Urteil des BVerwG vom 26.06.2014

Verwaltungsverfahren, Vorbehalt des Gesetzes, Bemessung der Beiträge, Erlass

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
BVerwG 3 CN 4.13
OVG 7 KN 106/12
Verkündet
am 26. Juni 2014
Bech
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
In der Normenkontrollsache
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hat der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 26. Juni 2014
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Kley
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Liebler, Dr. Wysk,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Kuhlmann
und den Richter am Bundesverwaltungsgericht Rothfuß
für Recht erkannt:
Das Urteil des Niedersächsischen Oberverwaltungsge-
richts vom 15. November 2012 wird aufgehoben. Die Sa-
che wird zur anderweitigen Verhandlung und Entschei-
dung an das Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen.
Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung
vorbehalten.
G r ü n d e :
I
Die Antragstellerin hält die Niedersächsische Gebührenordnung für Erlaubnisse
und Ausnahmegenehmigungen für übermäßige Straßenbenutzung vom
14. Februar 2012 - im Folgenden: Gebührenordnung - für unwirksam.
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Die Antragstellerin führt Schwerlast- und Großraumtransporte auf öffentlichen
Straßen durch. Dafür benötigt sie die nach § 29 Abs. 3 und § 46 Abs. 1 Satz 1
Nr. 5 der Straßenverkehrs-Ordnung (StVO) für die Benutzung von Straßen mit
besonders großen oder schweren Fahrzeugen erforderlichen Erlaubnisse oder
Genehmigungen, für deren Erteilung in Niedersachsen in der Regel die Stra-
ßenverkehrsämter der kommunalen Gebietskörperschaften zuständig sind. Für
die Bearbeitung solcher Anträge holen diese Behörden, wenn die Transporte
durch Niedersachsen führen, regelmäßig eine Stellungnahme der Niedersäch-
sischen Landesbehörde für Straßenbau und Verkehr (NLStBV) - im Folgenden:
Landesbehörde - ein. Die von der Landesbehörde zu bearbeitenden Anfragen
stammen zu etwa 30 Prozent von niedersächsischen Erlaubnis- und Genehmi-
gungsbehörden und zu rund 70 Prozent aus anderen Bundesländern. Die Lan-
desbehörde, die für die Mitwirkung in einem eigenen Dezernat Personal und
Sachmittel vorhält, prüft, ob der vorgesehene Fahrweg ohne Beeinträchtigung
der Verkehrsbauwerke (Straßen, Brücken, Tunnel u.a.) befahren werden kann;
gegebenenfalls empfiehlt sie eine Alternativroute. Die von den niedersächsi-
schen Erlaubnis- und Genehmigungsbehörden für die Entscheidung über den
Antrag erhobenen Gebühren kamen bis zum Inkrafttreten der im Streit stehen-
den Gebührenordnung in vollem Umfang den Rechtsträgern dieser Behörden
zugute; der Antragsgegner wurde für die Mitwirkung der Landesbehörde nicht
am Gebührenaufkommen beteiligt. Um dies zu ändern, wurde zunächst § 3 des
Niedersächsischen Verwaltungskostengesetzes (NVwKostG) durch Art. 7 des
Haushaltsbegleitgesetzes 2012 um die Befugnis ergänzt, in der Landesgebüh-
renordnung eine vom Bundesrecht abweichende Regelung zu treffen, wenn
eine bundesrechtlich geregelte Gebühr nicht den Aufwand deckt oder für eine
Amtshandlung die Erhebung einer Gebühr bundesrechtlich ausgeschlossen ist.
Anschließend erließ das Niedersächsische Ministerium für Wirtschaft, Arbeit
und Verkehr im Einvernehmen mit dem Niedersächsischen Finanzministerium
die am 1. April 2012 in Kraft getretene Gebührenordnung für Erlaubnisse und
Ausnahmegenehmigungen für übermäßige Straßenbenutzung vom 14. Februar
2012 (Nds. GVBl S. 22).
Sie hat folgenden Wortlaut:
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„Aufgrund des § 3 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 Satz 1 und Abs. 5
Satz 2 des Niedersächsischen Verwaltungskostengeset-
zes (NVwKostG) in der Fassung vom 25. April 2007 (Nds.
GVBl. S. 172), zuletzt geändert durch Artikel 7 des Geset-
zes vom 9. Dezember 2011 (Nds. GVBl. S. 471), im Ein-
vernehmen mit dem Finanzministerium und des § 4 Abs. 2
NVwKostG im Einvernehmen mit dem Ministerium für
Wirtschaft, Arbeit und Verkehr
wird verordnet:
§ 1
(1) Für die Entscheidung über eine Erlaubnis für eine
übermäßige Straßenbenutzung nach § 29 Abs. 3 der
Straßenverkehrsordnung (StVO) und für die Entscheidung
über die Genehmigung einer Ausnahme von den Vor-
schriften über Höhe, Länge oder Breite von Fahrzeug oder
Ladung (§ 46 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 StVO) wird eine Gebühr
erhoben. Für die Höhe der Gebühr ist der erforderliche
Zeitaufwand für die Entscheidung maßgebend; es sind je-
doch mindestens 10 und höchstens 850 Euro zu erheben.
§ 1 Abs. 4 Sätze 3 bis 5 der Allgemeinen Gebührenord-
nung gilt entsprechend. Eine Mitwirkung der Landesbe-
hörde für Straßenbau und Verkehr bei der Vorbereitung
der Entscheidung wird nicht nach den Sätzen 2 und 3 be-
rücksichtigt; bei Mitwirkung der Landesbehörde für Stra-
ßenbau und Verkehr erhöht sich die Gebühr nach den
Sätzen 2 und 3 um 30 Euro.
(2) Ist eine Gebühr nach Absatz 1 zu erheben, so finden
die Gebühren-Nummern 263 und 264 der Anlage der Ge-
bührenordnung für Maßnahmen im Straßenverkehr vom
25. Januar 2011 (BGBI. I S. 98) keine Anwendung.
(3) Für die Erhebung einer Gebühr nach Absatz 1 ist das
Verwaltungskostenrecht des Bundes anzuwenden.
§ 2
Hat die Landesbehörde für Straßenbau und Verkehr bei
der Vorbereitung der Entscheidung nach § 1 Abs. 1 mit-
gewirkt, so ist das Land an der vereinnahmten Gebühr mit
30 Euro zu beteiligen.
§ 3
Diese Verordnung tritt am 1. April 2012 in Kraft.“
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Diese Gebührenordnung hat das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht auf
den Normenkontrollantrag der Antragstellerin mit Urteil vom 15. November 2012
für unwirksam erklärt. Sie verstoße gegen Bundesrecht, namentlich die einen
anderen Gebührenrahmen regelnden Nummern 263 und 264 der Anlage zur
Gebührenordnung für Maßnahmen im Straßenverkehr vom 25. Januar 2011
- GebOSt - (BGBl I S. 98) - im Folgenden: (Bundes-)Gebührenordnung - und sei
daher gemäß Art. 31 GG und Art. 70 GG nichtig. Entgegen der Auffassung des
Antragsgegners verliehen Art. 84 Abs. 1 GG und Art. 125b Abs. 2 GG den Län-
dern keine Kompetenz zum Erlass einer Gebührenordnung, die es ihnen - wie
in § 1 Abs. 2 der angegriffenen Gebührenordnung vorgesehen - ermögliche, bei
Entscheidungen über eine Erlaubnis für eine übermäßige Straßenbenutzung
nach § 29 StVO und eine Ausnahmegenehmigung nach § 46 Abs. 1 Satz 1
Nr. 5 StVO die Anwendung der Nummern 263 und 264 der Anlage zur (Bun-
des-)Gebührenordnung auszuschließen. Die Voraussetzungen nach Art. 84
Abs. 1 Satz 2 GG für eine Abweichung von Bundesrecht lägen nicht vor. Die
staatliche Befugnis, ein Entgelt für Verwaltungsleistungen zu erheben, sei nicht
dem Verwaltungsverfahren, sondern nach ständiger Rechtsprechung des Bun-
desverfassungsgerichts der jeweiligen Sachgesetzgebungskompetenz, also
insbesondere den Art. 72 bis 74 GG, zuzuordnen. Diese Auffassung werde vom
Bundesverwaltungsgericht und in der Kommentarliteratur geteilt. Für die Zuord-
nung der Gebührenerhebung zur jeweiligen Sachkompetenz sprächen außer-
dem praktische Überlegungen. Denn ansonsten machte jedes Bundesgesetz,
das die Erteilung einer staatlichen Genehmigung vorsehe, eine „Parallelgesetz-
gebung“ auf Landesebene erforderlich, um einen entsprechenden Gebühren-
tatbestand zu schaffen; diese Landesgesetzgebung müsste zudem immer
schon mit dem Inkrafttreten des Bundesgesetzes abgeschlossen sein. Ohne
bundeseinheitliche Gebührenregelung bestehe zudem die Gefahr eines „Wett-
streits“ der Länder untereinander um - je nach Zielrichtung - die niedrigste oder
die höchste Gebühr. Hier sei die Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes sei-
ner Sachkompetenz aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 22 GG für den „Straßenverkehr“ zu
entnehmen und nicht der Zuständigkeit für die „Erhebung … von Gebühren …
für die Benutzung öffentlicher Straßen mit Fahrzeugen“, die sich nur auf die
Straßenbenutzung als solche erstrecke. Die Auffassung des Antragsgegners,
Art. 84 Abs. 1 GG sei „lex posterior“ und modifiziere die bisherigen Regelungen
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der Art. 72 und 74 GG sowie den Grundsatz des Art. 31 GG, treffe in dieser
Form nicht zu. Auch die Art. 72 und 74 GG seien im Zuge der Föderalismusre-
form I geändert worden. Deshalb könne Art. 84 Abs. 1 GG schon nicht als das
spätere Gesetz angesehen werden. Außerdem sei nicht zu erkennen, dass mit
der Neufassung von Art. 84 Abs. 1 GG bis dahin der Sachgesetzgebungskom-
petenz zugeordnete Materien nunmehr unter die Gesetzgebungszuständigkeit
für das Verwaltungsverfahren fallen sollten. Zu unterscheiden sei zwischen der
Kompetenz, die Erhebung von Gebühren als Gegenleistung für die Inanspruch-
nahme einer staatlichen Leistung zu regeln, und dem Verwaltungskostenrecht
als Teil des Verwaltungsverfahrensrechts, der allgemeine Grundsätze für die
Gebührenerhebung enthalte. In diesem Sinne verstehe der Senat auch die äl-
tere Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, das die Gesetzgebungs-
kompetenz für die (Bundes-)Gebührenordnung sowohl in Art. 74 Abs. 1 Nr. 22
GG als auch in Art. 84 Abs. 1 GG a.F. zu verorten scheine. Am Ergebnis ände-
re auch nichts, wenn man die Festlegung von Gebührentarifen nicht allein der
Sachkompetenz nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 22 GG zuordnete, sondern von einer
Art doppelter Kompetenzbegründung sowohl aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 22 GG als
auch aus Art. 84 Abs. 1 GG a.F. ausginge. Eine Abweichungsmöglichkeit für die
Länder bestehe nur im Rahmen von Art. 84 Abs. 1 GG, also für das Verwal-
tungsverfahren und die Behördenorganisation, nicht aber hinsichtlich der Sach-
kompetenzen der Art. 72 ff. GG, die der Bundesgesetzgeber jedenfalls auch für
den Gebührentarif in Anspruch genommen habe. Die Frage der Gesetzge-
bungskompetenz für die Gebührenerhebung dürfe nicht mit der weiteren Frage
verwechselt werden, ob der Bund hiervon abschließend Gebrauch gemacht
oder Raum für ergänzende landesrechtliche Regelungen gelassen habe. Bei
der vom Land für die Genehmigungserteilung erhobenen Gebühr handele es
sich auch weder um eine Sondernutzungsgebühr noch um eine Auslage, deren
Erhebung neben der bundesrechtlich geregelten Gebühr zulässig sein könnte.
