Urteil des BVerwG vom 08.09.2005

Sicherheit, Verwaltungsakt, Verordnung, Widerklage

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
BVerwG 3 C 49.04
Verkündet
VGH 8 UE 4696/98
am 8. September 2005
Thiele
Justizhauptsekretärin
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 8. September 2005
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht
Prof. Dr. D r i e h a u s sowie die Richter am Bundesverwaltungsgericht
van S c h e w i c k , Dr. D e t t e , L i e b l e r und Prof. Dr. R e n n e r t
für Recht erkannt:
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Hessischen
Verwaltungsgerichtshofs vom 10. Dezember 2003 geändert.
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungs-
gerichts Frankfurt am Main vom 10. September 1998 wird zu-
rückgewiesen.
Die Widerklage wird abgewiesen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungs- und des Revisi-
onsverfahrens.
G r ü n d e :
I.
Die Beteiligten streiten um die Rechtmäßigkeit und die Rechtsfolgen der Rücknahme
einer Kautionsfreigabe.
Mit Bekanntmachung Nr. 48/88/31 (BAnz Nr. 133 vom 21. Juli 1988) schrieb die
Bundesanstalt für landwirtschaftliche Marktordnung (BALM), die Funktionsvorgänge-
rin der Beklagten, eine Partie gefrorenes Rindfleisch mit Knochen aus Interventions-
beständen, das zur Verarbeitung in der Gemeinschaft bestimmt war, zum Verkauf
aus. In der Bekanntmachung wurde auf die Bekanntmachung Nr. 55/87/31 (BAnz
Nr. 172 vom 16. September 1987) über die Allgemeinen Bedingungen für den Ver-
kauf von Rindfleisch aus Interventionen sowie auf die Rechtsgrundlagen des europä-
ischen Gemeinschaftsrechts und des nationalen Rechts hingewiesen. Ziff. 8 der All-
gemeinen Bedingungen betraf die vom Bieter zu stellenden Sicherheiten. Dabei be-
stimmte Ziff. 8.8:
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Wird eine Sicherheit zu Unrecht freigegeben, kann ein entsprechender Geld-
betrag zurückgefordert werden.
Die Klägerin betreibt ein Unternehmen der Fleischverarbeitung. Auf ihr Gebot hin
erteilte ihr die BALM am 30. August 1988 den Zuschlag für den Kauf von 20 t gefro-
renen Rindfleischs zum Kaufpreis von 3 777,76 DM/t zzgl. 7 % USt. Im Zuschlag
wurde die Klägerin darauf hingewiesen, dass sie das Fleisch bis zum 31. Januar
1989 verarbeiten und die Verarbeitungsbescheinigung bis zum 31. März 1989 bei der
BALM einreichen müsse. Die Klägerin stellte eine Verarbeitungskaution in Höhe von
47 222 DM (2 361,10 DM/t) in Form einer Bankbürgschaft.
Die Klägerin erstellte am 17. März 1989 Verarbeitungsanzeigen und reichte sie am
18. April 1989 bei der BALM und beim Hauptzollamt Osnabrück ein. Das Hauptzoll-
amt erteilte am 11. Mai 1989 einen Prüfbericht und am 31. Mai 1989 eine Verarbei-
tungsbescheinigung, denen zufolge die Klägerin 19 990 t bis zum 31. Januar 1989 zu
Rauchfleisch, Rohwurst, Koch- und Brühwurst verarbeitet habe. Die Klägerin reichte
die Verarbeitungsbescheinigung am 28. September 1989 bei der BALM ein. Mit Last-
schrift Nr. 636571 vom 2. Oktober 1989 erklärte die BALM "aufgrund der nicht
fristgemäßen Beibringung des Verarbeitungsnachweises" 15 % der Verarbei-
tungskaution für eine Teilmenge von 19 990 t (= 7 079,76 DM) zuzüglich 7 % USt,
also insgesamt einen Betrag von 7 575,34 DM, für verfallen. Nachdem dieser Betrag
beglichen worden war, reichte sie die Bankbürgschaft am 24. Januar 1990 an die
Klägerin zurück.
Am 31. Mai 1990 äußerte die Europäische Kommission, dass in Fällen, in denen die
Verarbeitungsbescheinigung nicht nur verspätet vorgelegt, sondern auch verspätet
erstellt wird, die Verarbeitungskaution nicht nur zu 15 %, sondern vollständig verfällt.
Mit Schreiben vom 10. Oktober 1990 teilte die BALM daraufhin der Klägerin mit, die
Sicherheit sei zu Unrecht freigegeben worden. Die Klägerin treffe eine Zahlungs-
pflicht in Höhe der zu Unrecht freigegebenen Kaution, abzüglich der bereits geleiste-
ten Verfallbeträge. Sie wurde aufgefordert, den mit anliegender Lastschrift geltend
gemachten Betrag an die BALM zu überweisen. Dem Schreiben war die Lastschrift
Nr. 640361 beigefügt, mit der das Konto der Klägerin mit 40 118,63 DM (= 85 % der
Verarbeitungskaution für 19 990 t) zuzüglich 7 % USt, insgesamt also mit
42 926,93 DM belastet wurde.
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Als die Klägerin nicht zahlte, erhob die BALM am 23. April 1991 Zahlungsklage zum
Landgericht Frankfurt am Main. Mit Beschluss vom 25. September 1991 erklärte das
Landgericht den Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten für unzulässig und ver-
wies den Rechtsstreit an das Verwaltungsgericht Frankfurt am Main. Die sofortige
Beschwerde der BALM wies das Oberlandesgericht Frankfurt am Main mit Beschluss
vom 19. Mai 1992 zurück. Mit Urteil vom 18. Februar 1993 wies das Verwaltungsge-
richt Frankfurt am Main die Leistungsklage als unzulässig ab, weil die BALM ihren
Zahlungsanspruch bereits durch die Lastschrift vom 10. Oktober 1990 geltend ge-
macht habe, die als Verwaltungsakt zu qualifizieren sei. Die Berufung der BALM wies
der Hessische Verwaltungsgerichtshof mit Urteil vom 30. August 1995 mit derselben
Begründung zurück. Das Urteil wurde rechtskräftig.
Daraufhin erklärte die Beklagte, die mittlerweile die Aufgaben der BALM übernom-
men hatte, mit an die Klägerin gerichtetem Schreiben vom 1. November 1995, ihr
Schreiben vom 10. Oktober 1990 mit der Lastschrift Nr. 640361 sei als Bescheid und
die Erwiderung der Klägerin auf die vor dem Landgericht erhobene Klage als Wider-
spruch zu verstehen, und gab Gelegenheit zur Stellungnahme. Die Klägerin nahm in
ihrer Antwort auf ihr bisheriges Vorbringen Bezug. Insbesondere wiederholte sie ih-
ren Einwand, die Lastschrift sei außerhalb der Jahresfrist des § 48 Abs. 4 VwVfG und
damit verspätet erfolgt. Mit Widerspruchsbescheid vom 16. Januar 1996 wies die
Beklagte den Widerspruch zurück. Die Klägerin habe den vorgeschriebenen Ver-
arbeitungsnachweis nicht erbracht; die vorgelegte Bescheinigung sei zu spät erstellt
worden und könne daher nicht als Nachweis gelten. Da die Nachweispflicht eine
Hauptpflicht sei, sei die Verarbeitungssicherheit vollständig verfallen. Weil die Si-
cherheit zunächst irrtümlich nur zu 15 % für verfallen erklärt worden sei, habe dies
mit dem Bescheid vom 10. Oktober 1990 korrigiert werden müssen. Dem stehe nicht
entgegen, dass die Bankbürgschaft zuvor zurückgesandt worden sei. Gemäß
Ziff. 8.8 der allgemeinen Ausschreibungsbedingungen könne ein entsprechender
Geldbetrag zurückgefordert werden, wenn eine Sicherheit zu Unrecht freigegeben
worden sei. Die allgemeinen Ausschreibungsbedingungen seien durch Vereinbarung
Bestandteil des Kaufvertrages geworden. Die Anforderung des Geldbetrages sei
auch innerhalb der Jahresfrist des § 48 Abs. 4 VwVfG erfolgt. Zum einen habe die
BALM mit der Lastschrift vom 2. Oktober 1989 nur den Verfall von 15 % der Sicher-
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heit erklärt, die Sicherheit im Übrigen aber nicht freigegeben. Selbst wenn darin eine
Teilfreigabe zu sehen sein sollte, so seien ihr die deren Rücknahme rechtfertigenden
Umstände doch erst im Jahre 1990 bekannt geworden.
