Urteil des BVerwG vom 24.02.2005

Genehmigung, Inverkehrbringen, Europäisches Gemeinschaftsrecht, Hefe

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
BVerwG 3 C 5.04
Verkündet
VG 4 K 1287/97
am 24. Februar 2005
Schöbel
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 24. Februar 2005
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht
Prof. Dr. D r i e h a u s sowie die Richter am Bundesverwaltungsgericht
van S c h e w i c k , Dr. D e t t e , L i e b l e r und Prof. Dr. R e n n e r t
für Recht erkannt:
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Das Urteil des Verwaltungsgerichts Frankfurt (Oder) vom
1. Dezember 2003 wird geändert. Der Beklagte wird unter Auf-
hebung seines Bescheides vom 2. Juni 1997 verpflichtet, der
Klägerin eine Genehmigung für das Herstellen ihres Getränks
"Schwarzer Abt" und dessen Inverkehrbringen als Bier zu ertei-
len.
Der Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
G r ü n d e :
I.
Die Klägerin braut unter Verwendung von Gerstenmalz, Hopfen, Hefe und Wasser
ein untergäriges Schwarzbier, dem sie nach erfolgter Filtrierung Invertzuckersirup
zusetzt. Ihren Antrag, ihr die Herstellung dieses Getränks und sein Inverkehrbringen
als Bier zu genehmigen, lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 2. Juni 1997 ab. Als
Bier dürften untergärige Getränke nur in den Verkehr gebracht werden, wenn sie
- gemäß dem deutschen Reinheitsgebot - ausschließlich aus Gerstenmalz, Wasser,
Hopfen und Hefe hergestellt seien. Während des nachfolgenden Rechtsstreits ge-
nehmigte der Beklagte die Herstellung des Getränks für den Export.
Mit ihrer Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Zur Begründung hat sie gel-
tend gemacht: Das Gesetz sehe Abweichungen vom Reinheitsgebot vor, wenn dem
Bier weitere Stoffe lediglich aus geschmacklichen Gründen zugesetzt würden. So
liege es hier: Sie verwende den Invertzuckersirup nicht als Malzersatzstoff, sondern
setze ihn nach der Filtrierung nur aus geschmacklichen Gründen zu. Damit stelle ihr
Getränk ein "besonderes Bier" dar, weshalb ihr die begehrte Genehmigung zustehe.
Sie werde hierfür auch zur Biersteuer veranlagt. Es widerspreche aber dem Gebot
der Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung, dasselbe Getränk steuerlich als Bier zu
behandeln, diese Bezeichnung lebensmittelrechtlich aber zu verbieten. Auch sei mit
ihrem Grundrecht der Berufsfreiheit und mit dem allgemeinen Gleichbehandlungsge-
bot unvereinbar, dass gleichartige Getränke, die in einem anderen Mitgliedstaat der
Europäischen Gemeinschaft hergestellt würden, in Deutschland unter der Bezeich-
nung "Bier" in den Verkehr gebracht werden dürften, ihr Getränk hingegen nicht.
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Mit Urteil vom 1. Dezember 2003 hat das Verwaltungsgericht Frankfurt (Oder) die
Klage abgewiesen. Dem Genehmigungsbegehren stehe entgegen, dass das von der
Klägerin hergestellte Getränk nicht dem deutschen Reinheitsgebot entspreche, weil
ihm Zuckersirup zugesetzt werde. Es handele sich auch nicht um ein "besonderes
Bier", dessen Herstellung ausnahmsweise erlaubt werden könne. Der von der Kläge-
rin verwendete Zuckersirup sei ein typischer Malzersatzstoff, der nicht nur den Ge-
schmack verändere, sondern auch den Stammwürzegehalt des Getränks beeinflus-
se, selbst wenn er erst nach Abschluss des Gärprozesses zugesetzt werde. Aber
selbst wenn das Getränk als "besonderes Bier" anzusehen sein sollte, dürfe es
gleichwohl nicht unter der Bezeichnung "Bier" in Verkehr gebracht werden. Die im
Gesetz vorgesehene Ausnahmegenehmigung diene nicht zur Aufweichung des
Reinheitsgebots, sondern im Gegenteil gerade zu dessen Durchsetzung, insofern sie
- abgesehen von den erwähnten Bierspezialitäten - nur die Herstellung von Bier zu
wissenschaftlichen Zwecken oder für Zwecke der Ausfuhr betreffe. All diese Aus-
nahmefälle erforderten keine Abweichung von dem Grundsatz, die Bezeichnung
"Bier" im innerdeutschen Verkehr nur Getränken vorzubehalten, die dem Reinheits-
gebot entsprächen. Das Grundrecht der Berufsfreiheit erzwinge kein der Klägerin
günstigeres Ergebnis. Europäisches Gemeinschaftsrecht schließlich stehe der
Schlechterstellung von Inländern gegenüber EG-Ausländern nicht entgegen.
