Urteil des BVerwG vom 29.10.2008

Rechtliches Gehör, Flughafen, Halle, Wartung

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 4 A 3001.08
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 29. Oktober 2008
durch die Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Rojahn, Gatz
und die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Philipp
beschlossen:
Die Anhörungsrüge der Kläger wird zurückgewiesen.
Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens zu je einem
Drittel.
G r ü n d e :
Die Anhörungsrüge hat keinen Erfolg. Zu Unrecht machen die Kläger geltend,
der Senat habe im Urteil vom 24. Juli 2008 - BVerwG 4 A 3001.07 - ihren An-
spruch auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt. Sie
haben daher keinen Anspruch nach § 152a Abs. 1 Satz 1 VwGO auf Fortfüh-
rung des Verfahrens.
Der Anspruch auf rechtliches Gehör gibt dem an einem gerichtlichen Verfahren
Beteiligten ein Recht darauf, dass er Gelegenheit erhält, im Verfahren zu Wort
zu kommen, namentlich sich zu dem einer gerichtlichen Entscheidung zugrunde
liegenden Sachverhalt und zur Rechtslage zu äußern, Anträge zu stellen und
diese zu begründen. Dem entspricht die grundsätzliche Pflicht des Gerichts, die
Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung
zu ziehen (BVerfG, Beschluss vom 17. Mai 1983 - 2 BvR 731/80 - BVerfGE 64,
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135 <143 f.>). Die Gerichte sind aber nicht verpflichtet, jedes Vorbringen eines
Beteiligten in den Gründen einer Entscheidung ausdrücklich zu bescheiden
(BVerfG, Beschluss vom 19. Juli 1967 - 2 BvR 639/66 - BVerfGE 22, 267
<274>). Art. 103 Abs. 1 GG gewährt auch keinen Schutz gegen Ent-
scheidungen, die den Sachvortrag eines Beteiligten aus Gründen des formellen
oder materiellen Rechts teilweise oder ganz unberücksichtigt lassen (BVerfG,
Urteil vom 8. Juli 1997 - 1 BvR 1621/94 - BVerfGE 96, 205 <216>); die Vor-
schrift verpflichtet die Gerichte insbesondere nicht, der Rechtsansicht einer
Partei zu folgen (BVerfG, Beschluss vom 12. April 1983 - 2 BvR 678/81 -
BVerfGE 64, 1 <12>; Urteil vom 7. Juli 1992 - 1 BvL 51/86 u.a. - BVerfGE 87, 1
<33>). Aus ihr ergibt sich allerdings das Verbot, eine Entscheidung auf Gründe
zu stützen, die weder im Verwaltungsverfahren noch im Prozess erörtert wur-
den und mit deren Erheblichkeit für die Entscheidung nach dem bisherigen Ver-
lauf auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nicht rechnen
musste (BVerfG, Beschluss vom 29. Mai 1991 - 1 BvR 1383/90 - BVerfGE 84,
188 <190>). Hieran gemessen liegt ein Gehörsverstoß nicht vor.
1. Der Kläger zu 1 hat auf den Einwand des Beklagten und der Beigeladenen,
seine Klage gegen den angefochtenen Ergänzungsplanfeststellungsbeschluss
vom 27. Juni 2007 sei unzulässig, weil er den Planfeststellungsbeschluss vom
4. November 2004 habe bestandskräftig werden lassen und der Ergänzungs-
planfeststellungsbeschluss für ihn keine zusätzliche Beschwer bedeute, erwi-
dert, seine erstmalige Betroffenheit ergebe sich daraus, dass der Ergänzungs-
planfeststellungsbeschluss militärisch begründete Flugbewegungen gestatte,
deren Durchführung bei Bekanntgabe des Planfeststellungsbeschlusses im No-
vember 2004 noch nicht voraussehbar gewesen sei (Schriftsatz vom 10. Juli
2008, S. 2 bis 7). Diesen Einwand hat der Senat aufgegriffen, ihn aber als
rechtlich unerheblich zurückgewiesen, weil der Kläger zu 1 übersehe, dass der
Ergänzungsplanfeststellungsbeschluss keine Verkehre zum Betrieb zulasse,
sondern lediglich den durch die luftrechtliche Genehmigung vom 20. September
1990 in der Fassung des Bescheides vom 14. März 2000 bereits zugelassenen
Betrieb für die Nachtzeit beschränke (UA Rn. 22). Damit durfte es sein Bewen-
den haben. Die Frage, ob die Betriebsgenehmigung Sonderverkehre aufgrund
militärischer Anforderung deckt - was der Kläger zu 1 in Abrede stellt -, brauch-
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te nicht erörtert zu werden; denn sie ist für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit
des Ergänzungsplanfeststellungsbeschlusses ohne Bedeutung.
