Schubumkehr)
9) Zum Schutz der Nachtruhe sind Starts und Landungen bei Flügen nach Instrumentenflugregeln mit Ausnahme der in A II 5.1.1 Nr. 3) genannten Flüge und der im Abschnitt A II 5.1.1 Nr. 4) a) genannten Luftpostflüge wie folgt geregelt:
a) Starts und Landungen sind zwischen 23:00 und 24:00 Uhr sowie 5:00 und 6:00 Uhr bis zu einer jährlichen Nachtverkehrszahl von 12 852 für die Sommer- und Winterflugplanperiode zulässig.
b) Die Nachtverkehrszahl ist die Summe der Starts und Landungen über alle Zeitscheiben, pro Zeitscheibe jeweils multipliziert mit einem Nachtflugfaktor. Die maßgeblichen Nachtflugfaktoren und Zeitscheiben sind wie folgt definiert: Nachtflugfaktor 1 für 23:00 bis 23:30 Uhr Ortszeit, Nachtflugfaktor 2 für 23:30 bis 24:00 Uhr Ortszeit, Nachtflugfaktor 2 für 5:00 bis 5:30 Uhr Ortszeit und Nachtflugfaktor 1 für 5:30 bis 6:00 Uhr Ortszeit.
c) Für jede Flugplanperiode ist die geplante Nachtverkehrszahl im Voraus zu ermitteln. Die geplante Nachtverkehrszahl darf in der Sommerflugplanperiode maximal 71 % (9 125) der zugelassenen jährlichen Nachtverkehrszahl betragen, in der Winterflugplanperiode 29 % (3 727). Drei Jahre nach Inbetriebnahme der planfestgestellten Südbahn ergibt sich für die kommenden Jahre die Aufteilung der jährlich zugelassenen maximalen Nachtverkehrszahl (12 852) auf die Sommer- und Winterflugplanperiode jeweils aus den Durchschnittswerten der Aufteilung der tatsächlichen Nachtverkehrszahlen auf die Sommerund Winterflugplanperiode der sechs zurückliegenden Flugplanperioden.
d) Zur Berücksichtigung von Verspätungen und Verfrühungen sowie ungeplanter Flüge muss die geplante Nachtverkehrszahl erstmalig vor Beginn der Flugplanperiode, in der die planfestgestellte Südbahn in Betrieb geht, mindestens um 36 % unter der maximal zulässigen Nachtverkehrszahl der Flugplanperiode liegen (Minderungsbetrag). Drei Jahre nach Inbetriebnahme der planfestgestellten Südbahn ergibt sich für die kommenden Flugplanperioden der Minderungsbetrag jeweils als Durchschnittswert der tatsächlichen Nachtverkehrszahlen aller Verspätungen und Verfrühungen sowie ungeplanter Flüge in den letzten drei Jahren.
e) Sofern nach Ablauf der jeweiligen Flugplanperiode festgestellt wird, dass die maximal zulässige Nachtverkehrszahl aufgrund der tatsächlich durchgeführten Starts und Landungen überschritten wurde, muss in der kommenden Flugplanperiode die geplante Nachtverkehrszahl um den Minderungsbetrag und zusätzlich um den Überschreitungsbetrag unter der maximal zulässigen Nachtverkehrszahl liegen.
f) Die geplante Nachtverkehrszahl und die tatsächliche Nachtverkehrszahl der letzten Flugplanperiode einschließlich einer Flugbewegungsstatistik für die maßgeblichen Zeitscheiben sind der Genehmigungsbehörde unverzüglich zu übermitteln, die geplante Nachtverkehrszahl erstmalig vor Beginn der Flugplanperiode, in der die planfestgestellte Südbahn in Betrieb geht. Der Aufbau und Inhalt der Flugbewegungsstatistik sind mit der Genehmigungsbehörde abzustimmen.
10) … (Verteilung der Flüge auf die Start- und Landebahnen)
11) Die Genehmigungsbehörde kann in begründeten Einzelfällen Abweichungen von den vorgenannten flugbetrieblichen Regelungen zulassen.
5Die Kläger, die bereits gegen den Planfeststellungsbeschluss vom 13. August
2004 geklagt hatten, haben im Anhörungsverfahren rechtzeitig Einwendungen
erhoben. Am 12. Februar 2010 haben sie die vorliegenden Klagen erhoben. Sie
halten den Planergänzungsbeschluss aus mehreren Gründen für rechtswidrig:
6Gegen den für den Erlass des Planergänzungsbeschlusses zuständigen Beamten bestehe die Besorgnis der Befangenheit. Er habe zwischen April 2005 und
September 2008 an Sitzungen der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Verkehrsflughäfen (ADV) teilgenommen und sich mit flughafenfreundlichen Beiträgen
beteiligt.
7Der Planergänzungsbeschluss verstoße gegen die Vorgaben des Urteils vom
16. März 2006 und die darin geäußerte Rechtsauffassung des Gerichts. Das
Gutachten der I. GmbH (im Folgenden: I.), auf das sich der Beklagte zum
Nachweis des Nachtflugbedarfs stütze, leide an mehreren, im Einzelnen benannten Fehlern. Die Prognose finde in einer nicht überprüfbaren „Black Box“
statt. Die Nachtflugregelung lasse sich auch nicht durch die Erwägungen zum
Bedarf der einzelnen Verkehrssegmente rechtfertigen. Regionalwirtschaftliche
Effekte könnten Nachtflugverkehr nicht rechtfertigen. Eine Eindämmung des
Nachtflugverkehrs erst durch eine Kontingentierung stehe mit den Vorgaben
des Bundesverwaltungsgerichts nicht in Einklang. Im Übrigen sei die Nachtverkehrszahl auch in ihrer Ausgestaltung unzureichend.
8Die der Ermittlung der Lärmbetroffenheiten zugrunde gelegten parallelen Abflugstrecken seien aus Gründen der Flugsicherheit nicht vertretbar. Die gleichzeitige unabhängige Durchführung von IFR-Abflügen erfordere um mindestens
15° divergierende Abflugkurse. Der Planergänzungsbeschluss gehe - wie bereits der Planfeststellungsbeschluss - von im Wesentlichen unzutreffenden Betroffenheiten aus; insbesondere bleibe die Betroffenheit zehntausender zusätzlicher Anwohner außer Betracht.
9Die Gesamtabwägung stehe mit den Vorgaben des Bundesverwaltungsgerichts
nicht in Einklang. Wohngrundstücke in der Nähe des Flughafens seien ohnehin
praktisch unverkäuflich; ihr Wert werde bei zusätzlichem Flugverkehr auch in
der Nacht noch weiter sinken. Auch die Schadstoffbelastung und die Katastrophengefahr würden weiter erhöht.
10Die Kläger beantragen,
die im Planergänzungsbeschluss vom 20. Oktober 2009 angeordneten flugbetrieblichen Regelungen (Verfügung A I 1) sowie die diese ergänzenden „Nebenentscheidungen“ (Verfügung A III, IV) aufzuheben,
hilfsweise
den Beklagten zu verpflichten,
über weitergehende Einschränkungen des Nachtflugbetriebes in Teil A II Ziff. 5.1.1 des Planfeststellungsbeschlusses vom 13. August 2004 in der Fassung des Planergänzungsbeschlusses vom 20. Oktober 2009 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden,
und den Planfeststellungsbeschluss aufzuheben, soweit er dieser Verpflichtung entgegensteht.
