Urteil des BVerwG vom 14.11.2002

Schutz des Lebens, Überwiegendes Öffentliches Interesse, Europäische Kommission, Regierung

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IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
BVerwG 4 A 15.02
Verkündet
am 14. November 2002
Röder
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 14. November 2002
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht
Dr. P a e t o w und die Richter am Bundesverwaltungsgericht
Dr. L e m m e l , H a l a m a , Prof. Dr. R o j a h n
und Dr. J a n n a s c h
für Recht erkannt:
- 2 -
Der Planfeststellungsbeschluss der Regierung
von Oberfranken vom 13. Juli 2000 in der Fas-
sung des ergänzenden Planfeststellungsbeschlus-
ses vom 16. Mai 2002 ist rechtswidrig. Er darf
nicht vollzogen werden.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
G r ü n d e :
I.
Der Kläger, ein anerkannter Naturschutzverband, wendet sich
mit seiner Klage gegen den Planfeststellungsbeschluss der Re-
gierung von Oberfranken vom 13. Juli 2000 in der Fassung des
ergänzenden Planfeststellungsbeschlusses vom 16. Mai 2002, der
den Plan für den zweibahnigen (vierstreifigen) Ausbau und die
Verlegung der Bundesstraße 173 "Lichtenfels-Kronach" in dem
etwa 5 km langen 3. Bauabschnitt zwischen Michelau und Zett-
litz feststellt. Der Bedarfsplan 1993 für die Bundesfernstra-
ßen weist dieses Vorhaben als vordringlichen Bedarf aus.
Die Plantrasse verläuft zwischen Michelau und Hochstadt in den
Auen des Maintals südlich und im Wesentlichen parallel zu der
bestehenden Eisenbahntrasse (ICE-Trasse Berlin - München).
Südlich angrenzend liegt das Gebiet des Nassanger Weihers und
anderer Wasserflächen (ehemalige Kiesgruben) mit Vorkommen des
Blaukehlchens und der Rohrweihe. Zwischen den Beteiligten ist
umstritten, ob dieses Gebiet als Europäisches Vogelschutzge-
biet einzustufen ist. Nordwestlich von Hochstadt im Zuge der
Mainquerung führt die Trasse durch einen Lebensraumtyp (Magere
Flachland-Mähwiesen) nach Anhang I der Richtlinie 92/43/EWG
des Rates vom 21. Mai 1992 zur Erhaltung der natürlichen Le-
bensräume sowie der wild lebenden Tiere und Pflanzen (FFH-
Richtlinie - FFH-RL – ABl EG Nr. L 206). Der beklagte Frei-
- 3 -
staat hat in dem von der Trasse berührten Bereich keine Flä-
chen zum Vogelschutzgebiet erklärt oder als FFH-Gebiet gemel-
det.
Der Kläger ist nach Abschluss eines Kaufvertrages im Jahr 1980
Eigentümer einer etwa 75 871 m² großen Feucht- und Wasserflä-
che zwischen Michelau und Hochstadt am Nassanger südlich der
Bahnlinie geworden, von der 21 430 m² für die planfestgestell-
te Trasse in Anspruch genommen werden.
Er hat am 14. August 2000 Klage erhoben und vorläufigen
Rechtsschutz begehrt. Der erkennende Senat hat die aufschie-
bende Wirkung der Klage und auf Antrag der Beteiligten das Ru-
hen des Verfahrens angeordnet. Am 16. Mai 2002 hat der Beklag-
te (Regierung von Oberfranken) einen ergänzenden Planfeststel-
lungsbeschluss erlassen, der unter Aufrechterhaltung des Be-
schlusses vom 13. Juli 2000 im Übrigen die naturschutzrechtli-
chen Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen konkretisiert, ergänzt
und erneut bilanziert. Der Kläger hat seine Klage auf diesen
Beschluss erstreckt. Er rügt Verfahrensfehler der Planungsbe-
hörde, erhebt Einwände gegen die Bedarfsplanung nach dem Fern-
straßenausbaugesetz und macht ferner geltend:
Die planfestgestellte Trasse der B 173 durchquere einen Be-
reich, der europarechtlich teilweise als faktisches Vogel-
schutzgebiet und teilweise auch als (nicht prioritäres)
FFH-Gebiet einzustufen sei. Die geplante Trasse widerspreche
dem Schutzregime der Vogelschutz- und der FFH-Richtlinie. Die
Prüfung weiter südlich gelegener Trassenalternativen sei abwä-
gungsfehlerhaft. Insbesondere die ortsnäher an Trieb und Hoch-
stadt vorbeiführenden Alternativtrassen seien entweder nicht
erkannt oder nur unzureichend gewürdigt worden. Sie ließen das
Vogelschutzgebiet am Nassanger weitgehend unberührt. Fehler-
haft abgewogen seien auch die Alternative eines (nur) zwei-
oder dreistreifigen Ausbaus der B 173 sowie die Null-Variante.
- 4 -
Die angeführten Ausgleichsflächen stünden teilweise im Wider-
spruch zu den Vorgaben des Planfeststellungsbeschlusses, wür-
den zugleich für mehrere Straßenbauvorhaben (B 173, Kreisstra-
ße LIF 13) benötigt (unzulässige "Doppelbelegung") und seien
naturschutzfachlich in Teilen ungeeignet. Die Gesamtbilanz des
Ausgleichs werde wiederum unvollständig dargestellt und ver-
letze die gesetzlichen Anforderungen.
Der Kläger beantragt,
den Planfeststellungsbeschluss der Regierung von Ober-
franken vom 13. Juli 2000 in der Fassung des Ergänzungsbe-
schlusses der Regierung von Oberfranken vom 16. Mai 2002
aufzuheben.
Der Beklagte beantragt Klageabweisung und verteidigt die ange-
fochtenen Beschlüsse.
II.
Die Klage ist zulässig und begründet. Der angefochtene Plan-
feststellungsbeschluss ist rechtswidrig und verletzt den Klä-
ger als enteignungsbetroffenen Grundeigentümer in seinen Rech-
ten. Da der Planfeststellungsbeschluss an erheblichen Mängeln
bei der Abwägung leidet, die in einem ergänzenden Verfahren
behoben werden können, darf er nicht vollzogen werden (§ 17
Abs. 6 c Satz 2 FStrG).
Die Klage ist statthaft. Das Bundesverwaltungsgericht ist nach
§ 5 Abs. 1 VerkPBG im ersten und letzten Rechtszug zuständig.
Das hat der Senat bereits mit Beschluss vom 21. November 2001
(- BVerwG 4 VR 13.00 - Buchholz 451.91 Europ. UmweltR Nr. 5
= NuR 2002, 153) im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes
entschieden. Darauf wird verwiesen.
- 5 -
1. Der Planfeststellungsbeschluss leidet nicht an den vom Klä-
ger geltend gemachten Verfahrensfehlern.
1.1 Der Kläger beanstandet, dass nach Auslegung der Planunter-
lagen noch weitere "nachgereichte Unterlagen zur Variantenprü-
fung" vom Juni 1996, das Gutachten Kaule vom 15. Juli 1998 so-
wie eine erneute Variantenuntersuchung des Straßenbauamts Bam-
berg vom 28. April 2000 nicht öffentlich ausgelegt worden sei-
en. Der Einwand greift nicht durch. Ob vom Planungsträger ein-
geholte Gutachten oder behördliche Stellungnahmen zu dem un-
verzichtbaren Informationsmaterial gehören, das nach § 73
Abs. 3 Satz 1 VwVfG auszulegen ist, hängt davon ab, ob die mit
der Auslegung bezweckte Anstoßwirkung ohne die Auslegung die-
ser Unterlagen in einem wesentlichen Punkt verfehlt würde
(vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 5. Dezember 1986 - BVerwG 4 C
13.85 - BVerwGE 75, 214 <224>). Es ist nicht ersichtlich, dass
die Anstoßfunktion der öffentlichen Auslegung hier durch das
vom Kläger gerügte Verfahren beeinträchtigt oder gar verfehlt
worden sein könnte.
