Urteil des BVerwG vom 28.11.2005

Zusatzprotokoll zur Emrk, Rechtliches Gehör, Menschenrechte, Entschädigung

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 3 PKH 4.05 (3 B 15.05)
VG 3 A 105/03 DE
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 28. November 2005
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht K l e y sowie
die Richter am Bundesverwaltungsgericht L i e b l e r und Prof. Dr. R e n n e r t
beschlossen:
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Der Antrag der Kläger, ihnen für die Beschwerde gegen die
Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungs-
gerichts Dessau vom 2. November 2004 Prozesskostenhilfe
zu gewähren und ihnen Rechtsanwalt …, …, … beizuordnen,
wird abgelehnt.
G r ü n d e :
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und auf Beiordnung eines
Rechtsanwalts für das Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht ist
abzulehnen, da die beabsichtigte Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf
Erfolg bietet (§ 166 VwGO i.V.m §§ 114, 121 ZPO). Die geltend gemachten Revisi-
onszulassungsgründe wurden teilweise nicht in der nach § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO
gebotenen Weise dargelegt und liegen jedenfalls nicht vor.
1. Der Rechtssache kommt nicht die behauptete grundsätzliche Bedeutung zu (§ 132
Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Als grundsätzlich klärungsbedürftig sehen die Kläger sinnge-
mäß die Frage an, ob die Berechnungsvorschriften des Entschädigungsgesetzes
wegen Verstoßes gegen die Eigentumsgarantie nach dem 1. Zusatzprotokoll zur
EMRK i.V.m. Art. 14 und Art. 20 GG sowie dem Rechtsstaatsprinzip insoweit unan-
wendbar seien, als den wegen redlichen Erwerbs eines Dritten (§ 4 Abs. 2 VermG)
Entschädigungsberechtigten nur eine Entschädigung von weniger als einem Viertel
des Verkehrswertes des zu entschädigenden Vermögenswertes zuerkannt werde.
Diese Frage ist in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sowie des
Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte jedoch bereits geklärt. Was die von
den Klägern genannten Gewährleistungen des Grundgesetzes angeht, hat das Bun-
desverfassungsgericht entschieden, dass Art. 14 GG als Prüfungsmaßstab für die
Wiedergutmachung der unter der Verantwortung der Deutschen Demokratischen
Republik begangenen rechtsstaatswidrigen Vermögenseingriffe ausscheidet
(BVerfG, Urteil vom 22. November 2000 - 1 BvR 2307/94 u.a. - BVerfGE 102, 254
<300 f.>). Der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist ebenso zu ent-
nehmen, dass die Regelungen für die Bemessung der Entschädigung in § 1 Abs. 1,
§ 3 und § 7 Abs. 1 EntschG auch mit dem Sozialstaats- und dem Rechtsstaatsprinzip
des Grundgesetzes in Einklang stehen (BVerfGE 102, 254 <301 ff.>). Die Große
Kammer des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte hat mit ihrer Entschei-
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dung vom 2. März 2005 - 71916/01, 71917/01 und 10260/02 - (NJW 2005, 2530)
klargestellt, dass die Hoffnung, im Rahmen der Wiedergutmachungsregelungen für in
der Deutschen Demokratischen Republik vorgenommene rechtsstaatswidrige Ver-
mögenseingriffe eine Entschädigung entsprechend dem tatsächlichen Wert des Ei-
gentums zu bekommen, nicht als von Art. 1 Zusatzprotokoll zur EMRK geschützte
berechtigte Erwartung angesehen werden kann (a.a.O. S. 2534). Ist damit aber auch
nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte Art. 1
Zusatzprotokoll zur EMRK nicht anwendbar, scheidet eine Berücksichtigung im
Rahmen der Auslegung nationalen Rechts (vgl. dazu u.a. BVerfG, Beschluss vom
14. Oktober 2004 - 2 BvR 1481/04 - BVerfGE 111, 307) aus.
2. Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision wegen Divergenz haben die
Kläger nicht in der erforderlichen Weise dargelegt (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 i.V.m. § 133
Abs. 3 Satz 3 VwGO).