Gegen dieses Urteil richtet sich die vom Verwaltungsgericht zugelassene Sprungre-
vision der Klägerin. Sie wiederholt und vertieft ihren Klagevortrag.
Der Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil. Die Voraussetzungen zur Erteilung
einer Genehmigung als "besonderes Bier" lägen nicht vor. Die Genehmigung berech-
tige im Übrigen nur zur Herstellung, nicht aber dazu, das Getränk auch unter der Be-
zeichnung "Bier" in Verkehr zu bringen. Die Vermarktung unter anderer Bezeichnung
sei hingegen nicht verboten. Dadurch werde die Berufsfreiheit der Klägerin nicht ver-
letzt. Die gesetzliche Regelung diene dem Zweck, die Verkehrserwartung für in
Deutschland unter der Bezeichnung "Bier" hergestellte Erzeugnisse zu erfüllen.
Der Vertreter des Bundesinteresses beteiligt sich nicht am Verfahren.
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II.
Die Revision ist begründet. Der Klägerin steht ein Anspruch auf die begehrte Ge-
nehmigung sowohl für das Herstellen ihres Getränks (1.) als auch für dessen Inver-
kehrbringen als Bier (2.) zu.
1. Nach § 9 Abs. 1 des Vorläufigen Biergesetzes (VorlBierG) vom 21. Dezember
1992 (Art. 1 § 27 des Verbrauchsteuer-Binnenmarktgesetzes, BGBl I S. 2150) in der
Fassung der Bekanntmachung vom 29. Juli 1992 (BGBl I S. 1399), zuletzt geändert
durch Art. 109 der Verordnung vom 29. Oktober 2001 (BGBl I S. 2785, 2806), darf
zur Bereitung von untergärigem Bier, abgesehen von den Vorschriften in den Absät-
zen 4 bis 6, nur Gerstenmalz, Hopfen, Hefe und Wasser verwendet werden. Nach
§ 9 Abs. 7 VorlBierG kann auf Antrag im einzelnen Fall zugelassen werden, dass bei
der Bereitung von besonderen Bieren von Absatz 1 abgewichen wird. Der Klägerin
steht ein Anspruch auf eine derartige Genehmigung zu.
a) § 9 VorlBierG ist anwendbar. Das umstrittene Getränk ist Bier; und das Zusetzen
von Invertzuckersirup gehört noch zur "Bereitung" des Bieres.
Was Bier ist, wird vom Gesetz nicht definiert, sondern vorausgesetzt (ebenso BFH,
Urteil vom 3. Juli 1984 - VII R 85/83 - BFHE 141, 385 <386 f.>). Dabei stellt § 9
VorlBierG auf den Gattungsbegriff ab. Bier ist hiernach ein unter Verwendung von
Hefe gegorenes Getränk im Wesentlichen aus Wasser, Hopfen und Malz oder
pflanzlichen Malzersatzstoffen, das nach Aussehen, Geruch und Geschmack von der
Verkehrsanschauung als Bier angesehen wird (vgl. RGSt 21, 346 <350 f.>; RFH,
Urteil vom 18. September 1929 - IV A 175/29 - RZollBl 1930, 78). Wird Bier nicht
nach § 9 VorlBierG hergestellt, so ist es vorschriftswidrig, aber gleichwohl Bier. Ins-
besondere verliert ein unter Beachtung des Reinheitsgebots hergestelltes Getränk
nicht dadurch seine Eigenschaft als Bier, dass ihm nachträglich weitere Stoffe zuge-
setzt werden (BFH, Urteil vom 3. Juli 1984, a.a.O. <388>).
