Urteil des BVerwG vom 10.07.2008

Surrogat, Grundstück, Rückforderung, Zubehör

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
BVerwG 3 C 40.07
VG 6 K 3264/05
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 10. Juli 2008
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Kley
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Dette, Liebler,
Prof. Dr. Rennert und Buchheister
ohne mündliche Verhandlung für Recht erkannt:
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Verwal-
tungsgerichts Stuttgart vom 16. März 2007 wird zurück-
gewiesen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.
G r ü n d e :
I
Der Kläger wendet sich zugleich als Erbe nach seiner Mutter und seiner
Schwester gegen die Rückforderung von Lastenausgleichsleistungen in Höhe
von insgesamt 6 290,68 € wegen Schadensausgleichs.
Mit Teilbescheid des Ausgleichsamts München vom 6. September 1971 wurde
zugunsten des Klägers sowie seiner Mutter und Schwester als den unmittelbar
Geschädigten ein Wegnahmeschaden an Grundvermögen (gemischt genutztes
bebautes Grundstück in P., N. Straße …) in Höhe von 5 300,00 Mark-Ost nach
dem Beweissicherungs- und Feststellungsgesetz festgestellt. Hiervon entfielen
entsprechend den Miteigentumsanteilen an dem Grundstück auf die Mutter
1 325,00 Mark-Ost (1/4) sowie auf den Kläger und seine Schwester jeweils
1 987,50 Mark-Ost (je 3/8). Mit Bescheid des Ausgleichsamts der Beklagten
vom 6. November 1975 wurde der festgestellte Schadensbetrag um 3 600,00
Mark-Ost auf insgesamt 8 900,00 Mark-Ost erhöht. Dadurch erhöhten sich der
Anteil der Mutter auf 2 225,00 Mark-Ost und die Anteile der Kinder auf jeweils
3 337,50 Mark-Ost. Hierfür wurde den Geschädigten mit Teilbescheiden des
Ausgleichsamts München vom 6. September 1971 zunächst Hauptentschädi-
gung in Höhe von 1 330,00 DM (Mutter) und jeweils 1 990,00 DM (Kläger und
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Schwester) und mit Gesamtbescheiden des Ausgleichsamts der Beklagten vom
27. Januar 1976 Hauptentschädigung in Höhe von weiteren 1 120,00 DM (Mut-
ter) und jeweils 1 350,00 DM (Kläger und Schwester) zuerkannt. Laut Erfül-
lungsmitteilungen des Ausgleichsamts München vom 5. Oktober 1971,
29. November 1971 und 6. Dezember 1971 wurden der Mutter nebst Zinsen
1 436,40 DM sowie jeweils 2 149,20 DM an den Kläger und seine Schwester
ausgezahlt, gemäß den Erfüllungsmitteilungen des Ausgleichsamts der Beklag-
ten vom 20. März 1976 und 20. April 1976 weitere 3 041,50 DM an die Mutter,
2 101,80 DM an den Kläger sowie 2 088,30 DM an dessen Schwester.
Die Mutter des Klägers starb am 9. Juli 1987. Sie wurde vom Kläger und seiner
Schwester je zur Hälfte beerbt.
Auf einen vermögensrechtlichen Restitutionsantrag des Klägers und seiner
Schwester hin übertrug ihnen das Amt zur Regelung offener Vermögensfragen
P. mit Bescheid vom 2. Juni 1994 lediglich das Eigentum an dem in Volkseigen-
tum überführten Grund und Boden zurück. Die Rückgabe des Gebäudes, für
das zwischenzeitlich ein Gebäudegrundbuchblatt angelegt worden war, wurde
abgelehnt, weil es bereits weiterveräußert worden war. Stattdessen wurde dem
Kläger und seiner Schwester ein Anspruch gegen die Veräußerer auf den Ver-
kaufserlös in Höhe von 8 000,00 DM zuerkannt.
