Urteil des BVerwG vom 24.06.2008

Rücknahme der Klage, Verordnung, Ermessen, Strafbefehl

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 3 C 5.07
OVG 2 L 510/04
In der Verwaltungsstreitsache
- 2 -
hat der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 24. Juni 2008
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Kley
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Rennert und
Buchheister
beschlossen:
Das Verfahren wird eingestellt.
Das aufgrund mündlicher Verhandlung vom 17. August
2006 ergangene Urteil des Oberverwaltungsgerichts des
Landes Sachsen-Anhalt und das Urteil des Verwaltungs-
gerichts Magdeburg vom 19. Juli 2004 sind unwirksam.
Die Kosten des Verfahrens werden gegeneinander aufge-
hoben.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Revisions-
verfahren auf 5 000 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Nachdem die Klägerin und der Beklagte den Rechtsstreit wegen der zwischen-
zeitlichen Aufhebung der streitgegenständlichen Vorschriften der Hackfleisch-
Verordnung in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt haben, ist
das Verfahren in entsprechender Anwendung des § 92 Abs. 3 VwGO i.V.m.
§§ 141, 125 Abs. 1 VwGO einzustellen. Die vorinstanzlichen Urteile sind gemäß
§ 269 Abs. 3 ZPO i.V.m. § 173 VwGO für unwirksam zu erklären.
Über die Kosten des Verfahrens ist gemäß § 161 Abs. 2 VwGO unter Berück-
sichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes nach billigem Ermessen zu
entscheiden. In der Regel entspricht es billigem Ermessen, gemäß dem Grund-
satz des § 154 Abs. 1 VwGO dem Beteiligten die Verfahrenskosten aufzuerle-
gen, der ohne die Erledigung in dem Rechtsstreit voraussichtlich unterlegen
wäre. Der in § 161 Abs. 2 VwGO zum Ausdruck kommende Grundsatz der Pro-
zesswirtschaftlichkeit befreit jedoch nach Erledigung des Verfahrens in der
Hauptsache das Gericht von dem Gebot, anhand eingehender Erwägungen
1
2
- 3 -
abschließend über den Streitstoff zu entscheiden. Das gilt auch im vorliegenden
Fall. Zwar ist die Klägerin in den beiden Vorinstanzen mit ihrem Klagebegehren
erfolglos geblieben. Der Rechtssache kam allerdings, wie der Senat mit
Beschluss vom 7. März 2007 bereits entschieden hat, grundsätzliche Bedeu-
tung zu. In einem solchen Fall ist es nach ständiger Rechtsprechung des Bun-
desverwaltungsgerichts nicht Aufgabe der Kostenentscheidung nach § 161
Abs. 2 VwGO, die Erfolgsaussichten der Revision abschließend zu prüfen und
der Frage weiter nachzugehen, zu welcher Entscheidung das Revisionsgericht
in einem rechtlich nicht eindeutigen Streitfall ohne das erledigende Ereignis vor-
aussichtlich gekommen wäre. Es entspricht bei einer solchen Lage vielmehr
billigem Ermessen, die Kosten des gesamten Verfahrens gegeneinander auf-
zuheben (vgl. Beschluss vom 28. Oktober 1992 - BVerwG 11 C 30.92 - Buch-
holz 310 § 161 VwGO Nr. 98; Beschluss vom 28. Juni 1991 - BVerwG 1 C
15.89 - RdE 1992, 114; Beschluss vom 18. Oktober 1977 - BVerwG 6 C 54.75 -
Buchholz 310 § 161 VwGO Nr. 47).
Sonstige Aspekte, die zu einer abweichenden Kostenverteilung Anlass geben
könnten, sind nicht ersichtlich. Insbesondere besteht entgegen der Auffassung
des Beklagten kein Grund, die Erledigungserklärung der Klägerin als verdeckte
Rücknahme der Klage zu werten und ihr deshalb in Anwendung des Rechtsge-
dankens des § 155 Abs. 2 VwGO die gesamten Verfahrenskosten aufzuerlegen
(vgl. zu derartigen Fällen etwa Urteil vom 14. April 1989 - BVerwG 4 C 22.88 -
Buchholz 406.17 Bauordnungsrecht Nr. 29; Beschluss vom 18. September
1984 - BVerwG 6 B 137.84 - Buchholz 310 § 161 VwGO Nr. 63; Beschluss vom
27. September 1973 - BVerwG 2 C 12.70 - Buchholz 310 § 161 Abs. 2 VwGO
Nr. 41). Von einer Erledigungserklärung als verdeckter Klagerücknahme kann
nur dann die Rede sein, wenn ein Kläger die Rechtsverfolgung aufgibt, obwohl
der Rechtsstreit in Wirklichkeit noch nicht erledigt ist (oder er die Erledigung
selbst herbeigeführt hat), um auf diese Weise die Kostenfolge einer Klagerück-
nahme zu umgehen. So liegt der Fall indes nicht. Zwischen den Beteiligten war
die Frage streitig, ob die Klägerin als nach der Fleischhygiene-Verordnung zu-
gelassener Betrieb, der Fleischerzeugnisse herstellt und vertreibt, auch den
Vorschriften der Hackfleisch-Verordnung, namentlich dem Verbot des § 2
Abs. 1 der Verordnung, unterfällt. Konkreter Anlass des Streits war die Bean-
3
- 4 -
standung eines von der Klägerin vertriebenen Produkts und ein deshalb gegen
ihren Betriebsleiter ergangener Strafbefehl. Nachdem die Hackfleisch-
Verordnung aufgehoben worden ist, besteht kein berechtigtes Interesse der
Klägerin mehr an einer Klärung der strittigen Frage. Das gilt auch mit Blick auf
den vom Berufungsgericht als Grund für ein Feststellungsinteresse genomme-
nen Umstand, dass der Strafbefehl gegen den Betriebsleiter der Klägerin noch
nicht rechtskräftig ist, sondern das Strafverfahren bis zur Klärung der verwal-
tungsrechtlichen (Vor-)Frage ausgesetzt worden ist. Infolge der Rechtsände-
rung dürfte die Frage der Anwendbarkeit der Hackfleisch-Verordnung auf den
Betrieb der Klägerin wegen § 2 Abs. 3 StGB auch für jenes Strafverfahren keine
Bedeutung mehr haben.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3, § 52 Abs. 2
GKG.
Kley Prof. Dr. Rennert Buchheister
4