Der Begriff der "Bereitung" umfasst jedenfalls das Herstellen. Ob darüber hinaus
auch die Behandlung des Bieres, also insbesondere das Abfüllen und Lagern (vgl.
§ 7 Abs. 1 LMBG), in der Brauerei selbst oder obendrein außerhalb der Brauerei
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- beim Bierverleger, Wirt oder dergleichen - umfasst ist, wie § 16 DVO-VorlBierG
(i.d.F. vom 29. Juli 1993, BGBl I S. 1422, zuletzt geändert durch Art. 2 VO vom
8. Dezember 2000, BGBl I S. 1686) bestimmt, kann offen bleiben (einschränkend
BFH, Gutachten vom 23. Februar 1955 - V z D 4/54 S - BFHE 60, 220 <225>). Der
Vorgang des Herstellens ist erst abgeschlossen, wenn das vom Hersteller gewollte
Endprodukt fertiggestellt ist, so dass es ohne besondere weitere Maßnahmen an den
Verbraucher abgegeben werden kann (Zipfel/Rathke, Lebensmittelrecht, Stand No-
vember 2002, Rn. 5 zu § 7 LMBG). Das Zusetzen von Invertzuckersirup gehört damit
noch zum Herstellen, auch wenn es erst nach der Filtrierung geschieht.
b) Das Herstellen von untergärigem Bier unter Verwendung von Invertzuckersirup ist
nach § 9 Abs. 1 VorlBierG grundsätzlich unzulässig. Hiernach darf zur Bereitung von
untergärigem Bier, abgesehen von den - hier nicht einschlägigen - Vorschriften in
den Absätzen 4 bis 6, nur Gerstenmalz, Hopfen, Hefe und Wasser verwendet wer-
den. Nach § 9 Abs. 2 VorlBierG unterliegt die Bereitung von obergärigem Bier der-
selben Vorschrift; es ist hierbei jedoch auch die Verwendung von anderem Malz und
von technisch reinem Rohr-, Rüben- oder Invertzucker sowie von Stärkezucker und
aus Zucker der bezeichneten Art hergestellten Farbmitteln zulässig. Diese Bestim-
mungen unterwerfen das Herstellen von Bier dem sogenannten deutschen Rein-
heitsgebot, das seit 1516 in Bayern gilt und seit Ende des 19. Jahrhunderts auch in
Baden (1896) und in Württemberg (1900) anerkannt ist, ins Reichsrecht allerdings
erst 1906 aufgenommen wurde (Gesetz wegen Änderung des Brausteuergesetzes
vom 3. Juni 1906, RGBl S. 622) und im Beitrittsgebiet erst seit dem 1. Januar 1993
wieder gilt (vgl. Kapitel IV Sachgebiet B Abschnitt III Nr. 3, Kapitel X Sachgebiet E
Abschnitt III Nr. 1 der Anlage I zum Einigungsvertrag vom 31. August 1990, BGBl II
S. 889).
Ob dieses Reinheitsgebot verfassungsrechtlich zu rechtfertigen ist, ist umstritten. Es
stellt eine Berufsausübungsregelung dar und schränkt damit das Grundrecht des
Bierbrauers aus Art. 12 Abs. 1 GG ein. Seinen rechtfertigenden Grund findet es nicht
in den Belangen des Gesundheitsschutzes, sondern allein in der Pflege einer kultu-
rellen Tradition - der deutschen Braukunst - und der Gewährleistung eines bestimm-
ten Produktniveaus. Die Klägerin bestreitet, dass dies legitime Gemeinwohlzwecke
sind, die überhaupt eine derartige Berufsausübungsregelung tragen können. Auch
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wenn demgegenüber die Befugnis des Gesetzgebers betont wird, Gemeinwohlzwe-
cke zu definieren, so erscheint doch als zweifelhaft, ob die Einschränkung der Be-
rufsfreiheit zur Erreichung dieser Gesetzeszwecke erforderlich und angemessen ist.