1.2 Der Kläger rügt, dass das Straßenbauamt im Rahmen einer
nichtöffentlichen Anhörung (September 1999) die im April 2000
vorgelegte Variantenuntersuchung den Naturschutzverbänden zwar
mündlich vorgestellt, dem Kläger jedoch vor Erlass des Plan-
feststellungsbeschlusses am 13. Juli 2000 nicht in schrift-
licher Ausfertigung zugänglich gemacht habe. Das Straßenbauamt
habe dem Kläger erst am 30. Juni 2000 mitgeteilt, dass die um-
fangreichen Planunterlagen nicht übersandt werden, aber einge-
sehen werden könnten. Die Zeit habe nicht ausgereicht, vor Er-
lass des Beschlusses die Untersuchung einzusehen. Der Kläger
sieht darin eine Verletzung seiner Rechte als Grundeigentümer
und als Naturschutzverband.
Es kann offen bleiben, ob dieses Vorgehen des Straßenbauamts
einen Verfahrensmangel darstellt. Der Rechtsverstoß wäre je-
- 6 -
denfalls unbeachtlich. Es ist nicht erkennbar und vom Kläger
auch nicht vorgetragen, dass die etwaige Verletzung eines ihm
als Verband eingeräumten Mitwirkungsrechts die Entscheidung
der Planfeststellungsbehörde in der Sache beeinflusst haben
könnte. Ist ein Naturschutzverband nicht darauf beschränkt,
die ihm durch § 29 BNatSchG a.F. gewährte Verfahrensposition
zu verteidigen, sondern wie hier als mit enteignungsrechtli-
cher Vorwirkung betroffener Grundeigentümer in der Lage, einen
Planfeststellungsbeschluss einer umfassenden gerichtlichen
Prüfung anhand der Kriterien des materiellen Rechts unterzie-
hen zu lassen, findet § 46 VwVfG Anwendung. Bei dieser Fall-
konstellation gibt es keinen Rechtfertigungsgrund, einem bei
Anwendung des § 29 BNatSchG a.F. unterlaufenen Beteiligungs-
fehler ein stärkeres Gewicht zuzuerkennen als sonstigen Ver-
fahrensmängeln, die nur unter den in Art. 46 BayVwVfG (= § 46
VwVfG) genannten Voraussetzungen die in § 113 Abs. 1 Satz 1
VwGO bzw. in § 17 Abs. 6 c Satz 2 FStrG bezeichneten Rechts-
folgen nach sich ziehen (vgl. hierzu das Senatsurteil vom
31. Januar 2002 - BVerwG 4 A 15.01 - NVwZ 2002, 1103 <1105>
- A 20, Wakenitzquerung).
1.3 Der Kläger rügt schließlich, der ergänzende Planfeststel-
lungsbeschluss vom 16. Mai 2002 sei verfahrensfehlerhaft er-
gangen, weil weder ein ordnungsgemäßes Auslegungsverfahren
noch ein Erörterungstermin mit Öffentlichkeitsbeteiligung
stattgefunden habe. Der Einwand ist unbegründet.
Die Planfeststellungsbehörde ist auf der Grundlage des Senats-
beschlusses vom 21. November 2001 im Verfahren des vorläufigen
Rechtsschutzes davon ausgegangen, dass der Planfeststellungs-
beschluss vom 13. Juli 2000 hinsichtlich der naturschutzrecht-
lichen Abwägung (§ 8 Abs. 3 BNatSchG a.F.) fehlerhaft war. Mit
dem Ergänzungsbeschluss verfolgt sie das Ziel, diesen Abwä-
gungsmangel nur im Verhältnis zum Kläger zu beseitigen, ohne
am Vorhaben selbst etwas zu ändern. Hält die Behörde einen
- 7 -
noch nicht bestandskräftigen Planfeststellungsbeschluss für
fehlerhaft und nimmt sie daher das Verfahren wieder auf und
führt es (erneut) zu Ende, so liegt nach der Rechtsprechung
des Senats ein einheitliches Planfeststellungsverfahren vor
(Urteil vom 12. Dezember 1996 - BVerwG 4 C 19.95 -
BVerwGE 102, 358 <360 f.> - A 7 Füssen). Das hier durchgeführ-
te "ergänzende" Verfahren ist danach nur ein unselbständiger
Abschnitt eines einheitlichen Verfahrens, das mit einer erneu-
ten Entscheidung allein gegenüber dem Kläger endet. Dieses
Verfahren unterliegt nicht den Anforderungen des § 73 VwVfG;
denn gegenüber allen anderen (privaten) Betroffenen bleibt der
Planfeststellungsbeschluss vom 13. Juli 2000 in seiner ur-
sprünglichen Fassung weiterhin unverändert wirksam. Private
Dritte werden durch die Regelungen des Ergänzungsbeschlusses
nicht erstmalig oder stärker in ihren Rechten berührt. Ein er-
neutes Auslegungsverfahren mit Öffentlichkeitsbeteiligung war
daher nicht erforderlich.
2. Nach § 1 Abs. 2 FStrAbG entspricht das Straßenbauvorhaben
den Zielsetzungen des § 1 Abs. 1 FStrG. Die B 173 zwischen
Lichtenfels und Kronach ist im Bedarfsplan für die Bundesfern-
straßen, der nach § 1 Abs. 1 Satz 2 des Fernstraßenausbauge-
setzes - FStrAbG - in der Fassung der Bekanntmachung vom
15. November 1993 (BGBl I S. 1878) dem Gesetz als Anlage bei-
gefügt ist, als vordringlicher Bedarf ausgewiesen. Die gesetz-
liche Bedarfsfeststellung erstreckt sich auch auf den vier-
streifigen Ausbau. Das Verkehrsgutachten Kurzak kommt in sei-
ner Prognose für das Jahr 2010 für den Nullfall (ohne Ausbau
der B 173) auf eine durchschnittliche tägliche Verkehrsstärke
(DTV) von 18 800 Fahrzeugen zwischen Michelau und Trieb
(18 200 Fahrzeuge zwischen Trieb und Hochstadt); für die B 173
in diesem Abschnitt wird eine DTV von 18 500 Fahrzeugen prog-
nostiziert. Das rechtfertigt einen vierstreifigen Ausbau.
- 8 -
Zu Unrecht meint der Kläger, die gesetzliche Bedarfsfeststel-
lung für den Bau der B 173 sei inzwischen obsolet geworden,
weil die in § 4 Satz 1 FStrAbG nach Ablauf von 5 Jahren vorge-
sehene Überprüfung des Bedarfsplans (Bundesverkehrswegeplan
1992) noch ausstehe. Die Fortschreibung ist zwar noch nicht
erfolgt. Aus den vom Beklagten vorgelegten Unterlagen ergibt
sich auch nicht, dass das Bauvorhaben der B 173 in dem hier
umstrittenen Abschnitt zwischen Michelau und Zettlitz als
hochprioritäre oder als prioritäre Maßnahme in das Investiti-
onsprogramm des Bundesverkehrsministeriums für die Jahre 1999
bis 2002 aufgenommen worden ist. Der Kläger übersieht jedoch,
dass der Bedarfsplan selbst dann nicht automatisch gegen-
standslos wird, wenn die Prüfung, ob ein Anpassungsbedarf be-
steht, nicht innerhalb des Zeitrahmens des § 4 Satz 1 FStrAbG
stattfindet. Nach § 4 Satz 2 FStrAbG ist die Anpassungsent-
scheidung dem Gesetzgeber vorbehalten. Diese Regelung schließt
es, solange der Gesetzgeber an einer von ihm getroffenen Be-
darfsfeststellung festhält, im Regelfall aus, sich über einen
Bedarfsplan allein deshalb hinwegzusetzen, weil der Gesetzge-
bungsakt, der ihm zugrunde liegt, deutlich mehr als fünf Jahre
zurückliegt. Zweifel daran, ob die gesetzliche Regelung wei-
terhin Geltung beansprucht, sind allenfalls dann angebracht,
wenn sich die Verhältnisse in der Zwischenzeit so grundlegend
gewandelt haben, dass sich die ursprüngliche Bedarfsentschei-
dung nicht mehr rechtfertigen lässt (BVerwG, Urteil vom
27. Oktober 2000 - BVerwG 4 A 18.99 - BVerwGE 112, 140
<148 f.>). Von einem solchen Wandel der Verhältnisse geht der
Kläger selbst nicht aus. Er ist nach den Angaben des Beklagten
zur Verkehrsentwicklung zwischen Michelau und Zettlitz auch
nicht erkennbar (PFB S. 43 - 47).
