Urteil des BVerwG vom 18.03.2009

Unternehmen, Liquidation, Privatisierung, Restitution

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
BVerwG 3 C 9.08
VG 27 A 336.98
Verkündet
am 18. März 2009
Zweigler
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 18. März 2009
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Kley
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Dette, Liebler,
Prof. Dr. Rennert und Buchheister
für Recht erkannt:
Das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 22. Mai
2007 wird geändert.
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich
der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
G r ü n d e :
I
Der Kläger beansprucht den Erlös aus dem Verkauf von Grundstücken durch
die Beigeladene oder die Zahlung des Verkehrswerts.
Die in den Gemarkungen D. und T. belegenen Grundstücke dienten früher dem
Betrieb der staatlichen Kalk- und Hartsteinwerke und gehörten bis zu ihrer
Überführung in Volkseigentum dem klagenden Land. Letzter Rechtsträger war
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die Vereinigung volkseigener Betriebe Steine und Erden, Land Sachsen. Mit
Bescheid vom 21. April 1992 ordnete die Präsidentin der Treuhandanstalt der
L. GmbH, einem Treuhandunternehmen, die Grundstücke zu. Bereits zuvor, mit
Verträgen vom 28. Juni 1991, hatte diese GmbH den Betriebsteil D. einschließ-
lich der betroffenen Grundstücke mit Gebäuden und Zubehör an private Erwer-
ber veräußert. Die GmbH hatte am 20. Juni 1991 ihre Liquidation zum 1. Juli
1991 beschlossen. Die Erwerber der Grundstücke wurden im August und Okto-
ber 1992 im Grundbuch eingetragen.
Unter dem 8. Dezember 1994 beantragte der Kläger die Restitution der Grund-
stücke. Mit Bescheiden vom 10. und 13. August 1998 lehnte der Präsident der
Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben - BvS - die Anträge
ab. Zur Begründung führte er aus, dass die Rückübertragung nach § 11 Abs. 1
Satz 3 Nr. 3 des Vermögenszuordnungsgesetzes - VZOG - ausgeschlossen
sei, weil die Grundstücke für den abgespaltenen und privatisierten Unterneh-
mensteil betriebsnotwendig seien. Die Erwerber des Betriebsteils hätten die
bereits bestehende Betriebsnotwendigkeit mitgenommen, so dass § 11 Abs. 1
Satz 3 Nr. 3 VZOG als zeitlich früher greifender Ausschlussgrund Vorrang vor
der Regelung des § 11 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 VZOG habe. Für einen Geldaus-
gleich gelte somit § 13 Abs. 1 VZOG. Da die Betriebsnotwendigkeit bereits am
29. September 1990 bestanden habe, scheide ein Geldausgleich aus.
Mit seiner dagegen erhobenen Klage hat der Kläger sein Restitutionsbegehren
nicht mehr weiterverfolgt, sondern nur noch die Verpflichtung der Beklagten be-
gehrt, der Beigeladenen die Auskehrung des Erlöses aus dem Verkauf der
Grundstücke oder die Zahlung des Verkehrswerts aufzugeben. Er hat sich dar-
auf berufen, dass es für die Frage der Betriebsnotwendigkeit nicht auf den Er-
werberbetrieb, sondern den umgewandelten Treuhandbetrieb ankomme. Bei
diesem sei die Betriebsnotwendigkeit aber jedenfalls mit dem Liquidationsbe-
schluss erloschen.
Mit Urteil vom 22. Mai 2007 hat das Verwaltungsgericht der Klage stattgegeben
und dazu ausgeführt: Der Kläger habe einen Anspruch auf den begehrten
Geldausgleich nach § 13 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 und Satz 2 VZOG. Er habe nach-
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gewiesen, dass er als früherer Eigentümer die Rückübertragung der Grundstü-
cke hätte beanspruchen können. Diese Rückübertragung sei nicht nach § 11
Abs. 1 Satz 3 Nr. 3 VZOG ausgeschlossen gewesen; denn für das Treuhand-
unternehmen habe die Betriebsnotwendigkeit der Grundstücke im Zeitpunkt der
Veräußerung nicht mehr bestanden, weil zuvor die Auflösung der Gesellschaft
beschlossen worden sei. Jedenfalls sei die Betriebsnotwendigkeit aber mit dem
Abschluss der Kaufverträge entfallen; denn deutlicher habe die Entbehrlichkeit
der veräußerten Grundstücke nicht zum Ausdruck gebracht werden können.