Auf die Anfechtungsklage hin hat das Verwaltungsgericht Frankfurt am Main mit Ur-
teil vom 10. September 1998 die Lastschrift der BALM vom 10. Oktober 1990 in der
Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Januar 1996 aufgehoben. Zur Be-
gründung heißt es: Die Lastschrift vom 2. Oktober 1989 sei ein Verwaltungsakt, mit
dem die BALM nicht nur 15 % der gestellten Verarbeitungssicherheit für verfallen
erklärt, sondern die restliche Sicherheit auch freigegeben habe. Dem sei die Rück-
gabe der Bankbürgschaft als Realakt nachgefolgt. Diese Freigabe sei rechtswidrig
erfolgt. Die BALM hätte die Sicherheit vollständig für verfallen erklären müssen, weil
die Klägerin ihrer Nachweispflicht und damit einer Hauptpflicht nicht nachgekommen
sei. Nach Aufdeckung ihres Rechtsirrtums habe die Beklagte nur dann Zahlung des
restlichen Sicherheitsbetrages verlangen dürfen, wenn sie zuvor oder gleichzeitig die
Teilfreigabe der Sicherheit zurückgenommen habe. In den angefochtenen Beschei-
den sei eine derartige Rücknahme zu sehen, auch wenn sie nicht ausdrücklich erklärt
werde. Die Beklagte habe aber übersehen, dass die Rücknahme in ihr Ermessen
gestellt gewesen sei.
Auf die Berufung der Beklagten hat der Hessische Verwaltungsgerichtshof mit Urteil
vom 10. Dezember 2003 das erstinstanzliche Urteil geändert und die Klage abge-
wiesen. Dem Verwaltungsgericht sei zwar darin zu folgen, dass in der nur teilweisen
Verfallerklärung vom 2. Oktober 1989 zugleich die Freigabe der restlichen Sicherheit
zu sehen sei und dass die BALM dies mit der Lastschrift vom 10. Oktober 1990 kon-
kludent zurückgenommen habe. Ebenfalls zutreffend habe das Verwaltungsgericht
erkannt, dass die Teilfreigabe der Sicherheit rechtswidrig erfolgt sei, so dass sich die
Rechtmäßigkeit der Rücknahme nach § 48 VwVfG beurteile. Entgegen seiner Auf-
fassung seien die Voraussetzungen dieser Vorschrift aber erfüllt. Auf Vertrauens-
schutz könne sich die Klägerin nicht berufen. Auch die Jahresfrist des § 48 Abs. 4
VwVfG schließe die Rücknahme der Teilfreigabe nicht aus. Die Rücknahme sei
schließlich nicht deshalb rechtswidrig, weil die BALM bzw. die Beklagte beim Erlass
des Widerspruchsbescheides kein Ermessen ausgeübt haben. Jenseits der Berück-
sichtigung des Vertrauensschutzes komme der Behörde nämlich bei der Rückforde-
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rung zu Unrecht gewährter Gemeinschaftsmittel kein Ermessen zu. Sei die Rück-
nahme aber rechtmäßig, so habe die Klägerin auch zur Zahlung des davon erfassten
Betrages herangezogen werden dürfen. Eine Erstattung in natura - also eine Wie-
derbegründung der Bankbürgschaft - scheide zwar aus, doch schulde die Klägerin
nach § 49a VwVfG i.V.m. § 818 Abs. 2 BGB Wertersatz. Weil die Bankbürgschaft
einer Barsicherheit gleichstehe, laufe der Wertersatz auf die Zahlung des Sicher-
heitsbetrages hinaus. Um die Befreiung aus ihrer Haftung gegenüber der bürgenden
Bank aber sei die Klägerin nach wie vor bereichert.
Gegen dieses Urteil richtet sich die vom Senat zugelassene Revision der Klägerin.
Sie macht geltend, es fehle an einer Rechtsgrundlage für die Aufhebung eines
rechtswidrigen Kautionsfreigabebescheides.
Die Beklagte verteidigt das Berufungsurteil und erhebt hilfsweise Widerklage auf
Zahlung des zu Unrecht freigegebenen Sicherheitsbetrages zuzüglich Umsatzsteuer
und Zinsen. Zur Begründung trägt sie noch vor: Die Verarbeitungssicherheit könne
trotz ihrer fehlerhaften Freigabe nach wie vor eingezogen werden. Sie diene nämlich
- auch nachdem feststehe, dass die Klägerin ihre Verarbeitungspflicht nicht mehr
erfüllen könne - weiterhin der Sicherung des Gemeinschaftsinteresses an einer
Rückführung von Gemeinschaftsmitteln, auf die die Klägerin wegen ihrer Vertrags-
verletzung keinen Anspruch besitze. Der Verkaufspreis sei nämlich im Sinne einer
Subvention um einen Betrag vergünstigt gewesen, der der Höhe der Sicherheit ent-
spreche.
Die Klägerin hat der Erhebung der Widerklage zugestimmt und deren Abweisung
beantragt. Sie bestreitet, dass der Verkaufspreis subventioniert worden sei.
II.
Die Revision der Klägerin ist begründet. Sie führt zur Wiederherstellung des erstin-
stanzlichen Urteils. Die Widerklage hingegen bleibt ohne Erfolg.
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1. Die Revision ist begründet. Das Berufungsurteil, welches das erstinstanzliche Ur-
teil geändert und die Klage abgewiesen hat, hält den Angriffen der Revision nicht
stand. Es verletzt Bundesrecht. Der Verwaltungsgerichtshof hätte die Berufung der
Beklagten zurückweisen müssen.
a) Die Vorinstanzen haben die erhobene Anfechtungsklage für zulässig erachtet, weil
das Schreiben der BALM vom 10. Oktober 1990 in der Gestalt des Wider-
spruchsbescheides vom 16. Januar 1996 ein Verwaltungsakt sei. Das ist zwar nicht
frei von Rechtsfehlern, erweist sich aber im Ergebnis als richtig. Allerdings besitzt die
getroffene Regelung nicht den Inhalt, den ihr die Vorinstanzen beilegen.
aa) Die Vorinstanzen haben die Lastschrift vom 10. Oktober 1990 als Verwaltungsakt
qualifiziert. Das ist mit § 35 VwVfG unvereinbar. Diese Lastschrift stellt - ebenso wie
die vorhergehende vom 2. Oktober 1989 - lediglich eine Zahlungsaufforderung der
Behörde im Rahmen eines vertraglichen Rechtsverhältnisses dar.
