Urteil des BVerwG vom 09.11.2006

Halle, Flughafen, Nacht, Schallschutz

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
BVerwG 4 A 2001.06
Verkündet
am 9. November 2006
Pforte
Geschäftsstellenverwalterin
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 24. und 25. Oktober 2006
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Paetow,
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Rojahn, Gatz und
Dr. Jannasch sowie die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Philipp
am 9. November 2006 für Recht erkannt:
Der Beklagte wird verpflichtet, unter Beachtung der
Rechtsauffassung des Gerichts erneut darüber zu ent-
scheiden, ob der Nachtflugbetrieb, soweit es nicht um
Frachtflüge zum Transport von Expressgut geht, über die
unter A II. 4.7.1. des Planfeststellungsbeschlusses vom
4. November 2004 in der Gestalt des Änderungsplanfest-
stellungsbeschlusses vom 9. Dezember 2005 getroffenen
flugbetrieblichen Regelungen hinaus beschränkt wird.
Soweit der Planfeststellungsbeschluss dieser Verpflich-
tung entgegensteht, wird er aufgehoben.
Im Übrigen werden die Klagen abgewiesen.
- 3 -
Von den Gerichtskosten sowie den außergerichtlichen
Kosten des Beklagten und der Beigeladenen tragen die
Kläger zu 1 und 2 als Gesamtschuldner 300/355, die Klä-
gerin zu 3 40/355 und die Kläger zu 4 und 5 als Gesamt-
schuldner 25/710.
Der Beklagte und die Beigeladene tragen jeweils 5/1420
der Gerichtskosten sowie jeweils 1/12 der außergerichtli-
chen Kosten der Kläger zu 4 und 5. Im Übrigen findet eine
Kostenerstattung nicht statt.
G r ü n d e :
I
Die Kläger wenden sich gegen den Planfeststellungsbeschluss des Regie-
rungspräsidiums Leipzig (im Folgenden: Beklagter) für das Vorhaben „Ausbau
des Verkehrsflughafens Leipzig/Halle Start-/Landebahn Süd mit Vorfeld“.
Der Flughafen Leipzig/Halle verfügt über zwei Start- und Landebahnen, die im
Jahre 1960 fertig gestellte Start- und Landebahn Süd mit einer Länge von
2 500 m und die im Jahre 2000 in Dienst gestellte Start- und Landebahn Nord
mit einer Länge von 3 600 m. Die Bahnen sind in der Form eines nach Osten
offenen V konfiguriert. Der angefochtene Planfeststellungsbeschluss sieht im
Kern vor, die als grundsanierungsbedürftig bezeichnete Südbahn durch Dre-
hung um einen Winkel von 20° gegen den Uhrzeigersinn parallel zur Nordbahn
auszurichten und auf 3 600 m zu verlängern; er ermöglicht ferner zahlreiche
bauliche Veränderungen im Umfeld der Start- und Landebahnen. Zentrales
Planungsziel ist der Ausbau des Flughafens zu einem Knotenpunkt für den
Luftfrachtverkehr. Beide Start- und Landebahnen sollen auf der Grundlage der
unbefristeten Nachtfluggenehmigung vom 20. September 1990 in der Gestalt
der Genehmigung vom 14. März 2000 im Wesentlichen ohne zeitliche Ein-
schränkung für den Luftverkehr zur Verfügung stehen. Lediglich An- und Abflü-
ge im Rahmen von Ausbildungs- und Übungsflügen sind in der Nachtzeit
(22:00 Uhr bis 6:00 Uhr) unzulässig (PFB A II. 4.7.1., S. 32 f.).
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Das Planfeststellungsverfahren nahm folgenden Verlauf: Am 3. November 2003
beantragte die Beigeladene beim Beklagten die Planfeststellung für das streitige
Vorhaben. Dem Antrag waren die planfestzustellenden Unterlagen, Erläute-
rungen, Gutachten, nachrichtliche Planunterlagen und weitere Anlagen beige-
fügt. Diese lagen ohne Änderungen oder Ergänzungen in verschiedenen säch-
sischen und sachsen-anhaltischen Städten und Gemeinden zwischen dem
21. November und 22. Dezember 2003, in der Stadt Halle bis zum 7. Januar
2004, öffentlich aus. Mit ihren fristgerecht erhobenen Einwendungen setzten
sich die Kläger zu 1 bis 3 gegen das Vorhaben zur Wehr. Schwerpunktmäßig
forderten sie ein Nachtflugverbot und eine Entschädigung für die zu erwarten-
den Wertminderungen ihrer Grundstücke. Vom 19. April bis 5. Mai 2004 fand
der Erörterungstermin statt. Im Anschluss hieran reichte die Beigeladene eine
Reihe ergänzender Gutachten, Stellungnahmen und Unterlagen nach und holte
der Beklagte zur weiteren Sachverhaltsaufklärung und Beurteilung diverse Gut-
achten und gutachterliche Stellungnahmen ein; die Kläger zu 1 bis 3 vertieften
und ergänzten ihre Einwendungen. In der Verwaltungsgemeinschaft Laucha-
Schwarzeiche, in der die Kläger zu 4 und 5 ihre Grundstücke haben, lagen die
Antragsunterlagen nicht aus.
Am 4. November 2004 stellte der Beklagte den Plan fest. Der im Verwaltungs-
verfahren erhobenen Forderung nach Verhängung eines Nachtflugverbots er-
teilte er mit der Begründung eine Absage, ein solches Verbot würde dem mit der
Einrichtung eines Fracht-Hubs implizierten Verkehrsbedürfnis an der Bedienung
weltweiter Destinationen im Luftfrachtverkehr zuwider laufen. Ein zentraler
Fracht-Hub beruhe logistisch auf einem Hub- und Spoke-System, mit dem Ex-
presssendungen über Nacht zum Empfänger befördert würden. Insbesondere
die weltweiten Einkaufsmöglichkeiten über Internet (E-commerce) mit ihrem
Bedürfnis an schnellen Transportmöglichkeiten ließen ein weiteres Wachsen
dieses Marktsegmentes erwarten. Das Transportsystem sei auf Nachtflüge
zwingend angewiesen, weil sich ohne die Möglichkeit zum Nachtflug nicht ge-
währleisten lasse, dass die angelieferte Tagesproduktion am folgenden Tag an
ihrem Bestimmungsort in Deutschland oder im europäischen Ausland ausgelie-
fert werden könne (sog. Nachtsprung). Aufgrund der auf das absolute Minimum
reduzierten Zeitfenster der Logistikkette sei mit einer Verteilung der Frachtflug-
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bewegungen auf zwei Spitzenzeiten zwischen 0:00 Uhr und 1:30 Uhr (Ankunft)
sowie zwischen 4:00 Uhr und 5:30 Uhr (Abflug) zu rechnen.
Der Planfeststellungsbeschluss verweist die Flughafenanwohner auf passiven
Lärmschutz. Er formuliert Schutzziele und setzt Nacht- und Tagschutzgebiete
fest. Zusätzlich markiert er ein Entschädigungsgebiet „Übernahmeanspruch“
und verpflichtet die Beigeladene, Entschädigung für die Beeinträchtigung der
Nutzung von Außenwohnbereichen zu leisten. Weitere Auflagen zum Lärm-
schutz behält er sich vor.
Unter A II. 4.2.1. (PFB S. 23) ordnet der Planfeststellungsbeschluss an, dass
die Beigeladene auf Antrag des Eigentümers eines innerhalb des Nachtschutz-
gebietes gelegenen Grundstücks, das am 22. November 2003 bebaut oder be-
baubar war, für Schallschutzvorrichtungen an Schlafräumen Sorge zu tragen
hat. Die Schallschutzvorrichtungen haben zu gewährleisten, dass durch An- und
Abflüge von den beiden Start- und Landebahnen im Mittel weniger als eine zu-
sätzliche (nicht erinnerbare) Aufwachreaktion verursacht wird und im Mittel Ma-
ximalpegel innen von 65 dB(A) und mehr ausgeschlossen sind. Für jedes
Wohngebäude ist die gemäß der Dosis-Wirkungs-Beziehung des DLR erforder-
liche Pegeldifferenz gemäß Anlage 7 des Planfeststellungsbeschlusses zu er-
mitteln. In dem so berechneten Gebiet mit einer Pegeldifferenz von 25 dB(A)
und mehr ist die erforderliche Pegeldifferenz um 3 dB(A) zur Gewährleistung
des Wiedereinschlafens zu erhöhen. Ist der gebotene Schallschutz nur dadurch
zu bewirken, dass die Fenster von Schlafräumen geschlossen gehalten werden,
hat die Beigeladene auf Antrag des Eigentümers eines im Nachtschutzgebiet
gelegenen Grundstücks für Belüftungseinrichtungen an diesen Schlafräumen
Sorge zu tragen und sicherzustellen, dass bei geschlossenen Fenstern eine
Mindestpegeldifferenz außen/innen von 25 dB(A) gewährleistet ist.
Das Nachtschutzgebiet umfasst das Gebiet, welches von der durch das DLR
ermittelten Dosis-Wirkungs-Beziehung errechneten Kontur von im Mittel einer
zusätzlichen Aufwachreaktion bei einer Pegeldifferenz von außen/innen von
15 dB(A) - unter Berücksichtigung eines Zuschlags von 1,4 dB(A) auf jedes
Fluggeräusch in dem Zeitraum zwischen 2:00 Uhr und 6:00 Uhr - umschlossen
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wird sowie das Gebiet, das durch die fluglärmbedingte Maximalpegelkontur von
im Mittel 1 x 80 dB(A)
außen
umschlossen wird (PFB A II. 4.2.2. i.d.F. des Ände-
rungsplanfeststellungsbeschlusses vom 9. Dezember 2005). Die Pegeldifferenz
von 15 dB(A) entspricht der angenommenen Lärmdämmwirkung eines gekipp-
ten Fensters, die Festlegung der Maximalpegelkontur dient dem Schutz vor ei-
nem erinnerbaren Aufwachen. Die Festlegung des Nachtschutzgebietes dient
der Beweiserleichterung. Innerhalb seiner Grenzen wird zugunsten der Eigen-
tümer von bebauten oder bebaubaren Grundstücken unwiderlegbar vermutet,
dass ein Anspruch auf geeignete Schallschutzvorrichtungen an Schlafräumen
besteht. Außerhalb der Grenzen ist durch eine Einzelfallprüfung das Erfordernis
von Schallschutzvorrichtungen vom Eigentümer nachzuweisen.
Bei dem in den Auflagen erwähnten DLR handelt es sich um das Deutsche
Zentrum für Luft- und Raumfahrt e.V., dem Forschungszentrum der Bundesre-
publik Deutschland für Luft- und Raumfahrt, Energie und Verkehr. Es hat zwi-
schen 1999 und 2004 in experimentellen Studien den Zusammenhang zwi-
schen dem Maximalpegel eines Fluggeräuschs (Dosis) und der Wahrschein-
lichkeit, durch das Fluggeräusch zu erwachen (Wirkung), erforscht. Die Ergeb-
nisse sind in einer Tabelle abgebildet, in der die Abhängigkeit der Anzahl der
Fluggeräusche, die zu einer fluglärmbedingten Aufwachreaktion führen, von
dem jeweiligen Einzelschallwert des Fluggeräuschs dargestellt ist. Die Werte
der Tabelle gehen zusammen mit den Daten des prognostizierten Verkehrsauf-
kommens, der Lage der Flugrouten, der höhenmäßigen Entfernungen und der
Zusammensetzung des künftigen Flugzeugmixes in eine Rechenformel ein, die
als Anlage 7 Bestandteil des Planfeststellungsbeschlusses geworden ist.
Die Auflage A II. 4.2.1. (PFB S. 23) wird durch die Regelung in A II. 4.2.4. (PFB
S. 24 f.) ergänzt. Danach ist, wenn innerhalb des Nachtschutzgebietes der flug-
hafeninduzierte Bodenlärm (Rolllärm, Bodenlärm Luft- und Landseite) einen
energieäquivalenten Dauerschallpegel
≥ 45 dB(A)
außen
erreicht, unter Bildung
des Summenpegels von Fluglärm und flughafeninduziertem Bodenlärm der
Schallschutz zu ermitteln, der einen Innenraumpegel von 30 dB(A) gewährleis-
tet. Ist der so ermittelte Schallschutz qualitativ besser als der Schallschutz nach
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A II. 4.2.1., hat die Beigeladene diesen qualitativ besseren Schallschutz zu leis-
ten.
Mit der Auflage A II. 4.1.1. (PFB S. 22) verpflichtet der Planfeststellungsbe-
schluss die Beigeladene, auf Antrag des Eigentümers eines innerhalb der Tag-
schutzgebiete gelegenen Grundstücks, das am 22. November 2003 bebaut oder
bebaubar war, für Schallschutzvorrichtungen an Aufenthaltsräumen Sorge zu
tragen. Die Schallschutzvorrichtungen haben zu gewährleisten, dass durch An-
und Abflüge von den beiden Start- und Landebahnen im Rauminnern bei
geschlossenen Fenstern keine höheren Einzelschallpegel als 55 dB(A) auftre-
ten. Die Tagschutzgebiete umfassen die Gebiete, die von den Grenzlinien eines
für die Tagstunden (6:00 Uhr bis 22:00 Uhr) der sechs verkehrsreichsten Mona-
te ermittelten energieäquivalenten Dauerschallpegels von 60 dB(A)
außen
und der
19 x 82 dB(A) Maximalpegelkontur
außen
umschlossen werden (PFB A II. 4.1.2.,
S. 22).
Die Beigeladene ist ferner gehalten, auf Antrag des Eigentümers eines inner-
halb des Entschädigungsgebietes „Übernahmeanspruch“ gelegenen, am
22. November 2003 bebauten oder bebaubaren Grundstücks eine Entschädi-
gung nach den Regelungen des Enteignungsrechts gegen Übereignung des
Grundstücks zu leisten (PFB A II. 4.3.1., S. 26). Das Entschädigungsgebiet
„Übernahmeanspruch“ erfasst das Gebiet, welches von der Grenzlinie eines für
die Nachtstunden (22:00 Uhr bis 6:00 Uhr) der sechs verkehrsreichsten Monate
ermittelten energieäquivalenten Dauerschallpegels von 58,7 dB(A)
außen
um-
schlossen wird (PFB A II. 4.3.2., S. 26). Außenwohnbereiche sind zu entschä-
digen, wenn in den Tagstunden der sechs verkehrsreichsten Monate ein ener-
gieäquivalenter Dauerschallpegel von 62 dB(A) erreicht oder überschritten wird
(PFB A II. 4.4.1. und 4.4.2. i.d.F. der Erklärung des Beklagten vom 25. Oktober
2006).
Die Kläger zu 1 und 2 sind Eigentümer eines mit einem Wohnhaus bebauten
Grundstücks in Leipzig-Hohenheida. Das Grundstück liegt innerhalb des fest-
gesetzten Nachtschutzgebietes. Die Klägerin zu 3 nennt ein Wohngrundstück in
Schkeuditz-Radefeld ihr Eigen, das von der Kontur flughafeninduzierter Boden-
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lärm L
eq
= 45 dB(A)
nachts
erfasst wird. Den Klägern zu 4 und 5 gehört ein Wohn-
grundstück in Delitz am Berge. Das Grundstück liegt außerhalb der festgesetz-
ten Schutzgebiete.
Die Kläger haben im Januar 2005 Klage erhoben. Sie halten den Planfeststel-
lungsbeschluss aus einer Vielzahl von Gründen für formell und materiell rechts-
widrig.
In formeller Hinsicht rügen sie schwerpunktmäßig, dass die Umweltverträglich-
keitsprüfung an Defiziten leide. Der Beklagte habe zu Unrecht auf einen Sco-
ping-Termin verzichtet und verschiedenen Belangen des Natur-, Landschafts-
und Umweltschutzes nicht ausreichend Rechnung getragen. Der Planfeststel-
lungsbeschluss leide ferner daran, dass ihm als gesonderte Verfahrensstufe
kein Raumordnungsverfahren nach § 15 Abs. 1 ROG (Raumordnungsgesetz),
§ 15 Abs. 1 SächsLPlG (Gesetz zur Raumordnung und Landesplanung des
Freistaates Sachsen) vorausgegangen sei.
Materiell rechtswidrig sei der Planfeststellungsbeschluss in erster Linie wegen
fehlender Planrechtfertigung. Bei der Planung handele es sich um eine unzu-
lässige Angebotsplanung. Der Planfeststellungsbeschluss sei zudem mit Abwä-
gungsfehlern behaftet. U.a. habe der Beklagte verkannt, dass das bestehende
Bahnensystem zur Abwicklung des erwarteten Transportaufkommens ausrei-
chend sei. Kritik üben die Kläger ferner an der Zulassung eines nahezu unbe-
schränkten Nachtflugbetriebs sowie am Konzept des passiven Lärmschutzes,
das sie in mehrfacher Hinsicht für nachbesserungsbedürftig halten.
Die Kläger beantragen,
den Planfeststellungsbeschluss des Regierungspräsidi-
ums Leipzig vom 4. November 2004 i.d.F. des Ände-
rungsplanfeststellungsbeschlusses vom 9. Dezember
2005 aufzuheben,
hilfsweise, den Beklagten zu verpflichten,
I. zum Nachtschutz
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1. a)
aa) ein Nachtflugverbot für die Nutzung der beiden Start-
und Landebahnen des Flughafens Leipzig/Halle in der Zeit
von 23:00 Uhr bis 6:00 Uhr zu verhängen,
hilfsweise hierzu,
Landungen nur zwischen 6:00 Uhr und 24:00 Uhr zuzu-
lassen,
bb) ein nicht überschreitbares Kontingent nächtlicher
Flugbewegungen festzulegen,
b) die ausnahmslose Gleichverteilung aller Flugbewegun-
gen auf beide Start- und Landebahnen festzuschreiben,
c) anzuordnen, dass bei nächtlichem Flugbetrieb in der
Zeit von 0:00 Uhr bis 5:00 Uhr strahlgetriebene Flugzeuge
mit einer maximal zulässigen Abflugmasse von mehr als
20 t nur starten und landen dürfen, wenn der Nachweis
erbracht ist, dass deren gemessene Lärmzertifizierungs-
werte in der Summe mindestens 10 EPNdB unter der
Summe der für sie geltenden Grenzwerte gemäß Band 1,
Teil II, Kapitel 3, Anhang 16 des Abkommens über die in-
ternationale Zivilluftfahrt liegen,
d) An- und Abflugverfahren mit möglichst steilem An-/
Abflugwinkel festzuschreiben,
2. das Nachtschutzgebiet wie folgt neu festzusetzen:
Das Nachtschutzgebiet umfasst folgende Gebiete:
- Gebiet, welches aufgrund der vom DLR ermittelten Do-
sis-Wirkungs-Beziehung errechneten Kontur von im Mittel
0,5 zusätzlichen Aufwachreaktionen unter Zugrundele-
gung einer Pegeldifferenz von außen/innen von 13 dB(A)
- unter Berücksichtigung eines Zuschlags von 3 dB(A) auf
jedes Fluggeräusch in dem Zeitraum zwischen 2:00 Uhr
und 6:00 Uhr - umschlossen wird,
- Gebiet, das durch die fluglärmbedingte Maximalpegel-
kontur von im Mittel 75 dB(A)
außen
umschlossen wird,
II. zum Tagschutz
1. Starts nur in der Zeit von 5:00 Uhr bis 24:00 Uhr zuzu-
lassen,
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2. die ausnahmslose Gleichverteilung aller Flugbewegun-
gen auf beide Start- und Landebahnen festzuschreiben,
3. anzuordnen, dass bei nächtlichem Flugbetrieb in der
Zeit von 0:00 Uhr bis 5:00 Uhr strahlgetriebene Flugzeuge
mit einer maximal zulässigen Abflugmasse von mehr als
20 t nur starten und landen dürfen, wenn der Nachweis
erbracht ist, dass deren gemessene Lärmzertifizierungs-
werte in der Summe mindestens 10 EPNdB unter der
Summe der für sie geltenden Grenzwerte gemäß Band 1,
Teil II, Kapitel 3, Anhang 16 des Abkommens über die in-
ternationale Zivilluftfahrt liegen,
4. An- und Abflugverfahren mit möglichst steilem An-/
Abflugwinkel festzuschreiben,
III. der Beigeladenen aufzugeben, auf Antrag der Kläger
zu 1 und 2 für den Fall schwerer Erkrankung eine Ent-
schädigung nach den Regelungen des Enteignungsrechts
gegen Übereignung des Grundstücks zu leisten,
hilfsweise dazu,
der Beigeladenen aufzugeben, auf Antrag der Kläger zu 1
und 2 Entschädigung für Verkehrswertminderungen i.H.v.
250 000 € zu leisten,
IV. der Beigeladenen aufzugeben, auf Antrag der Klägerin
zu 3 Entschädigung für Verkehrswertminderungen i.H.v.
25 000 € zu leisten.
Der Beklagte und die Beigeladene beantragen Klagabweisung. Sie halten den
Planfeststellungsbeschluss für rechtmäßig.
II
Die Klagen sind nur zum Teil begründet. Die Kläger haben keinen Anspruch auf
die mit ihrem Hauptantrag begehrte Aufhebung des umstrittenen Planfeststel-
lungsbeschlusses. Die auf Planergänzung gerichteten Hilfsanträge haben ledig-
lich im Umfang des Entscheidungstenors Erfolg.
A.1. Die Kläger können nicht verlangen, dass der Planfeststellungsbeschluss
wegen eines Verfahrensfehlers aufgehoben wird.
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1.1 Soweit die Kläger monieren, die ausgelegten Antragsunterlagen seien un-
vollständig gewesen und im weiteren Verlauf des Verwaltungsverfahrens nur
unzureichend ergänzt worden, können sie das nicht aus der Erwägung heraus
tun, Dritte seien über das Ausmaß ihrer tatsächlichen und rechtlichen Betrof-
fenheit getäuscht worden. Die Kläger dürfen sich nicht zum Sachwalter fremder
Interessen machen, sondern sind auf die Verteidigung eigener Rechte be-
schränkt.