Die Pflege der kulturellen Tradition und die Gewährleistung eines bestimmten Pro-
duktniveaus erfordern es nicht, alle Abweichungen vom Reinheitsgebot zu verbieten,
als handele es sich dann zwangsläufig um minderwertiges, trügerisches (gepansch-
tes) oder gar gefährliches Bier. Es genügen vielmehr Regelungen, die eine Fortset-
zung der deutschen Brautradition auf anderem Wege sicherstellen, etwa privilegie-
rende Bestimmungen des Kennzeichnungsrechts (vgl. unten 2.) oder auch Regelun-
gen über die Ausbildung zum Braumeister.
Der vorliegende Fall erfordert nicht, zu den aufgezeigten verfassungsrechtlichen Be-
denken abschließend Stellung zu nehmen. Mit Art. 12 Abs. 1 GG unvereinbar wäre
es jedenfalls, die Herstellung von Bier dem Reinheitsgebot ausnahmslos zu unter-
werfen; zu rechtfertigen ist die Geltung des Reinheitsgebots vielmehr allenfalls als
Regel, die begründeten Ausnahmen zugänglich ist. § 9 VorlBierG genügt diesen An-
forderungen, weil er in Absatz 7 die Möglichkeit von Ausnahmen vorsieht. Allerdings
muss die Auslegung und Anwendung dieser Vorschrift von den beschriebenen ver-
fassungsrechtlichen Anforderungen geleitet sein. Das verlangt eine großzügige
Handhabung.
c) Nach § 9 Abs. 7 VorlBierG kann auf Antrag im einzelnen Fall zugelassen werden,
dass bei der Bereitung von besonderen Bieren - sowie von Bier, das zur Ausfuhr
oder zu wissenschaftlichen Versuchen bestimmt ist - von den Absätzen 1 und 2 ab-
gewichen wird. "Besondere Biere" sind sogenannte Bierspezialitäten, also Biere, bei
denen durch Verwendung zusätzlicher Stoffe besondere Geschmackseffekte erzielt
werden. In der Entwurfsbegründung heißt es: "Die ... Ausnahmebestimmung soll,
soweit sie sich auf die Bereitung 'besonderer Biere' bezieht, die fernere Herstellung
sogenannter Spezialitäten ermöglichen, bei der neben den in Abs. 1 (heute: in den
Absätzen 1 bis 6) genannten Stoffen die Mitverwendung gewisser anderer Stoffe
notwendig ist, die indes zum Ersatze von Malz und Hopfen nicht geeignet und be-
stimmt sind, sondern diesen Bieren nur hinsichtlich ihres Geschmacks usw. den
Charakter besonders gearteter Biere verleihen." (Reichstag, 11. Legislaturperiode,
II. Session 1905/06, Drucksache Nr. 10 Anlage 1 Seite 22). Die Vorschrift gestattet
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damit keine Abweichung in den Grundstoffen der Bierbereitung, sondern nur die
Verwendung zusätzlicher Stoffe aus allein geschmacklichen Gründen. Gedacht war
vor allem an Biere mit Gewürzzusätzen (sog. Maibiere mit Maikräuterauszug oder
sog. Brohain mit Anis, Nelken, Zimt usw.), auch an Joghurtbiere usw. (vgl. Zapf/
Siegert, BierStG, 4. Aufl. 1959, Anm. 28 zu § 9 BierStG; Hieronimi, Getränkegesetze,
1952, Anm. 7.a zu § 9 BierStG).
Das vom Kläger hergestellte Getränk ist ein besonderes Bier im Sinne dieser Vor-
schrift. Nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts wird es unter ausschließli-
cher Verwendung von Wasser, Hefe, Gerstenmalz und Hopfen gebraut; erst nach
der Filtrierung wird ihm Invertzuckersirup zugesetzt, womit die Klägerin vornehmlich
geschmackliche Effekte erzielen möchte. Dann aber dient der Zucker nicht als Malz-
ersatzstoff, sondern wird nur aus geschmacklichen Gründen zugesetzt. Es ist uner-
heblich, ob der Invertzuckersirup auch als Malzersatzstoff geeignet wäre, solange er
nicht nach der Art seiner konkreten Verwendung hierzu auch bestimmt ist. Ebenso ist
unschädlich, wenn der Zucker den Stammwürzegehalt oder auch die Nachgärei-
genschaften des Bieres beeinflusst.
d) Die Klägerin hat einen Anspruch auf Erteilung der Genehmigung. § 9 Abs. 7
VorlBierG räumt dem Beklagten zwar Ermessen ein. Aus Art. 12 Abs. 1 GG ergibt
sich aber, dass die Genehmigung erteilt werden muss, sofern kein Missbrauch droht
oder andere überwiegende Gemeinwohlgründe entgegenstehen. Solche Gründe hat
der Beklagte im Verfahren nicht geltend gemacht; sie sind auch nicht ersichtlich. Es
versteht sich von selbst, dass als Versagungsgrund nicht wiederum die Durchset-
zung des Reinheitsgebots in Betracht kommt.