Die auf eine Sicherheit bezogenen Rechtshandlungen und -erklärungen der Behörde
als Verwaltungsakte zu qualifizieren, ist freilich nicht schon deshalb zu beanstanden,
weil sie dem bürgerlichen Recht unterfielen. Vielmehr ist das Handeln der BALM und
der Beklagten nach öffentlichem Recht zu beurteilen. Die Klägerin hatte die Verar-
beitungssicherheit im Rahmen des Ankaufs von Interventionsware zu stellen. Die
Pflicht zur Gestellung der Sicherheit sowie die Voraussetzungen für deren Freigabe
oder Verfall stellen sich als untergeordnete Bestandteile des durch die Abgabe der
Interventionsware begründeten Rechtsverhältnisses dar und teilen daher dessen
Rechtsnatur. Die Abgabe von Interventionsware durch die Interventionsstellen richtet
sich aber - ebenso wie der Ankauf - insgesamt nach öffentlichem Recht. Dies hat das
Bundesverwaltungsgericht für die Abgabe verbilligter Butter aus Interventionsbe-
ständen (Urteil vom 3. August 1989 - BVerwG 3 C 52.87 - BVerwGE 82, 278) und für
den Absatz von zum Export bestimmtem gefrorenem Rindfleisch bereits entschieden
(Urteil vom 23. September 1998 - BVerwG 6 C 6.98 - Buchholz 451.90 Nr. 173,
S. 95 f.). Für den Absatz von zur Verarbeitung in der Gemeinschaft bestimmtem ge-
frorenem Rindfleisch nach der Verordnung (EWG) Nr. 2182/77 der Kommission vom
30. September 1977 (ABl Nr. L 251/60) in der Fassung der Änderungsverordnung
(EWG) Nr. 3988/87 (ABl Nr. L 376/31) gilt nichts anderes.
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Das Bundesverwaltungsgericht hat aber ebenfalls bereits entschieden, dass die Ver-
fallerklärung durch bloße Lastschrift nicht als Verwaltungsakt zu qualifizieren ist, weil
es an einer hoheitlichen Maßnahme zur Regelung eines Einzelfalls fehlt, die auf un-
mittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet ist (§ 35 Satz 1 VwVfG; Urteil vom
23. September 1998, a.a.O. S. 96 ff.). Dabei hatte das Bundesverwaltungsgericht
eine Lastschrift zu beurteilen, die den hier in Rede stehenden Lastschriften der
BALM in allen wesentlichen Punkten glich. Auch die vorliegenden Lastschriften las-
sen schon äußerlich nicht auf einen etwaigen Willen der Behörde schließen, die
Pflichten der Klägerin einseitig verbindlich durch Hoheitsakt regeln zu wollen. Sie
sind mit "Lastschrift" überschrieben, machen eine "Rechnung" auf und enden mit
einer Zahlungsaufforderung. Sie drohen keine Konsequenzen für den Fall der Nicht-
zahlung an und enthalten keine Rechtsmittelbelehrung. Auch ergingen sie innerhalb
eines durch Gebot und Zuschlag begründeten Rechtsverhältnisses, das von beiden
Beteiligten als Vertragsverhältnis, mithin auf der Ebene der Gleichordnung, - rechtsir-
rig sogar als privatrechtliches Vertragsverhältnis - und damit nicht als hoheitliches
Subordinationsverhältnis angesehen wurde. Hinzu kommt, dass die BALM selbst ihre
Lastschriften nicht als Zahlungsbescheide, sondern nur als - zudem privatrechtliche -
Zahlungsaufforderungen aufgefasst hat. Andernfalls hätte sie, nachdem die Klägerin
auf die Lastschrift vom 10. Oktober 1990 nicht zahlte, nicht Leistungsklage vor dem
Landgericht erhoben, sondern die Verwaltungsvollstreckung betrieben.
Der Beschluss des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 30. August 1991
(- 8 TH 1849/91 -, NVwZ 1992, 798), auf den sich die Vorinstanzen zur Begründung
ihrer abweichenden Auffassung berufen, rechtfertigt keine andere Beurteilung. Er
stellt im Wesentlichen darauf ab, dass die Verfallerklärung eine einseitige Erklärung
der Behörde darstellt und etwa Zahlungsfristen einseitig festlegt, an deren Ablauf das
Gemeinschaftsrecht die Befugnis zur Verwertung der Sicherheit knüpft. Allein die
einseitige Bewirkung von Rechtsfolgen macht eine rechtsgeschäftliche Willens-
erklärung jedoch noch nicht zum Hoheitsakt. Das Vertragsrecht kennt zahlreiche
derartige Willenserklärungen (Anfechtung, Wandelung, Rücktritt, Kündigung; außer-
halb des Vertrages etwa die Aufrechnung). Auch die Setzung einer Zahlungsfrist mit
der Androhung, andernfalls eine Bürgschaft zu verwerten, gehört hierher. Im Übrigen
ist der erwähnte Beschluss vor dem zuvor genannten Urteil des Bundesverwaltungs-
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gerichts vom 23. September 1998 ergangen. Das Berufungsurteil hingegen, das erst
später erlassen wurde, lässt eine Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung des
Bundesverwaltungsgerichts vermissen.
bb) Allerdings hat die Beklagte das Schreiben der BALM vom 10. Oktober 1990
nebst beigefügter Lastschrift - nachdem ihre Zahlungsklage als unzulässig abgewie-
sen worden war - durch den Widerspruchsbescheid vom 16. Januar 1996 selbst als
Verwaltungsakt "umqualifiziert". Jedenfalls der Widerspruchsbescheid selbst stellt
einen Verwaltungsakt dar (§ 73 VwGO). Die hiergegen erhobene Anfechtungsklage
ist damit zulässig.
cc) Die damit getroffene hoheitliche Regelung (vgl. § 79 Abs. 1 Nr. 1 VwGO) besitzt
indes nicht den Inhalt, den ihr die Vorinstanzen beilegen. Sie erklärt lediglich die Si-
cherheit (auch) in restlicher Höhe für verfallen und verlangt Zahlung des entspre-
chenden Geldbetrages nebst Umsatzsteuer. Hingegen enthält sie nicht die Rück-
nahme der vorherigen Kautionsfreigabe. Das war auch nicht nötig, da diese nicht
durch - bindenden - Verwaltungsakt erfolgt war.
Die Vorinstanzen haben angenommen, dass die BALM in der Lastschrift vom 2. Ok-
tober 1989 mit dem nur teilweisen Verfall zugleich - als dessen Kehrseite - die Frei-
gabe der Sicherheit in restlicher Höhe erklärt (und nicht nur angekündigt) habe. Das
ist als tatrichterliche Würdigung hinzunehmen. Ihre zusätzliche Annahme, auch diese
Freigabeerklärung sei ein Verwaltungsakt, ist jedoch wiederum nicht mit § 35 VwVfG
vereinbar. Zur Begründung haben die Vorinstanzen im Wesentlichen nur angeführt,
die Teilfreigabe stelle die Kehrseite bzw. das notwendige Korrelat der Teilverfaller-
klärung dar und teile daher deren Rechtsnatur. Das ist an sich richtig. Weil aber
schon die Verfallerklärung keinen Verwaltungsakt darstellt, kann auch die Freigabe
nicht als solcher angesehen werden.
