Urteil des BVerwG vom 26.02.2009

Schiedsstelle, Genehmigung, Budget, Rechtsschutz

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
BVerwG 3 C 8.08
VGH 9 S 1007/06
Verkündet
am 26. Februar 2009
Mitschke
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 26. Februar 2009
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Kley
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Dette, Liebler,
Prof. Dr. Rennert und Buchheister
für Recht erkannt:
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Verwal-
tungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 17. April 2007
wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.
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G r ü n d e :
I
Der Kläger ist Träger eines psychiatrischen Fachkrankenhauses, das mit
383 Betten verschiedener Fachrichtungen (Neurologie, Psychotherapie, Allge-
meine Psychiatrie, Kinder- und Jugendpsychiatrie, Strahlentherapie) in den
Krankenhausplan des Landes aufgenommen ist. Er begehrt die Verurteilung der
Beklagten, mit ihm eine Vereinbarung über eine Erhöhung der Fallzahlen für die
Ermittlung der Obergrenze des Budgets für 2003 zu schließen.
Die Pflegesatzvereinbarung für 2002 hatte für das Krankenhaus des Klägers
den Gesamtbetrag der Erlöse (ohne Ausgleiche und Berichtigungen) auf
30 807 692 € festgesetzt und hierbei 129 778 vollstationäre Berechnungstage
(Auslastungsquote 96,36 %) bei 3 784,5 Fällen mit einer durchschnittlichen
Verweildauer von 34,29 Tagen veranschlagt. Bei den Pflegesatzverhandlungen
für das Jahr 2003 verlangte der Kläger eine Festsetzung des Gesamtbetrages
der Erlöse in Höhe der Obergrenze, zu deren Ermittlung der Gesamtbetrag des
Vorjahres nicht nur um die Veränderungsrate sowie um Mehrkosten wegen
Vorgaben aus der Psychiatrie-Personalverordnung, sondern außerdem um
3 008 847 € wegen gestiegener Fallzahlen zu erhöhen sei. Seine Leistungs-
und Kalkulationsaufstellung veranschlagte 130 581 vollstationäre Berechnungs-
tage, nunmehr aber 4 434 - also 744,5 zusätzliche - Fälle bei einer durch-
schnittlichen Verweildauer von 29,45 Tagen. Zur Begründung verwies der Klä-
ger auf die Ist-Zahlen für 2002. Hiernach seien tatsächlich 129 372 vollstationä-
re Berechnungstage abgerechnet worden, nämlich 4 856 Fälle mit einer durch-
schnittlichen Verweildauer von 26,64 Tagen.
Die Beklagten stimmten der Erhöhung der Fallzahl um 744,5 nicht zu. Die
Schiedsstelle setzte mit Beschluss vom 18. November 2003 den Gesamtbetrag
der Erlöse (ohne Ausgleichen und Berichtigungen) auf 31 684 038 € fest. Damit
folgte sie dem Antrag der Beklagten. Ein um 3 008 847 € höherer Gesamtbe-
trag, wie vom Kläger verlangt, setze eine Vereinbarung der Beteiligten über ei-
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ne Erhöhung der Fallzahl voraus. Daran fehle es; die Vereinbarung könne auch
nicht durch die Schiedsstelle ersetzt werden. Der Schiedsspruch wurde vom
Regierungspräsidium Tübingen mit Bescheid vom 4. Mai 2004 genehmigt. Über
die dagegen erhobene Klage ist bislang nicht entschieden worden.
Mit seiner am 29. Dezember 2004 erhobenen Klage hat der Kläger - soweit hier
noch im Streit - beantragt,
1. die Beklagten zu verurteilen, mit ihm für den Budget-
zeitraum vom 1. Januar 2003 bis zum 31. Dezember
2003 eine Veränderung der Fallzahlen von 744,5 Fällen
zu vereinbaren,
2. hilfsweise festzustellen, dass die Beklagten verpflichtet
sind, mit ihm eine Pflegesatzvereinbarung für den Bud-
getzeitraum 2003 mit der Maßgabe abzuschließen,
dass der Gesamtbetrag der Erlöse um Mehrkosten für
744,5 Fälle in Höhe von 3 008 847 € erhöht wird.
Zur Begründung hat er ausgeführt: Der Gesamtbetrag der Erlöse sowie sämtli-
che diesbezüglichen Berechnungsfaktoren unterlägen der Vereinbarung der
Pflegesatzparteien. Insofern bestehe ein Kontrahierungszwang; die Beklagten
seien nicht berechtigt, die Verhandlung und Vereinbarung eines Punktes zu
verweigern. Inhaltlich seien sie an das materielle Pflegesatzrecht gebunden,
das eine Erhöhung der Obergrenze bei einer Veränderung der Fallzahlen vor-
sehe. Dass die Vereinbarung über eine Veränderung der Fallzahlen nicht der
Zuständigkeit der Schiedsstelle unterliege, ändere an all dem nichts. Es führe
nur dazu, dass auf die Zustimmung des Vertragspartners zu einer gebotenen
Erhöhung der Fallzahlen unmittelbar geklagt werden könne.
Die Beklagten haben erwidert, die Klage sei unzulässig. Rechtsschutz sei nur
gegen die Genehmigung des Schiedsspruchs eröffnet; die Vereinbarung über
eine Erhöhung der Fallzahlen aber sei der Zuständigkeit der Schiedsstelle ver-
schlossen. Dadurch blieben Mehrleistungen nicht etwa unvergütet; die Kran-
kenhäuser würden vielmehr auf den nachträglichen Mehrerlösausgleich verwie-
sen, was zumutbar sei.