Der Restitutionsausschlussgrund des § 11 Abs. 1 Satz 3 Nr. 3 VZOG komme
nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nur dem durch Um-
wandlung entstandenen Treuhandbetrieb zugute, nicht aber einem Unterneh-
men, das den restitutionsbehafteten Gegenstand von dem Treuhandbetrieb
erwerbe. Hier sei die Rückübertragung demgegenüber nach § 11 Abs. 1 Satz 3
Nr. 5 Alt. 1 VZOG ausgeschlossen gewesen, weil die Erwerber der Grundstü-
cke im Zeitpunkt des Erlasses der angefochtenen Bescheide bereits im Grund-
buch eingetragen gewesen seien. Der daraus folgende Anspruch des Klägers
auf Geldausgleich entfalle nicht wegen des Vorrangs der Unternehmensrestitu-
tion. Dabei könne dahingestellt bleiben, ob der Kläger Alteigentümer des Hart-
steinwerkes gewesen sei; denn selbst wenn er einen Anspruch auf Rücküber-
tragung des Werkes gehabt hätte, sei die Unternehmensrestitution hier jeden-
falls nicht vorrangig, weil der Geschäftsbetrieb des Treuhandunternehmens im
Betriebsteil D. im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungs-
gerichts eingestellt und seine Wiederaufnahme nach vernünftiger kaufmänni-
scher Beurteilung nicht zu erwarten gewesen sei. Insoweit komme es nicht dar-
auf an, ob die erwerbenden Unternehmen dort weiterhin einen Geschäftsbetrieb
unterhielten. Bei der Betriebsstilllegung sei ebenso wie bei der Betriebs-
notwendigkeit auf das Treuhandunternehmen abzustellen, das sich seit dem
1. Juli 1991 in Liquidation befinde. Drittbetriebe seien durch die Vorschrift des
§ 6 Abs. 6a Satz 3 des Vermögensgesetzes - VermG - gegen ein Herausgabe-
verlangen des Alteigentümers hinreichend geschützt. Offenbleiben könne auch,
ob es für den Anspruch auf Geldausgleich auf die Vergleichbarkeit des enteig-
neten Unternehmens mit dem Treuhandbetrieb noch ankomme, nachdem der
Vorrang der Unternehmensrestitution verneint worden sei. Durchgreifende
Zweifel an der Vergleichbarkeit bestünden jedenfalls nicht.
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Mit ihrer Revision, mit der sie die Abweisung der Klage erstrebt, rügt die Beige-
ladene in verschiedener Hinsicht die Verletzung von Bundesrecht. Rechtlich
fehlerhaft sei die Annahme des Verwaltungsgerichts, der relevante Betriebsteil
der L. GmbH sei aufgrund des Liquidationsbeschlusses stillgelegt worden. Die
Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, nach der es bei dem Aus-
schlussgrund der Betriebsnotwendigkeit auf die Verhältnisse der Treuhandkapi-
talgesellschaft ankomme, sei auf die Frage der Stilllegung eines Unternehmens
nicht übertragbar. Insoweit sei das konkrete Unternehmen als Sach- und
Rechtsgesamtheit maßgeblich. Dies habe das Bundesverwaltungsgericht im
Hinblick auf den Restitutionsausschlussgrund des § 5 Abs. 1 Buchst. d VermG
mit Urteil vom 28. Juli 2004 - BVerwG 8 C 16.03 - ausdrücklich bestätigt. Das
Verwaltungsgericht habe darüber hinaus außer Acht gelassen, dass der Kläger
seinen Restitutionsantrag ausweislich der Akten auf die Rückgabe der
Grundstücke beschränkt habe. Indem das Gericht dem Kläger einen Trümmer-
restitutionsanspruch nach § 6 Abs. 6a Satz 1 VermG zuerkannt habe, sei es
unter Verstoß gegen eine ordnungsgemäße Überzeugungsbildung von einem
Antrag auf Unternehmensrestitution ausgegangen. Das verletze zugleich § 6
Abs. 6a Satz 1 VermG; denn zwingende Voraussetzung für die Zuerkennung
eines Trümmerrestitutionsanspruchs sei, dass der Restitutionsantrag die Zu-
ordnung zuzurechnender Verbindlichkeiten einschließe. Ein weiterer Bundes-
rechtsverstoß liege darin, dass das Verwaltungsgericht die Beklagte zur Zuer-
kennung eines Geldausgleichsanspruchs als Surrogat für einen sog. Trümmer-
restitutionsanspruch verpflichtet habe, ohne zugleich über vorrangige Verbind-
lichkeiten nach § 6 Abs. 6a Satz 2 VermG zu entscheiden.
Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen, und verteidigt die Ausfüh-
rungen des angegriffenen Urteils. Zusätzlich weist er darauf hin, dass die Ver-
pflichtung, in dem Bescheid über die Herausgabe des Erlöses zugleich über die
Zuordnung zugehöriger Verbindlichkeiten zu entscheiden, davon abhänge, ob
ein aktives Unternehmen übergeben werde oder lediglich Bruchstücke aus der
Zerschlagungsmasse. Im Rahmen der Liquidation und der Zerschlagung eines
Unternehmens sei es nicht möglich, Verbindlichkeiten den einzelnen Bruchstü-
cken zuzuordnen; vielmehr müsse eine Saldierung von Einnahmen und Ausga-
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ben aus der Liquidation zur Regulierung der Verbindlichkeiten beim liquidierten
Unternehmen führen. Durch das Verlangen eines positiven Kaufpreises habe
der Verkäufer in jedem Fall den Wert der Einzelliegenschaft mit ihren positiven
und negativen Werten saldiert und sei zu einem Überschuss gekommen. Ledig-
lich hinsichtlich des Überschusses, wie er sich auch im Kaufvertrag niederge-
schlagen habe, werde die Erlösauskehr verlangt. Eine gegenüber dem Restitu-
tionsberechtigten neu vorzunehmende Gesamtsaldierung anderer Verbindlich-
keiten erschließe sich ihm nicht. Mit seinem Antrag auf Erlösauskehr habe er
nicht mehr beansprucht, als der Verfügende selbst eingenommen habe.
Die Beklagte unterstützt die Ausführungen der Beigeladenen.
II
Die Revision ist begründet. Das Urteil des Verwaltungsgerichts verletzt Bundes-
recht; denn bei zutreffender Anwendung der maßgeblichen Vorschriften des
Vermögenszuordnungsrechts hat der Kläger keinen Anspruch auf Auskehr des
Erlöses aus dem Verkauf der Grundstücke oder auf Wertersatz. Das angegrif-
fene Urteil muss daher nach § 144 Abs. 3 Nr. 1 VwGO aufgehoben und die
Klage abgewiesen werden.
Der geltend gemachte Anspruch hätte dem Kläger nach § 13 Abs. 2 Satz 1
Alt. 2 und Satz 2 VZOG nur zugestanden, wenn er nach Art. 22 Abs. 1 Satz 7
i.V.m. Art. 21 Abs. 3 des Einigungsvertrages - EV - sowie § 11 Abs. 1 Satz 1
und § 1a Abs. 1 Satz 1 VZOG die Rückübertragung der Grundstücke hätte ver-
langen können und dieser Anspruch nach § 11 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 VZOG auf-
grund ihrer rechtsgeschäftlichen Veräußerung ausgeschlossen gewesen wäre.
Aufgrund der bisher getroffenen Feststellungen ist bereits zweifelhaft, ob der
Kläger hinsichtlich der Grundstücke überhaupt restitutionsberechtigt war (1.). In
jedem Fall ist der - unterstellte - Rückübertragungsanspruch aber nicht infolge
des Veräußerungsgeschäfts untergegangen; vielmehr waren die Grundstücke
bis zur endgültigen Privatisierung des Steinwerks - also des Betriebsteils D. der
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L. GmbH - als betriebsnotwendig nach § 11 Abs. 1 Satz 3 Nr. 3 VZOG von der
Restitution ausgeschlossen (2.).