Dass Verkehre aufgrund militärischer Anforderung durch den Ergänzungsplan-
feststellungsbeschluss zugelassen worden wären, wäre allenfalls in Betracht zu
ziehen gewesen, wenn die Betriebsgenehmigung durch den Umbau des Flug-
hafens Leipzig/Halle und die Inbetriebnahme der neuen Start- und Landebahn
Süd unwirksam geworden wäre. Zwar war der Senat aufgrund einer vorläufigen
Einschätzung der Rechtslage im Eilbeschluss vom 1. November 2007
- BVerwG 4 VR 3001.07 - davon ausgegangen, dass die Betriebsgenehmigung
erloschen ist; davon hat er sich aber nicht erstmalig - und damit für den Kläger
zu 1 überraschend - in den schriftlichen Gründen des Urteils vom 24. Juli 2008
distanziert. Bereits in der mündlichen Verhandlung hat der Vorsitzende Richter
klargestellt, dass durch den Ergänzungsplanfeststellungsbeschluss keine Ver-
kehre zugelassen worden seien, sondern dass die Zulassungsentscheidung in
früheren Genehmigungen getroffen worden sei und im Ergänzungsplanfeststel-
lungsbeschluss nur Beschränkungen der Betriebszeiten für bestimmte Ver-
kehrsarten verfügt worden seien. Eines ausdrücklichen Hinweises des Inhalts,
der Senat gedenke, von seinem im Eilverfahren BVerwG 4 VR 3001.07 einst-
weilen eingenommenen Standpunkt abzurücken, bedurfte es nicht. Seine Auf-
fassung, dass die Betriebsgenehmigung einer erneuten Überprüfung durch den
Beklagten bedurfte, weil die planfestgestellte Veränderung der Bahnkonfigura-
tion eine wesentliche Änderung des Flughafens mit der Folge darstellt, dass
über die Betriebszeiten des Flughafens insgesamt neu entschieden werden
musste (Urteil vom 9. November 2006 - BVerwG 4 A 2001.06 - BVerwGE 127,
95 ), hat der Senat im Übrigen nicht aufgegeben, sondern ausdrück-
lich bestätigt (Urteil vom 24. Juli 2008 - BVerwG 4 A 3001.07 - Rn. 22).
Der Kläger zu 1 kann nicht mit dem Argument gehört werden, die Verneinung
der Klagebefugnis stelle eine unzulässige, mit Art. 19 Abs. 4 GG nicht vereinba-
re Rechtsschutzverkürzung dar, weil ihm verwehrt werde, sich gegen die durch
die Aufnahme militärischen Flugverkehrs bewirkte Gesichtsänderung des Flug-
hafens zur Wehr zu setzen. Die Anhörungsrüge ist kein Rechtsbehelf gegen
jedes (vermeintliche) prozessuale Unrecht, sondern schützt nur das durch
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Art. 103 Abs. 1 GG gewährte und einfachgesetzlich in den Prozessordnungen
ausgestaltete Recht auf rechtliches Gehör.
2. Soweit die Anhörungsrüge der Kläger zu 2 und 3 mit der Anhörungsrüge des
Klägers zu 1 inhaltlich übereinstimmt, gelten die vorstehenden Ausführungen
entsprechend.
Der Vorwurf der Kläger zu 2 und 3, der Senat habe sie dadurch überrascht,
dass er die behauptete Terrorgefahr aufgrund der Nutzung des Flughafens
Leipzig/Halle auch für militärische Sonderverkehre zum Transport von US-
Militärpersonal deshalb als geringfügig und nicht abwägungsbeachtlich ange-
sehen habe, weil die Sicherheitsvorkehrungen am Flughafen durch US-
amerikanische und deutsche Sicherheitsexperten begutachtet und gebilligt
worden seien (UA Rn. 102), ist unberechtigt. Die Beigeladene hatte mit ihren
dahingehenden Darlegungen in der mündlichen Verhandlung auf den Einwand
der Kläger zu 2 und 3 reagiert, ihre Sicherheitsbedenken seien vernachlässigt
worden. Der Senat hatte keinen Anlass, das Vorbringen der Beigeladenen in
Zweifel zu ziehen. Es wäre lebensfremd anzunehmen, dass Angehörige der
US-Armee, insbesondere Kampftruppen, einen ausländischen Flughafen zu
Zwischenlandungen nutzen, ohne dass zuvor die Sicherheitslage am Flughafen
und seinen Zufahrtswegen analysiert worden ist. Auch die Kläger zu 2 und 3
haben in der mündlichen Verhandlung nicht bestritten, dass die behauptete
Sicherheitsüberprüfung stattgefunden hat. Zu Unrecht machen sie deshalb gel-
tend, sie hätten in dieser Situation vernünftigerweise nicht damit rechnen kön-
nen, dass der Senat dem Vortrag der Beigeladenen folgen und eine Abwä-
gungserheblichkeit von Sicherheitsgefahren verneinen würde.