3. Der Planfeststellungsbeschluss ist rechtswidrig, weil er
die Richtlinie 79/409/EWG des Rates vom 2. April 1979 über die
Erhaltung der wild lebenden Vogelarten (Vogelschutz-Richtlinie
- VRL - ABl EG Nr. L 103 mit späteren Änderungen) verletzt.
- 9 -
Der Beklagte ist den Anforderungen des Art. 4 Abs. 1 Satz 4
VRL an die Identifizierung eines Europäischen Vogelschutzge-
biets nicht gerecht geworden. Seiner Auffassung, der von der
Plantrasse betroffene Bereich des Nassangers sei nicht als Vo-
gelschutzgebiet einzustufen, liegen unzulässige Bewertungskri-
terien zugrunde.
3.1 Die Frage, ob der Nassanger und seine Umgebung den Rechts-
status eines Vogelschutzgebiets verdienen, ist entscheidungs-
erheblich. Nach Art. 4 Abs. 4 Satz 1 VRL sind Beeinträchtigun-
gen und Störungen der Lebensräume und Vogelarten in den ge-
schützten Gebieten zu vermeiden. In den Anwendungsbereich die-
ser Vorschrift fallen auch Straßenbauvorhaben. Nur überragende
Gemeinwohlbelange wie etwa der Schutz des Lebens und der Ge-
sundheit von Menschen oder der Schutz der öffentlichen Sicher-
heit sind geeignet, das Beeinträchtigungs- und Störungsverbot
des Art. 4 Abs. 4 Satz 1 VRL zu überwinden (EuGH, Urteil vom
28. Februar 1991 - Rs. C 57/89 – Slg. I S. 883 Rn. 22). Diese
hohen Anforderungen dürften hier nicht erfüllt sein. Gebiete,
die nicht zu Schutzgebieten im Sinne der Vogelschutz-Richt-
linie erklärt worden sind, obwohl dies erforderlich gewesen
wäre, unterliegen weiterhin dem strengen Schutzregime dieser
Richtlinie und nicht dem milderen Rechtsregime des Art. 6
Abs. 2 bis 4 FFH-RL, a.a.O., S. 7; vgl. EuGH, Urteil vom
7. Dezember 2000 - Rs. C 374/98 - NuR 2001, 210 - Basses
Corbières).
3.2 Die Vogelschutz-Richtlinie setzt der straßenrechtlichen
Fachplanung rechtliche Schranken, die im Wege der fachplaneri-
schen Abwägung nicht überwunden werden können. Im Einzelnen
ist von folgender Rechtslage auszugehen:
3.2.1 Die Richtlinie bezweckt den Schutz, die Pflege und Wie-
derherstellung einer ausreichenden Vielfalt und einer ausrei-
chenden Flächengröße (Lebensräume) für die Erhaltung aller im
- 10 -
europäischen Gebiet der Mitgliedstaaten wild lebenden Vogelar-
ten (Art. 1 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1 VRL). Für die in Anhang I
der Richtlinie aufgeführten Arten sind besondere Schutzmaßnah-
men zu ergreifen. Insbesondere haben die Mitgliedstaaten die
für die Erhaltung dieser Arten "zahlen- und flächenmäßig ge-
eignetsten Gebiete" zu Schutzgebieten zu erklären (Art. 4
Abs. 1 Satz 1 und 4 VRL). Nach Art. 3 Abs. 1 der FFH-Richt-
linie errichten die Mitgliedstaaten ein europäisches ökologi-
sches Netz "Natura 2000", das neben den FFH-Gebieten auch die
nach Art. 4 Abs. 1 VRL erklärten (ausgewiesenen) Vogelschutz-
gebiete umfasst. Die Bundesländer erfüllen die sich hieraus
ergebenden Verpflichtungen nunmehr nach Maßgabe der §§ 33 ff.
BNatSchG i.d.F. des BNatSchGNeuregG vom 25. März 2002 (BGBl I
S. 1193), die auch der Umsetzung der Vogelschutz-Richtlinie in
das deutsche Naturschutzrecht dienen.
Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs findet
die Vogelschutz-Richtlinie auch in Gebieten, die der Mitglied-
staat n i c h t nach Art. 4 Abs. 1 VRL zum Vogelschutzge-
biet erklärt hat, die jedoch die besonderen Anforderungen an
ein Schutzgebiet im Sinne von Art. 4 Abs. 1 Satz 4 VRL erfül-
len, unmittelbar Anwendung (EuGH, Urteil vom 2. August 1993
- Rs. C 355/90 - NuR 1994, 521 <522> - Santon
a). Es kann da-
her auch nicht erklärte Gebiete geben, die den Rechtsstatus
eines "faktischen" Vogelschutzgebiets besitzen und dem
Rechtsregime des Art. 4 Abs. 4 VRL unterliegen. Das
Bundesverwaltungsgericht hat sich dieser Rechtsprechung
angeschlossen (vgl. Urteile vom 19. Mai 1998 - BVerwG 4 C
11.96 - Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr. 138 - B 15 Regensburg,
vom 19. Mai 1998 - BVerwG 4 A 9.97 - BVerwGE 107, 1 <18 f.>
- A 20 Südumfahrung Lübeck - und vom 31. Januar 2002, a.a.O.,
S. 1105 - A 20 Wakenitzquerung).
3.2.2 Der Beklagte wendet hiergegen ein, die Rechtsfigur des
"faktischen" Vogelschutzgebiets setze ein richtlinienwidriges
- 11 -
Verhalten des Mitgliedstaates voraus. Art. 4 Abs. 1 VRL werde
verletzt, wenn ein Mitgliedstaat keine oder nur solche Gebiete
zu besonderen Schutzgebieten erklärt habe, deren Zahl und Ge-
samtfläche offensichtlich unter der Zahl und Gesamtfläche der
objektiv geeigneten Gebiete liege. Ein solcher rechtswidriger
Zustand bestehe hinsichtlich der Auswahl der Schutzgebiete in
Bayern nicht. Die Auswahl der "Natura-2000-Gebiete" sei abge-
schlossen, die ausgewählten Gebiete seien über das Bundesum-
weltministerium der Europäischen Kommission gemeldet worden.
Bayern habe 57 Gebiete mit insgesamt ca. 364 000 ha Fläche
(5,2 v.H. der Landesfläche) zu Vogelschutzgebieten erklärt. Da
ein offensichtlich richtlinienwidriger Zustand nicht (mehr)
vorliege, bestehe kein Raum (mehr) für eine unmittelbare An-
wendung der Vogelschutz-Richtlinie und eine von der Gebiets-
auswahl der zuständigen Landesbehörden abweichende "faktische"
Auswahl durch die Gerichte.
Dieser Einwand steht der rechtlichen Existenz "faktischer" Vo-
gelschutzgebiete nicht entgegen. Die Mitgliedstaaten sind ver-
pflichtet, alle Landschaftsräume zu besonderen Schutzgebieten
zu erklären, die für die Erhaltung der betreffenden Vogelarten
am geeignetsten erscheinen (EuGH, Urteil vom 19. Mai 1998
- Rs. C 3/96 - NuR 1998, 538 <541>). Ob die Ausweisungspflich-
ten nach Art. 4 Abs. 1 Satz 4 VRL sowie die Meldepflichten
nach Art. 4 Abs. 1 FFH-RL und § 33 Abs. 1 BNatSchG im Zuge der
Errichtung des Gebietsnetzes "Natura 2000" erfüllt worden
sind, unterliegt grundsätzlich der verwaltungsgerichtlichen
Überprüfung. Auch Meldelisten, die ein Bundesland als ab-
schließend betrachtet, sind nicht von vornherein einer ge-
richtlichen Vollständigkeitskontrolle entzogen. Dabei ist ins-
besondere zu berücksichtigen, dass die Gebietsmeldungen und
Vorschlagslisten der Länder nach den übereinstimmenden Angaben
beider Beteiligter in der mündlichen Verhandlung gegenwärtig
auf sog. "kontinentalen Bewertungstreffen" fachwissenschaft-
lich überprüft werden und möglicherweise Anlass zu Nachmeldun-
- 12 -
gen an die Europäische Kommission geben. Der Beklagte kann die
Diskussion um die Existenz "faktischer" Vogelschutzgebiete im
Land Bayern nicht dadurch beenden, dass er das Gebietsauswahl-
verfahren selbst für abgeschlossen erklärt (vgl. auch BVerwG,
Urteil vom 31. Januar 2002, a.a.O., S. 1107 - A 20 Wakenitz-
querung - zur Meldung von FFH-Gebieten). Damit ist indes über
die richterliche Kontrolldichte im Einzelfall noch nichts ge-
sagt.