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Mit Urteil vom 9. Februar 2006 hat das Verwaltungsgericht die Beklagten verur-
teilt, mit dem Kläger für den Budgetzeitraum 2003 über eine Veränderung der
Fallzahlen auf der Basis von 744,5 Fällen zu verhandeln und eine Vereinbarung
zu schließen. Die Klage sei zulässig; durch den Ausschluss der Schiedsstellen-
fähigkeit werde nicht der Rechtsschutz als solcher ausgeschlossen. Die Klage
sei auch im Sinne der Entscheidungsformel begründet. § 6 Abs. 1 Satz 4 Nr. 1
BPflV sehe vor, dass die Obergrenze des Budgets eines Krankenhauses erhöht
werden dürfe, wenn zwischen den Vertragsparteien vereinbarte Veränderungen
der medizinischen Leistungsstruktur oder der Fallzahlen dies erforderlich mach-
ten. Eine dahingehende Vereinbarung zu schließen, stehe nicht im Belieben der
Beklagten; als materielle Träger öffentlicher Verwaltung seien sie vielmehr an
Recht und Gesetz gebunden und dürften daher eine Vereinbarung über höhere
Fallzahlen nicht ohne sachlichen Grund verweigern. Die Vereinbarung sei hier
auch erforderlich, weil zusätzliche Fälle auch zusätzlichen Aufwand etwa für die
Aufnahmeprozedur oder für die Aufnahme- und Entlassungsuntersuchung
bedingten. Kostenersparnisse wegen verkürzter Verweildauer ließen sich nicht
gegenrechnen; damit sinke das medizinisch leistungsgerechte Budget jedenfalls
nicht unter die - im Sinne der Klage erhöhte - Kappungsgrenze.
Die Beklagten zu 2. und 3. haben Berufung eingelegt. Sie hätten sich nicht oh-
ne sachlichen Grund geweigert, höhere Fallzahlen zu vereinbaren. Dem Kläger
seien höhere Mehrkosten nicht entstanden. Zum einen habe er den „Drehtüref-
fekt“ nicht herausgerechnet, zum anderen werde übersehen, dass etwa höhere
Personalkosten - die 80 % aller Kosten ausmachten - durch die Psychiatrie-
Personalkostenverordnung und § 6 Abs. 1 Satz 4 Nr. 4 BPflV ohnehin berück-
sichtigt würden. Im Übrigen komme dem Kläger der Mehrerlösausgleich zugute.
Mit Urteil vom 17. April 2007 hat der Verwaltungsgerichtshof das Urteil des Ver-
waltungsgerichts geändert und die Klage abgewiesen. Eine Erhöhung der Bud-
getobergrenze wegen erhöhter Fallzahlen erlaube § 6 Abs. 1 Satz 4 Nr. 1 BPflV
nur, wenn die Pflegesatzparteien dies vereinbarten. Einen Kontrahierungs-
zwang sehe das Gesetz ebenso wenig vor wie eine Ersetzung der Vereinba-
rung durch Schiedsspruch. Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts
komme eine Ersetzung der Vereinbarung durch Urteil allenfalls nach Maßgabe
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des § 315 BGB in Betracht. Dessen Voraussetzungen lägen aber jedenfalls
derzeit nicht vor. Das ergebe sich schon daraus, dass die Beteiligten das medi-
zinisch leistungsgerechte Budget bislang nicht vereinbart hätten; einer Festle-
gung der Obergrenze bedürfe es erst, wenn das medizinisch leistungsgerechte
Budget darüber liege. Zudem richte sich der Bedarf an therapeutischem Perso-
nal sowohl in Ansehung des medizinisch leistungsgerechten Budgets als auch
in Ansehung der Budgetobergrenze allein nach der Psychiatrie-Personal-
verordnung, für deren Anwendung die Fallzahl grundsätzlich unerheblich sei.
Schließlich habe der Kläger bislang nicht plausibel gemacht, inwiefern
744,5 Mehrfälle 3 008 847 € - also 4 041,43 € pro Mehrfall - an zusätzlichen
Kosten verursachten, die weder über die Fortschreibung des Vorjahresbudgets
noch über die Anwendung der Psychiatrie-Personalverordnung finanziert wür-
den. Solange all diese Fragen offen seien, sei für eine Leistungsbestimmung
durch Urteil nach § 315 BGB kein Raum.
Zur Begründung seiner Revision bringt der Kläger im Wesentlichen vor: Die
Pflegesatzparteien unterlägen einem Kontrahierungszwang. Dies ergebe sich
schon daraus, dass das gesamte Pflegesatzrecht seit 1985 dem Vereinba-
rungsmodell mit generellem Kontrahierungszwang unterstellt sei, nachdem es
zuvor preisrechtlich geregelt gewesen sei. Damit sei unvereinbar, die Vereinba-
rung eines maßgeblichen Faktors der Pflegesatzberechnung ins Belieben der
Beklagten zu stellen. Zu den maßgeblichen Berechnungsfaktoren gehöre die
voraussichtliche Leistungsstruktur und -entwicklung und damit auch die Fall-
zahl. Diese sei daher schon auf der „ersten Stufe“ der Ermittlung des medizi-
nisch leistungsgerechten Budgets zu vereinbaren und ggf. von der Schiedsstel-
le festzusetzen; für die „zweite Stufe“ der Ermittlung der Obergrenze müsse die
Zahl dann lediglich übernommen werden. Welche konkreten Folgekosten eine
höhere Fallzahl nach sich zöge, sei nicht Streitgegenstand und damit unerheb-
lich, solange nur überhaupt Mehrkosten entstünden; das aber stehe nicht in
Zweifel. Die Vereinbarung einer höheren Fallzahl nach § 6 Abs. 1 Satz 4 Nr. 1
BPflV erübrige sich ferner nicht dadurch, dass nach § 6 Abs. 1 Satz 4 Nr. 4
BPflV auch die Vorgaben der Psychiatrie-Personalverordnung eine Erhöhung
der Obergrenze zuließen. Die beiden Ausdeckelungstatbestände stünden selb-
ständig nebeneinander. Die Psychiatrie-Personalverordnung erfasse nur die
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Kosten für das therapeutische Personal und damit weder die Kosten für das
übrige Personal noch die Sachkosten.
