Urteil des BVerwG vom 11.02.2009

Erlass, Bedürftigkeit, Aufwand, Mitwirkungspflicht

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 3 PKH 1.09 (3 VR 1.09)
VG 7 K 18/08
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 11. Februar 2009
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Kley
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Dette und Prof. Dr. Rennert
beschlossen:
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Die Anträge der Kläger, ihnen für die Durchführung des
Beschwerdeverfahrens gegen die Nichtzulassung der Re-
vision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Dresden vom
9. Dezember 2008 sowie für einen Antrag auf Erlass einer
einstweiligen Anordnung Prozesskostenhilfe zu bewilligen
und einen Rechtsanwalt beizuordnen, werden abgelehnt.
Der Antrag der Kläger auf Erlass einer einstweiligen An-
ordnung wird verworfen.
Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens beim Bun-
desverwaltungsgericht. Von der Erhebung von Gerichts-
kosten wird abgesehen.
G r ü n d e :
1. Der Antrag der Kläger, ihnen für die Durchführung des beabsichtigten Be-
schwerdeverfahrens gegen die Nichtzulassung der Revision Prozesskostenhilfe
zu gewähren, ist unbegründet; denn die beabsichtigte weitere Rechtsverfolgung
ist ohne hinreichende Aussicht auf Erfolg (§ 166 VwGO i.V.m. § 114 ZPO).
Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision könnte nur Erfolg ha-
ben, wenn einer der Gründe gegeben wäre, aus denen nach § 132 Abs. 2
VwGO die Revision allein zugelassen werden kann. Die Kläger nehmen für sich
sinngemäß den Zulassungsgrund einer grundsätzlichen Bedeutung der
Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) und den Zulassungsgrund eines Ver-
fahrensfehlers (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) in Anspruch. Aus ihrem Vorbringen
ergibt sich aber nicht, dass einer dieser beiden Zulassungsgründe gegeben
wäre, wobei der Senat in Rechnung stellt, dass die Kläger bislang ohne anwalt-
lichen Beistand sind und an die Schlüssigkeit ihres Vorbringens deshalb nur
entsprechend geringe Anforderungen gestellt werden können.
a) Grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO kommt
einer Rechtssache nur zu, wenn sie eine Rechtsfrage von allgemeiner, das
heißt über den Einzelfall hinausweisender Bedeutung aufwirft, die der Klärung
in dem angestrebten Revisionsverfahren zugänglich und bedürftig ist. Die Klä-
ger halten in diesem Sinne für klärungsbedürftig, ob die zuständige Behörde die
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Gewährung und Auszahlung von Ausgleichsleistungen nach § 8 BerRehaG von
der vorherigen Mitteilung ihrer wirtschaftlichen Verhältnisse abhängig machen
darf. Diese Frage rechtfertigt nicht die Zulassung der Revision; denn sie ist
auch ohne Durchführung eines Revisionsverfahrens zweifellos zu bejahen.
Für das Verfahren der Gewährung von Ausgleichsleistungen nach § 8 Abs. 5
BerRehaG gilt unter anderem das Erste Buch Sozialgesetzbuch (§ 25 Abs. 4
BerRehaG). Mit der Antragstellung muss der Verfolgte alle Tatsachen angeben,
die für die Leistung erheblich sind (§ 60 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 2 SGB I). Hier-
zu gehören auch Angaben zu seiner wirtschaftlichen Lage; denn Ausgleichs-
leistungen nach § 8 BerRehaG werden nur Verfolgten gewährt, die in ihrer wirt-
schaftlichen Lage besonders beeinträchtigt sind (§ 8 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3
und 4 BerRehaG). Die Kläger müssen also mit ihrer Antragstellung vollständig
und wahrheitsgemäß Auskunft über ihre wirtschaftliche Lage erteilen und hier-
bei ggf. die hierfür vorgesehenen Formulare der Beklagten verwenden (§ 60
Abs. 2 SGB I).