Des Weiteren haben die Vorinstanzen dem Schreiben vom 10. Oktober 1990 und der
beigefügten zweiten Lastschrift die Erklärung der BALM entnommen, die Teilfreigabe
der Verarbeitungssicherheit zurücknehmen zu wollen. Das ist nicht das Ergebnis
einer tatrichterlichen Würdigung. Es geschah vielmehr deshalb, weil die Vorinstanzen
von einer vorherigen Freigabe der Kaution durch bindenden Verwaltungsakt
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ausgegangen sind, und damit als Folgerung aus einer rechtlich unzutreffenden Prä-
misse. Dem Revisionsgericht ist damit nicht verwehrt, das genannte Schreiben selbst
zu würdigen. Eine Erklärung, die Freigabe der Kaution zurücknehmen zu wollen,
lässt sich ihm nicht entnehmen. Die Behörde forderte die Klägerin lediglich zur Zah-
lung eines Geldbetrages auf, der der Höhe der Kaution abzüglich des bereits bezahl-
ten Verfallbetrages entsprach. Hieran sah sie sich durch den Umstand, dass die
Kaution bereits frei- und zurückgegeben worden war, nicht gehindert. Dies geht
schon aus dem Schreiben vom 10. Oktober 1990 hinreichend deutlich hervor und
wird im Widerspruchsbescheid vom 16. Januar 1996 unmissverständlich klargestellt.
b) Die nach dem Vorstehenden zulässige Anfechtungsklage ist begründet. Die BALM
war nicht ermächtigt, den Verfall einer derartigen Verarbeitungssicherheit durch Ver-
waltungsakt zu verfügen und die behauptete Zahlungspflicht der Klägerin durch Ver-
waltungsakt durchzusetzen. Die hierfür nötige Rechtsgrundlage lässt sich weder dem
europäischen Gemeinschaftsrecht noch dem Bundesrecht entnehmen. Auch dies
haben die Vorinstanzen verkannt. Weil das Verwaltungsgericht der Anfechtungsklage
immerhin aus anderen Gründen stattgegeben hat, hätte der Verwaltungsgerichtshof
die Berufung der Beklagten im Ergebnis zurückweisen müssen.
aa) Die Behörde ist im Grundsatz nicht befugt, durch Vertrag begründete Pflichten
des anderen Teils durch Verwaltungsakt durchzusetzen (Urteil vom 13. Februar 1976
- BVerwG 4 C 44.74 - BVerwGE 50, 171). So liegt der Fall hier: Die von der Behörde
behauptete Zahlungspflicht der Klägerin besteht nicht bereits von Gesetzes wegen,
sondern wurde erst durch einen Vertrag begründet. Die BALM hatte mit der Be-
kanntmachung Nr. 48/88/31 (BAnz Nr. 133 vom 21. Juli 1988) eine Partie gefrorenes
Interventionsrindfleisch zum Verkauf gestellt und zur Abgabe von Geboten aufgefor-
dert. Die Klägerin hatte daraufhin ein Gebot über 20 t Rindfleisch abgegeben und
den Zuschlag erhalten. Damit kam zwischen den Beteiligten ein (öffentlich-recht-
licher) Vertrag zustande. Allerdings hat der Senat bislang offen gelassen, ob durch
Gebot und Zuschlag ein öffentlich-rechtlicher Vertrag auf dem Boden der Gleichord-
nung der Beteiligten zustande kommt oder ob es sich bei dem Angebot in Wahrheit
um einen Antrag und bei dem Zuschlag um einen einseitigen hoheitlichen Zutei-
lungsakt handelt, der ein subordinationsrechtliches Rechtsverhältnis zum Bieter be-
gründet (Urteil vom 3. August 1989, a.a.O. <283>). Es spricht aber Überwiegendes
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für die Annahme eines Vertrages und gegen die Konstruktion eines mitwirkungsbe-
dürftigen Verwaltungsakts. Denn die Verantwortung für das Geschäft liegt nicht ein-
seitig bei der Behörde, sondern bei beiden Kontrahenten. Zwar ist nicht zu verken-
nen, dass die Gestaltungsmacht für den Inhalt des Geschäfts ganz auf Seiten der
Interventionsstelle liegt, so dass sich die Privatautonomie des anderen Teils im We-
sentlichen auf die Frage beschränkt, ob er ein Gebot abgeben soll oder nicht. Darin
liegt indes keine Besonderheit. Zahlreiche Geschäfte des täglichen Lebens werden
von der einen Seite inhaltlich weitgehend vorbestimmt, so dass der andere Teil da-
rauf beschränkt ist, das Geschäft zu diesen Bedingungen zu schließen oder davon
Abstand zu nehmen. Gerade bei Geschäften, die auf der Grundlage von Ausschrei-
bungen getätigt werden, ist das typischerweise der Fall. So werden auch im Verga-
bewesen öffentliche Aufträge auf der Grundlage von Ausschreibung, Gebot und Zu-
schlag geschlossen, ohne dass die Rechtsnatur des Geschäfts als koordinations-
rechtlicher Vertrag deshalb in Zweifel gezogen würde. Hinzu kommt, dass die Inter-
ventionsstelle das angestrebte Geschäft gerade auf dem Hintergrund der (zivilrecht-
lichen) Bestimmungen über den Kaufvertrag ausgestaltet hat. Ihre Ausschreibungs-
bedingungen in den Bekanntmachungen Nr. 55/87/31 (BAnz Nr. 172 vom 16. Sep-
tember 1987) und Nr. 48/88/31 (BAnz Nr. 133 vom 21. Juli 1988) verwenden nicht
nur durchgängig die Terminologie des Kaufrechts ("Kauf", "Verkauf", "Kaufvertrag"),
sondern treffen Regelungen über Gefahrübergang, Gewährleistung, Verzug u.dgl.
Dies trägt zugleich dem Umstand Rechnung, dass das Kaufrecht zur Lösung allfälli-
ger Streitfragen passende Regelungen bereithält, während hoheitsrechtliche Rechts-
institute wie der mitwirkungsbedürftige Verwaltungsakt hierzu nicht geschaffen sind.
bb) Im Rahmen eines Vertragsverhältnisses aber ist die Behörde zur Regelung von
Einzelfragen durch Verwaltungsakt nur ausnahmsweise befugt, wenn sie nämlich
durch Rechtssatz hierzu ausdrücklich ermächtigt wurde (Urteil vom 13. Februar 1976
a.a.O.; Urteil vom 26. Oktober 1979 - BVerwG 7 C 106.77 - BVerwGE 59, 60; Urteil
vom 24. Januar 1992 - BVerwG 3 C 33.86 - BVerwGE 89, 345). Daran fehlt es hier.
