Urteil des BVerwG vom 14.06.2007

Anteil, Enteignung, Bemessungsgrundlage, Berechtigter

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
BVerwG 3 C 7.06
VG 5 A 265/04 MD
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 14. Juni 2007
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Kley
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht van Schewick, Dr. Dette, Liebler
und Prof. Dr. Rennert
ohne mündliche Verhandlung für Recht erkannt:
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Ver-
waltungsgerichts Magdeburg vom 12. April 2005 geändert.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.
G r ü n d e :
I
Die Klägerin begehrt die Festsetzung einer höheren Ausgleichsleistung für ein
im Zuge der Bodenreform im Herbst 1945 entschädigungslos enteignetes Gut.
Zum Zeitpunkt der Enteignung waren die Klägerin und ihre Schwester jeweils
zu 1/8, insoweit in Erbengemeinschaft nach ihrer im Juli 1945 verstorbenen
Großmutter, sowie ihre Mutter zu 6/8 Eigentümerinnen des Gutes. Die Schwes-
ter der Klägerin verstarb 1964 und wurde von der Klägerin und ihrer Mutter je
zur Hälfte beerbt. Die Klägerin wurde nach dem Tod ihrer Mutter im Jahr 1987
deren Alleinerbin, so dass im Ergebnis alle Erbanteile bei ihr zusammenfielen.
Mit Bescheid vom 12. Mai 2004 setzte das Landesverwaltungsamt Sachsen-An-
halt - Landesamt zur Regelung offener Vermögensfragen - die nach § 7
EntschG gekürzte Bemessungsgrundlage für das Gut auf 247 750 DM fest. Zur
Begründung heißt es: Die Bemessungsgrundlage für die Ausgleichsleistung
belaufe sich gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 1 EntschG auf das Dreifache des Ersatzein-
heitswertes für das Gut, sie betrage hier 1 080 000 DM. Für die nach § 7 Abs. 2
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Satz 3 EntschG vorzunehmende Kürzung sei diese Bemessungsgrundlage in
zwei Ansprüche aufzuteilen: einen Anspruch der Klägerin zu 1/8, entsprechend
ihrem eigenen Anteil als Geschädigte, und in einen weiteren Anspruch zu 7/8,
der sich aus den gemäß § 7 Abs. 2 Satz 1 EntschG zu addierenden Anteilen
der Schwester und der Mutter der Klägerin zusammensetze. Für den Anteil der
Klägerin ergebe sich nach Anwendung von § 7 Abs. 2 Satz 3 EntschG eine Ent-
schädigung in Höhe von 54 000 DM, für den aus den Anteilen ihrer Schwester
und Mutter hergeleiteten Anspruch belaufe sich die Entschädigung nach De-
gression auf 193 750 DM. Damit stehe der Klägerin - vorbehaltlich der Rückfor-
derung von Lastenausgleich - ein Gesamtanspruch von 247 750 DM zu.
Hiergegen hat die Klägerin Klage mit der Begründung erhoben, für die Degres-
sion komme es allein auf die Anteile zum Zeitpunkt der Enteignung an, dem-
entsprechend sei die Kürzung gemäß § 7 Abs. 2 Satz 3 EntschG separat für
jeden Anteil vorzunehmen. Demgegenüber bedeute die Berechnungsweise des
Beklagten eine zweifache Degression. Tatsächlich stehe ihr ein Anspruch in
Höhe von 281 500 DM zu.
Mit Urteil vom 12. April 2005 hat das Verwaltungsgericht Magdeburg den Be-
klagten unter entsprechender Aufhebung des angegriffenen Bescheides ver-
pflichtet, die gekürzte Bemessungsgrundlage auf 281 500 DM festzusetzen. Zur
Begründung wird ausgeführt: § 7 Abs. 2 Satz 1 EntschG sei nicht anwendbar.
Die dort vorgesehene Gesamtschau setze voraus, dass ein Berechtigter An-
sprüche für mehrere Vermögenswerte habe. Geschädigter Vermögenswert sei
hier aber das enteignete Gut und nicht die daran gehaltenen Anteile. Zum Zeit-
punkt des Schadenseintritts seien die Klägerin sowie ihre Mutter und ihre
Schwester Berechtigte im Sinne von § 7 Abs. 2 Satz 3 EntschG gewesen. Jeder
Anteil sei gesondert zu kürzen. Dass sich die Anteile später in der Person der
Klägerin vereinigt hätten, führe nicht zu einer teilweisen Gesamtdegression.
Mit seiner Revision macht der Beklagte geltend: Die Annahme des Verwal-
tungsgerichts, dass § 7 Abs. 2 Satz 1 EntschG hier trotz des Zusammenfallens
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der Erbanteile nicht anzuwenden sei, sei unzutreffend. Sie stehe auch im Wi-
derspruch zum Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 19. Mai 2005
- BVerwG 3 C 35.04 - (Buchholz 428.41 § 7 EntschG Nr. 3).