Nachdem das Ausgleichsamt der Beklagten ein Rückforderungsverfahren ein-
geleitet hatte, machten der Kläger und seine Schwester geltend, ihr Anspruch
gegen die Verkäufer des Gebäudes habe sich wegen deren Vermögenslosigkeit
nicht realisieren lassen. Insoweit werde die Anerkennung eines Restschadens
beantragt. Dennoch forderte das Ausgleichsamt der Beklagten mit Rück-
forderungs- und Leistungsbescheiden vom 28. März 2003 vom Kläger und sei-
ner Schwester in deren Eigenschaft als unmittelbar Geschädigte zu viel gezahl-
te Hauptentschädigung in Höhe von jeweils 2 049,25 € zurück. Zudem verlang-
te es von ihnen als Erben nach ihrer Mutter jeweils weitere 1 096,09 €. Zur Be-
gründung wurde ausgeführt, es liege ein voller Schadensausgleich vor. Dies
gelte wegen des zugesprochenen Veräußerungserlöses auch hinsichtlich des
auf dem Grundstück vorhandenen Gebäudes.
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Die Schwester des Klägers verstarb am 8. Juli 2003 und wurde durch den Klä-
ger beerbt.
Mit Beschwerdebescheid vom 12. September 2005 wies die Beschwerdestelle
für Lastenausgleich die am 11. April 2003 erhobenen Beschwerden des Klägers
und seiner Schwester zurück. Der festgestellte Wegnahmeschaden sei
vollständig ausgeglichen worden. Der Erlösauskehranspruch sei als Surrogat
für das nicht zurückübertragene Wohngebäude anzusehen.
Das Verwaltungsgericht hat der dagegen erhobenen Klage durch Urteil vom
16. März 2007 stattgegeben und die angefochtenen Leistungsbescheide teil-
weise aufgehoben. Diese seien rechtswidrig, soweit Hauptentschädigung hin-
sichtlich des Gebäudes zurückgefordert worden sei. Insoweit sei ein Scha-
densausgleich nicht eingetreten und der Kläger nicht verpflichtet, die ihm und
den übrigen Geschädigten gewährte Hauptentschädigung zurückzuzahlen.
Mit seiner Revision gegen dieses Urteil beruft sich die Beklagte darauf, dass mit
der Einräumung der Verfügungsbefugnis über den Verkaufserlös der Schaden
nach § 349 LAG ausgeglichen worden sei. Da bei Surrogaten die Wieder-
herstellung des ursprünglichen Rechtszustandes kein Kriterium für den Scha-
densausgleich sein könne, komme es allein darauf an, ob das Surrogat verfüg-
bar sei oder nicht. Der Annahme eines Schadensausgleichs stehe daher nicht
entgegen, dass der Kläger seinen Erlösauskehranspruch nicht geltend gemacht
habe. Eine unzureichende Wahrnehmung eigener Rechte könne nicht zu Las-
ten des Entschädigungsfonds gehen.
Der Kläger ist der Auffassung, allein die Verfügungsbefugnis über eine Forde-
rung könne keinen Schadensausgleich darstellen; dieser sei erst dann eingetre-
ten, wenn der wirtschaftliche Wert realisiert und damit der Ausgleich tatsächlich
hergestellt werde.
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Die Beteiligten haben auf mündliche Verhandlung verzichtet.
II
Die Revision ist unbegründet. Das angegriffene Urteil steht im Einklang mit
Bundesrecht. Das Verwaltungsgericht hat die Bescheide, die insgesamt - also
auch soweit sie sich gegen die zwischenzeitlich verstorbene Schwester des Klä-
gers richten - Gegenstand des Verfahrens sind, zu Recht als rechtswidrig
angesehen, soweit Hauptentschädigung hinsichtlich des auf dem Grundstück
vorhandenen Gebäudes zurückgefordert wird.
Rechtsgrundlage für die Rückforderung der Hauptentschädigung in den ange-
griffenen Bescheiden ist § 349 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 des Lastenaus-
gleichsgesetzes - LAG -. Nach § 349 Abs. 1 Satz 1 LAG sind „in den Fällen des
§ 342 Abs. 3“ die zu viel gewährten Ausgleichsleistungen nach Maßgabe der
Absätze 2 bis 5 zurückzufordern, ohne dass es - wie § 342 Abs. 3 LAG klar-
stellt - eines ausdrücklichen Wiederaufgreifens des früheren Lastenausgleichs-
verfahrens bedarf. Was in diesem Sinne als zu viel gewährter Lastenausgleich
anzusehen ist, wird durch die Verweisung auf die folgenden Absätze festgelegt
und bezieht sich auf den nachträglichen Schadenswegfall (§ 342 Abs. 3 Satz 2
i.V.m. Abs. 2 Nr. 2 LAG). Nach § 349 Abs. 3 Satz 2 LAG gilt bei Rückgaben von
Vermögenswerten, die in dem in Art. 3 des Einigungsvertrages genannten Ge-
biet belegen sind, sowie der Wiederherstellung der vollen Verfügungsrechte
über solche Vermögenswerte der festgestellte Schaden insoweit stets in voller
Höhe als ausgeglichen; Wertminderungen sowie das Fehlen von Zubehör oder
Inventar werden nicht berücksichtigt.