Die dem Verkauf von Interventionsrindfleisch zugrunde liegenden EG-Verordnungen
- insbesondere die Verordnung (EWG) Nr. 2182/77 der Kommission vom 30. Sep-
tember 1977 über Durchführungsbestimmungen für den Verkauf von gefrorenem
Rindfleisch aus Beständen der Interventionsstellen zur Verarbeitung in der Gemein-
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schaft usw. (ABl Nr. L 251/60) in der hier maßgeblichen Fassung der Änderungsver-
ordnung (EWG) Nr. 3988/87 sowie die Verordnung (EWG) Nr. 2220/85 der Kommis-
sion vom 22. Juli 1985 mit gemeinsamen Durchführungsbestimmungen zur Regelung
der Sicherheiten für landwirtschaftliche Erzeugnisse (ABl Nr. L 205/5, ber. ABl 1986
Nr. L 14/19) in der Fassung der Änderungsverordnung (EWG) Nr. 1181/87 -
enthalten eine solche Ermächtigung nicht. Zwar sehen sie vor, dass der Käufer ne-
ben der Angebotssicherheit auch eine Verarbeitungssicherheit stellen muss (Art. 4
VO/EWG Nr. 2182/77) und dass diese unter bestimmten Voraussetzungen verfällt
(Art. 22 ff. VO/EWG Nr. 2220/85 i.V.m. Art. 5 Abs. 3 VO/EWG Nr. 2182/77) und von
der zuständigen Behörde verwertet werden darf (Art. 29 VO/EWG Nr. 2220/85). Sie
treffen indes keine Bestimmungen darüber, in welchen Rechtsformen dies zu erfol-
gen hat. Vollends ermächtigen sie die nationalen Behörden nicht zum Erlass von
Verwaltungsakten. Die nähere Ausgestaltung des Vollzugs obliegt vielmehr den Mit-
gliedstaaten (vgl. generell Art. 8 VO/EWG Nr. 729/79).
Auch das nationale Recht enthielt bei Ergehen der Lastschrift (1990) und des Wider-
spruchsbescheides (1996) keine derartige Ermächtigung mehr. Allerdings hat der
Senat in § 4 Abs. 2 der Milchfettverbilligungsverordnung vom 26. März 1974 (BGBl I
S. 785) eine Ermächtigung dazu gesehen, den Verfall einer Ausschreibungskaution
durch Verwaltungsakt anzuordnen (Urteil vom 3. August 1989 - BVerwG 3 C 52.87 -
BVerwGE 82, 278 <283>). Eine entsprechende Bestimmung fand sich in § 3 Abs. 2
der im vorliegenden Fall anwendbaren Interventionsrindfleisch-Verarbeitungsverord-
nung vom 26. Oktober 1977 (BGBl I S. 1915). Nach beiden Vorschriften sollte die
BALM "über Freigabe und Verfall der Kaution entscheiden". Weiter war bestimmt,
dass die Kaution zugunsten der Bundesrepublik Deutschland verfällt. Beide Bestim-
mungen sind jedoch durch § 8 EWG-Sicherheiten-Verordnung vom 24. Oktober 1988
(BGBl I S. 2092) aufgehoben worden. Deren § 6 bestimmt nur noch, dass die
Sicherheiten zugunsten der Bundesrepublik Deutschland verfallen, und § 7 sieht vor,
dass eine zu Unrecht freigegebene Sicherheit erneut zu leisten ist, wenn der Siche-
rungszweck noch besteht. Die Wendung, dass die Behörde über Freigabe und Verfall
der Kaution "entscheidet", ist ersatzlos entfallen. Damit hat der Verordnungsgeber
die bisherige Ermächtigung zum Erlass eines Verwaltungsakts, mit dem die Freigabe
oder der Verfall der Kaution einseitig-hoheitlich geregelt wird, beseitigt. Es mag sein,
dass dies versehentlich geschah; die amtliche Begründung legt die Annahme nahe,
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der Verordnungsgeber habe jedenfalls für die Wiedergestellung einer zu Unrecht
freigegebenen Sicherheit (§ 7) die vorgängige Rücknahme der Freigabe im Wege
des Verwaltungsakts für erforderlich gehalten (BRDrucks 383/88 S. 8 f.). Doch hat
dies im Wortlaut der Verordnung keinen Niederschlag gefunden. Im Übrigen behält
die Bemerkung mit Blick auf Kautionen ihren Sinn, die nach altem Recht durch
Verwaltungsakt zu Unrecht freigegeben worden waren.
Die EWG-Sicherheiten-Verordnung beruht auf § 13 Abs. 1 Satz 1, § 21 Satz 1 Nr. 2
des Gesetzes zur Durchführung der Gemeinsamen Marktorganisationen (MOG) in
der Fassung der Bekanntmachung vom 27. August 1986 (BGBl I S. 1397). Auch aus
diesen Vorschriften lässt sich die gesuchte Ermächtigung nicht herleiten.
2. Die Widerklage der Beklagten, mit der sie ihr Zahlungsbegehren nunmehr im We-
ge der Leistungsklage geltend macht, bleibt ohne Erfolg.
a) Die Widerklage ist allerdings zulässig. Sie durfte - trotz § 142 Abs. 1 VwGO -
selbst in der Revisionsinstanz noch erhoben werden; die Klägerin hat zustimmt, es
müssen keine weiteren Beteiligten hinzutreten und der Streitstoff wird nicht erweitert
(vgl. Urteil vom 8. Februar 1974 - BVerwG VII C 16.71 - BVerwGE 44, 351 <360 f.>).
Auch § 89 Abs. 2 VwGO steht nicht entgegen. Hiernach ist die Widerklage zwar bei
einer Anfechtungsklage ausgeschlossen. Diese Vorschrift bedarf jedoch einer ein-
schränkenden Auslegung. Sie soll den Prozess um einen Verwaltungsakt von allem
anderen freihalten und mit dieser Konzentration auf die Frage der Rechtmäßigkeit
des hoheitlichen Handelns dem Rechtsschutz des Bürgers dienen. Dieser Zweck
wird durch Zulassung einer Widerklage der Behörde dann nicht verfehlt, wenn ein
Subordinationsverhältnis, aus dem heraus die Behörde den umstrittenen Verwal-
tungsakt erlassen hat, in Wirklichkeit nicht besteht (vgl. BTDrucks. 3/55, S. 41) und
die Widerklage denselben Streitstoff betrifft wie die Klage. Wird die Anfechtungsklage
gegen einen Leistungsbescheid - wie hier - gerade damit begründet, dass zwischen
den Beteiligten ein Subordinationsverhältnis nicht bestehe und die Beklagte daher
zur Geltendmachung ihrer Forderung im Wege des Leistungsbescheides nicht
berechtigt gewesen sei, so steht § 89 Abs. 2 VwGO nicht entgegen, wenn die Be-
hörde ihre Forderung - ggf. hilfsweise - durch Widerklage geltend macht (OVG
Lüneburg, Urteil vom 14. Mai 1984 - 8 A 23/83 - NJW 1984, 2652, nicht beanstandet
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im Revisionsurteil vom 11. Mai 1989 - BVerwG 3 C 68.85 - BVerwGE 82, 56;
Eyermann/Rennert, VwGO, 11. Auflage 2000, Rn. 15 zu § 89 VwGO).