Es sei nicht erforderlich, § 3 Abs. 4 NVwKostG gemäß Art. 100 Abs. 1 GG dem
Bundesverfassungsgericht zur Normenkontrolle vorzulegen. Diese Bestimmung
könne einschränkend dahin ausgelegt werden, dass sie den Landesverord-
nungsgeber nur soweit zur Abweichung von Bundesrecht ermächtige, wie es
die vom Bund getroffene Gebührenregelung zulasse.
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Zur Begründung seiner Revision macht der Antragsgegner geltend: Nach
Art. 84 Abs. 1 GG sei, wenn die Länder - wie hier - ein Bundesgesetz als eigene
Angelegenheit ausführten, die Regelung des Verwaltungsverfahrens und damit
auch des Verwaltungsgebührenrechts grundsätzlich Sache der Länder; mit ihrer
Verwaltungszuständigkeit gehe ihre Gebührenhoheit einher. Art. 84 Abs. 1
Satz 2 GG in der Fassung des Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes vom
28. August 2006 (BGBl I S. 2034) - im Folgenden: Föderalismusreform - gebe
den Ländern eine uneingeschränkte Abweichungsbefugnis bei der Regelung
von Verwaltungsgebühren; zugelassen sei auch ein Nebeneinander von Bun-
des- und Landesrecht. Selbst wenn man mit dem Oberverwaltungsgericht von
einer fehlenden Regelungskompetenz des Landes ausginge, könnte das allen-
falls für § 1 der Gebührenordnung gelten. Dagegen liege für deren § 2, der die
landesinterne Verteilung des Gebührenaufkommens regle, die Rechtsetzungs-
befugnis eindeutig allein beim Land. Das Oberverwaltungsgericht habe gegen
seine verfassungsrechtliche Pflicht verstoßen, dem Willen des Normgebers so
weit wie möglich Geltung zu belassen, denn es hätte zumindest § 2 nicht für
unwirksam erklären dürfen. Da bislang eine Aufteilung der Gebühren zwischen
den an den Genehmigungsverfahren Beteiligten - insbesondere zugunsten der
mitwirkenden Landesbehörde - nicht erfolgt sei, sei diese Teilregelung für den
Verordnungsgeber von besonderer Bedeutung gewesen. Sie sei selbstständig
anwendbar; die in § 2 enthaltene Bezugnahme auf § 1 sei lediglich deklarato-
risch. Da die Beteiligung des Landes am Gebührenaufkommen aus Sicht des
Normgebers das wichtigere Anliegen gewesen sei, wäre § 2 auf jeden Fall er-
lassen worden. Die für die Mitwirkung der Landesbehörde erhobene Pauschale
sei auf der Grundlage der dort im Durchschnitt entstandenen Personal- und
Sachkosten auf 30 € pro Fall festgesetzt worden.
Die Antragstellerin tritt der Revision entgegen und trägt vor: Das Oberverwal-
tungsgericht habe zu Recht angenommen, dass sich der Antragsgegner nicht
auf die Abweichungsbefugnis nach Art. 84 Abs. 1 Satz 2 GG berufen könne;
denn die Sachkompetenz für die Erhebung von Gebühren sei Art. 74 Abs. 1
Nr. 22 GG zuzuordnen. Der Bundesgesetzgeber habe auf dieser Grundlage mit
den Nummern 263 und 264 der Anlage zur Gebührenordnung für Maßnahmen
im Straßenverkehr eine abschließende Regelung hinsichtlich der in Rede ste-
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henden Genehmigungen getroffen. Die „lex-posterior-Regel“ sei schon deshalb
nicht anwendbar, weil sie nur für Normen derselben Normebene gelte, nicht
aber für das Verhältnis von Bundes- und Landesrecht. Eine auf § 1 begrenzte
Teilunwirksamkeit der Gebührenordnung, wie sie der Antragsgegner hilfsweise
geltend mache, scheide wegen der engen Verflechtung von § 1 und § 2 aus.
Die Beteiligung des Landes an einer „vereinnahmten Gebühr“ sei nur möglich,
wenn diese Gebühr wirksam erhoben werden könne. Dass § 2 der Gebühren-
ordnung auch ohne die Erhebung einer Landesgebühr erlassen worden wäre,
könne nicht angenommen werden.
Der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht hält in
Übereinstimmung mit dem Bundesministerium des Innern das Urteil des Ober-
verwaltungsgerichts für unzutreffend. Es erscheine zweifelhaft, ob sich eine
Bundeskompetenz zur Regelung von Verwaltungsgebühren kraft Sachzusam-
menhangs oder als Annex aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 22 GG begründen lasse. Die
Auffassung des Oberverwaltungsgerichts sei auch nicht mit den Zielen verein-
bar, die der Verfassungsgeber mit der Föderalismusreform verfolgt habe. Über
Art. 84 Abs. 1 Satz 2 GG hätten die Länder im Bereich der Landeseigenverwal-
tung eine umfassende Befugnis erhalten sollen, das Verwaltungsverfahren ab-
weichend von Bundesrecht zu regeln. Es sei auch sinnvoller, die Erhebung von
Verwaltungsgebühren der Regelung des Verwaltungsverfahrens zuzuordnen;
sie setze die bei den Ländern als Verwaltungsträgern vorhandene Kenntnis vo-
raus, welche Kosten anfielen. In der Rechtsprechung von Bundesverfassungs-
und Bundesverwaltungsgericht finde die Auffassung des Oberverwaltungsge-
richts keine Stütze. Die Kommentarliteratur sei nicht einheitlich; doch gehöre
auch dort nach einer weit verbreiteten Auffassung die Regelung von Verwal-
tungsgebühren zur Regelung des Verwaltungsverfahrens im Sinne von Art. 84
Abs. 1 GG. Schließlich entspreche diese Zuordnung auch der Staatspraxis. Vor
der Neufassung von Art. 84 Abs. 1 GG hätten Bundesregierung und Bundesrat
bundesgesetzliche Regelungen in Bezug auf die Verwaltungskosten, die den
Landesbehörden bei der Ausführung von Bundesgesetzen als eigene Angele-
genheit entstünden, als zustimmungsbedürftige Regelungen des Verwaltungs-
verfahrens im Sinne von Art. 84 Abs. 1 GG a.F. angesehen. Für die Rechtslage
seit der Föderalismusreform gehe die Staatspraxis davon aus, dass die Länder
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befugt seien, von bundesrechtlichen Regelungen zur Erhebung von Verwal-
tungsgebühren abzuweichen, solange der Bund seine Regelungen nicht aus-
drücklich für abweichungsfest erklärt habe.
II
Die Revision des Antragsgegners ist begründet. Die Annahme des Oberverwal-
tungsgerichts, dem Land habe die Normsetzungskompetenz für die Gebühren-
ordnung für Erlaubnisse und Ausnahmegenehmigungen für übermäßige Stra-
ßenbenutzung vom 14. Februar 2012 gefehlt, verletzt Bundesrecht (§ 137
Abs. 1 VwGO). Entgegen seiner Rechtsauffassung konnte das Land gemäß
Art. 84 Abs. 1 Satz 2 GG von der (Bundes-)Gebührenordnung abweichen (1.).
Doch ist der erkennende Senat an einer abschließenden Entscheidung über
den Normenkontrollantrag gehindert; die Sache muss zur weiteren Aufklärung
des Sachverhalts an das Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen werden. Die
im Streit stehende Gebührenordnung könnte auch deshalb unwirksam sein, weil
die landesrechtlichen Voraussetzungen des § 3 Abs. 4 NVwKostG für die in der
Gebührenordnung vorgesehene Abweichung von Bundesrecht nicht erfüllt sind.
Um das beurteilen zu können, bedarf es - abgesehen davon, dass es sich dabei
um die Auslegung und Anwendung von Landesrecht handelt - noch weiterer
tatsächlicher Feststellungen (2.). Ebenso liegt es hinsichtlich der Frage, ob im
Falle der Unwirksamkeit von § 1 der angegriffenen Gebührenordnung deren § 2
auch für sich genommen Bestand haben könnte, der die Gebührenbeteiligung
des Landes für die Mitwirkung der Landesbehörde an den Genehmigungsver-
fahren vorsieht (3.). Umgekehrt wird die Zurückverweisung der Sache an das
Oberverwaltungsgericht nicht deshalb entbehrlich (§ 144 Abs. 4 VwGO), weil
sich die angegriffene Gebührenordnung aus einem anderen der geltend ge-
machten Verstöße gegen höherrangiges Recht als unwirksam erweist; diese
Rügen sind, soweit sie der revisionsgerichtlichen Überprüfung unterliegen, un-
begründet (4.).