11Soweit die Klagen ursprünglich auch auf weitergehenden passiven Schallschutz
und eine weitergehende Entschädigung für die Beeinträchtigung der Außenwohnbereiche gerichtet waren, haben die Kläger den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt.
12Der Beklagte verteidigt den Planergänzungsbeschluss und beantragt,
die Klagen abzuweisen, soweit sie noch aufrechterhalten sind.
13Im Übrigen hat auch er den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt.
14Die Beigeladene beantragt,
die Klagen abzuweisen.
15Für den Fall, dass es hierauf ankommt, stimmt sie den Erledigungserklärungen
zu.
II
16Soweit die Beteiligten den Rechtsstreit in der Hauptsache übereinstimmend für
erledigt erklärt haben, ist das Verfahren entsprechend § 92 Abs. 3 Satz 1
VwGO einzustellen. Im Übrigen sind die Klagen mit dem hilfsweise gestellten
Verpflichtungsantrag zulässig, aber nicht begründet.
17A. Zulässigkeit
18Die Kläger begehren eine über A II 5.1.1 PFB i.d.F. des PEB hinausgehende
Beschränkung des Nachtflugbetriebs. Dieses Ziel können sie nicht - wie mit
dem Hauptantrag begehrt - durch Aufhebung der getroffenen Betriebsbeschränkungen und der mit diesen Beschränkungen möglicherweise verbundenen konkludenten Zulassung des Nachtflugbetriebs im Übrigen erreichen, sondern nur durch die - hilfsweise beantragte - Verpflichtung des Beklagten zu erneuter Entscheidung über weitergehende Einschränkungen des Nachtflugbetriebs. Zur Abwehr von Lärmimmissionen eines planfestgestellten Vorhabens
besteht grundsätzlich nur ein Anspruch auf Planergänzung, der im Wege einer
Verpflichtungsklage durchzusetzen ist; eine (teilweise) Aufhebung des Planfeststellungsbeschlusses kommt nur in Betracht, wenn das zum Schutz der Nachbarschaft entwickelte Lärmschutzkonzept des Planungsträgers Defizite aufweist, die so schwer wiegen, dass die Ausgewogenheit der Planung insgesamt
infrage gestellt erscheint (Urteil vom 16. März 2006 - BVerwG 4 A 1075.04 -
BVerwGE 125, 116 Rn. 238 m.w.N.). Das gilt nicht nur, soweit der Lärmschutz
durch passiven Schallschutz gewährt wird, sondern auch, soweit Beschränkungen des Flugbetriebs in Rede stehen (Urteil vom 16. März 2006 a.a.O.
Rn. 290). Ausgehend hiervon kommt im vorliegenden Fall - wie der Senat bereits im Urteil vom 16. März 2006 entschieden hat - nur ein Anspruch auf Planergänzung in Betracht. Aus dem im damaligen Urteil enthaltenen Hinweis, dass
der nächtliche Flugbetrieb nicht aufgenommen werden dürfe, solange die gebotene Vervollständigung des Lärmschutzkonzepts ausstehe (a.a.O. Rn. 290),
ergibt sich nichts anderes.
19B. Begründetheit
20Die Klagen sind nicht begründet. Die flugbetrieblichen Regelungen in A II 5.1.1
PFB i.d.F. des PEB leiden nicht an Fehlern, die zu einem Anspruch der Kläger
auf eine erneute Entscheidung führen.
21I. Verfahren
22Die von den Klägern geltend gemachten Fehler des Planergänzungsverfahrens
liegen nicht vor.
23Die Kläger rügen, dass der Leiter des für die Planfeststellung von Flugplätzen
zuständigen Referats des Beklagten und Unterzeichner des Planergänzungsbeschlusses, Herr Ministerialrat B., befangen gewesen sei. Er habe zwischen
April 2005 und September 2008 als Gast an Sitzungen des Fachausschusses
Umwelt der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Verkehrsflughäfen (ADV) teilgenommen. Dies sei ihnen erst während des gerichtlichen Verfahrens bekannt
geworden. In den Sitzungen habe er sich in „flughafenfreundlicher“ Weise geäußert. Vor dem Hintergrund, dass die Autoren der Fluglärmsynopse selbst
nach Einschätzung der ADV zwischenzeitlich wissenschaftlich isoliert seien und
diese Einschätzung Herrn Ministerialrat B. bekannt gewesen sei, lasse zudem
der Umstand an seiner Unvoreingenommenheit zweifeln, dass der Beklagte
einen Mitautor der Fluglärmsynopse, Herrn Prof. Dr. Sch., damit beauftragt habe, die Stellungnahmen eines anderen Mitautors, nämlich des für die Beigeladene tätigen Herrn Prof. Dr. Dr. J., zu begutachten.
24Ein Grund im Sinne des § 1 Abs. 1 VwVfGBbg i.V.m. § 21 Abs. 1 VwVfG, der
geeignet ist, Misstrauen gegen die unparteiische Amtsausübung zu rechtfertigen, liegt vor, wenn aufgrund objektiv feststellbarer Tatsachen für die Beteiligten bei vernünftiger Würdigung aller Umstände die Besorgnis nicht auszuschließen ist, ein bestimmter Amtsträger werde in der Sache nicht unparteiisch,
unvoreingenommen oder unbefangen entscheiden (Kopp/Ramsauer, VwVfG,
12. Aufl. 2011, § 21 Rn. 13; Bonk/Schmitz, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG,
7. Aufl. 2008, § 21 Rn. 9). Die rein subjektive Besorgnis, für die bei Würdigung
der Tatsachen vernünftigerweise kein Grund ersichtlich ist, reicht nicht aus (Beschluss vom 13. September 2007 - BVerwG 4 A 1007.07 - Buchholz 310 § 54
VwGO Nr. 68 Rn. 14).
25Gemessen hieran begründet die Tatsache, dass Herr Ministerialrat B. vor und
während des Planergänzungsverfahrens an den Sitzungen des Fachausschusses Umwelt der ADV teilgenommen hat, nicht die Besorgnis der Befangenheit.
Herr Ministerialrat B. hat durch die Teilnahme an den Sitzungen des ADV-
Ausschusses eine dienstliche Aufgabe wahrgenommen. Der Beklagte ist nicht
nur Planfeststellungsbehörde für Flughäfen des allgemeinen Verkehrs, für die
der Bund einen Bedarf nach § 27d Abs. 1 LuftVG anerkannt hat (§ 4 Abs. 1
Nr. 1 Verordnung zur Bestimmung der zuständigen Behörden auf den Gebieten
der Luftfahrt und der Luftsicherheit im Land Brandenburg vom 2. Juli 1994,
GVBl Bbg II 1994, 610); er vertritt auch das Land Brandenburg im Bund-Länder-
Fachausschuss Luftfahrt. Herr Ministerialrat B. hat an den Sitzungen des ADV-
Ausschusses auf Wunsch des Bund-Länder-Fachausschusses Luftfahrt als
Gast teilgenommen. Der ADV gehören als ordentliche Mitglieder 21 internationale und 17 regionale deutsche sowie mehrere österreichische und schweizerische Verkehrsflughäfen an. Außerordentliche Mitglieder sind die für Luftfahrt
zuständigen Ministerien aller 16 Bundesländer, eine Reihe von Industrie- und
Handelskammern sowie einzelne Städte, Gemeinden und Verbände
(http://www.adv.aero/verband/mitglieder). Der ADV ist zwar ein Verband, der
nicht nur den Sachverstand der Verkehrsflughäfen bündelt, sondern auch deren
Interessen vertritt. Erfüllt der Beamte durch die Teilnahme an den Sitzungen der
ADV jedoch lediglich eine dienstliche Aufgabe, verhält er sich nicht anders, als
jeder andere Beamte an seiner Stelle es auch tun müsste; die Besorgnis individueller Befangenheit ergibt sich aus einem solchen Sachverhalt nicht.