2. Die Klage ist auch insoweit begründet, als die Klägerin eine Genehmigung
zugleich für das Inverkehrbringen ihres Getränks als Bier begehrt.
Unter welchen Voraussetzungen ein Getränk unter der Verkehrsbezeichnung "Bier"
in den Verkehr gebracht werden darf, regelt § 1 der Bierverordnung vom 2. Juli 1990
(BGBl I S. 1332), zuletzt geändert durch Art. 17 der Verordnung zur Neuordnung le-
bensmittelrechtlicher Vorschriften über Zusatzstoffe vom 29. Januar 1998 (BGBl I
S. 230, 298). Hiernach dürfen unter der Bezeichnung Bier - allein oder in Zusam-
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mensetzung - oder unter Bezeichnungen oder bildlichen Darstellungen, die den An-
schein erwecken, als ob es sich um Bier handelt, gewerbsmäßig nur Getränke in
den Verkehr gebracht werden, die gegoren sind und den Vorschriften des § 9 Abs. 1,
2 und 4 bis 6 VorlBierG und den §§ 16 bis 19, § 20 und §§ 21 und 22 Abs. 1
DVO-VorlBierG entsprechen. § 9 Abs. 7 VorlBierG ist nicht genannt. Daraus zieht
das Verwaltungsgericht den Schluss, auch besondere Biere, die mit einer entspre-
chenden Genehmigung in Abweichung von den generellen Regeln des Reinheitsge-
bots hergestellt würden, dürften gleichwohl nicht unter der Verkehrsbezeichnung
"Bier" in den Verkehr gebracht werden. Diese Auslegung haftet zu sehr am Wortlaut.
Sie lässt die Entstehungsgeschichte der Vorschrift außer Acht und wird auch deren
Sinn und Zweck nicht gerecht. Vor allem begegnet sie durchgreifenden verfassungs-
rechtlichen Bedenken. Geboten ist vielmehr, die Ausnahmeermächtigung des § 9
Abs. 7 VorlBierG auch auf das Inverkehrbringen als Bier zu erstrecken.
a) Dass § 9 Abs. 7 VorlBierG in § 1 Abs. 1 BierVO nicht ebenfalls genannt wird, be-
ruht auf einem Redaktionsversehen.
§ 1 Abs. 1 BierVO geht zurück auf § 10 Abs. 1 (ursprünglich § 14 Abs. 1) des
Biersteuergesetzes - BierStG - vom 26. Juli 1918 (RGBl S. 863) in der Fassung der
Bekanntmachung vom 15. April 1986 (BGBl I S. 527). Die Vorschrift stand dort in
unmittelbarer Nachbarschaft zu § 9 (ursprünglich § 13) BierStG, dem Vorläufer des
bereits erwähnten § 9 VorlBierG. §§ 9 und 10 (bzw. 13 und 14) BierStG wiederum
gingen zurück auf § 1 des Brausteuergesetzes vom 31. Mai 1872 (RGBl S. 153).
Dabei ist der Vorläufer von § 9 BierStG älter als der Vorläufer von § 10 BierStG: In
§ 1 des Brausteuergesetzes wurde durch Gesetz vom 3. Juni 1906 (RGBl S. 622)
zunächst (als Absatz 1) das Reinheitsgebot sowie (als Absatz 2) die Ermächtigung
zur Erteilung von Ausnahmegestattungen für besondere Biere aufgenommen. Erst
mit Gesetz vom 15. Juli 1909 (RGBl S. 773) folgte dann (als Absatz 4) die Schutz-
vorschrift für die Verkehrsbezeichnung "Bier". Hiernach durften unter der Bezeich-
nung Bier - allein oder in Zusammensetzung - nur solche Getränke in den Verkehr
gebracht werden, die gegoren sind und den Vorschriften der Abs. 1 und 2 entspre-
chen. Mithin war die Bezeichnung "Bier" auch für besondere Biere zulässig, die nach
§ 1 Abs. 2 BrauStG nur ausnahmsweise hergestellt werden durften.