Die Klägerin tritt der Revision entgegen.
Die Beteiligten haben auf mündliche Verhandlung verzichtet.
II
Die Revision des Beklagten ist begründet. Die Auffassung des Verwaltungsge-
richts, im vorliegenden Fall habe keine Gesamtschau nach § 7 Abs. 2 Satz 1
EntschG zu erfolgen, steht nicht im Einklang mit Bundesrecht (§ 137 Abs. 1
Nr. 1 VwGO).
Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 AusglLeistG erhalten natürliche Personen, die Vermö-
genswerte im Sinne des § 2 Abs. 2 VermG durch entschädigungslose Enteig-
nungen auf besatzungsrechtlicher oder besatzungshoheitlicher Grundlage in
dem in Art. 3 des Einigungsvertrages genannten Gebiet (Beitrittsgebiet) verlo-
ren haben, oder ihre Erben oder weiteren Erben (Erbeserben) eine Ausgleichs-
leistung nach Maßgabe dieses Gesetzes. Die Ausgleichsleistungen sind gemäß
§ 2 Abs. 1 Satz 1 AusglLeistG - vorbehaltlich der hier nicht einschlägigen §§ 3
und 5 AusglLeistG - nach Maßgabe der §§ 1 und 9 des Entschädigungsgeset-
zes zu erbringen. Sie werden gemäß § 2 Abs. 1 Satz 2 AusglLeistG, soweit das
Ausgleichsleistungsgesetz nicht besondere Regelungen enthält, nach den §§ 1
bis 8 des Entschädigungsgesetzes bemessen und erfüllt.
Streitig ist hier, ob der Beklagte den nach § 2 Abs. 1 AusglLeistG i.V.m. § 2
Abs. 1 Nr. 4 EntschG von der Bemessungsgrundlage abzuziehenden Kür-
zungsbetrag nach § 7 EntschG zu Recht hinsichtlich der Anteile der Schwester
und der Mutter der Klägerin im Wege der sog. Gesamtschau nach § 7 Abs. 2
Satz 1 EntschG ermittelt hat oder ob - wie Klägerin und Verwaltungsgericht
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meinen - hinsichtlich jedes einzelnen Anteils eine Anteilsdegression nach § 7
Abs. 2 Satz 3 EntschG zu erfolgen hatte. Nach § 7 Abs. 2 Satz 1 EntschG ist,
wenn ein Berechtigter Ansprüche auf Entschädigung oder auf Ausgleichsleis-
tung für mehrere Vermögenswerte hat, Absatz 1 auf deren Summe anzuwen-
den. Gemäß § 7 Abs. 2 Satz 3 EntschG ist, wenn ein Vermögenswert zu ent-
schädigen ist, der zum Zeitpunkt der Entziehung mehreren Berechtigten zuge-
standen hat, Absatz 1 auf jeden Anteil gesondert anzuwenden.
1. Nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts stand das auf besat-
zungshoheitlicher Grundlage entschädigungslos enteignete Gut zum Schädi-
gungszeitpunkt zu je 1/8 im Eigentum der Klägerin und ihrer Schwester, inso-
weit als Miterbinnen ihrer im Juli 1945 verstorbenen Großmutter, sowie zu 6/8
im Eigentum ihrer Mutter. Somit liegt - bezogen auf den Zeitpunkt der Schädi-
gung - ein Fall der Anteilsdegression nach § 7 Abs. 2 Satz 3 EntschG vor.
2. Gleichwohl ist, wenn - wie hier - Anteile unmittelbar Geschädigter und damit
auch die entsprechenden Wiedergutmachungsansprüche später in der Person
eines Leistungsberechtigten zusammenfallen, - allein - § 7 Abs. 2 Satz 1
EntschG anzuwenden. Das hat der Senat mit Urteil vom 19. Mai 2005
- BVerwG 3 C 35.04 - (Buchholz 428.41 § 7 EntschG Nr. 3) bereits entschieden.
Dies gilt auch für den vorliegenden Fall.