3.2.3 Die Identifizierung Europäischer Vogelschutzgebiete in
den Bundesländern unterliegt nur einer eingeschränkten Über-
prüfung durch die Verwaltungsgerichte.
Art. 4 Abs. 1 Satz 4 VRL eröffnet den Mitgliedstaaten einen
fachlichen Beurteilungsspielraum in der Frage, welche Gebiete
nach ornithologischen Kriterien für die Erhaltung der in An-
hang I der Richtlinie aufgeführten Vogelarten "zahlen- und
flächenmäßig" am geeignetsten sind (EuGH, Urteile vom
28. Februar 1991, a.a.O., vom 2. August 1993, a.a.O.,
- Santon
a - und vom 11. Juli 1996 - Rs. C 44/95 - NuR 1997,
36 - Lappel-Bank). Zu den Bewertungskriterien gehören neben
Seltenheit, Empfindlichkeit und Gefährdung einer Vogelart u.a.
die Populationsdichte und Artendiversität eines Gebiets, sein
Entwicklungspotential und seine Netzverknüpfung (Kohärenz) so-
wie die Erhaltungsperspektiven der bedrohten Art.
Die Eignungsfaktoren mehrerer Gebiete sind vergleichend zu be-
werten. Gehört ein Gebiet nach dem naturschutzfachlichen Ver-
gleich zu den für den Vogelschutz "geeignetsten" Gebieten,
i s t es zum Vogelschutzgebiet zu erklären. Unterschiedliche
fachliche Wertungen sind möglich. Die Nichtmeldung eines Ge-
biets ist nicht zu beanstanden, wenn sie fachwissenschaftlich
vertretbar ist. Die Vertretbarkeitskontrolle umfasst auch die
Netzbildung in den einzelnen Bundesländern, hat aber auch in-
soweit den Beurteilungsrahmen der Länder zu beachten. In dem
- 13 -
Maße, in dem sich die Gebietsvorschläge eines Landes zu einem
kohärenten Netz verdichten, verringert sich die richterliche
Kontrolldichte. Mit dem Fortschreiten des mitgliedstaatlichen
Auswahl- und Meldeverfahrens steigen die prozessualen Darle-
gungsanforderungen für die Behauptung, es gebe ein (nicht-
erklärtes) "faktisches" Vogelschutzgebiet, das eine "Lücke im
Netz" schließen solle.
Die Identifizierung Europäischer Vogelschutzgebiete hat sich
ausschließlich an ornithologischen Kriterien zu orientieren.
Eine Abwägung mit anderen Belangen findet nicht statt. Die in
Art. 2 VRL erwähnten Gründe wirtschaftlicher oder freizeitbe-
dingter Art sind bei der Auswahl eines Vogelschutzgebiets au-
ßer Betracht zu lassen; denn Art. 4 Abs. 1 Satz 4 VRL ist das
Ergebnis einer bereits vom europäischen Richtliniengeber ge-
troffenen Abwägungsentscheidung, die keiner weiteren Relati-
vierung zugänglich ist (EuGH, Urteile vom 2. August 1993,
a.a.O. - Santon
a, vom 11. Juli 1996 a.a.O. - Lappel-Bank -
und vom 19. Mai 1998, a.a.O.; BVerwG, Urteil vom 31. Januar
2002, a.a.O., S. 1106 - A 20 Wakenitzquerung).
3.3 Der Planfeststellungsbeschluss ist rechtswidrig, weil für
die Entscheidung des beklagten Freistaats, das Gebiet um den
Nassanger nicht zum Europäischen Vogelschutzgebiet zu erklären
und nicht in die bayerische Meldeliste für das Netz "Natura
2000" aufzunehmen, naturschutzfremde Erwägungen wirtschaftli-
cher Art mitbestimmend waren.
3.3.1 Während des Planfeststellungsverfahrens ist der Status
des Nassanger-Gebiets zwischen Michelau und Hochstadt als Eu-
ropäisches Vogelschutzgebiet mehrfach erörtert und bejaht wor-
den. Das Bayerische Landesamt für Umweltschutz (LfU) hatte
dieses Gebiet als "das ornithologisch bedeutsamste Feuchtge-
bietssystem" in Oberfranken 1998 in sein Konzept zur Umsetzung
der Vogelschutz-Richtlinie in Bayern eingestellt (vgl. Anla-
- 14 -
ge 1 zum Gutachten BIO-CONSULT November 2002). In einer Be-
sprechung bei der Obersten Baubehörde am 8. Oktober 1999 be-
stand Übereinstimmung darüber, dass "für das von der Planung
betroffene Gebiet eine künftige Ausweisung als EU-Vogelschutz-
gebiet angenommen werden muss" (Ergebnisvermerk vom 15. Okto-
ber 1999, Verfahrensakte der Regierung von Oberfranken,
Bl. 371).
Im Planfeststellungsbeschluss vom 13. Juli 2000 (S. 100 - 101)
heißt es hierzu: Das Gebiet um den Nassanger sei zwar ur-
sprünglich in den Prüflisten als Vogelschutzgebiet aufgeführt,
im (seinerzeit noch laufenden) Dialogverfahren zur endgültigen
Erstellung einer bayerischen Vorschlagsliste für das Netzwerk
"Natura 2000" sei es jedoch nicht mehr enthalten. Die landes-
weite Gesamtbeurteilung habe zur Nichtaufnahme des Gebiets in
die Vorschlagsliste geführt. In der Bekanntmachung der an die
Europäische Union gemeldeten FFH-Gebiete und der Europäischen
Vogelschutzgebiete Bayerns vom 15. Oktober 2001 (AllMBl
Nr. 11/2001) ist das Nassanger-Gebiet nicht aufgeführt.
3.3.2 Der erkennende Senat hat auf der Grundlage der Verfah-
rensakten der Regierung von Oberfranken und des Prozessvor-
bringens des Klägers sowie nach dem Ergebnis der mündlichen
Verhandlung die Überzeugung gewonnen, dass die Nichtmeldung
des Nassanger-Gebiets maßgeblich auf wirtschafts- und ver-
kehrspolitische Gründe zurückzuführen ist. Der Kläger hat in
seiner dem Senat vorgelegten Stellungnahme zur bayerischen Ge-
bietsauswahl von FFH- und Vogelschutzgebieten (Schreiben an
das Bayerische Staatsministerium für Landesentwicklung und Um-
weltfragen vom 26. Mai 2000) substantiiert unter Heranziehung
von Veröffentlichungen und Pressemitteilungen der Staatsregie-
rung dargelegt, dass Gebiete aus der ursprünglichen "Prüflis-
te" des LfU u.a. deshalb gestrichen wurden, weil sie Flächen
für Straßenbauprojekte im Bedarfsplan für die Bundesfernstra-
ßen enthielten. Zitiert wird eine an alle bayerischen Kommunen
- 15 -
übersandte Publikation "Umwelt & Entwicklung in Bayern 1/2000,
StMLU" (S. 5), in der es heißt, die bei der Gebietsauswahl be-
achteten Grundsätze sollten gewährleisten, "dass auch den we-
sentlichen Anforderungen von Wirtschaft, Gesellschaft und Kul-
tur, Land-, Forst- und Fischereiwirtschaft sowie den regiona-
len und örtlichen Besonderheiten Rechnung getragen wird"
(a.a.O., S. 8 und 10). Auf Vorhalt des Senats in der mündli-
chen Verhandlung haben die Vertreter des Beklagten die hieraus
zu ziehende Schlussfolgerung einer naturschutzexternen Ein-
flussnahme auf die Nichtmeldung des Nassanger-Gebiets nicht
entkräften können. Der Einwand des Beklagten, eine Einstufung
des Nassangers und seiner Umgebung als Vogelschutzgebiet
scheide ungeachtet wirtschaftlicher Erwägungen schon aus orni-
thologischen Gründen aus, ist nicht geeignet, die Ursächlich-
keit naturschutzexterner Gesichtspunkte bei der Gebietsauswahl
zu widerlegen (s. unten 3.3.3).