1. Entgegen der Auffassung des Oberverwaltungsgerichts verfügte der An-
tragsgegner über die Kompetenz, um dem Landesverordnungsgeber in § 3
Abs. 4 NVwKostG die Möglichkeit zu eröffnen, hinsichtlich der in Rede stehen-
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den Gebühren von Bundesrecht abzuweichen, und dies durch den Erlass der
angegriffenen Gebührenordnung umzusetzen. Mit diesen landesrechtlichen Be-
stimmungen zu Erhebung und Höhe der Verwaltungsgebühren, die vom Kos-
tenschuldner für die Erlaubnis für eine übermäßige Straßenbenutzung nach
§ 29 Abs. 3 StVO sowie die Genehmigung einer Ausnahme von den Vorschrif-
ten über die Höhe, Länge oder Breite von Fahrzeug und Ladung gemäß § 46
Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 StVO zu entrichten sind, wird im Sinne von Art. 84 Abs. 1
Satz 1 GG das Verwaltungsverfahren geregelt.
a) Gemäß Art. 84 Abs. 1 Satz 1 GG regeln die Länder, wenn sie - wie bei der
Straßenverkehrs-Ordnung - Bundesrecht als eigene Angelegenheit ausführen,
die Einrichtung der Behörden und das Verwaltungsverfahren. Diese Kompe-
als eigene Angelegenheit ausführen, soweit dieses Grundgesetz nichts anderes
bestimmt oder zulässt (sog. Landeseigenverwaltung); konkretisiert wird damit
der Grundsatz des Art. 30 GG, wonach die Ausübung der staatlichen Befugnis-
se und die Erfüllung der staatlichen Aufgaben Sache der Länder ist, soweit die-
ses Grundgesetz keine andere Regelung trifft oder zulässt.
b) Auf die in Art. 84 Abs. 1 Satz 1 GG aufgeführten Regelungsgebiete der Ein-
richtung der Behörden und des Verwaltungsverfahrens hat, wie Art. 84 Abs. 1
Satz 2 und 5 GG zu entnehmen ist, allerdings auch der Bund ein Zugriffsrecht.
Wenn Art. 84 Abs. 1 Satz 2 GG vorsieht, dass die Länder, wenn Bundesgeset-
ze etwas anderes bestimmen, davon abweichende Regelungen treffen können,
setzt das implizit entsprechende bundesrechtliche Regelungen der Behörden-
einrichtung und des Verwaltungsverfahrens und damit eine entsprechende
Bundeskompetenz voraus. Insofern bestehen beim Vollzug von Bundesgeset-
zen durch die Länder als eigene Angelegenheit hinsichtlich der Einrichtung der
Behörden und des Verwaltungsverfahrens parallele Regelungsbefugnisse von
Bund und Ländern (so u.a. Kirchhof, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 84
Rn. 54; Hermes, in: Dreier, Grundgesetz Kommentar, Band 2, 2. Aufl. 2008,
Art. 84 GG Rn. 57; Trute, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Grundgesetz Kommen-
tar, Band 3, 6. Aufl. 2010, Art. 84 Rn. 29). Das wird auch in Art. 84 Abs. 1
Satz 3 GG nochmals deutlich.
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Wegen des in Art. 84 Abs. 1 Satz 2 GG geregelten Abweichungsrechts der
Länder ist unerheblich, ob man die Gesetzgebungskompetenz des Bundes für
die Behördenorganisation und das Verwaltungsverfahren - auch - in den Sach-
gesetzgebungskompetenzen der Art. 70 ff. GG begründet sieht (vgl. Hermes
a.a.O. Rn. 48) oder aber konstitutiv ohnehin erst in Art. 84 Abs. 1 Satz 2 GG (so
Kirchhof a.a.O. Art. 84 Rn. 54; Dittmann a.a.O. Rn. 5). Richtig ist freilich, dass
es für eine Normsetzung durch den Bund in Fragen der Einrichtung der Behör-
den und des Verwaltungsverfahrens der Anknüpfung an eine Sachgesetzge-
bungskompetenz bedarf; die Regelungskompetenz des Bundes nach Art. 84
GG ist in diesem Sinne akzessorisch (diese Begrifflichkeit verwendend
u.a.
Trute a.a.O. Rn. 20 m.w.N.). Der Bund verfügt - mit anderen Worten - bei der
Ausführung von Bundesgesetzen in Landeseigenverwaltung nur dann über eine
Normsetzungsbefugnis im Hinblick auf Behördenorganisation und Verwaltungs-
verfahren, wenn er im jeweiligen Sachbereich auch das materielle Recht regeln
darf. Damit folgt die Regelungskompetenz des Bundes aus Art. 84 Abs. 1
Satz 2 GG einer materiell-rechtlichen Normsetzungskompetenz aus den
Art. 70 ff. GG. In diesem Lichte ist auch das zu den baden-württembergischen
Rückmeldegebühren ergangene Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom
19. März 2003 - 2 BvL 9/98 u.a. - (BVerfGE 108, 1) zu sehen, auf das sich das
Oberverwaltungsgericht und im Anschluss daran die Antragstellerin berufen.
Zwar stellt das Bundesverfassungsgericht in jener Entscheidung fest, dass die
Gesetzgebungskompetenz für nichtsteuerliche Abgaben - also auch für Gebüh-
ren, anders als die für Steuern, für die Art. 105 GG einschlägig ist - aus den
allgemeinen Regeln der Art. 70 ff. GG herzuleiten sei, mithin aus den allgemei-
nen Sachgesetzgebungskompetenzen folge (a.a.O. S. 13). Doch lässt sich dem
wegen des dargestellten Zusammenhangs nicht zugleich die Aussage entneh-
men, dass gebührenrechtliche Regelungen nicht solche des Verwaltungsverfah-
rens im Sinne von Art. 84 Abs. 1 GG sein können.
Diese Verknüpfung von Sachkompetenz nach Art. 70 ff. GG und Verfahrensre-
gelungen nach Art. 84 GG bestand im Übrigen auch schon nach dem alten, vor
der Föderalismusreform geltenden Verfassungsrecht. Allerdings durfte der
Bund gemäß Art. 84 Abs. 1 GG a.F. vor dem 1. September 2006 die Behörden-
organisation und das Verwaltungsverfahren nur mit Zustimmung des Bundesra-
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tes regeln; dem entsprach - worauf der Vertreter des Bundesinteresses zu
Recht hinweist - die gängige Staatspraxis u.a. in den Fällen, in denen der Bund
Regelungen zu Erhebung und Höhe von Verwaltungsgebühren in Bezug auf die
Ausführung von Bundesrecht durch die Länder als eigene Angelegenheit erlas-
sen wollte.
Danach setzt eine Regelung von Verwaltungsgebühren durch den Bund, die die
Ausführung von Straßenverkehrsrecht betrifft, eine Bundeszuständigkeit für das
materielle Straßenverkehrsrecht voraus. Eine solche konkurrierende Gesetzge-
bungskompetenz wird dem Bund durch Art. 74 Abs. 1 Nr. 22 GG eröffnet; die-
ser Kompetenztitel umfasst u.a. den „Straßenverkehr“ sowie die „Erhebung und
Verteilung von Gebühren“ oder - wie später ergänzt wurde - von „Entgelten“ für
die Benutzung öffentlicher Straßen mit Fahrzeugen. Zu Recht geht das Ober-
verwaltungsgericht davon aus, dass für die streitige Gebührenordnung auf die
Zuständigkeit für den „Straßenverkehr“ abzustellen ist. Denn der danach ge-
nannte Sachbereich erfasst nur Gebühren und Entgelte als Gegenleistung für
die Benutzung der öffentlichen Straße als solche. Das stellt - spätestens - die
Begründung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes
vom 7. März 2006 (BTDrucks 16/813 S. 13) klar. Dort heißt es: „Ebenso wie die
öffentlich-rechtliche Gebühr stellt auch das privatrechtliche Entgelt für die Nut-
zung einer öffentlichen Straße eine Geldleistung dar, die als Gegenleistung für
die Inanspruchnahme der öffentlichen Straße erbracht werden kann.“ Gemeint
sind damit also öffentlich-rechtlich oder privatrechtlich ausgestaltete Gegenleis-
tungen für die eigentliche Straßenbenutzung, mithin Benutzungsgebühren oder
-entgelte, nicht aber Verwaltungsgebühren, mit denen der Verwaltungsaufwand
für eine im Vorfeld dieser Straßenbenutzung einzuholende Genehmigung ab-
gegolten werden soll. Gerade darum geht es aber sowohl in den Nummern 263
und 264 der Anlage zur (Bundes-)Gebührenordnung als auch in der angegriffe-
nen Gebührenordnung.
Dementsprechend hat das Bundesverwaltungsgericht in mehreren Urteilen
ausgesprochen, dass die (Bundes-)Gebührenordnung in ihren damals anzu-
wendenden früheren Fassungen auf der Gesetzgebungskompetenz des Bun-
des aus Art. 84 Abs. 1 GG a.F. letzter Halbsatz (… soweit … Bundesgesetze
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mit Zustimmung des Bundesrates etwas anderes bestimmen) und seiner Ge-
setzgebungskompetenz nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 22 GG beruhe (Urteile vom
28. September 1979 - BVerwG 7 C 26.78 - BVerwGE 58, 326 <330> =
Buchholz 442.10 § 6a StVG Nr. 3 S. 9 f. und vom 22. März 1979 - BVerwG 7 C
65.75 - Buchholz 442.10 § 6a StVG Nr. 2 S. 3). Dagegen bieten diese Ent-
scheidungen keinen Anhalt dafür, in Bezug auf solche Verwaltungsgebühren
zwischen der Befugnis zur Setzung der Gebühren einerseits und der Regelung
allgemeiner Grundsätze der Gebührenerhebung andererseits zu unterscheiden,
wie es das Oberverwaltungsgericht annimmt.
c) Der Antragsgegner durfte auf der Grundlage von Art. 84 Abs. 1 Satz 2 GG
von dieser (Bundes-)Gebührenordnung abweichen. Die dem Bund seit dem
1. September 2006 zustimmungsfrei eröffnete Befugnis zur Regelung der Ein-
richtung der Behörden und des Verwaltungsverfahrens im Bereich der Landes-
eigenverwaltung steht nach Art. 84 Abs. 1 Satz 2 GG unter dem Vorbehalt einer
abweichenden landesrechtlichen Regelung. Diese den Ländern im Zuge der
Föderalismusreform neu eingeräumte Abweichungsbefugnis soll den Verlust
des bisherigen Erfordernisses einer Zustimmung durch den Bundesrat ausglei-
chen. Darin liegt - vergleicht man die Abweichungsbefugnis mit dem bisherigen
Mitwirkungserfordernis, dessen Ausübung von der Entscheidung der Landesre-
gierungen abhing - eine Stärkung der Länderparlamente, sei es direkt, wenn die
Abweichung unmittelbar durch ein formelles Landesgesetz erfolgt, oder indirekt,
wenn der Landesgesetzgeber - wie im vorliegenden Fall - die Exekutive zum
Erlass einer abweichenden Rechtsverordnung ermächtigt. Zugleich hat das
Abweichungsrecht der Länder zur Folge, dass die Frage, die in unter der Gel-
tung von Art. 84 GG a.F. ergangenen Gerichtsentscheidungen regelmäßig er-
örtert wurde, ob nämlich der Bund eine abschließende Regelung getroffen oder
den Ländern Raum zu eigenständigen Regelungen belassen habe, ihre Bedeu-
tung weitgehend verloren hat.