26Dass der Beklagte demselben Beamten sowohl die erneute Entscheidung über
eine Beschränkung des nächtlichen Flugbetriebs auf dem Flughafen Berlin-
Schönefeld als auch die Teilnahme an Sitzungen der ADV zugewiesen hat, verletzt auch nicht den rechtsstaatlichen Grundsatz fairer Verfahrensgestaltung.
Dieser Grundsatz verlangt, dass die Planfeststellungsbehörde die ihr übertragene Aufgabe in unparteiischer Weise wahrnimmt. Die Unparteilichkeit kann
gefährdet werden, wenn Interessenverbände außerhalb zulässiger Beteiligungen auf das Verwaltungsverfahren Einfluss zu nehmen suchen; das schließt
Kontaktaufnahmen, Informationen und Kenntnisnahmen nicht aus, sofern daraus nicht im Einzelfall entscheidungsbezogene Aktivitäten betreffend den Verlauf und den Inhalt des Planfeststellungsverfahrens hervorgehen (vgl. Urteile
vom 5. Dezember 1986 - BVerwG 4 C 13.85 - BVerwGE 75, 214 <230 f.> und
vom 3. März 2011 - BVerwG 9 A 8.10 - DVBl 2011, 1021 Rn. 23 ff.). Dass die
regelmäßige Teilnahme des Leiters des für die Planfeststellung zuständigen
Referats des Beklagten an den Sitzungen eines Verbandes, der die Interessen
der deutschen Verkehrsflughäfen vertritt, die Besorgnis begründen kann, die
Planfeststellungsbehörde halte die Interessen der Flughäfen unabhängig von
der im Planfeststellungsverfahren vorzunehmenden Abwägung, für besonders
gewichtig, ist, jedenfalls wenn die Planfeststellungsbehörde einen vergleichbaren Kontakt zu Verbänden von Fluglärmbetroffenen nicht unterhält, nicht von
vornherein von der Hand zu weisen. Außerhalb der Befangenheitsvorschriften
genügt der „böse Schein“ für die Bejahung eines Verfahrensverstoßes jedoch
nicht. Dass die ADV den Gestaltungsspielraum des Beklagten durch aktive Einflussnahme sachwidrig eingeengt habe, machen die Kläger selbst nicht geltend.
Anhaltspunkte dafür sind auch nicht ersichtlich. Das Planergänzungsverfahren
für den Flughafen Berlin-Schönefeld war nicht Gegenstand der Sitzungen, an
denen Herr Ministerialrat B. teilgenommen hat.
27Die Äußerungen von Herrn Ministerialrat B. während der Sitzungen des ADV-
Ausschusses geben entgegen der Auffassung der Kläger keinen Anlass, an
seiner Unbefangenheit zu zweifeln. Gleiches gilt für die Beauftragung von Herrn
Prof. Dr. Sch. mit einer Stellungnahme zu den Einwendungen zum Themenkomplex Lärmmedizin und Lärmwirkungsforschung. Dass die Fluglärmsynopse,
deren Mitautor Herr Prof. Dr. Sch. ist, wissenschaftlich umstritten ist, begründet
keine Zweifel an seiner Sachkunde und seiner Unparteilichkeit. Unabhängig
hiervon müssen Befangenheitsgründe unverzüglich geltend gemacht werden.
Sowohl Herr Prof. Dr. Sch. als auch Herr Prof. Dr. Dr. J. waren nicht erst im
Planergänzungs-, sondern bereits im Planfeststellungsverfahren für ihre jeweiligen Auftraggeber tätig, ohne dass die Kläger, denen die Fluglärmsynopse
schon damals bekannt war, dies gerügt hätten.
28II. Materielle Rechtmäßigkeit
29In der Sache hat der Beklagte bei seiner erneuten, in der mündlichen Verhandlung auf Anraten des Gerichts durch eine klarstellende Erklärung präzisierten
Entscheidung über die Einschränkung des nächtlichen Flugbetriebs die im Urteil
vom 16. März 2006 dargelegte Rechtsauffassung des Senats beachtet. Auch im
Übrigen hat er die Belange der Kläger rechtsfehlerfrei abgewogen.
301. Anforderungen an eine Regelung des Nachtflugbetriebs
31Die Planfeststellungsbehörde ist gemäß § 8 Abs. 4 Satz 1 LuftVG ermächtigt,
im Rahmen der Planfeststellung für die Anlegung oder wesentliche Änderung
eines Flughafens auch den Flugbetrieb zu regeln. Zentrales Element dieser
Ermächtigung ist die mit ihr verbundene Einräumung planerischer Gestaltungsfreiheit (Urteile vom 29. Januar 1991 - BVerwG 4 C 51.89 - BVerwGE 87, 332
<341> und vom 7. Juli 1978 - BVerwG 4 C 79.76 u.a. - BVerwGE 56, 110
<116>). Begrenzt wird die Gestaltungsfreiheit der Planfeststellungsbehörde
durch das fachplanerische Abwägungsgebot in Verbindung mit dem in § 29b
Abs. 1 Satz 2 LuftVG enthaltenen Gebot, auf die Nachtruhe der Bevölkerung in
besonderem Maße Rücksicht zu nehmen. Das Abwägungsgebot verlangt, dass
- erstens - eine Abwägung überhaupt stattfindet, dass - zweitens - in die Abwägung an Belangen eingestellt wird, was nach Lage der Dinge in sie eingestellt
werden muss, und dass - drittens - weder die Bedeutung der betroffenen öffentlichen und privaten Belange verkannt noch der Ausgleich zwischen ihnen in
einer Weise vorgenommen wird, die zur objektiven Gewichtigkeit einzelner Belange außer Verhältnis steht (Urteile vom 29. Januar 1991 a.a.O. S. 341 und
vom 7. Juli 1978 a.a.O. S. 122 f.). Innerhalb dieser Grenzen wird das Abwägungsgebot nicht verletzt, wenn sich die Planfeststellungsbehörde in der Kollision zwischen verschiedenen Belangen für die Bevorzugung des einen und
damit notwendig für die Zurückstellung eines anderen entscheidet; die darin
liegende Gewichtung der von der Planung berührten öffentlichen und privaten
Belange ist vielmehr ein wesentliches Element der planerischen Gestaltungsfreiheit und damit der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle entzogen (Urteil vom
14. Februar 1975 - BVerwG 4 C 21.74 - BVerwGE 48, 56 <64> dort zum Bundesfernstraßengesetz).
32Die sich aus dem Abwägungsgebot in Verbindung mit § 29b Abs. 1 Satz 2
LuftVG ergebenden Anforderungen an eine Regelung des nächtlichen Flugbetriebs hat der Senat in seinem Urteil vom 16. März 2006 - BVerwG 4 A
1075.04 - (BVerwGE 125, 116 Rn. 267 ff.) und der nachfolgenden Rechtsprechung (Urteile vom 9. November 2006 - BVerwG 4 A 2001.06 - BVerwGE 127,
95 Rn. 67 - 74, vom 24. Juli 2008 - BVerwG 4 A 3001.07 - BVerwGE 131, 316
Rn. 39, 93 und vom 16. Oktober 2008 - BVerwG 4 C 5.07 - BVerwGE 132, 123
Rn. 51) wie folgt konkretisiert:
33In der sogenannten Nachtkernzeit (0:00 bis 5:00 Uhr) setzt die Zulassung von
Nachtflugbetrieb einen standortspezifischen Nachtflugbedarf voraus. Allein die
Absicht, dem Flugverkehr, vor allem dem Linien-, Charter- und Frachtverkehr,
optimale Entfaltungsmöglichkeiten zu bieten, rechtfertigt es nicht, die Lärmschutzbelange der Anwohner hintanzustellen. Es müssen vielmehr Umstände
gegeben sein, die im Unterschied zur Mehrzahl der anderen deutschen Flughäfen einen unbeschränkten Nachtflugbetrieb zu rechtfertigen geeignet sind. Für
den Flughafen Berlin-Schönefeld hat der Senat vorgegeben, dass die Nachtkernzeit grundsätzlich frei von Flugaktivitäten bleiben muss (Urteil vom 16. März
2006 a.a.O. Rn. 290).