Zu Unrecht nehmen die Kläger an, den Planfeststellungsbeschluss einer allge-
meinen Rechtmäßigkeitskontrolle zuführen zu können. Zwar hat derjenige,
dessen Grundeigentum notfalls im Wege der Enteignung entzogen werden darf,
ein klagefähiges Abwehrrecht gegen die Planfeststellung auch insoweit, als sich
die Rechtswidrigkeit des Vorhabens aus der Verletzung objektiv-rechtlicher
Vorschriften ergibt und die Inanspruchnahme seines Grundeigentums in einem
Ursachenzusammenhang mit dem rechtlichen Mangel steht (grundlegend Urteil
vom 18. März 1983 - BVerwG 4 C 80.79 - BVerwGE 67, 74 <76>). Der
angefochtene Planfeststellungsbeschluss sieht einen Zugriff auf das Eigentum
der Kläger jedoch nicht vor und entfaltet daher keine enteignungsrechtlichen
Vorwirkungen zu ihren Lasten. Die Kläger sind auch nicht deshalb enteignend
betroffen, weil ihre Grundstücke, wie sie behaupten, unzumutbaren
Lärmbelastungen ausgesetzt werden sollen. Mittelbare Beeinträchtigungen,
also solche, durch die - wie vorliegend - das Eigentum nicht vollständig oder
teilweise entzogen wird, bestimmen unabhängig von ihrer Intensität Inhalt und
Schranken des Eigentums i.S.v. Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG und stellen keine
Enteignung i.S.d. Art. 14 Abs. 3 Satz 1 GG dar (vgl. BVerfG, Beschluss vom
2. März 1999 - 1 BvL 7/91 - BVerfGE 100, 226 <240>; BVerwG, Urteil vom
6. Juni 2002 - BVerwG 4 A 44.00 - NVwZ 2003, 209 <210>).
1.2 Ob die Unterlagen, die dem Antrag der Beigeladenen auf Planfeststellung
beigefügt waren, unverständlich waren und die Lärmgutachten, die Gegenstand
der Auslegung waren, mit Mängeln behaftet sind, kann offen bleiben. Gleiches
gilt für die Frage nach der Qualität der von der Planfeststellungsbehörde nach-
geforderten Unterlagen und der veranlassten Gutachten und Plausibilitätsprü-
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fungen. Die Kläger könnten die Aufhebung des Planfeststellungsbeschlusses
wegen der insoweit behaupteten Verfahrensfehler nur beanspruchen, wenn sie
dadurch an der rechtzeitigen Geltendmachung ihrer Belange gehindert worden
wären (vgl. Beschluss vom 26. August 1998 - BVerwG 11 VR 4.98 - Buchholz
442.09 § 20 AEG Nr. 22). Dafür ist nichts vorgetragen und auch nichts ersicht-
lich. Die Planauslegung dient dazu, die potenziell Betroffenen über das geplante
Vorhaben zu unterrichten. Diesem Zweck ist in aller Regel Genüge getan, wenn
ihnen die Auslegung Anlass zur Prüfung geben kann, ob ihre Belange von der
Planung berührt werden und sie im anschließenden Anhörungsverfahren zur
Wahrung ihrer Rechte oder Belange Einwendungen erheben wollen. Jedenfalls
auf die Kläger zu 1 bis 3 hat die Auslegung ihre Anstoßwirkung nicht verfehlt.
Sie haben die Auslegung zum Anlass genommen, mit ihrem Anliegen im
Anhörungsverfahren vorstellig zu werden, das Vorhaben insbesondere wegen
der Fluglärmbelastung zur Nachtzeit zu Fall zu bringen.
Die Kläger zu 4 und 5 haben keine Einwendungen erhoben. Dies beruht nach
ihrem eigenen Vorbringen allerdings nicht auf der behaupteten Lückenhaftig-
keit, Unübersichtlichkeit oder mangelnden Verständlichkeit der ausgelegten
Unterlagen, sondern darauf, dass die Unterlagen in der Verwaltungsgemein-
schaft Laucha-Schwarzeiche, zu der ihr Wohnort gehört, nicht ausgelegen ha-
ben.
1.3 Die Kläger machen geltend, dass die von der Planfeststellungsbehörde ver-
arbeitete Umweltverträglichkeitsstudie eine Reihe von Defiziten aufweise. Die
Planfeststellungsbehörde habe zu Unrecht auf einen Scoping-Termin verzichtet.
Die Karte 1.1 („Mensch und Raum“) der Umweltverträglichkeitsstudie vom
28. Oktober 2003 stelle das Gebiet dar, das von Fluglärm möglicherweise be-
troffen sein könne. Sie ermögliche keine Beurteilung, inwieweit tatsächlich mit
einer Betroffenheit zu rechnen sei. Die Variantenuntersuchung „Straße“ in der
Studie sei mangelhaft, da sich keine Darstellung für die „kurze“ Westumfahrung
finde; für die Staatsstraße S 8a werde nur eine Variante angeführt. Nicht nach-
vollziehbar sei, wie das während der Bauphase anfallende Schüttgut über die
Bundesautobahnen A 9 und A 14 solle abtransportiert werden können. Fehler-
haft werde in dem Verlust erholungswirksamer Strukturen kein Konfliktschwer-
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punkt erkannt. Querungsmöglichkeiten für Tiere über die Bundesautobahnen
fänden sich zur A 14 nicht und seien hinsichtlich der A 9 unzureichend. Die
Auswirkungen auf betroffene Kleingartenanlagen seien zu gering bewertet, weil
die Darstellung, Kleingärten dienten nicht dem Wohnen, unberücksichtigt lasse,
dass die Gärten dem längerfristigen Aufenthalt an Wochenenden und in der
Ferienzeit dienten. Fehlende Aussagen beispielsweise zur Überbauung der „Al-
ten Sandgrube“ als „alte“ Deponie ließen auf eine Ausblendung der gesamten
Altlastenproblematik nach dem Bundes-Bodenschutzgesetz schließen. Ver-
säumt worden sei, die Ortschaft Freiroda vor dem Roll-, Autobahn- und Eisen-
bahnlärm durch eine ökologisch wertvolle Bepflanzung der Freifläche zwischen
Freiroda und der Bundesautobahn zu schützen. All diese Schwachpunkte hätten
dazu geführt, dass die Gesamtauswirkungen des Flughafenausbaus auf die
Bevölkerung und die Siedlungsgebiete im Raum Leipzig/Halle sowie auf die
Belange des Natur-, Landschafts- und Umweltschutzes im Planfeststellungsver-
fahren nicht hinreichend behandelt worden seien.
Die Einwände sind allesamt unbeachtlich.
Die Kläger können aus dem Verzicht des Beklagten auf Durchführung eines
Scoping-Termins nichts zu ihren Gunsten herleiten. Das Scoping dient der Un-
terrichtung des Vorhabenträgers über den Inhalt und Umfang der voraussicht-
lich beizubringenden Unterlagen über die Umweltauswirkungen des Vorhabens.
Es ist gesetzlich nicht generell vorgeschrieben, sondern findet nur statt, sofern
der Vorhabenträger darum ersucht oder die zuständige Behörde es für erforder-
lich hält (§ 5 Satz 1 UVPG). Sind - wie hier - weder der Vorhabenträger noch
die Behörde an einem Scoping interessiert, hat es damit sein Bewenden. Rech-
te Dritter werden dadurch nicht tangiert. Deren mögliche Beteiligung an einem
Scoping (§ 5 Satz 4 UVPG) erfüllt nicht, wie die Kläger offenbar meinen, eine
rechtsschutzgewährende bzw. -wahrende Funktion, sondern dient allein dazu,
die Behörde bei der sachgerechten Bestimmung des voraussichtlichen Unter-
suchungsrahmens zu unterstützen (Erbguth/Schink, UVPG, 2. Aufl. 1996, § 5
Rn. 13; Hoppe/Haneklaus, UVPG, 2. Aufl. 2002, § 5 Rn. 20; Bunge, in: Storm/
Bunge, Handbuch der Umweltverträglichkeitsprüfung, Band 1, § 5 UVPG
Rn. 37).
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Auch die sonstigen Mängel, die der Studie anhaften sollen, haben nicht zu einer
Verkürzung der Rechte der Kläger geführt. Dies gilt namentlich, soweit es um
den angeblich vernachlässigten Schutz von Kleingärten und der Ortschaft
Freiroda geht. Die Kläger behaupten nicht, dort zu wohnen oder Grundeigentum
zu haben.
1.4 Der an den Beklagten gerichtete Vorwurf, die gegen das Vorhaben erhobe-
nen Einwendungen seien nicht intensiv genug erörtert worden, ist unsubstanzi-
iert. Die Kläger legen nicht - wie dies zur Darlegung einer Verletzung eigener
Rechte erforderlich wäre - dar, in welcher Hinsicht die von ihnen erhobenen
Einwendungen einer weiteren Erörterung bedurft hätten. Es ist nicht Sache des
Senats, die Wortprotokolle über den Erörterungstermin daraufhin durchzuse-
hen, ob und ggf. bei welchen Themenkreisen die Kläger und ihr Prozessbe-
vollmächtigter in der Diskussion mit dem Vertreter des Beklagten, den Vertre-
tern der Beigeladenen und den Sachverständigen zu kurz gekommen sein
könnten.
1.5 Mit ihrer Rüge, die Planfeststellungsbehörde habe zu Unrecht angenom-
men, dass nach § 15 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 Nr. 1 Alt. 1 ROG, § 16 Halb-
satz 2 Nr. 1 Alt. 1 SächsLPlG von einem Raumordnungsverfahren habe abge-
sehen werden dürfen, können die Kläger nicht gehört werden; denn da ihnen
unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt ein Anspruch auf Durchführung eines
Raumordnungsverfahrens als gesonderte Verfahrensstufe zustehen kann (vgl.
Beschluss vom 21. Februar 1973 - BVerwG 4 CB 69.72 - DVBl 1973, 448
<450>; Cholewa/Dyong/von der Heide/Arenz, Raumordnung in Bund und Län-
dern, 4. Aufl., § 15, Rn. 19), können sie durch den Verzicht darauf nicht in ihren
Rechten verletzt sein.
Abgesehen davon ist die Kritik der Kläger auch nicht berechtigt. Nach § 15
Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 Nr. 1 Alt. 1 ROG kann, nach § 16 Halbsatz 2 Nr. 1
Alt. 1 SächsLPlG soll von einem Raumordnungsverfahren abgesehen werden,
wenn die Planung oder Maßnahme den Zielen der Raumordnung entspricht.
Das ist hier der Fall. Der Landesentwicklungsplan Sachsen vom 16. Dezember
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2003 (GVBl 2003, 915) normiert als Ziel (Z) 10.10, dass der Verkehrsflughafen
Leipzig/Halle für den interkontinentalen Flugverkehr weiter auszubauen ist und
die flughafenbetrieblichen Voraussetzungen, insbesondere für den Luftfracht-
verkehr, durch die Optimierung des Start- und Landebahnsystems und die Be-
reitstellung der erforderlichen Abfertigungseinrichtungen zu schaffen sind. Den
Klägern ist darin beizupflichten, dass die Optimierung des Start- und Lande-
bahnsystems, die ausweislich der amtlichen Begründung zum Ziel 10.10. vor
allem die Länge und Lage der Start- und Landebahn Süd betrifft, die Anlegung
eines Parallelbahnsystems nicht zwingend gebietet. Darauf kommt es aber
auch nicht an. Es genügt, dass die Verpflichtung zur Optimierung eine solche
Konfiguration zulässt. Die Landesplanung kann sich - wie hier - darauf be-
schränken, in Richtung auf die örtliche Planung Rahmenbedingungen zu schaf-
fen, und die weitere Konkretisierung nachfolgenden Planungen zu überlassen
(vgl. Beschluss vom 20. August 1992 - BVerwG 4 NB 20.91 - BVerwGE 90, 329
<334>; Urteil vom 16. März 2006 - BVerwG 4 A 1075.04 - BVerwGE 125, 116
).
Aufhebung des angefochtenen Planfeststellungsbeschlusses begründen könn-
te, lässt sich ebenfalls nicht feststellen.
2.1 Zu Unrecht wenden die Kläger ein, dass es dem Vorhaben an der Plan-
rechtfertigung fehle.
Entgegen der Ansicht der anderen Beteiligten ist den Klägern allerdings nicht
die Berechtigung abzusprechen, die Frage der Planrechtfertigung überhaupt
aufzuwerfen. Die Planrechtfertigung ist ein ungeschriebenes Erfordernis jeder
Fachplanung und eine Ausprägung des Prinzips der Verhältnismäßigkeit staat-
lichen Handelns, das mit Eingriffen in Rechte Dritter verbunden ist (Urteil vom
16. März 2006 a.a.O. Rn. 182). Sie ist nicht nur zu prüfen, wenn Dritte für das
Vorhaben enteignet werden sollen, sondern immer dann, wenn das Vorhaben
mit Eingriffen in ihre Rechte einhergeht. Art. 14 Abs. 1 GG schützt den Eigen-
tümer auch vor mittelbaren Beeinträchtigungen seines Eigentums durch ein
planfeststellungsbedürftiges Vorhaben. Auch derartige Eigentumsbeeinträchti-
31
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33
- 16 -
gungen müssen dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit genügen. Ein mittelbar
eigentumsbetroffener Kläger kann deshalb geltend machen, dass für das beab-
sichtigte Vorhaben - gemessen an den Zielsetzungen des jeweiligen Fachpla-
nungsgesetzes - kein Bedarf streitet. Nicht verlangen kann er freilich die Prü-
fung, ob die mit dem Vorhaben verfolgten öffentlichen Interessen generell ge-
eignet sind, entgegenstehende Eigentumsrechte zu überwinden, d.h. insbeson-
dere das Gemeinwohlerfordernis des Art. 14 Abs. 3 Satz 1 GG auszufüllen (vgl.
hierzu Urteil vom 16. März 2006 a.a.O. Rn. 179, 183 f.).
Eine Flughafenplanung ist gerechtfertigt, wenn für das beabsichtigte Vorhaben
nach Maßgabe der vom Luftverkehrsgesetz verfolgten Ziele einschließlich
sonstiger gesetzlicher Entscheidungen ein Bedürfnis besteht, die Maßnahme
unter diesem Blickwinkel also objektiv erforderlich ist. Die Planrechtfertigung
erfordert mithin die Prüfung, ob das Vorhaben mit den Zielen des Gesetzes
übereinstimmt (fachplanerische Zielkonformität) und ob das Vorhaben für sich
in Anspruch nehmen kann, in der konkreten Situation erforderlich zu sein. Das
ist nicht erst bei Unausweichlichkeit des Vorhabens der Fall, sondern bereits
dann, wenn es vernünftigerweise geboten ist (Urteile vom 8. Juli 1998
- BVerwG 11 A 53.97 - BVerwGE 107, 142 <145> und vom 16. März 2006
a.a.O. Rn. 182). Hieran gemessen lässt sich dem angefochtenen Planfeststel-
lungsbeschluss die Planrechtfertigung nicht absprechen.
Nach Auskunft des Planfeststellungsbeschlusses (S. 127) stellt die Ausbaupla-
nung sicher, dass - erstens - auf dem Flughafen Leipzig/Halle ein zentraler
Knotenpunkt im Luftfrachtverkehr betrieben werden kann, - zweitens - mit der
Drehung in Hauptwindrichtung der Nutzungskoeffizient der Start- und Lande-
bahn Süd erhöht wird, - drittens - die dicht besiedelten Gebiete von Leipzig-
Nord und Halle-Süd nicht mehr überflogen werden müssen und - viertens - eine
Erhöhung der Verkehrssicherheit am Flughafen Leipzig/Halle erreicht wird.
Erstrangiges Planungsziel ist es, die Voraussetzungen für den Betrieb eines
Luftfracht-Drehkreuzes zu schaffen. Das steht, wie auch die Kläger nicht in Ab-
rede stellen, mit den Zielsetzungen des Luftverkehrsgesetzes im Einklang. Das
Luftverkehrsgesetz soll den Luftverkehr fördern (Urteile vom 16. Juli 1965
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- 17 -
- BVerwG 4 C 30.65 - BVerwGE 21, 354 <356> und vom 18. November 2004
- BVerwG 4 C 1.04 - NVwZ 2005, 328 <329>). Es unterscheidet nicht zwischen
Personen- und Frachtverkehr. Auch der Frachtverkehr ist Teil des „allgemeinen
Verkehrs“ (§ 6 Abs. 3 LuftVG, § 38 Abs. 2 Nr. 1 LuftVZO), für den Verkehrs-
flughäfen genehmigt werden. Die weiteren im Planfeststellungsbeschluss ge-
nannten Ziele sind zwar ebenfalls mit den Zielen des LuftVG vereinbar. Sie
dürften jedoch angesichts der gegenwärtig geringen Auslastung des Flughafens
durch Passagierverkehr nicht geeignet sein, das Vorhaben selbstständig zu
rechtfertigen, sondern ihre Berechtigung nur aus der Zielsetzung beziehen, den
Flughafen zu einem leistungsfähigen Luftfrachtzentrum auszubauen.
Die Kläger machen geltend, dass das Vorhaben nicht vernünftigerweise gebo-
ten sei. Der Beklagte betreibe nämlich eine unzulässige „Angebotsplanung“. Er
bediene kein vorhandenes Verkehrsbedürfnis, sondern wolle ein solches erst
wecken. Dieser Vorwurf ist unberechtigt. Der Beklagte hat schlüssig dargelegt,
dass sowohl der Luftfrachtverkehr im Allgemeinen als auch der Expressfracht-
verkehr im Besonderen seit 1991/92 - mit Ausnahme des Jahres 2001, dem
Jahr der Terroranschläge in den USA - beachtliche Wachstumsraten aufweist.
Seine Prognose, die Entwicklungen im internationalen und nationalen Luft-
frachtverkehr sprächen dafür, dass sich die Nachfrage nach Express-Luft-
frachtdienstleistungen auch in Zukunft verstärken werde, ist vor diesem Hinter-
grund nachvollziehbar und wird gestützt durch das Gutachten der ProgTransAG
vom 31. August 2004, in dem es heißt, dass der deutsche und europäische
Markt für Express-Dienste auch in der kommenden Dekade mit jährlichen
Wachstumsraten von acht bis zehn v.H. expandieren werde. Konkret belegbar
ist der Bedarf an weiteren Frachtknotenpunkten mit der Suche der DHL, einem
großen, weltweit operierenden Expressdienstleister, nach einem neuen Luft-
drehkreuz. Die DHL hatte wegen Kapazitätsengpässen am derzeitigen Standort
Brüssel und verschärfter Beschränkungen des dortigen Nachtflugbetriebs im
Vorfeld des Planfeststellungsverfahrens ihr Interesse an einem Standortwech-
sel bekundet und sich diesbezüglich mit verschiedenen Flughafenbetreibern,
u.a. auch mit der Beigeladenen, in Verbindung gesetzt. Der Beigeladenen, die
als Anbieter von Flughafenleistungen in einem bundes- und europaweiten
Wettbewerb mit anderen Flughafenanbietern steht, war es nicht verwehrt, sich
37
- 18 -
durch die Ertüchtigung des Flughafens Leipzig/Halle nachfragegerecht zu ver-
halten (vgl. Urteil vom 20. April 2005 - BVerwG 4 C 18.03 - BVerwGE 123, 261
<272>). Die mit der Planfeststellung verbundene Erwartung hat sich im Übrigen
erfüllt; denn die DHL hat sich gegenüber der Beigeladenen am 21. September
2005 vertraglich verpflichtet, am Flughafen Leipzig/Halle ein Frachtdrehkreuz zu
errichten und zu betreiben.
2.2 Der Planfeststellungsbeschluss leidet auch nicht an Abwägungsfehlern, die
zu seiner Aufhebung führen.
2.2.1 Ohne Erfolg wenden sich die Kläger zunächst gegen die Entscheidung,
den Flugbetrieb auf zwei parallel angeordneten, unabhängig voneinander nutz-
baren Start- und Landebahnen in den Betriebsrichtungen 08/26 abzuwickeln.
Der Beklagte hält ein Parallelbahnsystem mit zwei unabhängig voneinander
nutzbaren Start- und Landebahnen für erforderlich, um einen zentralen Kno-
tenpunkt im Express-Luftfrachtverkehr betreiben zu können (PFB S. 163). Mit
dem bestehenden Bahnsystem lasse sich die angestrebte Funktion des Flugha-
fens Leipzig/Halle nicht erfüllen (PFB S. 165). Gegen diese Einschätzung ist
nichts zu erinnern.
Die Kläger bestreiten die Notwendigkeit zur Veränderung des vorhandenen
Start- und Landebahnsystems mit dem Argument, mit maximal 113 000 jährli-
chen Flugbewegungen im Prognosejahr 2015 sei das erwartete Verkehrsauf-
kommen so gering, dass es inklusive sämtlicher Frachtflüge ausschließlich über
die Start- und Landebahn Nord mit deren Kapazität für 135 000 Flugbewegun-
gen pro Jahr abgewickelt werden könne. Sie lassen dabei jedoch die Anforde-
rungen außer Acht, die an ein Frachtdrehkreuz gestellt werden. Jedenfalls
Frachtflüge mit Expressgut sind nicht beliebig terminierbar. Ohne die Möglich-
keit zum Nachtflugbetrieb ist nicht gewährleistet, dass die angelieferte Tages-
produktion am folgenden Tag an ihrem Bestimmungsort in Deutschland oder im
europäischen Ausland ausgeliefert werden kann (sog. Nachtsprung). Wie das
Gutachten der ProgTransAG vom 31. August 2004 betont, liegt deshalb ein
Schlüsselelement in allen Betriebskonzepten der Expressdienstleister (sog. In-
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- 19 -
tegratoren) im nächtlichen Umschlag der Frachten am Drehkreuz. Hierfür ste-
hen nur wenige Stunden zur Verfügung. Ausweislich des Gutachtens der
ProgTransAG, in dem eine typische logistische Kette dargestellt ist, finden die
An- und Abflüge an einem Frachtdrehkreuz üblicherweise in zwei Zeitfenstern
von je eineinhalb Stunden statt, die wegen der eng gefassten Zeitvorgaben für
die einzelnen Arbeitsschritte eines Transportvorgangs nicht erweiterbar sind.
Nach der voraussichtlichen Zahl der Flugbewegungen in diesen Stunden be-
stimmt sich, über welche luftseitige Kapazität ein Frachtdrehkreuz verfügen
muss.