Die Beklagten verteidigen das Berufungsurteil. Sie tragen ergänzend vor: Dass
sie in Ansehung des § 6 Abs. 1 Satz 4 Nr. 1 BPflV keinem Kontrahierungs-
zwang unterlägen, ergebe sich auch daraus, dass diese Vorschrift durch § 19
Abs. 3 BPflV ebenso wie andere Vorschriften vom Schiedsverfahren ausge-
nommen werde und diese durchweg zweifelsfrei als Kann-Vorschriften ausge-
staltet seien. Der Gesetzgeber habe damit die Position der Krankenkassen
stärken wollen. Richtig sei, dass ihr Ermessen durch das Willkürverbot begrenzt
werde. Für ihre Weigerung, höhere Fallzahlen zu vereinbaren, hätten sie aber
gute Gründe.
II
Die Revision ist unbegründet. Das angefochtene Urteil erweist sich im Ergebnis
als richtig (§ 144 Abs. 4 VwGO). Die Vorinstanzen hätten die Klage schon als
unzulässig abweisen müssen. Dem Kläger steht - allein - der Rechtsweg gegen
die behördliche Genehmigung des Schiedsspruchs offen. Dieser durch das
Krankenhausfinanzierungsgesetz vorgeschriebene Weg bietet hinlänglichen
Rechtsschutz; die zwischen den Beteiligten strittige Frage kann und muss dort
entschieden werden; § 19 Abs. 3 BPflV steht dem nicht entgegen.
1. Das Berufungsurteil ist nicht schon wegen Verstoßes gegen § 128 Satz 1
VwGO teilweise fehlerhaft, weil es in Abänderung des erstinstanzlichen Urteils
auch die gegen die Beklagte zu 1 gerichtete Klage abweist, obwohl diese Be-
klagte keine Berufung eingelegt hat. Die Beklagte zu 1 wird als durch die Be-
klagten zu 2 und 3 vertreten angesehen, weil ihre Streitgenossenschaft eine
notwendige ist (§ 64 VwGO i.V.m. § 62 Abs. 1 ZPO; ebenso VGH Mannheim,
Urteil vom 19. Juni 2001 - 9 S 2208/00 - NVwZ-RR 2002, 39). Über die Klage
kann allen Beklagten gegenüber nur einheitlich entschieden werden. Sie sind
notwendige Parteien der Pflegesatzvereinbarung (§ 18 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2
KHG). Sie können damit für das Krankenhaus des Klägers nur eine einheitliche
Pflegesatzvereinbarung schließen. Auch ein Schiedsspruch nach § 18 Abs. 4
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KHG oder die behördliche Genehmigung der Vereinbarung oder des Schieds-
spruchs nach § 18 Abs. 5 KHG kann nur allen Vertragsparteien gegenüber ein-
heitlich ergehen. Nichts anderes gilt hinsichtlich einer Vereinbarung über eine
Veränderung der Fallzahlen nach § 6 Abs. 1 Satz 4 Nr. 1 BPflV, deren Zugehö-
rigkeit zur Pflegesatzvereinbarung infolge des § 19 Abs. 3 BPflV zweifelhaft
sein mag, die mit dieser aber zumindest in unauflöslichem sachlichem Zusam-
menhang steht.
2. Die Klage ist jedoch - anders als sich aus den Gründen des Berufungsurteils
ergibt - mit beiden noch im Streit stehenden Anträgen unzulässig.
Nach § 18 Abs. 1 Satz 1 KHG werden die nach Maßgabe dieses Gesetzes für
das einzelne Krankenhaus zu verhandelnden Pflegesätze zwischen dem Kran-
kenhausträger und den Sozialleistungsträgern vereinbart. Kommt eine Verein-
barung über die Pflegesätze innerhalb einer bestimmten Frist nicht zustande, so
setzt die Schiedsstelle auf Antrag einer Vertragspartei die Pflegesätze nach
§ 18 Abs. 4 KHG unverzüglich fest. Nach § 18 Abs. 5 KHG werden die verein-
barten oder festgesetzten Pflegesätze von der zuständigen Landesbehörde
genehmigt, wenn sie den Vorschriften dieses Gesetzes und sonstigem Recht
entsprechen; gegen die Genehmigung (wie gegen deren Versagung) ist der
Verwaltungsrechtsweg gegeben. Damit legt das Gesetz den Weg des Verfah-
rens einschließlich des Rechtsschutzes fest: Die Pflegesatzvereinbarung der
Vertragsparteien bedarf ebenso wie die sie ggf. ersetzende Pflegesatzfestset-
zung der Schiedsstelle der behördlichen Genehmigung; diese unterliegt sodann
der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle. Zugleich schließt das Gesetz einen al-
ternativen Rechtsschutz aus: Den Vertragsparteien ist die unmittelbare Ver-
tragsklage untereinander - unter Umgehung der behördlichen Genehmigung -
verwehrt (zur Unzulässigkeit der Klage gegen die Schiedsstelle vgl. Urteil vom
23. November 1993 - BVerwG 3 C 47.91 - BVerwGE 94, 301 = Buchholz
451.74 § 18 KHG Nr. 3).
