Urteil des BVerwG vom 03.05.2007
Rücknahme der Klage, Klagerücknahme, Obsiegen, Vorschlag
BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 4 A 1070.06
(4 A 1014.04, 4 A 1010.05, 4 A 1023.06)
In der Verwaltungsstreitsache
- 2 -
hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 3. Mai 2007
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Paetow und
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Rojahn und Dr. Jannasch
beschlossen:
Der Beklagte wird verpflichtet, über eine weitergehende
Einschränkung des Nachtflugbetriebes in Teil A II 5.1.1,
über die Anordnung passiver Schallschutzmaßnahmen in
Teil A II 5.1.3 und über die Grenzziehung des Entschädi-
gungsgebietes Außenwohnbereich in Teil A II 5.1.5 Nr. 2
des Planfeststellungsbeschlusses vom 13. August 2004 in
der Fassung vom 21. Februar 2006 unter Beachtung der
Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden.
Soweit der Planfeststellungsbeschluss diesen Verpflich-
tungen entgegensteht, wird er aufgehoben.
Im Übrigen wird das Verfahren eingestellt.
Die Kläger tragen als Gesamtschuldner 3/4 der Gerichts-
kosten und der außergerichtlichen Kosten des Beklagten.
Der Beklagte trägt 1/4 der Gerichtskosten sowie der au-
ßergerichtlichen Kosten der Kläger. Eine weitergehende
Kostenerstattung findet nicht statt.
- 3 -
Der Wert des Streitgegenstandes wird bis zur teilweisen
Rücknahme der Klage auf 15 000 €, danach auf 3 750 €
festgesetzt.
G r ü n d e:
I
Die Kläger wenden sich gegen den Planfeststellungsbeschluss des Beklagten
vom 13. August 2004 zum Ausbau des Verkehrsflughafens Berlin-Schönefeld.
Sie haben mit ihrer am 18. Oktober 2004 erhobenen Klage die Aufhebung die-
ses Planfeststellungsbeschlusses, hilfsweise die Verpflichtung zu verbessertem
Lärmschutz beantragt (BVerwG 4 A 1014.04).
Die Kläger sind zu je 1/2 Miteigentümer der Grundstücke Gemarkung Köpenick,
Blatt …, Flur …, Flurstücke … (…) und … (…), die sie zu Wohn- und Erho-
lungszwecken selbst nutzen.
Gegen den Planfeststellungsbeschluss vom 13. August 2004 haben nahezu
4 000 Personen Klage erhoben, die in rund 60 Verfahren zusammengefasst
waren. Der beschließende Senat hat von der ihm durch § 93a Abs. 1 VwGO
eröffneten Möglichkeit Gebrauch gemacht, vorab Musterverfahren durchzufüh-
ren und die übrigen Verfahren auszusetzen. Die Beteiligten aller Verfahren sind
dazu gemäß § 93a Abs. 1 Satz 1 VwGO angehört worden, die Beteiligten des
vorliegenden Verfahrens mit Schreiben vom 28. April 2005. Mit Beschluss vom
7. Juli 2005 - BVerwG 4 A 1010.05 - hat der Senat das vorliegende Verfahren,
zu dem seinerzeit noch die Klagen weiterer Personen gehörten, gemäß § 93a
Abs. 1 VwGO ausgesetzt.
Über die ausgewählten Musterklagen, die in vier Verfahren zusammengefasst
waren, ist auf die mündliche Verhandlung vom 7. bis 9., 14. bis 16. und 21. bis
23. Februar 2006 durch Urteile vom 16. März 2006 entschieden worden (vgl.
BVerwG 4 A 1001.04, BVerwG 4 A 1073.04, BVerwG 4 A 1078.04 und BVerwG
4 A 1075.04 - letzteres abgedruckt in BVerwGE 125, 116 ff.). Die Anfechtungs-
1
2
3
4
- 4 -
klagen wurden abgewiesen, die hilfsweise erhobenen Anträge auf Planergän-
zung hatten, soweit es um besseren Lärmschutz ging, teilweise Erfolg.
Mit Schreiben vom 29. Juni 2006 hat das Gericht die Kläger darauf hingewie-
sen, dass ihr Verfahren nach dem rechtskräftigen Abschluss der Musterverfah-
ren fortzuführen sei (BVerwG 4 A 1023.06), ggf. auch nach Maßgabe des § 93a
Abs. 2 VwGO.
Die Kläger haben mit Schriftsatz vom 27. November 2006 die Verpflichtung des
Beklagten zu einer Neufestsetzung im Einzelnen benannter Lärmschutzrege-
lungen beantragt und die Klage im Übrigen zurückgenommen.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens
der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, auf die beigezogenen Ver-
waltungsvorgänge sowie auf das Urteil vom 16. März 2006 - BVerwG 4 A
1075.04 (BVerwGE 125, 116 ff.) - und das Protokoll der mündlichen Verhand-
lung in den Musterverfahren verwiesen.