Die Spitzenbelastungen am Flughafen Leipzig/Halle werden in den Zeiträumen
zwischen 0:00 Uhr und 1:30 Uhr (Anflüge) und zwischen 4:00 Uhr und 5:30 Uhr
(Abflüge) erwartet. Zu ihrer Bewältigung bedarf es nach Überzeugung des Be-
klagten eines unabhängig zu betreibenden Parallelbahnsystems. Der Beklagte
folgt insoweit den Einschätzungen der Gesellschaft für Luftverkehrsforschung
(GFL), Berlin, und der Optimized Traffic Systems Development GmbH (OTSD),
Bremen. Die für die Beigeladene tätig gewordene GFL gibt die Kapazität des
vorhandenen Bahnsystems für den Anflug mit 43 Bewegungen pro Stunde und
für den Abflug mit 30 bis 31 Bewegungen an. Unter Berücksichtigung einer
Überlagerung der Spitzenstunden durch weitere Flugbewegungen prognostiziert
sie bei konservativer Abschätzung für das Jahr 2015 49 Anflüge zwischen
0:00 Uhr und 1:00 Uhr und 48 Abflüge zwischen 4:00 Uhr und 5:00 Uhr und bei
optimistischer Einschätzung 60 An- und 49 Abflüge. Sie gelangt daher zu dem
Befund, dass die zu erwartenden Verkehre mit dem bestehenden Bahnsystem
nicht bewältigt werden können. Die vom Beklagten mit der Überprüfung des
GFL-Gutachtens beauftragte OTSD hat zwar andere Werte für die vorhandene
An- und Abflugkapazität (35/39-40) ermittelt - die niedrigere Anflugkapazität
ergebe sich aus der im GFL-Gutachten nicht betrachteten gegenseitigen Beein-
flussung von Starts und Landungen in der Anflugspitze und die höhere Abflug-
kapazität aus der detailgetreueren Abbildung der Abflugstrecken sowie des
Startverhaltens der einzelnen Luftfahrzeuge in der Simulatorumgebung, die
wesentlich genauere Aussagen über Abflugintervalle erlaube als eine mathe-
matische Durchschnittsbetrachtung -, in Erwartung von maximal 57 Anflügen in
der Stunde ab 0:00 Uhr und 48 Abflügen in der Stunde ab 4:00 Uhr jedoch die
42
- 20 -
Einschätzung der GFL im Ergebnis bestätigt. Im Abschlussbericht vom
10. September 2004 heißt es zusammenfassend, dass die Kapazität des heuti-
gen Start- und Landebahnsystems sowohl bezüglich der geforderten Anzahl
von Landungen als auch bezüglich der Anzahl der geforderten Starts absolut
unzureichend und der Neubau der SLB Süd unter den vorgegebenen Annah-
men für den Betrieb eines Fracht-Hubs als unabdingbar anzusehen sei.
Der Beklagte durfte dem OTSD-Gutachten folgen. Die Analyse der OTSD be-
ruht auf einem langjährig erprobten Simulationssystem, dessen Zuverlässigkeit
auch die Kläger nicht in Frage stellen. Sie bemängeln, dass die Gutachter das
im Jahr 2015 erwartete Verkehrsaufkommen dem von der Beigeladenen entwi-
ckelten Prognoseflugplan entnommen haben, der von einer unrealistisch hohen
Anzahl von Flugbewegungen ausgehe. Ihre Kritik ist nicht berechtigt. Die OTSD
hat sich von der Beigeladenen versichern lassen, dass die Ausgangsdaten im
Prognoseflugplan dieselben seien, die „auch in anderen Gutachten – insbe-
sondere der vom Flughafen in Auftrag gegebenen Studie der Gesellschaft für
Luftverkehrsforschung (GFL) - verwendet wurden“. Dass die OTSD die Anga-
ben aus dem Prognoseflugplan in ihr Simulationsmodell eingestellt hat, ist nicht
zu beanstanden; denn die von der GFL ermittelten, dem Prognoseflugplan
zugrunde gelegten Daten, denen die Annahme einer jährlichen Marktexpansion
im Luftfrachtverkehr zwischen 4,5 % und 6 % zugrunde liegt, sind von der
ProgTrans AG als „durchaus plausibel“ bezeichnet worden. Als Fazit heißt es
im Schlussbericht der ProgTransAG, dass die Prognose (der GFL) für die Luft-
fracht, die im allgemeinen Trend globaler Handelsprognosen liege, nach der
nicht kontinuierlichen, aber insgesamt sehr positiven Entwicklung am Flughafen
Leipzig/Halle während der letzten zehn Jahre „nicht unplausibel“ sei, aber si-
cherlich ein aktives Marketing seitens der Flughafenverwaltung voraussetze.
Wie die Bemühungen um die Ansiedlung der DHL zeigen, ist die Beigeladene
bereit, die für das Erreichen der avisierten Wachstumsraten erforderlichen An-
strengungen zu unternehmen.
Zur Bewältigung der erwarteten Flugbewegungen innerhalb der nächtlichen
Zeitfenster reicht das bestehende Bahnensystem nicht aus. Dies wird im OTSD-
43
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- 21 -
Gutachten im Einzelnen dargelegt. Die gegen die Kapazitätsanalyse erhobenen
Einwände sind nicht stichhaltig.
Fehl geht zunächst der Einwand der Kläger im Anschluss an die von ihnen ein-
geholte fachgutachterliche Stellungnahme ihres Sachbeistandes F. (fdc Airport
Consulting & Partners) vom 9. September 2006, die Flugbewegungen im
Frachtflugverkehr seien nicht auf nächtliche Zeitfenster konzentriert, sondern
würden sich wegen der Zeitzonen nicht nur auf die gesamte Nacht, sondern
auch deutlich auf den Tag verteilen. Die Aussage F. bezieht sich auf Fracht-
flugbewegungen im Langstreckenverkehr an die Westküste der USA und den
Fernen Osten, während die OTSD betrachtet hat, wann Expressfrachtmaschi-
nen aus dem europäischen Raum den Flughafen Leipzig/Halle nutzen. Der Ver-
treter der DHL hat in der mündlichen Verhandlung bestätigt, dass diese Ma-
schinen nahezu ausnahmslos zwischen 0:00 Uhr und 1:30 Uhr an- und zwi-
schen 4:00 Uhr und 5:30 Uhr wieder abfliegen.
Unter Bezugnahme auf die fachgutachterliche Stellungnahme F. vom 2. Januar
2005 tragen die Kläger vor, dass die OTSD die Kapazität des derzeitigen Bah-
nensystems zu gering eingeschätzt habe. Nach dem von der ICAO (Internatio-
nale Zivilluftfahrt-Organisation) herausgegebenen Airport Planning Manual
Part I verfüge ein System mit konvergierenden Bahnen, wie es am Flughafen
Leipzig/Halle vorhanden sei, über eine Kapazität von 50 bis 60 Flugbewegun-
gen pro Stunde. Diese Kapazität genüge, um die für das Jahr 2015 erwarteten
48 bis 49 Flugbewegungen je spitzenbelasteter Stunde abzuwickeln. Die OTSD
hat diesem Einwand schlüssig widersprochen: Der von F. zitierte Wert stamme
aus dem Jahr 1987 und sei veraltet, weil er nicht die heutigen Verfahren, Vor-
schriften und Strukturen des Luftverkehrs berücksichtige. Zudem werde im be-
gleitenden Text zum Manual ausdrücklich darauf hingewiesen und von F. ver-
schwiegen, dass sich schneidende oder Rollbahnen in V-Form zum Zweck der
Kapazitätserweiterung generell nicht empfehlenswert seien („…intersecting or
open V runways are not generally recommended for the purpose of increasing
capacity…“). In anderem Zusammenhang hat die OTSD hervorgehoben, dass
ihre Simulation, für die ein elektronisches Modell der Bodeninfrastruktur sowie
des Luftraums in einem Bereich von ca. 30 Nautischen Meilen um den Flugha-
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- 22 -
fen Leipzig/Halle Verwendung gefunden hat, Werte ergeben habe, die als we-
sentlich realitätsnäher einzustufen seien als durch eine mathematische Durch-
schnittsbetrachtung ermittelte Pauschalwerte.
Die Kläger monieren, dass sich die OTSD mit der Begründung für ein Parallel-
bahnsystem ausgesprochen habe, die momentane Konfiguration des Bahnsys-
tems bedinge im Durchschnitt mehr als vierminütige und damit unvertretbare
Verzögerungen bei den An- und Abflügen. Die Dauer vertretbarer Verzögerun-
gen sei zu niedrig angesetzt, weil laut Arbeitsgemeinschaft Deutscher Ver-
kehrsflughäfen ein Flug noch als pünktlich gelte, wenn er nicht mehr als
15 Minuten von der im Flugplan vorgesehenen Zeit abweiche. Die Kritik der
Kläger geht fehl. Der Beklagte war nicht gehalten, sich an dem in der Praxis
akzeptierten Maximalwert zu orientieren, sondern durfte sich ehrgeizigere Ziele
setzen, die den knapp kalkulierten Zeitplänen der Integratoren Rechnung tra-
gen.
Die Verschwenkung der Start- und Landebahn Süd beseitigt im Übrigen nicht
nur einen vorausgesagten Kapazitätsengpass, sondern kann auch für sich in
Anspruch nehmen, dass sie - erstens - den sicherheitsrelevanten Missstand
behebt, dass sich in der Hauptbetriebsrichtung West die Abflugwege und in der
Betriebsrichtung Ost die Anfluggrundlinien der beiden Bahnen in geringer Ent-
fernung zum Flughafen schneiden, - zweitens - dafür sorgt, dass beim geradli-
nigen Endanflug der dicht besiedelte Norden der Stadt Leipzig und geschlossen
bebaute Gebiete im Süden der Stadt Halle nicht mehr überflogen werden (PFB
S. 165) und - drittens - die Voraussetzungen für einen bislang nicht möglichen
Instrumentenflugbetrieb nach der Sichtflugkategorie CAT III schafft. Die vor-
handene Südbahn ist für den Landeanflug in Richtung Osten auf die Zulassung
für CAT I beschränkt. Das bedeutet, dass sie nur bei Sichtweiten über 550 m
horizontal und 60 m vertikal, d.h. im Sichtflugbetrieb, angeflogen werden darf.
Bei Nebel oder starkem Regen darf auf ihr in Richtung Osten nicht gelandet
werden, weil die Mindestsichtweiten nicht erreicht werden. Ein CAT III-Flug-
betrieb ist bei solch widrigen Wetterverhältnissen jedoch möglich. Er verhindert
Brüche in der Logistikkette der Frachtunternehmen, die durch wetterbedingte
Umleitungen hervorgerufen werden.
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- 23 -
F. behauptet in seiner fachgutachterlichen Stellungnahme vom 9. September
2006, dass eine Überschneidung der Flugbahnen und das dadurch bedingte
Kollisionsrisiko mit einer den Verhältnissen angepassten Bahnbelegungsstrate-
gie und veränderten Abflugverfahren vermieden werden könne. Das mag richtig
sein. Ebenso mag zutreffen, dass die Eignung des Flughafens Leipzig/Halle als
Frachtdrehkreuz nicht davon abhängig ist, dass die Voraussetzungen für einen
CAT III-Flugbetrieb für beide Landebahnen und -richtungen vorgehalten wer-
den. Der Planfeststellungsbeschluss dürfte jedoch vom Gericht als abwägungs-
fehlerhaft nur beanstandet werden, wenn sich das Festhalten am derzeitigen
Pistensystem als eindeutig vorzugswürdig aufdrängen würde. Das ist abgese-
hen davon, dass die Kapazität des jetzigen Systems für den Betrieb eines
Frachtknotenpunkts nicht ausreicht, nicht der Fall. Es lässt sich nicht ernstlich
bezweifeln, dass die Beibehaltung der jetzigen Lage der Südbahn ungünstiger
als die vorgesehene Verschwenkung wäre. Damit müssen sich der Beklagte
und die Beigeladene nicht bescheiden.
In das Simulationsmodell der OTSD ist der Ist-Zustand des Flughafens Leipzig/
Halle im Jahr 2004 eingestellt worden, der u.a. dadurch gekennzeichnet ist,
dass die Start- und Landebahn Süd wegen ihrer Länge von 2 500 m und ihres
schlechten Ausbauzustandes nur für Flugzeuge mit einem Gesamtgewicht von
unter 30 t zur Verfügung steht. Die Kläger meinen, dass sich mit einer Repara-
tur der Start- und Landebahn mögliche Kapazitätsengpässe beseitigen ließen.
Das trifft nicht zu. Eine Sanierung der Start- und Landebahn Süd ist kein
gleichwertiger Ersatz für die planfestgestellte Maßnahme. Die Kläger gehen in
ihrer Klagebegründung davon aus, dass die im Prognoseflugplan aufgeführten
Luftfahrzeuge der Typen Boeing B 747, B 767 und McDonnell Douglas MD 11
Startstrecken zwischen 2 925 m und 3 320 m benötigen. Dass sie die Start- und
Landebahn Süd in ihrer jetzigen Länge gleichwohl für ausreichend halten,
beruht auf der unzutreffenden Annahme, diese Bahn würde ausschließlich für
Landungen genutzt. Luftfahrzeugen der Typen Airbus A 300, A 330 und Boeing
B 757 genügt eine Startstrecke von 2 500 m nach Angaben der OTSD lediglich
bei optimalen Wetterbedingungen. Es versteht sich von selbst, dass der Be-
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- 24 -
klagte unter diesen Umständen einer Verlängerung der vorhandenen Südbahn
seine Zustimmung erteilen durfte.
2.2.2 In unmittelbarem Zusammenhang mit der Änderung der Bahnkonfigurati-
on und der Verlängerung der Start- und Landebahn Süd steht die Zulassung
von Nachtflügen jedenfalls für den Expressfrachtverkehr. Ohne die Zulassung
solcher Flüge wäre der geplante Ausbau nicht erforderlich. Könnten die Kläger
deren Verbot verlangen, würde das Grundgerüst der Planung erschüttert und
müsste der Planfeststellungsbeschluss aufgehoben werden. Die Entscheidung
des Beklagten, Nachtflüge zuzulassen, ist indes, soweit diese dem Transport
von Expressgut dienen, nicht zu beanstanden.
Der Beklagte hat die Belange, die für einen nächtlichen Expressfrachtverkehr
sprechen, mit den entgegenstehenden Belangen des Lärmschutzes abgewogen
(PFB S. 435 ff.). Er hat nicht verkannt, dass nach Durchführung des plan-
festgestellten Vorhabens die Flughafenumgebung mit einem nicht unerhebli-
chen Anstieg der Fluglärmbelastung zur Nachtzeit zu rechnen hat, hält aber die
verkehrlich und wirtschaftlich begründeten öffentlichen Interessen am Ausbau
des Flughafens einschließlich der damit verbundenen Notwendigkeit eines
nächtlichen Frachtflugbetriebs zum Transport von Expressgut für so gewichtig,
dass er den Anliegern zumutet, sich mit passivem Lärmschutz zu begnügen.
Diese Entscheidung bewegt sich im Rahmen des Spielraums, den das Abwä-
gungsgebot den Planfeststellungsbehörden bietet.
Als Gewichtungsvorgabe für die Abwägung hatte der Beklagte § 29b Abs. 1
Satz 2 LuftVG zu beachten. Das ist ihm nicht entgangen (PFB S. 440). § 29b
Abs. 1 Satz 2 LuftVG erlegt u.a. der Zulassungsbehörde im Planfeststellungs-
verfahren die Verpflichtung auf, auf die Nachtruhe der Bevölkerung in besonde-
rem Maße Rücksicht zu nehmen (Urteil vom 16. März 2006 a.a.O. Rn. 269).
Das gesetzlich eingeforderte Rücksichtnahmegebot führt zwar nicht zwingend
zu einem Nachtflugverbot als dem allein rechtmäßigen Abwägungsergebnis
(Urteil vom 29. Januar 1991 - BVerwG 4 C 51.89 - BVerwGE 87, 332 <369>),
vor seinem Hintergrund bedarf die Zurückdrängung des Lärmschutzinteresses
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- 25 -
indes gesteigerter Rechtfertigung. Hinsichtlich des geplanten Expressfrachtver-
kehrs ist sie gegeben.
Für die Zulassung von Nachtflugbetrieb lässt sich zuvörderst das öffentliche
Verkehrsinteresse an der zielgerichteten Schaffung von Kapazitäten für den
Expressfrachtverkehr anführen. Expressfracht ist dadurch gekennzeichnet,
dass sie (von Flügen mit großer Zeitverschiebung abgesehen) an dem auf die
Absendung folgenden Tag dem Empfänger ausgeliefert werden soll; sie ist auf
den sog. Nachtsprung angewiesen. Nachtflüge, die dem Transport von Ex-
pressfracht dienen, müssen nicht nur in den mit einem Sicherheitszuschlag
versehenen Spitzenzeiten zwischen 0:00 Uhr und 2:00 Uhr sowie 4:00 Uhr und
6:00 Uhr, sondern auch in der übrigen Nachtzeit, in denen nach dem Gutachten
der ProgTransAG, wenn auch in deutlich geringerem Umfang, ebenfalls mit
derartigen Flügen zu rechnen ist, durchgeführt werden können. Ein auch nur
beschränktes Nachtflugverbot würde der Funktion des Flughafens Leipzig/Halle
als einem Luftdrehkreuz für den stark expandierenden Expressfrachtverkehr
diametral entgegenstehen. Mit der Zulassung von Nachtflugbetrieb steht und
fällt das Ausbauvorhaben. Ob die Nachfrage nach Nachtflugmöglichkeiten ei-
nem berechtigten Anliegen der Expressfrachtdienstleister und ihrer Kunden
entspringt, liegt jenseits richterlicher Kontrolle. Eine Bedürfnisprüfung etwa in
dem Sinne, dass zu fragen wäre, ob längere Transportzeiten, die sich bei einer
Verlegung der Nachtflüge in die Tagesrandzeiten oder einer Güterbeförderung
auf der Straße oder der Schiene ergäben, den von der Nachtfluggenehmigung
Begünstigten zugemutet werden könnten, findet nicht statt (vgl. Urteil vom
20. April 2005 - BVerwG 4 C 18.03 - BVerwGE 123, 261 <275>). Für die Zulas-
sung von nächtlichem Expressfrachtverkehr spricht außerdem, dass der Ver-
kehr eine nicht unerhebliche Zahl von Arbeitsplätzen generiert sowie die Chan-
ce eröffnet, als Kristallisationspunkt für Folgeansiedlungen von Gewerbe- und
Dienstleistungsbetrieben zu dienen und so für eine nachhaltige Verbesserung
der Wirtschaftsstruktur zu sorgen (PFB S. 674).
Diese Belange sind dringlich genug, um sich gegenüber dem gegenläufigen
Interesse der Flughafenanwohner am Schutz der Nachtruhe durchzusetzen.
Zwar wird die Anwohnerschaft in der Umgebung des Flughafens nach dessen
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Ausbau zu einem Luftfrachtdrehkreuz massiv durch nächtlichen Fluglärm be-
lastet werden - der Beklagte rechnet bei grober Schätzung mit 100 Flugbewe-
gungen von Expressfrachtfliegern, die in den Spitzenzeiten im Minutentakt
stattfinden -, die umstrittene Planung durfte aber deshalb höher gewichtet wer-
den, weil sie einer tatsächlichen, aktuell vorhandenen Nachfrage nach Nacht-
flugmöglichkeiten für den Transport von Expressgut und nicht nur einer mögli-
chen Bedarfslage Rechnung trägt (vgl. Urteile vom 29. Januar 1991 a.a.O.
S. 368 und vom 20. April 2005 a.a.O. S. 268). Bereits im Rahmen der Prüfung
der Planrechtfertigung hat der Senat darauf hingewiesen, dass der Planfeststel-
lungsbeschluss Voraussetzung für die Errichtung eines Frachtdrehkreuzes am
Flughafen Leipzig/Halle ist.
Das Gewicht der Sekundäreffekte hat der Beklagte nicht überbewertet. Der
Prognose des Instituts für Strukturpolitik und Wirtschaftsförderung Halle-Leipzig
e.V. (isw) zu den regionalökonomischen Effekten der möglichen Erweiterung
von Luftfrachtkapazitäten am Flughafen Leipzig/Halle ist er nicht gefolgt. Er ist
weder davon ausgegangen, dass infolge des Ausbaus des Flughafens zum
Luftfrachtkreuz im Jahr 2010 3 000 Arbeitsplätze entstanden sein werden, noch
hat er angenommen, dass sich ein einkommensinduzierter Nachfrageeffekt von
242 Mio. € einstellen wird. Vielmehr hat er mit der ProgTransAG die Studie des
isw einer kritischen Würdigung unterzogen, die Werte des isw als wohl
„deutlich“ überhöht angesehen und seiner Entscheidung eine pessimistischere
Einschätzung der Entwicklung zugrunde gelegt (PFB S. 161). Auf konkrete
Zahlen brauchte er sich nicht festzulegen. Es reicht aus, dass die ungefähre
Größenordnung erkennbar wird, von der er ausgegangen ist.
Keinen Bedenken unterliegt es, dass der Beklagte aufgrund eigener Einschät-
zung und ohne Absicherung durch ein Gutachten die Erwartung hegt, schon die
bloße Existenz eines Frachtverkehrszentrums am Flughafen Leipzig/Halle wer-
de den gesamten regionalen Wirtschaftsraum in ökonomischer Hinsicht aufwer-
ten und ein positives Geschäfts- und Investitionsklima mit entsprechenden Be-
schäftigungseffekten schaffen. Er durfte sich - mit der Einschränkung einer nicht
vollen Übertragbarkeit der Verhältnisse - an der Entwicklung am Flughafen
München orientieren, dessen Fertigstellung in einer einst abgelegenen Region
56
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- 27 -
positive Beschäftigungseffekte hatte. Auch durfte er die Aussage im Gutachten
der ProgTransAG, namhafte Unternehmen der Luftverkehrsbranche schätzten
den Verkehrsflughafen Leipzig/Halle als interessanten Standort ein, dessen
Entwicklung man sehr genau beobachte, als Fingerzeig dafür werten, dass die
Ansiedlung eines oder mehrerer Frachtdienstleister andere Unternehmen der
Luftverkehrs- bzw. supplementärer Branchen nach sich zieht, und auf das
Beispiel der Stadt Leipzig verweisen, in der die Errichtung zweier Automobilwer-
ke den Zuzug von Zulieferbetrieben zur Folge hat(te).
2.2.3 Keiner Prüfung bedarf, ob die Anzahl der planfestgestellten Standplatz-
positionen und die Größe des genehmigten Vorfeldes Anlass zu Beanstandun-
gen geben könnte; denn es ist nicht ersichtlich, dass die Kläger durch die
Schaffung etwaiger Überkapazitäten in ihren Rechten verletzt wären.
2.2.4 Gegen den Ausbau des Flughafens Leipzig/Halle zu einem Frachtdreh-
kreuz führen die Kläger zu Unrecht ins Feld, dass andere Flughäfen diese
Funktion übernehmen könnten und sich dafür auch anböten. Im Planfeststel-
lungsbeschluss ist sorgfältig begründet, warum die als Alternativen in Betracht
kommenden Flughäfen Frankfurt/Main, Köln-Bonn und Hahn als Standorte für
ein Frachtdrehkreuz nicht offenkundig besser geeignet sind (PFB S. 152 f.).
Dem treten die Kläger nicht substanziiert entgegen, sondern beschränken sich
auf die bloße Behauptung, die Bewertung der Vergleichsflughäfen sei falsch.
Warum sich die Planfeststellungsbehörde mit den von ihnen zur Debatte ge-
stellten Konkurrenzflughäfen Hannover und Berlin-Schönefeld hätte befassen
müssen, wird ebenfalls nicht dargelegt. Inzwischen steht überdies fest, dass der
Flughafen Berlin-Schönefeld als Alternative ausscheidet, weil dort ein regulärer
Nachtflugbetrieb in den Kernstunden der Nacht - jedenfalls nach den bei Erlass
des dortigen Planfeststellungsbeschlusses vom 13. August 2004 maßgebenden
Verhältnissen - weitgehend unzulässig ist (Urteil vom 16. März 2006 a.a.O.