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Die Bestimmungen des § 1 BrauStG wurden bei Erlass des Biersteuergesetzes auf
zwei Paragraphen aufgeteilt: § 13 BierStG 1918 enthielt die Vorschriften über das
Herstellen, § 14 BierStG 1918 diejenigen über das Inverkehrbringen. Die Ermächti-
gung zur Erteilung von Ausnahmegenehmigungen für die Herstellung besonderer
Biere blieb als § 13 Abs. 5 erhalten. Allerdings wurde sie von der Vorschrift über das
Inverkehrbringen (§ 14 Abs. 1) nicht mehr in Bezug genommen. Das beruht offen-
kundig auf einem Redaktionsversehen. Die Entwurfsbegründung zu § 13 teilt jeden-
falls mit, dass "die bewährten Grundsätze des geltenden Brausteuergesetzes" bei-
behalten werden sollten (vgl. RT-Verhandlungen, 13. Legislaturperiode 1914/18,
Bd. 324, Anlage Nr. 1455, S. 26), und bei der Neufassung des § 14 stand im Vor-
dergrund, nicht nur die Verwendung des Wortes Bier - allein oder in Zusammenset-
zung -, sondern auch sinngleiche Bezeichnungen sowie bildliche Darstellungen zu
schützen (ebd. S. 27). Dass und weshalb "besondere Biere" künftig nicht mehr als
"Bier" bezeichnet werden dürften, sagt die Entwurfsbegründung nicht. Das wäre an-
gesichts der großen Ausführlichkeit der Begründung aber zu erwarten gewesen, hät-
te eine dahingehende Absicht bestanden. Dementsprechend ging die nachfolgende
Kommentierung ohne weitere Problematisierung davon aus, dass den Getränken, die
den allgemeinen Vorschriften des Reinheitsgebots entsprechen, die besonderen
Biere gleichzustellen sind, für deren Bereitung Abweichungen gestattet sind (Zapf/
Siegert, Biersteuergesetz, 4. Aufl. 1959, Anm. 1 zu § 10).
b) Auch mit Sinn und Zweck des Gesetzes ist es nicht vereinbar, die Verwendung der
Bezeichnung "Bier" für besondere Biere im Sinne von § 9 Abs. 7 VorlBierG aus-
zuschließen.
§ 1 Abs. 1 BierVO wurde auf der Grundlage von § 19 Nr. 4 Buchstabe a des Le-
bensmittel- und Bedarfsgegenständegesetzes vom 15. August 1974 (BGBl I S. 1945)
erlassen. Hiernach ist das Bundesministerium ermächtigt, durch Rechtsverordnung,
soweit es zum Schutz des Verbrauchers vor Täuschung erforderlich ist, vorzuschrei-
ben, dass Lebensmittel unter bestimmten Bezeichnungen nur in den Verkehr ge-
bracht werden dürfen, wenn sie bestimmten Anforderungen an die Herstellung, Zu-
sammensetzung oder Beschaffenheit entsprechen. § 1 Abs. 1 BierVO dient mithin
dem Schutz des Verbrauchers vor Täuschung. Mit diesem Zweck ist es nicht verein-
bar, § 1 Abs. 1 BierVO so auszulegen, dass ein Getränk, das der Gattung nach Bier
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ist und dessen Herstellung als "besonderes Bier" ausdrücklich zugelassen wurde, nur
unter einer Verkehrsbezeichnung in den Verkehr gebracht werden darf, die die
Eigenschaft, Bier zu sein, leugnet.
