Urteil des BVerwG vom 23.09.2010

Beweis des Gegenteils, Änderung der Rechtsprechung, Gefahr, Verkehrssicherheit

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
BVerwG 3 C 37.09
VGH 11 BV 08.481
VGH 11 BV 08.482
Verkündet
am 23. September 2010
Zweigler
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 23. September 2010
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Kley und
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Liebler, Prof. Dr. Dr. h.c. Rennert,
Buchheister und Dr. Wysk
für Recht erkannt:
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Bayeri-
schen Verwaltungsgerichtshofs vom 29. Juli 2009 wird zu-
rückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.
G r ü n d e :
I
Der Kläger, der als selbständiger Fuhrunternehmer Segel- und Motoryachten
transportiert, wendet sich gegen Lkw-Überholverbote auf der Bundesautobahn
A 8 Ost.
Dort ist zwischen km 97,65 und km 125 in Richtung Salzburg und zwischen
km 123,2 und km 87,2 in Richtung München eine Streckenbeeinflussungsanla-
ge (SBA) installiert, die am 1. März 2000 zunächst in Probe- und später in Dau-
erbetrieb genommen wurde. Sie zeigt seit dem 6. Oktober 2000 das Verkehrs-
zeichen für Lkw-Überholverbote automatisch an, wenn in der jeweiligen Fahrt-
richtung eine Verkehrsstärke von 2 700 Pkw-E/h und ein Lkw-Anteil von 15 %
erreicht werden; zuvor, seit der ersten Schaltung der Anlage im April 2000,
wurden Lkw-Überholverbote erst ab einem Aufkommen von 4 000 Pkw-E/h an-
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gezeigt. Darüber hinaus sind zwischen km 97,65 und km 100,9 sowie zwischen
km 122 und km 125 in Richtung Salzburg sowie zwischen km 123,2 und km
87,2 in Richtung München starre Verkehrsschilder und Prismenwender aufge-
stellt, die ebenfalls Lkw-Überholverbote anzeigen.
Den Widerspruch des Klägers hat der Beklagte nicht beschieden. Nach Einle-
gung des Widerspruchs wurden bestimmte Verbotsschilder durch Prismenwen-
der ersetzt.
Das Verwaltungsgericht hat die am 18. Juli 2003 erhobenen Klagen nach Ein-
holen eines Sachverständigengutachtens mit Urteilen vom 14. November 2007
als unbegründet abgewiesen.
den Sachverständigen in der mündlichen Verhandlung nochmals angehört hat,
mit Urteil vom 29. Juli 2009 zurückgewiesen. Zur Begründung wird ausgeführt:
Die Klagen seien unzulässig, soweit sie sich gegen die durch Prismenwender
bekannt gegebenen Überholverbote richteten. Der Kläger habe sich in seinem
Widerspruch vom 21. August 2001 nur gegen durch die Streckenbeeinflus-
sungsanlage und starre Verkehrszeichen angezeigte Lkw-Überholverbote ge-
wandt. Ansonsten seien die Klagen zulässig, insbesondere nicht verfristet. Die
Rechtsmittelfrist beginne erst dann zu laufen, wenn sich der Verkehrsteilnehmer
dem Verkehrszeichen erstmals gegenübersehe. Hier sei es außerdem zu
Änderungen der der Beschilderung zugrunde liegenden verkehrsrechtlichen
Anordnungen gekommen; sie hätten den Lauf der Rechtsmittelfrist erneut aus-
gelöst. Soweit die Klagen zulässig seien, seien sie unbegründet. Eine Gefah-
renlage, die auf besondere örtliche Verhältnisse im Sinne von § 45 Abs. 9
Satz 2 StVO zurückzuführen sei, ergebe sich aus den Streckencharakteristika
(erhebliche Höhenunterschiede mit entsprechenden Steigungs- und Gefällstre-
cken; Nichterreichen der erforderlichen Haltesichtweiten wegen der Kuppen-
und Wannenhalbmesser sowie engen Kurvenradien; dichte Abfolge von An-
schlussstellen; nur zwei Fahrstreifen pro Fahrtrichtung ohne Standstreifen und
mit einem nur schmalen Mittelstreifen) in Verbindung mit einem überdurch-
schnittlichen Verkehrsaufkommen. Die Unfallraten hätten in den Jahren von
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1991 bis 1993 in beiden Fahrtrichtungen deutlich über dem bayerischen Durch-
schnitt gelegen. Daraus und aus der weit überdurchschnittlichen Verkehrsbe-
lastung folge, dass die konkrete Gefahrenlage das allgemeine Risiko einer
Rechtsgutbeeinträchtigung erheblich übersteige. Bei der Auswahl des Mittels
zur Bekämpfung dieser Gefahren habe der Beklagte den Verhältnismäßigkeits-
grundsatz nicht verletzt. Aus der Studie der Zentralstelle für Verkehrssicherheit
der Straßenbauverwaltung (ZVS) vom 21. September 2007 ergebe sich, dass
Lkw-Überholverbote geeignet seien, die Verkehrssicherheit auf den streitigen
Autobahnabschnitten zu verbessern. Der dort angestellte Vergleich der Zeit vor
und nach der Anordnung von Lkw-Überholverboten weise für die untersuchten
Strecken eine Abnahme der Unfallzahlen aus. Das zeige auch ein Vergleich der
Überholverbotsstrecken mit dem übrigen bayerischen Autobahnnetz. Dieses
Ergebnis könne auch für die streitgegenständlichen Autobahnabschnitte
zugrunde gelegt werden. Den Einwand des Klägers, der Zahlenvergleich beru-
he auf einem methodischen Fehler, habe der hierzu angehörte Sachverständige
entkräftet. Nach seinen Angaben könne zwar nicht ausgeschlossen werden,
dass sich ein Teil des Lkw-Verkehrs in die überholverbotsfreien Zeiten verlage-
re; das bedeute aber nicht, dass sich die Unfallzahlen in einer Weise veränder-
ten, die die Aussagekraft des angestellten Vergleichs verringere. Soweit der
Kläger bemängele, dass die Untersuchung der ZVS auch einen Autobahnab-
schnitt einschließe, auf dem 2005 und 2006 gar keine Überholverbotszeichen
aufgestellt gewesen seien, müsse dem nicht nachgegangen werden, weil der
Vorher-Nachher-Vergleich nicht wesentlich anders ausfalle, wenn man die dor-
tigen Unfallzahlen nicht berücksichtige. Wegen der Besonderheiten der hier
streitigen Autobahnabschnitte könne der Kläger die Eignung der Überholverbote
auch nicht mit dem Verweis auf die Studien von Drews und Assing in Frage
stellen. Weniger weitgehende Beschränkungen, die die Verkehrssicherheit in
gleichem Maße gewährleisteten, hätten sich dem Beklagten nicht aufdrängen
müssen. Es bleibe der Straßenverkehrsbehörde vorbehalten, aufgrund ihres
Erfahrungswissens und ihrer Sachkunde zu entscheiden, welche Maßnahme
den bestmöglichen Erfolg verspreche. Zwar habe der Kläger als Alternative eine
allgemeine Geschwindigkeitsbeschränkung genannt, doch nicht im Ansatz den
Nachweis geführt, dass es sich beim Lkw-Überholverbot um eine ersichtlich
sachfremde und damit unvertretbare Maßnahme handele. Die nach § 45 Abs. 1
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StVO gebotenen Ermessenserwägungen habe der Beklagte angestellt. Das
ergebe sich zwar nicht aus den verkehrsrechtlichen Anordnungen, doch habe
die zuständige Autobahndirektion in ihrem Schreiben an die Regierung von
Oberbayern die Notwendigkeit einer Anordnung der Lkw-Überholverbote im
Einzelnen begründet. Außerdem handele es sich, wenn die tatbestandlichen
Voraussetzungen von § 45 Abs. 9 StVO vorlägen, um intendiertes Ermessen.