Rn. 267 ff.).
2.2.5 Der Planfeststellungsbeschluss unterliegt ferner nicht deshalb der Aufhe-
bung, weil er - wie noch darzulegen ist - durch den Verzicht auf ein Nachtflug-
verbot für andere Verkehre als den Expressfrachtverkehr den Anspruch der
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Kläger auf gerechte Abwägung ihrer Lärmschutzbelange verletzt. Der Fehler,
der dem Beklagten unterlaufen ist, löst nur einen Anspruch der Kläger auf Plan-
ergänzung aus, weil er nicht so schwer wiegt, dass die Ausgewogenheit der
Planung insgesamt in Frage gestellt erscheint.
2.2.6 Die Kläger leiten den geltend gemachten Anspruch auf Aufhebung des
Planfeststellungsbeschlusses abschließend aus zwei weiteren Erwägungen her:
Zum einen habe der Beklagte nicht in seine Überlegungen einbezogen, dass
- bedingt durch den Messestandort sowie die Ansiedlungen von BMW und
Porsche - eine Vielzahl von Quartieren für Geschäftsreisende und Messebesu-
cher entstanden sei. Die Attraktivität der vom Fluglärm betroffenen Beherber-
gungsbetriebe werde deutlich abnehmen, so dass zahlreiche Anbieter in ihrer
wirtschaftlichen Existenz bedroht würden. Zum anderen habe der Beklagte die
Bedeutung von Teilbereichen der Region als Naherholungsgebiet verkannt. Im
Braunkohleplan Delitzsch-Südwest sei als Zielvorgabe die intensive Erholungs-
nutzung mit Badenutzung vorgesehen. Mit diesem Ziel vertrage sich das um-
strittene Vorhaben nicht.
Diese Belange weisen keinen Bezug zu Rechten der Kläger auf. Die Kläger sind
weder zu Interessenvertretern des Beherbergungsgewerbes noch zu Hütern
von Naherholungsgebieten berufen.
B. Mit ihren Hilfsanträgen berühmen sich die Kläger einer Reihe von Planer-
gänzungsansprüchen. Insoweit ist ihre Klage teilweise begründet. Der Planfest-
stellungsbeschluss ist abwägungsfehlerhaft und damit rechtswidrig, soweit er
nahezu vollständig auf Beschränkungen des nächtlichen Flugbetriebs verzich-
tet.
1. Im Mittelpunkt der Diskussion stehen die Forderungen der Kläger nach Plan-
ergänzung beim Lärmschutz.
Grundsätzlich entscheidet die Planfeststellungsbehörde im Rahmen ihrer Ges-
taltungsfreiheit nach ihrem pflichtgemäßen Ermessen, in welcher Weise sie den
Belangen des Lärmschutzes Rechnung tragen will. Das Ermessen ist durch § 9
61
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- 29 -
Abs. 2 LuftVG begrenzt. Die darin getroffene Anordnung, dass im Planfeststel-
lungsbeschluss dem Unternehmer die Errichtung und Unterhaltung der Anlagen
aufzuerlegen sind, die für das öffentliche Wohl oder zur Sicherung der Benut-
zung der benachbarten Grundstücke gegen Gefahren oder Nachteile notwendig
sind, setzt der Planungsentscheidung hinsichtlich der unzumutbar Betroffenen
eine äußerste, mit einer „gerechten Abwägung“ nicht mehr überwindbare Gren-
ze. Um den Anforderungen des Abwägungsgebots zu genügen, reicht es nicht
aus, allein dafür Sorge zu tragen, dass diese Schwelle nicht überschritten wird.
Die Lärmschutzinteressen der Anwohner sind auch in die Abwägung einzube-
ziehen, soweit es die Lärmbelastungen unterhalb dieser Zumutsbarkeitsschwel-
le betrifft. Dazu gehören insbesondere Erwägungen über flugbetriebliche Be-
schränkungen gemäß § 8 Abs. 4 Satz 1 LuftVG (vgl. Urteil vom 16. März 2006
a.a.O. Rn. 268 m.w.N.).
1.1 Der Beklagte hat zum Schutz der Flughafenanwohner vor nächtlichem Lärm
als Maßnahmen des aktiven Lärmschutzes verfügt, dass An- und Abflüge im
Rahmen von Ausbildungs- und Übungsflügen in der Zeit von 22:00 Uhr bis
6:00 Uhr auf den Start- und Landebahnen nicht zulässig (PFB A II. 4.7.1.,
S. 32 f.) und die zugelassenen An- und Abflüge unter Berücksichtigung der
Siedlungsstruktur, soweit sicherheitstechnisch vertretbar, gleichmäßig auf die
beiden Start- und Landebahnen zu verteilen sind (PFB A II. 4.7.6., S. 34). Ein
weitergehendes Nachtflugverbot hat er nicht verhängt und auch davon abgese-
hen, Anforderungen an die Schallleistungen der nachts verkehrenden Flugzeu-
ge zu stellen. Außerdem ist er der Forderung nach einer zahlenmäßigen Be-
grenzung der Nachtflugbewegungen nicht nachgekommen. Auf flugbetriebliche
Regelungen zum Tagschutz hat er ganz verzichtet.
1.1.1 Die Kläger beanspruchen in erster Linie eine strengere Reglementierung
des Nachtflugbetriebs.
1.1.1.1 Den Klägern geht der auf Ausbildungs- und Übungsflüge beschränkte
Ausschluss von nächtlichen Flugbewegungen nicht weit genug. Nachdem sie
auch den nächtlichen Expressfrachtverkehr nicht verhindern können, verlangen
sie wenigstens ein teilweises Nachtflugverbot. Auch diese Forderung geht ins
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- 30 -
Leere, weil das Gericht mit einer entsprechenden Verpflichtung unzulässig in
die planerische Gestaltungsfreiheit des Beklagten eingriffe. Allerdings ist der
Verzicht auf eine Beschränkung des Nachtflugbetriebs, soweit es nicht um Flü-
ge zum Transport von Expressgut geht, mit dem Abwägungsgebot (§ 8 Abs. 1
Satz 2 LuftVG) nicht vereinbar. Die im Planfeststellungsbeschluss angegebe-
nen Gründe für eine unbeschränkte Zulassung auch des sonstigen Nachtflug-
betriebs tragen diese Entscheidung nicht. Die Kläger haben insoweit einen An-
spruch auf eine erneute Entscheidung des Beklagten über weitergehende Be-
schränkungen.
Der Beklagte hat Einschränkungen der Betriebszeit in Bezug auf die Nordbahn
von vornherein ausgeschlossen, weil die luftrechtliche Genehmigung in der
Fassung vom 14. März 2000 insoweit eine Betriebszeit von 24 Stunden vorge-
be. Seine Ansicht, die Nordbahn werde baulich nicht verändert und deshalb
seien Regelungen zur Einschränkung der Betriebszeit in Bezug auf die Bahn
nicht möglich (PFB S. 435), ist jedoch mit der Folge unzutreffend, dass der
Planfeststellungsbeschluss an einem Abwägungsausfall leidet. Nach dem Aus-
bau des Flughafens kommt der luftrechtlichen Genehmigung eine derartige
bindende Wirkung für den Betrieb der Nordbahn nicht mehr zu, jedenfalls so-
weit es um den Lärmschutz geht.
Änderungen eines Flughafens, die nicht von unwesentlicher Bedeutung sind
(vgl. § 8 Abs. 3 LuftVG), bedürfen der Planfeststellung (§ 8 Abs. 1 Satz 1
LuftVG). Eine Änderung der Bahnkonfiguration ändert einen Flughafen wesent-
lich. Davon geht auch der Beklagte aus (PFB S. 112). Richtung und Länge der
Start- und Landebahnen, die in der Genehmigungsurkunde enthalten sein
müssen (§ 42 Abs. 2 Nr. 5 LuftVZO ),
bestimmen maßgebend die Funktion und die Kapazität des Flughafens und das
Ausmaß der Beeinträchtigungen Dritter. Wird auch nur eine Bahn gedreht oder
verlängert, muss im Planfeststellungsverfahren über die Betriebszeiten nicht nur
der geänderten Bahn, sondern des Flughafens insgesamt neu entschieden
werden. Altbestand und Änderung können - insbesondere auch mit Blick auf
den gebotenen Lärmschutz - nicht isoliert voneinander beurteilt werden (vgl.
Urteil vom 16. März 2006 a.a.O. Rn. 285). Vielmehr steht das Gesamtvorhaben
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- 31 -
in seiner geänderten Gestalt auf dem Prüfstand (vgl. Urteil vom 17. Juni 1993
- BVerwG 4 C 17.91 - BRS 55 Nr. 72) und ist die luftrechtliche Genehmigung für
den Altbestand gegebenenfalls nach § 6 Abs. 4 LuftVG zu ändern.
Abwägungsfehlerhaft ist auch die Entscheidung über Beschränkungen des
nächtlichen Flugbetriebs auf der Südbahn, weil der Beklagte nicht erwogen hat,
Luftfrachtverkehr, der nicht dem Transport von Expressgut dient, also nicht auf
den Nachtsprung angewiesen ist, sowie die Passagierverkehre während der
Nachtzeit zu beschränken. Das besondere Gewicht der Lärmschutzbelange
ergibt sich im vorliegenden Fall nicht aus der - hier eher geringen - Zahl der
Betroffenen (vgl. zu diesem Gesichtspunkt Urteil vom 16. März 2006 a.a.O.
Rn. 283), sondern daraus, dass den Lärmbetroffenen durch den Expressfracht-
gutverkehr schon eine massive Beeinträchtigung ihrer Nachtruhe zugemutet
wird. Die Verkehrsspitzen liegen nicht - wie bei einem Verkehrsflughafen übli-
cher Prägung - am Tage, sondern während der eines stärkeren Schutzes be-
dürftigen Nachtstunden. Die hiervon Betroffenen auch noch zusätzlich und
schrankenlos den anderen Verkehren auszusetzen, ohne dass sich gewichtige
Gründe dafür ins Feld führen lassen, dass diese Verkehre ebenfalls in der
Nacht abgewickelt werden müssen, sprengt den Rahmen planerischer Gestal-
tungsfreiheit. Der Planfeststellungsbeschluss verweist darauf, dass während
der Nachtzeit im beschränkten Ausmaß ein Verkehrsbedürfnis für Charterver-
kehr (bei sog. dreimaligen Umlauf), für Frachtverkehr sowie für Linienverkehr
(destinationsabhängig) bestehe (PFB S. 437). Ein solches allgemeines Ver-
kehrsbedürfnis reicht vor dem Hintergrund des § 29b Abs. 1 Satz 2 LuftVG nicht
aus, um diesen Verkehren die Möglichkeit zum Nachtflugbetrieb zu bieten. Die
Verkehre reklamieren keinen standortspezifischen Nachtflugbedarf, der im
Unterschied zur Mehrzahl der anderen deutschen Flughäfen einen unbe-
schränkten Nachtflugbetrieb zu rechtfertigen geeignet ist (vgl. zu diesem Erfor-
dernis Urteil vom 16. März 2006 a.a.O. Rn. 271).
Die Verhältnisse auf den meisten deutschen Flughäfen mit nächtlichen Flugbe-
schränkungen lassen sich als Beleg dafür werten, dass sich der Passagierver-
kehr (Linien-, Charter- und Touristikverkehr) ohne existenzgefährdende Einbu-
ßen jedenfalls außerhalb der Kernzeit der Nacht (0:00 Uhr bis 5:00 Uhr) abwi-
71
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- 32 -
ckeln lässt (Urteil vom 16. März 2006 a.a.O Rn. 281). Gleiches gilt, wie die
mündliche Verhandlung ergeben hat, auch für den nicht eiligen Frachtflugver-
kehr. Dennoch trägt der Beklagte den Betreiber- und den Nutzerinteressen in
diesen Verkehrssegmenten unbeschränkt Rechnung und bringt die Planung
damit in eine Schieflage, zeigt er doch keine Besonderheiten auf, die es recht-
fertigen könnten, die Betreiber- und die Nutzerinteressen auf Kosten der Lärm-
schutzbelange der Anwohner in ungleich stärkerem Umfang zu fördern, als dies
auf anderen deutschen Flughäfen üblich ist. Die Absicht, den Verkehren, vor
allem dem Charter- und dem Touristikverkehr, optimale Entfaltungsmöglichkei-
ten zu bieten, rechtfertigt es nicht, die Lärmschutzbelange der Anwohner hint-
anzustellen. Jeder Flughafenbetreiber, dessen Anlagen noch über freie Kapazi-
täten verfügen, wird ein wirtschaftliches Interesse daran haben, mit Hilfe zu-
sätzlichen Verkehrs die Auslastung des Flughafens zu erhöhen. Ebenso wird
mancher Fluggesellschaft daran gelegen sein, durch zusätzliche Umläufe in der
Nacht den Einsatz ihres Fluggeräts effektiver zu gestalten. Daran ist nichts Be-
sonderes. Könnte allein mit diesen Belangen das Gebot des § 29b Abs. 1
Satz 2 LuftVG, auf die Nachtruhe der Bevölkerung in besonderem Maße Rück-
sicht zu nehmen, überspielt werden, so wäre schwer vorstellbar, mit welcher
Begründung denjenigen Flughafenbetreibern eine uneingeschränkte Nachtflug-
genehmigung versagt werden könnte, die gleichfalls nicht auf einen wirklich
gewichtigen nächtlichen Verkehrsbedarf verweisen können und sich bislang mit
mehr oder weniger strengen Nachtflugverboten abfinden müssen.
Auch die Durchführung eines Flugbetriebs in den Nachtrandstunden von
22:00 Uhr bis 24:00 Uhr und von 5:00 Uhr bis 6:00 Uhr bedarf im Rahmen der
Abwägung des für einen solchen Betrieb sprechenden öffentlichen Verkehrsin-
teresses mit den gegenläufigen Lärmschutzinteressen der Anwohner im Hin-
blick auf § 29b Abs. 1 Satz 2 LuftVG einer besonderen Begründung. Starts und
Landungen von Flugzeugen ohne Expressfracht dürfen nicht ohne erkennbare
Notwendigkeit gerade in diesen Zeitraum - und damit außerhalb der unter
Lärmgesichtspunkten weniger problematischen Tagesstunden - gelegt werden
(Urteil vom 16. März 2006 a.a.O. Rn. 287 f.).
73
- 33 -
Andererseits ist nicht zu verkennen, dass der Lärmschutz in den Nachtrand-
stunden nicht dasselbe hohe Gewicht wie für die Nachtkernzeit besitzt, die nach
der Entscheidung des Senats vom 16. März 2006 (a.a.O.) grundsätzlich von
Flugaktivitäten frei zu halten ist. Daraus folgt, dass sich plausibel nachge-
wiesene sachliche Gründe, weshalb ein bestimmter Verkehrsbedarf oder ein
bestimmtes Verkehrssegment nicht befriedigend innerhalb der Tagesstunden
abgewickelt werden kann, im Zuge der Abwägung gegen die Belange des
Lärmschutzes durchsetzen können. Solche für die Nutzung der Nachtrandzei-
ten sprechenden Gründe können sich z.B. aus den Erfordernissen einer effekti-
ven Flugzeug-Umlaufplanung, aus den Besonderheiten des Interkontinental-
verkehrs (Zeitzonen, Verspätungen, Verfrühungen) oder aus dem Umstand er-
geben, dass der Flughafen als Heimatflughafen oder Wartungsschwerpunkt von
Fluggesellschaften deren Bedürfnisse nachvollziehbar nicht ausschließlich in
den Tageszeiten abdecken kann. All dies muss in einer neuen Regelung des
nächtlichen Flugbetriebs belastbar dargelegt und in ein ausgewogenes Verhält-
nis zu den berechtigten Lärmschutzbelangen der Anwohner gebracht werden.
Dabei ist dem Lärmschutz ein umso höheres Gewicht beizumessen, je näher
die zuzulassenden Flugbewegungen zeitlich an den Kernzeitraum heranrücken
würden (Urteil vom 16. März 2006 a.a.O. Rn. 287 f.).
Entgegen der Auffassung des Beklagten und der Beigeladenen trägt der Plan-
feststellungsbeschluss dem Gebot des § 29b Abs. 1 Satz 2 LuftVG nicht schon
dadurch abwägungsfehlerfrei Rechnung, dass er den Lärmbetroffenen - wie
noch dargelegt wird - großzügig dimensionierten passiven Schallschutz zuteil-
werden lässt. Die Kläger haben in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat
zutreffend darauf hingewiesen, dass Schutzgegenstand des § 29b Abs. 1
Satz 2 LuftVG nicht der Nachtschlaf, sondern die Nachtruhe ist. Der Begriff der
Nachtruhe indiziert, dass der durch die übliche Geschäftigkeit verursachte Tag-
lärm verstummen und sich durch eine Lärmpause die Nacht vom Tag unter-
scheiden soll. Damit stimmt überein, dass sich das Flughafenkonzept der Bun-
desregierung vom 30. August 2000 u.a. dafür ausspricht, den Flugverkehr so
weit wie möglich in die Tag- und die Randzeiten der Nacht zu verlegen.
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- 34 -
Die Flughafenanwohner sind des Schutzes, den § 29b Abs. 1 Satz 2 LuftVG
gewährt, nicht deshalb nicht mehr bedürftig, weil die Nachtruhe durch den Ex-
pressfrachtverkehr ohnehin gestört wird. Der passive Schallschutz, den der
Planfeststellungsbeschluss vorsieht, verhindert nicht, dass die auftretenden
Fluggeräusche akustisch noch wahrgenommen werden können. Deshalb be-
deutet jeder zusätzliche Flug eine zusätzliche Belastung, jeder Flug, der unter-
bleibt, eine Entlastung. Besonders spürbar ist der Entlastungseffekt in der Zeit
zwischen 2:00 Uhr und 4:00 Uhr, in der nur mit einer marginalen Zahl von Flug-
bewegungen des Expressgutverkehrs gerechnet wird.
Die Abwägungsfehler sind nicht nach § 10 Abs. 8 Satz 1 LuftVG unbeachtlich.
Sie sind offensichtlich, weil sie sich aus dem Planfeststellungsbeschluss selbst
ergeben. Sie sind auch auf das Abwägungsergebnis von Einfluss gewesen. Da
nichts dafür spricht, dass für sämtliche Verkehrsarten ein unbeschränkter
Nachtflugbetrieb zugelassen werden kann, ist es nicht nur konkret möglich,
sondern sogar überwiegend wahrscheinlich, dass ohne den Mangel die Planung
anders hätte ausfallen und ein beschränktes Nachtflugverbot hätte verhängt
werden müssen. Wie ein solches Verbot auszusehen hat, bleibt der Ent-
scheidung des Beklagten in einem Planergänzungsverfahren vorbehalten, für
das § 1 Satz 1 SächsVwVfG (Sächsisches Verwaltungsverfahrensgesetz) i.V.m.
§ 76 VwVfG die verfahrensrechtliche Grundlage bietet. Solange die gebotene
Vervollständigung des Lärmschutzkonzepts aussteht, ist nach Inbetriebnahme
der planfestgestellten Start- und Landebahn Süd jeglicher Flugverkehr, der
nicht dem Transport von Expressgut dient, zwischen 22:00 Uhr und 6:00 Uhr
unzulässig. Ausgenommen von dem Verbot sind Notlandungen und Flüge zur
Bewältigung eines Katastrophenfalles.
1.1.1.2 Soweit die Kläger weitere betriebliche Beschränkungen für die Nachtzeit
einfordern, bleibt ihr Begehren erfolglos.
Die Kläger können nicht verlangen, dass der Beklagte eine zahlenmäßige Be-
grenzung der Nachtflugbewegungen verfügt. Eine Kontingentierung ist mit der
Funktion eines Frachtknotenpunkts, der auf Flexibilität bei der Nutzung der vor-
gehaltenen Kapazität angewiesen ist, nicht vereinbar. Sie ist auch nicht gebo-
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- 35 -
ten, um wirksamen Lärmschutz zu gewähren. Effektiver Lärmschutz setzt eine
Beschränkung der Anzahl der Flugbewegungen und ihrer Häufigkeit in einem
bestimmten Zeitraum nicht notwendig voraus (Urteil vom 20. April 2005
- BVerwG 4 C 18.03 - BVerwGE 123, 261 <278>).
Die Kläger können auch nicht beanspruchen, dass der Beklagte eine gleichmä-
ßige Verteilung der Flugbewegungen auf beide Start- und Landebahnen sowie
An- und Abflugverfahren mit möglichst steilem An- und Abflugwinkel vor-
schreibt. Der Beklagte ist für den Erlass solcher Anordnungen nicht zuständig.
Die Verteilung des Flugverkehrs ist nach § 27c Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1a und b
LuftVG Aufgabe der Flugsicherung, d.h. der Deutschen Flugsicherung GmbH
(DFS), die Festlegung von Flugverfahren nach § 27a Abs. 2 Satz 1 LuftVO
(Luftverkehrs-Ordnung) Sache des Luftfahrt-Bundesamtes. Mehr als einen Ap-
pell an die DFS, bei ihren Ermessensentscheidungen aus Gründen des Lärm-
schutzes den Grundsatz der hälftigen Verteilung der Flugbewegungen anzu-
streben (PFB A II. 4.7.6., S. 34), und die Verpflichtung der Beigeladenen, der
Fluglärmkommission halbjährlich über die Einhaltung der Auflage A II. 4.7.7. zu
berichten (PFB A II. 4.7.7., S. 34), kann der Beklagte nicht aussprechen. Die
Sorge der Kläger, der nächtliche Expressfrachtverkehr werde wegen der Situie-
rung der Anlagen zum Umschlag des Frachtguts die Start- und Landebahn Süd
bevorzugen, wird durch den Vorbehalt der Anordnung weiterer Auflagen zum
Nachtschutz (PFB A II. 4.9.2., S. 35) abgefedert. Der Beklagte hat in der münd-
lichen Verhandlung angekündigt, von diesem Vorbehalt im Bedarfsfall
Gebrauch zu machen.