Das gilt nicht nur für die Vereinbarung oder Festsetzung der Pflegesätze selbst,
sondern auch für einzelne Berechnungsfaktoren, selbst wenn über sie eine ge-
sonderte Vereinbarung erforderlich ist. Auch für derartige vorgreifliche Verein-
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barungen steht kein gesondertes Verwaltungs- und Rechtsschutzverfahren of-
fen; vielmehr bilden auch sie, sofern und soweit sie in die Vereinbarung oder
Festsetzung der Pflegesätze einfließen, den Gegenstand der behördlichen Ge-
nehmigung und ggf. einer nachfolgenden gerichtlichen Kontrolle nach § 18
Abs. 5 KHG (vgl. Urteil vom 21. Januar 1993 - BVerwG 3 C 66.90 - BVerwGE
91, 363 <368 f.> = Buchholz 451.74 § 18 KHG Nr. 2 ). Diese Vorschrift
könnte ihren Zweck der Verfahrenskonzentration und -beschleunigung nicht er-
reichen, würde für den Streit um einzelne Vor- und Detailfragen ein weiteres
Verfahren eröffnet. Der Gesetzeszweck würde nicht nur verfehlt, wenn dieses
weitere Verfahren zu dem in § 18 Abs. 5 KHG vorgesehenen Verfahren hinzu-
träte, sondern auch dann, wenn einzelne Fragen dem in § 18 Abs. 5 KHG vor-
gesehenen Verfahren entzogen und einem anderen Verfahren zugewiesen
werden sollten. In beiden Fällen verlöre das gesetzliche Verfahren seine kon-
zentrierende Wirkung; die dortigen Entscheidungen blieben sachlich unvoll-
kommen und durch vorgreifliche Drittentscheidungen vorbehaltbelastet; hinzu
träte die Gefahr sich widersprechender Entscheidungen. Zudem würde sich das
Pflegesatzverfahren deutlich verzögern, was der erkennbaren Beschleuni-
gungsabsicht des Gesetzes zuwiderliefe, die in den engen Fristen des § 18
Abs. 4 und 5 KHG zum Ausdruck kommt (Urteil vom 23. November 1993 a.a.O.
).
All dies gilt auch für solche vorgreiflichen Gegenstände, für die zwischen den
Pflegesatzparteien umstritten ist, ob sie dem Vereinbarungszwang unterliegen
und/oder ob sie schiedsstellenfähig sind. Genehmigung und verwaltungsge-
richtliche Klage nach § 18 Abs. 5 KHG sind Verfahren der Rechtskontrolle; sie
dienen der Prüfung der Rechtmäßigkeit der Vereinbarung oder Festsetzung der
Pflegesätze (Urteile vom 21. Januar 1993 a.a.O. , vom
22. Juni 1995 - BVerwG 3 C 34.93 - Buchholz 451.74 § 18 KHG Nr. 5
und vom 26. September 2002 - BVerwG 3 C 49.01 - Buchholz 451.74 § 18 KHG
Nr. 10 ). Die Frage, ob ein vorgreiflicher Gegenstand dem Verein-
barungszwang unterliegt und/oder schiedsstellenfähig ist, ist ebenfalls eine
Rechtsfrage. Daher ist eine Pflegesatzvereinbarung oder -festsetzung, die des-
halb auf unvollständiger Grundlage beruht, weil eine Einigung oder eine
Schiedsstellenentscheidung über einen vorgreiflichen Gegenstand nicht getrof-
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fen wurde, obwohl hierüber eine Vereinbarung und/oder eine Schiedsstellen-
entscheidung getroffen werden musste, rechtswidrig und nicht genehmigungs-
fähig; eine gleichwohl erteilte Genehmigung ist ihrerseits rechtswidrig und muss
auf Klage hin aufgehoben werden.
Die zwischen den Beteiligten umstrittene Frage, ob der Krankenhausträger ei-
nen Anspruch auf Abschluss einer Vereinbarung über eine Veränderung der
Fallzahlen nach § 6 Abs. 1 Satz 4 Nr. 1 BPflV hat und ob und ggf. unter wel-
chen Voraussetzungen und in welchem Umfang die Veränderung der Fallzahlen
nach § 6 Abs. 1 Satz 4 Nr. 1 BPflV trotz der Bestimmung des § 19 Abs. 3 BPflV
der Zuständigkeit der Schiedsstelle unterliegt, ist eine derartige Rechtsfrage,
die im Zuge der Genehmigung der Pflegesatzvereinbarung oder -fest-setzung
von der zuständigen Landesbehörde und im Falle der Genehmigungsklage vom
Verwaltungsgericht in dem von § 18 Abs. 5 KHG vorgesehenen Verfahren zu
prüfen ist. Einer Überprüfung in einem anderen behördlichen oder gerichtlichen
Verfahren ist sie entzogen.
3. Durch die Unzulässigkeit der Direktklage und die Verweisung auf den in § 18
Abs. 5 KHG vorgesehenen Weg wird der Anspruch des Klägers auf effektiven
gerichtlichen Rechtsschutz, der sich aus Art. 19 Abs. 4 GG ergibt, nicht unzu-
mutbar verkürzt. Das wäre freilich zu besorgen, wenn § 19 Abs. 3 BPflV tat-
sächlich die Wirkung hätte, dass gerichtlicher Rechtsschutz hinsichtlich der
Anwendung des § 6 Abs. 1 Satz 4 Nr. 1 BPflV auf dem in § 18 Abs. 5 KHG vor-
gesehenen Weg nicht oder nur unzureichend zu erlangen wäre. So liegt es aber
nicht.