Der Kläger werde schließlich auch nicht in seinen Grundrechten verletzt. Soweit
er in seiner Berufsausübung (Art. 12 Abs. 1 GG) betroffen sei, hätten die Über-
holverbote ihren sachlichen Grund in der Notwendigkeit, die festgestellten Ver-
kehrsgefahren zu vermindern. Dass der Kläger dadurch in seiner Existenz ge-
fährdet werde, habe er weder vorgetragen noch sei dies sonst ersichtlich. Eine
Beschränkung der straßenrechtlichen Widmung zu Lasten des Schwerlastver-
kehrs sei mit den Überholverboten nicht verbunden. Sie bedeuteten auch keine
unzulässige Privilegierung des Pkw-Verkehrs.
Zur Begründung seiner Revision macht der Kläger geltend: Zu Unrecht habe
der Verwaltungsgerichtshof seine Klage für unzulässig gehalten, soweit sie sich
gegen die durch Prismenwender bekannt gegebenen Überholverbote richte.
Sein Widerspruch habe auch diese Streckenabschnitte umfasst. Dass in Wi-
derspruch und Klage nicht von Prismenwendern die Rede gewesen sei, habe
seinen Grund darin, dass dort damals noch keine Prismenwender, sondern
starre Verkehrszeichen gestanden hätten. Abgesehen davon seien die den
Überholverboten zugrunde liegenden Anordnungen mehrfach geändert worden;
darin liege eine Neuregelung, mit der die Rechtsmittelfrist neu in Gang gesetzt
werde. Schließlich beginne die Jahresfrist jedes Mal neu zu laufen, wenn er das
Verkehrszeichen erneut passiere; insoweit könne nichts anderes gelten als bei
Einzelanordnungen eines Polizeivollzugsbeamten. Seine Klage sei auch be-
gründet, denn die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Anordnung der
Lkw-Überholverbote hätten nicht vorgelegen. Das Berufungsgericht habe sich
trotz der Ortsbezogenheit von § 45 Abs. 9 StVO nicht mit den einzelnen Stre-
ckenabschnitten befasst. Es habe auf Unfallraten aus den Jahren 1991 bis
1993 verwiesen, obwohl es auf den Sachstand zum Zeitpunkt der mündlichen
Verhandlung, also zum 27. Juli 2009, ankomme. Tragfähige aktuelle Unfallda-
ten habe der Beklagte nicht vorgelegt, insbesondere nicht dazu, dass die Un-
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fallzahlen nach der Anordnung der Lkw-Überholverbote gesunken seien. Aus
den Streckencharakteristika - hier Steigungen und Gefälle - könne keine kon-
krete, sondern nur eine abstrakte Gefahr abgeleitet werden. Ebenfalls zu Un-
recht habe das Berufungsgericht Ermessensfehler verneint. Die Eignung der
Lkw-Überholverbote könne es mit der Studie der Zentralstelle für Verkehrssi-
cherheit der Straßenbauverwaltung (ZVS) vom 21. September 2007 nicht be-
gründen. Die dort angewandte Methodik sei fehlerhaft. Der Sachverständige sei
dieser Kritik zwar nicht gefolgt. Es bestünden aber erhebliche Zweifel an des-
sen Unparteilichkeit, nachdem er einen Verkehrsversuch zur Wirksamkeit von
Geschwindigkeitsbeschränkungen und Überholverboten wissenschaftlich be-
gleitet habe. Außerdem gebe es eine Reihe von Zweifeln an der Richtigkeit sei-
ner Annahmen. Es widerspreche den allgemeinen Beweiswürdigungsgrundsät-
zen, wenn das Berufungsgericht den teils widersprüchlichen, teils nicht fundier-
ten Annahmen von ZVS und Sachverständigem gefolgt sei. Nachdem die herr-
schende Meinung in der Verkehrswissenschaft eine positive Wirkung von Lkw-
Überholverboten nicht als belegt ansehe, sei bis zum Beweis des Gegenteils
von deren mangelnder Eignung auszugehen. Auch hinsichtlich der Erforderlich-
keit von Lkw-Überholverboten habe das Berufungsgericht einen falschen Maß-
stab angelegt, wenn es annehme, er - der Kläger - habe den Nachweis zu füh-
ren, dass das Verbot ersichtlich sachfremd und daher unvertretbar sei. Es sei
vielmehr der Beklagte, der die Erforderlichkeit der getroffenen Maßnahme zu
belegen habe. Im Übrigen habe er nachgewiesen, dass allgemeine Geschwin-
digkeitsbeschränkungen oder die Anordnung von Mindestgeschwindigkeiten auf
Überholspuren vorzuziehen gewesen seien. Diese Maßnahmen würden auch in
der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zur Straßenverkehrs-Ordnung
empfohlen. Das Berufungsgericht habe zu Unrecht nicht beanstandet, dass sich
der Beklagte mit diesen Alternativen nicht auseinandergesetzt habe. Bei der
Prüfung der Angemessenheit der Maßnahme habe es verkannt, dass das Lkw-
Überholverbot zu einer erheblichen Beschränkung der Verkehrsqualität führe,
da sich die Lkw-Fahrer in ihrer Fahrweise dem Langsamsten anpassen
müssten. Ihnen werde außerdem die Nutzung eines erheblichen Teils der zum
Gemeingebrauch freigegebenen Verkehrsfläche vorenthalten. Das behindere
sie in der freien Entfaltung ihrer Persönlichkeit und in ihrer Berufsfreiheit. Dar-
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auf, dass die Lkw-Fahrer gegenüber den Pkw-Fahrern in der Minderzahl seien,
könne nicht verwiesen werden, da die Grundrechte nicht aufrechenbar seien.
Der Beklagte tritt der Revision entgegen. Der Kläger müsse sich daran festhal-
ten lassen, dass er seinen Widerspruch nur gegen Lkw-Überholverbote durch
die Streckenbeeinflussungsanlage und starre Verkehrsschilder gerichtet habe.
Die nach Auffassung des Klägers gebotene Ausweisung von Unfällen, die spe-
ziell auf Lkw-Überholmanöver zurückzuführen seien, sei faktisch nicht möglich.
Daten über das Unfallgeschehen von 1993 bis 1997 hätten nicht vorgelegen.
Die Zahlen für die Jahre 1998 bis 2009 ergäben einen stetigen Rückgang der
Unfallzahlen und der Unfallrate. Besondere örtliche Verhältnisse habe das Be-
rufungsgericht nicht nur aus Steigungen und Gefällen abgeleitet, sondern noch
auf weitere Umstände abgestellt. Zu Recht habe es auch die Eignung und Er-
forderlichkeit der Lkw-Überholverbote bejaht.
Der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht ist wie der
Beklagte der Auffassung, dass die Rechtsmittelfrist für alle Verkehrsteilnehmer
mit dem Aufstellen des Verkehrszeichens als dessen öffentlicher Bekanntgabe
zu laufen beginne. Das sei zur Sicherung des Rechtsfriedens auch unerlässlich;
andernfalls könnte eine solche Allgemeinverfügung nie bestandskräftig werden.