1. Die Zweifel an der Restitutionsberechtigung des Klägers ergeben sich dar-
aus, dass er nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts nicht nur Eigen-
tümer der betroffenen Grundstücke war, bevor sie in Volkseigentum überführt
wurden, sondern aller Wahrscheinlichkeit nach auch Eigentümer des Stein-
werks, dessen Betrieb die Grundstücke dienten, so dass er vorrangig auf eine
Unternehmensrestitution verwiesen gewesen wäre.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (grundlegend Urteil
vom 6. April 1995 - BVerwG 7 C 11.94 - BVerwGE 98, 154 = Buchholz 111
Art. 22 EV Nr. 10) sind die Vorschriften über die Unternehmensrestitution im
Vermögenszuordnungsrecht entsprechend anzuwenden, soweit Besonderhei-
ten des Vermögenszuordnungsrechts nicht entgegenstehen. Demgemäß gilt
hier der in § 3 Abs. 1 Satz 3 VermG geregelte Vorrang der Unternehmensresti-
tution vor der Singularrestitution entsprechend. Das bedeutet, dass ein Restitu-
tionsberechtigter, der einen Antrag auf Rückgabe eines Unternehmens stellt
oder stellen könnte, seinen Antrag nicht auf die Rückgabe einzelner Vermö-
gensgegenstände des Unternehmens beschränken darf, die sich zum Zeitpunkt
der Schädigung in seinem Eigentum befanden. Ein Anspruch des Klägers auf
Rückgabe der Grundstücke wäre daher von vornherein wegen des Vorrangs
einer Unternehmensrestitution verdrängt worden, wenn er seinerzeit auch Ei-
gentümer des Steinwerks war.
Das Verwaltungsgericht hat die Frage des Unternehmenseigentums des Klä-
gers offengelassen, weil es auf dem Standpunkt steht, eine vorrangige Unter-
nehmensrestitution komme hier deshalb nicht in Betracht, weil das Unterneh-
men stillgelegt gewesen sei und daher die Grundstücke als Unternehmensreste
nach § 6 Abs. 6a Satz 1 VermG hätten zurückverlangt werden können. Dies
hält einer rechtlichen Prüfung nicht stand. Zwar hatte die L. GmbH schon vor
der Veräußerung des Betriebsteils in D. ihre Liquidation zum 1. Juli 1991 be-
schlossen. Die Annahme des Verwaltungsgerichts, aufgrund dessen müsse der
Geschäftsbetrieb an diesem Standort als endgültig eingestellt betrachtet wer-
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den, weil die Gesellschaft mit dem Auflösungsbeschluss und mit dem anschlie-
ßenden Verkauf des Werks deutlich gemacht habe, dieses nicht weiter betrei-
ben zu wollen, ist jedoch verfehlt; denn damit vernachlässigt es den Unter-
schied zwischen Unternehmensträger und Unternehmen. Als zurückzugeben-
des Unternehmen im Sinne des Vermögensrechts und damit auch des Vermö-
genszuordnungsrechts ist nach § 1 Abs. 1 Satz 3 der Unternehmensrückgabe-
verordnung - URüV - jede Vermögensmasse im Sinne des Satzes 2 dieser Vor-
schrift anzusehen, die mit dem entzogenen Unternehmen vergleichbar ist. Ge-
meint ist ausweislich der in Bezug genommenen Bestimmung, in der die Ge-
genstände des Aktiv- und Passivvermögens aufgeführt werden, die Zusammen-
fassung von Sachen und Rechten, die als organisatorische Einheit am Markt
auftritt und von einem einheitlichen wirtschaftlichen Zweck getragen ist (Urteil
vom 25. Oktober 2001 - BVerwG 7 C 10.01 - Buchholz 428 § 5 VermG Nr. 31).