Der Krankenhausträger hat - ebenso wie die übrigen Vertragsparteien - einen
Anspruch auf Abschluss einer Vereinbarung nach § 6 Abs. 1 Satz 4 Nr. 1 BPflV,
wenn die Voraussetzungen dieses „Ausdeckelungstatbestandes“ gegeben sind.
Kommt eine hiernach gebotene Vereinbarung zwischen den Vertragsparteien
nicht zustande, so bedarf es eines Verfahrens, in dem die Vereinbarung ersetzt
wird. Hierfür sieht § 18 Abs. 4 KHG - allein - das Schiedsverfahren vor. Soweit
§ 19 Abs. 3 BPflV die Vereinbarung nach § 6 Abs. 1 Satz 4 Nr. 1 BPflV der Zu-
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ständigkeit der Schiedsstelle entzieht, ist die Vorschrift mit § 18 Abs. 4 und 5
KHG unvereinbar und nichtig.
a) Die Bundespflegesatzverordnung ist materiell Verordnungsrecht. Daran än-
dert nichts, dass Teile der Bundespflegesatzverordnung und auch § 19 Abs. 3
BPflV, soweit die Vorschrift hier in Rede steht, durch förmliches Gesetz erlas-
sen worden sind (vgl. Art. 5 Nr. 8 des GKV-Gesundheitsreformgesetzes 2000
vom 22. Dezember 1999, BGBl I S. 2626). Bei Widerspruch mit höherrangigem
Gesetzesrecht, insbesondere mit dem Krankenhausfinanzierungsgesetz, auf
dem sie beruht (§ 16 KHG), ist sie nichtig. Das kann auch ein Verwaltungsge-
richt - und damit das Bundesverwaltungsgericht - feststellen; eine Entscheidung
des Bundesverfassungsgerichts nach Art. 100 Abs. 1 GG kommt nicht in Be-
tracht. All dies hat das Bundesverfassungsgericht - und zwar gerade für die
Bundespflegesatzverordnung - entschieden (Beschluss vom 13. September
2005 - 2 BvF 2/03 - BVerfGE 114, 196 <233 ff., 239 f.>; vgl. zuvor bereits
BVerwG, Urteil vom 16. Januar 2003 - BVerwG 4 CN 8.01 - BVerwGE 117, 313
<317 ff.> = Buchholz 310 § 47 VwGO Nr. 160 S. 96 ff.).
b) Gemäß § 19 Abs. 3 BPflV entscheidet die Schiedsstelle nicht über die An-
wendung einer Reihe von Vorschriften der Bundespflegesatzverordnung. So-
weit diese Vorschriften fakultative Vereinbarungen (sog. Kann-Vereinbarungen)
der Pflegesatzparteien betreffen, ist dagegen nichts zu erinnern. Soweit diese
Vorschriften hingegen obligatorische Vereinbarungen (sog. Muss-Vereinbarun-
gen) betreffen, widerspricht § 19 Abs. 3 BPflV dem Verfahrens- und Rechts-
schutzkonzept des § 18 Abs. 4 und 5 KHG; insoweit ist die Vorschrift nichtig.
Die Bundespflegesatzverordnung sieht verschiedentlich vor, dass die Vertrags-
parteien von ihren Regeln abweichen dürfen. So sieht § 3 Abs. 2 Satz 3 die
jährliche Vereinbarung eines medizinisch leistungsgerechten Budgets vor; § 3
Abs. 2 Satz 4 erlaubt den Vertragsparteien aber, stattdessen das Budget des
Vorjahres mit der Veränderungsrate fortzuschreiben. Nach § 8 Abs. 1 Satz 1
sind bei nicht oder nur teilweise geförderten Krankenhäusern in dem Budget
und den Pflegesätzen zusätzlich zu den pflegesatzfähigen Kosten auch Ab-
schreibungen auf Anlagegüter nach steuerrechtlichen Vorschriften zu berück-
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sichtigen; § 8 Abs. 2 erlaubt den Vertragsparteien, pauschale Abschreibungs-
beträge zu vereinbaren. Nach § 17 Abs. 2 Satz 1 beträgt der Pflegesatzzeit-
raum grundsätzlich ein Kalenderjahr; nach § 17 Abs. 2 Satz 2 können die Ver-
tragsparteien einen Pflegesatzzeitraum von mehreren Kalenderjahren vereinba-
ren. Ob die Vertragsparteien von derartigen Abweichungsbefugnissen
Gebrauch machen, steht in ihrem Belieben; rechtlich sind sie insofern nicht ge-
bunden. Sie brauchen sich insofern auch keiner fremden Entscheidung zu un-
terwerfen. Es begegnet daher keinen Bedenken, wenn die Anwendung derarti-
ger Abweichungsbefugnisse der Entscheidung der Schiedsstelle entzogen ist.