Die Kläger haben schließlich keinen Anspruch auf den Ausschluss „überlauten“
Fluggeräts. Dem Planfeststellungsbeschluss haftet nicht als Abwägungsmangel
an, dass der Beklagte dasjenige Fluggerät, das nur knapp die Anforderungen
nach Annex 16 Kapitel 3 des ICAO-Abkommens erfüllt, nicht von der Benutzung
des Flughafens ausgeschlossen hat. Der Beklagte geht davon aus, dass sich
die Frachtflugzeugflotten noch in nennenswertem Umfang aus älteren,
lautstärkeren Maschinen zusammensetzen, und nimmt vor diesem Hintergrund
an, dass eine Beschränkung auf neuere, lärmärmere Flugzeuge dem Pla-
nungsziel, einen funktionsfähigen Frachtumschlag zu gewährleisten, zuwiderlie-
80
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- 36 -
fe (PFB S. 400). Der Senat hält den Verzicht auf den Ausschluss besonders
lauten Fluggeräts deshalb für noch akzeptabel, weil der Beklagte den Einsatz
älteren Fluggeräts zu Recht nur für eine Übergangszeit bis zur Erneuerung der
Flotten erwartet und die Beigeladene durch ihre Gebührengestaltung wirtschaft-
liche Anreize setzt, laute Flugzeuge vorzeitig auszumustern und durch lärmar-
mes Fluggerät zu ersetzen oder lautes Fluggerät auf lärmärmere Triebwerke
umzurüsten (PFB S. 383).
Aus § 48b LuftVZO, der zu Beschränkungen des Zugangs von knapp die Vor-
schriften erfüllenden zivilen Unterschallstrahlflugzeugen ermächtigt, lässt sich
zugunsten der Kläger nichts herleiten. Denn die Norm ist zum einen erst nach
Erlass des Planfeststellungsbeschlusses, nämlich am 9. April 2005, in Kraft
getreten und zum anderen auf den Flughafen Leipzig/Halle nicht anwendbar,
weil die erforderliche Anzahl von mehr als 50 000 Flugbewegungen ziviler Un-
terschallstrahlflugzeugen im Kalenderjahr unter Berücksichtigung des Durch-
schnitts der letzten drei Kalenderjahre vor der Anwendung des § 48b LuftVZO
auf den Flughafen (vgl. § 48a Nr. 1 LuftVZO) nicht erreicht worden ist. Die von
der Beigeladenen herausgegebene Verkehrsstatistik (im Internet abrufbar unter
weist aus, dass die Zahl der jährlichen Starts und
Landungen seit 1997 kontinuierlich unter 50 000 liegt. Zudem verpflichtet die
Bestimmung nicht zu einer Beschränkung des Zugangs von knapp die Vor-
schriften erfüllenden zivilen Unterschallstrahlflugzeugen, sondern stellt die Ent-
scheidung in das behördliche Ermessen. Die Richtlinie 2002/30/EG vom
26. März 2002 (ABl EG Nr. L 85/40) - Betriebsbeschränkungsrichtlinie - hilft den
Klägern ebenfalls nicht weiter. Dabei kann unterstellt werden, dass die Richtlinie
zwischen dem Ablauf der Umsetzungsfrist zum 28. September 2003 und dem
In-Kraft-Treten der §§ 48a bis 48f LuftVZO unmittelbare Wirkung entfaltet hat.
Für den Flughafen Leipzig/Halle galt sie jedenfalls wegen Art. 2 a nicht, der mit
§ 48a Nr. 1 LuftVZO wortgleich ist.
1.1.2 Um die von den Klägern erstrebten flugbetrieblichen Regelungen zur Ver-
besserung des Taglärmschutzes braucht der Planfeststellungsbeschluss nicht
ergänzt zu werden. Der Antrag der Kläger, den Beklagten zu verpflichten, Starts
nur in der Zeit von 5:00 Uhr bis 24:00 Uhr zuzulassen, ist identisch mit der un-
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begründeten Forderung nach einem Nachtflugverbot in der Kernzeit der Nacht.
Die Anträge auf Verpflichtung des Beklagten, die ausnahmslose Gleichvertei-
lung aller Flugbewegungen auf beide Start- und Landebahnen sowie An- und
Abflugverfahren mit möglichst steilem An- und Abflugwinkel festzuschreiben,
bleiben ebenfalls ohne Erfolg. Zu ihnen ist bereits an anderer Stelle das Erfor-
derliche gesagt. Der Antrag, den Beklagten zu verpflichten, dass bei nächtli-
chem Flugbetrieb in der Zeit von 0:00 Uhr bis 5:00 Uhr strahlgetriebene Flug-
zeuge mit einer maximal zulässigen Abflugmasse von mehr als 20 t nur starten
und landen dürfen, wenn der Nachweis erbracht ist, dass deren gemessene
Lärmzertifizierungswerte in der Summe mindestens 10 EPNdB unter der Sum-
me der für sie geltenden Grenzwerte gemäß Band 1, Teil II, Kapitel 3, An-
hang 16 des Abkommens über die internationale Zivilluftfahrt liegen, ist kein
Antrag zur Verbesserung des Taglärmschutzes. Auch insoweit ist das Erforder-
liche im Zusammenhang mit dem Nachtlärmschutz ausgeführt (vgl. B. 1.1.1.2).
1.2 Die Maßnahmen zum Lärmschutz, die der Beklagte nach § 9 Abs. 2 LuftVG
zum Schutz vor unzumutbarem Lärm angeordnet hat, halten der gerichtlichen
Kontrolle stand. Die von den Klägern erstrebten Nachbesserungen sind nicht
geboten.
1.2.1 Die Maßnahmen des passiven Schutzes vor nächtlichem Fluglärm haben
die Vermeidung von Schlafstörungen und die Gewährleistung des Wiederein-
schlafens nach spontanem Aufwachen zum Ziel. Außerdem geht es dem Be-
klagten um den Schutz der Anwohnerschaft vor flughafeninduziertem Boden-
lärm und die Vermeidung von Gesundheitsgefahren durch den Gesamtlärm.
Allen Zielen liegt die Intention des Beklagten zugrunde, den Nachtschlaf der
Flughafenanwohner effektiv zu schützen.
Nächtlicher Fluglärm kann wie auch sonstiger nächtlicher Lärm dazu führen,
dass sich die Schlafstruktur, die dadurch gekennzeichnet ist, dass sich ver-
schiedene Phasen abwechseln, deutlich verändert. Das kann kurzfristig zu er-
höhter Müdigkeit und verminderter Leistungsfähigkeit am Tag führen, im Falle
von Wiederholungen möglicherweise langfristig auch zu anderen Gesundheits-
störungen, z.B. zu einer Erhöhung des Herzinfarktrisikos. In der Schlaffor-
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- 38 -
schung werden das Wachstadium, der leichte Schlaf (Schlafstadium S 1 und
S 2), der Tiefschlaf (Schlafstadium S 3 und S 4) sowie der besonders empfind-
liche Traumschlaf (REM-„rapid eye movement“-Schlaf) unterschieden. Bei nor-
malem Schlafverhalten folgt auf einen Tiefschlafzustand regelmäßig eine
Traumphase. Die erste Nachthälfte ist in der Regel durch längere Tiefschlaf-
phasen gekennzeichnet, die durch kurze Traumphasen unterbrochen werden.
In der zweiten Nachthälfte werden die Traumphasen länger und die Tiefschlaf-
phasen immer kürzer. Für die regenerative Funktion des Schlafes ist neben der
Dauer auch die Verteilung der Schlafstadien wichtig. Von besonderer Bedeu-
tung ist der Tiefschlaf. Werden durch Umgebungslärm Schlafstadienwechsel
ausgelöst, so kann dies zu Beeinträchtigungen der Schlaffunktion insbesondere
dann führen, wenn sich die Tiefschlafanteile verkürzen. Die stärkste Ausprä-
gung externer Aktivierung des Organismus im Schlaf sind Aufwachreaktionen.
Um die kurz- und eventuell auch langfristigen Folgen von Störungen des
Nachtschlafs zu unterbinden, muss es vorrangiges Nachtschutzziel sein, dafür
Sorge zu tragen, dass fluglärmbedingte Aufwachreaktionen möglichst vermie-
den werden. Allerdings ist es nicht notwendig, Störungen gänzlich auszuschlie-
ßen. Der Mensch ist - wie alle Lebewesen - in gewissen Grenzen in der Lage,
sich veränderten Situationen ohne nachteilige Folgen für den Organismus an-
zupassen (Basner/Isermann/Samel, Zeitschrift für Lärmbekämpfung - ZfL -
2005,109 <117>).
Nach den Erkenntnissen der Lärmwirkungsforschung hängt es sowohl vom Ma-
ximalpegel als auch von der Anzahl der Fluglärmereignisse ab, wann Belästi-
gungen, die sich in einem Schlafstadienwechsel äußern, in eine zusätzliche
Aufwachreaktion umschlagen können, die sich als Schlafstörung charakterisie-
ren lässt. Die Professoren Griefahn, Jansen, Scheuch und Spreng vertreten in
ihrem gemeinsamen Beitrag in der ZfL 2002, S. 171 ff. - sog. Fluglärmsynopse -
die Auffassung, dass dem Schutzanliegen, ein zusätzliches fluglärmbedingtes
Aufwachen zu vermeiden, ausreichend Rechnung getragen werden kann, wenn
gesichert ist, dass nachts ein Maximalpegel von 53 dB(A)
innen
nicht häufiger als
13-mal überschritten wird. Diese Werte wollte auch die Beigeladene im
Planfeststellungsbeschluss festgeschrieben wissen. Diskutiert werden auch
andere Faktoren und Maximalpegelwerte. So sieht beispielsweise der Entwurf
87
- 39 -
eines Gesetzes zur Verbesserung des Schutzes vor Fluglärm in der Umgebung
von Flugplätzen (BTDrucks 16/508) in § 2 Abs. 2 für die Zeit bis zum
31. Dezember 2010 ein Wertepaar von 6 x L
Amax
57 dB(A) und für die Zeit
danach eines von 6 x L
Amax
53 dB(A) vor. Als NAT (number above
threshold)-Kriterium weist das Maximalpegel-Häufigkeitskriterium allerdings in-
soweit Schwachpunkte auf, als sich weder die Zahl der Überflüge mit Pegeln
knapp unterhalb des Schwellenwertes steuern noch die Intensität der Lärmbe-
lastungen begrenzen lässt, die in Ausnutzung der Überschreitungsmöglichkei-
ten oberhalb des Schwellenwertes hervorgerufen werden. Die Unzulänglichkei-
ten des NAT-Wert-Konzepts werden üblicherweise dadurch in rechtlich vertret-
barer Weise kompensiert, dass zusätzlich ein energieäquivalenter Dauerschall-
pegel (z.B. 35 dB(A)
innen
) festgesetzt wird, der nicht überschritten werden darf.
Der Beklagte hat sich freilich nicht für ein Lärmschutzkonzept entschieden, das
an akustische Kenngrößen anknüpft, sondern sein Konzept auf der Dosis-
Wirkungs-Beziehung des DLR aufgebaut. Er hält sein Modell, das erstmalig in
einem Planfeststellungsbeschluss Eingang gefunden hat, für vorzugswürdig,
weil es wissenschaftlich präziser und zudem im Ergebnis anwohnerfreundlicher
sei.
Das DLR hat die Dosis-Wirkungsbeziehung anhand einer Studie zur Wirkung
von nächtlichem Fluglärm auf Schlaf, Leistung und Befinden des Menschen
ermittelt. Zwischen 1999 und 2003 hat es insgesamt 128 Versuchspersonen
während 13 aufeinander folgender Nächte im Labor und 64 Probanden wäh-
rend neun aufeinander folgender Nächte in ihren eigenen Wohnräumen (Feld-
studie) mit der Methode der Polysomnografie darauf untersucht, wie sie auf
Nachtfluglärm reagieren. Es handelt sich um die bislang umfangreichste expe-
rimentelle Studie zum Einfluss von Nachtfluglärm auf den Schlaf.
Während der Nacht wurden kontinuierlich elektrophysiologische Signale der
Versuchspersonen erfasst, mit deren Hilfe es möglich war, das Wachstadium zu
erfassen sowie den Schlaf den verschiedenen Stadien S 1 bis S 4 und REM-
Schlaf zuzuordnen. Simultan zu den elektrophysiologischen Signalen wurde der
intermittierend auftretende Fluglärm aufgezeichnet. Beide Parameter bildeten
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90
- 40 -
die Grundlage für eine ereigniskorrelierte Auswertung, deren Methodik die Klä-
ger in der mündlichen Verhandlung als wissenschaftlich korrekt anerkannt ha-
ben und die daher vorliegend nicht dargestellt und diskutiert zu werden braucht.
Im Labor konnten bis zu Werten von 45 dB(A), also 15 dB(A) über dem von der
Klimaanlage erzeugten Hintergrundgeräusch, keine fluglärmbedingten Auf-
wachreaktionen verzeichnet werden. Unter einer Aufwachreaktion verstehen die
Autoren der DLR-Studie, Basner, Isermann und Samel (im Folgenden: Basner
et al.), und ihm folgend der Beklagte einen Wechsel vom Schlafstadium REM,
S 4, S 3, S 2 in das Schlafstadium S 1 oder das Stadium Wach. Bei einem
Maximalpegel von 45 dB(A) haben Basner et al. eine Aufwachwahrschein-
lichkeit von 11 % ermittelt. Ferner haben sie festgestellt, dass mit größer wer-
denden Maximalpegeln die Aufwachwahrscheinlichkeit kurvenförmig ansteigt.
Im Feldversuch war bereits bei Maximalpegeln ab 33 dB(A) eine Zunahme der
fluglärmbedingten Aufwachwahrscheinlichkeit zu beobachten. Ansonsten war
die Reaktionswahrscheinlichkeit im Feld bei gleichen Maximalpegeln signifikant
geringer als im Labor. Als mögliche Ursache für die stärkere Lärmresistenz der
Feldstudienteilnehmer nennen Basner et al. die „Tatsache, dass die Feldstu-
dienteilnehmer in ihrer vertrauten Umgebung, zu der das eigene Bett gehört,
untersucht wurden“. Als weiterer Grund kommt nach ihrer Einschätzung „auch
die Gewöhnung an das spezifische Geräuschszenario in Betracht“. Sie äußern
die Annahme, dass „bei Flughafenanwohnern eine Gewöhnung nicht grund-
sätzlich an Fluggeräusche überhaupt stattzufinden (scheint), sondern vielmehr
spezifisch an die spezielle häusliche Geräuschsituation“. Anhand einer gleiten-
den Skala, in der sich die Ergebnisse von 61 Versuchspersonen der Feldstudie
widerspiegeln, gibt die DLR-Studie tabellarisch Auskunft darüber, wie oft ein
bestimmter Maximalpegel erreicht werden darf, ohne dass es zu einer zusätzli-
chen fluglärmbedingten Aufwachreaktion kommt (vgl. die Abbildung 5.12 auf
S. 65 des Berichts vom April 2004). Die Werte der Tabelle sind in die Berech-
nung der Kontur des Nachtschutzgebietes eingeflossen und sind maßgeblich,
wenn das Ausmaß des notwendigen Schallschutzes an einem Wohngebäude
zu ermitteln ist.
91
- 41 -
1.2.1.1 Obwohl die Kläger betonen, sie stimmten dem auf der DLR-Studie auf-
bauenden Lärmschutzkonzept des Planfeststellungsbeschlusses prinzipiell zu,
versuchen sie, mit einer grundsätzlichen Kritik an der Studie dem Konzept die
Grundlage zu entziehen. Sie bemängeln mit dem Epidemiologen Prof. Dr. G.,
dass die Studie nicht repräsentativ sei, weil die Heranziehung von Freiwilligen
als Probanden und die Anwendung einer Vielzahl von Ausschlusskriterien zu
einer unzulässigen Verengung des Probandenkreises geführt hätten. Der Senat
vermag sich diesen Einwänden nicht anzuschließen.
Prof. Dr. G. macht darauf aufmerksam, dass es sich bei Freiwilligen um eine
selbst selektierte Untergruppe der Bevölkerung handele, die sich u.a. durch
höhere Bildung, geringere Ausprägung von krank machenden Risikofaktoren,
stärkeres Gesundheitsbewusstsein und stärkeres Interesse an Gesundheits-
themen auszeichne. Angehörige der Unterschicht, Raucher, Personen mit
Übergewicht seien für eine Teilnahme an Untersuchungen zu Gesundheitsthe-
men nur schwer zu motivieren. Um zu gewährleisten, dass die Gesamtbevölke-
rung in der Probandengruppe repräsentiert werde, müsse eine Zufallsstichpro-
be aus der Allgemeinbevölkerung gezogen werden.
Die Zufallsstichprobe, der Prof. Dr. G. das Wort redet, lässt sich nicht gewinnen,
da niemand verpflichtet ist, an einer wissenschaftlichen Studie teilzunehmen.
Wer experimentelle Studien durchführt, ist auf Freiwillige angewiesen. Basner et
al. stellen nicht in Abrede, dass die von ihnen untersuchte Teilnehmergruppe
durch die von Prof. Dr. G. genannten selektiven Merkmale gekennzeichnet
gewesen sei, und bestreiten auch nicht, dass dieser Umstand für epi-
demiologische Studien, deren Endpunkte in der Regel Krankheitsmanifestatio-
nen oder gar der Tod seien, eine entscheidende Rolle spiele, da die aufgezähl-
ten Faktoren einen starken Einfluss auf Morbidität und Mortalität hätten. Sie
behaupten jedoch, dass der moderierende Einfluss der Faktoren auf die Wir-
kung von Nachtfluglärm auf den Schlaf im Vergleich zur Wirkung auf die End-
punkte Morbidität und Mortalität geringer sei, und vermuten sogar, dass Men-
schen mit einem stärkeren Gesundheitsbewusstsein und stärkerem Interesse
an Gesundheitsthemen sich eher Gedanken über den Einfluss von Nachtflug-
lärm auf ihren Schlaf machten und entsprechend leichter gestört würden. Für
92
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- 42 -
die Richtigkeit dieser Vermutung spricht, dass überdurchschnittlich viele Ver-
suchspersonen an der DLR-Studie teilnahmen, die auf den nächtlichen Flug-
lärm empfindlich reagierten und sich durch diesen belastet und belästigt fühlten.
So hatten sich 13 % der Feldstudienteilnehmer vor der Studie mindestens
einmal schriftlich beim Flughafenbetreiber über den Fluglärm beschwert und
19 % der Teilnehmer mindestens einmal an einer Unterschriftenaktion oder
Demonstration gegen Fluglärm teilgenommen. Der Anteil der Feldstudienteil-
nehmer, die sich vor der Studie mittel, stark oder sehr stark durch Fluglärm be-
lästigt fühlten, betrug 75 % im Vergleich zu 15 % einer im Jahr 2000 erhobenen
repräsentativen Bevölkerungsstichprobe. Der Selektionsprozess habe, so das
von Basner et al. gezogene Fazit, eher in Richtung einer Selektion von Lärmbe-
troffenen und Lärmempfindlichen als umgekehrt stattgefunden. Das ist plausi-
bel.
Nicht zu beanstanden ist, dass Teilnehmer von der Studie ausgeschlossen wa-
ren, die das Ergebnis zu Lasten des Lärmschutzes verzerrt hätten. So leuchtet
ein, dass die Versuchspersonen altersentsprechend schlafgesund sein muss-
ten. Bei Personen mit Schlafstörungen, die nicht durch Umwelteinflüsse verur-
sacht werden (sog. intrinsische Schlafstörung), kann nicht beurteilt werden, ob
die am nächsten Tag beobachteten sekundären Schlafstörungen (Müdigkeits-
gefühl, eingeschränkte Leistungsfähigkeit etc.) durch den Fluglärm oder durch
die Störung selbst verursacht wurden, zumal deren Ausmaß in verschiedenen
Nächten unsystematisch wechseln kann. Häufige spontane Aufwachreaktionen
aufgrund intrinsischer Schlafstörung führen dazu, dass der Anteil lärminduzier-
ter Aufwachreaktionen eher unterschätzt wird. Zudem entwickeln Patienten mit
einer intrinsischen Schlafstörung aufgrund der ständig gestörten Schlafstruktur
oft einen erhöhten Schlafdruck und reagieren deshalb erst auf lautere Flugge-
räusche als schlafgesunde Versuchspersonen. Klar ist auch, dass Schwerhöri-
ge und Konsumenten von Sedativa an der Untersuchung nicht teilnehmen
konnten.
Der unterbliebenen Einbeziehung von Personen, die - krankheitsbedingt - lärm-
empfindlicher sein mögen als der Durchschnittsproband sowie von Personen,
die älter als 64 Jahre waren, ist dadurch Rechnung getragen worden, dass bei
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- 43 -
der Aufstellung des Nachtschutzkriteriums die Ergebnisse der DLR-Studie um
Sicherheitszuschläge ergänzt worden sind, um auch solche Teile der Bevölke-
rung zu schützen, für die die Studienpopulation primär nicht repräsentativ war.
Beispielhaft ist hervorzuheben, dass als Indikator für eine Störung des Schlafs
nicht nur ein Wechsel in das Stadium Wach, sondern auch ein Schlaftiefen-
wechsel in das oberflächliche Schlafstadium S 1 gewählt und außerdem bei der
Berechnung der Dosis-Wirkungskurve, auf der das Nachtschutzgebiet beruht,
davon ausgegangen wurde, dass sich der Schläfer in der gesamten Nacht im
Schlafstadium S 2 und in der Mitte der empfindlicheren zweiten Nachthälfte
befindet. In der Realität besteht eine normale Nacht nur zu etwa 50 % aus dem
Schlafstadium S 2. Ferner wurde für schutzbedürftige Einrichtungen (Kranken-
häuser, Altenheime, stationäre Pflege- und Habilitationseinrichtungen für Alte,
Kranke und Behinderte) und schwer erkrankte Privatpersonen das erforderliche
Schalldämmmaß um 3 dB(A) erhöht. Allein die Annahme, dass sich der Schlä-
fer in der gesamten Nacht im Leichtschlafstadium S 2 befindet, hat zu einer
Vergrößerung des Nachtschutzgebiets um 28 % geführt. Während das Gebiet
bei Zugrundelegung der realen Schlafstadienverteilung 156 km² groß gewesen
wäre, ist es durch die Verschiebung der Dosis-Wirkungskurve auf 199 km² er-
weitert worden (Basner et al., ZfL 2005, 109 <121>). Insgesamt ergeben die
Sicherheitsmargen einen Schutz, der nach Darstellung des Beklagten etwa um
den Faktor 3 höher liegen soll, als wenn ausschließlich auf die in der Feldstu-
dienpopulation erhobenen Daten abgestellt worden wäre. Das reicht aus, um
der eingeschränkten Repräsentativität der untersuchten Population Rechnung
zu tragen.