Die streitigen Lkw-Überholverbote hätten aufgrund der besonderen Stre-
ckencharakteristika angeordnet werden dürfen.
II
Die Revision des Klägers ist zulässig. Zwar ist seine Revisionsschrift erst am
2. Oktober 2009 und damit nach Ablauf der am 30. September 2009 endenden
Revisionsfrist beim Berufungsgericht eingegangen. Der Briefumschlag wurde
von der Post aber schon am 27. September 2009 abgestempelt; der Schriftsatz
wurde danach so frühzeitig aufgegeben, dass er bei normalem Postlauf fristge-
recht hätte eingehen müssen. Dem Kläger ist deshalb Wiedereinsetzung in die
versäumte Revisionsfrist zu gewähren (§ 60 Abs. 1 und 2 VwGO).
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Seine Revision ist im Ergebnis unbegründet. Zwar hat das Berufungsgericht die
Klage zu Unrecht für unzulässig gehalten, soweit sich der Kläger gegen in den
streitigen Streckenabschnitten durch Prismenwender bekannt gegebene Lkw-
Überholverbote wendet. Doch lagen auch dort die rechtlichen Voraussetzungen
für deren Anordnung - soweit sie angegriffen wird - vor, so dass das Beru-
fungsurteil insgesamt Bestand hat (§ 144 Abs. 4 VwGO).
1. Die Annahme des Berufungsgerichts, die Klagen seien wegen fehlender Wi-
derspruchseinlegung unzulässig, soweit sie sich gegen die durch Prismenwen-
der bekannt gegebenen Überholverbote richteten, steht nicht im Einklang mit
Bundesrecht. Das Berufungsgericht hat insoweit die Reichweite von § 68 Abs. 1
VwGO verkannt.
Zwar trifft es zu, dass der Kläger in seinem Widerspruch vom 21. August 2001
und dessen Ergänzung durch Schriftsatz vom 7. Mai 2002 als Gegenstand sei-
nes Rechtsbehelfs nur die Anordnung von Überholverboten durch die Ver-
kehrsbeeinflussungsanlage und starre Verkehrszeichen genannt hat. Doch wird
aus seinem Vorbringen deutlich, dass er die in den genannten Streckenab-
schnitten geltenden Lkw-Überholverbote ungeachtet ihrer Bekanntmachungs-
form insgesamt beseitigt wissen will. Wurden nach der Einlegung des Wider-
spruchs starre Verkehrsschilder durch Prismenwender ersetzt, mit denen eben-
falls Lkw-Überholverbote bekannt gegeben wurden, war die erneute Einleitung
eines Widerspruchsverfahrens entbehrlich, da der Streitstoff im Wesentlichen
der Gleiche blieb (vgl. u.a. Urteile vom 23. März 1982 - BVerwG 1 C 157.79 -
BVerwGE 65, 167 = NJW 1982, 2513 <2514> und vom 18. Mai 1990 - BVerwG
8 C 48.88 - BVerwGE 85, 163 <167>). Andernfalls müsste der Widerspruchs-
führer die von ihm angegriffenen Verkehrszeichen und deren Bekanntma-
chungsform unter ständiger Kontrolle halten, um zu vermeiden, dass eventuelle
Nachfolgeregelungen in Bestandskraft erwachsen. Das kann von ihm mit Blick
auf den nach Art. 19 Abs. 4 GG gebotenen effektiven Rechtsschutz nicht er-
wartet werden.
Soweit innerhalb der streitgegenständlichen Streckenabschnitte zusätzlich
Prismenwender aufgestellt wurden, um damit Verkehrskontrollen zu ermögli-
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chen, sind die dadurch bekannt gemachten Verkehrsverbote, wie der Kläger in
der mündlichen Verhandlung vor dem Senat klargestellt hat, nicht Angriffsge-
genstand. Ohnehin nicht von der Klage erfasst sind Prismenwender, die außer-
halb der in den Klageanträgen bezeichneten Streckenabschnitte aufgestellt
wurden.
2. Mit Recht ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass die wegen des
Fehlens einer Rechtsmittelbelehrung einjährige Widerspruchsfrist nach § 70
Abs. 2 i.V.m. § 58 Abs. 2 VwGO gegenüber dem Kläger nicht schon mit dem
Aufstellen der betreffenden Verkehrszeichen zu laufen begann, sondern erst zu
dem Zeitpunkt, in dem er erstmals auf diese Verkehrszeichen traf.
Das Lkw-Überholverbot nach Zeichen 277, das wie andere Verkehrsverbote
und -gebote ein Verwaltungsakt in der Form einer Allgemeinverfügung im Sinne
des § 35 Satz 2 VwVfG ist (stRspr seit den Urteilen vom 9. Juni 1967 - BVerwG
7 C 18.66 - BVerwGE 27, 181 <182> und vom 13. Dezember 1979 - BVerwG
7 C 46.78 - BVerwGE 59, 221 <224>), wird gemäß § 43 VwVfG gegenüber
demjenigen, für den es bestimmt ist oder der von ihm betroffen wird, in dem
Zeitpunkt wirksam, in dem es ihm bekannt gegeben wird. Die Bekanntgabe er-
folgt nach den bundesrechtlichen (Spezial-)Vorschriften der Straßenverkehrs-
Ordnung durch Aufstellen des Verkehrsschildes (vgl. insbesondere § 39 Abs. 1
und § 45 Abs. 4 StVO). Sind Verkehrszeichen so aufgestellt oder angebracht,
dass sie ein durchschnittlicher Kraftfahrer bei Einhaltung der nach § 1 StVO
erforderlichen Sorgfalt schon „mit einem raschen und beiläufigen Blick“ erfas-
sen kann (BGH, Urteil vom 8. April 1970 - III ZR 167/68 - NJW 1970, 1126 f.),
äußern sie ihre Rechtswirkung gegenüber jedem von der Regelung betroffenen
Verkehrsteilnehmer, gleichgültig, ob er das Verkehrszeichen tatsächlich wahr-
nimmt oder nicht (Urteil vom 11. Dezember 1996 - BVerwG 11 C 15.95 -
BVerwGE 102, 316 <318>). Das gilt unabhängig davon, ob die Bekanntgabe in
Form starrer Verkehrszeichen erfolgt oder mithilfe einer Anzeige über eine Stre-
ckenbeeinflussungsanlage oder einen Prismenwender.
Damit ist nicht gesagt, dass auch die Anfechtungsfrist gegenüber jedermann
bereits mit dem Aufstellen des Verkehrszeichens in Gang gesetzt wird. Diese
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Frist wird vielmehr erst dann ausgelöst, wenn sich der betreffende Verkehrsteil-
nehmer erstmals der Regelung des Verkehrszeichens gegenübersieht. Jedes
andere Verständnis geriete in Konflikt mit der Rechtsweggarantie des Art. 19
Abs. 4 GG, die es verbietet, den Rechtsschutz in unzumutbarer, durch Sach-
gründe nicht mehr zu rechtfertigender Weise zu erschweren. Liefe die Anfech-
tungsfrist für jedermann schon mit dem Aufstellen des Verkehrsschildes, könnte
ein Verkehrsteilnehmer, der erstmals mehr als ein Jahr später mit dem Ver-
kehrszeichen konfrontiert wird, keinen Rechtsschutz erlangen; denn bis zu die-
sem Zeitpunkt war er an der Einlegung eines Rechtsbehelfs mangels individuel-
ler Betroffenheit (§ 42 Abs. 2 VwGO) gehindert, danach würde ihm der Ablauf
der einjährigen Anfechtungsfrist entgegengehalten. Dieses Rechtsschutzdefizit
wird auch durch die Möglichkeit, ein Wiederaufgreifen des Verfahrens zu bean-
tragen, nicht in der verfassungsrechtlich gebotenen Weise ausgeglichen, dies
schon wegen der besonderen Voraussetzungen, die § 51 VwVfG an einen sol-
chen Rechtsbehelf stellt.
Dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 11. Dezember 1996 (a.a.O.)
lässt sich Gegenteiliges nicht entnehmen (so aber VGH Baden-Württemberg,
Beschluss vom 2. März 2009 - 5 S 3047/08 - JZ 2009, 738). Es stellt ausdrück-
lich klar, dass es nicht im Widerspruch zur Aussage des Bundesverwaltungsge-
richts in seinem Urteil vom 13. Dezember 1979 (a.a.O.) stehe, wonach ein Ver-
kehrsteilnehmer von dem Verwaltungsakt erst dann betroffen werde, „wenn er
sich (erstmalig) der Regelung des Verkehrszeichens gegenübersieht“. Dass in
dem Urteil aus dem Jahre 1996 die Bekanntgabe nach den Vorschriften der
Straßenverkehrs-Ordnung als eine besondere Form der öffentlichen Bekannt-
machung bezeichnet wird, zwingt ebenso wenig zu dem Schluss, dass auch die
Anfechtungsfrist für jedermann mit dem Aufstellen des Verkehrszeichens zu
laufen beginnt; denn es handelt sich - wie dort zutreffend ausgeführt wird - um
eine „besondere“ Form der öffentlichen Bekanntmachung, die von der Wirkung
anderer Formen öffentlicher Bekanntmachung durchaus abweichen kann.
Entgegen der Auffassung des Klägers beginnt die gemäß § 58 Abs. 2 VwGO
einjährige Rechtsbehelfsfrist allerdings nicht erneut zu laufen, wenn sich der-
selbe Verkehrsteilnehmer demselben Verkehrszeichen ein weiteres Mal gegen-
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übersieht. Das Verkehrsge- oder -verbot, das dem Verkehrsteilnehmer bei sei-
nem ersten Herannahen bekannt gemacht wurde, gilt ihm gegenüber fort, so-
lange dessen Anordnung und Bekanntgabe aufrechterhalten bleiben. Kommt
der Verkehrsteilnehmer erneut an diese Stelle, hat das Verkehrszeichen für ihn
nur eine erinnernde Funktion. Daraus, dass Verkehrszeichen gleichsam an die
Stelle von Polizeivollzugsbeamten treten (so etwa Beschluss vom 7. November
1977 - BVerwG 7 B 135.77 - NJW 1978, 656), kann der Kläger nichts anderes
herleiten. Trotz der Funktionsgleichheit und wechselseitigen Vertauschbarkeit
einer Verkehrsregelung durch Verkehrszeichen einerseits und durch Polizeibe-
amte andererseits unterscheiden sie sich dadurch, dass Verkehrszeichen die
örtliche Verkehrssituation regelmäßig dauerhaft regeln (so auch bereits Urteil
vom 13. Dezember 1979 a.a.O. S. 225).
Dagegen begann mit der Änderung der Ein- und Ausschaltwerte an der Stre-
ckenbeeinflussungsanlage zum 6. Oktober 2000 - wie der Verwaltungsgerichts-
hof zutreffend erkannt hat - die einjährige Rechtsmittelfrist neu zu laufen. Denn
von da an ging die Anzeige des Zeichens 277 auf eine wesentliche Änderung
der dem Lkw-Überholverbot zugrunde liegenden verkehrsrechtlichen Anord-
nung zurück, was nach außen zur Bekanntgabe eines neuen Verwaltungsaktes
führt. Auch soweit nach den Feststellungen des Berufungsgerichts am
7. August 2001 an starr angebrachten Verkehrszeichen 277 die Zusatzschilder
entfernt wurden, mit denen das Lkw-Überholverbot auf Fahrzeuge mit einem
Gesamtgewicht von mehr als 7,5 t beschränkt worden war, liegt darin eine Neu-
regelung, für die der Lauf der Rechtsmittelfrist neu zu bestimmen ist.
3. Die danach zulässige Klage ist unbegründet. Das Berufungsgericht hat auf
der Grundlage seiner tatsächlichen Feststellungen zutreffend angenommen,
dass die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Anordnung der Lkw-
Überholverbote vorlagen und der Beklagte auch ermessensfehlerfrei gehandelt
hat.
a) Maßgeblich für den Erfolg einer gegen einen Dauerverwaltungsakt gerichte-
ten Klage ist regelmäßig die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten
tatsachengerichtlichen Verhandlung (stRspr; vgl. für verkehrsbeschränkende
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Anordnungen u.a. Urteile vom 21. August 2003 - BVerwG 3 C 15.03 - Buchholz
310 § 42 Abs. 2 VwGO Nr. 19 = NJW 2004, 698 <699>, vom 14. Dezember
1994 - BVerwG 11 C 25.93 - BVerwGE 97, 214 <221> = Buchholz 442.151 § 45
StVO Nr. 31 und vom 27. Januar 1993 - BVerwG 11 C 35.92 - BVerwGE 92, 32
<35 f.> = Buchholz 442.151 § 45 StVO Nr. 24), hier also am 27. Juli 2009.
Zwar lag dieser Rechtsprechung die Anfechtung starrer Verkehrszeichen
zugrunde, doch gilt bei einer Klage, die gegen die zeitlich unterbrochene Anzei-
ge eines Lkw-Überholverbotes durch eine Streckenbeeinflussungsanlage oder
einen Prismenwender gerichtet ist, nichts anderes. Insbesondere kann es in
diesen Fällen nicht auf den Zeitpunkt ankommen, zu dem die konkrete Anzeige
wieder erloschen ist, der sich der Betroffene beim Vorbeifahren gegenübersah.
Die Rechtfertigung dafür, auch bei der gerichtlichen Überprüfung von Wechsel-
anzeigen auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung des Tatsa-
chengerichts abzustellen, liegt darin, dass der Anzeige des Lkw-Überhol-
verbotes durch eine Streckenbeeinflussungsanlage feste Algorithmen zugrunde
liegen. Ein solches Verkehrsgebot oder -verbot ist, wenn auch nicht im strengen
Sinn auf Dauer, so doch in Abhängigkeit von den voreingestellten Werten auf
stetige Wiederholung angelegt. Ähnliches gilt für die Anzeige eines Lkw-
Überholverbotes durch Prismenwender, wenn es ebenfalls unter bestimmten
Voraussetzungen automatisch „aktiviert“ wird.
b) Der rechtliche Maßstab für die Beurteilung der Lkw-Überholverbote ergibt
sich danach aus § 45 Abs. 1 und Abs. 9 der Straßenverkehrs-Ordnung in der
Fassung der Fünfundvierzigsten Verordnung zur Änderung straßenverkehrs-
rechtlicher Vorschriften vom 26. März 2009 (BGBl I S. 734). Nach § 45 Abs. 1
Straßen oder Straßenstrecken aus Gründen der Sicherheit oder Ordnung des
Verkehrs beschränken oder verbieten. Gemäß § 45 Abs. 9 Satz 1 StVO sind
Verkehrszeichen und Verkehrseinrichtungen nur dort anzuordnen, wo dies auf-
grund der besonderen Umstände zwingend geboten ist. Nach Satz 2 dürfen
- abgesehen von hier nicht einschlägigen Ausnahmen - Beschränkungen und
Verbote des fließenden Verkehrs nur angeordnet werden, wenn aufgrund der
besonderen örtlichen Verhältnisse eine Gefahrenlage besteht, die das allge-
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meine Risiko einer Beeinträchtigung der in den vorstehenden Absätzen ge-
nannten Rechtsgüter - also etwa der Sicherheit und Ordnung des Verkehrs -
erheblich übersteigt.
