Urteil des BVerwG vom 26.02.2015

Widerruf, Beteiligung am Verfahren, Öffentlich, Rückforderung

BVerwGE: ja
Fachpresse: ja
Sachgebiet:
Recht der Förderungsmaßnahmen zugunsten der gewerblichen
Wirtschaft
Rechtsquelle/n:
InsO §§ 38, 300, 301 Abs. 1 und 3
VwVfG § 49 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1, § 49a Abs. 1
BauGB § 133 Abs. 3
Stichworte:
Subvention; Finanzierungshilfe; Investitionsvorhaben; Dauerarbeitsplatz;
Zuwendungsbescheid; Bewilligung; Fördervoraussetzung; Förderzweck;
Zweckverfehlung; Zuwendungsrechtsverhältnis; Mitteilungspflicht;
Verwaltungsverfahren; Rücknahme; Widerruf; Aufhebung; Rückforderung;
Rückforderungsbescheid; Ermessen; intendiertes Ermessen; Widerrufsermessen;
Widerrufsgrund; Widerrufsvoraussetzung; Widerrufstatbestand;
Widerrufsbescheid; Wirkung für die Vergangenheit; Grundsatz der
Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit; Vollstreckung; Rückforderungsanspruch;
öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch; Vorausleistung;
Vorausleistungsforderung; Insolvenz; Insolvenzordnung; Eröffnung des
Insolvenzverfahrens; Insolvenzverfahren; Insolvenzschuldner;
Insolvenzforderung; Insolvenzgläubiger; begründeter Vermögensanspruch;
Anwartschaft; Schuldrechtsorganismus; Schuldverhältnis; Rechtsgrund;
anspruchsbegründender Tatbestand; Grundlage des Anspruchs; Bedingung;
Kenntnis; Wohlverhaltensperiode; Restschuldbefreiung.
Leitsatz/-sätze:
Ein öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch gemäß § 49a Abs. 1 VwVfG ist im
Sinne von § 38 InsO bereits dann begründet und damit Insolvenzforderung, wenn
vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens der Widerrufsgrund der Zweckverfehlung
gemäß § 49 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 VwVfG gegeben ist.
Urteil des 3. Senats vom 26. Februar 2015 - BVerwG 3 C 8.14
I. VG Berlin vom 17. April 2012
Az: VG 20 M 401.10
II. OVG Berlin-Brandenburg vom 2. April 2014
Az: OVG 6 B 16.12
BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
BVerwG 3 C 8.14
OVG 6 B 16.12
Verkündet
am 26. Februar 2015
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 26. Februar 2015
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Kley
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Liebler, Dr. Wysk,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Kuhlmann
und den Richter am Bundesverwaltungsgericht Rothfuß
für Recht erkannt:
Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Ober-
verwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg vom 2. April 2014
wird zurückgewiesen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.
G r ü n d e :
I
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Rückforderung einer Subvention von der
dem Kläger erteilten Restschuldbefreiung erfasst wird.
Der Beklagte gewährte dem Kläger mit Zuwendungsbescheid vom 27. Februar
1998 eine Finanzierungshilfe aus Mitteln der Gemeinschaftsaufgabe "Verbesse-
rung der regionalen Wirtschaftsstruktur" über - umgerechnet - 23 519,43 € zur
Errichtung einer Betriebsstätte und zur Schaffung eines Dauerarbeitsplatzes,
der für einen Zeitraum von fünf Jahren nach Abschluss des Investitionsvorha-
bens nachzuweisen war. In dem Bescheid wurde darauf hingewiesen, dass die
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Bewilligung widerrufen werde und ausgezahlte Mittel zurückgefordert würden,
wenn der Dauerarbeitsplatz nicht für mindestens den genannten Zeitraum vor-
handen sei. Zur Verwirklichung des Vorhabens beschaffte sich der Kläger bis in
den Herbst 1998 hinein verschiedene Investitionsgüter (letzte Rechnung:
17. November 1998).
Im März, spätestens aber im Mai 2003 stellte der Kläger den Geschäftsbetrieb
ein. Das Amtsgericht Hanau eröffnete am 25. Februar 2004 das Insolvenzver-
fahren über das Vermögen des Klägers.