Von seiner ihm in Art. 84 Abs. 1 Satz 2 GG eröffneten Abweichungsbefugnis
hat der Antragsgegner hier aus bundesrechtlicher Sicht in zulässiger Weise
Gebrauch gemacht.
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aa) Bei der (Bundes-)Gebührenordnung für Maßnahmen im Straßenverkehr
vom 25. Januar 2011, deren Gebührennummern 263 und 264 nach § 1 Abs. 2
der angegriffenen Gebührenordnung keine Anwendung finden sollen, handelt
es sich nicht um abweichungsfestes Bundesrecht im Sinne von Art. 84 Abs. 1
Satz 5 GG. Nach dieser Bestimmung kann der Bund wegen eines besonderen
Bedürfnisses nach bundeseinheitlicher Regelung das Verwaltungsverfahren
ohne Abweichungsmöglichkeit für die Länder regeln; gemäß Art. 84 Abs. 1
Satz 6 GG bedürfen diese Gesetze der Zustimmung durch den Bundesrat. We-
der aus der (Bundes-)Gebührenordnung selbst noch aus der vorgelagerten
bundesrechtlichen Verordnungsermächtigung ist zu entnehmen, dass der Bund
von seiner Befugnis aus Art. 84 Abs. 1 Satz 5 und 6 GG Gebrauch machen
wollte. Allein der Umstand, dass die Gebührenordnung für Maßnahmen im
Straßenverkehr mit Zustimmung des Bundesrates ergangen ist, genügt hierfür
nicht, zumal sie auf der Annahme einer Zustimmungsbedürftigkeit nach Art. 80
Abs. 2 GG beruht (BRDrucks 723/10, Zuleitungsschreiben). Vielmehr muss
- schon aus Gründen der Rechtsklarheit - der Ausschluss des Abweichungs-
rechts ausdrücklich geregelt werden (vgl. Pieroth, a.a.O. Art. 84 Rn. 11).
bb) Die Inanspruchnahme des Abweichungsrechts aus Art. 84 Abs. 1 Satz 2
GG durch die Länder ist nicht an besondere materielle Voraussetzungen ge-
bunden (so die überwiegenden Auffassungen in der Literatur, vgl. etwa
Kirchhof, a.a.O. Art. 84 Rn. 71; Dittmann, a.a.O. Art. 84 Rn. 15; Broß/Mayer, in:
von Münch/Kunig, Grundgesetz Kommentar Band 2, 6. Aufl. 2010, Art. 84
Rn. 15 jeweils m.w.N.). Weder enthält der Wortlaut der Regelung eine solche
Einschränkung noch ist hierfür ein Bedürfnis zu erkennen. Denn zum einen wird
mit dem Abweichungsrecht der Länder nur der den Art. 83 i.V.m. Art. 84 Abs. 1
Satz 1 GG entsprechende „Grundzustand“ - eine umfassende Organisations-
gewalt der Länder bei der Ausführung von Bundesgesetzen als eigene Angele-
genheit - wiederhergestellt. Zum anderen verfügt der Bund - sind Länder auf der
Grundlage von Art. 84 Abs. 1 Satz 2 GG tätig geworden und sieht er ein Be-
dürfnis für eine bundeseinheitliche Regelung - gemäß Art. 84 Abs. 1 Satz 2 GG
nun seinerseits über eine Korrekturmöglichkeit. Dabei kann der Bund - freilich
nur mit Zustimmung des Bundesrates und gemäß Art. 84 Abs. 1 Satz 5 und 6
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19
- 15 -
GG in Ausnahmefällen und bei Bestehen eines besonderen Bedürfnisses -
auch von vornherein abweichungsfestes Bundesrecht erlassen.
Ob sich - etwa im Hinblick auf den Grundsatz der Bundestreue – möglicherwei-
se dann Einschränkungen für das Abweichungsrecht der Länder ergeben, wenn
der Landesgesetzgeber mit seinen Regelungen von Behördenorganisation und
Verwaltungsverfahren die vom Bund hinsichtlich des materiellen Rechts auf-
grund seiner Sachkompetenz nach den Art. 70 ff. GG getroffenen Regelungen
gleichsam konterkariert (in diesem Sinne etwa Hermes, a.a.O. Art. 84 Rn. 56
m.w.N.), bedarf hier keiner Vertiefung. Dafür ist bei der in Rede stehenden
Abweichung von dem in der (Bundes-)Gebührenordnung vorgesehenen Gebüh-
renrahmen für Ausnahmegenehmigungen nichts zu erkennen. Ebenso wenig
handelt es sich bei der (Bundes-)Gebührenordnung um eine „doppelgesichtige
Norm“, bei der eine Abweichung durch die Länder wegen der engen
Verknüpfung von materiellem Recht und Verfahrensrecht Schranken unterlie-
gen könnte (vgl. dazu Dittmann, a.a.O. Art. 84 Rn. 15 m.w.N.).
Im Hinblick auf den dargestellten Zusammenhang von Sachgesetzgebungs-
kompetenz nach Art. 70 ff. GG und den Gesetzesvollzug betreffenden Rege-
lungskompetenzen aus Art. 84 Abs. 1 GG greift auch die Annahme des Ober-
verwaltungsgerichts zu kurz, eine Zuordnung zu Art. 74 Abs. 1 Nr. 22 GG
schließe ein Abweichungsrecht der Länder aus. Selbst wenn man in Regelun-
gen des Verwaltungsverfahrens mit Teilen der Literatur einen „Annex“ zu den
Sachgesetzgebungskompetenzen nach Art. 70 ff. GG sieht, wird doch in Art. 84
Abs. 1 GG hinsichtlich dieses speziellen Ausschnitts aus der Sachkompetenz
eine ergänzende Regelung dahingehend getroffen, dass hier ein Abwei-
chungsrecht der Länder besteht. Insofern bedarf es auch keines näheren Ein-
gehens auf die in der Literatur geführte Diskussion, ob die Kompetenz zur Re-
gelung des Verwaltungsverfahrens tatsächlich einen solchen Annex zur Sach-
materie darstellt oder ob sie ihre Grundlage allein in Art. 84 Abs. 1 GG findet
(vgl. dazu den Überblick über den Meinungsstand bei Hermes, a.a.O. Art. 83
Rn. 21 f.).
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cc) Entgegen der Annahme des Oberverwaltungsgerichts handelt es sich bei
der Verordnungsermächtigung des § 3 Abs. 4 Satz 1 NVwKostG und der ange-
griffenen Gebührenordnung um Regelungen des Verwaltungsverfahrens im
Sinne von Art. 84 Abs. 1 GG.
(1) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts fallen da-
runter jedenfalls solche gesetzliche Bestimmungen, die die Art und Weise der
Ausführung des Gesetzes, einschließlich der Handlungsformen der Verwaltung,
die Form der behördlichen Willensbildung, die Art der Prüfung und Vorbereitung
der Entscheidung, deren Zustandekommen und Durchsetzung sowie verwal-
tungsinterne Mitwirkungs- und Kontrollvorgänge in ihrem Ablauf regeln (vgl. u.a.
BVerfG, Beschluss vom 8. April 1987 - 2 BvR 909/82 u.a. - BVerfGE 75, 108
<152>; Urteil vom 10. Dezember 1980 - 2 BvF 3/77 - BVerfGE 55, 274 <320 f.>;
Beschluss vom 25. Juni 1974 - 2 BvF 2/73, 3/73 - BVerfGE 37, 363 <385,
390>). Dazu rechnet das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich auch die Be-
fugnis, Regelungen zur Erhebung von Verwaltungsgebühren zu treffen. Nach
seinem Beschluss vom 9. Juli 1969 - 2 BvL 25/64, 26/64 - (BVerfGE 26, 281
<298>) ist es, abgesehen von Ausnahmen wie der des Art. 84 Abs. 1 GG, Sa-
che der Länder, das Verfahren der Landesbehörden zu regeln; hierzu gehöre
die Befugnis, Verwaltungsgebührenrecht zu setzen.