§ 45 Abs. 1 StVO, der als Ermächtigungsgrundlage mit der Anfügung von § 45
Abs. 9 durch die Vierundzwanzigste Verordnung zur Änderung straßenver-
kehrsrechtlicher Vorschriften vom 7. August 1997 (BGBl I S. 2028) zwar modifi-
ziert, nicht aber ersetzt worden ist, setzt somit in Verbindung mit § 45 Abs. 9
Satz 2 StVO für Verbote und Beschränkungen des fließenden Verkehrs auf
Autobahnen eine Gefahrenlage voraus, die - erstens - auf besondere örtliche
Verhältnisse zurückzuführen ist und - zweitens - das allgemeine Risiko einer
Beeinträchtigung der relevanten Rechtsgüter (hier insbesondere: Leben und
Gesundheit von Verkehrsteilnehmern sowie öffentliches und privates Sachei-
gentum) erheblich übersteigt.
Als in Bezug auf Beschränkungen und Verbote des fließenden Verkehrs spe-
ziellere Regelung konkretisiert und verdrängt § 45 Abs. 9 Satz 2 StVO in sei-
nem Anwendungsbereich die allgemeine Regelung in § 39 Abs. 1 und § 45
aa) Besondere örtliche Verhältnisse im Sinne von § 45 Abs. 9 Satz 2 StVO kön-
nen bei verkehrsbehördlichen Maßnahmen wie einem Lkw-Überholverbot ins-
besondere in der Streckenführung, dem Ausbauzustand der Strecke, witte-
rungsbedingten Einflüssen (z.B. Nebel, Schnee- und Eisglätte), der dort anzu-
treffenden Verkehrsbelastung und den daraus resultierenden Unfallzahlen be-
gründet sein. Sie liegen - wie der Senat in Bezug auf Geschwindigkeitsbe-
schränkungen bereits entschieden hat - etwa dann vor, wenn eine Bundesau-
tobahn den Charakter einer innerstädtischen Schnellstraße angenommen hat,
bei der unterschiedliche Verkehrsströme zusammengeführt oder getrennt wer-
den und wo deshalb eine erhöhte Unfallgefahr gegeben sein kann, oder wenn
der Streckenverlauf durch eng aufeinanderfolgende Autobahnkreuze oder
-dreiecke und eine Vielzahl von sonstigen Ab- und Zufahrten geprägt wird
(vgl. Urteil vom 5. April 2001 - BVerwG 3 C 23.00 - Buchholz 442.151 § 45
StVO Nr. 41 S. 22). Neben diesen auf die Streckenführung bezogenen Faktoren
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hat der Senat auf die Verkehrsbelastung abgestellt. So kommt es auch auf die
im sog. DTV-Wert ausgedrückte durchschnittliche tägliche Verkehrsstärke an;
ebenso fällt ein überproportional hoher Anteil des Schwerlastverkehrs ins
Gewicht. Eine besondere Verkehrsbelastung kann auch für sich allein die Ge-
fahren begründen, die Lkw-Überholverbote rechtfertigen können (Beschluss
vom 4. Juli 2007 - BVerwG 3 B 79.06 - Buchholz 442.151 § 45 StVO Nr. 43 S. 2
m.w.N.).
Eine Gefahrenlage, die das allgemeine Risiko einer Rechtsgutbeeinträchtigung
erheblich übersteigt, hat das Berufungsgericht erst dann annehmen wollen,
wenn alsbald mit an Gewissheit grenzender Wahrscheinlichkeit vermehrt Scha-
densfälle eintreten würden, sähe die zuständige Straßenverkehrsbehörde von
einem Eingreifen ab. Auch insoweit hat es auf vorangegangene Entscheidun-
gen des Bundesverwaltungsgerichts Bezug genommen (Beschluss vom 4. Juli
2007 a.a.O. und Urteil vom 5. April 2001 a.a.O.). Das bedarf der Richtigstellung.
Unfälle beruhen in der Regel auf einer Mehrzahl von Faktoren, die sowohl
subjektiver (Fahrerverhalten) wie objektiver Art (Streckencharakter und Ver-
kehrsverhältnisse) sein können. Auch für die Streckeneigenschaften und die
Verkehrsverhältnisse ihrerseits sind - wie bereits gezeigt - eine Reihe von Um-
ständen (mit-)bestimmend. Angesichts dessen wird sich in der konkreten Situa-
tion eine an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit vermehrter Schadensfälle
kaum je dartun lassen. Zudem ist zu berücksichtigen, dass es bei Verkehrsbe-
schränkungen und -verboten im Sinne des § 45 Abs. 9 Satz 2 StVO regelmäßig
- bei solchen zur Unfallvermeidung wie den hier in Rede stehenden Lkw-
Überholverboten immer - um die Abwehr von Gefahren für Leib und Leben und
bedeutende Sachwerte geht. Nach den allgemeinen Grundsätzen des Gefah-
renabwehrrechts ist jedoch, wenn derart hochrangige Rechtsgüter betroffen
sind, ein behördliches Einschreiten bereits bei einer geringeren Wahrschein-
lichkeit des Schadenseintritts zulässig und geboten. Eine an Sicherheit gren-
zende Wahrscheinlichkeit wird daher von § 45 Abs. 9 Satz 2 StVO nicht gefor-
dert. Die Vorschrift setzt nur - aber immerhin - eine das allgemeine Risiko deut-
lich übersteigende Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts voraus. Erforder-
lich ist somit eine entsprechende konkrete Gefahr, die auf besonderen örtlichen
Verhältnissen beruht.
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bb) Die Beantwortung der Frage, ob eine solche qualifizierte Gefahrenlage be-
steht, bedarf einer Prognose, für deren Tatsachenbasis der Zeitpunkt der letz-
ten mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht maßgeblich ist. Das
bedeutet, dass die Voraussetzungen für die getroffenen Anordnungen von der
Straßenverkehrsbehörde fortlaufend „unter Kontrolle“ gehalten werden müssen.
Dementsprechend bleibt es ihr - ebenso wie dem betroffenen Verkehrsteilneh-
mer - möglich, bis zum Abschluss der mündlichen Verhandlung vor dem Beru-
fungsgericht neue, also auch nachträglich entstandene Tatsachen vorzubrin-
gen, mit denen die Rechtmäßigkeit der Anordnungen untermauert oder in Frage
gestellt werden kann.