Mit Bescheid vom 19. August 2005 widerrief der Beklagte den Zuwendungsbe-
scheid und forderte den Kläger zur Rückzahlung der ausgezahlten Mittel auf.
Zur Begründung verwies er darauf, dass der Kläger die Schaffung eines Dauer-
arbeitsplatzes nicht nachgewiesen habe und er daher davon ausgehen müsse,
dass diese Fördervoraussetzung nicht erfüllt sei. Der Bescheid wurde am
31. Mai 2006 zugestellt, worauf der Kläger unter Verweis auf das Insolvenzver-
fahren Widerspruch erhob, der mit Widerspruchsbescheid vom 25. Juli 2006
zurückgewiesen wurde. Zur Begründung führte die Widerspruchsbehörde unter
anderem aus, das Investitionsvorhaben sei am 17. November 1998 abge-
schlossen worden. Der Kläger habe seine selbstständige Tätigkeit bereits im
März 2003 und damit innerhalb des Überwachungszeitraums eingestellt, so
dass die Fördervoraussetzungen nicht erfüllt seien.
Das Amtsgericht Hanau erteilte dem Kläger nach Ablauf der Wohlverhaltenspe-
riode mit Beschluss vom 30. März 2010 Restschuldbefreiung gemäß § 300 der
Insolvenzordnung (InsO). Parallel dazu forderte der Beklagte den Kläger unter
Fristsetzung zur Zahlung der Rückforderungssumme auf und leitete nachfol-
gend die Vollstreckung ein.
Der hierauf erhobenen Klage hat das Verwaltungsgericht stattgegeben und
festgestellt, dass die Vollstreckung aus dem Rückforderungsbescheid unzuläs-
sig sei. Das Berufungsgericht hat die Berufung zurückgewiesen und dazu aus-
geführt: Die Vollstreckung der mit Bescheid vom 19. August 2005 titulierten
Forderung sei dem Beklagten dauerhaft verwehrt, denn sie werde von der
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Restschuldbefreiung erfasst. Der Beklagte sei Insolvenzgläubiger, weil die
Rückforderung einen Vermögensanspruch betreffe, der bei der Eröffnung des
Insolvenzverfahrens bereits begründet gewesen sei. Hierfür genüge, dass der
Gläubiger eine gesicherte haftungsrechtliche Anwartschaft erlangt habe. Der
öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch entstehe zwar erst mit Aufhebung des
Zuwendungsbescheides, weil dieser Rechtsgrund des Behaltendürfens der
Subvention sei. Insolvenzrechtlich sei jedoch regelmäßig ausreichend, dass die
tatbestandlichen Voraussetzungen für die Rücknahme oder den Widerruf des
Zuwendungsbescheids gegeben, das Rückforderungs- oder Widerrufsermes-
sen intendiert und damit die Rückforderung vorprogrammiert seien. Das sei hier
der Fall, nachdem das Geschäft deutlich vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens
aufgegeben worden sei. Umstände, die dazu hätten führen können, das inten-
dierte Ermessen abweichend auszuüben, seien nicht ersichtlich. Auf die Aufhe-
bung des Zuwendungsbescheids sei nicht abzustellen. Anderenfalls stünde im
Gutdünken der Behörde, das Insolvenzverfahren zu umgehen, obwohl der Ge-
setzgeber staatliche Privilegien habe weitgehend abschaffen wollen. Die Insol-
venzordnung überlagere insoweit die Bestimmungen des Verwaltungsverfah-
rens. Die Rückforderung sei auch nicht mit einer Vorausleistungsforderung
nach § 133 Abs. 3 BauGB vergleichbar. Ohne Bedeutung sei, dass der Beklag-
te von der Eröffnung des Insolvenzverfahrens keine Kenntnis gehabt und seine
Forderung deshalb nicht angemeldet habe. Hierauf komme es nach den Be-
stimmungen der Insolvenzordnung nicht an, was auch verfassungsrechtlich
nicht zu beanstanden sei. Aufgrund der öffentlichen Bekanntmachung könne
jedermann von der Eröffnung des Insolvenzverfahrens Kenntnis erlangen und
müsse mit einer Restschuldbefreiung rechnen. Das gelte für den Beklagten be-
sonders, nachdem der Kläger auf die Aufforderung nicht reagiert habe, Ver-
wendungsnachweise vorzulegen.