Den vom Oberverwaltungsgericht angeführten Entscheidungen des Bundesver-
fassungsgerichts lässt sich nichts Gegenteiliges entnehmen. Sie hatten ganz
überwiegend nicht die Erhebung von Verwaltungsgebühren, sondern anderer
nichtsteuerlicher Abgaben zum Gegenstand (Urteile vom 20. Juli 1954 - 1 BvR
459/52 u.a. - BVerfGE 4, 7 - Beitrag nach dem Investitionshilfegesetz; vom
10. Dezember 1980 - 2 BvF 3/77 - BVerfGE 55, 274 - Berufsausbildungsabgabe
nach dem Ausbildungsplatzförderungsgesetz; Beschlüsse vom 8. Juni 1988
- 2 BvL 9/85, 3/86 - BVerfGE 78, 249 - Fehlbelegungsabgabe für Inhaber öffent-
lich geförderter Wohnungen; vom 17. Juli 2003 - 2 BvL 1/99 u.a. - BVerfGE 108,
186 - Umlage zur Finanzierung der Ausbildungsvergütungen für Schüler oder
Auszubildende in der Altenpflege; vom 18. Mai 2004 - 2 BvR 2374/99 -
BVerfGE 110, 370 - Erhebung und Bemessung der Beiträge zum Klärschlamm-
Entschädigungsfonds). Auch wenn das Bundesverfassungsgericht in jenen Ent-
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scheidungen auf die Sachkompetenzen nach den Art. 70 ff. GG abgestellt und
auf deren Grundlage die Normsetzungskompetenz für die genannten Abgaben
geprüft hat, trägt das nicht den Schluss, den das Oberverwaltungsgericht da-
raus für das Verhältnis der Sachgesetzgebungskompetenz aus Art. 70 ff. GG
und der aus Art. 84 Abs. 1 GG folgenden Kompetenz, das Verwaltungsverfah-
ren und damit auch die Erhebung von Verwaltungsgebühren zu regeln, ziehen
will. Denn in den aufgeführten Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts
ging es um die völlig anders gelagerte Frage, ob für die Erhebung der dort strei-
tigen - finanzverfassungsrechtlich anders einzuordnenden - Abgaben eine Re-
gelungskompetenz des Bundes - bzw. im Verfahren über die Altenpflegeumlage
eine solche Kompetenz der Länder - vorhanden sei und die getroffenen Rege-
lungen mit den finanzverfassungsrechtlichen Grundsätzen der Art. 105 GG und
deren Schutz- und Begrenzungsfunktion vereinbar seien. Auch der Hinweis des
vom 8. Juni 1960 - 1 BvR 580/53 - trägt nicht. Dort ging es um das gerichtliche
Beurkundungswesen; streitig war, ob die Regelungskompetenz für die Übertra-
gung der Zuständigkeiten für gerichtliche Beurkundungen auf Ortsgerichte und
die Festsetzung von Gebühren für diese Beurkundungen beim Bund oder bei
den Ländern liegt. Hierzu traf das Bundesverfassungsgericht die vom Oberver-
waltungsgericht aufgegriffene Feststellung, dass die Befugnis zur gesetzlichen
Regelung der Gerichtsverfassung und des gerichtlichen Verfahrens nach
Art. 74 Nr. 1 GG a.F. auch die Regelung der Gebühren für die Inanspruchnah-
me von Gerichten einschließt (BVerfGE 11, 192 <198 f.>). Doch kann aus die-
sem Rückgriff auf die Sachkompetenz entgegen dem Oberverwaltungsgericht
nicht der Schluss gezogen werden, dass bei Verwaltungsgebühren Art. 84
Abs. 1 GG nicht anwendbar ist. Denn zweifelsfrei umfasst der Begriff des Ver-
waltungsverfahrens im Sinne von Art. 84 Abs. 1 GG nicht das gerichtliche Ver-
fahren. Deshalb bedurfte und bedarf es, was die Normierung von Gerichtsge-
bühren angeht, schon in Ermangelung einer kompetenzrechtlichen Alternative
einer Verankerung in der Sachgesetzgebungszuständigkeit des Art. 74 (Abs. 1)
Nr. 1 GG.
(2) In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist ebenfalls an-
erkannt, dass die Kompetenz zur Regelung des Verwaltungsverfahrens nach
25
- 18 -
Art. 84 Abs. 1 Satz 1 GG auch den Erlass von verwaltungsgebührenrechtlichen
Regelungen einschließt.
Das hat der 7. Senat gerade in Bezug auf die (Bundes-)Gebührenordnung für
Maßnahmen im Straßenverkehr schon in einer frühen Entscheidung ausge-
sprochen. Führten die Länder Bundesrecht - wie auf dem Gebiet des Straßen-
verkehrs - als eigene Angelegenheit aus, so seien sie gemäß Art. 30, 70, 84
Abs. 1 GG grundsätzlich befugt, das Verfahren ihrer Landesbehörden zu re-
geln; diese Regelungsbefugnis schließe auch die Kompetenz der Länder ein,
Verwaltungsgebührenrecht zu setzen (Urteil vom 22. März 1979 - BVerwG 7 C
65.75 - Buchholz 442.10 § 6a StVG Nr. 2 S. 3).
In gleicher Weise geht der 10. Senat in seinem Urteil vom 12. Juli 2006
- BVerwG 10 C 9.05 - davon aus, dass die Regelung des Gebührenrechts dann,
wenn die Länder ein Bundesgesetz als eigene Angelegenheit ausführen, nach
Art. 84 Abs. 1 GG grundsätzlich Sache der Länder sei; mit der Verwaltungszu-
ständigkeit der Länder gehe auch ihre Gebührenhoheit einher (BVerwGE 126,
222 Rn. 23 m.w.N.; ebenso Urteil vom 19. Januar 2000 - BVerwG 11 C 6.99 -
NVwZ 2000, 673 <674>).
Das deckt sich mit der Rechtsprechung des 8. Senats. In seinem Urteil vom
1. Dezember 1989 - BVerwG 8 C 14.88 - heißt es: Führten die Länder Bundes-
recht als eigene Angelegenheit aus, regelten sie die Einrichtung der Behörden
und das Verwaltungsverfahren (Art. 84 Abs. 1 GG); das schließe die Kompe-
tenz zur Regelung des Verwaltungsgebührenrechts ein (Urteil vom 1. Dezem-
ber 1989 - BVerwG 8 C 14.88 - BVerwGE 84, 178 <180> unter Bezugnahme
auf BVerfG, Beschluss vom 9. Juli 1969 - 2 BvL 25/64, 26/64 - BVerfGE 26, 281
<298> sowie die Urteile vom 22. März 1979 a.a.O. und vom 13. Januar 1959
- BVerwG 1 C 114.57 - BVerwGE 8, 93 <94> = Buchholz 442.10 § 6 StVG
Nr. 1). Zu Unrecht beruft sich das Oberverwaltungsgericht demgegenüber auf
zwei weitere Entscheidungen des 8. Senats. Zwar heißt es in dessen Urteil vom
21. Juni 2006 - BVerwG 8 C 12.05 - (Buchholz 428 § 38 VermG Nr. 6 Rn. 36),
„… die Gesetzgebungsbefugnis zur Schaffung von Kostenregelungen wird al-
lein als Annex zur Sachkompetenz vermittelt“. Doch ist dieser Satz damit noch
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nicht zu Ende, sondern er wird fortgesetzt: „… wobei den Ländern das Kosten-
recht selbst zusteht.“ Zuvor hatte der 8. Senat im selben Absatz eine Bundes-
kompetenz gerade mit dem Argument abgelehnt, dass dem Bund für eine all-
gemeine Regelung der persönlichen oder sachlichen Kostenfreiheit, die übli-
cherweise Teil des materiellen Landeskostenrechts sei, die Sachbefugnis fehle.
Der vom Oberverwaltungsgericht hervorgehobene Verweis auf die Sachkompe-
tenz dient damit nicht dem Ausschluss von Art. 84 Abs. 1 GG, soweit es um die
Regelung von Verwaltungsgebühren geht, sondern findet seine Erklärung darin,
dass auch nach Ansicht des 8. Senats der Bund von seinem Regelungsrecht
aus Art. 84 Abs. 1 GG nicht „im luftleeren Raum“, sondern nur in Verbindung
mit einer Bundesgesetzgebungskompetenz für die entsprechende Sachmaterie
Gebrauch machen darf. Das bestätigt der im Urteil folgende Satz; dort stellt der
8. Senat nämlich darauf ab, dass der Bund keinen materiellen Kompetenztitel
für das Katasterrecht habe. Damit liegt diese Entscheidung des 8. Senats ganz
auf der Linie seines bereits dargestellten Urteils vom 1. Dezember 1989. Nicht
anders verhält es sich mit dem Urteil vom 25. August 1999 - BVerwG 8 C
12.98 - (BVerwGE 109, 272 = Buchholz 401.8 Verwaltungsgebühren Nr. 35),
das die Erhebung einer landesrechtlichen Verwaltungsgebühr für die Ent-
gegennahme und Überprüfung von Emissionserklärungen betraf und das vom
Oberverwaltungsgericht ebenfalls als - vermeintlicher - Beleg für die eigene Auf-
fassung angeführt wird. Dort heißt es - unter Bezugnahme auf den Beschluss
des Bundesverfassungsgerichts vom 9. Juli 1969 (a.a.O. S. 298) - sogar aus-
drücklich, dass bei der Ausführung eines Bundesgesetzes als eigene Angele-
genheit die Regelung des Verwaltungsverfahrens einschließlich der Regelung
des Verwaltungsgebührenrechts grundsätzlich Sache der Länder sei, soweit
nicht ein Bundesgesetz mit Zustimmung des Bundesrates etwas anderes be-
stimme (a.a.O. S. 278; vgl. auch S. 279 2. Absatz). Hinsichtlich dieses letzten
Halbsatzes, der die vorangegangene Aussage zur Landeskompetenz wieder
einschränkt, ist zu beachten, dass mit der Föderalismusreform an die Stelle des
Zustimmungserfordernisses seit dem 1. September 2006 ein Abweichungsrecht
der Länder getreten ist. Die im Urteil vom 25. August 1999 folgenden Ausfüh-
rungen des 8. Senats zur Frage, ob der Bundesgesetzgeber eine abschließen-
de Regelung getroffen habe, sind daher - wie bereits gezeigt - durch die Auf-
- 20 -
nahme des Abweichungsrechts der Länder in Art. 84 Abs. 1 GG bei Regelun-
gen des Verwaltungsverfahrens überholt.
Ebenso wenig ist etwas aus dem Urteil des 4. Senats vom 3. April 1994
- BVerwG 4 C 1.93 - (BVerwGE 98, 188 = Buchholz 442.40 § 32 LuftVG Nr. 7)
zu gewinnen, um damit die - vermeintliche - Nichtanwendbarkeit von Art. 84
Abs. 1 GG zu begründen. Zwar wird dort ausgeführt, dass der Verfassungsge-
ber das Gebührenrecht nicht als selbstständige Sachmaterie angesehen habe,
sondern als einen Bestandteil jenes Bereichs, in dem Verwaltungsbehörden
öffentliche Aufgaben wahrnehmen, für die eine Kostendeckung durch Gebühren
in Betracht kommt. Doch trägt das schon deshalb keinen negativen Schluss in
Bezug auf Art. 84 Abs. 1 GG, weil es sich in jenem Verfahren nicht um die Aus-
führung von Bundesrecht durch die Länder als eigene Angelegenheiten, son-
dern um die sog. Luftsicherheitsgebühren und damit um Luftverkehrsverwaltung
mit den entsprechenden Bundeskompetenzen u.a. aus Art. 87d GG handelte.