34Für die Nutzung der Nachtrandstunden, also die Zeit von 22:00 bis 24:00 Uhr
und 5:00 bis 6:00 Uhr, ist ein standortspezifischer Bedarf nicht erforderlich.
Auch die Durchführung eines Flugbetriebs in den Nachtrandstunden bedarf im
Rahmen der Abwägung im Hinblick auf § 29b Abs. 1 Satz 2 LuftVG jedoch einer
besonderen Begründung. Starts und Landungen dürfen nicht ohne erkennbare
Notwendigkeit gerade in diesen Zeitraum - und damit außerhalb der unter
Lärmgesichtspunkten weniger problematischen Tagesstunden - gelegt werden.
In den Nachtrandstunden und hier insbesondere in der Zeit zwischen 22:00 und
23:00 Uhr besitzt der Lärmschutz allerdings nicht dasselbe hohe Gewicht wie in
der Nachtkernzeit. Daraus folgt, dass sich plausibel nachgewiesene sachliche
Gründe, weshalb ein bestimmter Verkehrsbedarf oder ein bestimmtes Ver-
kehrssegment nicht befriedigend innerhalb der Tagesstunden abgewickelt werden kann, im Zuge der Abwägung gegen die Belange des Lärmschutzes durchsetzen können. Solche Gründe können sich z.B. aus den Erfordernissen einer
effektiven Flugzeug-Umlaufplanung, aus den Besonderheiten des Interkontinentalverkehrs (Zeitzonen, Verspätungen, Verfrühungen) oder aus dem Umstand
ergeben, dass der Flughafen als Heimatflughafen oder Wartungsschwerpunkt
von Fluggesellschaften deren Bedürfnisse nachvollziehbar nicht ausschließlich
in den Tageszeiten abdecken kann (Urteil vom 16. März 2006 a.a.O.
Rn. 287 f.).
35Für die Ermittlung und Gewichtung des Nachtflugbedarfs in den Nachtrandstunden bedeutet das: Grundvoraussetzung für die Anerkennung eines Nachtflugbedarfs ist die Darlegung einer Nachfrage nach Nachtflugverkehr. Das gilt
jedenfalls für die planbaren Verkehre, insbesondere den Passagier- und
Frachtverkehr. Nachtflugbedarf kann sich zwar nicht nur aus einer tatsächlichen, aktuell feststellbaren Nachfrage ergeben, sondern auch aus der Vorausschau künftiger Entwicklungen; eine entsprechende Bedarfslage muss aber bei
vorausschauender Betrachtung in absehbarer Zeit mit hinreichender Sicherheit
erwartet werden können (Urteile vom 20. April 2005 - BVerwG 4 C 18.03 -
BVerwGE 123, 261 <271 f.>, vom 16. März 2006 a.a.O. Rn. 282 und vom 9. Juli
2009 - BVerwG 4 C 12.07 - BVerwGE 134, 166 Rn. 17). Die Bedienung der
Nachfrage muss zudem von den Planungszielen, die die Anlegung oder den
Ausbau des Flughafens gerechtfertigt haben, umfasst sein. Eine Nachfrage
nach Verkehren, für die der Flughafen nicht geplant wurde, kann die Zulassung
von Nachtflugbetrieb von vornherein nicht rechtfertigen.
36Die Darlegung einer Nachfrage ist notwendige Voraussetzung für die Zulassung
von Nachtflugbetrieb; sie allein genügt für die Zulassung von Nachtflugbetrieb
jedoch nicht. Die Verkehrsinteressen sind nur dann geeignet, sich im Wege der
Abwägung gegen die Lärmschutzinteressen der Anwohner durchzusetzen,
wenn es ausgehend von den Gegebenheiten des Luftverkehrsmarktes betriebliche oder strukturelle Gründe dafür gibt, den Verkehr gerade in den Nachtrandstunden abzuwickeln. Die Planfeststellungsbehörde muss plausibel darlegen,
warum der Nachtflugbedarf gerade in der Nacht besteht. Plausible Gründe für
die Inanspruchnahme der Nachtrandzeiten können auch dann gegeben sein,
wenn es nur um wenige Flugbewegungen geht; die Zahl der Flugbewegungen
ist insoweit ohne Bedeutung.
37Das Gewicht, das einem nachtrandspezifischen Verkehrsbedarf in der behördlichen Abwägung zukommt, hängt von zahlreichen Faktoren ab. Maßgebend
sind insbesondere die sich aus den Planungszielen ergebende Verkehrsfunktion des Flughafens und seine Stellung im Luftverkehrsnetz (vgl. Urteil vom
20. April 2005 a.a.O. S. 272). Die Verkehrsfunktion des Flughafens und seine
Stellung im Luftverkehrsnetz bestimmen die Erwartungen, die berechtigterweise
an das Verkehrsangebot zu stellen sind, insbesondere an die Zahl und die Diversität der Destinationen, die Frequenz der Verbindungen und die Erreichbarkeit des Flughafens in den frühen Morgen- und späten Abendstunden. Diese
Erwartungen sind entscheidend dafür, ob das Verkehrsangebot ohne die in Rede stehenden Nachtflugverbindungen noch als „befriedigend“ (Urteil vom
16. März 2006 a.a.O. Rn. 288) angesehen werden kann. Von Bedeutung kann
ferner sein, ob der Bedarf von einem anderen Flughafen nachfragegerecht gedeckt werden könnte (Urteil vom 20. April 2005 a.a.O. S. 272).
38Die Verkehrsfunktion des Flughafens und seine Stellung im Luftverkehrsnetz
sind ein zentraler Bezugspunkt für die Gewichtung des Nachtflugbedarfs; einen
von der Abwägung im Einzelfall unabhängigen Vorrang gegenüber den Lärmschutzbelangen der Anwohner verleihen sie dem Nachtflugbedarf nicht. Der
Nachtflugbedarf muss im Wege der Abwägung in ein ausgewogenes Verhältnis
zu den berechtigten Lärmschutzbelangen der Anwohner gebracht werden (Urteil vom 16. März 2006 a.a.O. Rn. 288). Nicht nur die Anwohner müssen Beeinträchtigungen hinnehmen; auch bei den Planungszielen können und müssen
gegebenenfalls Abstriche gemacht werden.