Zur Begründung seiner Revision macht der Beklagte geltend, Voraussetzung
der Rückforderung der Finanzierungshilfe sei die Aufhebung des Zuwendungs-
bescheides. Vorher sei ein Rückforderungsanspruch auch insolvenzrechtlich
nicht begründet. Wann eine öffentlich-rechtliche Forderung im Sinne von § 38
InsO begründet sei, richte sich nach den Besonderheiten des Fachrechts. Von
einem hinreichenden Schuldrechtsorganismus im Sinne einer gesicherten An-
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wartschaft könne hier erst gesprochen werden, wenn das Widerrufsermessen
ausgeübt worden sei. Das mögliche Vorliegen eines fiktiven Widerrufstatbe-
stands, von dessen Existenz die Behörde nicht wissen und zu dem sie folglich
die erforderliche Ermessensentscheidung nicht treffen könne, genüge nicht.
Etwas anderes gelte auch dann nicht, wenn die Ausübung des Ermessens in-
tendiert sei. Beim Widerruf von Subventionsbescheiden sei ein Mindestmaß an
Sachverhaltsaufklärung geboten, um überhaupt von einem Regelfall des inten-
dierten Ermessens ausgehen zu können. Ein Rückforderungsanspruch sei des-
halb frühestens begründet, wenn ein Widerrufsbescheid begründet sei. Das sei
der Fall, wenn die Widerrufsvoraussetzungen gegeben seien, dies der Behörde
bekannt sei und sie ihr Ermessen ausgeübt habe. Dabei dürfe die Entschei-
dungsfrist des § 48 Abs. 4 VwVfG nicht verkürzt werden. Ihm, dem Beklagten,
sei erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens bekannt geworden, dass der
Kläger seinen Mitteilungspflichten nicht nachgekommen sei. Gleiches gelte für
den Widerrufsgrund der Zweckverfehlung, weil zum Zeitpunkt der Eröffnung des
Insolvenzverfahrens der Sachverhalt nicht aufgeklärt gewesen sei. Zudem stüt-
ze sich das Berufungsgericht fälschlicherweise auf den Widerrufsgrund der
Zweckverfehlung, denn diesen habe er gar nicht geltend gemacht. Vielmehr
beruhe der Widerrufsbescheid darauf, dass der Kläger seine Mitteilungspflich-
ten verletzt habe. Das Berufungsgericht tausche damit in unzulässiger Weise
den Widerrufsgrund aus und komme nur so zur Annahme intendierten Ermes-
sens. Die Auslegung von § 38 InsO durch das Berufungsgericht sei auch nicht
deshalb gerechtfertigt, weil anderenfalls die öffentliche Hand das Regime der
Insolvenzordnung umgehen könne. Sie führe vielmehr dazu, dass sich Zuwen-
dungsempfänger berechtigten Rückforderungen entziehen könnten. Auch
schneide sie der Behörde Handlungsspielräume ab, die der Verwirklichung der
Förderzwecke dienten.
Der Kläger verteidigt das Berufungsurteil. Er verweist darauf, dass das Ermes-
sen Rechtsfolge eines Widerrufstatbestands sei. Öffentlich-rechtliche Rückfor-
derungen bezögen sich praktisch durchweg auf Leistungen, die auf Bewilli-
gungsbescheiden beruhten. Die Insolvenzordnung könne umgangen werden,
folge man der Argumentation des Beklagten.