Bei der Prüfung, ob die in § 45 Abs. 9 Satz 2 StVO geforderten Voraussetzun-
gen vorliegen, ist das Revisionsgericht an die tatsächlichen Feststellungen des
Berufungsgerichts gebunden, soweit hiergegen nicht zulässige und begründete
Verfahrensrügen erhoben werden; weiterer Tatsachenvortrag im Revisionsver-
fahren ist ausgeschlossen (§ 137 Abs. 2 VwGO). Um solche tatsächlichen Fest-
stellungen handelt es sich zum einen, wenn es darum geht, welche der oben
skizzierten das Unfallgeschehen beeinflussenden Faktoren in den hier streitigen
Autobahnabschnitten gegeben sind, und zum anderen bei der Wertung, aus
welchen dieser Faktoren oder aus welcher Kombination dieser Faktoren sich
das besondere Gefährdungspotenzial für die Verkehrssicherheit ergibt. Ferner
gehört zu den tatsächlichen Feststellungen die Wertung, welcher Erfolg von
welcher straßenverkehrsrechtlichen Maßnahme zu erwarten ist. Aus der in §
137 Abs. 2 VwGO angeordneten Bindung des Revisionsgerichts folgt zugleich,
dass es nicht ausreicht, wenn eine Partei den vom Berufungsgericht
getroffenen tatsächlichen Feststellungen nur ihre eigene andere Wertung ent-
gegensetzt. Die Feststellungen des Berufungsgerichts können nur damit in
Frage gestellt werden, dass ein Verstoß gegen die Beweiswürdigungsgrundsät-
ze, allgemeine Erfahrungssätze oder Denkgesetze geltend gemacht wird und
vorliegt.
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cc) Hier hat das Berufungsgericht besondere örtliche Verhältnisse im Sinne von
§ 45 Abs. 9 Satz 2 StVO daraus hergeleitet, dass die A 8 Ost im streitgegen-
ständlichen Bereich erhebliche Höhenunterschiede aufweist, die deshalb vor-
handenen Kuppen- und Wannenhalbmesser in Verbindung mit teilweise engen
Radien dazu führen, dass die erforderlichen Haltesichtweiten nicht erreicht
werden, Anschlussstellen dicht aufeinander folgen und die A 8 Ost im streitge-
genständlichen Bereich nur zweispurig ausgebaut ist, über keinen Standstreifen
und nur einen schmalen Mittelstreifen verfügt. Hinzu kommen ein überdurch-
schnittliches Verkehrsaufkommen und eine den bayerischen Durchschnittswert
übersteigende Unfallrate. Dass deshalb eine das allgemeine Risiko einer
Rechtsgutbeeinträchtigung erheblich übersteigende Gefahrenlage im Sinne von
§ 45 Abs. 9 Satz 2 StVO bestehe, hat das Berufungsgericht einer gemessen an
den bayerischen Verhältnissen deutlich überdurchschnittlichen Unfallhäufigkeit
entnommen.
Diese vom Berufungsgericht herangezogenen Bestimmungsfaktoren und die
von ihm zur Gefahrenlage getroffenen tatsächlichen Feststellungen, an die der
Senat gebunden ist (§ 137 Abs. 2 VwGO), sind nach der Rechtsprechung des
Bundesverwaltungsgerichts geeignet, die in § 45 Abs. 9 Satz 2 StVO vorausge-
setzte konkrete Gefahr und nicht - wie der Kläger meint - eine nur abstrakte
Gefahr zu begründen. Konkret wird sie dadurch, dass auf die besonderen örtli-
chen Gegebenheiten und die sich daraus ergebende Gefahrenlage abgestellt
wird. Für die Annahme einer solchen konkreten Gefahr bedarf es - wie der Se-
nat bereits entschieden hat - zwar einer sorgfältigen Prüfung der Verkehrssitua-
tion jedoch nicht zwingend der Heranziehung von Unfalltypensteckkarten oder
sonst vertiefter Ermittlungen dazu, wie hoch im Einzelnen der Anteil an Unfällen
ist, der ausschließlich oder überwiegend auf überholende Lastkraftwagen zu-
rückzuführen ist. Dem steht das Erfahrungswissen entgegen, dass Unfälle - zu-
mal Unfälle auf Autobahnen - selten monokausal sind, sondern ganz überwie-
gend auf einer Mehrzahl von zusammenwirkenden Ursachen beruhen, die in
ihren Verursachungsanteilen nicht oder nur schwer festzulegen sind (vgl. Urteil
vom 5. April 2001 a.a.O. S. 23).
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Entgegen der Revisionsbegründung beschränkt sich das Berufungsgericht bei
seiner Würdigung keineswegs darauf, allein die Streckencharakteristika heran-
zuziehen; einbezogen werden ebenso der Ausbauzustand, das Verkehrsauf-
kommen und die Unfallhäufigkeit. Ein noch weitergehendes Eingehen auf ein-
zelne Streckenabschnitte war nicht veranlasst. Der Kläger hat nichts dazu vor-
getragen, dass einzelne Abschnitte abweichende Charakteristika aufweisen.
Gegen die vom Berufungsgericht zu den örtlichen Gegebenheiten getroffenen
Feststellungen hat er auch keine Verfahrensrügen erhoben.
Ebenso wenig begründet es einen Verstoß gegen allgemeine Beweiswürdi-
gungsgrundsätze, wenn das Berufungsgericht bei seiner Bewertung der Gefah-
renlage unter anderem auf die deutlich überdurchschnittlichen Unfallraten der
Jahre 1991 bis 1993 abgestellt hat. Die für diese Unfälle nach seinen Feststel-
lungen maßgeblichen besonderen örtlichen Verhältnisse haben sich seitdem
nicht geändert, vielmehr ist es - wie das Berufungsgericht ebenfalls festgestellt
hat - noch zu einem weiteren Anstieg des Verkehrsaufkommens auf den streiti-
gen Streckenabschnitten gekommen. Anderes hat auch der Kläger nicht vorge-
tragen.
dd) Die Annahme des Berufungsgerichts, dass der Beklagte bei der Anordnung
der Lkw-Überholverbote ermessensfehlerfrei gehandelt hat, ist revisionsgericht-
lich ebenfalls nicht zu beanstanden.
Aus § 45 Abs. 9 Satz 2 i.V.m. § 45 Abs. 1 StVO folgt, dass auch Maßnahmen
im Regelungsbereich des § 45 Abs. 9 StVO im Ermessen der zuständigen Be-
hörden stehen. Soweit es um die Auswahl der Mittel geht, mit denen die kon-
krete Gefahr bekämpft oder gemildert werden soll, ist der Grundsatz der Ver-
hältnismäßigkeit zu berücksichtigen (vgl. Urteil vom 5. April 2001 a.a.O. S. 21).
Der vom Verwaltungsgerichtshof in diesem Zusammenhang gebrauchte Begriff
des intendierten Ermessens der Straßenverkehrsbehörde ist jedenfalls miss-
verständlich. Richtig ist nur, dass bei Bejahung der Tatbestandsvoraussetzun-
gen des § 45 Abs. 9 Satz 2 StVO, zumal bei einer konkreten Gefahr für die
Rechtsgüter Leib und Leben, in der Regel ein Tätigwerden der Behörde gebo-
ten und somit ihr Entschließungsermessen reduziert ist. Die Auswahl der Mittel
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ist indes nicht in bestimmter Weise durch die Verordnung vorgezeichnet; sie
steht im Ermessen der Behörde.
Nach dem Urteil des Senats vom 5. April 2001 ist es der Straßenverkehrsbe-
hörde aufgrund ihres Sachverstandes und ihres Erfahrungswissens vorbehalten
festzulegen, welche von mehreren in Betracht zu ziehenden Maßnahmen den
bestmöglichen Erfolg verspricht (a.a.O. S. 24). Im damaligen Fall ging es um
den Umfang einer Geschwindigkeitsbeschränkung; bei einem Lkw-
Überholverbot gilt aber nichts Anderes.