Allerdings bezweckt § 1 Abs. 1 BierVO nicht den Schutz der Gattungsbezeichnung
Bier, sondern den Schutz einer engeren, spezifischen Bezeichnung, die zugleich die
Einhaltung des Reinheitsgebots bekundet. Es stellt ein legitimes Ziel dar, den Ver-
braucher darüber zu informieren, ob ein Bier unter Einhaltung des Reinheitsgebots
hergestellt wurde oder nicht. Hierzu dürfte aber die Bezeichnung "Bier" nur dann den
unter Einhaltung des Reinheitsgebots hergestellten Bieren vorbehalten werden, wenn
die Verkehrsauffassung auch nur diese Biere als Bier ansähe (§ 19 Abs. 1 Nr. 4
Buchstabe a LMBG). Das ist aber nicht der Fall. Der Verbraucher sieht als "Bier"
auch die unter Abweichung vom Reinheitsgebot hergestellten Biere an. Das lässt
sich schon daraus ersehen, dass auf dem deutschen Markt auch derartige Biere als
"Bier" angeboten werden (vgl. § 1 Abs. 2 BierVO). Das genannte Ziel lässt sich daher
nur durch Zusätze zur Verkehrsbezeichnung "Bier" erreichen, sei es dass nach dem
Reinheitsgebot hergestellte Biere hierauf hinweisen dürfen, sei es dass andere Biere
entsprechend gekennzeichnet werden müssen (vgl. § 19 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b
LMBG, auf den die Bierverordnung ebenfalls gestützt ist).
Dem entspricht auch die Entwicklung des Kennzeichnungsrechts. Schon § 1 Abs. 4
des Brausteuergesetzes vom 15. Juli 1909 schrieb vor, dass Bier, zu dessen Herstel-
lung außer den vier Grundstoffen auch Zucker verwendet worden ist - was bei ober-
gärigem Bier allgemein zulässig war und ist -, nur in Verkehr gebracht werden durfte,
wenn die Verwendung von Zucker in einer dem Verbraucher erkennbaren Weise
kundgemacht wird. Diese Bestimmung galt im Wesentlichen unverändert bis zum
Erlass der Bierverordnung vom 2. Juli 1990 (vgl. § 10 Abs. 1 Satz 3 BierStG i.d.F.
der Bekanntmachung vom 15. April 1986, BGBl I S. 527). Die Bierverordnung erlaub-
te die Verkehrsbezeichnung "Bier" nunmehr auch für importierte Biere, verlangte
aber wiederum die Kennzeichnung, wenn diese unter Abweichung vom Reinheitsge-
bot hergestellt wurden (§ 2 BierVO). Durch die Verordnung vom 7. Dezember 1994
(BGBl I S. 3743) und insbesondere die Zusatzstoff-Zulassungsverordnung - ZZulV -
vom 29. Januar 1998 (BGBl I S. 230) wurde schließlich die Pflicht zur Kennzeichnung
von Zusatzstoffen bei Bier in das allgemeine Zusatzstoffrecht eingegliedert. Dabei
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wurde zugleich das Kennzeichnungsrecht für Bier grundlegend verändert. Von der
allgemeinen Verkehrsbezeichnung "Bier" unterscheidet der Verordnungsgeber
nunmehr die besondere Bezeichnung "nach dem deutschen Reinheitsgebot gebraut"
(§ 3 Abs. 2, § 4 Abs. 2, § 5 Abs. 3 ZZulV). Damit sieht er die Bezeichnung "Bier" nur
noch als Gattungsbezeichnung an, die als solche keine Information mehr über die
Einhaltung des Reinheitsgebots enthält; diese erfolgt vielmehr über eine zusätzliche
Kennzeichnung, die derart hergestellten Bieren - privilegierend - vorbehalten ist.