Der Umstand, dass ein Unternehmensträger, also die Rechtsperson, der das
Unternehmen als Eigentum zugeordnet ist, seine Auflösung beschließt, bedeu-
tet daher nicht ohne Weiteres, dass auch das von ihm getragene Unternehmen,
also die Zusammenfassung von Sachen und Rechten im Sinne von § 1 URüV,
seinen Geschäftsbetrieb einstellt. Maßgeblich ist vielmehr der Zweck, der mit
der Liquidation des Unternehmensträgers verfolgt wird (vgl. Urteil vom 28. Juli
2004 - BVerwG 8 C 16.03 - Buchholz 428 § 5 VermG Nr. 42). Ist sie - wie hier -
Mittel zur Verwirklichung des Privatisierungsauftrages der Beigeladenen, wel-
che das von ihr mittelbar gehaltene Unternehmen im Wege des asset deal an
private Erwerber veräußert, um dann den Mantel der funktionslos gewordenen
Treuhandgesellschaft aufzulösen, kann nicht ernstlich von einer Stilllegung des
Unternehmens gesprochen werden. Die in dieser Form vorgenommene Privati-
sierung dient im Gegenteil regelmäßig dazu, die Lebensfähigkeit des Unter-
nehmens unter den Bedingungen der Privatwirtschaft zu erhalten. Die Annah-
me, der veräußerte Betrieb in D. sei ein stillgelegtes oder stillzulegendes Unter-
nehmen gewesen, wird daher von den festgestellten Tatsachen nicht getragen.
Gerechtfertigt wäre diese Annahme nur, wenn die Käufer das Werk zum Zwe-
cke der Ausschlachtung erworben hätten. So liegt es aber nicht. Das ergibt sich
aus der vertraglichen Übernahme sämtlicher Arbeitsverhältnisse und der einge-
gangenen Verpflichtung zur Betriebsfortführung.
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Das Verwaltungsgericht hätte der Klage daher nicht stattgeben dürfen, ohne
zuvor die Eigentumsverhältnisse an dem Unternehmen vor seiner Überführung
in Volkseigentum zu klären. Sollte der Kläger Eigentümer gewesen sein, hätte
er ausschließlich die Rückübertragung des Unternehmens insgesamt bean-
spruchen können und nicht eine isolierte Restitution der Grundstücke.
Daran ändert auch nichts, dass das Unternehmen oder Unternehmensteile ver-
kauft wurden und es nur noch um den Erlös aus dem Verkauf oder um Werter-
satz geht. Der Sekundäranspruch auf Geldausgleich setzt den Primäranspruch
auf Naturalrestitution fort. Er kann deshalb nur dann auf Geldausgleich für ein-
zelne Unternehmensgegenstände gerichtet sein, wenn auch für den Primäran-
spruch die Unternehmensrückgabe ausgeschlossen war. War der Berechtigte
hingegen darauf verwiesen, die Rückgabe des Unternehmens zu verlangen, so
knüpft im Falle des Unternehmensverkaufs auch der Sekundäranspruch auf
Geldausgleich am Unternehmen an, wie § 6 Abs. 6a Satz 3 VermG zeigt. Das
bedeutet zwar nicht, dass es dem Berechtigten versagt wäre, seinen Anspruch
auf einen Teil des Erlöses zu beschränken. Ein derartiges Minus müsste sich
jedoch, um als solches erkennbar zu sein, an dem für das Unternehmen erziel-
ten Erlös ausrichten und nicht auf einzelnen Unternehmensgegenständen zure-
chenbare Anteile des Erlöses. Gerade mit Blick auf die Verbindlichkeiten erfor-
dert dies im Einzelfall schwierige Berechnungen und Bewertungen; dem erziel-
ten Erlös sind die anteiligen Betriebsverbindlichkeiten gegenzurechnen, nicht
nur die einem einzelnen Unternehmensgegenstand zuzuordnenden Verbind-
lichkeiten. All dies gilt nach § 6 Abs. 6a Satz 2 VermG auch, wenn das Unter-
nehmen stillgelegt worden war und die Unternehmensreste verkauft wurden
(vgl. Urteil vom 25. Juli 2007 - BVerwG 3 C 19.06 - Buchholz 428 § 6 VermG
Nr. 70).
2. Die Klage muss allerdings unabhängig von den früheren Eigentumsverhält-
nissen an dem Unternehmen schon deswegen abgewiesen werden, weil die
Rückübertragung der Grundstücke bereits vor der Veräußerung des Unterneh-
mens wegen ihrer Betriebsnotwendigkeit nach § 11 Abs. 1 Satz 3 Nr. 3 VZOG
ausgeschlossen war.