Die Anwendung dieser Vorschriften rechtfertigt zwar die Rückforderung der
Hauptentschädigung, soweit sie für den entzogenen und mittlerweile zurück-
übertragenen Grund und Boden gewährt worden ist, jedoch nicht, soweit sie auf
das inzwischen weiterveräußerte Gebäude entfällt. In diesem Umfang ist der
Schaden weder ausgeglichen worden (1.), noch muss sich der Kläger so be-
handeln lassen, als habe ein solcher Ausgleich stattgefunden (2.).
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1. Ein voller, also auch die Entziehung des Gebäudes abdeckender Scha-
densausgleich ergibt sich nicht bereits daraus, dass das Grundstück als solches
zurückübertragen worden ist und Wertminderungen sowie das Fehlen von
Zubehör oder Inventar nach § 349 Abs. 3 Satz 2 Halbs. 2 LAG nicht berück-
sichtigt werden. Bei dem Gebäude handelte es sich weder um Zubehör noch
um Inventar, sondern um einen wesentlichen Bestandteil des Grundstücks.
Dieser wesentliche Bestandteil ist nicht beschädigt oder zerstört, sondern recht-
lich verselbständigt worden. Die Rückgabe des Grundstücks, das wegen dieser
rechtlichen Aufspaltung nur noch teilidentisch mit dem entzogenen Vermö-
genswert ist, führt daher auch nur zu einem teilweisen Ausgleich des durch die
Eigentumsentziehung entstandenen Schadens.
Entgegen der Auffassung der Beklagten ist der auf die Entziehung des Gebäu-
des entfallende Schaden auch nicht dadurch ausgeglichen worden, dass das
Amt zur Regelung offener Vermögensfragen dem Kläger und seiner Schwester
in analoger Anwendung des § 3 Abs. 4 Satz 3 VermG den Erlös aus dem Ver-
kauf dieses Vermögenswerts zugesprochen hat. Zwar ist nach § 349 Abs. 3
Satz 4 LAG ein festgestellter Schaden auch bei Schadensausgleichsleistungen
nach dem Vermögensgesetz in Geld oder Geldeswert in voller Höhe ausgegli-
chen. Voraussetzung ist jedoch, dass dem Berechtigten dieses Surrogat in ei-
ner Weise zur Verfügung gestellt wird, die der Wiedereinräumung der vollen
Verfügungsrechte über den entzogenen Vermögenswert gleichkommt; denn in
der Wiedergewinnung dieser Verfügungsrechte sieht der Gesetzgeber das den
Schadensausgleich herbeiführende Element. Eine der Wiederherstellung der
Eigentumsrechte an einem entzogenen Vermögensgegenstand vergleichbare
Rechtsstellung erlangt der Betroffene mit der bloßen Einräumung einer als Sur-
rogat gewährten Geldforderung jedoch nicht. Ihm bleibt das Risiko ihrer Verwer-
tung. Solange diese nicht geschehen ist, hat der Schadensausgleich nicht
stattgefunden.
Dem lässt sich nicht entgegenhalten, dass der Senat in seinem Urteil vom
27. April 2006 - BVerwG 3 C 28.05 - (Buchholz 427.3 § 349 LAG Nr. 11) die
Wiedererlangung der Möglichkeit, eine Forderung dem Schuldner gegenüber
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geltend zu machen und gegebenenfalls durchzusetzen, als Schadensausgleich
im Sinne des § 349 Abs. 3 LAG anerkannt hat. Dort ging es um den Ausgleich
für den Wegnahmeschaden an einer Geldforderung. Dieser tritt ein, sobald der
Betroffene wieder in die Lage versetzt wird, seine Rechte aus der Forderung
geltend zu machen; denn damit erlangt er dieselbe Position zurück, die er sei-
nerzeit eingebüßt hatte. Anders verhält es sich - wie hier - bei einer als Ersatz
für einen entzogenen Vermögenswert gewährten Geldforderung, mit der der
Wegnahmeschaden erst dann wiedergutgemacht wird, wenn dem Berechtigten
der durch die Forderung verkörperte Wert tatsächlich zufließt.