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Der Vertreter des Bundesinteresses ist mit dem Bundesministerium der Justiz
und für Verbraucherschutz der Auffassung, dass eine öffentlich-rechtliche For-
derung, die auf der Rückforderung einer Subvention wegen Zweckverfehlung
beruht, insolvenzrechtlich bereits dann begründet sei, wenn die tatbestandli-
chen Voraussetzungen für die Rücknahme oder den Widerruf des Zuwen-
dungsbescheides gegeben seien. Ausreichend sei, dass von der Forderung
ihrem Rechtsgrunde nach so viele Merkmale verwirklicht seien, dass der Gläu-
biger eine gesicherte Anwartschaft habe, der Schuldner ihr Entstehen also nicht
mehr einseitig verhindern könne. Das Berufungsgericht habe zutreffend darauf
abgestellt, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Rückabwicklung
der Subvention vorgelegen hätten, es hingegen nicht erforderlich sei, dass das
vorgesehene Ermessen vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens ausgeübt wor-
den sei. Die Wirkungen des Insolvenzverfahrens dürften nicht zur Disposition
eines Gläubigers stehen. Nicht maßgeblich sei, ob der Gläubiger Kenntnis von
den anspruchsbegründenden Tatsachen gehabt habe oder diese Tatsachen für
ihn erkennbar gewesen seien. Spätestens mit der Bekanntmachung der Eröff-
nung des Insolvenzverfahrens hätte der Beklagte prüfen müssen, ob der Tatbe-
stand der Zweckverfehlung erfüllt sei und eine Beteiligung am Verfahren in Be-
tracht komme.
II
Die Revision des Beklagten ist unbegründet. Das Urteil des Berufungsgerichts
steht im Einklang mit Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 VwGO). Der Vollstreckung des
Rückforderungsanspruchs aus dem Bescheid vom 19. August 2005 steht die
dem Kläger erteilte Restschuldbefreiung entgegen, da der Anspruch bereits bei
Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründet war und die Restschuldbefreiung
damit auch gegenüber dem Beklagten wirkt.
Das Insolvenzverfahren nach der Insolvenzordnung (InsO) vom 5. Oktober
1994 (BGBl. I S. 2866, zuletzt geändert durch Art. 6 des Gesetzes vom
31. August 2013, BGBl. I S. 3533) dient der gemeinschaftlichen Befriedigung
aller persönlichen Gläubiger des Insolvenzschuldners, die einen zur Zeit der
Eröffnung des Verfahrens begründeten Vermögensanspruch gegen ihn haben
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(Insolvenzgläubiger, § 1 Satz 1 und § 38 InsO). Es erfasst neben privatrechtli-
chen Ansprüchen auch Steuerforderungen, öffentliche Abgaben und sonstige
öffentlich-rechtliche Forderungen, wie sich etwa aus § 55 Abs. 4 und § 185
InsO ableiten lässt und daraus folgt, dass der Gesetzgeber für diese Ansprüche
jenseits der Insolvenzordnung keine insolvenzrechtlichen Sondervorschriften
getroffen hat (zur Gesamtvollstreckungsordnung: BVerwG, Urteil vom 12. Juni
2003 - 3
C 21.02 - Buchholz 316 § 35 VwVfG Nr. 54 S. 3). Das führt unter an-
derem dazu, dass die Träger der öffentlichen Verwaltung ihre Insolvenzforde-
rungen nur nach Maßgabe der Insolvenzordnung geltend machen können (§ 87
InsO); damit ist der Erlass eines Leistungsbescheids während des Insolvenz-
verfahrens grundsätzlich unzulässig (BVerwG, Urteil vom 12. Juni 2003 - 3 C
21.02 - Buchholz 316 § 35 VwVfG Nr. 54 S. 3 m.w.N., Beschlüsse vom 27. Mai
1997 - 3 B 151.96 - Buchholz 401.0 § 251 AO Nr. 1 und - 3 B 152.96 - Buchholz
316 § 49 VwVfG Nr. 32; auch für die Aufhebung der Bewilligung einer Investiti-
onszulage und Nichtigkeit annehmend: BFH, Urteile vom 16. April 2013 - VII R
44/12 - BFHE 241, 291 Rn. 17 ff., 21, vom 31. Januar 2012 - I S 15/11 -
BFH/NV 2012, 989 Rn. 8 und vom 24. August 2004 - VIII R 14/02 - BFHE 207,
10 <15> m.w.N.). Das ist hier allerdings ohne Bedeutung, weil das Insolvenz-
verfahren - wie vom Kläger in der mündlichen Verhandlung bestätigt - jedenfalls
vor Zustellung des Widerrufs- und Rückforderungsbescheids vom 19. August
2005 sowie Erlass des Widerspruchsbescheids aufgehoben worden war.