Anders liegt es bei solchen Gegenständen, zu denen eine Vereinbarung getrof-
fen werden muss (vgl. § 17 Abs. 4 BPflV in Verbindung mit der Leistungs- und
Kalkulationsaufstellung nach den Anhängen 1 und 2 zur Bundespflegesatzver-
ordnung). Kommt eine in diesem Sinne obligatorische Vereinbarung nicht zu-
stande, so muss sie ersetzt werden, weil anders das Budget und der Pflegesatz
rechtmäßig nicht bestimmt werden können. Für diese Ersetzung sieht § 18
Abs. 4 KHG den Schiedsspruch vor; der Schiedsstelle stehen die ansonsten
den Vertragsparteien zukommenden Gestaltungsmöglichkeiten zu (Urteil vom
19. Juni 1997 - BVerwG 3 C 24.96 - BVerwGE 105, 97 <100> = Buchholz
451.73 § 28 BPflV Nr. 1 ; Urteil vom 8. September 2005 - BVerwG 3 C
41.04 - BVerwGE 124, 209 = Buchholz 451.74 § 18a KHG Nr. 3; Be-
schluss vom 6. November 2006 - BVerwG 3 B 71.06 - Buchholz 451.74 § 17
KHG Nr. 19 ). Zugleich schließt § 18 Abs. 4 und 5 KHG die denkbaren
Alternativen aus. So kommt eine Ersetzung weder durch die Landesbehörde
noch durch das Gericht in Betracht. Die Landesbehörde ist nach § 18 Abs. 5
Satz 1 KHG darauf beschränkt, die Vereinbarung der Vertragsparteien über das
Budget und die Pflegesätze zu genehmigen oder die Genehmigung zu verwei-
gern; sie hat aber nicht das Recht zur eigenen Vertragsgestaltung, also dazu,
den Inhalt einer Vereinbarung zu korrigieren oder zu ergänzen oder eine feh-
lende Vereinbarung zu ersetzen. Die Genehmigungsbehörde ist mit anderen
Worten auf eine Rechtskontrolle beschränkt; ihr steht die Ausübung eines Ge-
staltungsermessens nicht zu, wie es für die inhaltliche Vertragsgestaltung uner-
lässlich wäre (Urteile vom 21. Januar 1993 a.a.O. , vom
22. Juni 1995 a.a.O. und vom 26. September 2002 a.a.O. ).
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Nichts anderes gilt nach § 18 Abs. 5 Satz 2 KHG für das Gericht. Dieses ist auf
die Überprüfung der Genehmigungsentscheidung der Behörde und damit eben-
falls auf eine Rechtskontrolle beschränkt; die Ausübung eines richterlichen
Gestaltungsermessens (etwa nach Billigkeit), wie dies für eine richterliche Ver-
tragsgestaltung erforderlich wäre und wie es von § 315 Abs. 3 Satz 2 BGB
dementsprechend vorgesehen wird, ist ihm verwehrt (Urteile vom 23. November
1993 a.a.O. und vom 26. September 2002 a.a.O.
7>). § 18 Abs. 4 und 5 KHG steht damit einer Verordnungsbestimmung
entgegen, welche die Anwendung von Vorschriften, die obligatorische Verein-
barungen der Pflegesatzparteien betreffen, der Zuständigkeit der Schiedsstelle
entzieht.
c) § 6 Abs. 1 Satz 4 Nr. 1 BPflV betrifft eine in diesem Sinne obligatorische Ver-
einbarung der Pflegesatzparteien. § 19 Abs. 3 BPflV ist daher mit § 18 Abs. 4
und 5 KHG unvereinbar und nichtig, soweit die Vorschrift auch die Anwendung
des § 6 Abs. 1 Satz 4 Nr. 1 BPflV der Entscheidung der Schiedsstelle entzieht.
Die Schiedsstelle darf eine Festsetzung zu § 6 Abs. 1 Satz 4 Nr. 1 BPflV nicht
mit der Begründung verweigern, die in dieser Vorschrift nochmals eigens vor-
gesehene Vereinbarung sei nicht zustande gekommen.
Gemäß § 6 Abs. 1 Satz 4 Nr. 1 BPflV darf der Gesamtbetrag den um die maß-
gebliche Rate veränderten Gesamtbetrag des Vorjahres überschreiten, wenn
eine in der Pflegesatzvereinbarung zwischen den Vertragsparteien vereinbarte
Veränderung der medizinischen Leistungsstruktur oder der Fallzahlen dies er-
forderlich macht. Macht eine Veränderung der medizinischen Leistungsstruktur
oder der Fallzahlen eine Überschreitung erforderlich, so hat der Krankenhaus-
träger einen Anspruch auf Abschluss der Änderungsvereinbarung. Den Sozial-
leistungsträgern steht es nicht frei, nur eine Veränderung geringeren Ausmaßes
zu vereinbaren oder den Abschluss der Änderungsvereinbarung gänzlich zu
verweigern.
Wortlaut, systematische Stellung und Regelungsgegenstand der Vorschrift
sprechen gegen die Annahme einer freiwilligen Vereinbarung. In sämtlichen an-
deren von § 19 Abs. 3 BPflV genannten Fällen stellt schon der Wortlaut der
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jeweiligen Bestimmung klar, dass es sich um fakultative Vereinbarungen han-
delt. § 6 Abs. 1 Satz 4 Nr. 1 BPflV lässt Derartiges hingegen nicht erkennen.
Dass dies lediglich aus sprachlichen Gründen unterblieben sei, wie die Beklag-
ten meinen, ist nicht ersichtlich. Die Vorschrift unterscheidet sich auch sachlich
von den in § 19 Abs. 3 BPflV aufgezählten Kann-Vereinbarungen. Während es
dort um Abweichungsbefugnisse geht, die den Vertragsparteien Vereinfachun-
gen gegenüber der Regelberechnung gestatten, ohne dass davon das sachli-
che Ergebnis der Budget- und Pflegesatzberechnung nennenswert berührt
würde, steht hier die Obergrenze des Budgets und damit das sachliche Ergeb-
nis der Budgetberechnung gerade im Mittelpunkt. § 6 Abs. 1 Satz 4 Nr. 1 BPflV
rückt damit neben die übrigen Ausdeckelungstatbestände des § 6 Abs. 1 Satz 4
Nr. 2 bis 8 BPflV. Diese sind durchweg zwingendes Recht. Das Gesetz lässt
zwar die Erhöhung der Obergrenze nicht aus jedem Grund, sondern nur zu,
wenn einer der Tatbestände aus dem Katalog des § 6 Abs. 1 Satz 4 BPflV ge-
geben ist („darf nur“). Wenn aber einer dieser Tatbestände sachlich vorliegt, so
ist die Obergrenze zu erhöhen; ein irgendwie gearteter Ermessensspielraum
der Krankenkassen, der Erhöhung zuzustimmen oder auch nicht, besteht nicht
(Urteil vom 8. September 2005 a.a.O. ). Das ergibt sich schon daraus,
dass auch die Beachtung des Grundsatzes der Beitragssatzstabilität (vgl. § 17
Abs. 1 Satz 3, Abs. 2 Satz 2 KHG, § 6 Abs. 1 Satz 3 ff. BPflV) nicht dazu führen
darf, dass die vereinbarten tagesgleichen Pflegesätze dem Krankenhaus auch
bei wirtschaftlicher Betriebsführung nicht mehr ermöglichen, den Versorgungs-
auftrag zu erfüllen (§ 17 Abs. 2 Satz 1 KHG; vgl. Urteil vom 24. Oktober 2002
- BVerwG 3 C 38.01 - Buchholz 451.73 § 6 BPflVO Nr. 1 ).