Der Widerklage steht auch nicht die Rechtskraft des Urteils des Hessischen Verwal-
tungsgerichtshofs vom 30. August 1995 entgegen. Allerdings ist mit diesem Urteil
eine Zahlungsklage der Beklagten mit demselben Streitgegenstand abgewiesen
worden, wenn auch nicht als unbegründet, sondern als unzulässig. Auch ein Pro-
zessurteil ist der materiellen Rechtskraft zugänglich und hindert in diesem Umfang
die zweite Klage. Dies gilt freilich nur hinsichtlich des festgestellten Hindernisses; es
steht der erneuten Klage nicht entgegen, wenn das Hindernis ausgeräumt ist
(Eyermann/Rennert, a.a.O., Rn. 22 zu § 121 VwGO; vgl. Urteil vom 10. April 1968
- BVerwG IV C 160.65 - Buchholz 310 § 121 VwGO Nr. 29 = NJW 1968, 1795). Der
Hessische Verwaltungsgerichtshof hat die erste Leistungsklage der Beklagten abge-
wiesen, weil die Beklagte aus dem Schreiben vom 10. Oktober 1990, in dem ein
Leistungsbescheid zu sehen sei, die Verwaltungsvollstreckung betreiben könne und
ihr daher das Rechtsschutzbedürfnis für die Leistungsklage fehle. Er hat hinzugefügt,
dass die Leistungsklage unzulässig sei, solange dieser Leistungsbescheid bestehe,
insbesondere nicht aufgehoben sei. Dieses vom Hessischen Verwaltungsgerichtshof
angenommene Hindernis besteht spätestens mit der Aufhebung des "Leistungsbe-
scheids" in der Gestalt des Widerspruchsbescheides im vorliegenden Rechtsstreit
nicht mehr. Es kann der - nur hilfsweise für diesen Fall erhobenen - Widerklage nicht
länger entgegengehalten werden.
b) Die Widerklage ist aber unbegründet. Die Beklagte verlangt von der Klägerin in der
Hauptsache Zahlung von 20 512,33 €. Dieser Betrag entspricht 85 % der ur-
sprünglichen Verarbeitungssicherheit, die zuvor bereits in Höhe von 15 % für verfal-
len erklärt und eingezogen worden war. Der Beklagten steht ein dahingehender An-
spruch nicht zu.
aa) Die Klägerin war aus dem Kaufvertrag verpflichtet, das gefrorene Rindfleisch in-
nerhalb einer Frist von fünf Monaten zu bestimmten Produkten zu verarbeiten und
den Verarbeitungsnachweis innerhalb von sieben Monaten beizubringen. Diese
Pflicht hat die Klägerin verletzt. Das haben die Vorinstanzen mit Recht angenommen.
Auf die dortigen Ausführungen wird Bezug genommen.
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bb) Rechtsfolge dieser Pflichtverletzung ist, dass die von der Klägerin gestellte Ver-
arbeitungssicherheit vollständig verfällt.
Dies ergibt sich bereits aus den Ausschreibungs- und Vertragsbedingungen. Nach
Ziff. 9.2 der Bekanntmachung Nr. 48/88/31 verfällt die zur Gewährleistung der Verar-
beitung hinterlegte Sicherheit insbesondere, wenn der Nachweis der Verarbeitung
nicht erbracht wurde.
Das steht mit europäischem Gemeinschaftsrecht im Einklang. Art. 1 Abs. 2 VO
(EWG) Nr. 98/69 des Rates sieht vor, dass in den Fällen des Interventionsverkaufs
zu Verarbeitungszwecken besondere Bedingungen die Stellung einer Kaution vorse-
hen können, die die Durchführung der eingegangenen Verpflichtungen gewährleisten
soll und die vollständig oder teilweise einbehalten wird, wenn die Verpflichtungen
nicht oder nur teilweise erfüllt werden. Demgemäß bestimmt Art. 4 Abs. 1 VO (EWG)
Nr. 2182/77 der Kommission, dass der Käufer vor der Übernahme des Fleisches eine
die Verarbeitung der Erzeugnisse gewährleistende Sicherheit stellen muss. Wegen
des Verfalls der Sicherheit verweist Art. 5 Abs. 3 dieser Verordnung auf die Verord-
nung (EWG) Nr. 2220/85 der Kommission vom 22. Juli 1985 mit gemeinsamen
Durchführungsbestimmungen zur Regelung der Sicherheiten für landwirtschaftliche
Erzeugnisse (ABl Nr. L 205/5, ber. ABl 1986 Nr. L 14/19) in der Fassung der Verord-
nung (EWG) Nr. 1181/87 vom 29. April 1987 (ABl Nr. L 113/31). Nach deren Art. 22
Abs. 1 verfällt eine Sicherheit in voller Höhe für die Menge, für die eine Hauptpflicht
nicht erfüllt wurde, sofern nicht höhere Gewalt die Erfüllung verhinderte; und nach
deren Art. 22 Abs. 2 Satz 1 gilt eine Hauptpflicht als nicht erfüllt, wenn der entspre-
chende Nachweis innerhalb der hierfür vorgesehenen Frist nicht erbracht wird, sofern
nicht höhere Gewalt die Erbringung des Nachweises innerhalb der gesetzten Frist
verhinderte. Gemäß Art. 5 Abs. 3 UAbs. 1 VO (EWG) Nr. 2182/77 ist die Herstellung
der Erzeugnisse die Hauptpflicht im Sinne dieser Bestimmungen.
Die Klägerin kann sich nicht darauf berufen, dass die Sicherheit nur zum Teil verfal-
len sei, weil lediglich der Nachweis zu spät beigebracht worden sei. Allerdings be-
stimmt Art. 22 Abs. 3 VO (EWG) Nr. 2220/85, dass 85 % des Betrages der verfalle-
nen Sicherheit zurückgezahlt werden, wenn der Nachweis über die Erfüllung aller
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Hauptpflichten innerhalb von 18 Monaten nach Ablauf der Frist gemäß Art. 22 Abs. 2
Satz 1 der Verordnung erbracht wird. Diese verlängerte Frist hätte die Klägerin hier
eingehalten. Jedoch kommt diese Bestimmung nur zur Anwendung, wenn der Nach-
weis innerhalb von sieben Monaten erstellt wurde, aber erst nach Ablauf von sieben
Monaten bis längstens binnen achtzehn Monaten vorgelegt wurde; sie kommt hinge-
gen nicht zur Anwendung, wenn der Nachweis innerhalb der Frist von sieben Mona-
ten noch gar nicht erstellt war. Das haben die Vorinstanzen richtig erkannt. Es ergibt
sich aus Art. 5 Abs. 3 UAbs. 3 VO (EWG) Nr. 2182/77. Hiernach gilt die zusätzliche
Frist gemäß Art. 22 Abs. 3 der Verordnung (EWG) Nr. 2220/85 nur, wenn der in
Abs. 2 genannte Nachweis innerhalb der in Abs. 2 angegebenen (Sieben-Monats-)
Frist ausgestellt worden ist.
Die Klägerin meint, es verstoße gegen den gemeinschaftsrechtlichen Grundsatz der
Verhältnismäßigkeit, die Verarbeitungssicherheit nicht nur bei Verletzung der Verar-
beitungspflicht, sondern auch bei Verletzung der Nachweispflicht vollständig für ver-
fallen zu erklären. Dem sind die Vorinstanzen mit Recht nicht gefolgt. Die Klägerin
verkennt, dass nach Art. 22 Abs. 2 Satz 1 VO (EWG) Nr. 2220/85 die Verarbei-
tungspflicht selbst als nicht erfüllt gilt, wenn der diesbezügliche Nachweis nicht oder
verspätet erbracht wird. Dem liegt die Erwägung zugrunde, dass allzu spät erstellte
Bescheinigungen nur noch unzureichenden Nachweis über die Erfüllung der Verar-
beitungspflicht erbringen können. Es lässt sich daher nicht beanstanden, dass die
Erfüllung der fristgebundenen Verarbeitungspflicht nur durch Dokumente nachge-
wiesen werden kann, die spätestens zwei Monate nach Ablauf der Verarbeitungsfrist
erstellt worden sind.
cc) Jedoch kann die Beklagte die Verarbeitungssicherheit nicht mehr in voller Höhe
für verfallen erklären, weil sie sie zuvor bereits freigegeben hatte. Das in Art. 29 VO
(EWG) Nr. 2220/85 geregelte Verfahren über Verfall und Einzug von Sicherheiten
setzt voraus, dass die Sicherheit in den Händen der Behörde noch besteht. Daran
fehlt es hier. Zu Unrecht meint die Beklagte, sie habe die Sicherheit zuvor nur zu
15 % für verfallen erklärt, aber nicht in restlicher Höhe freigegeben. Die Vorinstanzen
haben ihre Teilverfallerklärung vom 2. Oktober 1989 bereits als Freigabe im Übrigen
gewertet. Daran ist der Senat gebunden (§ 137 Abs. 2 VwGO), da insofern Verfah-
rensrügen nicht erhoben worden sind. Zudem hat die Beklagte die von der Klägerin
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beigebrachte Bankbürgschaft mit Schreiben vom 24. Januar 1990 an die Klägerin
zurückgereicht. Jedenfalls darin ist die Freigabe zu sehen.