Sie sehen eine Abweichung vom Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom
14. Oktober 2004 darin, dass das Verwaltungsgericht entgegen diesem Beschluss
die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte nicht be-
rücksichtigt habe. Abgesehen davon, dass Art. 1 Zusatzprotokoll zur EMRK ohnehin
nicht anwendbar ist, rügen die Kläger damit aber allenfalls eine Nichtbeachtung der
Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Berücksichtigung der Gewähr-
leistungen der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten
und der Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. Dage-
gen arbeiten sie nicht - was nach § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO für die Divergenzrüge
jedoch geboten gewesen wäre - sich widersprechende abstrakte Rechtssätze in Aus-
legung derselben entscheidungserheblichen Rechtsvorschrift heraus, die vom Bun-
desverfassungsgericht einerseits und vom Verwaltungsgericht andererseits aufge-
stellt worden sind.
Auch soweit die Kläger eine Abweichung von dem Kammer-Beschluss des Bundes-
verfassungsgerichts vom 19. Oktober 2004 - 2 BvR 779/04 - (EuGRZ 2004, 656) rü-
gen, genügt die Beschwerdebegründung nicht den Erfordernissen des § 133 Abs. 3
Satz 3 VwGO. Eine Divergenz kann schon deshalb nicht vorliegen, weil sich die in
der Beschwerdebegründung wiedergegebene Passage aus dem genannten Be-
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schluss des Bundesverfassungsgerichts auf § 10 Abs. 1 Sätze 1 und 2 StrRehaG
bezieht, der für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts ohne Bedeutung war. Ab-
gesehen davon machen die Kläger auch insoweit nur geltend, dass das Verwal-
tungsgericht den im Beschluss des Bundesverfassungsgerichts aufgestellten Anfor-
derungen an die Beiziehung von Beweismitteln nicht genügt habe. Dies entspricht
- wie ausgeführt - schon vom Ansatz her nicht den Anforderungen an eine Diver-
genzrüge.
Hilfsweise begehren die Kläger die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher
Bedeutung, "soweit die Kammer (Abhilfeverfahren) bzw. der Senat diese Frage für
das hier einschlägige Wiedergutmachungsgesetz als noch nicht geklärt ansehen
sollte." Welches genau diese klärungsbedürftige Rechtsfrage sein soll, wird damit
nicht in der nach § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO erforderlichen Weise herausgearbeitet,
ebenso wenig, inwieweit einer Klärung über das vorliegende Verfahren hinaus Be-
deutung zukommen soll. Dies wäre aber schon deshalb geboten gewesen, weil die
Kläger gerade darauf abstellen, dass sich im vorliegenden Verfahren die begehrte
Beweisaufnahme aufgedrängt habe.
3. Schließlich ist eine Zulassung der Revision ebenso wenig wegen der von den Klä-
gern geltend gemachten Verfahrensfehler (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) geboten.
Die Kläger halten es für verfahrensfehlerhaft, dass das Verwaltungsgericht ihrem
schriftsätzlich und in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisantrag auf Ein-
holung einer Auskunft bei der Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssi-
cherheitsdienstes der ehemaligen DDR nicht entsprochen hat. Die Beschwerdebe-
gründung enthält jedoch nicht die nach § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO erforderlichen An-
gaben dazu, was die Einholung einer solchen Auskunft voraussichtlich erbracht hät-
te.
Den Darlegungserfordernissen ist ebenfalls nicht genügt, soweit die Kläger eine Ver-
letzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör und ihres Rechts auf effektiven
Rechtsschutz darin sehen, dass das Verwaltungsgericht eine Übersendung der Ge-
richtsakten an ihren Prozessbevollmächtigten zum Zwecke der Akteneinsicht verwei-
gert habe und dieser erst nach der mündlichen Verhandlung in der Geschäftsstelle
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habe Einsicht nehmen können. Offen bleiben kann, ob es im Hinblick auf die Entfer-
nung zwischen der Kanzlei des Prozessbevollmächtigten der Kläger und dem Stand-
ort des Gerichts noch einer ordnungsgemäßen Ermessensausübung entsprach, den
Prozessbevollmächtigten auf eine Einsichtnahme in der Geschäftsstelle zu verwei-
sen. Jedenfalls fehlt es auch nach Kenntnisnahme vom Akteninhalt an jeglichen Dar-
legungen dazu, was die Kläger ergänzend vorgetragen hätten, wenn ihnen in der
gewünschten Weise Einsicht in die Gerichtsakten gewährt worden wäre, und inwie-
weit dieser Vortrag für den Ausgang des Verfahrens von Bedeutung hätte sein kön-
nen.
Kley Liebler Prof. Dr. Rennert