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Das Verwaltungsgericht hat die Betriebsnotwendigkeit der Grundstücke im Ein-
klang mit seiner These von der Betriebsstilllegung verneint, weil dieser Aus-
schlussgrund wegen der beschlossenen Liquidation und darüber hinaus wegen
der Veräußerung entfallen sei. Diese Argumentation knüpft an das Urteil des
Senats vom 15. Juni 2000 - BVerwG 3 C 8.99 - (Buchholz 428.2 § 11 VZOG
Nr. 26) an, das wiederum im Anschluss an das Urteil vom 27. August 1998
- BVerwG 3 C 24.97 - (Buchholz a.a.O. Nr. 19) ergangen ist. Der dort aufge-
stellte Rechtssatz, der Restitutionsausschlussgrund der Betriebsnotwendigkeit
nach § 11 Abs. 1 Satz 3 Nr. 3 VZOG komme Unternehmen, die sich in Liquida-
tion befänden, nicht zugute, lässt sich in dieser Allgemeinheit nicht aufrechter-
halten. Auch an dieser Stelle darf - ähnlich wie bei der oben behandelten Frage
der Stilllegung eines Unternehmens - das Unternehmen nicht mit dem Unter-
nehmensträger gleichgesetzt werden. Die Liquidation des Unternehmensträgers
führt weder ohne Weiteres zur Stilllegung des von ihm gehaltenen Unter-
nehmens noch lässt sie automatisch die Betriebsnotwendigkeit von Unterneh-
mensbestandteilen entfallen (so zu Recht für das Vermögensrecht Urteil vom
28. Juli 2004 a.a.O.). Maßgeblich ist auch insoweit allein, ob die Liquidation auf
die Einstellung des Geschäftsbetriebs der zur Unternehmenseinheit zusam-
mengefassten Sachen und Rechte zielt. Dient sie der Privatisierung der Unter-
nehmenseinheit insgesamt, bezweckt sie gerade das Gegenteil, nämlich den
Erhalt und Fortführung des lebenden Unternehmens unter den Bedingungen
der Privatwirtschaft. Der Zweck des Ausschlusses betriebsnotwendiger Vermö-
gensgegenstände von einer Rückgabe nach § 11 Abs. 1 Satz 3 Nr. 3 VZOG,
bestehende Unternehmenseinheiten vor der Zerschlagung zu bewahren oder
auch nur ihre Beeinträchtigung zu verhindern (vgl. BTDrucks 12/5553 S. 170),
wird trotz der Liquidation des Unternehmensträgers nach wie vor erfüllt. Das gilt
auch in Ansehung des zusätzlichen, in Zusammenhang mit dem Privatisie-
rungsgeschehen verwendeten Arguments, stärker als durch eine Veräußerung
könne die Entbehrlichkeit des restituierenden Vermögensgegenstandes kaum
zum Ausdruck gebracht werden (vgl. Urteil vom 15. Juni 2000 a.a.O.); denn
auch dieses Argument hat den Unternehmensträger, nicht aber das Unterneh-
men im Auge. Werden Unternehmensgrundstücke - wie hier - zusammen mit
allen übrigen Unternehmensgegenständen veräußert, lässt die Änderung der
Eigentumszuordnung als solche die Einbeziehung des Grundstücks in den in
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seiner Gesamtheit weiter gewanderten Betrieb unberührt. Maßgeblich ist nur,
dass die Zusammenfassung von Sachen und Rechten, die das Unternehmen
ausmacht und zu der die weiterveräußerten Grundstücke gehören, gewahrt
bleibt (vgl. zu § 5 Abs. 1 Buchst. d VermG Urteil vom 22. April 2004 - BVerwG
7 C 15.03 - Buchholz 428 § 5 VermG Nr. 41). Der Rückübertragungsausschluss
behält gerade dann trotz des Wechsels des Unternehmensträgers seine Be-
deutung.
Dies lässt sich auch nicht unter Hinweis auf die Besonderheiten des Vermö-
genszuordnungsrechts in Abrede stellen, wie es im Urteil des Senats vom
15. Juni 2000 (a.a.O.) geschehen ist. Der dem Urteil zugrunde liegende
Rechtssatz, auf den Ausschluss der Betriebsnotwendigkeit nach § 11 Abs. 1
Satz 3 Nr. 3 VZOG könne sich nur eine durch Umwandlung entstandene Treu-
handkapitalgesellschaft berufen, nicht auch ein Unternehmen, das von ihr einen
restitutionsbehafteten Vermögensgegenstand gekauft habe, ohne daran bisher
Eigentum erlangt zu haben, lässt sich ebenfalls nicht uneingeschränkt auf-
rechterhalten.