c) Die Verkehrsbezeichnung "Bier" legal hergestellten besonderen Bieren zu verweh-
ren, lässt sich - jedenfalls bei dem heute erreichten Stand des Lebensmittelrechts -
auch verfassungsrechtlich nicht länger rechtfertigen. Das Kennzeichnungsrecht stellt
eine Berufsausübungsregelung dar, die sich an Art. 12 Abs. 1 GG messen lassen
muss. Der Schutz des Verbrauchers vor Täuschung, den das Kennzeichnungsrecht
bezweckt (§ 19 Abs. 1 Nr. 4 LMBG), ist ein legitimes Gemeinwohlinteresse. Es stellt
aber kein hierzu geeignetes Mittel dar, die Verkehrsbezeichnung "Bier" legal herge-
stellten besonderen Bieren zu verwehren und sie auf eine andere Verkehrsbezeich-
nung zu verweisen, die jede sachliche Nähe zu Bier vermeidet; wie gezeigt, wird ge-
rade hierdurch die Gefahr einer Täuschung des Verbrauchers begründet. Zudem
wäre eine derartige Regelung nicht erforderlich; eine Kennzeichnung durch zusätzli-
che Angaben ist ein milderes Mittel, das jedenfalls gleich, wenn nicht sogar besser
geeignet ist, um eine Täuschung des Verbrauchers zu vermeiden. Das zeigt die Zu-
lässigkeit der Bezeichnung "Bier" als Gattungsbezeichnung für importierte Biere
ebenso wie für unter Verwendung von Zusatzstoffen hergestellte Biere, die jeweils
nicht dem Reinheitsgebot entsprechen (müssen), ohne dass damit eine Täuschung
des Verbrauchers einherginge.
d) Aus all dem folgt, dass besondere Biere, deren Herstellung nach § 9 Abs. 7
VorlBierG genehmigt wird, auch unter der Verkehrsbezeichnung "Bier" in den Ver-
kehr gebracht werden dürfen. Das kann aber nicht als bloße zwingende gesetzliche
Folge der Herstellungserlaubnis angesehen werden. Vielmehr betrifft die Entschei-
dung über die Erteilung einer Genehmigung nach § 9 Abs. 7 VorlBierG nicht nur das
Herstellen, sondern auch das Inverkehrbringen als Bier. Darum dürfte die zuständige
Behörde die Genehmigung (nur) des Inverkehrbringens als Bier nicht versagen. Sie
ist aber ermächtigt, durch Nebenbestimmungen zur Erlaubnis sicherzustellen, dass
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jede Täuschung beim Inverkehrbringen unterbleibt. Wird dem Hersteller eines be-
sonderen Bieres auf diesem Wege eine besondere Kennzeichnung auferlegt, so darf
dies keine negative Einschätzung des Produkts zur Folge haben (vgl. EuGH, Urteil
vom 12. März 1987 - Rs. 178/84, Bier II - Slg. I-1262 ) und muss auch in-
nerhalb der gegenwärtigen Handhabung des Kennzeichnungsrechts bei Bier den
Gleichbehandlungsgrundsatz wahren.
Prof. Dr. Driehaus van Schewick Dr. Dette
Liebler Prof. Dr. Rennert
B e s c h l u s s
Der Wert des Gegenstandes wird für das Revisionsverfahren auf 300 000 € festge-
setzt.
Prof. Dr. Driehaus van Schewick Dr. Dette
Liebler Prof. Dr. Rennert
Sachgebiet:
BVerwGE:
ja
Lebensmittelrecht
Fachpresse: ja
Rechtsquellen:
VorlBierG § 9
BierVO
§ 1
Stichworte:
Bier; Herstellen von Bier; Bereitung von Bier; Inverkehrbringen von Bier; Bezeich-
nung; Kennzeichnung; Reinheitsgebot; Berufsfreiheit.
Leitsätze:
Mit dem Grundrecht der Berufsfreiheit wäre es nicht vereinbar, die Herstellung von
Bier ausnahmslos dem deutschen Reinheitsgebot zu unterwerfen. § 9 VorlBierG ge-
nügt den verfassungsrechtlichen Anforderungen, weil er die Möglichkeit von Aus-
nahmen vorsieht. Allerdings ist eine großzügige Handhabung geboten.
Ein unter Einhaltung des Reinheitsgebots gebrautes untergäriges Bier, dem nach der
Filtrierung aus geschmacklichen Gründen Invertzuckersirup zugesetzt wird, ist ein
"besonderes Bier" im Sinne von § 9 Abs. 7 VorlBierG, dessen Herstellung genehmigt
werden kann.
Ein "besonderes Bier", dessen Herstellung genehmigt ist, darf unter der Bezeichnung
"Bier" in den Verkehr gebracht werden.
Urteil des 3. Senats vom 24. Februar 2005 - BVerwG 3 C 5.04
I. VG Frankfurt (Oder) vom 01.12.2003 - Az.: VG 4 K 1287/97 -