Der Senat ist im gleichen Zusammenhang außerdem davon ausgegangen,
dass dem Einwand des damaligen Klägers, gleiche Erfolge wären auch bei ei-
ner milderen Geschwindigkeitsbeschränkung zu erzielen gewesen, nur dann
nachgegangen werden müsse, wenn er jedenfalls ansatzweise den Nachweis
einer ersichtlich sachfremden und damit unvertretbaren Maßnahme geführt hät-
te. Das meint nicht die Verteilung der Darlegungslast - sie liegt, da es sich dabei
um Eingriffsvoraussetzungen handelt, grundsätzlich beim Beklagten -, sondern
die inhaltlichen Anforderungen, die mit Blick auf die Einschätzungsprärogative
der Straßenverkehrsbehörde an den Gegenvortrag des von einer Ver-
kehrsbeschränkung Betroffenen zu stellen sind. Dementsprechend hat das Be-
rufungsgericht, das diese Formulierung aufgegriffen hat, nicht die Verteilung der
Darlegungslast verkannt.
(1) Das Berufungsgericht konnte ohne Verstoß gegen allgemeine Beweiswürdi-
gungsgrundsätze die Eignung von Lkw-Überholverboten zur Verbesserung der
Verkehrssicherheit aus der Unfallentwicklung herleiten, wie sie in der Studie der
Zentralstelle für Verkehrssicherheit der Straßenbauverwaltung (ZVS) über die
„Auswirkungen von Lkw-Überholverboten auf die Verkehrssicherheit diverser
Autobahnabschnitte in Bayern“ vom 21. September 2007 dargestellt wird.
Dass der Schluss auf die Eignung dieser Maßnahme, den das Berufungsgericht
aus dem in der Studie angestellten Vergleich der Unfallzahlen vor und nach der
Anordnung von Lkw-Überholverboten einerseits und dem Vergleich der Maß-
nahme- mit einer Kontrollgruppe andererseits gezogen hat, gegen Denkgeset-
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ze, allgemeine Erfahrungssätze oder sonstige allgemeine Beweiswürdigungs-
grundsätze verstoßen hat, hat der Kläger nicht darzulegen vermocht.
Seiner Auffassung, dass die in der Studie genannten Unfallzahlen ihrerseits mit
einer unzulässigen Berechnungsmethode gewonnen wurden, ist das Beru-
fungsgericht mit dem in der mündlichen Verhandlung dazu gehörten Sachver-
ständigen nicht gefolgt. Das ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Be-
weisanträge hat der auch im Berufungsverfahren anwaltlich vertretene Kläger
dort nicht gestellt, die Notwendigkeit einer weiteren Beweiserhebung, etwa einer
Neuberechnung, musste sich dem Gericht auch nicht aufdrängen. Im Revi-
sionsverfahren ist für weitere tatsächliche Feststellungen kein Raum.
Soweit der Kläger sinngemäß geltend machen will, der Sachverständige sei
befangen gewesen, weil er einen Verkehrsversuch des Beklagten wissenschaft-
lich begleitet habe, kann er damit in der Revision nicht mehr gehört werden,
nachdem er eine solche Rüge im Berufungsverfahren nicht erhoben hat (§ 54
und § 98 VwGO i.V.m. § 42 f. und § 406 ZPO). Abgesehen davon kann er mit
dieser Begründung auch inhaltlich keine vernünftigen Zweifel an der Unbefan-
genheit des Sachverständigen dartun.
(2) Vermeintlich mildere Mittel wie die Anordnung von Höchstgeschwindigkeiten
für alle Verkehrsteilnehmer oder einer Mindestgeschwindigkeit auf der Überhol-
spur hat das Berufungsurteil mit Recht verworfen.
Die rechtliche Wertung des Klägers, dass eine allgemeine Geschwindigkeits-
begrenzung generell, also ohne Berücksichtigung der besonderen örtlichen
Verhältnisse, als milderes Mittel einzustufen ist, trifft nicht zu. Das ergibt sich
aus ihrer gegenüber einem Lkw-Überholverbot erheblich größeren Breitenwir-
kung in Bezug auf den Adressatenkreis. Mit einem solchen Abstellen auf den
Kreis der von einem Eingriff Betroffenen ist keine Aufrechnung von Grundrech-
ten verbunden. Hinzu kommt, dass die zulässige Höchstgeschwindigkeit - folgte
man den Vorstellungen des Klägers - in erheblichem Umfang herabgesetzt
werden müsste, um die gewünschte Wirkung zu erzielen. Durch die von ihm
propagierte allgemeine Geschwindigkeitsbeschränkung sollen erklärtermaßen
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die Gefahren ausgeschaltet oder verringert werden, die aus der Geschwindig-
keitsdifferenz zwischen Überholendem und Überholtem resultieren. Geht man
aber von der für Lastkraftwagen zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h
aus, dürfte die für alle anderen Fahrzeuge einzuführende Höchstgeschwindig-
keit nicht weit darüber liegen. Dementsprechend einschneidend wäre der Ein-
griff für die anderen Verkehrsteilnehmer. Umgekehrt relativiert diese für Last-
kraftwagen ohnehin geltende Höchstgeschwindigkeit die vom Kläger hervorge-
hobene Eingriffstiefe eines Lkw-Überholverbotes. Im Zusammenwirken mit dem
Gebot eines deutlichen Geschwindigkeitsüberschusses beim überholenden
Fahrzeug (vgl. § 5 Abs. 2 StVO) und bei Berücksichtigung der starken Motori-
sierung moderner Lastkraftwagen müsste sie dazu führen, dass Überholvor-
gänge zwischen Lastkraftwagen ohnehin eher die Ausnahme bleiben. Dass die
Allgemeine Verwaltungsvorschrift zur Straßenverkehrs-Ordnung unter bestimm-
ten Voraussetzungen, etwa bei einem unübersichtlichen Straßenverlauf, die
Anordnung von Geschwindigkeitsbeschränkungen empfiehlt, schließt nicht aus,
dass die Straßenverkehrsbehörde gleichwohl zum Mittel des Lkw-Überhol-
verbotes greifen darf, weil sie es unter Berücksichtigung der besonderen örtli-
chen Verhältnisse für wirksamer hält.
Die Mittelauswahl ist auch nicht deswegen rechtswidrig, weil die Straßenver-
kehrsbehörde ihre Maßnahmen - wie der Kläger meint - nicht gegen die Lkw-
Fahrer, sondern in erster Linie gegen die Pkw-Fahrer als Störer zu richten ha-
be. Die Regelung des Straßenverkehrs durch Verkehrszeichen richtet sich nicht
gegen „Störer“ im polizeirechtlichen Sinne. Weder sind Pkw-Fahrer wegen ihrer
regelmäßig höheren Fahrgeschwindigkeit noch überholende Lkw-Fahrer per se
Verursacher einer Gefahr. Es geht vielmehr darum, allgemeine Verhaltensre-
geln vorzugeben, die die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs aufrechter-
halten oder Gefahrenquellen, die der Straßenverkehr eröffnet, durch Regle-
mentierung der Fortbewegungsmöglichkeiten einzudämmen.
Ebenso wenig kann in der vom Kläger befürworteten Anordnung von Mindest-
geschwindigkeiten auf Überholspuren an Steigungsstrecken ein Eingriff gese-
hen werden, dem die gleiche Wirksamkeit wie Lkw-Überholverboten zukommt.