Wurde eine Sicherheit zu Unrecht freigegeben, so kann die Behörde nur dann noch
Zahlung des Sicherheitsbetrages verlangen, wenn sie berechtigt wäre, die Wieder-
gestellung der Sicherheit zu verlangen. Das aber setzt voraus, dass das Risiko, für
das sie gestellt worden ist, noch fortbesteht. Es ist nicht möglich, die erneute Stellung
einer Sicherheit zu verlangen, wenn sich das Risiko, für das sie gestellt worden ist,
bereits realisiert hat (EuGH, Urteil vom 25. September 1984 - Rs. 117/83 - Könecke,
Slg. 1984, 3291 ). Im Anschluss hieran hat der nationale Verordnungsgeber
bestimmt, dass - vorbehaltlich einer anderen Regelung in den Rechtsakten der
Europäischen Gemeinschaften - eine zu Unrecht freigegebene Sicherheit nur dann
erneut zu leisten ist, wenn der Sicherungszweck noch besteht (§ 7 EWG-
Sicherheiten-VO). Dabei ist der Umstand, dass die Sicherheit freigegeben wurde, als
solcher ohne Belang. Allein die Freigabe der Sicherheit führt nicht zum Erlöschen der
gesicherten Verpflichtung. Der Fortbestand der gesicherten Verpflichtung ist vielmehr
unabhängig vom Fortbestand der Sicherheit zu beurteilen (EuGH, Urteil vom 5.
Dezember 1985 - Rs. 124/83 - Cormann, Slg. 1985, 3777 ; Urteil vom 12.
Juli 1990 - Rs. C-155/89 - Philipp Brothers, Slg. 1990, I-3265 ).
Die in Rede stehende Sicherheit diente dazu, die zweckentsprechende Verarbeitung
des gekauften Rindfleischs zu sichern. Die Verarbeitung sollte innerhalb einer Frist
von fünf Monaten erfolgen, der diesbezügliche Nachweis sollte binnen sieben Mona-
ten erstellt werden. Diese Pflichten lassen sich schon wegen des Fristablaufs nicht
mehr erfüllen, ihre Erfüllung damit auch nicht mehr sichern. Das diesbezügliche Risi-
ko hat sich bereits realisiert, so dass die Beklagte allein deswegen heute nicht mehr
die Neugestellung der Sicherheit verlangen kann. Die Verletzung der Verarbeitungs-
pflicht zieht nach dem Vertrage, nach europäischem Gemeinschaftsrecht und nach
nationalem Recht auch keine anderen oder weitergehenden Rechtsfolgen als eben
den Verfall der Sicherheit nach sich. Weder ist eine Kaufpreiserhöhung noch eine
Schadensersatzpflicht der Käuferin noch eine (andere) Sanktion vorgesehen. All dies
ist zwischen den Beteiligten auch unstreitig.
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Die Beklagte meint gleichwohl, die Sicherheit habe den zusätzlichen Zweck, das fi-
nanzielle Interesse der Europäischen Gemeinschaft daran zu sichern, dass zu Un-
recht abgeflossene Beträge wieder eingezogen werden. Sie beruft sich hierfür auf
das bereits erwähnte Urteil des Europäischen Gerichtshofs in der Sache Cormann
(EuGH, Urteil vom 5. Dezember 1985 - Rs. 124/83 - Slg. 1985, 3777). Dort hat der
Europäische Gerichtshof entschieden, dass eine Verarbeitungskaution - über die
Verarbeitungspflicht hinaus - auch den Anspruch der Gemeinschaft darauf sichern
kann, eine aus Gemeinschaftsmitteln gewährte Kaufpreisverbilligung, deren Gewäh-
rung an die Verarbeitung geknüpft war, wieder einzuziehen, wenn die Verarbeitung
nicht oder nicht fristgerecht erfolgt ist (Rn. 31 ff.). Die Grundsätze dieser Entschei-
dung lassen sich jedoch auf den vorliegenden Fall nicht übertragen.
Es ist schon zweifelhaft, ob der vorliegende Verkauf zu verbilligten Preisen erfolgt ist.
Die Ware stammte aus Einlagerungen vor dem 1. Juni 1986 (vgl. Ziff. 2.1 der Be-
kanntmachung Nr. 48/88/31) und war daher im Zeitpunkt der Ausschreibung mehr als
25 Monate und beim Zuschlag wenigstens 27 Monate alt. Es ist höchst zweifelhaft,
ob es einen "Marktpreis" für derartiges Fleisch gibt. Jedenfalls scheidet der In-
terventionspreis, der sich auf frisches Fleisch bezieht, als Vergleichspreis aus. Auch
die Rechtsgrundlagen der Verkaufsaktion lassen eine Subventionierungsabsicht nicht
erkennen. Grundlage der Verkaufsaktion war die Verordnung (EWG) Nr. 2294/88 der
Kommission vom 26. Juli 1988 (ABl Nr. L 201/22), die als deren Zweck - allein - die
Vermeidung einer noch längeren Lagerzeit und der damit verbundenen hohen
Kosten anführt (2. Erwägungsgrund). Der Verkauf erfolgte im sog. zweiphasigen Ver-
fahren nach den Regeln der Verordnung (EWG) Nr. 2539/84 der Kommission vom 5.
September 1984 (ABl Nr. L 238/13). Hierbei werden die ansonsten alternativen Ver-
fahren des Verkaufs zu im Wege der Ausschreibung ermittelten Preisen und zu im
Voraus pauschal festgesetzten Preisen hintereinander geschaltet. Zweck dieser
Verfahrensweise ist eine bessere finanzielle Verwaltung der Interventionsbestände
(2. Erwägungsgrund; vgl. auch den 4. Erwägungsgrund), also allein die Erzielung
eines möglichst guten Verkaufspreises.
Ein Verkauf zu herabgesetzten Preisen ist nur dann vorgesehen, wenn das Rind-
fleisch zu Konserven verarbeitet werden soll. Damit sollten in der Gemeinschaft her-
gestellte Rindfleischkonserven gegenüber importierten Rindfleischkonserven wett-
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bewerbsfähig gemacht werden, die nach der Verordnung (EWG) Nr. 1136/79 der
Kommission vom 8. Juni 1979 (ABl Nr. L 141/10) - der Nachfolgeregelung der Ver-
ordnung (EWG) Nr. 597/77 - ohne Abschöpfung bei der Einfuhr und damit zu den
niedrigeren Weltmarktpreisen auf den Gemeinschaftsmarkt gelangen konnten (vgl.
den 3. Erwägungsgrund zur Verordnung/EWG Nr. 2182/77). Die Klägerin hat sich
aber nicht verpflichtet, Konserven herzustellen. Sie hat Rauchfleisch, Brüh- und
Kochwurst sowie "Knacker" hergestellt, wie sich aus dem - vom Berufungsgericht in
Bezug genommenen - Verarbeitungsnachweis ergibt.