Im Übrigen hat der 4. Senat die Regelungszuständigkeit des Bundes, um die es
an dieser Stelle ging, bezeichnenderweise nicht etwa isoliert aus Art. 73 Abs. 1
Nr. 6 GG, sondern vielmehr aus dieser Sachgesetzgebungskompetenz im Zu-
sammenhang mit Art. 85 Abs. 1 und Art. 87d GG hergeleitet, also zusätzlich
aus Kompetenznormen, die speziell den Gesetzesvollzug betreffen (a.a.O.
S. 192).
(3) Schließlich entspricht es auch der ganz überwiegenden Auffassung in der
Kommentarliteratur, dass die Befugnis zur Regelung des Verwaltungsverfah-
rens aus Art. 84 Abs. 1 GG das Recht einschließt, die Erhebung von Verwal-
a.a.O., Rn. 37; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, Grundgesetz Kommentar, Art. 84
Rn. 5; Broß/Mayer, in: von Münch/Kunig, Grundgesetz Kommentar, Band 2,
6. Aufl. 2012, Art. 84 Rn. 12; zweifelnd dagegen Trute, a.a.O. Rn. 14).
(4) Die vom Oberverwaltungsgericht angestellten „praktischen Überlegungen“,
die gegen eine Zuordnung der Regelung von Verwaltungsgebühren zu Art. 84
Abs. 1 GG sprechen sollen, vermögen nicht zu überzeugen.
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Die Notwendigkeit einer „Parallelgesetzgebung“ der Länder, die nach dem
Oberverwaltungsgericht für die Zuordnung von Regelungen zur Gebührenhöhe
allein zur Sachgesetzgebungskompetenz streiten soll, ergibt sich von vornhe-
rein nur dann, wenn der Bund nicht ohnehin schon eine einheitliche Gebühren-
regelung getroffen hat, wie das im vorliegenden Fall mit der (Bundes-)Gebüh-
renordnung für Maßnahmen im Straßenverkehr der Fall ist. Ansonsten ist die
sich aus Art. 84 Abs. 1 GG ergebende Befugnis der Länder, die Einrichtung der
Behörden und das Verwaltungsverfahren zu regeln, die logische Konsequenz
der Entscheidung des Verfassungsgebers, ihnen gemäß Art. 83 GG den Voll-
zug des überwiegenden Teils der Bundesgesetze als eigene Angelegenheit zu
übertragen. Im Hinblick darauf ist es nur folgerichtig, damit auch die Regelung
des Verwaltungsverfahrens und der Kosten des Gesetzesvollzugs in ihre Hände
zu legen. Darin liegt für die Länder nicht - wie das Oberverwaltungsgericht an-
zunehmen scheint - eine Last, sondern positiv und in ihrem eigenen Interesse
die Möglichkeit, die eigene Verwaltungstätigkeit insoweit umfassend selbststän-
dig zu regeln. Das ist Ausdruck der vom Grundgesetz betonten Eigenstaatlich-
keit der Länder und zugleich ein Beitrag zur vertikalen Gewaltenteilung.
Ebenso wenig schlagend ist der Einwand des Oberverwaltungsgerichts, bei
Fehlen einer einheitlichen Gebührenregelung bestünde die Gefahr eines „Wett-
streits“ der Länder. Der Umstand, dass das Grundgesetz in seinen Art. 83 und
84 Abs. 1 die Regelung der Behördenorganisation und des Verwaltungsverfah-
rens den Ländern zuweist, zeigt, dass von Verfassungs wegen auch voneinan-
der abweichende landesrechtliche Regelungen legitimiert und gebilligt werden.
Seit der Föderalismusreform wird diese Art eines „Wettbewerbsföderalismus“
zusätzlich dadurch gestärkt, dass das Grundgesetz den Ländern nun
- vorbehaltlich Fällen des Art. 84 Abs. 1 Satz 5 GG - eine durch materielle Vor-
gaben nicht weiter eingeschränkte Befugnis zur Abweichung von Bundesrecht
einräumt.
(5) Ein durchgreifender Grund, weshalb - wie das Oberverwaltungsgericht an-
nimmt und im Anschluss daran die Antragstellerin in ihrer Revisionserwiderung
geltend macht - die Regelungskompetenz für die Gebührenerhebung in die
konkrete Setzung von Gebühren einerseits - hier Bundeskompetenz - und das
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Verwaltungskostenrecht mit der Regelung allgemeiner Grundsätze für die Ge-
bührenerhebung andererseits - dort Landeskompetenz - aufzuspalten sein soll,
ist nicht zu erkennen.
Auch dem vom Oberverwaltungsgericht in diesem Zusammenhang angeführten
Urteil des 8. Senats vom 1. Dezember 1989 - BVerwG 8 C 14.88 - (BVerwGE
84, 178 <179> = Buchholz 310 § 73 VwGO Nr. 31) lässt sich nicht entnehmen,
dass eine solche Differenzierung befürwortet wird. Vielmehr heißt es dort, dass
die Regelung des Verwaltungsverfahrens die Kompetenz zur Regelung des
Verwaltungsgebührenrechts einschließe (a.a.O. S. 180). Soweit der 8. Senat
anschließend darauf abstellt, dass der Bund mit der Staatsangehörigkeits-
Gebührenverordnung auf der Grundlage von Art. 84 Abs. 1 GG a.F. mit Zu-
stimmung des Bundesrates eine abschließende Regelung getroffen habe, ist
diese Erwägung, nachdem Art. 84 Abs. 1 GG n.F. den Ländern nun ausdrück-
lich ein Abweichungsrecht einräumt, auf die nun maßgebliche Rechtslage nicht
übertragbar. Entsprechendes gilt in Bezug auf das Urteil des 8. Senats vom
21. Juni 2006 - BVerwG 8 C 12.05 - (Buchholz 428 § 38 VermG Nr. 6), auf das
sich das Oberverwaltungsgericht ebenfalls beruft; auch dort kam noch Art. 84
Abs. 1 GG a.F. zur Anwendung.
Zudem wäre es auch nicht sachgerecht, die Entscheidung, ob für ein bestimm-
tes Verwaltungshandeln als Gegenleistung eine Gebühr erhoben werden soll,
und die Festlegung der Höhe einer solchen Verwaltungsgebühr aus der Rege-
lung des Verwaltungsverfahrens auszuklammern, die den Ländern nach Art. 84
Abs. 1 Satz 1 und 2 GG eröffnet ist. Denn die Länder als Träger der Verwal-
tungsbehörde sind insofern in jeder Hinsicht sachnäher als der Bund. Einerseits
haben sie, wenn ihnen nach Art. 83 GG der Vollzug von Bundesgesetzen als
eigene Angelegenheit übertragen ist, gemäß Art. 104a GG grundsätzlich die
Verwaltungskosten selbst zu tragen. Zum anderen verfügen sie mit der Ausfüh-
rung des Bundesrechts durch landeseigene Stellen auch über die für die Erhe-
bung von Verwaltungsgebühren notwendige Kenntnis, mit welchen Kosten die-
se Verwaltungstätigkeit verbunden ist (in diesem Sinne auch bereits BVerwG,
Urteil vom 25. August 1999 a.a.O. S. 281).
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dd) Der Wirksamkeit der angegriffenen Gebührenordnung steht nicht entgegen,
dass die Abweichung als solche nicht in einem Parlamentsgesetz, sondern in
einer Rechtsverordnung des Landes geregelt wird.
Zwar heißt es in der Begründung für die Änderung von Art. 84 Abs. 1 GG zum
Abweichungsrecht der Länder, dass die Länder, da es um eine Abweichung von
gesetzlichen Regelungen des Bundes gehe, auch nur durch Gesetz von ihrer
Abweichungsbefugnis Gebrauch machen könnten (BTDrucks 16/813 S. 15).
Doch besteht schon kein Anhaltspunkt dafür, dass der dort verwendete Begriff
des „Gesetzes“ als Gesetz im formellen Sinne zu verstehen wäre. Insbesondere
ist es zu einer solchen Einengung auch im Wortlaut von Art. 84 Abs. 1 GG nicht
gekommen; dort ist vielmehr nur von „abweichender Regelung“ die Rede. Viel-
mehr sind für die Frage, ob die Länder die von Bundesrecht abweichende Re-
gelung unmittelbar durch formelles Gesetz treffen müssen oder ob dafür auch
eine untergesetzliche Regelung ausreicht, die Vorgaben des jeweiligen Lan-
desverfassungsrechts maßgeblich (in diesem Sinne etwa Hermes, a.a.O.
Rn. 47; Dittmann, a.a.O. Rn. 16). Dabei sind freilich ergänzend die in das Lan-
desrecht übergreifenden Anforderungen des bundesverfassungsrechtlichen
Rechtsstaatsprinzips - hier etwa in Gestalt des Gesetzesvorbehalts - zu beach-
ten. Dessen Anforderungen ist hier jedenfalls Genüge getan, weil der Antrags-
gegner die bisherige Verordnungsermächtigung für den Erlass von Gebühren-
ordnungen in § 3 NVwKostG a.F. vor Erlass der streitigen Gebührenordnung
um die Regelung ergänzt hat, dass unter bestimmten dort näher definierten Vo-
raussetzungen in (Landes-)Gebührenordnungen vom Bundesrecht abweichen-
de Regelungen getroffen werden dürfen.
ee) Macht ein Land von seiner Abweichungsbefugnis aus Art. 84 Abs. 1 Satz 2
GG Gebrauch, gehen die abweichenden landesrechtlichen Regelungen, wie
sich aus der Verweisung in Art. 84 Abs. 1 Satz 4 GG auf Art. 72 Abs. 3 Satz 3
GG ergibt, bestehendem Bundesrecht vor. Das Verhältnis von Bundes- und
Landesrecht im Anwendungsbereich von Art. 84 Abs. 1 Satz 2 GG bestimmt
sich - abgesehen von den Ausnahmefällen abweichungsfesten Bundesrechts
(vgl. Art. 84 Abs. 1 Satz 5 GG) - ausschließlich nach der lex-posterior-Regel; es
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besteht ein Anwendungsvorrang des später erlassenen Landesrechts (vgl.