Dass die Anwendung der Ausdeckelungstatbestände des § 6 Abs. 1 Satz 4
BPflV in diesem Sinne nicht im Belieben jeder der Vertragsparteien stehen, ist
bei den Tatbeständen der Nr. 2 bis 8 zweifelsfrei. Es ist nicht erkennbar, dass
dies bei § 6 Abs. 1 Satz 4 Nr. 1 BPflV anders sein sollte. Dieser Tatbestand
wurde - als § 6 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 BPflV - durch Art. 11 Nr. 2 Buchst. b des
2. GKV-Neuordnungsgesetzes vom 23. Juni 1997 (BGBl I S. 1520) geschaffen.
Hierbei handelte es sich fraglos um zwingendes Recht; der Tatbestand unter-
schied sich strukturell nicht von den übrigen Ausdeckelungstatbeständen (vgl.
BTDrucks 13/6087 S. 33). Namentlich fehlte noch der Einschub, dass die Ver-
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änderung der medizinischen Leistungsstruktur oder der Fallzahlen „in der Pfle-
gesatzvereinbarung zwischen den Vertragsparteien vereinbart“ werden müsse.
Diese Ergänzung erfolgte erst durch Art. 5 Nr. 1 Buchst. a des GKV-
Gesundheitsreformgesetzes 2000 vom 22. Dezember 1999 (a.a.O.). Damit soll-
te der Ausdeckelungstatbestand jedoch nicht in das Belieben jeder der Ver-
tragsparteien gestellt werden. Vielmehr wurde der prinzipielle Anspruch der
Krankenhäuser auf die Berücksichtigung einer veränderten medizinischen Leis-
tungsstruktur oder veränderter Fallzahlen aufrechterhalten. Der Gesetzgeber
wollte lediglich die Verhandlungsposition der Krankenkassen hinsichtlich der
Konsequenzen, die aus einer veränderten Leistungsstruktur oder aus veränder-
ten Fallzahlen für die Budgetobergrenze zu ziehen sind, stärken (vgl. hierzu
auch § 17 Abs. 2 Satz 2 KHG). Er glaubte, dieses Ziel dadurch erreichen zu
können, dass er diese Frage durch gleichzeitige Ergänzung des § 19 Abs. 3
BPflV der Zuständigkeit der Schiedsstelle entzog (Art. 5 Nr. 8 GKV-
Gesundheitsreformgesetz 2000). Weil die Änderung erst im Vermittlungsaus-
schuss beschlossen wurde, fehlt es insoweit an einer Entwurfsbegründung. Der
Leiter der Unterabteilung Gesundheitsversorgung im Bundesministerium für
Gesundheit hat aber erläutert, dass der Gesetzgeber den Krankenkassen „ein
stärkeres Mitspracherecht als bisher“ zuerkennen wollte, wenn Fallzahlsteige-
rungen oder Leistungsstrukturveränderungen zu Zuwächsen oberhalb der
Grundlohnrate führten. Dies bedeute aber nicht, dass der grundsätzliche An-
spruch der Krankenhäuser auf leistungsgerechte Vergütung suspendiert würde
oder dass die Krankenkassen einseitig und nach freiem Ermessen Leistungs-
strukturentwicklungen und Fallzahlentwicklungen den einzelnen Krankenhäu-
sern vorgeben könnten (Baum, f & w 2000, 118 <118 f.>). Später wurde durch
Art. 4 Nr. 3 des Beitragssicherungsgesetzes vom 23. Dezember 2002 (BGBl I
S. 4637) § 6 Abs. 1 Satz 5 BPflV angefügt, demzufolge auch die Tatbestände
nach Absatz 1 Satz 4 Gegenstand der Pflegesatzverhandlungen sind. Damit
sollte „klargestellt“ werden, dass die Krankenhäuser einen Anspruch darauf
besitzen, dass über die Ausdeckelungstatbestände auch tatsächlich verhandelt
wird. Dies betraf auch den Tatbestand der Nr. 1, auch wenn nach der Auffas-
sung der Entwurfsbegründung im Falle einer Nichteinigung eine Zuständigkeit
der Schiedsstelle insoweit nicht gegeben war (BTDrucks 15/28 S. 18).
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Die Absicht des Gesetzgebers, die Verhandlungsposition der Krankenkassen zu
stärken, indem dieser Punkt der Zuständigkeit der Schiedsstelle und damit dem
in § 18 Abs. 4 und 5 KHG vorgesehenen Verwaltungs- und Rechtsschutz-
verfahren entzogen wurde, ließ sich auf dem Verordnungswege nicht verwirkli-
chen; der Gesetzgeber hätte zugleich § 18 Abs. 4 und 5 KHG hierfür öffnen und
ggf. einen alternativen Rechtsschutz bereitstellen müssen, woran es fehlt.