II
1. Der Senat hat über die Klage noch streitig zu entscheiden, soweit die Klage-
anträge nicht zurückgenommen worden sind. Dabei handelt es sich um die aus
der Beschlussformel ersichtlichen - zunächst hilfsweise - gestellten Anträge auf
Planergänzung, die den Klageanträgen entsprechen, die in den Musterurteilen
Erfolg hatten. Insoweit ist das Verfahren nicht erledigt. Ob dies der Fall gewe-
sen wäre, wenn die Kläger dem vom Beklagten im Schreiben vom 31. August
2006 gemachten Vorschlag gefolgt wären, kann offen bleiben.
1.1 Über den verbleibenden Streitgegenstand kann der Senat nach Maßgabe
des § 93a Abs. 2 Satz 1 VwGO ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss
entscheiden. Die Voraussetzungen hierfür sind gegeben:
5
6
7
8
9
- 5 -
Über die Musterklagen ist durch die Urteile vom 16. März 2006 rechtskräftig
entschieden worden. Die Beteiligten sind zu der gewählten Entscheidungsform
angehört worden. Ferner ist nach einstimmiger Auffassung des Senats der
Sachverhalt im vorliegenden Verfahren geklärt. Die Grundstücke der Kläger
liegen innerhalb des in Anlage 2 zum Planfeststellungsbeschluss vom
13. August 2004 festgesetzten Nachtschutzgebietes, jedoch außerhalb des
Tagschutzgebietes und außerhalb der in Anlage 3 festgesetzten Entschädi-
gungsgebiete Außenwohnbereich und Übernahmeanspruch. Sie werden in er-
heblichem Maße von nächtlichem Fluglärm betroffen sein.
Ferner ist der Senat einstimmig der Auffassung, dass die Sache gegenüber den
Musterverfahren keine wesentlichen Besonderheiten tatsächlicher oder
rechtlicher Art aufweist. Von solchen Besonderheiten ist regelmäßig auszuge-
hen, wenn in den ausgesetzten Verfahren neue, in den Musterverfahren noch
nicht angesprochene Rechts- oder Tatsachenfragen aufgeworfen werden, de-
ren Beantwortung das in dem entschiedenen Verfahren gefundene Ergebnis in
Zweifel ziehen oder jedenfalls seine Übertragbarkeit als problematisch erschei-
nen lassen können (vgl. Rudisile, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO,
Kommentar, Stand: April 2006, § 93a VwGO Rn. 20). Die Lärmwirkungen unter
Berücksichtigung der festgesetzten Schutzgebiete sind für die Kläger nicht
anders zu beurteilen als für die Kläger der Musterverfahren. Die Grundstücke
der dortigen Kläger repräsentierten die gesamte Bandbreite der möglichen
Lärmbelastungen, nämlich von Grundstücken, die in keinem der vier Schutzge-
biete (Tagschutzgebiet, Nachtschutzgebiet, Entschädigungsgebiete Außen-
wohnbereich und Übernahmeanspruch) liegen, über Grundstücke, die nur von
einigen dieser Schutzgebiete erfasst sind, bis hin zu Grundstücken, die in allen
Schutzgebieten liegen. Damit ist in den Musterurteilen auch über die Lärmbe-
troffenheiten solcher (Wohn-)Grundstücke entschieden worden, die - wie die
Grundstücke der Kläger - im festgesetzten Nachtschutzgebiet liegen.
1.2 Die Kläger können aus den in den Musterurteilen dargelegten Gründen in
dem selben Maße wie dort Planergänzung beanspruchen. Ihrer Klage war des-
halb in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang stattzugeben.
10
11
12
- 6 -
Es kann offen bleiben, ob - wie die Kläger meinen - der Beklagte aus der Mus-
terverfahrensvereinbarung vom 10. November 2004 verpflichtet war, den nach
der teilweisen Klagerücknahme verbliebenen Anspruch anzuerkennen. Denn
die Kläger obsiegen hinsichtlich des noch anhängigen Streitgegenstandes oh-
nehin in vollem Umfang. Ob die Musterverfahrensvereinbarung Auswirkungen
auf die Erstattungsfähigkeit von außergerichtlichen Kosten nach § 162 Abs. 1
VwGO haben kann, ist im Rahmen des vorliegenden Beschlusses nicht zu prü-
fen.
2. Soweit die Kläger ihre Klage zurückgenommen haben, war das Verfahren
nach § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO einzustellen.
III
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1, § 155 Abs. 2, 159 Satz 1
und 2 VwGO. Den Beigeladenen waren keine Kosten aufzuerlegen, da sie kei-
nen Antrag gestellt haben (§ 154 Abs. 3 VwGO).
Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf § 52 Abs. 1 GKG.
Dr. Paetow
Prof. Dr. Rojahn
Dr. Jannasch
13
14
15
16