BTDrucks 16/813 S. 15).
2. Durfte der Antragsgegner aufgrund der ihm in Art. 84 Abs. 1 Satz 1 GG zu-
gewiesenen Befugnis zur Regelung des Verwaltungsverfahrens die Erhebung
und Höhe von Verwaltungsgebühren regeln und dabei gemäß Art. 84 Abs. 1
Satz 2 GG auch von Bundesrecht abweichen, kann sich die in § 1 der angegrif-
fenen Gebührenordnung vorgesehene Abweichung gleichwohl deshalb als un-
wirksam erweisen, weil die landesrechtlichen Voraussetzungen, die § 3 Abs. 4
Satz 1 NVwKostG für eine solche Abweichung ergänzend bestimmt, nicht ein-
gehalten wurden. Ob das der Fall ist, kann im Revisionsverfahren nicht ent-
schieden werden; das Oberverwaltungsgericht hat die hierzu notwendigen tat-
sächlichen Feststellungen nicht getroffen.
Die Verordnungsermächtigung in § 3 Abs. 4 Satz 1 NVwKostG, die durch das
Haushaltsbegleitgesetz 2012 in das Niedersächsische Verwaltungskostenge-
setz eingefügt wurde, lässt eine Abweichung von Bundesgebührenrecht nicht
uneingeschränkt, sondern nur bedingt zu. Nur dann, wenn eine bundesrechtlich
geregelte Gebühr nicht den Aufwand deckt oder für eine Amtshandlung die Er-
hebung einer Gebühr bundesrechtlich ausgeschlossen ist, kann in der Gebüh-
renordnung für diese Amtshandlung eine vom Bundesrecht abweichende Rege-
lung getroffen werden. Welcher Aufwand gemeint ist, ergibt sich aus § 3 Abs. 2
Satz 1 NVwKostG, auf den Absatz 4 Satz 1 verweist; danach sollen die Gebüh-
ren den Aufwand der an der Amtshandlung beteiligten Stellen decken, der
durchschnittlich für die Amtshandlung anfällt.
Das Oberverwaltungsgericht hat sich in der Annahme, dass schon nach Art. 84
Abs. 1 Satz 2 GG keine Abweichungsbefugnis des Antragsgegners bestehe, mit
diesen weiteren - nicht mehr bundes-, sondern landesrechtlichen - Anforderun-
gen an die Abweichung von Bundesrecht nicht befasst. Dementsprechend hat
es tatsächliche Feststellungen zum Deckungsgrad der nach den Gebühren-
nummern 263 und 264 der (Bundes-)Gebührenordnung möglichen Verwal-
tungsgebühren nicht getroffen. Dass der für die Erteilung von Erlaubnissen für
eine übermäßige Straßenbenutzung nach § 29 Abs. 3 StVO und für die Ent-
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scheidung über die Genehmigung einer Ausnahme nach § 46 Abs. 1 Satz 1
Nr. 5 StVO bei den an der Amtshandlung beteiligten Stellen durchschnittlich
anfallende Aufwand auf der Grundlage des in den Nummern 263 und 264 der
Anlage der (Bundes-)Gebührenordnung vorgegebenen Gebührenrahmens nicht
mehr gedeckt werden kann, haben die Beteiligten in der mündlichen Verhand-
lung vor dem Senat auch nicht unstreitig gestellt. Die somit - nach wie vor -
notwendige Sachaufklärung kann im Revisionsverfahren nicht nachgeholt wer-
den (vgl. zum Kostendeckungsprinzip nach § 3 Abs. 2 NVwKostG: OVG Lüne-
burg, Urteil vom 14. Dezember 2009 - 12 LC 275/07 - juris Rn. 24 f.).
3. Im laufenden Revisionsverfahren ist dem erkennenden Senat auch eine Ent-
scheidung darüber verwehrt, ob - wie der Antragsgegner hilfsweise geltend
macht - nach den Grundsätzen über die Teilnichtigkeit einer Norm jedenfalls § 2
der angegriffenen Gebührenordnung aufrechterhalten bleiben kann. Zwar stellt
sich in Bezug auf diese Vorschrift die im Zusammenhang mit § 1 soeben er-
örterte Frage nach dem Vorliegen der Voraussetzungen von § 3 Abs. 4 Satz 1
NVwKostG nicht in gleicher Weise. Denn § 4 Abs. 2 NVwKostG enthält für die
in § 2 der Gebührenordnung vorgesehene landesinterne Aufteilung des Gebüh-
renaufkommens eine gesonderte Verordnungsermächtigung; hiernach kann das
Finanzministerium im Einvernehmen mit den beteiligten Ministerien, auch in
Bezug auf bundesrechtlich geregelte Kosten, durch Verordnung bestimmen,
dass an den vereinnahmten Kosten diejenigen Körperschaften beteiligt werden,
deren Dienststellen bei der Vorbereitung der Amtshandlung wesentlich mitge-
wirkt haben.
Doch käme - im Falle einer Unwirksamkeit von § 1 der Gebührenordnung - die
Annahme einer bloßen Teilnichtigkeit der Gebührenordnung und damit eine
isolierte Aufrechterhaltung von § 2 nur dann in Betracht, wenn es sich hierbei
um einen abtrennbaren Teil der Gesamtregelung handelte. Die Restregelung
müsste auch ohne den - hier unterstellt - unwirksamen Teil sinnvoll bestehen
bleiben können - Grundsatz der Teilbarkeit - und es müsste aufgrund objektiver
Anhaltspunkte mit Sicherheit anzunehmen sein, dass der Normgeber die Rest-
bestimmung ohne den nichtigen Teil erlassen hätte - Grundsatz des mutmaßli-
chen Willens des Normgebers (Beschluss vom 18. Juli 1989 - BVerwG 4 N
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3.87 - BVerwGE 82, 225 <230>; vgl. zu den Voraussetzungen einer Teilunwirk-
samkeit: Gerhardt/Bier, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, § 47 Rn. 110
m.w.N.). Tatsächliche Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts dazu, ob
Letzteres der Fall war, fehlen. Auch hierzu haben die Beteiligten in der mündli-
chen Verhandlung vor dem Senat unterschiedliche Auffassungen vertreten.
4. Die Zurückverweisung des Rechtsstreits erübrigt sich auch nicht deswegen,
weil die Gebührenordnung wegen eines der übrigen geltend gemachten
Rechtsverstöße nichtig ist und sich das angegriffene Urteil daher aus einem
anderen als dem vom Oberverwaltungsgericht angeführten Grund als richtig
darstellt (§ 144 Abs. 4 VwGO).
a) Der Einwand, dass die Verordnungsermächtigung nicht den Anforderungen
von Art. 80 GG genüge, ist unbegründet. Art. 80 GG ist zwar nicht unmittelbar
anwendbar, da hier die landesgesetzliche Ermächtigung zum Erlass einer
Rechtsverordnung zu beurteilen ist; allerdings bestimmen seine Grundsätze in
revisibler Weise den landesverfassungsrechtlichen Prüfungsmaßstab, der hier
Art. 43 Abs. 1 der Niedersächsischen Verfassung zu entnehmen ist (vgl. Urteil
vom 27. Juni 2013 - BVerwG 3 C 8.12 - juris Rn. 13 m.w.N.). § 3 Abs. 4 Satz 1
NVwKostG legt jedoch - soweit das der revisionsgerichtlichen Überprüfung zu-
gänglich ist - nach Inhalt, Zweck und Ausmaß in ausreichender Weise fest,
wann eine Abweichung von bundesrechtlich geregelten Gebühren durch Lan-
desverordnungsrecht möglich sein soll, indem er diese Abweichung von den in
der Verordnungsermächtigung näher konkretisierten rechtlichen und tatsächli-
chen Voraussetzungen abhängig macht. Weitergehender parlamentsgesetzli-
cher Vorgabe bedarf es hier insoweit nicht. Was die Gebührenbemessung als
solche betrifft, enthält § 3 Abs. 2 NVwKostG die gebotenen Vorgaben.
Auch die angegriffene Gebührenordnung selbst ist hinreichend bestimmt (vgl.
zum Prüfungsmaßstab: Urteil vom 27. Juni 2013 a.a.O. Rn. 15 m.w.N.). Die
Betroffenen können ihr bei Anwendung der maßgeblichen Auslegungsgrund-
sätze in der gebotenen Weise entnehmen, in welchen Fällen die in Rede ste-
hende Verwaltungsgebühr erhoben wird und wie sich deren Höhe bemisst.
Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 der Gebührenordnung fällt die Gebühr für die Entschei-
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dung über eine Erlaubnis nach § 29 Abs. 3 oder eine Genehmigung nach § 46
Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 StVO an. Für ihre Höhe ist gemäß § 1 Abs. 1 Satz 2 der
Gebührenordnung der erforderliche Zeitaufwand für diese Entscheidung maß-
geblich; hinzu kommt gemäß § 1 Abs. 1 Satz 4 der Gebührenordnung bei Mit-
wirkung der Landesbehörde ein als Pauschale ausgestalteter Zuschlag in Höhe
von 30 €. Schließlich kann § 1 Abs. 3 der angegriffenen Gebührenordnung,
i.V.m. § 4 der (Bundes-)Gebührenordnung entnommen werden, dass Kosten-
schuldner derjenige ist, der die Amtshandlung veranlasst hat (allg. zum gebüh-
renrechtlichen Begriff des „Veranlassers“: BVerwG, Urteil vom 25. August 1999
a.a.O. S. 275 f.).