Hieraus kann aber nicht der Schluss gezogen werden, die Anwendung des § 6
Abs. 1 Satz 4 Nr. 1 BPflV vollends ins Belieben der Krankenkassen zu stellen,
weil die Zuständigkeit der Schiedsstelle nur dann systemkonform hätte ausge-
schlossen werden können. Dass der Gesetzgeber so weit nicht gehen wollte,
steht außer Zweifel.
Es wäre auch sachlich kaum zu rechtfertigen. Nach § 3 Abs. 2 Satz 3 BPflV
kann das Krankenhaus darauf bestehen, zunächst das medizinisch leistungs-
gerechte Budget zu vereinbaren (und diesem erst in einem zweiten Schritt die
Obergrenze gegenüberzustellen; vgl. Urteil vom 8. September 2005 a.a.O.
); das Krankenhaus ist nicht gezwungen, sich mit dem einfacheren
Weg der bloßen Ermittlung der Obergrenze nach § 3 Abs. 2 Satz 4 BPflV zu
begnügen. Für die Ermittlung des medizinisch leistungsgerechten Budgets und
dessen Umsetzung in tagesgleiche Pflegesätze aber ist die Vereinbarung der
Leistungsmengen - darunter der Fallzahl - vorgeschrieben. § 6 Abs. 1 Satz 4
Nr. 1 BPflV ist hierfür ohne Bedeutung (Beschluss vom 6. November 2006
a.a.O. ). Dementsprechend sieht die Leistungs- und Kalkulationsauf-
stellung die Vereinbarung von Fallzahlen vor, worauf der Kläger mit Recht hin-
weist. Hinzu kommt, dass das Krankenhaus, wenn die tatsächlich erbrachte
Leistungsmenge von der vorauskalkulierten wesentlich abweicht, also den
Rahmen der normalen Fehlerquote bei der Vorauskalkulation überschreitet,
nicht in allen Fällen auf den Mehrerlösausgleich nach § 12 Abs. 2 BPflV ver-
wiesen ist, sondern nach Maßgabe des § 12 Abs. 3 Satz 2 BPflV sogar eine
Neuverhandlung des Budgets verlangen kann (Urteil vom 16. November 1995
- BVerwG 3 C 32.94 - Buchholz 451.73 § 4 BPflV Nr. 3 ; zum Mehrer-
lösausgleich noch Urteil vom 20. Dezember 2007 - BVerwG 3 C 53.06 - Buch-
holz 451.73 § 12 BPflVO Nr. 1 ). Sind aber die Vertragsparteien
gezwungen, zur Ermittlung des medizinisch leistungsgerechten Budgets Fall-
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- 17 -
zahlen zu verhandeln und zu vereinbaren, so ist nicht einzusehen, weshalb die
Krankenkassen bei der Ermittlung der Obergrenze eine Verhandlung und Ver-
einbarung über Fallzahlen mit Blick auf § 6 Abs. 1 Satz 4 Nr. 1 BPflV sollen ab-
lehnen dürfen. Hierbei kann es keinen Unterschied machen, ob die Vertrags-
parteien zunächst ein medizinisch leistungsgerechtes Budget vereinbaren und
erst anschließend die Obergrenze ermitteln oder ob sie sich nach § 3 Abs. 2
Satz 4 BPflV mit der Ermittlung der Obergrenze begnügen; auch dann kann das
Krankenhaus die Vereinbarung einer Veränderung der Fallzahlen verlangen,
wenn die Voraussetzungen des § 6 Abs. 1 Satz 4 Nr. 1 BPflV gegeben sind.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
Kley
Dr. Dette
Liebler
Prof. Dr. Rennert
Buchheister
31
Sachgebiet:
BVerwGE:
nein
Krankenhausfinanzierungsrecht
Fachpresse: nein
Rechtsquellen:
KHG
§ 18 Abs. 4 und 5
BPflV 2003 § 6 Abs. 1 Satz 4 Nr. 1, § 19 Abs. 3
Stichworte:
Krankenhausfinanzierung; Pflegesatz; Pflegesatzverhandlung; Vereinbarung
über Pflegesätze; Schiedsstelle; Schiedsstellenfähigkeit; Genehmigung des
Schiedsspruchs; Genehmigung der Schiedsstellenentscheidung; Rechtsweg;
Direktklage; Budget; Budgetobergrenze; Gesamtbetrag der Erlöse; Ausdecke-
lungstatbestand; Fallzahl; Erhöhung der Fallzahl.
Leitsätze:
Im Rechtsstreit um eine Pflegesatzvereinbarung sind mehrere Sozialleistungs-
träger notwendige Streitgenossen.
Für Rechtsstreitigkeiten um eine Pflegesatzvereinbarung und einen diesbezüg-
lichen Schiedsspruch sieht § 18 Abs. 5 KHG die Klage gegen die behördliche
Genehmigung oder deren Versagung vor. Direktklagen zwischen den Pflege-
satzparteien sind ausgeschlossen.
Soweit § 19 Abs. 3 BPflV die Vereinbarung nach § 6 Abs. 1 Satz 4 Nr. 1 BPflV
der Zuständigkeit der Schiedsstelle entzieht, ist die Vorschrift mit § 18 Abs. 4
und 5 KHG unvereinbar und nichtig.
Urteil des 3. Senats vom 26. Februar 2009 - BVerwG 3 C 8.08
- wie BVerwG 3 C 7.08 -
I. VG Stuttgart
vom 09.02.2006 - Az.: VG 4 K 3968/05 -
II. VGH Mannheim vom 17.04.2007 - Az.: VGH 9 S 1007/06 -