Zwar knüpfen die Ausschlussgründe des § 11 Abs. 1 Satz 3 VZOG an den vor-
ausgehenden Satz der Vorschrift an, wonach die öffentliche Restitution grund-
sätzlich nicht dadurch ausgeschlossen wird, dass sich ein Vermögensgegen-
stand im Eigentum einer Treuhandkapitalgesellschaft befindet. Mit den Aus-
schlussgründen werden Ausnahmen von diesem Grundsatz benannt. Daraus
lässt sich jedoch nicht folgern, dass diese Rückübertragungshindernisse aus-
schließlich Treuhandgesellschaften zugutekommen sollen. Insbesondere bei
der der Beigeladenen obliegenden Privatisierung der nach § 11 Abs. 2 des
Treuhandgesetzes - TreuhG - umgewandelten Gesellschaften wirkt sich der
Schutz des § 11 Abs. 1 Satz 3 Nr. 3 VZOG notwendigerweise auch auf den
aufnehmenden Unternehmensträger aus. Allerdings trifft es zu, dass der Er-
werber im Vermögenszuordnungsrecht gegen das Herausgabeverlangen eines
Alteigentümers besser geschützt ist als im Vermögensrecht, weil die Zuord-
nungsfähigkeit des Vermögensgegenstandes mit seinem Abwandern aus dem
öffentlichen Vermögen entfällt; der Restitutionsausschlussgrund des § 11
Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 VZOG trägt dem Rechnung. Ebenso trifft es zu, dass
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daneben § 12 VZOG die Möglichkeit einräumt, sich ein restitutionsbehaftetes
Grundstück durch in dieser Vorschrift aufgeführte erlaubte Maßnahmen zu si-
chern. Abgesehen davon, dass das Vermögensrecht mit den Regelungen des
Investitionsvorranggesetzes ein vergleichbares Instrumentarium kennt, ändern
diese Schutzvorkehrungen jedoch nichts daran, dass bei der Privatisierung öf-
fentlicher Unternehmen im Wege des asset deal (beim Anteilsverkauf gilt der
Gegenschluss aus § 11 Abs. 1 Satz 2 VZOG) im Hinblick auf betriebsnotwendi-
ge Grundstücke zwischen der Veräußerung und der Stellung des Eintragungs-
antrages eine Schutzlücke bleiben kann. Es ist deshalb ein Instrumentarium
erforderlich, das eine aus der Sicht des Unternehmens schädliche Restitution
auch in solchen Fällen verhindert. Dies stellt der Ausschlussgrund der Be-
triebsnotwendigkeit sicher, der als unternehmensbezogenes Rückgabehindernis
unabhängig vom Wechsel des Unternehmensträgers gewährt wird, solange
seine Voraussetzungen andauern.
Anders verhält es sich nur, wenn die Betriebsnotwendigkeit zwischenzeitlich
entfällt. Dies ist vorstellbar, wenn die von der Treuhandgesellschaft gehaltene
Unternehmenseinheit stillgelegt und durch den Erwerber später ganz oder teil-
weise wiederbelebt wurde oder wenn Unternehmensbestandteile von der Treu-
handgesellschaft vor oder mit der Veräußerung des Unternehmens aus der Un-
ternehmenseinheit herausgelöst wurden. In diesen Fällen greift der Restituti-
onsausschlussgrund der Betriebsnotwendigkeit nicht und nur diese Fälle haben
die im Urteil des Senats vom 15. Juni 2000 (a.a.O.) angeführte Kommentierung
von Dick (in: Kimme, Offene Vermögensfragen, § 11 VZOG Rn. 116 und 135)
sowie das in dieser Kommentierung zitierte Verwaltungsgericht Berlin mit sei-
nem Urteil vom 9. Dezember 1994 - VG 3 A 7/93 - (VIZ 1995, 368 <370>) im
Auge, wenn dort der Rechtssatz aufgestellt wird, dass sich auf die Betriebsnot-
wendigkeit von Grundstücken nur Treuhandunternehmen berufen könnten.