Daran ändert auch § 65 Abs. 1 Nr. 3 SGB I nichts. Nach dieser Vorschrift be-
stehen die Mitwirkungspflichten nach § 60 SGB I nicht, soweit die zuständige
Behörde sich durch einen geringeren Aufwand als der Antragsteller die erfor-
derlichen Kenntnisse selbst beschaffen kann. Die Kläger meinen, ihre Bedürf-
tigkeit ergebe sich schon aus dem Umstand, dass sie Arbeitslosengeld II bezö-
gen, worüber sich die Beklagte ohne weiteres selbst vergewissern könne. Das
trifft schon deshalb nicht zu, weil über die Gewährung von Arbeitslosengeld II
nach ihrem eigenen Vortrag regelmäßig erst verspätet - nämlich regelmäßig
erst nach Beginn eines Bewilligungszeitraumes - entschieden wird, so dass ein
Bescheid über Arbeitslosengeld II in dem Zeitpunkt, zu dem die Beklagte über
die Gewährung von Ausgleichsleistungen nach § 8 BerRehaG zu entscheiden
hat, noch gar nicht vorliegt. Im Übrigen lässt § 65 Abs. 1 Nr. 3 SGB I die Mitwir-
kungspflicht des Antragstellers nicht schon immer dann entfallen, wenn die zu-
ständige Behörde sich die erforderlichen Kenntnisse nur überhaupt anderweitig
selbst beschaffen kann, sondern erst dann, wenn die Beschaffung der erforder-
lichen Kenntnisse ihr einen geringeren Aufwand verursacht als dem Antragstel-
ler. Die Vorschrift geht ersichtlich davon aus, dass weder der Antragsteller noch
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die Behörde über die erforderlichen Kenntnisse selbst verfügt. Ob sie auch den
Fall erfasst, dass sowohl der Leistungsträger - wenngleich vielleicht eine andere
Stelle derselben Behörde - als auch der Antragsteller über die erforderlichen
Kenntnisse verfügt, mag dahinstehen (vgl. BSG, Urteil vom 13. März 2001
- B 3 P 20/00 R - SozR 3-3300 § 18 Nr. 2 = NZS 2001, 538). Keinesfalls entfällt
die Pflicht des Antragstellers zur Vorlage von Beweisurkunden, die er im Besitz
hat, wenn die Behörde die erforderlichen Kenntnisse nur durch Nachfrage bei
einer anderen Stelle - und sei es bei einer anderen Stelle desselben Verwal-
tungsträgers - erlangen könnte.
Nur zur Klarstellung weist der Senat ergänzend darauf hin, dass die Beklagte
nicht befugt wäre, die Gewährung von Ausgleichsleistungen nach § 66 SGB I
abzulehnen oder auch nur zu verzögern, nur weil auch die Bewilligungsbe-
scheide über Arbeitslosengeld II für denselben Bewilligungszeitraum verspätet
ergehen. Nach § 8 Abs. 5 BerRehaG werden die Ausgleichsleistungen monat-
lich im Voraus, beginnend mit dem auf die Antragstellung folgenden Monat,
bezahlt. Die Behörde muss also vor Beginn des Auszahlungsmonats - und bei
längeren Bewilligungszeiträumen vor Beginn dieses längeren Zeitraums - über
die Gewährung entscheiden. Sie kann ihrer Entscheidung naturgemäß nur die-
jenigen Erkenntnismittel zugrunde legen, die zu diesem Zeitpunkt verfügbar
sind. Hierzu darf sie den Antragsteller auffordern, sich rechtzeitig zu seinen
wirtschaftlichen Verhältnissen zu äußern (§ 60 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 2 SGB I)
sowie diesbezügliche Beweisurkunden vorzulegen (§ 65 Abs. 1 Nr. 3 SGB I;
vgl. Beschluss vom 21. April 1997 - BVerwG 5 PKH 2.97 - Buchholz 436.0 § 5
BSHG Nr. 15 m.w.N.). Kommt der Antragsteller dem nicht nach, so darf sie die
Gewährung von Ausgleichsleistungen allein deshalb aber nicht ohne weiteres,
sondern nur dann aussetzen oder ablehnen, wenn der Antragsteller damit seine
Mitwirkungspflicht verletzt hat. In der Nichtvorlage einer Beweisurkunde liegt