Der Beurteilungsfehler schlägt auf die Planfeststellung durch.
Sicher obliegt es der Bayerischen Staatsregierung und nicht
der Regierung von Oberfranken als Planfeststellungsbehörde,
die abschließende Entscheidung über die Gebietsauswahl für das
Netz "Natura 2000" zu treffen. Die Planfeststellungsbehörde
ist daher im Innenverhältnis an die auf der Ministerialebene
gefällten Auswahlentscheidungen gebunden. Nach außen hat sie
jedoch für deren Rechtmäßigkeit einzustehen, wenn der Schutz-
status eines Gebiets für die Zulassung eines dort geplanten
Straßenbauvorhabens entscheidungserheblich ist. Denn der Aus-
schluss des Gebiets aus dem Netz "Natura 2000" geht inhaltlich
in die sich anschließende Planfeststellung ein und steht mit
dieser zur gerichtlichen Überprüfung (zur insoweit vergleich-
baren Rechtslage bei der fernstraßenrechtlichen Linienbestim-
mung vgl. Senatsurteil vom 10. April 1997 - BVerwG 4 C 5.96 -
BVerwGE 104, 236 <252>).
- 16 -
3.3.3 Der festgestellte Richtlinienverstoß nötigt nicht zur
Aufhebung der angefochtenen Planungsentscheidung. Er ist im
Sinne von § 17 Abs. 6 c Satz 1 FStrG offensichtlich und auch
auf das Abwägungsergebnis von Einfluss gewesen; er kann ferner
durch ein ergänzendes Verfahren behoben werden (§ 17 Abs. 6 c
Satz 2 FStrG). Der Planfeststellungsbeschluss ist daher für
rechtswidrig und bis zur Behebung des Fehlers für nicht voll-
ziehbar zu erklären.
Der Gesetzgeber hat mit § 17 Abs. 6 c FStrG eine spezifische
Fehlerfolgenregelung für fernstraßenrechtliche Planungs-
entscheidungen getroffen, die sich auch auf Fehler erstreckt,
die darauf beruhen, dass die planende Behörde Schranken nicht
beachtet hat, die "bei der Abwägung" unüberwindbar sind. Zu
diesen Schranken des strikten Rechts gehören auch die Anforde-
rungen an die Identifizierung Europäischer Vogelschutzgebiete
in Art. 4 Abs. 1 VRL (vgl. auch BVerwG, Urteil vom 27. Oktober
2000, a.a.O., S. 165 f. - zu § 8 Abs. 3 BNatSchG a.F. und Ur-
teil vom 17. Mai 2002 - BVerwG 4 A 28.01 - NVwZ 2002, 1243
<1247> - zu Art. 6 Abs. 4 FFH-RL).
Entgegen der Ansicht des Beklagten kann der Senat nicht aus-
schließen, dass eine erneute ornithologische Beurteilung des
Nassanger-Gebiets unter Ausklammerung wirtschafts- und ver-
kehrspolitischer Erwägungen zu einer Nachmeldung als Europäi-
sches Vogelschutzgebiet führt. Die Gutachtenlage bietet kon-
krete Anhaltspunkte dafür, dass der Bereich des Nassangers
nach dem als wissenschaftliches Erkenntnismittel geeigneten
IBA-Verzeichnis 2000 (C 6-Kriterium, vgl. Heath/Evans ,
Important Bird Areas in Europe, Priority sites for conservati-
on, 2000, S. 11) zu den zahlen- und flächenmäßig bedeutendsten
Gebieten in Bayern gehört. Das gilt vor allem im Hinblick auf
die Population der Blaukehlchen. Da der Verbreitungsschwer-
punkt dieser Vogelart in Bayern liegt, trägt dieses Bundesland
für die Erhaltung dieser Art eine besondere Verantwortung. Das
- 17 -
Gutachten von Prof. Kaule (Teil II, August 1998) spricht von
einem "landesweiten Schwerpunktvorkommen" am Obermain, das
"überregional bedeutsam" sei (a.a.O., S. 11, 16). Das Gutach-
ten BIO-CONSULT 2000 hebt das "gute Habitatangebot" und die
"konstant hohe Dichte" hervor (S. 23).
Der Planfeststellungsbeschluss zieht die hohe naturschutzfach-
liche Bedeutung des Gebiets für die Blaukehlchenvorkommen und
die Rohrweihe auch nicht in Zweifel und bezeichnet den Ge-
bietsstatus als "kritisch" (PFB S. 100 - 101). Der Beklagte
rechtfertigt die Nichtmeldung des Nassanger-Gebiets zwar mit
dem Hinweis auf sechs andere zum Schutz dieser Vogelarten ge-
meldete Gebiete, die in Ober- und Mittelfranken, in den Donau-
niederungen sowie im Bereich von Isar und Inn liegen (PFB
S. 101). Dabei beschränkt er sich im Wesentlichen auf einen
zahlenmäßigen Vergleich der Brutpaare, der im Klageverfahren
noch konkretisiert worden ist. Die für den Bereich des Nassan-
gers gutachterlich ermittelte Anzahl der Brutpaare, die der
Beklagte nicht bezweifelt, halten sich jedoch noch im (unte-
ren) Rahmen der Zahlenangaben für die gemeldeten Gebiete. Zum
Vergleich der flächenmäßigen Geeignetheit (artgerechtes Habi-
tat, größere Biotopzusammenhänge, Entwicklungspotenzial und
Erhaltungsperspektiven) werden keine Angaben gemacht.
4. Der Planfeststellungsbeschluss verletzt hingegen nicht das
aus dem Europäischen Gemeinschaftsrecht folgende Verbot, die
Ziele der FFH-Richtlinie zu unterlaufen und vollendete Tatsa-
chen zu schaffen, die im Hinblick auf potenzielle FFH-Gebiete
geeignet sind, die Erfüllung der vertraglichen Pflichten bei
der Errichtung des Netzes "Natura 2000" unmöglich zu machen.
In dem planfestgestellten 3. Bauabschnitt der B 173 zwischen
Michelau und Zettlitz, der hier allein im Streit ist, liegen
nach den Angaben der Planungsbehörde und den damit überein-
stimmenden Gutachten keine Gebiete mit prioritären natürlichen
- 18 -
Lebensräumen oder prioritären Tier- und Pflanzenarten im Sinne
der Anhänge I und II der FFH-Richtlinie. Der hier umstrittene
Bauabschnitt ist somit nicht an den Anforderungen des Art. 6
Abs. 4 UAbs. 2 FFH-RL zu messen (vgl. dazu BVerwG, Urteil vom
17. Mai 2002, a.a.O., S. 1244 - A 44).
Der geplante Anbau einer zweiten südlichen Fahrbahn an die
vorhandene einbahnige B 173 im westlich angrenzenden 2. Bau-
abschnitt (AS Lichtenfels Ost - Michelau) würde zwar Restbe-
stände eines (nicht in der bayerischen Meldeliste enthaltenen)