39Auch der Umfang der Nachfrage ist für die Gewichtung des Nachtflugbedarfs
relevant. Je dringlicher ein bestimmter Nachtflugbedarf tatsächlich ist, desto
bedeutsamer ist sein Gewicht im Rahmen der Abwägung (Urteile vom
29. Januar 1991 - BVerwG 4 C 51.89 - BVerwGE 87, 332 <368> und vom
20. April 2005 a.a.O. S. 268). Mit der Zahl der Flugbewegungen wächst aller-
dings auch das Gewicht der Lärmschutzbelange. Für die Flughafenanwohner
bedeutet jeder zusätzliche Flug eine zusätzliche Belastung, jeder Flug, der unterbleibt, eine Entlastung (Urteil vom 9. November 2006 a.a.O. Rn. 76).
402. Ermittlung und Gewichtung des Nachtflugbedarfs
41Ausgehend hiervon hat der Beklagte einen Bedarf für den im Planergänzungsbeschluss zugelassenen Nachtflugverkehr zu Recht bejaht; er hat auch nicht
die Bedeutung und das Gewicht dieses Bedarfs verkannt.
422.1 Nachfrage nach Nachtflügen
43Zum Nachweis der Nachfrage nach Nachtflügen hat sich der Beklagte nicht auf
das von der Beigeladenen vorgelegte Gutachten der A. GmbH (im Folgenden:
A.) „Der besondere Bedarf an der Durchführung von Nachtflugbewegungen
während der Nachtzeiten am Flughafen Berlin Brandenburg International“ vom
9. Mai 2007 (Beiakte 1) gestützt, sondern auf das von ihm selbst in Auftrag gegebene I.-Gutachten „Nachtflugbedarf am Flughafen Berlin Brandenburg International“ vom Juni 2009 (Beiakte 17 Bl. 1689 ff. - im Folgenden: Nachtflug-
Gutachten). Er hat dem A.-Gutachten zwar die Verwertbarkeit attestiert (PEB
S. 69 f.), die von A. ermittelte Zahl von Nachtflugbewegungen jedoch tendenziell für zu hoch erachtet (PEB S. 72 Abs. 1). Die insoweit gegen das
A.-Gutachten gerichteten Einwände der Kläger sind mithin nicht entscheidungserheblich.
442.1.1 Verwertbarkeit der I.-Nachtflugprognose
45Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts unterliegen Verkehrsprognosen nur eingeschränkter gerichtlicher Kontrolle. Das Gericht hat nur zu prüfen, ob die Prognose nach einer geeigneten Methode durchgeführt wurde, ob der zugrunde gelegte Sachverhalt zutreffend ermittelt wurde
und ob das Ergebnis einleuchtend begründet ist (Urteile vom 20. April 2005
a.a.O. S. 275, vom 13. Dezember 2007 - BVerwG 4 C 9.06 - BVerwGE 130, 83
Rn. 50 und vom 9. Juni 2010 - BVerwG 9 A 20.08 - Buchholz 407.4 § 17 FStrG
Nr. 208 Rn. 73). Ausgehend hiervon ist die im I.-Gutachten erstellte Nachtflugprognose nicht zu beanstanden.
462.1.1.1 Bestandsaufnahme
47Als Grundlage der Prognose hat I. die Flugbewegungsdaten der Flughäfen Tegel, Tempelhof und Schönefeld für das Jahr 2008 ausgewertet und auf diese
Weise die zeitliche Verteilung des Flugverkehrs aufgeschlüsselt nach Verkehrssegmenten ermittelt (Kapitel 3 des Nachtflug-Gutachtens). Einwendungen gegen diese Bestandsaufnahme haben die Kläger nicht erhoben. Sie rügen allerdings, dass der Ausgangsdatensatz maßgeblich von den Nachtflugbewegungen
auf dem Flughafen Berlin-Schönefeld mit seiner unbeschränkten Nachtbetriebserlaubnis geprägt werde und zwar in einem Ausmaß, das in keinem Verhältnis zur Bedeutung Schönefelds im Berliner Flughafensystem stehe. Warum
dies zu einer Überschätzung des Nachtflugbedarfs führen sollte, ist nicht ersichtlich. Das Nachtflug-Gutachten ermittelt gerade zunächst die Nachfrage
nach Nachtflügen bei einem unbeschränkten Nachtflugbetrieb (Kapitel 8) und
erst anschließend die Auswirkungen von Betriebsbeschränkungen (Kapitel 9).
482.1.1.2 Hochrechnung
49In einem zweiten Schritt hat I. aus einer anderen Verkehrsprognose Wachstumsraten 2005 : 2020 für die einzelnen Verkehrssegmente abgeleitet und mit
deren Hilfe unter Berücksichtigung der tatsächlichen Entwicklung bis 2008 das
Nachtflugaufkommen je Verkehrssegment unter status-quo-Bedingungen auf
das Jahr 2020 hochgerechnet (Kapitel 7 des Nachtflug-Gutachtens). Grundlage
für die Ermittlung der Wachstumsraten war die „Luftverkehrsprognose Deutschland 2020“ vom Dezember 2006 (Anlage zum Schriftsatz des Beklagten vom
18. Oktober 2010 - im Folgenden: Masterplan-Prognose), die I. im Auftrag der
Initiative „Luftverkehr für Deutschland“ für die Fortschreibung des Masterplans
zur Entwicklung der Flughafeninfrastruktur erstellt hat. Die genannte Initiative
wurde im Jahr 2003 von der DFS Deutsche Flugsicherung GmbH, der Flughafen München GmbH, der Fraport AG und der Deutsche Lufthansa AG unter der
Schirmherrschaft des Bundesministers für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
gegründet (Masterplan zur Entwicklung der Flughafeninfrastruktur, Dezember
2006, Anlage K 43 zum Schriftsatz der Kläger vom 14. Juli 2010, S. 3). Die
Masterplan-Prognose hat für alle deutschen Flughäfen ab 1 Mio. Passagiere
(Stand 2005) sowohl das Flugbewegungs- als auch das Passagieraufkommen
in 2020 prognostiziert; Basisjahr der Prognose ist das Jahr 2005 (Masterplan-
Prognose S. 2). Die Prognosen wurden mit Hilfe eines Gesamtverkehrsmodells
errechnet, dessen Ursprünge auf die Bundesverkehrswegeplanung zurückgehen (a.a.O. S. 6). In einem ersten Schritt wird das Gesamtverkehrsaufkommen,
darunter das flughafenunabhängige Luftverkehrsaufkommen, in Form einer
nach Marktsegmenten differenzierten Quelle-Ziel-Matrix für den Ist-Zustand aus
empirischen Grundlagen ermittelt und unter Berücksichtigung der sozioökonomischen Entwicklung und der Entwicklung des Verkehrsangebotes und der
Nutzerkosten aller Verkehrszweige prognostiziert. In einem zweiten Schritt erfolgt die Aufteilung des Luftverkehrsaufkommens auf die Flughäfen durch ein
Flughafen-Wahlmodell, das die landseitige Erreichbarkeit und das Luftverkehrsangebot der Flughäfen berücksichtigt (a.a.O. S. 6). Die Quelle-Ziel-Matrix
umfasst die Verkehrsströme zwischen allen Quellen (Raumeinheiten, hier Kreisregionen im Inland und 342 Auslandsregionen) und Zielen, ebenfalls in Raumeinheiten (a.a.O. S. 7). Sie ist sachlich gegliedert nach Verkehrsmitteln (Flugzeug, Bahn, motorisierter Individualverkehr, Bus), Reisezwecken (geschäftlich,
privat, sonstiger Privatverkehr) sowie nach out- und inbound (a.a.O. S. 9). Sie
basiert auf hochgerechneten Fluggastbefragungen, die mit den Relationsstatistiken des Statistischen Bundesamtes und entsprechenden Statistiken des Auslands abgeglichen werden (a.a.O. S. 12).