noch keine Pflichtverletzung, wenn der Antragsteller die Urkunde gar nicht in
Händen hat. Sind Bewilligungsbescheide über andere Sozialleistungen, die als
Beweisurkunden für die wirtschaftliche Lage des Antragstellers in Betracht
kommen, für einen bestimmten Gewährungszeitraum zu dessen Beginn noch
nicht ergangen, so stehen sie als Erkenntnisquelle für die Ermittlung der Be-
dürftigkeit des Antragstellers (noch) nicht zur Verfügung. Die Behörde muss die
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wirtschaftliche Lage des Antragstellers dann auf anderem Wege ermitteln und
sich ggf. mit der eigenen Erklärung des Antragstellers gemäß § 60 Abs. 1
Satz 1 Nr. 1 und 2 SGB I begnügen; bietet ein späterer Bewilligungsbescheid
über Arbeitslosengeld II ein anderes Bild, so muss sie die Gewährung von Aus-
gleichsleistungen ggf. zurücknehmen (Urteil vom 10. September 1992
- BVerwG 5 C 71.88 - BVerwGE 91, 13 = Buchholz 435.12 § 50 SGB X Nr. 7).
Der Anspruch auf Ausgleichsleistungen, die monatlich im Voraus gewährt wer-
den (§ 8 Abs. 5 BerRehaG), besteht eigenständig; er ist zeitlich nicht abhängig
von einer vorherigen Bewilligung anderer Sozialleistungen für denselben Bewil-
ligungszeitraum. Werden andere Sozialleistungen erst verzögert bewilligt, so
rechtfertigt dies nicht, auch die Gewährung von Ausgleichsleistungen nach § 8
BerRehaG zu verzögern.
b) Die Revision könnte auch wegen eines Verfahrensfehlers nicht zugelassen
werden (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO). Die Kläger rügen insofern, das Urteil des
Verwaltungsgerichts habe ein unzuständiger Richter erlassen (§ 138 Nr. 1
VwGO, Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG). Das trifft nicht zu. Die Entscheidung über
die Klage war mit Beschluss vom 15. April 2008 dem Berichterstatter als Einzel-
richter übertragen worden. Auf die Behauptung, dieser Beschluss litte an
Rechtsfehlern, könnte eine Verfahrensrüge nicht gestützt werden (§ 6 Abs. 4
Satz 1 VwGO i.V.m. § 557 Abs. 2 ZPO). Im Übrigen ist ein Rechtsfehler nicht
ersichtlich. Namentlich ist der Beschluss seinerseits von den zuständigen Rich-
tern gefasst und unterschrieben worden. Dass die den Klägern übermittelte
Ausfertigung zunächst andere Richter nannte, ist unschädlich; der Ausferti-
gungsfehler ist denn auch berichtigt worden.
2. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist unzulässig, weil er
nicht durch einen Prozessbevollmächtigten gestellt worden ist (§ 67 Abs. 4
Satz 1 VwGO).
Sollte sich der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe auch hierauf
erstrecken, so wäre er ebenfalls unbegründet, weil auch der Antrag auf Erlass
einer einstweiligen Anordnung ohne Aussicht auf Erfolg wäre (§ 166 VwGO
i.V.m. § 114 ZPO). Dabei mag dahinstehen, ob das Bundesverwaltungsgericht
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zuständig wäre (§ 123 Abs. 2 VwGO). Die Kläger haben jedenfalls nicht glaub-
haft gemacht, dass ihnen ein Anspruch auf die begehrte Ausgleichsleistung für
die zweite Jahreshälfte zusteht (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO).
Sie haben nämlich unverändert den Einwand der beklagten Behörde nicht aus-
geräumt, sie hätten trotz Aufforderung ihre wirtschaftlichen Verhältnisse für die-
sen Zeitraum nicht dargelegt.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Von der Erhebung
von Gerichtskosten wird nach § 21 Abs. 1 Satz 3 GKG abgesehen.
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