Das Berufungsgericht geht beanstandungsfrei davon aus, dass der Schwerlast-
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verkehr nach seiner heutigen Motorisierung die nach § 18 Abs. 5 Nr. 1 StVO
zulässige Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h ohne Weiteres erreichen kann,
was es für die überholenden Lastkraftwagen ohnehin schwierig macht, die ge-
mäß § 5 Abs. 2 Satz 2 StVO erforderliche Differenzgeschwindigkeit zu errei-
chen. Es scheidet jedoch aus, für Lastkraftwagen eine höhere Mindestge-
schwindigkeit als die zulässige Höchstgeschwindigkeit anzuordnen. Sollte es
- worauf der Kläger abstellt - auf dem rechten Fahrstreifen tatsächlich einmal
ein besonders langsam fahrendes Fahrzeug geben, das ein Lastkraftwagen
unter Beachtung dieser straßenverkehrsrechtlichen Vorgaben überholen könn-
te, bleibt es gleichwohl bei einem Fahrstreifenwechsel, der aufgrund der ge-
genüber herannahenden Personenkraftwagen bestehenden Differenzge-
schwindigkeit zu einer Gefahrensituation führen kann. Zudem ist nicht von der
Hand zu weisen, dass die Kontrolle, ob die Geschwindigkeitsvorgaben ein-
gehalten wurden, schwieriger und aufwendiger ist als die Kontrolle der Einhal-
tung eines Lkw-Überholverbotes.
deshalb nicht verweisen, weil er keinen Anspruch auf Erweiterung der vorhan-
denen Autobahnkapazitäten hat.
(3) Ohne Verstoß gegen revisibles Recht hat das Berufungsgericht schließlich
angenommen, dass die Lkw-Überholverbote angemessen (verhältnismäßig
i.e.S.) sind und den Kläger nicht in seinen Grundrechten verletzen. Abwä-
gungserheblich sind dabei nur qualifizierte Interessen des Klägers, also solche,
die über das Interesse jedes Verkehrsteilnehmers hinausgehen, in seiner Frei-
heit möglichst wenig beschränkt zu werden (Urteil vom 27. Januar 1993
- BVerwG 11 C 35.92 - BVerwGE 92, 32 <35 und 40> m.w.N.).
Eine Verletzung der Berufsfreiheit des Klägers (Art. 12 Abs. 1 GG) scheidet
schon deshalb aus, weil das angegriffene Lkw-Überholverbot ersichtlich keine
berufsregelnde Tendenz aufweist. Die allgemeine Handlungsfreiheit ist von
vornherein nur in den Schranken des Art. 2 Abs. 1 GG gewährleistet. Die eher
als geringfügig anzusehende Beeinträchtigung der Fortbewegungsmöglichkeit
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durch abschnittsweise verhängte Lkw-Überholverbote findet ihre Rechtsgrund-
lage in § 45 Abs. 9 Satz 2 StVO, der zur Schranke der verfassungsmäßigen
Ordnung gehört, und ist in Hinblick auf den damit bezweckten Schutz von Leib
und Leben der Verkehrsteilnehmer fraglos angemessen.
Eine unzulässige Privilegierung des Pkw-Verkehrs ist mit der Anordnung der
Lkw-Überholverbote nicht verbunden (vgl. zur Privilegienfeindlichkeit des Stra-
ßenverkehrsrechts etwa Urteil vom 28. Mai 1998 - BVerwG 3 C 11.97 -
BVerwGE 107, 38 <44>). Die Lkw-Überholverbote bezwecken die Erhöhung der
Verkehrssicherheit und dienen der Gefahrenabwehr. Soweit dadurch zugleich
der Verkehrsfluss auf der Überholspur verbessert wird, was im Ergebnis
insbesondere den Pkw-Fahrern nutzen mag, handelt es sich um eine mittelbare
Folgewirkung, nicht aber um eine gezielte Privilegierung des Pkw-Verkehrs.
Ebenso wenig kann in den Lkw-Überholverboten eine unzulässige Beschrän-
kung der Widmung der Bundesfernstraße gesehen werden. An der Zweckbe-
stimmung der Bundesautobahn, dem Schnellverkehr mit Kraftfahrzeugen zu
dienen (vgl. § 1 Abs. 2 des Bundesfernstraßengesetzes - FStrG), ändert sich
dadurch nichts. Vielmehr bewirken die Verbote eine nach § 7 Abs. 1 Satz 1
FStrG grundsätzlich zulässige straßenverkehrsrechtliche Beschränkung des
Gemeingebrauchs.
Sonstige Ermessensfehler sind nicht ersichtlich. Nachdem unter Berücksichti-
gung der Einschätzungsprärogative des Beklagten weder eine allgemeine Ge-
schwindigkeitsbeschränkung noch die Anordnung einer Mindestgeschwindigkeit
auf Überholspuren noch die weiteren vom Kläger ins Spiel gebrachten Alterna-
tiven gegenüber den angeordneten Lkw-Überholverboten eindeutig vorzugs-
würdig gewesen wären, ist es im Ergebnis unschädlich, wenn sich in den vom
Beklagten erlassenen straßenverkehrsrechtlichen Anordnungen keine Erwä-
gungen dazu finden.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Kley
Liebler
Prof. Dr. Dr. h.c. Rennert
Buchheister
Dr. Wysk
52
Sachgebiet:
BVerwGE:
ja
Straßenverkehrsrecht
Fachpresse: ja
Rechtsquellen:
StVO
§§ 39, 41 Abs. 2 Nr. 7 Zeichen 277 und 281, § 45 Abs. 1 und 9
VwGO
§ 58 Abs. 2, § 70 Abs. 2
BayVwVfG
Art. 35, Art. 43
Stichworte:
Überholverbot; Lastkraftwagen; Lkw-Überholverbot; Verkehrsverbot; Strecken-
beeinflussungsanlage; starres Verkehrszeichen; Verkehrsschild; Prismenwen-
der; Wechselanzeige; Verkehrsbeschränkung; Unfallrate; Verkehrsgefahr; Ver-
kehrsunfall; besondere örtliche Verhältnisse; das allgemeine Risiko erheblich
übersteigende Gefahrenlage; verkehrsrechtliche Anordnung; Bekanntgabe;
Mindestgeschwindigkeit; Höchstgeschwindigkeit; Rechtsmittelfrist; Wider-
spruchsfrist; Klagefrist; Fristbeginn.
Leitsatz:
Die Frist für die Anfechtung eines Verkehrsverbotes, das durch Verkehrszei-
chen bekannt gegeben wird, beginnt für einen Verkehrsteilnehmer zu laufen,
wenn er zum ersten Mal auf das Verkehrszeichen trifft. Die Frist wird für ihn
nicht erneut ausgelöst, wenn er sich dem Verkehrszeichen später ein weiteres
Mal gegenübersieht.
Eine Gefahrenlage, die das allgemeine Risiko einer Beeinträchtigung der in
§ 45 StVO genannten Rechtsgüter erheblich übersteigt, liegt nicht erst dann
vor, wenn ohne ein Handeln der Straßenverkehrsbehörde mit an Sicherheit
grenzender Wahrscheinlichkeit zusätzliche Schadensfälle zu erwarten wären
(Änderung der Rechtsprechung aus dem Urteil vom 5. April 2001 - BVerwG
3 C 23.00 - Buchholz 442.151 § 45 StVO Nr. 41). Es reicht aus, dass eine ent-
sprechende konkrete Gefahr besteht, die sich aus den besonderen örtlichen
Verhältnissen ergibt.
(wie Urteil vom gleichen Tag - BVerwG 3 C 32.09)
Urteil des 3. Senats vom 23. September 2010 - BVerwG 3 C 37.09
I. VG München vom 14.11.2007 - Az.: VG M 23 K 06.4245 und
VG M 23 K 06.4246
II. VGH München vom 29.07.2009 - Az.: VGH 11 BV 08.481 und
VGH 11 BV 08.482