Die dem Kläger gemäß § 300 InsO erteilte Restschuldbefreiung hat zur Folge,
dass die Forderungen der Insolvenzgläubiger nicht mehr erzwingbar sind und
sich in unvollkommene Verbindlichkeiten wandeln (§ 301 Abs. 3 InsO). Ent-
sprechend steht sie der Vollstreckung des Rückforderungsanspruchs aus dem
Widerrufs- und Rückforderungsbescheid entgegen (§ 257 Abs. 1 AO i.V.m. § 5a
BInVwVfG und § 5 Abs. 1 VwVG). Zu Recht geht das Berufungsgericht davon
aus, dass der erst mit dem Bescheid gemäß § 49a Abs. 1 VwVfG entstandene
und festgesetzte öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch bereits zur Zeit der
Eröffnung des Insolvenzverfahrens im Sinne von § 38 InsO begründet war und
der Beklagte damit Insolvenzgläubiger ist.
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Der Begriff des "begründeten" Vermögensanspruchs dient dazu, die als Insol-
venzforderungen vom Insolvenzverfahren erfassten Verbindlichkeiten gegen-
über nicht berücksichtigungsfähigen Rechtspositionen, Neuschulden und insbe-
sondere Masseverbindlichkeiten abzugrenzen. Die Restschuldbefreiung knüpft
hieran an, denn sie wirkt gegen alle Insolvenzgläubiger (§ 301 Abs. 1 Satz 1
InsO). Unter welchen Voraussetzungen ein Vermögensanspruch im Sinne von
§ 38 InsO begründet ist, ist insolvenzrechtlich zu bestimmen (vgl. BFH, Be-
schluss vom 6. Oktober 2005 - VII B 309/04 - BFH/NV 2006, 369 - juris Rn. 6
und BVerwG, Urteil vom 23. September 2004 - 7 C 22.03 - BVerwGE 122, 75
<79>). Auf der Grundlage des einschlägigen öffentlichen Rechts ist nur zu be-
antworten, ob bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens diese Voraussetzungen
erfüllt waren.
Begründet ist ein Anspruch nicht erst dann, wenn er bereits entstanden ist.
Auch ein Anspruch, der noch nicht fällig (betagt) ist oder dessen Entstehung
vom Eintritt einer zeitlichen Voraussetzung abhängen soll (befristeter Anspruch)
und selbst ein Anspruch, der erst mit dem Eintritt einer Bedingung entsteht, ist
gemäß §§ 41, 42, 191 InsO bereits begründet. Allerdings soll es der Gemein-
schuldner nicht in der Hand haben, die Schuldenmasse zu vermehren. Ein An-
spruch, der vom Eintritt einer Bedingung abhängt, die allein im Willen des Ge-
meinschuldners steht, ist daher vor Bedingungseintritt nicht begründet (§ 81
Abs. 1 Satz 1 InsO; vgl. Henckel, in: Jaeger, InsO, § 38 Rn. 88; Lüdtke, in:
HK-InsO, 5. Aufl. 2015, § 38 Rn. 33). Umgekehrt gilt, dass ein Anspruch nicht
erst dann begründet ist, wenn ein für seine Entstehung notwendiges Gestal-
tungsrecht durch den Gläubiger ausgeübt wurde, etwa eine Kündigung ausge-
sprochen ist (BGH, Urteile vom 18. April 2002 - IX ZR 161/01 - BGHZ 150, 305
<312> und vom 6. November 1978 - VIII ZR 179/77 - BGHZ 72, 263 <266>; zur
Insolvenzanfechtung vgl. BFH, Beschluss vom 1. April 2008 - X B 201/07 - ZIP
2008, 1780 Rn. 16 f.). Aufschiebend bedingte Forderungen, die in diesem Sinne
eine haftungsrechtliche Anwartschaft des Gläubigers begründen, sind als Insol-
venzforderungen zu berücksichtigen (vgl. Henckel, in: Jaeger, InsO, § 38
Rn. 87; Sinz, in: Uhlenbruck, InsO, 13. Aufl. 2010, § 38 Rn. 33). Allgemein gilt,
dass ein Anspruch begründet ist, wenn der anspruchsbegründende Tatbestand
bereits vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens erfüllt ist. Das Schuldverhält-
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nis - der so genannte Schuldrechtsorganismus, der die Grundlagen des An-
spruchs bildet - muss bestanden haben, auch wenn sich hieraus der Anspruch
erst später ergibt (BGH, Beschluss vom 7. April 2005 - IX ZB 129/03 - ZInsO
2005, 537 <538> m.w.N.; Sinz, in: Uhlenbruck, InsO, 13. Aufl. 2010, § 38
Rn. 26; Ehricke, in: MüKoInsO, 3. Aufl. 2013, § 38 Rn. 16; Bornemann, in:
FK-InsO, 7. Aufl. 2013, § 38 Rn. 14; Lüdtke, in: HK-InsO, 5. Aufl. 2015, § 38
Rn. 30). Mit anderen Worten muss der Rechtsgrund seiner Entstehung bereits
gelegt sein (BFH, Urteil vom 11. November 1993 - XI R 73/92 - ZIP 1994, 1286
<1287> und Beschluss vom 1. April 2008 - X B 201/07 - ZIP 2008, 1780
Rn. 17).