Die Verarbeitungskaution lässt auch keinerlei Zusammenhang mit einer Kaufpreis-
ermäßigung erkennen. Der Europäische Gerichtshof hat im Fall Cormann ange-
nommen, dass Zweck der Verarbeitungskaution (auch) die Sicherung eines An-
spruchs der Gemeinschaft auf Forderung des Unterschiedes zum Marktpreis sein
sollte, falls die Verarbeitungspflicht verletzt würde. Der Europäische Gerichtshof hat
diesen zusätzlichen Sicherungszweck der Kaution dem Umstand entnommen, dass
die Kautionshöhe "unter Berücksichtigung des Unterschieds zwischen dem Markt-
preis für Butter und den Mindestverkaufpreisen" festgesetzt wurde (Rn. 31, 33). Da-
für fehlt im vorliegenden Fall jeder Anhaltspunkt. Die Erwägungsgründe der Verord-
nungen (EWG) Nr. 2182/77 und 2294/88 geben über die Grundlagen für die Festset-
zung der Höhe der Verarbeitungssicherheit keinen Aufschluss. Die Versuche der
Beklagten, einen Zusammenhang zwischen der Kautionshöhe und der - von ihr be-
haupteten - Kaufpreisverbilligung herzustellen, sind rein spekulativ.
Im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Senat hat die Beklagte darauf ver-
wiesen, dass schon für den Ankauf von Rindfleisch zum Interventionspreis und für
die Einlagerung Gemeinschaftsmittel eingesetzt würden; der Verkauf möglichst nur
zum Ankaufspreis (Interventionspreis) diene dazu, diese Gemeinschaftsmittel wieder
einzuziehen. Damit kann sie einen Sicherungszweck der Verarbeitungssicherheit
nicht begründen. Die Aufwendung von Gemeinschaftsmitteln zum Ankauf von Rind-
fleisch geschieht in Wahrnehmung einer Aufgabe der Gemeinschaft. Sie dient der
Preisstützung im Interesse der Rindfleischerzeuger. Eine irgend geartete Subvention
im Interesse der Rindfleischverarbeiter lässt sich darin nicht sehen.
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dd) Die Beklagte kann ihren Zahlungsanspruch schließlich auch nicht aus Ziff. 8.8
der Allgemeinen Bedingungen für den Verkauf von Rindfleisch aus Interventionen
herleiten, die mit Bekanntmachung Nr. 55/87/31 vom 8. September 1987 (BAnz
Nr. 172 vom 16. September 1987) veröffentlicht und durch die Bekanntmachung Nr.
48/88/31, insbesondere deren Ziff. 9.1, auch zur Grundlage des vorliegenden Kauf-
vertrages gemacht worden waren. Wird eine Sicherheit zu Unrecht freigegeben, so
kann hiernach ein entsprechender Geldbetrag zurückgefordert werden.
Die Rede von der "Zurückforderung" zeigt, dass es auch in dieser Bestimmung um
den Anspruch der BALM auf die Wiedergestellung einer zu Unrecht freigegebenen
Kaution geht: Die irrtümliche oder fehlerhafte Freigabe soll revidiert werden. Dabei
soll der Behörde erlaubt sein, statt der Wiedergestellung der Sicherheit auch sogleich
Zahlung zu verlangen.
Ziff. 8.8 der Allgemeinen Bedingungen setzt aber zusätzlich voraus, dass der Siche-
rungszweck fortbesteht. Das besagt die Regelung zwar nicht ausdrücklich, in diesem
Sinne muss sie aber - einschränkend - ausgelegt werden. Andernfalls würde sie sich
in Widerspruch mit zwingendem Gemeinschaftsrecht setzen und wäre insoweit nich-
tig. Der Europäische Gerichtshof hat entschieden, dass eine nationale Regelung, die
zur Aufhebung eines rechtswidrigen Kautionsfreigabebescheides und zur Rückforde-
rung des Kautionsbetrages nach dem Zeitpunkt ermächtigt, in dem sich das gesi-
cherte Risiko bereits realisiert hat - in dem m.a.W. der Sicherungszweck nicht mehr
erreichbar ist -, mit dem Gemeinschaftsrecht nicht vereinbar ist, weil die gemein-
schaftsrechtliche Regelung insofern abschließend ist (EuGH, Urteil vom 25. Sep-
tember 1984, a.a.O. ).
Prof. Dr. Driehaus van Schewick Dr. Dette
Liebler Prof. Dr. Rennert
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B e s c h l u s s
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Revisionsverfahren auf 21 948,19 €
festgesetzt (vgl. § 45 Abs. 1 Satz 3 GKG).
Prof. Dr. Driehaus van Schewick Dr. Dette
Liebler Prof. Dr. Rennert
Sachgebiet:
BVerwGE: nein
Landwirtschaftsrecht
Fachpresse: ja
Europäisches Gemeinschaftsrecht
Rechtsquellen:
VO (EWG)
Nr. 2220/85 Art. 22, 29
EWG-Sicherheiten-Verordnung §§ 6, 7
VwVfG
§ 35
VwGO
§ 89 Abs. 2
Stichworte:
Rindfleisch; Verkauf von Rindfleisch aus Interventionsbeständen; Verarbeitungssi-
cherheit; Kaution; Verarbeitungskaution; Sicherungszweck; Freigabe; Verfall; Verwal-
tungsakt; öffentlich-rechtlicher Vertrag; Widerklage.
Leitsätze:
Beim Verkauf von Rindfleisch aus Interventionsbeständen kommt durch Gebot und
Zuschlag ein öffentlich-rechtlicher Vertrag zustande.
Die behördliche Verfallerklärung einer Verarbeitungssicherheit durch bloße Last-
schrift ist kein Verwaltungsakt. Dasselbe gilt für die Freigabe einer Sicherheit.
Die EWG-Sicherheiten-Verordnung bietet keine Ermächtigungsgrundlage für die Ver-
fallerklärung einer Sicherheit durch Verwaltungsakt.
Hat die Behörde eine Sicherheit zu Unrecht freigegeben, so kann sie nur dann noch
Zahlung des Sicherheitsbetrages verlangen, wenn sie berechtigt wäre, die Wieder-
gestellung der Sicherheit zu verlangen. Das setzt voraus, dass das Risiko, für das sie
gestellt worden ist, noch fortbesteht.
Wird die Anfechtungsklage gegen einen Leistungsbescheid damit begründet, dass
zwischen den Beteiligten ein Subordinationsverhältnis nicht bestehe, so hindert § 89
Abs. 2 VwGO die Behörde nicht, ihre Forderung - ggf. hilfsweise - durch Widerklage
geltend zu machen.
Urteil des 3. Senats vom 8. September 2005 - BVerwG 3 C 49.04
I. VG Frankfurt am Main vom 10.09.1998 - Az.: VG 1 E 506/96 (V) -
II. VGH Kassel vom 10.12.2003 - Az.: VGH 8 UE 4696/98 -