prioritären Auwaldes (Lebensraumtyp 91 EO - Gaabsweiher) "an-
schneiden", der als potenzielles FFH-Gebiet in Betracht zu
ziehen ist (Gutachten Kaule, Teil II, August 1998, S. 8, 18,
19). Daraus lässt sich jedoch für den hier zu beurteilenden
3. Bauabschnitt kein unüberwindbares rechtliches Planungshin-
dernis herleiten. Die Netzfunktion der B 173 im 3. Bauab-
schnitt steht und fällt nicht mit dem zweibahnigen Ausbau im
2. Bauabschnitt (keine "Torsobildung").
Das Bauvorhaben in dem hier umstrittenen 3. Planungsabschnitt
verletzt auch nicht das für potenzielle nicht-prioritäre FFH-
Gebiete geltende Beeinträchtigungsverbot (vgl. hierzu BVerwG,
Urteile vom 17. Mai 2002, a.a.O. sowie vom 27. Oktober 2000,
a.a.O., S. 155 f. - A 71). Die Plantrasse durchquert zwar
nördlich von Hochstadt den nicht-prioritären Lebensraumtyp
"Magere Flachland-Mähwiesen" (Nr. 6510 des Anhangs I der
FFH-RL), in dem mehrere der in Anhang II der FFH-Richtlinie
aufgeführten (nicht-prioritären) Tagfalterarten (Heller und
Schwarz-Blauer Wiesenknopf-Ameisenbläuling) heimisch sind. Der
Senat kann unterstellen, dass hier ein potenzielles FFH-Gebiet
besteht. Das gemeinschaftsrechtliche Beeinträchtigungsverbot
gilt nicht ausnahmslos. Nach Art. 6 Abs. 4 UAbs. 1 FFH-RL kann
ein Plan oder Projekt in einem Schutzgebiet, das weder einen
prioritären Lebensraumtyp noch prioritäre Tier- und Pflanzen-
arten beherbergt, aus zwingenden Gründen des überwiegenden öf-
- 19 -
fentlichen Interesses einschließlich solcher sozialer oder
wirtschaftlicher Art zugelassen werden, wenn eine Alternativ-
lösung nicht vorhanden ist.
Die Voraussetzungen dieses Ausnahmetatbestands wären hier er-
füllt. Die Hochstadt weiträumig südlich umfahrenden Varianten
Süd 1, 2 und 3 scheiden aus den im Planfeststellungsbeschluss
(S. 69 f.) und der Variantenuntersuchung 2000 des Straßenbau-
amts Bamberg genannten Gründen mangelnder Umweltverträglich-
keit als Alternativlösung aus. Die verbleibenden Südvarianten
durchschneiden im Zuge der Mainquerung ebenfalls den Lebens-
raumtyp 6510 nördlich von Hochstadt. Die Unfallbilanz der
B 173 auf den engen Ortsdurchfahrten von Trieb und Hochstadt
sowie deren für das Jahr 2010 prognostizierte durchschnittli-
che tägliche Verkehrsstärke von etwa 18 000 Kfz/24 h (vgl. PFB
S. 45 - 47) zwingen nach Ansicht aller Beteiligten zu einer
erheblichen Verbesserung der überörtlichen Verkehrsabwicklung
und der innerörtlichen Verkehrsverhältnisse und begründen ein
überwiegendes öffentliches Interesse wirtschaftlicher und so-
zialer Art im Sinne von Art. 6 Abs. 4 UAbs. 1 FFH-RL am Ausbau
und der Verlegung der B 173 in diesem Bereich.
5. Der angefochtene Beschluss leidet ferner an einem fach-
planerischen Abwägungsmangel bei der Prüfung von Trassen-
alternativen, der ebenfalls zu seiner Rechtswidrigkeit führt.
5.1 Das Abwägungsgebot in § 17 Abs. 1 Satz 2 FStrG erstreckt
sich auch auf planerische Trassenalternativen. Sie müssen un-
tersucht und im Verhältnis zueinander gewichtet werden (vgl.
BVerwG, Urteil vom 22. März 1985 - BVerwG 4 C 15.83 -
BVerwGE 71, 166 <171 ff.> - B 16, Urteil vom 5. Dezember 1986,
a.a.O., S. 253 ff. - Flughafen München II; vgl. ferner Urteil
vom 22. März 1974 - BVerwG 4 C 42.73 - Buchholz 442.40 § 6
LuftVG Nr. 6; Beschluss vom 20. Dezember 1988 - BVerwG 7 NB
2.88 - BVerwGE 81, 128 <136 f.>).
- 20 -
Ernsthaft in Betracht kommende Alternativtrassen müssen soweit
untersucht werden, bis erkennbar wird, dass sie nicht eindeu-
tig vorzugswürdig sind. Eine gleichermaßen tiefgehende Prüfung
aller in Betracht kommenden Alternativen ist nicht geboten.
Die jeweilige Untersuchungstiefe hängt vor allem vom Grad der
Beeinträchtigung öffentlicher und privater Belange ab; je
schwerwiegender die Beeinträchtigung anderer Belange ist, umso
weitgehender sind die Anforderungen an die Alternativenprü-
fung. Das gilt auch für Alternativen, die sich nicht "auf den
ersten Blick" anbieten oder aufdrängen. Wird eine unter Um-
ständen vorzugswürdige, weil öffentliche und/oder private Be-
lange weniger stark beeinträchtigende Alternative nicht er-
kannt oder vorzeitig ausgeschieden, liegt ein Abwägungsmangel
vor (vgl. Senatsurteil vom 25. Januar 1996 - BVerwG 4 C 5.95 -
BVerwGE 100, 238 <250> - A 60; Urteil vom 26. März 1998
- BVerwG 4 A 7.97 - Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr. 137 - A 241/
Schwerin = UPR 1998, 382; Beschluss vom 26. Juni 1992 - BVerwG
4 B 1 - 11.92 - DVBl 1992, 1435 = NVwZ 1993, 572).
Die Belange des Naturschutzes und der Landschaftspflege ("In-
tegritätsinteresse") sind mit dem Gewicht in die Abwägung ein-
zustellen, das ihnen aus ökologischer Sicht objektiv zukommt.
Sie gehören zum Abwägungsmaterial unabhängig davon, ob dem von
einem Straßenbauvorhaben betroffenen Gebiet der Status eines
Europäischen Schutzgebiets nach der Vogelschutz- oder der FFH-
Richtlinie zukommt. Auch ein Gebiet, das nicht in den Anwen-
dungsbereich der europarechtlichen Regelungen fällt, kann sich
als so schützenswert erweisen, dass es einer "Tabuzone"
gleich- oder doch nahe kommt. In diesem Fall ist auf der Stufe
der fachplanerischen Abwägung zu ermitteln, ob das Vorhaben an
anderer Stelle mit geringeren Eingriffen in Natur und Land-
schaft zu verwirklichen ist. Erst die naturschutzrechtliche
Eingriffsregelung (§§ 18 ff. BNatSchG n.F.), die an die fach-
- 21 -
planerische Trassenwahl anknüpft, nimmt den Ort des Eingriffs
als unvermeidbar hin.
5.2 Gemessen hieran ist der Planfeststellungsbeschluss abwä-
gungsfehlerhaft, weil er die Belange des Naturschutzes im
trassennahen Raum zutreffend als sehr hoch und die trassenbe-
dingten Beeinträchtigungen dieses Naturraums als "außeror-
dentlich stark" einschätzt, vom Kläger aufgezeigte und nicht
fern liegende Alternativen einer Südumgehung des Nassanger-
Gebiets aber nicht ausreichend untersucht hat.
5.2.1 Im Planfeststellungsverfahren sind die Bedeutung der
Tierwelt im Talraum des Mains zwischen Michelau und Zettlitz
und die Auswirkungen der planfestgestellten Trasse eingehend
gewürdigt worden. Die Planfeststellungsbehörde stützt sich im
Wesentlichen auf die Ergebnisse der landschaftspflegerischen
Begleitplanung, insbesondere auf den Bestands- und Konflikt-
plan (Planunterlage 12.2). Danach würde die Plantrasse zu ei-
nem weitgehenden "Totalverlust überregional bedeutender Le-
bensräume", der Zerschneidung des Gesamtlebensraumes Main- und
Rodachtal und zu Funktionsverlusten im "überregionalen Ver-
bund" führen.
Der Planfeststellungsbeschluss umschreibt die Betroffenheit
der Tierwelt durch die Plantrasse im Grundsätzlichen wie folgt
(PFB S. 58):
"Die Tierwelt im Talraum ist durch die Ergebnislinie hier
außerordentlich stark betroffen. Die Trasse zerschneidet
den Talraum des Mains. Der Gesamtkomplex der Auelebensräume
zwischen Lichtenfels und Hochstadt hat gesamtstaatliche Be-
deutung für den Naturschutz, sowohl hinsichtlich des vor-
handenen Artenbestandes als auch bezüglich des vorhandenen
hohen Entwicklungspotentials. Er zeichnet sich aus durch
seine Größe, die Artenvorkommen, spezielle Lebensräume, die
enge räumliche Vernetzung der zahlreichen verschiedenen
Biotope und einer speziellen Lebensraumdynamik. Im Talraum
verläuft die Trasse durchgehend durch besonders wertvolle
Kernbereiche des Biotopmosaiks innerhalb der Mainaue."