Prof. Dr. G. hält der DLR-Studie außerdem entgegen, dass sie keine Aussage
über die mittel- und langfristigen Folgen nächtlichen Fluglärms auf das mensch-
liche Wohlbefinden und die Gesundheit zulasse. Die Annahme, mit dem
Schutzziel von im Mittel weniger als einer zusätzlichen Aufwachreaktion lang-
fristige Gesundheitsstörungen vermeiden zu können, erschöpfe sich in Mutma-
ßungen. Dabei gebe es bereits eine epidemiologische Untersuchung, die sich
mit dieser Fragestellung beschäftige. Zu verweisen sei auf einen Bericht über
ein Forschungsprojekt „Beeinträchtigung durch Fluglärm: Arzneimittelverbrauch
als Indikator für gesundheitliche Beeinträchtigung“. Wie sich aus diesem Bericht
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- 44 -
ergebe, sei anhand von Daten Krankenversicherter in der Stadt Köln, im Rhein-
Sieg-Kreis und im Rheinisch-Bergischen Kreis nachweisbar, dass Versicherte in
besonders durch nächtlichen Fluglärm belasteten Wohnorten deutlich mehr
Schlafmittel, Antidepressiva, Arzneimittel gegen Bluthochdruck und zur
Behandlung von Herzkrankheiten verschrieben bekommen hätten als Versi-
cherte in nicht belasteten Wohnorten.
Der Untersuchungsbericht, auf den sich Prof. Dr. G. beruft, vermag das Lärm-
schutzkonzept schon deshalb nicht in Frage zu stellen, weil er erst im Oktober
2006 und damit nach Erlass des Planfeststellungsbeschlusses publiziert worden
ist. Außerdem ist er in seiner Aussagefähigkeit entscheidend limitiert. Ab-
gesehen davon, dass er von der Qualitätssicherung noch nicht freigegeben
worden ist, weist er nämlich zum einen nicht nach, inwieweit zwischen den Be-
lastungen durch Fluglärm und den beobachteten (Volks-)Krankheiten ein Ursa-
chenzusammenhang besteht. Er verschweigt nicht eine Vielzahl von weiteren
Einflussfaktoren, beim Bluthochdruck z.B. Übergewicht, Rauch- und Bewe-
gungsverhalten, und behält deren Erforschung einer weiterführenden epidemio-
logischen Studie vor. Er geht zum anderen nicht der Frage nach, wie lange die
einzelnen Versicherten an ihrem gegenwärtigen Wohnort schon lebten. Ohne
Kenntnis dieser Variablen ist eine Aussage zu den mittel- und langfristigen Wir-
kungen von Fluglärm nicht möglich.
1.2.1.2 Auch soweit die Kläger ungeachtet ihrer grundsätzlichen Kritik dem An-
satz und den Ergebnissen der DLR-Studie folgen und auf dieser Grundlage wei-
tergehende Maßnahmen des passiven Lärmschutzes fordern, kann die Klage
keinen Erfolg haben.
Die Kläger wollen als Nachtschutzgebiet das Gebiet festgesetzt sehen, welches
aufgrund der vom DLR ermittelten Dosis-Wirkungs-Beziehung errechneten Kon-
tur von im Mittel nur 0,5 zusätzlichen Aufwachreaktionen unter Zugrundelegung
einer Pegeldifferenz von außen/innen von 13 dB(A) - unter Berücksichtigung
eines Zuschlags von 3 dB(A) auf jedes Fluggeräusch in dem Zeitraum zwischen
2:00 Uhr und 6:00 Uhr - umschlossen wird sowie das Gebiet, das durch die
fluglärmbedingte Maximalpegelkontur von im Mittel 1 x 75 dB(A)
außen
umschlos-
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100
- 45 -
sen wird. Die Kläger zu 1 bis 3 müssen mit dieser Forderung schon deshalb
scheitern, weil ihre Grundstücke bereits jetzt im Nachtschutzgebiet liegen und
sie damit in den Genuss der unwiderlegbaren Vermutung kommen, dass ein
Anspruch auf geeignete Schallschutzvorrichtungen an Schlafräumen besteht.
Eine Veränderung der Gebietsgrenzen könnte diese Rechtsposition nicht weiter
verbessern. Von Relevanz wäre eine Erweiterung des Nachtschutzgebietes nur
für die Kläger zu 4 und 5. Weil die Kontur des Nachtschutzgebietes mit den
Schutzzielen in der Auflage A II. 4.2.1. (PFB S. 23) korrespondiert, müsste eine
Ausweitung des Nachtschutzgebiets allerdings mit einer spiegelbildlichen An-
passung der Schutzziele einhergehen. Davon würden auch die Kläger zu 1 bis 3
profitieren.
Soweit die Kontur des Nachtschutzgebietes nach der Dosis-Wirkungsbeziehung
gebildet worden ist, ist der Berechnung das Schutzziel zugrunde gelegt worden,
im Mittel weniger als eine zusätzliche Aufwachreaktion, auch wenn diese nicht
erinnerbar ist, zu vermeiden. Auch dies ist nicht zu beanstanden.
In der Fachwelt wird zwischen nicht erinnerbaren und erinnerbaren Aufwachre-
aktionen unterschieden. Nicht erinnerbare Aufwachreaktionen sind solche, die
mit einer Dauer von 15 bis 45 Sekunden zu kurz sind, um im Gedächtnis haften
zu bleiben. Sie treten auch in ungestörten Nächten zwischen 20- und 24-mal
auf. Erinnerbare Wachphasen dauern mindestens drei Minuten. Das mit der
Planfeststellung verfolgte Schutzziel, im Mittel weniger als eine zusätzliche nicht
erinnerbare Aufwachreaktion zu verursachen, führt statistisch gesehen dazu,
dass bei der Verteilung auf der Populationsebene pro Nacht etwa ein Drittel der
Bevölkerung keinmal zusätzlich, ein weiteres Drittel einmal zusätzlich, ein
Fünftel zweimal und weniger als ein Zehntel drei- bis fünfmal zusätzlich durch
Fluglärm geweckt wird. Bei der Verteilung auf der individuellen Ebene sind auf
das Jahr gesehen in 139 Nächten keine, in 134 Nächten eine, in 66 Nächten
zwei und in 21 Nächten drei zusätzliche fluglärminduzierte Aufwachreaktionen
zu erwarten. Mit vier oder fünf zusätzlichen Aufwachreaktionen ist selten und
mit sechs oder mehr zusätzlichen Aufwachreaktionen ist, wie auch bei der
Verteilung auf der Populationsebene, praktisch nicht zu rechnen. Den Klägern
101
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- 46 -
ist das Schutzziel nicht anspruchsvoll genug. Sie verlangen, die Zahl der im
Mittel zugelassenen Aufwachreaktionen zu halbieren.
Die Kläger beanstanden mit ihrem Sachbeistand Dr.-Ing. M., dass nach dem
DLR-Konzept für mehr als 60 % aller Betroffenen ein regelmäßiges, fluglärm-
bedingtes Erwachen nicht vermieden werde. Durch das Abstellen auf mittlere
Aufweckwahrscheinlichkeiten würden die sehr stark streuenden individuellen
Aufweckwahrscheinlichkeiten vernachlässigt. Ein Schutzkonzept, das der Wirk-
lichkeit näher kommen wolle, müsse die individuellen Aufweckreaktionen aber
berücksichtigen (es würden keine „mittleren“ Personen wach). Diese seien er-
heblich, wenn 25 % der Betroffenen oder mehr mindestens einmal pro Nacht
fluglärmbedingt aufwachen. Das führe z.B. dazu, dass die Schwelle der Auf-
weckwahrscheinlichkeit nicht, wie nach der DLR-Studie, bei 20 Fluggeräuschen
mit einem Pegel von 55 dB(A), sondern bereits bei sechs Fluggeräuschen mit
diesem Pegel erreicht sei. Um diese Differenz auszugleichen, müsse das
Schutzziel, im Mittel eine zusätzliche fluglärmbedingte Aufwachreaktion zu ver-
hindern, dahin revidiert werden, dass eine mittlere Aufweckwahrscheinlichkeit
von unter 0,5 anzustreben sei.
Der Senat folgt dem nicht. Auch der Wert von 25 % ist ein statistischer und kein
individueller Wert. Er hat sich als Standardwert herausgebildet, wenn es darum
geht, ab welcher Schwelle es erheblich ist, dass sich Betroffene auf der Kollek-
tivebene durch Lärm gestört fühlen. Lärm wird als erheblich angesehen, wenn
25 % der Betroffenen in einer Befragung angeben, sich belästigt zu fühlen. Da
es hier um den Schutz vor nicht erinnerbaren Aufwachreaktionen geht, ist das
Befragungsmodell freilich ungeeignet.
In die gleiche Richtung wie die Forderung nach Anwendung des 25 %-
Kriteriums weist das Petitum nach Berücksichtigung eines „Fluglärmmalus“. Die
Kläger meinen mit M., dass wegen der besonderen Lästigkeit von Fluglärm ein
Abschlag auf die hinzunehmenden Lärmwerte von 5 dB(A) vorzunehmen und
deshalb die Tabelle in der DLR-Studie dahingehend zu korrigieren sei, dass der
jeweiligen Zahl der Fluggeräusche, die zu einer zusätzlichen Aufwachreaktion
führen, um 5 dB(A) niedrigere Maximalpegelwerte gegenübergestellt werden
103
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- 47 -
müssten. Das trifft nicht zu. Mit einem Lärmmalus wird dem Umstand Rechnung
getragen, dass verschiedene Verkehrslärmarten trotz gleichen dB(A)-Pegels
subjektiv als unterschiedlich lästig empfunden werden. Dem Nachtlärm-
schutzkonzept geht es aber nicht um die Reduzierung der Lästigkeit von Flug-
lärm, sondern um die Bewahrung des Nachtschlafs. Ob dieser unzumutbar ge-
stört wird, richtet sich nach objektiven Kriterien.
In seiner jüngsten Stellungnahme vom 12. Oktober 2006 berichtet M. von einer
„Studie über Blutdruck- und Herzfrequenzverhalten unter wechselnder Flug-
lärmexposition am Flughafen Frankfurt“ aus dem Jahr 2005. Sie zeige, dass der
Blutdruck so lange mit der wechselnden Geräuschbelastung kovariiere
(normale Regulation), wie die Zeiten geringer Belastung ausreichend lang sei-
en. Würden die Zeiten geringerer Fluglärmbelastung kürzer, so verbleibe der
Blutdruck auf einem chronisch hohen Niveau (konditionierte Regulationsstö-
rung). Konditionierte Regulationsstörungen seien in der Frankfurter Studie bei
solchen Personen zu beobachten gewesen, die langfristig in 75 % der Tage
höher belastet gewesen seien. Die Gruppe, die langfristig in 25 % der Tage
höheren Belastungen ausgesetzt gewesen seien, habe dagegen eine normale
Regulation gezeigt. Aus der Untersuchung lasse sich vorsichtig schließen, dass
eine erhöhte Belastung über 25 % der Tage noch kompensiert werden könne
und spätestens bei einer erhöhten Belastung über 75 % der Tage die Kompen-
sationsfähigkeit überschritten sei. Deshalb sollten aus präventiv-medizinischer
Sicht nicht mehr als an etwa 100 Tagen im Jahr fluglärmbedingte Reaktionen
stattfinden. Die Studie, über die M. referiert, ist nicht geeignet, das Schutzziel
des Planfeststellungsbeschlusses in Frage zu stellen; denn die Erkenntnisse,
die sie vermitteln soll, waren im Zeitpunkt des Erlasses des Planfeststellungs-
beschlusses noch nicht veröffentlicht. Unabhängig davon hat der Senat in An-
betracht dessen, dass ein Schläfer ohnehin durchschnittlich 24-mal pro Nacht
nicht erinnerbar aufwacht, und angesichts der hohen Variabilität in verschiede-
nen Nächten einer Person keine Bedenken, der Einschätzung von Basner et al.
und des behördlichen lärmmedizinischen Gutachters, Prof. Dr. Dr. K., zu folgen
und das behördliche Schutzkonzept als präventiv-medizinisch ausreichend an-
zusehen.
106
- 48 -
Der Forderung der Kläger, „zur Kompensation bestehender Unsicherheiten“
eine mittlere Aufweckwahrscheinlichkeit von unter 0,5 anzustreben oder auf die
Ergebnisse der Labor- statt der Feldstudie abzustellen, braucht nicht näher ge-
treten zu werden. Zwar wird die DLR-Studie die Diskussion über die Auswir-
kungen des Fluglärms auf den Nachtschlaf nicht beenden, sondern - im Gegen-
teil - neue Debatten auslösen und möglicherweise weiter gehende, differenzier-
tere Untersuchungen nach sich ziehen. Erst nach deren Abschluss wird sich
zeigen, ob und inwieweit die Studie zu einem Grundkonsens in der Fachwelt
führt. Trotzdem bedarf es nicht des von den Klägern erstrebten Risikozuschlags
für den möglichen Fall neuerer wissenschaftlicher Erkenntnisse; denn es ist
nicht ernstlich zweifelhaft, dass die DLR-Studie die Grundlage für ein Lärm-
schutzkonzept geliefert hat, dass schon jetzt anspruchsvoller ist als die Konzep-
te, die bislang entwickelt worden sind. Indiziert wird die besondere Anwohner-
freundlichkeit des planfestgestellten Lärmschutzkonzepts durch die Größe des
festgesetzten Nachtschutzgebiets. Während das Gebiet eine Fläche von
129 km² umfasst hätte, wenn es entsprechend dem Antrag der Beigeladenen
nach dem von namenhaften Wissenschaftlern entwickelten Maximalpegel-
Häufigkeitskriterium 13 x 53 dB(A)
innen
in Verbindung mit dem Dauerschallpe-
gelkriterium von 35 dB(A) konturiert worden wäre, ist es jetzt 212 km² groß.
Der Schallpegelunterschied von 15 dB(A) beruht auf der Annahme, dass ein
gekipptes Fenster den Lärm um diesen Wert mindert (PFB S. 407). Die Kläger
stellen in Abrede, dass sich mit einem gekippten Fenster im Rauminnern eine
Dämmwirkung von 15 dB(A) erzielen lässt. Sie geben die Wirkung mit höchs-
tens 13 dB(A) an. Nachweisen zu wollen, wie groß die Dämmwirkung eines nur
spaltbreit geöffneten Fensters ist, geht indes am Anliegen des Planfeststel-
lungsbeschlusses vorbei. Es gibt nicht den Dämmwert eines gekippten Fensters
„an sich“. Die Dämmung hängt von vielen Faktoren ab. Es dürfte zutreffen, dass
das Dämmmaß eines gekippten Fensters je nach der Qualität des Fensters und
der Spaltöffnung nicht mehr als 9 dB(A) bis 11 dB(A) beträgt (vgl. Kötz, ZfL
2004, 21 <22>). Dieses Dämmmaß kann aber nicht mit dem Gesamtdämmmaß
gleichgesetzt werden, da hierbei nicht nur das Fenster, sondern auch die
übrigen Umfassungsbauteile berücksichtigt werden müssen. Angesichts der
Vielfalt der Variablen bezeichnet der Beklagte den von ihm angesetzten
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- 49 -
Dämmwert nicht als absoluten, sondern zutreffend als „typischen“ Wert (PFB
S. 408).
Dass sich der Beklagte für einen Wert von 15 dB(A) als im Einzelfall widerleg-
baren Durchschnittswert entschieden hat, ist nicht zu beanstanden. Der Senat
hat diesen in der Praxis gängigen Wert bisher nicht bemängelt (vgl. Urteile vom
16. März 2006 - BVerwG 4 A 1075.04 - BVerwGE 125, 116, Rn. 338 m.w.N.
und vom 21. September 2006 - BVerwG 4 C 4.05 - Rn. 27, zur Veröffentlichung
in BVerwGE vorgesehen). Auch im Schrifttum herrscht die Auffassung vor, dass
bei der Ermittlung des Innenraumpegels 15 dB(A) als Dämmwert für ein
gekipptes Fenster abzuziehen sind (vgl. die Autoren der Fluglärmsynopse, ZfL
2002, 171 <175>). Die DLR-Studie lässt sich als Bestätigung dafür werten, dass
diesem Ansatz tragfähige Erwägungen zugrunde liegen. Die Ergebnisse der im
Rahmen dieser Studie durchgeführten Messungen weisen als mittlere
Pegeldifferenz für gekippte Fenster einen Wert von 18,4 dB(A) aus (Bericht
2004, S. 26). Ein Pegelunterschied von 15 dB(A) zwischen innen und außen
bietet sich auch deshalb als plausibler und seriöser Einsatzwert an, weil er im
Lichte der Begründung des Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung des
Schutzes vor Fluglärm in der Umgebung von Flugplätzen (Nr. 1, Anlage zu § 3
FluglärmG) „nach den vorliegenden Erkenntnissen dem typischen Dämmwert
eines zu Lüftungszwecken gekippten Fensters (entspricht)“ (vgl. BTDrucks
16/508, S. 23 f.; ferner Nr. 4.3.2 des Entwurfs der VDI-Richtlinie 3722-2 zur
Bewertung von Verkehrsgeräuschen beim Einwirken mehrerer Quellarten).
Die Anordnung, dass auf jedes Fluggeräusch zwischen 2:00 Uhr und 6:00 Uhr
ein Zuschlag von 1,4 dB(A) vorzunehmen ist, ist durch den Änderungsplanfest-
stellungsbeschluss vom 9. Dezember 2005 nachgeschoben worden. Sie hat zu
einer Erweiterung des Nachtschutzgebietes um 13 km² geführt. Ihr liegt die er-
gänzende lärmmedizinische Stellungnahme des DLR vom 11. Juli 2005
zugrunde, in der der Einfluss von Nachtlärm auf das Wiedereinschlafen analy-
siert worden ist. In der Erkenntnis, dass Behinderungen des Wiedereinschla-
fens zu längeren Wachepisoden führen können, die wiederum die Wahrschein-
lichkeit erhöhen, dass die Wachphase am nächsten Morgen erinnert wird,
schlägt die Stellungnahme vor, in der zweiten Nachthälfte auftretende Flugge-
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110
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räusche mit einem Malus von 1,4 dB(A) zu versehen. Dem Vorschlag liegt eine
Modellrechnung zugrunde, in der die in der DLR-Feldstudie am Köln-Bonner
Flughafen ermittelten Ergebnisse zum Einfluss von Nachtfluglärm auf den
menschlichen Schlaf genutzt worden sind, um vorherzusagen, wie stark die
Beeinträchtigung des Wiedereinschlafens durch das prognostizierte Flugver-
kehrsaufkommen am Flughafen Leipzig/Halle 2015 ausfallen wird. Die Kläger
zu 4 und 5 beanspruchen demgegenüber, bei der Konturierung des Nacht-
schutzgebiets einen Malus von 3 dB(A) in Ansatz zu bringen. Weshalb dieser
Wert geboten sei, legen sie jedoch nicht dar. Für die Kläger zu 1 bis 3 ist die
Diskussion um die angemessene Höhe eines Lärmmalus ohne Bedeutung. Da
ihre Grundstücke im Nachtschutzgebiet liegen, ist die Pegeldifferenz von
25 dB(A), um die die Schallschutzmaßnahmen den Fluglärm herunterdämmen
müssen, zur Gewährleistung des Wiedereinschlafens um 3 dB(A) zu erhöhen
(PFB A II. 4.2.1., S. 23). Diesen Wert, der ursprünglich aus pragmatischen
Gründen und unter dem Vorbehalt der Änderung festgesetzt worden war, hat
der Beklagte nach Eingang der ergänzenden Stellungnahme des DLR vom
11. Juli 2005 nicht auf 1,4 dB(A) gesenkt, sondern nach dem Grundsatz der
Meistbegünstigung an ihm festgehalten (ÄnderungsPFB S. 27 f.).
Die Kläger können eine Ausweitung des Nachtschutzgebietes und eine Ver-
besserung des zu gewährenden Schallschutzes nicht mit ihrem Ansinnen errei-
chen, der Flugverkehr müsse in die Rechenformel in Anlage 7 des Planfeststel-
lungsbeschlusses mit anderen Daten eingehen.
Der Planfeststellungsbeschluss stellt auf den Umfang des im Planjahr 2015
erwarteten Flugverkehrs ab. Die Kläger halten das schon im Ausgangspunkt für
falsch. Mit ihrer Ansicht, die Lärmberechnungen seien mit einer Flugbewe-
gungsanzahl vorzunehmen, die einer Maximalauslastung des entstehenden
Parallelbahnsystems entspricht, befinden sie sich freilich in einem Irrtum. Nach
der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist nicht auf die maximale
technische Kapazität, sondern auf das tatsächliche Verkehrsaufkommen abzu-
stellen, das in einem überschaubaren Zeitraum zu erwarten ist (Urteil vom
16. März 2006 a.a.O. Rn. 354 m.w.N.). Zu einer Rechtsschutzlücke für die Klä-
ger führt dies nicht, weil sich der Beklagte die Anordnung weiterer Auflagen
111
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- 51 -
zum Nachtschutz vorbehalten hat, wenn sich aufgrund der von der Beigelade-
nen unaufgefordert vorzulegenden Auswertungen des Flugverkehrs heraus-
stellt, dass der bisherige Schutz nicht ausreicht (PFB A II. 4.9.2., S. 35). Der
Vorbehalt ist drittschützend. Das hat der Beklagte in der mündlichen Verhand-
lung bestätigt.
Den lärmphysikalischen Berechnungen liegt das auf 2015 abstellende Datener-
fassungssystem (DES) der Beigeladenen vom 4. Oktober 2004 zugrunde. Es
listet die einzelnen Flugrouten auf, die von den beiden Start- und Landebahnen
aus beflogen werden, und schlüsselt auf, auf welchen Routen tags (zwischen
06:00 Uhr und 22:00 Uhr) und nachts (zwischen 22:00 Uhr und 06:00 Uhr) in
den sechs verkehrsreichsten Monaten des Jahres mit welcher Anzahl von
Flugbewegungen (unterteilt nach Luftfahrzeugklassen und aufaddiert) zu rech-
nen ist. Das DES geht davon aus, dass der nächtliche Frachtverkehr den
Hauptanteil des Nachtflugverkehrs ausmacht und zur Nachtzeit während der
beiden Spitzenstunden die Kapazitäten beider Bahnen erschöpfend ausgenutzt
werden.
Mit ihrem Gutachter F. halten die Kläger das DES für fehlerhaft und unbrauch-
bar. Anstoß nimmt F. - erstens - an der fehlerhaften Summenbildung auf Sei-
te 20. Dort wird die Anzahl der Flugbewegungen in den sechs verkehrsreichs-
ten Monaten des Jahres getrennt für die Tages- (21 569) und die Nachtzeiten
(14 977) aufgelistet, die Summe statt mit 36 546 aber mit 21 564 angegeben. F.
kritisiert - zweitens -, dass die bei der Beschreibung einiger Flugrouten einge-
stellten Kurvenradien, weil mit 1 000 m zu eng bemessen, nicht der Flugdyna-
mik von Verkehrsflugzeugen entsprächen mit der Folge, dass die Flugrouten
TADUV x C, BAMKI x C, RELKO x C, ORTAG x C sowie GALMA x C nicht
fliegbar und dadurch falsche Betroffenheiten durch Fluglärm ermittelt worden
seien. Er bemängelt - drittens -, dass mit einem Prozentsatz von 1,9 ein niedri-
gerer Anteil an schweren Verkehrsflugzeugen der Luftfahrzeugklasse S 6.2b in
das DES eingestellt worden sei als mit einem Prozentsatz von 6,4 in die Ver-
kehrsprognose. Dies bewirke eine zu niedrige Darstellung der Anzahl der durch
Fluglärm Betroffenen.