Der öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch des § 49a VwVfG entsteht, wenn
der Verwaltungsakt, der der Leistung zugrunde liegt, mit Wirkung für die Ver-
gangenheit aufgehoben worden und damit der Rechtsgrund der Leistung besei-
tigt ist (§ 49a Abs. 1 Satz 1 VwVfG; BVerwG, Beschluss vom 27. Mai 1997 - 3 B
152.96 - Buchholz 316 § 49 VwVfG Nr. 32). Das geschah hier erst nach der
Insolvenzeröffnung mit Zustellung des Widerrufsbescheids am 31. Mai 2006.
Der Anspruch war bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens auch nicht deshalb
entstanden, weil der Widerruf mit Wirkung für die Vergangenheit erfolgte. Die
Notwendigkeit, im Insolvenzverfahren die Insolvenzgläubiger bestimmen zu
können, schließt es aus, die Rückwirkung des Widerrufs zu berücksichtigen.
Ebenso wenig lässt sich die Annahme eines begründeten Anspruchs allein da-
rauf stützen, dass der Widerrufsgrund der Zweckverfehlung zum Tatbestand
und das Ermessen zur Rechtsfolge des § 49 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 VwVfG gehört.
Denn der Erstattungsanspruch gemäß § 49a Abs. 1 Satz 1 VwVfG setzt den
Widerruf und damit sowohl einen Widerrufsgrund als auch die Ermessensaus-
übung für seine Entstehung voraus.
Obwohl der Erstattungsanspruch somit seinerzeit noch nicht entstanden war,
war er dennoch bereits im Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens be-
gründet, weil auf der Grundlage des mit dem Zuwendungsbescheid vom
27. Februar 1998 entstandenen Rechtsverhältnisses der Widerrufsgrund der
Zweckverfehlung gemäß § 49 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 VwVfG mit der vorzeitigen
Geschäftsaufgabe gegeben war und damit die den Erstattungsanspruch mate-
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riell begründenden Umstände eingetreten waren. Das Berufungsgericht ist da-
von ausgegangen, dass der Widerrufsgrund der Zweckverfehlung vor Eröffnung
des Insolvenzverfahrens gegeben war, nachdem die Zuwendung zu dem Zweck
der Schaffung eines mindestens fünf Jahre währenden Dauerarbeitsplatzes
bewilligt worden war, der Geschäftsbetrieb aber spätestens im Mai 2003 einge-
stellt und damit die notwendige Dauerhaftigkeit des geschaffenen Arbeitsplat-
zes nicht erreicht worden war. Das ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden
und wird von der Revision auch nicht angegriffen.