- 22 -
Zusammenfassend heißt es ferner (PFB S. 63):
"Durch den Trassenverlauf werden wertvolle Kernbereiche des
Biotopmosaiks innerhalb des Lebensraumkomplexes 'Maintal
zwischen Lichtenfels und Hochstadt', der bundes- und lan-
desweite Bedeutung hat, zerstört und vom Gesamtraum abge-
schnitten. Die Funktion als großer zusammenhängender Le-
bensraum gerade für bedrohte Tierarten mit großen Arealan-
sprüchen wird somit unwirksam. Die verbleibenden Biotopflä-
chen sind großen Störungen durch das Bauwerk und den Ver-
kehrsbetrieb ausgesetzt ..."
Diese Einschätzung der Planfeststellungsbehörde wird von den
vorliegenden Gutachten (Universität Stuttgart 1994, Kaule
1998, BIO-CONSULT) geteilt. Nach den Angaben von BIO-CONSULT
(September 2000) brüten im trassennahen Bereich am Nassanger
neben einer "extrem hohen Vielfalt" von Arten nach Anhang I
der Vogelschutz-Richtlinie (nach Angaben des LfU 1998 10 - 12
nachgewiesene Brutvogelarten) mindestens 40 Arten der bayeri-
schen Roten Liste gefährdeter Vögel und 19 Arten der deutschen
Roten Liste (a.a.O., S. 25 mit Tabelle 2).
5.2.2. Angesichts dieser außerordentlich starken Betroffenheit
der Schutzgüter Natur und Landschaft rücken die Trassenalter-
nativen einer südlichen Umfahrung des Nassanger-Gebiets in das
Blickfeld.
Die Planungsbehörde hat die Varianten 5 und Süd 4, die zwi-
schen Trieb und dem Nassanger-Gebiet (etwa 50 m vom Südende
des Nassanger-Weihers entfernt) deckungsgleich verlaufen, ein-
gehend untersucht und verworfen, weil die Plantrasse (Ergeb-
nislinie) im Hinblick auf die Belange verkehrlicher Art (u.a.
kürzeste Streckenlänge), der Raumordnung (Bündelung mit der
Bahntrasse), der Landwirtschaft (keine Zerschneidung hochwer-
tiger, bereits flurbereinigter und hofnaher Grundstücke bei
Trieb und Hochstadt), der Siedlungsentwicklung bei Trieb (Ver-
kehrsimmissionen in unbelastetem Gebiet, neues "Störungsband")
- 23 -
und der Wirtschaftlichkeit vorzugswürdig sei. Die Varianten 5
und Süd 4 wirkten sich ebenfalls noch negativ (wenn auch ge-
ringer als die Plantrasse) auf Vegetation und Tierwelt am
Nassanger aus; sie seien außerdem wegen der Durchschneidung
des Trinkwasserschutzgebiets bei Hochstadt "nur äußerst
schwer" zu realisieren (PFB S. 69 - 70).
5.2.3 Dieser Trassenvergleich wird dem hohen Stellenwert des
Naturraums am Nassanger aus mehreren Gründen nicht gerecht:
Zunächst treffen die herausgestellten Nachteile der Südvarian-
ten für die Varianten Süd 1, 2 und 3 in deutlich stärkerem Um-
fang zu als für die Variante Süd 4. Die Ergebnislinie hat zwi-
schen Lichtenfels und Zettlitz (AS Lichtenfels Ost - AS Red-
witz) eine Baulänge von 9,25 km, die Variante Süd 4 eine Bau-
länge von 9,75 km. Die Investitionskosten (Bau- und Grunder-
werbskosten) betragen bei der Ergebnislinie 217,7 Millionen
Deutsche Mark, bei der Variante Süd 4 nur 210,1 Millionen
Deutsche Mark. Der Flächenbedarf der Ergebnislinie liegt bei
134,7 ha (31,8 ha landwirtschaftliche Nutzfläche), bei der Va-
riante Süd 4 beträgt er 106,5 ha (32,6 ha landwirtschaftliche
Nutzfläche); der Anteil hoch bonitierter Ackerflächen ist bei
der Variante Süd 4 allerdings höher (vgl. hierzu insgesamt die
Variantenuntersuchung des Straßenbauamts Bamberg vom 28. April
2000, Unterlage 2, S. 1, 2 und 7). Der für die Plantrasse an-
geführte Belang der Raumordnung wird an anderer Stelle abge-
schwächt. Im Planfeststellungsbeschluss vom 13. Juli 2000
(S. 84) heißt es, die Vorteile der Bündelung der Verkehrswege
(Bahntrasse, B 173) kämen hier weitgehend nicht zum Tragen,
weil die geplante Trasse in diesem Bereich wegen der straßen-
verkehrsbedingten Lärmdauerbelastung lärmempfindlicher Vogel-
arten "einer (Erst-) Durchschneidung des betroffenen Gebiets
nahe- bzw. gleichkommt".
- 24 -
Bei dieser Sachlage war es abwägungsfehlerhaft, den Alternati-
venvergleich in dem Korridor zwischen dem Nassanger-Gebiet und
der Ortschaft Trieb auf die Varianten 5 und Süd 4 zu beschrän-
ken. Diese Varianten wurden so gewählt ("trassiert"), dass sie
o h n e M a ß n a h m e n d e s a k t i v e n u n d
p a s s i v e n L ä r m s c h u t z e s die Immissions-
grenzwerte für die weiter südlich liegenden Misch- und Wohnge-
biete von Trieb möglichst nicht überschreiten. Das zeigt ein
Blick auf die Isophonen-Linien der Variante Süd 4 (Straßenbau-
amt Bamberg 2000, Unterlage Nr. 6, Bl. Nr. 7) deutlich. Der
Immissionsgrenzwert von 49 dB(A), der für reine und allgemeine
Wohngebiete (nachts) gilt, berührt die Ortslage nur am äußers-
ten nördlichen Rand, an dem ein Mischgebiet liegt; damit wird
der nächtliche Grenzwert von 54 dB(A) für Dorf- und Mischge-
biete erheblich unterschritten (vgl. § 2 Abs. 1 der
16. BImSchV). Das ersichtliche Bestreben, die Lärmgrenzwerte
nicht nur einzuhalten, sondern aus Vorsorgegründen deutlich zu
unterschreiten, hat dazu geführt, dass die Varianten 5 und
Süd 4 an den südlichen Rand des Nassanger Weihers gelegt wer-
den. Zum Schutz dieses Naturraums hätte der Beklagte jedoch
eine deutliche Südverschiebung der Varianten 5 und Süd 4 zum
Ortsrand von Trieb hin ins Auge fassen und die Vor- und
Nachteile einer derartigen Variante unter Einsatz von Maßnah-
men des aktiven und passiven Lärmschutzes zugunsten der Bevöl-
kerung von Trieb untersuchen und vergleichend gewichten müs-
sen.
Der im Klageverfahren vorgebrachte Einwand des Beklagten, Na-
tur und Landschaft würden durch die im Detail untersuchte Va-
riante Süd 4 und eine nach Süden verschobene Trasse Süd 4, wie
sie der Kläger befürworte, "fast identisch" betroffen, eine
Südverschiebung stelle für den Bereich des Nassangers nur eine
"minimale" Verbesserung dar, erfordere jedoch vermehrte Lärm-
schutzmaßnahmen, greift nicht durch. Bei einem Abrücken der
Trasse um etwa 200 bis 250 m vom Südrand des Nassanger Weihers
- 25 -
würden die verkehrsbedingten Lärmbelastungen für die Tierwelt
im Gebiet des Nassangers deutlich reduziert; die 49 dB(A)
Isophonen-Linie berührte nur den südlichen Randbereich des
Weihers (vgl. die vom Kläger vorgelegte nach Süden verschobene
Variante der Trasse Süd 4 vom 7. September 2000; zur Abnahme
des "Raumwiderstands" s. auch Planunterlage 13.2, Bl. 2.6).