Damit soll lediglich ausgedrückt werden, dass der Restitutionsausschlussgrund
der Betriebsnotwendigkeit die Zerschlagung lebender Unternehmenseinheiten
bei dem Vorgang der Privatisierung verhindern soll und deshalb in eine Unter-
nehmenseinheit eingebundene betriebsnotwendige Grundstücke in den Händen
der Treuhandgesellschaft bis zur Veräußerung der Unternehmenseinheit
geschützt werden, allerdings nur solange, wie sie betriebsnotwendig sind.
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Überdauert die Betriebsnotwendigkeit den Privatisierungsvorgang, greift bei der
Anwendung des § 13 VZOG das zeitlich vorrangige Rückgabehindernis (vgl.
Stellwaag, in: Vermögen in der ehemaligen DDR, § 13 VZOG Rn. 27); insoweit
wird der Ausschlussgrund in der Tat weitergereicht. Nur dies ist sach- und auch
systemgerecht; denn nur so wird verhindert, dass nach § 13 Abs. 2 VZOG ein
Sekundäranspruch auf Geldausgleich entsteht, ohne dass es jemals einen Pri-
märanspruch gegeben hätte.
Die vom Kläger beanspruchten Grundstücke waren demgemäß von der Rück-
übertragung ausgeschlossen, weil sie bei der Privatisierung in die Unterneh-
menseinheit eingebunden geblieben sind. Anhaltspunkte für ihre Herauslösung
aus dem Unternehmenszusammenhang, die Ansatz für eine weitere Sachauf-
klärung in dieser Richtung hätten sein können, sind nicht ersichtlich. Ebenso
wenig bezweckte die Privatisierung eine Zerschlagung des Unternehmens, die
einer solchen Herauslösung gleichgekommen wäre.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 und § 162 Abs. 3 VwGO.
Kley
Dr. Dette
Liebler
Prof. Dr. Rennert
Buchheister
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22
Sachgebiet: BVerwGE:
nein
Vermögenszuordnungsrecht Fachpresse: ja
Rechtsquellen:
EV
Art. 21 Abs. 3, Art. 22 Abs. 1 Satz 7
VZOG
§ 1a Abs. 1 Satz 1, § 11 Abs. 1 Satz 2 und Satz 3 Nr. 3 und 5,
§§ 12, 13 Abs. 1 und 2
VermG
§ 3 Abs. 1 Satz 3, § 5 Abs. 1 Buchst. d, § 6 Abs. 6a Satz 1 und 3
URüV
§ 1 Abs. 1
Stichworte:
Restitution; Grundstücksrestitution; Unternehmen; Unternehmensgrundstück;
Unternehmensträger; Unternehmensrestitution; Unternehmensresterestitution;
Unternehmenstrümmer; Trümmerrestitution; Unternehmensveräußerung; Un-
ternehmenseinheit; Treuhandkapitalgesellschaft; Treuhandunternehmen; Priva-
tisierung; asset deal; Singularrestitution; Betriebsnotwendigkeit; Restitutions-
ausschlussgrund; Liquidation; Erlösauskehr; Verkehrswert.
Leitsätze:
Der Restitutionsausschlussgrund der Betriebsnotwendigkeit nach § 11 Abs. 1
Satz 3 Nr. 3 VZOG kann auch einem Unternehmensträger zugutekommen, der
ein Unternehmen einschließlich eines restitutionsbehafteten, aber betriebsnot-
wendigen Unternehmensgegenstandes im Wege des asset deal von einer
Treuhandkapitalgesellschaft erwirbt (Aufgabe der bisherigen Rechtsprechung
des Senats, Urteil vom 15. Juni 2000 - BVerwG 3 C 8.99 - Buchholz 428.2 § 11
VZOG Nr. 26).
Der Restitutionsausschlussgrund der Betriebsnotwendigkeit nach § 11 Abs. 1
Satz 3 Nr. 3 VZOG entfällt nicht ohne Weiteres, wenn der Träger des betroffe-
nen Unternehmens seine Liquidation beschließt (Klarstellung der bisherigen
Rechtsprechung des Senats, Urteil vom 27. August 1998 - BVerwG 3 C 24.97 -
Buchholz 428.2 § 11 VZOG Nr. 19).
Urteil des 3. Senats vom 18. März 2009 - BVerwG 3 C 9.08
I. VG Berlin vom 22.05.2007 - Az.: VG 27 A 336.98 -