a) Berechtigter im Sinne von § 7 Abs. 2 Satz 1 EntschG ist der Inhaber der
Wiedergutmachungsansprüche im Zeitpunkt des Inkrafttretens des Entschädi-
gungs- und Ausgleichsleistungsgesetzes am 1. Dezember 1994 (Urteil vom
19. Mai 2005 - BVerwG 3 C 19.04 - Buchholz 428.41 § 7 EntschG Nr. 2).
Berechtigte im Sinne von § 7 Abs. 2 Satz 1 EntschG war demnach die Klägerin
zum einen als durch die Enteignung unmittelbar geschädigte Miterbin ihrer
Großmutter und zum anderen als Miterbin nach ihrer 1964 verstorbenen
Schwester sowie als Alleinerbin ihrer 1987 gestorbenen Mutter; beide waren
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b) Auch im Übrigen sind hier die Voraussetzungen der Gesamtschau nach § 7
Abs. 2 Satz 1 EntschG in der Person der Klägerin erfüllt. Ihr standen am
1. Dezember 1994 mehrere Ansprüche zu.
Zwar sieht § 7 Abs. 2 Satz 1 EntschG eine Summierung der Ansprüche auf
Wiedergutmachung zum Zwecke der Degression nach § 7 Abs. 1 EntschG nur
vor, wenn ein Berechtigter Ansprüche für mehrere Vermögenswerte hat. Davon
ist hier aber unabhängig davon auszugehen, ob das enteignete Gut im Zeit-
punkt der entschädigungslosen Enteignung in Gesamthandseigentum der Klä-
gerin sowie ihrer Mutter und Schwester stand oder ob jedenfalls im Verhältnis
zum 3/4-Anteil der Mutter Bruchteilseigentum vorlag; Feststellungen dazu hat
das Verwaltungsgericht nicht getroffen.
Im Entschädigungs- und Ausgleichsleistungsrecht wird durch § 7 Abs. 2 Satz 3
EntschG im Fall einer Anteilsdegression trotz einer gesamthänderischen Zu-
ordnung des geschädigten Vermögenswertes der gesamthänderische Verbund
zum Zwecke der Berechnung von Entschädigung und Ausgleichsleistung gera-
de aufgelöst (Urteil vom 16. September 2004 - BVerwG 3 C 32.03 - Buchholz
428.41 § 7 EntschG Nr. 1). Die Mitberechtigungen an dem einen Vermögens-
wert werden wie gesonderte Vermögenswerte behandelt. Dies rechtfertigt es,
im Falle eines späteren Zusammenfallens solcher Mitberechtigungen in einer
Person auch im Rahmen von § 7 Abs. 2 Satz 1 EntschG dieselbe Fiktion
zugrunde zu legen. Wird damit in § 7 Abs. 2 Satz 3 EntschG ein in Ge-
samthandseigentum stehender Vermögenswert nach Anteilen getrennt der De-
gression unterworfen, setzt sich diese Fiktion in der Weise fort, dass es sich bei
einem späteren Zusammenfallen solcher Anteile um „Ansprüche für mehrere
Vermögenswerte“ im Sinne von § 7 Abs. 2 Satz 1 EntschG handelt. Entspre-
chendes gilt für die spätere Vereinigung mehrerer Anteile einer Bruchteilsge-
meinschaft, die in § 7 Abs. 2 Satz 3 EntschG ebenso behandelt wird.
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Diese Wertung steht im Einklang mit Sinn und Zweck der Degressionsregelung.
Den Kürzungsregelungen in § 7 Abs. 1 und 2 EntschG liegt die Annahme des
Gesetzgebers zugrunde, vermögende Personen könnten einen vergleichsweise
höheren Solidarbeitrag leisten, der auch in der Kürzung ihres Entschädigungs-
anspruches bestehen könne. Der Gesetzgeber geht davon aus, dass demjeni-
gen, dem vergleichsweise viel zustehe, am ehesten eine Kürzung zugemutet
werden könne (BTDrucks 12/4887 S. 36). Dies spricht dafür, in einem Fall wie
hier die Gesamtschauregelung und die damit verbundene stärkere Degression
anzuwenden. Der Grund für die mit der Anteilsdegression nach § 7 Abs. 2
Satz 3 EntschG verbundene Privilegierung, dass nämlich der durch den Eingriff
Betroffene nur hinsichtlich seines Anteils unmittelbar geschädigt wurde, ist bei
einem späteren Zusammenfallen mehrerer Anteile und daraus resultierender
Wiedergutmachungsansprüche in einer Person wieder entfallen.
c) Dem Urteil des Senats vom 16. September 2004 - BVerwG 3 C 32.03 -
(Buchholz 428.41 § 7 EntschG Nr. 1) ist nichts anderes zu entnehmen. Die
Passagen dieses Urteils, auf die das Verwaltungsgericht und die Klägerin ihre
Auffassung stützen wollen (a.a.O. S. 4), haben die Abgrenzung der Sätze 3
(Anteilsdegression) und 4 (Gesamtdegression) von § 7 Abs. 2 EntschG zum
Gegenstand. Sie enthalten keine Aussage zur Anwendbarkeit der Gesamtschau
nach § 7 Abs. 2 Satz 1 EntschG.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Kley van Schewick Dr. Dette
Liebler Prof. Dr. Rennert
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B e s c h l u s s
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Revisionsverfahren auf 17 256 €
festgesetzt.
Kley Liebler Prof. Dr. Rennert