Die Regelung zum Widerruf eines Verwaltungsakts wegen Zweckverfehlung
gemäß § 49 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 VwVfG geht auf § 44a BHO zurück und beruht
auf der Aussage, dass die Rückforderung von Haushaltsmitteln in Fällen der
Zweckverfehlung möglich sein müsse (BT-Drs. 13/1534 S. 5). In der Rechtspre-
chung des Senats ist anerkannt, dass wegen des haushaltsrechtlichen Grund-
satzes der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit bei Zuwendungen, die ihren
Zweck verfehlen, im Regelfall das Widerrufsermessen nur durch Widerruf feh-
lerfrei ausgeübt werden kann (Urteil vom 16. Juni 1997 - 3 C 22.96 - BVerwGE
105, 55 <58>). Dem liegt zugrunde, dass der Erstattungsanspruch materiell von
der Zweckverfehlung getragen wird und keiner weiteren rechtfertigenden Um-
stände bedarf. Das auf dieser Grundlage auszuübende Ermessen ermöglicht
es, im Einzelfall vom Widerruf und damit der Rückforderung abzusehen, und
hat somit eine potentiell rechtsvernichtende Funktion. Jenseits der rechtlichen
Bindungen des Ermessens liegt es auch nicht mehr in der Hand des Gläubi-
gers, den Widerruf zu verhindern. Es kommt daher nicht darauf an, dass das
Ermessen ausgeübt wurde, um den Erstattungsanspruch im Sinne von § 38
InsO zu begründen. Dementsprechend hängt die Begründung des Anspruchs
auch nicht von einem wirksamen Widerrufsbescheid ab. Ob jenseits des vom
Berufungsgericht herangezogenen Widerrufsgrunds weitere Widerrufsgründe
vorgelegen haben und inwieweit der Beklagte seinen Widerruf auf diese Gründe
gestützt hat, ist danach nicht weiter erheblich.
Entgegen der Annahme des Berufungsgerichts ist damit aber auch ohne Be-
deutung, ob die Ermessensausübung im Einzelfall intendiert ist. Abgesehen von
der Problematik des für eine hypothetische Überprüfung maßgeblichen Zeit-
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punkts und Sachverhalts betrifft das intendierte Ermessen allein die Frage, wel-
che Anforderungen an die Ermessensentscheidung zu stellen sind. Entschei-
dend ist jedoch, dass das Ermessen des § 49 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 VwVfG ledig-
lich ermöglicht, vom Widerruf abzusehen, der Widerruf jedoch seinen ihn tra-
genden Grund im tatbestandlichen Vorliegen des Widerrufsgrunds der Zweck-
verfehlung findet.
Dies unterscheidet den Widerruf eines Zuwendungsbescheides zugleich von
Vorausleistungsansprüchen auf den Erschließungsbeitrag, wie das Berufungs-
gericht zu Recht angenommen hat. Dass die Voraussetzungen vorliegen, die
nach § 133 Abs. 3 Satz 1 BauGB dazu ermächtigen, Vorausleistungen zu ver-
langen, genügt nicht, um bereits ein konkretes Schuldverhältnis zwischen Ge-
meinde und potentiell Beitragspflichtigem zu begründen. Die vom Berufungsge-
richt in seinem Beschluss vom 26. Januar 2010 getroffene Aussage, dass eine
Vorausleistungsforderung erst mit einem Vorausleistungsbescheid begründet
worden dein dürfte (OVG 9 S 1.09 - NVwZ-RR 2010, 494), lässt sich daher
- anders als teilweise angenommen (vgl. Bäuerle, in: Braun, InsO, 6. Aufl.
2014, § 38 Rn. 5; Ehricke, in: MüKoInsO, 3. Aufl. 2013, § 38 Rn. 17 a.E.) - nicht
ohne Weiteres verallgemeinern und nicht auf den hier in Rede stehenden öf-
fentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch übertragen.
Zutreffend hat das Berufungsgericht auch angenommen, dass es auf die
Kenntnisse des Beklagten nicht ankommt.
Die Kenntnis des Widerrufsgrunds ist nicht notwendig, damit ein Erstattungsan-
spruch im Sinne von § 38 InsO begründet ist. Das folgt allerdings nicht schon
aus der Reichweite der Restschuldbefreiung. Sie erfasst Forderungen zwar
auch dann, wenn sie nicht angemeldet wurden (§ 301 Abs. 1 Satz 2 InsO). Das
kann aber auch andere Ursachen als die fehlende Kenntnis von den Widerrufs-
voraussetzungen haben. Darüber hinaus trifft es zu, dass der Erstattungsan-
spruch erst entsteht, wenn der Zuwendungsbescheid widerrufen ist, was die
Kenntnis des Widerrufsgrunds voraussetzt. Die verwaltungsverfahrensrechtli-
che Notwendigkeit des Widerrufs rechtfertigt es jedoch nicht, anders als für den
entsprechenden zivilrechtlichen Kondiktionsanspruch der ungerechtfertigten
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Bereicherung wegen Nichterreichen des bezweckten Erfolgs, den öffentlich-
rechtlichen Erstattungsanspruch erst mit der Kenntnis des Widerrufsgrunds als
begründet zu erachten und damit im Ergebnis zu privilegieren. Dafür bietet die
Insolvenzordnung keine Grundlage. Auch allgemein gilt, dass der anspruchsbe-
gründende Sachverhalt vorliegen muss, Kenntnis hiervon aber nicht erforderlich
ist. Vor diesem Hintergrund ist auch die Entscheidungsfrist des § 49 Abs. 3
Satz 2 i.V.m. § 48 Abs. 4 VwVfG ohne Bedeutung, ganz abgesehen davon,
dass im Insolvenzverfahren die speziellen Vorschriften der Insolvenzordnung
für die Geltendmachung von Insolvenzforderungen maßgeblich sind.