113
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- 52 -
Auf die Stellungnahme F. hat das Planungs- und Beratungsbüro O. erwidert. In
der Entgegnung wird die fehlerhafte Addition als unerheblich bezeichnet. Der
Rechenfehler habe sich bei der redaktionellen Aufbereitung des DES einge-
stellt, sich auf die Durchführung der Fluglärmberechnung und die Berech-
nungsergebnisse aber nicht ausgewirkt, weil hierbei die Belegung der einzelnen
Flugspuren, differenziert nach Flugzeuggruppen und hinsichtlich der Beurtei-
lungszeit, und nicht Summen interessierten, insbesondere nicht die Summen
aus den im DES übrigens korrekt angegebenen Tag- und Nachtwerten. Der
Kritik F. an den Kurvenradien hält O. entgegen, dass die Flugstreckenbeschrei-
bung im Sinne der Fluglärmberechnung nicht den Flugpfad eines einzelnen
Luftfahrtzeugs, sondern die Mittellinie eines Flugkorridors erfasse, innerhalb
dessen sich die einzelnen Flugzeuge bewegen. Am Beispiel der Flugroute
TADUV x C zeigt er auf, dass eine Vergrößerung des Kurvenradius von
1 000 m auf 5 000 m eine maximale Abweichung zwischen den beiden Boden-
segmenten von 12,4 m ergebe und zu einer vernachlässigbaren Pegeldifferenz
von 0,001 dB(A) führe. Die sonstigen Kurvenradien beträfen Streckensegmen-
te, die weit außerhalb des Nachtschutzgebietes lägen und wegen der deutlich
höheren Überflughöhen schon allein deshalb für die Belastungssituation irrele-
vant seien. Der scheinbar zu geringe Anteil an Luftfahrzeugen der Klasse
S 6.2b im DES beruhe ausschließlich auf dem gleichmäßigen Jahresgang für
den Fracht-Hub. Für das allgemeine Flugaufkommen werde unterstellt, dass
während der sechs verkehrsreichsten Monate des Jahres 65 % des entspre-
chenden Jahresflugaufkommens abgewickelt werde. Für den Fracht-Hub
betrage der entsprechende Anteil 52 %. Die Antwort auf die Vorwürfe F. ist
schlüssig und wird auch von den Klägern nicht angegriffen.
Das DES weist für den Flughafen Leipzig/Halle aus, dass eine Aufteilung der
Betriebsrichtungen zu 70 % in Richtung 26 (West) und zu 30 % in Richtung 08
(Ost) innerhalb der verkehrsreichsten sechs Monate erfolgt. Die Kläger verlan-
gen die Anwendung der 100:100-Regelung, d.h. die Berechnung für die unter-
schiedlichen Betriebsrichtungen mit voller Flugbewegungszahl.
115
116
- 53 -
Die Anwendung der 100:100-Regelung würde bedeuten, nicht auf eine mittlere
Nacht, sondern auf eine Einzelnacht abzustellen. Hätte sich der Beklagte für sie
entschieden, ginge das mit einer weiteren Erhöhung des Schutzes der Bevölke-
rung einher. Dass der Beklagte von einer Verteilung der Flugbewegungen von
70 % West und 30 % Betriebsrichtung Ost ausgegangen ist, die der langjähri-
gen statistischen Verteilung der Flugbetriebsrichtungen am Flughafen Leip-
zig/Halle entspricht, ist indes nicht zu beanstanden. Nicht zu bestreiten ist, dass
die 70:30-Verteilung in einzelnen Nächten zu einer Überschreitung des auf ei-
ner mittleren Betriebsrichtungsverteilung beruhenden Schutzkriteriums führt.
Dem stehen allerdings niedrigere Belastungen in anderen Nächten gegenüber.
Mit der Frage, ob eine überdurchschnittliche Belastung in einem Teil der Nächte
durch eine unterdurchschnittliche Belastung in einem anderen Teil der Nächte
ausreichend kompensiert wird, hat sich das DLR beschäftigt und sie bejaht:
Probleme ergäben sich insbesondere für Orte nördlich und nordwestlich des
Flughafens Leipzig/Halle, da diese Gebiete für eine Betriebsrichtungsverteilung
Start : Landung = 30 : 70 ausgelegt worden seien. Berechnungen hätten jedoch
ergeben, dass in Nächten, in denen die entsprechenden Gebiete überflogen
würden, in jedem Fall mit im Mittel weniger als drei zusätzlichen Aufwachreakti-
onen zu rechnen sei. Diese Belastung werde vor dem Hintergrund 24 spontaner
Aufwachreaktionen pro Nacht selbst über einige Nächte als tolerabel einge-
schätzt, zumal anschließend ein Kompensation in zahlenmäßig häufigeren
Nächten (7 von 10) ohne Belastung möglich sei. Das hält der Senat für nach-
vollziehbar.
Die Verwendung des DES musste nicht deshalb unterbleiben, weil das Flug-
zeugmuster Antonov 124-100 nach der unwidersprochen gebliebenen Behaup-
tung der Kläger nicht darin eingestellt worden ist. Dem Vorbringen der Kläger
lässt sich nichts dafür entnehmen, dass bereits bei Erlass des Planfeststel-
lungsbeschlusses die mögliche Stationierung von Exemplaren dieses Groß-
raumflugzeugs auf dem Flughafen Leipzig/Halle voraussehbar war.
Auf die Verhinderung eines zusätzlichen erinnerbaren Aufwachens ist die flug-
lärmbedingte Maximalpegelkontur von im Mittel 1 x 80 dB(A)
außen
zugeschnitten,
der - unter Berücksichtigung der typischen Dämmwirkung eines gekippten
117
118
119
- 54 -
Fensters von 15 dB(A) - eine Maximalpegelkontur von im Mittel 1 x 65 dB(A)
innen
entspricht. Der Zeitraum, über den zu mitteln ist, beläuft sich nach Auskunft des
Beklagten in der mündlichen Verhandlung auf ein Jahr. Nach Meinung der Klä-
ger ist der Wert zu hoch angesetzt. Sie verlangen, das Gebiet in das Nacht-
schutzgebiet einzubeziehen, welches durch die fluglärmbedingte Maximalpe-
gelkontur von im Mittel 1 x 75 dB(A)
außen
umschlossen wird. Diese Forderung
braucht nicht erfüllt zu werden. Das DLR hat festgestellt, dass 30 Sekunden
nach einem Fluggeräusch mit einem Maximalpegel > 65 dB(A) am Ohr des
Schläfers 12 % weniger Versuchspersonen wieder eingeschlafen waren als
nach einer spontanen Aufwachreaktion. Vier Minuten nach einem solchen
Fluggeräusch waren nur noch 2 % der Versuchspersonen wach, die in der
spontanen Situation wieder eingeschlafen waren. Das bedeutet, dass jede
50. Aufwachreaktion, die durch Maximalpegel > 65 dB(A) hervorgerufen wurde,
länger als vier Minuten dauerte und damit am nächsten Tag wahrscheinlich er-
innert wurde (DLR-Studie 2004, S. 62). Erinnerbares Aufwachen in dieser Grö-
ßenordnung darf der Planfeststellungsbeschluss den Lärmbetroffenen zumuten.
1.2.1.3 Die Kläger kritisieren die Regelung zum Schutz vor Bodenlärm. Für un-
zureichend halten sie die Anordnung, dass dann, wenn der flughafeninduzierte
Bodenlärm innerhalb des Nachtschutzgebietes einen äquivalenten Dauer-
schallpegel von 45 dB(A)
außen
erreicht oder überschreitet, unter Bildung des
Summenpegels von Fluglärm und flughafeninduziertem Bodenlärm der Schall-
schutz zu ermitteln ist, der einen Innenraumpegel von 30 dB(A) gewährleistet
(PFB A II. 4.2.4., S. 24 f.). Auch geben sie sich nicht damit zufrieden, dass
Triebwerksprobeläufe in der Nacht in keinem Fall an der Grenze des Nacht-
schutzgebietes zu einem Maximalpegel von mehr als 50 dB(A)
außen
und inner-
halb des Nachtschutzgebietes zu einem Maximalpegel von mehr als
35 dB(A)
innen
führen dürfen (PFB A II. 4.7.2., S. 33).
Die Kläger zu 1, 2, 4 und 5 können mit der Rüge schon deshalb nicht gehört
werden, weil ihre Grundstücke keinem flughafeninduziertem Bodenlärm ausge-
setzt sein werden. Ihre Wohnorte gehören nicht zum Kreis der Ortschaften, in
denen von deutlich hörbaren Schallimmissionen durch Bodenlärm auszugehen
ist (PFB S. 366 f.; Bodenlärmgutachten der cdf Schallschutz Consulting Dr. Fü.
120
121
- 55 -
vom 15. September 2003, S. 35); sie sind weit genug vom Flughafengelände
entfernt. Betroffen ist allein das Grundstück der Klägerin zu 3, das von der Auf-
lage A II. 4.2.4. (PFB S. 24 f.) erfasst wird. Das in der Auflage enthaltene Ge-
bot, dort für die Einhaltung eines nächtlichen Innenraumpegels von 30 dB(A) zu
sorgen, ist ausreichend, um einen ungestörten Nachtschlaf zu gewährleisten.
Es ist noch günstiger als von der Klägerin zu 3 gefordert, die eine Festschrei-
bung des zulässigen nächtlichen Mittelungspegels auf 32 dB(A) für geboten
hält. Mit dem weniger weit gehenden Schallschutz nach der Auflage A II. 4.7.2.
(PFB S. 33) braucht sie sich nicht abzufinden.
1.2.1.4 Die Kläger bemängeln, dass die Gesamtlärmbelastung nicht angemes-
sen berücksichtigt worden sei. Sie vermissen eine summative Lärmbetrachtung.
Ihre Kritik liegt neben der Sache. Es trifft nicht zu, dass sich der Beklagte auf
den Standpunkt gestellt hat, die einzelnen Lärmquellen (Flug-, Boden- und
Landverkehrslärm) seien isoliert zu betrachten. Vielmehr hat er die von den
Klägern geforderte Gesamtlärmbetrachtung durchgeführt, die nach der Recht-
sprechung des Senats geboten sein könnte, wenn das neue oder zu ändernde
Infrastrukturvorhaben in Zusammenwirkung mit vorhandenen Vorbelastungen
anderer Verkehrswege insgesamt zu einer Lärmbelastung führt, die mit Ge-
sundheitsgefahren oder einem Eingriff in die Substanz des Eigentums verbun-
den ist (vgl. Urteil vom 21. März 1996 - BVerwG 4 C 9.95 - BVerwGE 101, 1
<9>). Er hat die nächtliche Gesamtlärmbelastung betrachtet und die Schwelle
zur Gesundheitsgefahr bei einem Dauerschallpegel von 60 dB(A) gezogen
(PFB S. 423). Das ist nicht zu beanstanden (vgl. Halama/Stüer, NVwZ 2003,
137 <142>). Der Beklagte ist freilich dabei nicht stehen geblieben, sondern hat
sich entschieden, eine Gesamtlärmbetrachtung der dem Flughafen zuzurech-
nenden Schallquellen auch unterhalb der Grenze zur Gesundheitsgefährdung
durchzuführen (PFB S. 417). Im Ergebnis sieht er eine Überprüfung des Schall-
schutzes nach der DLR-Berechnung nur für erforderlich an, wenn der flugha-
feninduzierte Bodenlärm den Wert von 45 dB(A) erreicht. Das ist bei der Kläge-
rin zu 3 der Fall, die deshalb auch besseren Schallschutz als nach dem DLR-
Konzept erhält (PFB A II. 4.2.4., S. 24 f.), nicht aber bei den übrigen Klägern.
122
- 56 -
1.2.1.5 Die Kläger zu 1 bis 3 haben einen Anspruch auf Schallschutzvorrich-
tungen an den Schlafräumen ihrer Wohnhäuser sowie auf Belüftungseinrich-
tungen. Das genügt ihnen insoweit nicht, als sie zur Vorbeugung vor schlaf-
schädigendem Hitzestress auch den Einbau von Klimaanlagen beanspruchen.
Sie berufen sich auf eine entsprechende Überlegung des Lärmmediziners Prof.
Dr. Dr. K., der meint, dass ein Temperaturaustausch abends und nachts be-
sonders im Hochsommer letztlich vollständig geöffnete Fenster erfordere. Bei
gekippten Fenstern sei ein Temperaturaustausch problematisch.
Die Kläger zu 1 bis 3 sind mit ihrem Ansinnen bereits nach § 10 Abs. 4 Satz 1
LuftVG präkludiert, weil sie mit ihm nicht innerhalb der Einwendungsfrist vor-
stellig geworden sind. Der Einwendungssausschluss erstreckt sich auch auf das
gerichtliche Verfahren (vgl. Urteil vom 24. Mai 1996 - BVerwG 4 A 38.95 -
NVwZ 1997, 489 zu § 17 Abs. 4 Satz 1 FStrG). Dass andere Einwender ihre
Schlafräume mit Klimaanlagen ausgerüstet wissen wollten, kommt den Klägern
nicht zugute; denn die materielle Präklusionsregelung in § 10 Abs. 4 Satz 1
LuftVG wirkt gegenüber dem einzelnen Einwender individuell (vgl. VGH Mann-
heim, Urteil vom 22. März 1996 - 8 S 3060/95 - NVwZ-RR 1997, 88 <89> zur
Präklusion nach § 107 Abs. 2 LWG). Im Übrigen ist davon auszugehen, dass
die Belüftungseinrichtungen, auf die die Kläger einen Anspruch haben, in hin-
reichendem Umfang nicht nur für frische Luft, sondern auch für eine Tempera-
tursenkung sorgen. Die Lüfter führen die sich abends in der Regel abkühlende
Außenluft den Schlafräumen zu und übernehmen damit die Funktion gekippter
Fenster. Mehr steht Lärmbetroffenen nicht zu. Auch die 24. BImSchV, die sich
mit Schallschutzmaßnahmen an Schienenwegen und Straßen befasst, und § 2
des Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung des Schutzes vor Fluglärm in
der Umgebung von Flugplätzen zählen nur den Einbau von Lüftungseinrichtun-
gen zu den Schallschutzmaßnahmen.
Soweit die Kläger zu 1 bis 3 bestimmte technische Anforderungen an die Belüf-
tungseinrichtungen stellen (kombinierter Zu-/Ablüfter mit Wärmerückgewin-
nung), sind sie auf die Ausführungsplanung zu verweisen. Ein Planfeststel-
lungsbeschluss muss nicht jedes Detail bis ins Einzelne regeln (Urteil vom
5. März 1997 - BVerwG 11 A 5.96 - Buchholz 316 § 74 VwVfG Nr. 44), sondern
123
124
125
- 57 -
darf die Bauausführung ausklammern, soweit der Stand der Technik für die zu
bewältigenden Probleme geeignete Lösungen zur Verfügung stellt.
Die Kläger zu 4 und 5 gehen leer aus. Sie haben keinen Anspruch auf Schall-
schutzmaßnahmen, weil bei ihnen die durchschnittliche Anzahl fluglärmbeding-
ter Aufwachreaktionen unter Berücksichtigung einer Schalldämmwirkung eines
gekippten Fensters von 15 dB(A) bei 0,97 liegt. Den von ihnen zu führenden
Nachweis, dass die Schalldämmwirkung ihrer Fenster geringer ist und deshalb
die Zahl fluglärmbedingter Aufwachreaktionen im Mittel den Wert 1 übersteigt,
haben sie nicht erbracht.
1.2.1.6 Der Anspruch auf Schutzvorkehrungen muss innerhalb von fünf Jahren
gegenüber der Beigeladenen geltend gemacht werden (PFB A II. 4.6.3.,
S. 30 f.). Der Lauf der Frist beginnt mit dem Ablauf des Jahres, in dem die Start-
und Landebahn Süd in Betrieb genommen wird (PFB A II. 4.6.4., S. 31). Die
Kläger halten die Befristung für nicht akzeptabel, soweit sie sich auf den
Schutzanspruch nach der Auflage A II. 4.5.2. i.V.m. der Auflage A II. 4.5.1. be-
zieht (erhöhter Schallschutz wegen schwerer Erkrankung). Sie meinen, dass
ein Anspruch auf erhöhten Schallschutz auch dann bestehen müsste, wenn
eine schwere Erkrankung mehr als fünf Jahre nach Inbetriebnahme der Süd-
bahn auftrete.
Die Forderung der Kläger ist überzogen. Welche Maßnahmen zur Sicherung
der Nutzung der benachbarten Grundstücke gegen Gefahren oder Nachteile
nach § 9 Abs. 2 LuftVG notwendig sind, ist auf der Grundlage objektiver Um-
stände und Gegebenheiten zu beurteilen. Die danach gebotene grundstücks-
bezogene Betrachtungsweise lässt es nicht zu, die Frage der Erheblichkeit von
den - wandelbaren - konkreten Nutzungsverhältnissen zu einem bestimmten
Zeitpunkt abhängig zu machen. Sie schließt die Berücksichtigung besonderer
Umstände in der Person des jeweiligen Eigentümers oder Nutzers aus. Beson-
dere Empfindlichkeiten, gesundheitliche Indispositionen oder sonstige persönli-
che Eigenheiten haben außer Betracht zu bleiben (Urteil vom 16. März 2006
a.a.O. Rn. 325). Mit der Verpflichtung der Beigeladenen, für den Fall schwerer
Erkrankung für weitergehenden Schallschutz an Schlafräumen Sorge zu tragen,
126
127
128
- 58 -
ist der Beklagte den Betroffenen entgegengekommen. Eine noch weiter-
gehende Begünstigung kann nicht beansprucht werden.
1.2.2 Soweit es um den Lärmschutz während der Tagstunden (6:00 Uhr bis
22:00 Uhr) geht, stellt der Planfeststellungsbeschluss auf den Schutz des
Wohnens ab. Beim Schutzniveau differenziert er zwischen der Nutzung der in-
nerhalb der Gebäude zum Wohnen bestimmten Räume und der Nutzung des
Außenwohnbereichs.
1.2.2.1 Ziel des Schutzes der gebäudebezogenen Wohnnutzung ist die Ver-
meidung von Kommunikationsstörungen. Dies beruht auf der Erkenntnis, dass
sich nach allgemeiner Einschätzung Kommunikationsstörungen stärker noch als
Störungen der Ruhe und der Entspannung nachteilig auf das Wohnklima
auswirken, da sie als besonders lästig eingestuft werden.
Der Beklagte will das Ziel durch Maßnahmen des passiven Schallschutzes er-
reichen (PFB S. 400). Das ist nicht zu beanstanden. Sein Schutzkonzept beruht
auf einer Kombination von Dauerschall- und Maximalpegelfestlegungen. Als
Schutzkriterium im Vordergrund steht der Dauerschallpegel, während dem Ma-
ximalpegel lediglich eine Ergänzungsfunktion zukommt. Die Nebenbestimmung
A II. 4.1.2. zum Planfeststellungsbeschluss sieht die Bildung von Tagschutzge-
bieten vor, die von den Grenzlinien eines für die sechs verkehrsreichsten Mo-
nate ermittelten energieäquivalenten Dauerschallpegels von 60 dB(A)
außen
- dies
entspricht unter Berücksichtigung der Pegeldifferenz von 15 dB(A)
innen/außen
ei-
nem Innenpegel von 45 dB(A) - und der 19 x 82 dB(A)
außen
Maximalpegelkontur
umschlossen werden. Der Schallschutz ist durch Vorrichtungen an
Aufenthaltsräumen zu gewähren, die sicherzustellen haben, dass durch An-
und Abflüge von den beiden Start- und Landebahnen des Flughafens
Leipzig/Halle im Rauminnern bei geschlossenen Fenstern keine höheren Ein-
zelschallpegel als 55 dB(A) auftreten. Die Festlegung der Tagschutzgebiete
dient genauso der Beweiserleichterung wie die Abgrenzung des Nachtschutz-
gebiets.
129
130
131
- 59 -
Die Kläger halten das Schutzniveau nicht für ausreichend. Der Beklagte gebe
als Schutzziel eine 99%ige Satzverständlichkeit vor. Dies sei zu wenig. Gesi-
chert werden müsse eine 100%ige Satzverständlichkeit. Diese sei bei einem
Maximalpegel von 55 dB(A)
innen
nicht gewährleistet.
Die Anordnung, dass ein Maximalpegel von 55 dB(A) im Rauminnern einzuhal-
ten ist, gibt zu Beanstandungen keinen Anlass. Es muss nicht gesichert wer-
den, dass ein Gespräch mit einer 100%igen Satzverständlichkeit geführt wer-
den kann. Den Betroffenen ist zuzumuten, während einer Störung durch einen
Überflug, die sich auf einen Zeitraum zwischen 30 und 40 Sekunden zu be-
schränken pflegt, die Stimme zu heben und sich mit einer Sprachverständlich-
keit von 99 % zu begnügen (vgl. Urteil vom 16. März 2006 a.a.O. Rn. 327). Die-
se Kommunikationsgüte wird durch den festgesetzten Maximalpegel sicherge-
stellt.
Die Kläger halten es für „disharmonisch“, dass einerseits die Schallschutzvor-
richtungen gewährleisten sollen, dass im Rauminnern bei geschlossenen Fens-
tern keine höheren Einzelschallpegel als 55 dB(A) auftreten, und andererseits
das Tagschutzgebiet u.a. von einer 19 x 82 dB(A)
außen
- Maximalpegelkontur
umschlossen wird. In der Tat führen nicht erst 19 Pegel mit 82 dB(A), sondern
alle Einzelschallpegel mit mehr als 80 dB(A)
außen
- ausgehend von einer typi-
schen Dämmwirkung eines geschlossenen Fensters von 25 dB(A) - zu höheren
Maximalpegeln als 55 dB(A). Der Beklagte hat die Diskrepanz zwischen der
Abgrenzung des Tagschutzgebiets anhand des 19 x 82 dB(A)-Kriteriums, das
er der Nummer 5.5.5 der DIN 4109 entnommen hat, und dem Tagschutzziel in
der mündlichen Verhandlung nicht überzeugend auflösen können. Das ist je-
doch unschädlich, weil es nicht geboten ist, ein Tagschutzgebiet mit Hilfe nicht
nur eines Dauerschall-, sondern auch eines Maximalpegelwertes abzugrenzen.
