Urteil des BVerwG vom 05.04.2005

Öffentliche Bekanntmachung, Gesetzliche Frist, Klagefrist, Sorgfalt

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
BVerwG 4 A 1070.04
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
ohne mündliche Verhandlung am 5. April 2005
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. P a e t o w
sowie die Richter am Bundesverwaltungsgericht H a l a m a ,
Prof. Dr. R o j a h n , G a t z und Dr. J a n n a s c h
für Recht erkannt:
Die Klage wird abgewiesen.
Der Antrag der Kläger auf Wiedereinsetzung in den vorigen
Stand wird zurückgewiesen.
Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens als Gesamt-
schuldner.
G r ü n d e :
I.
Die Kläger sind Eigentümer eines Grundstücks in Diedersdorf. Sie wenden sich ge-
gen den Planfeststellungsbeschluss des Beklagten vom 13. August 2004 zum Aus-
bau des Verkehrsflughafens Berlin-Schönefeld. Sie befürchten, dass das Planvorha-
ben für ihr Anwesen erhebliche Lärm- und Schadstoffbelastungen mit sich bringt. Der
Planfeststellungsbeschluss wurde vom 6. bis zum 20. September 2004 öffentlich
ausgelegt. Zu diesem Zeitpunkt wohnte die Klägerin in Lorsch. Der Kläger hielt sich
beruflich bedingt seit dem 31. Januar 2004 in Budapest auf.
Die Kläger haben am 2. November 2004 Klage erhoben und wegen der Versäumung
der Klagefrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Die Beteiligten ha-
ben auf mündliche Verhandlung verzichtet.
II.
Die Klage ist unzulässig, da die einmonatige Klagefrist des § 74 Abs. 1 Satz 2 VwGO
versäumt ist. Der Wiedereinsetzungsantrag der Kläger hat keinen Erfolg. Hierüber ist
durch Urteil zu entscheiden. Denn nach § 173 VwGO i.V.m. § 238 Abs. 1 Satz 1 ZPO
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ist das Verfahren über den Wiedereinsetzungsantrag mit dem Verfahren über die
nachgeholte Prozesshandlung zu verbinden. Auf die Entscheidung über die Wie-
dereinsetzung sind im Übrigen nach § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO die Vorschriften anzu-
wenden, die in dieser Beziehung für die nachgeholte Prozesshandlung gelten (vgl.
BVerwG, Beschluss vom 26. Juni 1986 - BVerwG 3 C 46.84 - BVerwGE 74, 289 und
Beschluss vom 8. April 1991 - BVerwG 2 C 32.90 - NJW 1991, 2096; OVG Berlin,
Beschluss vom 12. Juli 1989 - OVG 3 L 5/88 - NVwZ-RR 1990, 388). Danach kann
der Senat über die Klage gemäß § 101 Abs. 2 VwGO mit Einverständnis der Beteilig-
ten ohne mündliche Verhandlung entscheiden.
Der Planfeststellungsbeschluss vom 13. August 2004, gegen den sich die Kläger zur
Wehr setzen, wurde nach § 74 Abs. 5 Satz 2 VwVfGBbg mit Rechtsmittelbelehrung
öffentlich bekannt gemacht. Dass dieser Bekanntmachung Mängel anhafteten, ist
weder geltend gemacht worden noch sonst aus den Umständen ersichtlich. Der
Planfeststellungsbeschluss galt im Verhältnis zu den Klägern, die Einwendungen
erhoben hatten, mit dem Ende der Auslegungszeit nach § 74 Abs. 5 Satz 3
VwVfGBbg als zugestellt. Von diesem Zeitpunkt ab lief die Klagefrist. Die Kläger stel-
len nicht in Abrede, diese Frist versäumt zu haben. Die von ihnen beantragte Wie-
dereinsetzung in den vorigen Stand kommt nicht in Betracht. Nach § 60 Abs. 1
VwGO ist Wiedereinsetzung zu gewähren, wenn der Betroffene ohne Verschulden
verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten. Diese Voraussetzung ist hier nicht
erfüllt.