Damit kommt es auch für die Restschuldbefreiung, die mit Ausnahme der in
§ 302 InsO genannten Verbindlichkeiten alle Insolvenzforderungen erfasst
(§ 301 Abs. 1 Satz 1 InsO), nicht auf die Kenntnis der eine Insolvenzforderung
begründenden Umstände an. Ebenso wenig hängt die Wirkung der Restschuld-
befreiung von der Kenntnis der Eröffnung des Insolvenzverfahrens ab, wie das
Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat und von dem Beklagten nicht weiter
infrage gestellt wird. Jenseits des Schutzes, den § 826 BGB in den Fällen ge-
währt, in denen der Insolvenzschuldner einen Anspruch eines Gläubigers be-
wusst zur Erreichung der Restschuldbefreiung verschweigt, hat der Gesetzge-
ber dem Interesse der Rechtssicherheit einer umfassenden Restschuldbefrei-
ung Vorrang gegenüber Erwägungen der materiellen Gerechtigkeit gegeben
(BGH, Urteil vom 16. Dezember 2010 - IX ZR 24/10 - WM 2011, 271 Rn. 19 ff.).
Verfassungsrechtliche Bedenken hiergegen bestehen nicht, zumal der Beklagte
eigenständig in der Lage gewesen wäre, nicht nur von der Bekanntmachung
der Eröffnung des Insolvenzverfahrens, sondern auch vom Vorliegen des Wi-
derrufsgrunds Kenntnis zu erlangen.
Der Beklagte kann sich auch nicht darauf berufen, dass der Kläger nach dem
Zuwendungsbescheid und dessen allgemeinen Nebenbestimmungen verpflich-
tet war, einen Insolvenzantrag und die Eröffnung des Insolvenzverfahrens un-
verzüglich mitzuteilen. Auch wenn sich aus einer Pflichtverletzung im Subventi-
onsverhältnis ein Schadensersatzanspruch ergeben kann, wäre ein solcher An-
spruch hier lediglich eine Insolvenzforderung, für die die Restschuldbefreiung
gelten würde. Eine Ausnahme hiervon sieht die Insolvenzordnung lediglich für
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Verbindlichkeiten des Schuldners aus einer vorsätzlich begangenen unerlaub-
ten Handlung vor (§ 302 Nr. 1 InsO), die entsprechend angemeldet wurden
(§ 174 Abs. 2 InsO). Abgesehen davon, dass es hier nicht um die Befreiung von
einem solchen Schadensersatzanspruch geht, kennt die Insolvenzordnung als
Grund für die Versagung der Restschuldbefreiung zudem lediglich die vorsätzli-
che oder grob fahrlässige Verletzung von Auskunfts- oder Mitwirkungspflichten
nach diesem Gesetz (§ 290 Abs. 1 Nr. 5 InsO). Ohne Erfolg bleibt schließlich
auch der Einwand des Beklagten, er habe im Rahmen des Insolvenzverfahrens
keine Möglichkeit mehr, die Geltendmachung seines Erstattungsanspruchs för-
derpolitisch zu steuern. Er trifft bereits tatsächlich nicht zu, denn es bleibt in der
Hand des Beklagten, die Forderung anzumelden und im weiteren Verfahren
geltend zu machen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Kley
Liebler
Dr. Wysk
Dr. Kuhlmann
Rothfuß
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