Der Beklagte durfte in Übereinstimmung mit der Lärmschutzpraxis (vgl. Grie-
fahn, Jansen, Scheuch, Spreng, sog. Fluglärmsynopse, ZfL 2002, 171 <174>),
die in § 2 Abs. 2 des Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung des Schutzes
vor Fluglärm in der Umgebung von Flugplätzen aufgegriffen wird, dem Dauer-
schallpegelkriterium die ausschlaggebende Bedeutung beimessen. Es erfasst
die typischen Fälle. Für sie eine Beweiserleichterung vorzusehen, ist ausrei-
132
133
134
- 60 -
chend (vgl. Urteil vom 16. März 2006 a.a.O. Rn. 320 f.). Der Beklagte hat durch
das Maximalpegelkriterium 19 x 82 dB(A) schon weiter gehende Beweiserleich-
terungen gewährt. Dass er den Klägern noch mehr entgegenkommt, kann nicht
verlangt werden.
Die Kläger rügen, dass der Planfeststellungsbeschluss keine Schutzvorschriften
für besonders schutzbedürftige Einrichtungen wie Schulen und Kindergärten
vorsehe. Sie machen sich Forderungen der Lärmwirkungsforschung zu eigen,
dass - gemessen am Schutzziel der ungestörten Kommunikation - in
Schulräumen der Störgeräuschpegel 35 dB(A) und in Kindergärten der Störge-
räuschpegel 30 dB(A) nicht überschreiten solle. Ob diese Forderungen berech-
tigt sind, braucht nicht erörtert zu werden; denn die Kläger sind nicht zum
Schutz kommunaler Einrichtungen berufen.
1.2.2.2 Das auf das Schutzgut Wohnen ausgerichtete Tagschutzkonzept des
Planfeststellungsbeschlusses schließt den Schutz des Außenwohnbereichs mit
ein. Die Beschränkung der Schutzwirkung auf den Tageszeitraum begegnet
keinen rechtlichen Bedenken, weil der Außenwohnbereich (Gärten, Terrassen,
Balkone und in ähnlicher Weise nutzbare sonstige Außenanlagen) nachts nicht
dem Aufenthalt von Menschen zu dienen pflegt. Dies entspricht der Rechtspre-
chung (vgl. Urteil vom 16. März 2006 a.a.O. Rn. 362 m.w.N.) und wird von den
Klägern auch nicht angezweifelt.
Unzumutbaren Beeinträchtigungen der Nutzung des Außenwohnbereichs, de-
nen sich durch einen physisch-realen Ausgleich in Gestalt von Maßnahmen des
aktiven oder passiven Schallschutzes nicht abhelfen lässt, trägt der Beklagte
durch die Gewährung einer Entschädigung Rechnung. Im Planfeststellungsbe-
schluss hat er die Beigeladene verpflichtet, Entschädigung für die Nutzungsbe-
einträchtigung des Außenwohnbereichs bei einer Überschreitung des energie-
äquivalenten Dauerschallpegels von 65 dB(A)
außen
zu leisten. Diesen Wert hat
er in der mündlichen Verhandlung auf 62 dB(A) herabgesetzt. Eine weitere Ab-
senkung des Wertes können die Kläger nicht verlangen. Die Grenzziehung bei
einem Dauerschallpegel von 62 dB(A) wird dem Erfordernis gerecht, rechtliche
Folgen schon an Lärmbeeinträchtigungen zu knüpfen, die noch nicht die
135
136
137
- 61 -
Schwelle der Gesundheitsgefährdung erreichen und unzumutbare Störungen
auf dem Felde der Kommunikation und der Erholung nicht erwarten lassen (Ur-
teil vom 16. März 2006 a.a.O. Rn. 368 f.).
1.3 Die Kläger zu 1 und 2 beantragen hilfsweise die Übernahme ihres Grund-
stücks. Sie begründen ihren entsprechenden Antrag mit der schweren Erkran-
kung der Klägerin zu 1, die an einem Post-Polio-Syndrom leidet. Der Antrag ist
unbegründet.
Nach der Rechtsprechung des Senats kommt als Anspruchsgrundlage § 74
Abs. 2 Satz 3 VwVfG in Betracht (Urteil vom 6. Juni 2002 - BVerwG 4 A 44.00 -
NVwZ 2003, 209 <210>). Danach hat der Betroffene Anspruch auf angemes-
sene Entschädigung in Geld, wenn Vorkehrungen und Anlagen, die nach § 74
Abs. 2 Satz 2 VwVfG zum Wohl der Allgemeinheit oder zur Vermeidung
nachteiliger Wirkungen auf Rechte anderer erforderlich sind, untunlich oder mit
dem Vorhaben unvereinbar sind. Auch der Übernahmeanspruch stellt ein Sur-
rogat für nicht realisierbare Schutzvorkehrungen dar.
Ein Übernahmeanspruch mit entsprechenden Entschädigungskonsequenzen ist
gegeben, wenn die Beeinträchtigungen faktisch ein derartiges Gewicht haben,
dass eine weitere Nutzung des Grundstücks unzumutbar erscheint (vgl. nur
Urteil vom 23. Februar 2005 - BVerwG 4 A 5.04 - BVerwGE 123, 23 <37>).
Nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts beginnt bei einem Dauer-
schallpegel von 70 dB(A) tags und 60 dB(A) nachts in Wohngebieten der ver-
fassungsrechtlich kritische Bereich (Urteile vom 20. Mai 1998 - BVerwG 11 C
3.97 - Buchholz 406.25 § 41 BImSchG Nr. 18 und vom 10. November 2004
- BVerwG 9 A 67.03 - NVwZ 2005, 591 <594>). Der Planfeststellungsbeschluss
gewährt, um der besonderen nächtlichen Situation am Flughafen Leipzig/Halle
Rechnung zu tragen, einen Übernahmeanspruch schon ab einem Gesamtdau-
erschallpegel, ermittelt aus der energetischen Addition von Fluglärmpegel und
flughafeninduziertem Bodenlärmpegel, von 58,7 dB(A)
außen
nachts (PFB
A II. 4.3.2., S. 448). Mehr können die Kläger nicht verlangen.
138
139
140
- 62 -
Der Beklagte erwartet, dass das Anwesen der Kläger zu 1 und 2 im Planfall
2015 mit einem nächtlichen L
eq(3)
von 49,5 dB(A) beaufschlagt wird. Bei diesem
Wert scheidet ein Übernahmeanspruch aus. Die Erkrankung der Klägerin zu 1
ändert daran nichts. Wie bereits dargelegt, ist auf der Grundlage objektiver
Umstände und Gegebenheiten zu beurteilen, welche Maßnahmen zur Siche-
rung der Nutzung der benachbarten Grundstücke gegen Gefahren oder
Nachteile notwendig sind; das schließt die gebotene grundstücksbezogene Be-
trachtungsweise die Berücksichtigung besonderer Umstände in der Person des
jeweiligen Eigentümers oder Nutzers aus.
Die Kläger zu 1 und 2 versprechen sich eine Erhöhung des an ihrem Wohnhaus
zu erwartenden Lärmwertes und ein Hineinwachsen in den Übernahme-
anspruch, wenn der Nachtfluglärm nicht über die sechs verkehrsreichsten Stun-
den der Nacht (0:00 Uhr bis 6:00 Uhr), sondern über den Zeitraum von drei
Stunden gemittelt wird, in denen die Spitzenbelastungen zu erwarten sind. Ob
sich die Erwartung der Kläger zu 1 und 2 rechnerisch erfüllen würde, kann offen
bleiben; denn ihre Forderung geht schon im Ansatz ins Leere. Der Dauer-
schallpegel ist ein rechnerischer Durchschnittswert. In welcher Höhe er einen
Grenzwert markiert, hängt von dem gewählten Zeitraum ab, über den er gemit-
telt wird. Er ist kein feststehender Wert, dem sich durch eine Verkürzung des
zugrunde gelegten Mittelungszeitraums näher kommen lässt.
1.4 Die Kläger zu 1 bis 2 verlangen hilfsweise zum Übernahmeanspruch, die
Klägerin zu 3 zusätzlich zu den Maßnahmen des passiven Lärmschutzes eine
Entschädigung wegen Minderung der Verkehrswerte ihrer Grundstücke. Auch
insoweit muss ihre Klage erfolglos bleiben.
Einen Anspruch auf einen Ausgleich aller Vermögensnachteile, welche ein
Planvorhaben auslöst, vermittelt § 74 Abs. 2 Satz 3 VwVfG nicht (Urteil vom
24. Mai 1996 - BVerwG 4 A 39.95 - UPR 1996, 388). Ob das Abwägungsgebot
einen derartigen Anspruch hergeben kann, weil planbedingte Wertverluste ge-
gebenenfalls als private Belange im Rahmen der Abwägungsentscheidung zu
berücksichtigen sind (Urteil vom 24. Mai 1996 a.a.O. S. 389) und die Grenze
zur Abwägungsdisproportionalität erreicht ist, wenn die Wertverluste so massiv
141
142
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144
- 63 -
ins Gewicht fallen, dass den Betroffenen ein unzumutbares Opfer abverlangt
wird (Urteil vom 16. März 2006 a.a.O. Rn. 404), mag dahinstehen; denn es ist
weder vorgetragen noch ersichtlich, dass das Grundeigentum durch die Wert-
verluste, die auch der Beklagte für möglich hält (PFB S. 598 f.), praktisch funk-
tionslos werden könnte. Die Kläger zeigen nicht auf, wie sich die Entwicklung
am Grundstücksmarkt in der betroffenen Region darstellt, und geben auch nicht
an, in welcher Größenordnung sie Einbußen erwarten. Der pauschale Hinweis
auf erhebliche Wertverluste gibt dem Senat keine Veranlassung, von sich aus
der Frage nachzugehen, ob und in welchem Umfang sich das Vorhaben auf
den Wert der umliegenden Wohngrundstücke auswirkt.
2. Zu den Folgen, die im Rahmen der nach § 8 Abs. 1 Satz 2 LuftVG gebotenen
Abwägungsentscheidung zu bewältigen sind, gehören auch die mit einem
Flughafenausbau und etwaigen Folgemaßnahmen im Bereich der Straßen- und
Eisenbahninfrastruktur zwangsläufig verbundenen Luftverunreinigungen, die in
Parallele zu den vorhabenbedingten Lärmimmissionen unter den in § 74 Abs. 2
VwVfG genannten Voraussetzungen nicht bloß als ein hinter gegenläufige Be-
lange zurücksetzbare Abwägungsposten zu berücksichtigen sind, sondern zur
Anordnung von Schutzvorkehrungen oder ggf. einer Geldentschädigung führen
müssen.
Der Beklagte hat geprüft, ob und wo verkehrsbedingte Schadstoffbelastungen
zu erwarten sind, die Schutzauflagen notwendig machen (PFB S. 462 ff.). Be-
trachtet hat er die Leitschadstoffe Stickstoffoxide, Benzol, PM
10
und Ruß. Die
Kläger richten ihr Augenmerk allein auf den Schadstoff Ruß. Hier sehen sie
Nachbesserungsbedarf.
Hinsichtlich des Schadstoffs Ruß prognostiziert der Planfeststellungsbeschluss
für den Planfall 2015 die höchste flughafeninduzierte Zusatzbelastung außer-
halb des Betriebsbereichs mit 0,14 µg/m³ für den Bereich der Bundesstraße 6
zwischen der Anschlussstelle Großkugel der A 9 und der Flughafenzufahrt im
südlichen Vorfeld. Das am stärksten betroffene Wohngebiet ist die Ortslage
Schkeuditz-Nord mit einer flughafeninduzierten Zusatzbelastung an Ruß von
0,06 µg/m³. Da die großräumige Vorbelastung ohne Flughafenbetrieb im Jahr
145
146
147
- 64 -
2015 bei 1,3 µg/m³ liegen werde, so der Planfeststellungsbeschluss, werde sich
die Gesamtbelastung durch die flughafeninduzierte Zusatzbelastung auf maxi-
mal 1,44 µg/m³ erhöhen. Dieser Wert liege sowohl unterhalb des flächenbezo-
genen Vorsorgewertes der LAI von 1,5 µg/m³ als auch unterhalb des Wertes
gemäß § 2 Nr. 2 der 23. BImSchV von 8 µg/m³.
Die Kläger behaupten, dass der Planfeststellungsbeschluss von einem zu nied-
rigen Ruß-Vorbelastungswert ausgegangen sei. Dieser liege über dem Wert
von 1,3 µg/m³. Der Planfeststellungsbeschluss habe nicht gebührend berück-
sichtigt, dass der Schwerlastverkehr aus Osteuropa eine veraltete Fahrzeugflot-
te nutze. Außerdem sei der schadstoffintensive Flugzeugtyp S 5.3 nicht in die
Prognose eingegangen. Der Planfeststellungsbeschluss habe seiner Beurtei-
lung ferner zu Unrecht die 23. BImSchV zugrunde gelegt, weil er übersehen
habe, dass dieses Regelwerk durch die 22. BImSchV abgelöst worden sei.
Maßgeblich sei der flächenbezogene Vorsorgewert des Länderausschusses für
Immissionsschutz (LAI) von 1,5 µg/m³, dessen Überschreitung hier nicht aus-
geschlossen werden könne, weil das planfestgestellte Vorhaben mehr Luftver-
kehr zulasse, als für 2015 vorausgesagt worden sei.
Die Einwände der Kläger greifen nicht durch.
Zwar ist richtig, dass die 23. BImSchV m.W.v. 21. Juli 2004 aufgehoben worden
ist und daher bei Erlass des Planfeststellungsbeschlusses nicht mehr galt. Da
die seitdem einschlägige 22. BImSchV speziell für Ruß aber keine Grenzwerte
ausweist, sondern nur für Feinstaubpartikel (PM
10
), bestehen keine Bedenken
dagegen, dass sich der Beklagte an dem arithmetischen Jahresmittelwert von
8 µg/m³ für Ruß in § 2 Nr. 2 der - wegen § 2 Abs. 2 BImSchG unverbindlichen -
23. BImSchV orientiert hat. Im Übrigen entspricht der PM
10
-Jahresgrenzwert der
22. BImSchV von im Schnitt 40 µg/m³ umgerechnet zahlenmäßig in etwa dem
Wert der 23. BImSchV für Ruß als einer Teilmenge von PM
10
. Dass der Jahres-
mittelwert von 8 µg/m³ an ihren Grundstücken erreicht wird, machen die Kläger
nicht geltend. Dafür ist auch nichts ersichtlich. Die Kläger konzentrieren sich
deshalb auf den flächenbezogenen Vorsorgewert von 1,5 µg/m³, wie ihn der LAI
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empfiehlt. Sie sehen es nicht als gesichert an, dass diese auch vom
Planfeststellungsbeschluss gesetzte Zielmarke nicht überschritten wird.
Der Beklagte und die Beigeladene haben die Kritik ernst genommen und eine
fachliche Stellungnahme des Autors der Immissionsprognose Luftschadstoffe
eingeholt. Dieser rechtfertigt an erster Stelle den Vorbelastungswert von
1,3 µg/m³ für das Prognosejahr 2015, der um 0,2 µg/m³ niedriger liegt als der
Vorbelastungswert 2002. Er verweist auf die Verpflichtung zur Minimierung der
PM
10
-Immissionen durch die 22. BImSchV und die Luftqualitätsrichtlinie der EU.
Einen wesentlichen Beitrag zur PM
10
-Reduzierung erwartet er mit dem Umwelt-
Bundesamt, das für den Zeitraum zwischen 2000 und 2015 von einer Reduzie-
rung der Partikel-Emissionen aus Kfz-Abgasen um 70 % bis 80 % ausgeht, von
der Autoindustrie. Im Jahr 2001 habe, so der Sachverständige, die Ruß-
Vorbelastung am Standort Flughafen Leipzig/Halle bei 3,9 µg/m³ gelegen. Unter
Zugrundelegung des erwarteten Rückgangs der Dieselruß-Belastungen um
70 % bis 80 % errechne sich für das Jahr 2015 am Flughafen-Standort ein Vor-
belastungswert zwischen 0,8 µg/m³ und 1,2 µg/m³; der angenommene Vorbe-
lastungswert 1,3 µg/m³ sei konservativ. Der Gutachter weist ferner nach, dass
die Emissionen aus der Flugzeugklasse S 5.3 nach AzB berücksichtigt worden
sind: Zwar seien in der Immissionsprognose die Flugbewegungen aus dem Da-
tenerfassungssystem übernommen worden, das keine Flugzeuge der Klasse
S 5.3 aufführe. Diese Klasse sei aber zusammen mit den Flugzeugen der Klas-
se S 5.2 durch die in der Prognose summarisch bezeichnete Flugzeugkategorie
„klein“ erfasst. Da die Klasse S 5.3 um etwa 15 % höhere Ruß-Emissionen
aufweise als die Klasse S 5.2, ergebe sich bei der Bildung des mittleren Emis-
sionsfaktors für die Flugzeugkategorie „klein“ ein höherer Wert als bei alleiniger
Berücksichtigung der Klasse S 5.2. Damit werde indirekt ein Anteil von Emissi-
onen der Klasse S 5.3 berücksichtigt, auch wenn sich die Flugbewegungen (im
DES) nur auf die Klasse S 5.2 bezögen.
Die Kläger wenden gegen die Stellungnahme nichts ein. Auch der Senat sieht
keinen Anlass zur Kritik. Namentlich lässt sich der Vortrag zu den Eingabedaten
nachvollziehen. Die Immissionsprognose ordnet in der Tat die AzB-Klassen
S 5.2 und S 5.3 der Flugzeuggruppe „klein“ zu und berücksichtigt die Klasse
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S 5.3 damit bei der Zahl der Flugbewegungen, die für die Flugzeuggruppe
„klein“ mit 57 174 im Planfall 2015 angegeben wird.
Die Kostenentscheidung beruht hinsichtlich der Kläger zu 4 und 5 auf § 155
Abs. 1 Satz 1, § 159 Satz 2, § 162 Abs. 3 VwGO. Der Senat bewertet den Anteil
ihres Obsiegens mit einem Sechstel und den Anteil ihres Unterliegens mit fünf
Sechsteln. Die Kläger zu 1 bis 3 haben zu einem weitaus geringeren Anteil
obsiegt, weil ihre Hilfsanträge, soweit sie über die Hilfsanträge der Kläger zu 4
und 5 hinausgegangen sind, ohne Erfolg geblieben sind und sie wegen dieser
Hilfsanträge nach § 45 Abs. 1 Satz 3 GKG mit einem höheren Streitwert am
Verfahren beteiligt waren. Zu ihren Lasten bringt der Senat § 155 Abs. 1 Satz 3
VwGO zur Anwendung, wonach einem Teil die Kosten ganz auferlegt werden
können, wenn der andere nur zu einem geringen Teil unterlegen ist.
Dr. Paetow
Prof. Dr. Rojahn
Gatz
Dr. Jannasch
Dr. Philipp
B e s c h l u s s
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 355 000 € festgesetzt, wobei sich der
Gesamtstreitwert aus folgenden Einzelstreitwerten zusammensetzt:
Kläger zu 1 und 2:
300 000 €
(300/355)
Klägerin zu 3:
40 000 €
(40/355)
Kläger zu 4 und 5:
15 000 €
(15/355)
Dr. Paetow
Prof. Dr. Rojahn
Gatz
Dr. Jannasch
Dr. Philipp
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Sachgebiet:
BVerwGE:
ja
Luftverkehrsrecht
Fachpresse:
ja
Rechtsquellen:
FluglärmG
§ 3 Anlage
GG
Art. 2 Abs. 2, Art. 14 Abs. 1 und 3
LuftVG
§ 6, § 8, § 9 Abs. 2, § 10, § 27c, § 29b Abs. 1 Satz 2
LuftVO
§ 27a
LuftVZO
§ 48a und b
ROG
§ 15 Abs. 2
SächsLPlG
§ 16
UVPG
§ 5
VwVfG
§ 74 Abs. 2 Sätze 2 und 3, § 76
23. BImSchV
§ 2 Abs. 2
Stichworte:
Luftrechtliche Planfeststellung; enteignungsrechtliche Vorwirkung; mittelbare
Betroffenheit; Umfang der Rügebefugnis mittelbar Betroffener; Umweltverträg-
lichkeitsprüfung, Scoping; Ziele der Raumordnung; Planrechtfertigung; Stand-
ortalternative; Flughafendimensionierung; Start- und Landebahnsystem; Konfi-
guration des -; Lärmschutzkonzept; besonderer Schutz der Nachtruhe; Be-
triebsbeschränkungen; Zulassung von Nachtflugverkehr; Frachtflugverkehr;
Expressfrachtverkehr; passiver Lärmschutz; Maximalpegel; Dauerschallpegel;
DLR-Konzept; Fluglärm; flughafeninduzierter Bodenlärm; Gesamtlärm; Schutz
des Innen- und des Außenwohnbereichs, Pegelunterschied gekippter Fenster;
Übernahmeanspruch; Minderung des Grundstückswertes; Entschädigung für
die Verlärmung des Außenwohnbereichs; Luftverunreinigungen.
Leitsätze:
1. Die Planrechtfertigung im Sinne der Zielkonformität ist nicht nur zu prüfen,
wenn Dritte für das planfestgestellte Vorhaben (hier: Ausbau des Verkehrsflug-
hafens Leipzig/Halle) enteignet werden sollen, sondern auch dann, wenn sich
Grundeigentümer gegen mittelbare Beeinträchtigungen durch das Vorhaben zur
Wehr setzen.
2. Die Zulassung eines nächtlichen Flugbetriebs ist wegen der Pflicht, auf die
Nachtruhe der Bevölkerung in besonderem Maße Rücksicht zu nehmen (§ 29b
Abs. 1 Satz 2 LuftVG), vor allem in der Kernzeit von 0:00 Uhr bis 5:00 Uhr in
erhöhtem Maße rechtfertigungsbedürftig (wie BVerwG, Urteil vom 16. März
2006 - BVerwG 4 A 1075.04 - BVerwGE 125, 116). Das Gebot wird nicht schon
dadurch erfüllt, dass dem Vorhabenträger aufgegeben wird, für großzügig di-
mensionierten passiven Schallschutz zu sorgen.
3. Ein Lärmschutzkonzept, das Flugverkehr auch während der Nachtstunden
ermöglicht, hat sich vorrangig an dem Ziel auszurichten, fluglärmbedingte Auf-
wachreaktionen zu vermeiden. Dieser Zweck lässt sich nicht nur mit der Fest-
setzung eines um einen Dauerschallpegel ergänzten Maximalpegels erreichen,
sondern auch mit dem Konzept des DLR (Deutsches Zentrum für Luft- und
Raumfahrt e.V.), das nicht an akustische Kenngrößen anknüpft, sondern auf
einer Dosis-Wirkungsbeziehung aufbaut.
4. Die mögliche Beteilung Dritter am Scoping-Termin (§ 5 Satz 4 UVPG) dient
nicht deren Schutz, sondern hat allein die Funktion, die Behörde bei der sach-
gerechten Bestimmung des voraussichtlichen Inhalts und Umfangs der Um-
weltverträglichkeitsprüfung zu unterstützen.
Urteil vom 9. November 2006 - BVerwG 4 A 2001.06 -