50Die Hochrechnung mit den aus dieser Prognose abgeleiteten Wachstumsraten
ist eine geeignete Methode zur Ermittlung des Nachtflugaufkommens in 2020
auf dem ausgebauten Flughafen Berlin-Schönefeld. Sie ist keine schlichte
Trendprognose. Ob eine solche genügen würde, kann deshalb offen bleiben
(vgl. Urteil vom 18. März 2009 - BVerwG 9 A 39.07 - BVerwGE 133, 239
Rn. 107). I. hat nicht die Entwicklung des Nachtflugverkehrs in der Vergangenheit nach Maßgabe eines sich daraus ergebenden Trends fortgeschrieben,
sondern aus einer Modellprognose für den Gesamtverkehr Wachstumsraten für
die einzelnen Verkehrssegmente abgeleitet und diese der Entwicklung des
Nachtflugverkehrs zugrunde gelegt. Den Flugverkehr unmittelbar durch eine
Modellprognose zu ermitteln, wäre auf der Grundlage der vorhandenen Daten
nicht möglich gewesen; die zeitliche Lage der Verkehrsströme (Tag/Nacht) ist in
den vorhandenen Quelle-Ziel-Matrizes nicht hinterlegt (I.-Stellungnahme vom
15. Oktober 2010 S. 32).
51Die der Hochrechnung zugrunde liegende Hypothese, dass sich im Prognosezeitraum zwar das Aufkommen des jeweiligen Verkehrssegments, nicht aber
die zeitliche Struktur innerhalb des Segments und damit das Verhältnis von
Tag- und Nachtflügen ändert, ist plausibel. Sie wird durch die zu erwartende
Veränderung der Verkehrsstruktur am ausgebauten Flughafen Berlin-
Schönefeld als alleinigem Flughafen für Berlin nicht infrage gestellt. Die Wachstumsraten sind nicht für den Gesamtverkehr, sondern spezifisch für die einzelnen Verkehrssegmente ermittelt worden.
52Für den ausgebauten Flughafen Berlin-Schönefeld hat die Masterplan-Prognose für das Jahr 2020 33,2 Mio. Passagiere und 367 000 Flugbewegungen
prognostiziert (Masterplan-Prognose S. 72, 90). Sie weist die Flugbewegungen
nicht segmentspezifisch aus, sondern unterscheidet lediglich zwischen Passagierverkehr, Fracht/Post und Allgemeiner Luftfahrt (a.a.O. S. 90). Den Gesamtbewegungszahlen liegt jedoch eine Erfassung der Flugbewegungen je Flughafen mit folgenden Angaben zugrunde: von Flughafen, nach Flughafen, Verkehrsart (Passage, Fracht, sonstige), Airline (Allianz), Anzahl Passagiere, Anzahl t Fracht, Anzahl Flugbewegungen (I.-Stellungnahme vom 28. Januar 2011
S. 16). Mit diesen Zusatzinformationen lassen sich die Flugbewegungen den für
das Nachtflug-Gutachten definierten Verkehrssegmenten (vgl. Nachtflug-
Gutachten S. 20 f.) zuordnen. Dass I. die Flugbewegungen in der Masterplan-
Prognose teilweise nach anderen Gesichtspunkten aggregiert hat - so sind z.B.
Hub-Flüge im Sinne der dortigen Tab. 3-8 (Masterplan-Prognose S. 41 ff.) nur
Interkontinentalflüge und mit den Hub-Feeder-Flügen des Nachtflug-Gutachtens
nicht zu vergleichen (I.-Stellungnahme vom 28. Januar 2011 S. 16 f.) -, stellt die
Plausibilität dieses Vorgehens nicht infrage.
53
Das dargelegte, der Masterplan-Prognose zugrunde liegende Gesamtverkehrsmodell ist eine geeignete Methode zur Ermittlung des künftigen Luftverkehrsaufkommens an einem bestimmten Flughafen. Die Kläger behaupten, die
in der Masterplan-Prognose dargestellte Methode, nach der angeblich jede einzelne Flugbewegung weltweit (mit Zuweisung zu Fluggesellschaften und Zuweisung zu einem spezifischen Segment) mit Quelle und/oder Ziel in Deutschland ermittelt werden könne, sei derart komplex, dass sie die derzeit technischwissenschaftlichen Möglichkeiten der Prognose überstiege; das gelte erst recht,
wenn Haus-zu-Haus-Beziehungen abgebildet werden sollten. Zum Beweis dieser Tatsache beantragen sie die Einholung eines Sachverständigengutachtens.
Der Antrag war abzulehnen. Dass die Beweisbehauptung nicht zutrifft, kann der
Senat auf der Grundlage der Masterplan-Prognose und des Vortrags der Kläger
sowie ihrer Sachbeistände selbst beurteilen. Das der Masterplan-Prognose zugrunde liegende Gesamtverkehrsmodell ist nicht darauf gerichtet, einzelne
Flugbewegungen oder gar Haus-zu-Haus-Beziehungen abzubilden; es erfasst
die Verkehrsströme zwischen den genannten Raumeinheiten. Das entspricht
gängiger Praxis bei der Erstellung von Verkehrsprognosen.