2. Dem Kläger kann auch nicht entgegengehalten werden, dass er nicht ver-
sucht habe, den Anspruch auf Erlösauskehr durchzusetzen und so den Scha-
densausgleich für das entzogene Gebäude zu erlangen. Eine solche Pflicht zur
Schadensminderung entsprechend dem allgemeinen Rechtsgedanken des
§ 254 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 BGB, auf die sich die Beklagte sinngemäß mit ihrem
Einwand beruft, eine unzureichende Wahrnehmung eigener Rechte dürfe nicht
zu Lasten des Entschädigungsfonds gehen, besteht hier nicht. Das gilt unge-
achtet dessen, dass nach § 349 Abs. 2 Satz 2 LAG für die Bemessung des
Schadens die Vorschriften des Feststellungsgesetzes - FG - und des Beweissi-
cherungs- und Feststellungsgesetzes - BFG - in der am 31. Dezember 1991
geltenden Fassung heranzuziehen sind und § 21a Abs. 2 FG ausdrücklich eine
solche Schadensminderungspflicht begründet; denn der mit Gesetz vom 24. Juli
1992 (BGBl I S. 1389) eingefügte Satz 2 des § 349 Abs. 1 LAG erklärt gerade
diese Vorschrift bei der Rückforderung zu viel gewährter Ausgleichsleistungen
nach § 349 Abs. 1 Satz 1 LAG für unanwendbar. Nach der Begründung des
Gesetzentwurfs sollte dem Betroffenen hierdurch ein Wahlrecht eingeräumt
werden. Falls es ihm günstiger erscheine, könne er auf anderweitige Scha-
densausgleichsleistungen verzichten. In diesem Fall bleibe ihm der gewährte
Lastenausgleich ungeschmälert erhalten (BTDrucks 12/2170 S. 11). Angesichts
dieses Regelungszwecks kommt es auf die Frage, ob der Kläger den als Surro-
gat eingeräumten Anspruch auf den Verkaufserlös zumutbarerweise hätte rea-
lisieren können, nicht an.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
Kley
Dr. Dette
Liebler
RiBVerwG Prof. Dr. Rennert
Buchheister
ist wegen Urlaubs verhindert
zu unterschreiben.
Kley
B e s c h l u s s
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Revisionsverfahren auf
4 090,34 € festgesetzt.
Kley
Dr. Dette
RiBVerwG Prof. Dr. Rennert
ist wegen Urlaubs verhindert
zu unterschreiben.
Kley
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Sachgebiet:
BVerwGE:
nein
Lastenausgleichsrecht
Fachpresse: ja
Rechtsquellen:
LAG
§ 349 Abs. 1 Satz 1, § 349 Abs. 2 Satz 2,
§ 349 Abs. 3 Satz 1 und Satz 2, § 342 Abs. 3
FG
§ 21a Abs. 1 und 2
Stichworte:
Rückforderung von Lastenausgleichsleistungen; Lastenausgleich; Scha-
densausgleich; fiktiver Schadensausgleich; Surrogat; Anspruch auf Erlös-
auskehr; Schadensminderungspflicht.
Leitsatz:
Der durch die Wegnahme eines Grundstücks entstandene Schaden gilt nicht
schon dann im Sinne des § 349 Abs. 3 Satz 2 LAG als ausgeglichen, wenn dem
Berechtigten nach § 3 Abs. 4 Satz 3 VermG der Anspruch auf den Erlös aus der
Veräußerung des Vermögenswerts eingeräumt worden ist, sondern erst dann,
wenn ihm dieser Erlös tatsächlich zugeflossen ist.
Urteil des 3. Senats vom 10. Juli 2008 - BVerwG 3 C 40.07
I. VG Stuttgart vom 16.03.2007 - Az.: VG 6 K 3264/05 -