Die Kläger haben zwar glaubhaft gemacht, dass sie von der öffentlichen Bekannt-
machung erst nach Ablauf der Klagefrist Kenntnis erlangt haben. Nicht glaubhaft
gemacht aber ist, dass diese Unkenntnis unverschuldet war. Dem Erfordernis man-
gelnden Verschuldens ist nur dann genügt, wenn der Antragsteller diejenige Sorgfalt
an den Tag gelegt hat, die für einen gewissenhaften und seine Rechte und Pflichten
sachgemäß wahrnehmenden Prozessbeteiligten geboten ist und nach den Umstän-
den des konkreten Falls zuzumuten war (vgl. BVerwG, Urteil vom 27. Februar 1976
- BVerwG 4 C 74.74 - BVerwGE 50, 248; Beschluss vom 12. Juni 1997 - BVerwG
3 C 43.96 - Buchholz 310 § 60 VwGO Nr. 211). An dieser Sorgfalt haben es die Klä-
ger, die beide Mitglied in dem die Planfeststellung für den Flughafen Berlin-
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Schönefeld bekämpfenden Bürgerverein Brandenburg-Berlin e.V. (BVBB) sind, feh-
len lassen.
Die Klägerin zeigt nicht auf, welche konkreten Vorkehrungen sie getroffen hat, um
über die öffentliche Bekanntmachung des Planfeststellungsbeschlusses informiert zu
werden. Nach ihrem eigenen Vorbringen verließ sie sich bei ihrem Wegzug nach
Lorsch schlicht darauf, dass sich der Kläger, mit dem sie in Scheidung lebt, "auch
weiterhin um die Hausangelegenheiten kümmert". Was ohne jede ausdrückliche
Verabredung die Erwartung rechtfertigte, über den Fortgang des Planfeststellungs-
verfahrens unterrichtet zu werden, legt sie nicht dar.
Auch der Kläger macht keine Umstände glaubhaft, die sich als Beleg dafür werten
lassen, dass er alles ihm Zumutbare unternommen hat, um von der Bekanntgabe des
Planfeststellungsbeschlusses Kenntnis zu erhalten. Als er sich im Januar 2004 nicht
bloß vorübergehend in Budapest niederließ, musste er damit rechnen, dass das
Verfahren, an dem er sich aktiv beteiligt hatte, in seiner Abwesenheit abgeschlossen
werden würde. Dieser sich abzeichnenden Entwicklung hatte er vorsorglich
Rechnung zu tragen. Die von ihm ergriffenen Maßnahmen waren indes zur Er-
reichung dieses Zwecks nicht ausreichend. Aus seinen Angaben ist zu ersehen, dass
er es damit bewenden ließ, als Mitglied des BVBB weiterhin auf dem Laufenden
gehalten zu werden. Es lag jedoch auf der Hand, dass Mitteilungen über Vereinsin-
terna nicht schon für sich genommen die Gewähr dafür boten, Informationen über
den Zeitpunkt der Bekanntmachung des Planfeststellungsbeschlusses zu erhalten. In
dieser Richtung gezielt tätig zu werden, erübrigte sich nicht allein dadurch, dass er
die Kontakte zum BVBB nicht abreißen ließ.
Aus dem Urteil vom 7. September 2000 - BVerwG 4 A 22.00 - können die Kläger
nichts für sich herleiten. In dieser Entscheidung hat der Senat unter dem von den
Klägern angesprochenen Blickwinkel der "Ortsansässigkeit" zu den rechtlichen An-
forderungen an die Auslegung der Planunterlagen Stellung genommen. Bei der Be-
kanntmachung des Planfeststellungsbeschlusses unterscheidet der Gesetzgeber in
§ 74 Abs. 5 VwVfGBbg indes, anders als bei den im Rahmen des Anhörungsverfah-
rens anwendbaren § 73 Abs. 5 Satz 3 VwVfGBbg und § 3 Abs. 2 Satz 2 VerkPBG
nicht zwischen "ortsansässigen" und "nicht ortsansässigen" Betroffenen. Die Zustel-
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lungsfiktion wirkt gegenüber allen, die es angeht. Die öffentliche Bekanntmachung
trifft auf ein vorinformiertes Publikum (vgl. BVerwG, Urteil vom 27. Mai 1983
- BVerwG 4 C 40.81 u.a. - BVerwGE 67, 206 <211>). Der Gesetzgeber setzt voraus,
dass auch nicht ortsansässige Betroffene zumutbare Anstrengungen unternehmen,
um sich über diesen für die Wahrung ihrer Rechte wichtigen Verfahrensakt Gewiss-
heit zu verschaffen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 und § 159 Satz 2 VwGO.
Dr. Paetow Halama Prof. Dr. Rojahn
Gatz Dr. Jannasch
B e s c h l u s s
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 15 000 € festgesetzt (§ 52 Abs. 1 GKG).
Dr. Paetow Halama Prof. Dr. Rojahn
Gatz Dr. Jannasch