54Auch dem Antrag der Kläger, gegenüber dem Beklagten Einsicht in die der
Prognose zugrunde liegenden Unterlagen und die computergestützten Berechnungen zu verlangen, brauchte der Senat nicht zu entsprechen. Die Ermittlung
der Wachstumsraten ist auch ohne Offenlegung der genannten Unterlagen keine „Black Box“. Inwieweit die Ausgangsdaten und die Verarbeitungsschritte einer Verkehrsprognose dokumentiert werden müssen, um deren Verwertbarkeit
überprüfen zu können, ist eine Frage der Beweiswürdigung, die sich nicht allgemeingültig beantworten lässt (Beschlüsse vom 1. April 2009 - BVerwG 4 B
61.08 - NVwZ 2009, 910 Rn. 24 und vom 14. April 2011 - BVerwG 4 B 77.09 -
juris Rn. 44). Ob - wie I. geltend macht - die Quelle-Ziel-Matrizes Betriebs- und
Geschäftsgeheimnisse darstellen, kann offen bleiben; etwaige Dokumentationsdefizite würden dadurch nicht unbeachtlich. Soweit die Daten erforderlich
sind, um die Verwertbarkeit des Gutachtens zu beurteilen, ist es im Grundsatz
Sache des Auftraggebers, bei Erteilung des Gutachtenauftrags sicherzustellen,
dass der Gutachter ihm die erforderlichen Daten übergibt. Hat der Auftraggeber
dies unterlassen, kann zwar auch das Gericht die Vorlage der Daten nicht er-
zwingen; die fehlende Offenlegung geht jedoch zulasten des Auftraggebers,
das Gutachten ist nicht verwertbar. Hier brauchte der Beklagte, soweit es um
die Wachstumsraten geht, eine über die Vorlage der Masterplan-Prognose und
die im gerichtlichen Verfahren nachgelieferten Erläuterungen hinausgehende
Dokumentation nicht zu verlangen. Auch wenn er die Nachtflugprognose selbst
erstellt hätte, wäre eine weitergehende Dokumentation nicht erforderlich gewesen. Dies folgt zwar entgegen der Auffassung des Beklagten nicht allein daraus,
dass die Masterplan-Prognose aus Sicht des Nachtflug-Gutachtens eine externe Quelle ist. Es kommen hier jedoch mehrere Umstände hinzu: Die Masterplan-Prognose wurde weder speziell für den Flughafen Berlin-Schönefeld noch
zur Ermittlung des Nachtflugbedarfs erstellt, sondern für eine realistische Bedarfsplanung der deutschen Luftverkehrswirtschaft insgesamt; die Gefahr, dass
Wertungen und Ausgangsdaten mit Blick auf ein bestimmtes Prognoseergebnis
ausgewählt wurden, besteht mithin nicht. Allenfalls mangelnde Sorgfalt oder
Sachkunde des Gutachters hätten zu Fehlern führen können. Dagegen spricht
indes, dass die Prognose bereits mehrfach verwendet worden ist und dabei jeweils Anerkennung gefunden hat. Sie wurde zunächst von der Initiative „Luftverkehr für Deutschland“ für die Fortschreibung des Masterplans zur Entwicklung der Flughafeninfrastruktur vom Dezember 2006, sodann von der Bundesregierung für ihr Flughafenkonzept 2009 (S. 17 - 19) verwendet. Die der Masterplan-Prognose zugrunde liegenden Daten wurden für die Nachtverkehrsprognose für den Flughafen Leipzig/Halle ausgewertet. Der Senat hat diese Prognose nicht beanstandet; er ist davon ausgegangen, dass die Methodik der
Masterplan-Prognose wissenschaftlichen Ansprüchen genügt (Urteil vom
24. Juli 2008 - BVerwG 4 A 3001.07 - Buchholz 442.40 § 8 LuftVG Nr. 31
Rn. 67 f.). Das Gesamtverkehrsmodell findet im Übrigen auch in der Bundesverkehrswegeplanung des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (BMVBS) Verwendung. Das BMVBS hat für die Fernstraßenplanung
die Verwendung der Daten der Bedarfsplanprognose bzw. der Bundesverkehrswegeplanung sogar vorgegeben (Urteile vom 18. März 2009 - BVerwG
9 A 39.07 - BVerwGE 133, 239 Rn. 110 und vom 9. Juni 2010 - BVerwG 9 A
20.08 - Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr. 208 Rn. 77). Gegen die der Masterplan-
Prognose zugrunde gelegten Annahmen zur Entwicklung der Rahmenbedingungen der Luftverkehrswirtschaft bestehen ebenfalls keine Bedenken; sie sind
mit einem projektbegleitenden Arbeitskreis, dem u.a. das BMVBS und Fachministerien der Länder angehörten, abgestimmt worden (Masterplan-Prognose
S. 4; I.-Stellungnahme vom 15. Oktober 2010 S. 5 f., 28). Vor diesem Hintergrund hätte es konkreter Anhaltspunkte dafür bedurft, dass bei der Aufnahme
der Grundlagendaten und den Zwischenberechnungen Fehler unterlaufen oder
dass unvertretbare Einzelwertungen getroffen worden sein könnten. Solche Anhaltspunkte bestehen nicht; auch die Kläger haben sie nicht aufgezeigt.
55Die Masterplan-Prognose war bei Erlass des Planergänzungsbeschlusses noch
hinreichend aktuell. Die Basisdaten wurden nicht aus der für den Bundesverkehrswegeplan 2003 erstellten Prognose übernommen, sondern auf das Jahr
2005 aktualisiert; lediglich die Methodik der damaligen Prognose blieb im Wesentlichen unverändert. Den vorübergehenden Einbruch der Weltwirtschaft Ende des Jahres 2008 konnte die Masterplan-Prognose nicht berücksichtigen. Die
Erwartung, dass der Konjunktureinbruch die Entwicklung des Luftverkehrs nicht
nachhaltig beeinflussen würde, war jedoch bezogen auf den Prognosehorizont
2020 nicht unrealistisch. Auch die aktuelle, im Jahr 2006 nicht absehbare Ölpreisentwicklung steht der Verwertbarkeit der Masterplan-Prognose für das
Nachtflug-Gutachten nicht entgegen. Als bestimmenden Faktor für die Entwicklung des Luftverkehrs hat die Masterplan-Prognose nicht den Ölpreis selbst,
sondern nur u.a. die Luftverkehrspreise eingestellt und bei diesen neben den
Ölpreisen eine Reihe von weiteren preistreibenden und preissenkenden Faktoren verglichen (Masterplan-Prognose S. 32 - 35). Die außergewöhnliche Entwicklung eines einzelnen Faktors stellt die Stimmigkeit des Gesamtergebnisses
nicht infrage.
56Die Masterplan-Prognose musste auch keine weitergehenden Betrachtungen
zu einer künftigen Verschärfung von Umweltregelungen anstellen. Sie hat bei
der Untersuchung der Luftverkehrspreise etwaige Änderungen zum Schutz der
Umwelt (Emissionshandel, Lärmabgaben, Kerosinsteuer) in die Betrachtung
einbezogen (S. 34 Tab. 3-5). Welche konkreten Regelungsvorhaben darüber
hinaus hätten berücksichtigt werden müssen, zeigen die Kläger nicht auf.
572.1.1.3 Glättung
58Um die zeitliche Verteilung der Nachfrage zu ermitteln, die sich auf dem ausgebauten Flughafen Berlin-Schönefeld bei einem nicht beschränkten Flugbetrieb
einstellen würde, hat I. in einem dritten Prognoseschritt die unter status-quo-
Bedingungen errechnete Nachfragekurve „geglättet“ (Kapitel 8 des Nachtflug-
Gutachtens). Sie hat für jeden Zeitpunkt die Flugbewegungen aufsummiert, die
bis 30 Minuten vor- und 30 Minuten nachher stattfinden, die Werte gemittelt und
angetragen. Einbezogen in dieses Verfahren hat sie nur die Flugbewegungen,
die auf die Flughäfen Tegel und Tempelhof entfallen; am Flughafen Berlin-
Schönefeld ist der Flugbetrieb bis zur Inbetriebnahme der neuen Südbahn ohnehin zeitlich unbeschränkt zulässig.
59Der Glättung liegt die Annahme zugrunde, dass ein Teil der Flugbewegungen,
die sich kurz nach Betriebsbeginn in Berlin-Tegel und kurz vor dem dortigen
Betriebsende „stauen“, ohne die Betriebsbeschränkungen in die bisherige Betriebspause hinein verlagert würden. Das ist plausibel. Nichts spricht dafür,
dass der starke Anstieg der Flugbewegungen nach 6:00 Uhr und der abrupte
Abfall nach 23:00 Uhr allein auf die Nachfrage zurückzuführen ist.
60Die Plausibilität wird durch die Kontrollrechnungen der Kläger des Parallelverfahrens (BVerwG 4 A 4001.10) nicht infrage gestellt. Sie machen geltend, dass
das Gutachten Gründe für den im Vergleich zum Gesamtverkehr überproportionalen Anstieg des Nachtflugverkehrs nicht aufzeige. Besonders deutlich werde
die unterschiedliche Entwicklung von Gesamt- und Nachtverkehr beim Low-
Cost-Verkehr. Die Zahl der Flugbewegungen in diesem Segment solle von
89 157 in 2008 (Nachtflug-Gutachten S. 31 Tab. 3-4) auf 144 434 in 2020
(a.a.O. S. 85 Tab. 8-2), also um 62 % steigen. Die Zahl der Nachtflugbewegungen steige im gleichen Zeitraum von 4 325 auf 7 670, also um 77 %, die Zahl
der Flugbewegungen zwischen 23:00 und 6:00 Uhr von 278 auf 1 057, also um
280 %. Da die Hochrechnung von einheitlichen Wachstumsraten für Tag und
Nacht ausgeht, ist das überproportionale Wachstum der Nachtflugbewegungen
rechnerisch eine Folge der Glättung. Dass der Nachtflugverkehr insgesamt bei
einem unterstellten Wegfall der zeitlichen Betriebsbeschränkungen auch real
stärker wachsen wird als der Tagflugverkehr, ist - wie dargelegt - plausibel und
zwar auch in der für den Low-Cost-Verkehr prognostizierten Größenordnung.