Die Kritik der Kläger zu 2 und 3, der Senat habe anlässlich der Anerkennung ei-
nes ausnahmsweisen Nachtflugbedarfs in der Zeit zwischen 5:00 und 5:30 Uhr
für verfrühte Ankünfte (UA Rn. 56) wesentlichen Vortrag unberücksichtigt
gelassen, ist unbegründet. Der Senat hat den Vortrag ihres Sachbeistandes F.,
Frühankünfte träten vor allem bei Interkontinentalverbindungen auf und ließen
sich durch eine Verlangsamung des betreffenden Fluges vermeiden, zur
Kenntnis genommen (UA Rn. 56). Er ist ihm jedoch in der Sache nicht gefolgt,
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da die Geschwindigkeit, mit der ein Flugzeug unterwegs sei, nicht allein von den
meteorologischen Verhältnissen und vom Flugzeugführer, sondern auch von
anderen Einflüssen abhänge. Was die Kläger zu 2 und 3 hiergegen vorbringen,
betrifft die gerichtliche Beweiswürdigung und führt nicht auf eine Verletzung des
rechtlichen Gehörs.
Den Vortrag F., dass eine Wartung mittels A-Checks auf allen Flughäfen der
Welt tagsüber stattfinden könne und daher die Durchführung eines A-Checks
als Kriterium für eine Flugberechtigung in der nächtlichen Kernzeit am Flugha-
fen Leipzig/Halle nicht gerechtfertigt erscheine, hat der Senat für unbeachtlich
gehalten. Er hat anerkannt, dass Fluggesellschaften, die logistisch in das Luft-
frachtzentrum am Flughafen Leipzig/Halle eingebunden sind, ein Interesse dar-
an haben können, Wartungsereignisse vom A-Check aufwärts nicht an einem
beliebigen Flughafen, sondern im Hinblick auf ihre Umlaufplanung am Flugha-
fen Leipzig/Halle durchzuführen. Er hat weiter gebilligt, dass nächtliche Flüge
dieser Luftfahrtunternehmen zum Zwecke der Wartung, Instandsetzung, Über-
führung und Bereitstellung in dem Umfang zulässig sind, in dem ihre Verkehre
die Nachtzeit in Anspruch nehmen dürfen (UA Rn. 73, 74). Dass er sich damit in
Widerspruch zu der Ansicht F. gesetzt hat, stellt keinen Gehörsverstoß dar.
Das Beispiel F. für einen vierfachen Balearenumlauf in der Tagzeit hat der Se-
nat in der mündlichen Verhandlung erörtert und zum Beweiswert in den Ent-
scheidungsgründen des Urteils Stellung genommen (UA Rn. 52). Damit ist dem
Anspruch der Kläger zu 2 und 3 auf rechtliches Gehör Genüge getan. Mit ihrer
Rüge, die Überlegungen und Berechnungen F. hätten den Senat veranlassen
müssen, von der Gegenseite einen detaillierten Nachweis der Umlaufbedin-
gungen unter Berücksichtigung der Start- und Landezeiten, Wartungsmöglich-
keiten sowie Kapazitäten, Reichweite und Wartungszeiten des eingesetzten
Flugzeugtyps zu fordern, beanstanden sie eine unzureichende Klärung des
Sachverhalts. Einen Gehörsverstoß zeigen sie damit nicht auf.
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Soweit der Senat die Annahme des Beklagten gebilligt hat, für nächtliche Post-
flüge bestehe ein standortspezifischer Bedarf, stellt sich sein Urteil nicht als un-
zulässiges Überraschungsurteil dar. Die Kläger zu 2 und 3 konnten sich nicht
darauf verlassen, dass die Nachtflugregelung in A I. 4.7.1.2 des Ergänzungs-
planfeststellungsbeschlusses unter Bezugnahme auf die Senatsentscheidung
vom 20. April 2005 - BVerwG 4 C 18.03 - (BVerwGE 123, 261 <272>) bean-
standet werden würde. Der Begründung des Ergänzungsplanfeststellungsbe-
schlusses (S. 42 f.) lässt sich entnehmen, dass auch der Beklagte die Voraus-
setzung, es sei ein Nachtflugbedarf im Luftpostverkehr in absehbarer Zeit mit
hinreichender Sicherheit zu erwarten, verneint hat. Wegen der spezifischen
Standortbedingungen am Flughafen Leipzig/Halle hat er sich „dennoch“ zu der
Regelung in A I. 4.7.1.2 veranlasst gesehen (EPFB S. 43). Sowohl der Beklagte
als auch die Beigeladene haben die Regelung gegen die Angriffe der Kläger
zu 2 und 3 schriftsätzlich verteidigt. Aus der Tatsache, dass der Senat sie nicht
zum Gegenstand des Rechtsgesprächs in der mündlichen Verhandlung ge-
macht hat, durften die Kläger zu 2 und 3 nicht den Schluss ziehen, dass sie
vom Senat missbilligt werden würde, sondern mussten als ebenso wahrschein-
lich in Rechnung stellen, dass der Senat der Argumentation der Gegenseite
folgt.
3. Zu einem „Überdenken“ der Ausführungen zu Rn. 96 seines Urteils sieht sich
der Senat nicht veranlasst.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 159 Satz 1 VwGO, § 100
Abs. 1 ZPO. Die Gerichtsgebühr ergibt sich unmittelbar aus Nr. 5400 der Anla-
ge 1 zu § 3 Abs. 2 GKG. Einer Streitwertfestsetzung bedarf es nicht.
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