b) Der Einwand, dass der Antragsgegner mit der Gebührenordnung den nach
Art. 20 Abs. 3 GG zu beachtenden Vorbehalt des Gesetzes nicht beachtet ha-
be, trifft ebenfalls nicht zu. Die gesetzliche Ermächtigung zum Erlass der Ge-
bührenordnung in § 3 NVwKostG weist die nach der sog. Wesentlichkeitstheo-
rie erforderlichen Vorgaben auf. Bei der bloßen Festlegung von Gebührentari-
fen, wie sie hier in Rede steht, ist die Abweichung von Bundesrecht nicht dem
parlamentarischen Gesetzgeber selbst vorbehalten. Gebührentarife werden
auch sonst - wie das Beispiel der (Bundes-)Gebührenordnung für Maßnahmen
im Straßenverkehr belegt - regelmäßig nicht in formellen Gesetzen, sondern in
c) Ebenso wenig ist ein Verstoß gegen das Äquivalenzprinzip als Ausprägung
des bundesverfassungsrechtlichen Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit zu
erkennen. Es wäre dann verletzt, wenn die Gebühr in einem groben Missver-
hältnis zu dem Wert der mit ihr abgegoltenen Leistung der öffentlichen Hand
stünde (stRspr; vgl. Urteil vom 30. April 2003 - BVerwG 6 C 5.02 - NVwZ 2003,
1385 <1386> m.w.N.). Diesen Maßstab verfehlt die Antragstellerin, wenn sie
rügt, dass die Gebühr im benachbarten Bremen nicht anfalle. Ihre weitere Be-
hauptung, dass mit der Gebühr für die Erteilung einer Erlaubnis nach § 29
Abs. 3 StVO und einer Ausnahmegenehmigung nach § 46 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5
StVO eine Vorteilsabschöpfung verbunden sei, ist unzutreffend. Es geht nach
der Ausgestaltung dieser Verwaltungsgebühr - Bemessung nach dem Zeitauf-
wand gemäß § 1 Abs. 1 Satz 2 der Gebührenordnung und dem Berechnungs-
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modus für die Pauschale, um die sich die Gebühr gemäß § 1 Abs. 1 Satz 4 der
Gebührenordnung für die Mitwirkung der Landesbehörde erhöht - ausschließ-
lich um die Deckung der Kosten, die bei den beteiligten Verwaltungsbehörden
für die Genehmigungserteilung als solche und die dafür im Vorfeld erforderliche
Prüfung der Unbedenklichkeit des vorgesehenen Fahrtwegs durch die Landes-
behörde entstehen.
d) Worin der geltend gemachte Verstoß gegen das Übermaßverbot liegen soll,
lässt sich dem Vorbringen nicht entnehmen. Ebenso wenig ist zu erkennen,
weshalb die Gebührenordnung gegen das Rückwirkungsverbot verstoßen soll.
e) Unbegründet ist ferner die Rüge eines Verstoßes gegen die Grundsätze der
Finanzverfassung. Soweit unter Bezugnahme auf das Urteil des Bundesverfas-
sungsgerichts vom 19. März 2003 - 2 BvL 9/98 u.a. - (BVerfGE 108, 1) geltend
gemacht wird, für den Gebührenzweck der Vorteilsabschöpfung fehle die ge-
setzliche Ermächtigungsgrundlage, geht das bereits daran vorbei, dass es bei
der hier streitigen Gebührenordnung - wie gezeigt - nicht um die Abschöpfung
eines Vorteils, sondern allein um Kostendeckung geht. Aber auch unabhängig
davon ist ein Verstoß gegen die nach diesem Urteil zu beachtenden finanzver-
fassungsrechtlichen Anforderungen an eine Gebührenerhebung nicht zu erken-
nen. Zwar stellt das Bundesverfassungsgericht in dieser Entscheidung fest,
dass die Erhebung nichtsteuerlicher Abgaben nur unter bestimmten Vorausset-
zungen zulässig sei (a.a.O. S. 15) und sie sowohl dem Grunde als auch der
Höhe nach einer besonderen sachlichen Rechtfertigung bedürfe (a.a.O. S. 16).
Doch ist diesem Urteil ebenso zu entnehmen, dass gegen die Erhebung von
Gebühren, die zu den klassischen Abgabenarten gehörten, keine grundsätzli-
chen Bedenken bestünden, da sie dem Grunde nach durch ihre Ausgleichs-
funktion sachlich besonders gerechtfertigt seien (a.a.O. S. 17). Überdies wird
vom Bundesverfassungsgericht ausdrücklich anerkannt, dass sich die Rechtfer-
tigung der Höhe der Gebühr u.a. aus dem Gebührenzweck der Kostendeckung
ergeben könne (a.a.O. S. 18 und S. 21). Dieser Zweck wird hier - anders als im
Fall der baden-württembergischen Rückmeldegebühren, wo der Gebühr in Hö-
he von 100 DM nur ein durchschnittlicher Arbeitsaufwand von 8,33 DM je
Rückmeldung gegenüberstand (a.a.O. S. 23) - nach der Art und Weise der Kal-
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kulation der Gebühr auch nicht grundsätzlich verfehlt. Schließlich wird auch
dem Erfordernis der Normenklarheit bei der Gebührenerhebung (a.a.O. S. 20)
Genüge getan. Dass die angegriffene Gebührenordnung auf Kostendeckung
abzielt, ist dem Wortlaut der Regelungen und den Materialien zur Änderung von
§ 3 NVwKostG sowie zum Erlass der angegriffenen Gebührenordnung ohne
Weiteres zu entnehmen.
f) Ein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz kann mit
dem Einwand, dass die Verwaltungsgebühr in Bremen nicht oder jedenfalls in
anderer Höhe erhoben werde, nicht erfolgreich begründet werden. Art. 3 Abs. 1
GG könnte nur dann verletzt sein, wenn derselbe Hoheitsträger gleichgelagerte
Sachverhalte ohne hinreichenden Grund unterschiedlich behandelt (stRspr; vgl.
u.a. BVerfG, (Kammer-)Beschluss vom 29. Dezember 2004 - 1 BvR 113/03 -
NVwZ-RR 2005, 297 m.w.N.; BVerwG, Urteil vom 27. September 2012
- BVerwG 3 C 17.12 - NVwZ-RR 2013, 141 = Buchholz 451.02 EichG Nr. 3
Rn. 22 m.w.N.).
g) Schließlich wird die Antragstellerin auch nicht in ihren Rechten aus Art. 12
und Art. 14 GG verletzt. Selbst wenn man durch die angegriffene Gebührenre-
gelung ihr Grundrecht auf Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG berührt sieht,
würde es sich allenfalls um einen Eingriff auf der Stufe der Berufsausübung
handeln. Es liegt jedoch auf der Hand, dass die Auferlegung der in Rede ste-
henden Verwaltungsgebühr, mit der ausschließlich der Aufwand für eine von
der Antragstellerin begehrte Begünstigung - hier die Erteilung einer Sonder-
erlaubnis bzw. Ausnahmegenehmigung - gedeckt werden soll, durch hinrei-
chende Gründe des Allgemeinwohls gerechtfertigt ist. Dass die Erhebung die-
ser Verwaltungsgebühr - wie die Antragstellerin in ihrer Revisionserwiderung
erneut behauptet - eine erdrosselnde Wirkung hat, wird von ihr nicht hinrei-
chend substanziiert und ist auch sonst nicht ersichtlich. Eine Verletzung des
Grundrechts auf Eigentum aus Art. 14 GG wird von der Antragstellerin ebenfalls
nicht konkretisiert. Selbst wenn Art. 14 GG hinsichtlich des Schutzes des einge-
richteten und ausgeübten Gewerbebetriebs berührt wäre, wie die Antragstellerin
sinngemäß geltend macht, kann dieser Schutz nicht so weit gehen, dass ein
Gewerbetreibender von der Erhebung kostendeckender Verwaltungsgebühren
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für ein ihn begünstigendes Verwaltungshandeln verschont bleiben müsste. Da-
mit geht auch die Rüge fehl, die Gebührenordnung sei insofern abwägungsfeh-
lerhaft zustande gekommen.
Kley
Liebler
Dr. Wysk
Dr. Kuhlmann
Rothfuß
Sachgebiet:
BVerwGE:
nein
Straßenverkehrsrecht
Fachpresse: nein
Rechtsquellen:
GG
Art. 31, Art. 74 Abs. 1 Nr. 22, Art. 84 Abs. 1
StVO
§ 29 Abs. 3, § 46 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5
GebOSt
Anlage Nummern 263 und 264
NVwKostG
§ 3 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 Satz 1
Nds. StrGebO
§§ 1 und 2
Stichworte:
Abweichungsbefugnis der Länder; Abweichungsrecht der Länder; übermäßige
Straßenbenutzung; Schwertransport; Großraumtransport; Sondertransport;
Ausnahmegenehmigung; Ausnahmeerlaubnis; Verwaltungsgebühr; Verwal-
tungskosten; Kostendeckung; Gebührenordnung; Gebührenerhebung; Gebüh-
renbeteiligung; Bestimmtheitsgrundsatz; Äquivalenzprinzip; Landesgesetzge-
ber; Verordnungsermächtigung; Regelung des Verwaltungsverfahrens; Rege-
lung der Behördenorganisation; konkurrierende Gesetzgebung; Gesetzge-
bungskompetenz; Bundesgesetzgeber; Landesgesetzgeber; Ausführung von
Bundesgesetzen als eigene Angelegenheit; Landeseigenverwaltung; Sachkom-
petenz; Annexkompetenz; lex-posterior-Regel; lex posterior; abschließende
Regelung; Anwendungsvorrang; Landesbehörde für Straßenbau und Verkehr;
Mitwirkung anderer Stellen an einer Amtshandlung; Teilnichtigkeit; Teilbarkeit
einer Regelung; Berufsfreiheit; Eigentum; erdrosselnde Wirkung.
Leitsatz:
Die Regelung von Verwaltungsgebühren zur Deckung der Kosten, die den be-
teiligten Landesbehörden bei der Ausführung von Bundesgesetzen als eigene
Angelegenheit des Landes entstehen, ist eine Regelung des Verwaltungsver-
fahrens im Sinne von Art. 84 Abs. 1 Satz 1 und 2 GG. Daher war das Land Nie-
dersachsen gemäß Art. 84 Abs. 1 Satz 2 GG berechtigt, in der Gebührenord-
nung für Erlaubnisse und Ausnahmegenehmigungen für übermäßige Straßen-
benutzung vom 14. Februar 2012 (Nds. GVBl S. 22) von der Gebührenordnung
für Maßnahmen im Straßenverkehr vom 25. Januar 2011 (BGBl I S. 98) abzu-
weichen.
(wie Urteil vom selben Tag im Parallelverfahren BVerwG 3 CN 1.13)
Urteil des 3. Senats vom 26. Juni 2014 - BVerwG 3 CN 4.13
I. OVG Lüneburg vom 15.11.2012 - Az.: OVG 7 KN 106/12 -