Die große prozentuale Steigerung für die Zeit zwischen 23:00 und 6:00 Uhr ist
in erster Linie auf die geringe absolute Zahl von Flugbewegungen in diesem
Zeitraum unter status-quo-Bedingungen (278 Flugbewegungen - a.a.O. S. 31
Tab. 3-4) zurückzuführen - der Low-Cost-Verkehr wird anders als die touristischen Verkehre überwiegend auf dem Flughafen Tegel abgewickelt - und die im
Verhältnis dazu große absolute Zahl von Flugbewegungen insgesamt (144 434
Flugbewegungen) und dementsprechend auch zwischen 22:30 und 23:00 Uhr
(2 634 Flugbewegungen - a.a.O. S. 80 Tab. 7-1) sowie nach 6:00 Uhr. Der
„Stau-Effekt“ ist bei einem aufkommensstarken Verkehrssegment mit hohem
Nachtfluganteil stark; das ist nicht unplausibel.
61Die Glättung führt auch in den Zeitsegmenten von 22:00 bis 22:30 Uhr zu einem
Anstieg der Flugbewegungen von 7 872 (Nachtflug-Gutachten S. 81 Tab. 7-2)
auf 8 325 (a.a.O. S. 89 Tab. 8-5). Das ist rechnerisch die Folge davon, dass
zwischen 21:30 und 22:00 Uhr deutlich mehr Flugbewegungen stattfinden als
von 22:00 bis 22:30 Uhr. Die Glättung führt auf der anderen Seite für die Zeit
von 22:30 bis 23:00 Uhr zu einer Verringerung der Flugbewegungen von 7 005
auf 6 253. Insoweit ist die Glättung lediglich ein statistisches Verfahren zur verfeinerten Betrachtung der Halbstundensegmente.
622.1.1.4 Auswirkungen von Betriebsbeschränkungen
63Im letzten Prognoseschritt hat I. ein mögliches Modell für eine Regelung des
Nachtflugbetriebs entwickelt (Nachtflug-Gutachten S. 100 Tab. 9-2) und ausgehend hiervon die Zahl der Nachtflugbewegungen in 2020 prognostiziert (a.a.O.
S. 102 Tab. 9-4). Das Betriebsmodell entspricht weitgehend den im Planergänzungsbeschluss getroffenen Regelungen, lässt aber von 5:00 bis 5:30 Uhr und
von 23:30 bis 24:00 Uhr Flugverkehr weitergehend zu. Bei diesem Betriebsmodell wird sich die Zahl der Flugbewegungen in der Durchschnittsnacht 2020
nach Einschätzung von I. von 76,6 (a.a.O. S. 101 Tab. 9-3) auf 71,1 (a.a.O.
S. 102 Tab. 9-4), also um 5,5 Flugbewegungen, verringern.
64Die Kläger vermissen eine Begründung dafür, wann von einer Verschiebung
und wann von einem Entfallen eines Fluges auszugehen sei. Herr Dr. Schu. hat
hierzu in der mündlichen Verhandlung dargelegt, dass ein Flug, der umlaufbedingt für die Kernzeit der Nacht geplant werde, bei einem Nachtflugverbot in der
Regel ersatzlos entfalle. Eine Verschiebung um bis zu 30 Minuten in die Nachtrandzeiten habe man hingegen in der Regel als möglich angesehen; dieser
Zeitraum sei eine Setzung. Im Übrigen könnten sich im Zielgebiet ansässige
Fluggesellschaften auf nächtliche Betriebsbeschränkungen besser einstellen
als Home-Base-Carrier. Da die Durchführung eines Fluges auf einer unternehmerischen Entscheidung beruht, die nicht nur von den Betriebszeiten des Flughafens, sondern einer Vielzahl weiterer Faktoren abhängt, ist die Prognose, wie
sich Beschränkungen des Flugverkehrs auf das Flugangebot auswirken, mit
großen Unsicherheiten behaftet. Eine Überprüfung konkreter Umlaufplanungen
ist - wie noch darzulegen sein wird - nicht möglich. Welche weiteren Ermittlungen I. zur Ermittlung der Verschiebbarkeit von Flügen hätte anstellen sollen, ist
nicht ersichtlich. Dass Flüge, die kurz nach Ende oder kurz vor Wiederbeginn
des Betriebs geplant sind, leichter verschoben werden können als Flüge mitten
in der Kernzeit, ist plausibel. Ausgehend hiervon hält sich die Annahme, dass
Flüge bei einer zeitlichen Beschränkung des Nachtflugbetriebs in der Regel entfallen, wenn sie um mehr als 30 Minuten verschoben werden müssten, innerhalb des für eine solche Prognose erforderlichen Wertungsrahmens.
652.1.2 Ergänzende Prognose des Beklagten
66Der Beklagte hat die von I. vorgeschlagenen Betriebsregelungen, die in bestimmten Verkehrssegmenten und in bestimmten Jahreszeiten Flugbetrieb von
5:00 bis 24:00 Uhr vorsahen, nicht vollständig übernommen. Er hat den Nachtbetrieb weitergehend beschränkt; Flugbetrieb ist grundsätzlich nur von 5:30 bis
23:30 Uhr zulässig. Ausgehend von dem in Tabelle 9-4 des Nachtflug-
Gutachtens (S. 102) ermittelten Bedarf hat er die planmäßigen Flugbewegungen in den halben Stunden vor und nach der Kernzeit auf die nächstliegenden
halben Stunden verlagert (vgl. E-Mail des Beklagten an I. vom 24. August 2009,
Beiakte 17 Bl. 1880). Das Ergebnis dieser Anpassungen findet sich in der Tabelle auf S. 147 des Planergänzungsbeschlusses.
67Die Kläger machen geltend, der Beklagte habe Flugbewegungen verschoben,
für die I. einen „unabweisbaren“ Nachtflugbedarf festgestellt habe; nach der
Definition von I. handele es sich dabei um Verkehre, die „ersatzlos entfallen
müssten, wenn die entsprechende Flugzeit nicht zur Verfügung steht“ (Nachtflug-Gutachten S. 92). Dies belege die absolute Beliebigkeit des Vorgehens.
Dieser Vorwurf ist unbegründet. Die Bezeichnung des in Kapitel 9 des Nachtflug-Gutachtens ermittelten Bedarfs als „unabweisbar“ ist allerdings missverständlich. I. weist selbst darauf hin, dass es in der Praxis einen gewissen Spielraum zur Anpassung an die Gegebenheiten des Nachtflugverkehrs gibt (a.a.O.
S. 92 f., 96). Im Übrigen muss der Nachtflugbedarf gegen die Lärmschutzbelange abgewogen werden. Die Verschiebung der Flugbewegungen, die der Beklagte wegen der weitergehenden Beschränkung des Nachtflugbetriebs vorgenommen hat, stellt die Einschätzung von I. zur