Dem Beklagten ist zwar einzuräumen, dass es nach § 50 BImSchG
zu den Grundsätzen des Planungsrechts gehört, Flächen für un-
terschiedliche Nutzungen einander so zuzuordnen, dass schädli-
che Umwelteinwirkungen wie Lärmbeeinträchtigungen und Luftver-
unreinigungen soweit wie möglich vermieden werden. Dass für
zusätzliche Lärmschutzmaßnahmen oder sonstige Vorkehrungen zum
Schutz von Natur und Landschaft höhere Kosten entstehen,
rechtfertigt es jedoch nicht, eine in der Gesamtbetrachtung
möglicherweise vorzugswürdige Alternative frühzeitig auszu-
scheiden. Der wirksame Schutz "naturschutzfachlich äußerst
wertvoller" und "außerordentlich stark" betroffener Lebensräu-
me (PFB S. 58, 109) kostet naturgemäß Geld. Das Aufbringen
dieser Kosten kann sich jedoch im Rahmen einer Gesamtabwägung
als verhältnismäßig und "vernünftigerweise" geboten erweisen
(vgl. etwa BVerwG, Urteile vom 27. Oktober 2000, a.a.O.
- Sicherungsmaßnahmen für ein Trinkwasserschutzgebiet, A 71 -
und vom 23. November 2001 - BVerwG 4 A 46.99 – NVwZ 2002,
1125 = UPR 2002, 192 - "Grünbrücken", A 113). Der Beklagte
macht auch nicht geltend, dass Mehrkosten für den Lärmschutz
von Trieb (sowie etwaige Folgekosten für die Verlegung von Be-
triebseinrichtungen eines Kieswerks westlich von Trieb) außer
Verhältnis zu dem mit der Planung verfolgten Zweck stehen.
5.2.4 Der Abwägungsfehler bei der Alternativenprüfung ist er-
heblich und kann in einem ergänzenden Verfahren behoben werden
(§ 17 Abs. 6 c Satz 1 und 2 FStrG). Er ist insbesondere auf
das Abwägungsergebnis von Einfluss gewesen.
- 26 -
Rechtliche oder tatsächliche Hindernisse, die den Ausschluss
weiterer Südvarianten aus einem überwiegenden Grund offen-
sichtlich rechtfertigen oder ihrer Realisierung jede konkrete
Aussicht auf Verwirklichung nehmen könnten, bestehen nicht.
Die Durchschneidung der weiteren Schutzzone III des Trinkwas-
serschutzgebiets westlich von Hochstadt in einem Korridor zwi-
schen den engeren Schutzzonen II bildet entgegen der Ansicht
des Beklagten kein derartiges Hindernis.
Nach § 3 der WasserschutzgebietsVO der Gemeinde Hochstadt vom
19. April 1971 ist in der weiteren Schutzzone der Straßenbau
nicht verboten. In den engeren Schutzzonen, in denen hier je-
weils in 90 m Tiefe ein Brunnen liegt, ist Straßenbau verbo-
ten, sofern ihre Oberflächenwässer nicht schadlos aus der en-
geren Schutzzone herausgeleitet werden können (vgl. § 3 Abs. 1
Nr. 4.3 VO). Ein absolutes Straßenbauverbot besteht also
nicht; außerdem enthält § 4 VO Ausnahmetatbestände.
Die planfestgestellte (bahnparallele) Trasse durchschneidet
die weitere Schutzzone bei Hochstadt im nördlichen Randbereich
über eine Länge von 650 m; die vom Kläger aufgezeigten Südva-
rianten würden die weitere Schutzzone (wie die Variante Süd 4,
vgl. Variantenuntersuchung Straßenbauamt Bamberg, April 2000,
Unterlage 2, S. 6) über eine Länge von 700 m durchschneiden.
Der Längenunterschied ist gering. Ferner werden für die plan-
festgestellte Trasse im Bereich des Wasserschutzgebiets
Schutzmaßnahmen nach den "Richtlinien für bautechnische Maß-
nahmen an Straßen in Wassergewinnungsgebieten (RiStWag 1982)"
durchgeführt, die vom Bundesverkehrsminister durch Rundschrei-
ben vom 22. März 1982 für die Bundesfernstraßen eingeführt
worden sind (VkBl 1982, 175). Das in dichten Rohrleitungen ge-
sammelte Straßenoberflächenwasser wird einem außerhalb des
Schutzgebiets gelegenen Regenrückhaltebecken zugeführt und von
dort vorgeklärt und gedrosselt in den Main eingeleitet (Erläu-
- 27 -
terungsbericht S. 69). Der Planfeststellungsbeschluss vom
13. Juli 2000 enthält hierzu zahlreiche Auflagen (S. 19 f.,
23 f.). Die Planungsbehörde schreibt damit für die Plantrasse
den Sicherheitsstandard in e n g e r e n Schutzzonen vor.
Es ist nicht erkennbar, dass diese Vorgaben und etwaige weite-
re Auflagen (z.B. Betonschutzwände an den Fahrbahnseiten zur
Erhöhung der Durchbruchssicherheit) nicht auch geeignet sein
könnten, die Risiken einer Trinkwassergefährdung durch die
Südvarianten in der w e i t e r e n Schutzzone bei Hoch-
stadt auf ein vertretbares Maß zu senken.
6. Bei dieser Sach- und Rechtslage kann dahinstehen, ob die
vom Kläger gegen die Anwendung der naturschutzrechtlichen Ein-
griffsregelung (§ 8 Abs. 1 bis 3 BNatSchG a.F.) im ergänzenden
Planfeststellungsbeschluss vom 16. Mai 2002 erhobenen Einwen-
dungen begründet sind.
7. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Paetow Lemmel Halama
Rojahn Jannasch
B e s c h l u s s
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Klageverfahren
auf 25 000 € festgesetzt.
Paetow Lemmel Halama
Rojahn Jannasch
Sachgebiet:
BVerwGE:
ja
Straßenplanungsrecht
Fachpresse:
ja
Naturschutzrecht
Rechtsquellen:
FStrG § 17 Abs. 1 Satz 2, Abs. 6 c
VRL
Art. 4 Abs. 1 und 4
FFH-RL Art. 6 Abs. 4
Stichworte:
Straßenplanung; Planfeststellung; faktisches Vogelschutzge-
biet; naturschutzfachlicher Beurteilungsspielraum; potentiel-
les FFH-Gebiet; fachplanerische Abwägung; Alternativenprüfung;
Belange des Naturschutzes; Verkehrslärmschutz; Kostengesichts-
punkte.
Leitsätze:
1. Art. 4 Abs. 1 Satz 4 der Vogelschutz-Richtlinie eröffnet
den Bundesländern bei der Identifizierung Europäischer Vogel-
schutzgebiete einen naturschutzfachlichen (ornithologischen)
Beurteilungsspielraum, der nur einer eingeschränkten Überprü-
fung durch die Verwaltungsgerichte unterliegt.
2. Ein Bundesland kann das Bestehen eines "faktischen" Vogel-
schutzgebiets in seinem Bereich nicht dadurch ausschließen,
dass es sein Gebietsauswahlverfahren für das europäische Netz
"Natura 2000" für beendet erklärt.
3. Die Planung eines Straßenbauvorhabens in einem Gebiet, das
maßgeblich aus wirtschafts- und verkehrspolitischen Gründen
nicht in die Landesliste für das Netz "Natura 2000" aufgenom-
men wurde, ist rechtswidrig, wenn nicht auszuschließen ist,
dass das Gebiet aus ornithologischer Sicht zu den geeignetsten
Schutzgebieten in dem Bundesland gehört.
4. Die Planung einer Straße, die einen wertvollen und schutz-
würdigen Naturraum durchschneidet, leidet an einem fachpla-
nungsrechtlichen Abwägungsfehler, wenn Trassenalternativen,
die diesen Raum umfahren, nicht ausreichend untersucht worden
sind. Als Alternative kann auch eine ortsnahe Trassenführung
in Verbindung mit Maßnahmen des aktiven und passiven Lärm-
schutzes in Betracht kommen.
Urteil des 4. Senats vom 14. November 2002 - BVerwG 4 A 15.02