Urteil des BVerwG vom 18.03.2010

Universität, Vorzeitige Entlassung, Politische Verfolgung, DDR

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BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
BVerwG 3 C 34.09
VG 8 K 72/07 Me
Verkündet
am 18. März 2010
Jesert
Hauptsekretärin
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 18. März 2010
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Kley und
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Liebler, Prof. Dr. Dr. h.c. Rennert,
Buchheister und Dr. Wysk
für Recht erkannt:
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Verwal-
tungsgerichts Meiningen vom 23. Oktober 2008 wird zu-
rückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.
G r ü n d e :
I
Der 1937 geborene Kläger begehrt seine Rehabilitierung nach dem Beruflichen
Rehabilitierungsgesetz (BerRehaG) wegen der vorzeitigen Entlassung aus der
planmäßigen Aspirantur an einer Universität der DDR.
Nach Tätigkeiten als Arbeiter und Werkzeugmacher besuchte der Kläger die
Arbeiter- und Bauernfakultät der Bergakademie F. und die Technische Hoch-
schule I. Ein fünfjähriges Studium der Mineralogie schloss er mit dem Diplom ab
und wurde anschließend beim VEB Rechenelektronik M./Z.-M. beschäftigt. Die-
ser delegierte ihn an das Institut für Mineralogie und Petrographie der
K.-M.-Universität L., wo er ab dem 15. März 1965 als planmäßiger wissen-
schaftlicher Aspirant mit dem Ziel der Erlangung des Doktorgrades aufgenom-
men wurde. Die vertraglich auf drei Jahre (bis zum 28. Februar 1968) festgeleg-
te Aspirantur endete vorzeitig. Der wissenschaftliche Betreuer des Klägers be-
antragte mit einem ausführlich begründeten Schreiben vom 5. Mai 1967, die
Aspirantur aufzuheben. Ab diesem Tag durfte der Kläger das Institut nicht mehr
betreten. Der Leiter der Kaderabteilung des Rektorats der K.-M.-Universität teil-
te dem Kläger mit Schreiben vom 21. August 1967 mit, die Aspirantur laufe am
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31. August 1967 aus, denn er biete nicht die Gewähr dafür, seine Doktorarbeit
mit Erfolg abzuschließen; er habe seine bisherigen wissenschaftlichen Unter-
suchungen mangelhaft betrieben und kaum Ergebnisse aufzuweisen, die Ver-
pflichtungen aus dem Arbeitsplan vom 31. Juli 1964 nicht eingehalten, füge sich
nicht in das Kollektiv seiner Arbeitsgruppe ein und handele oft egozentrisch.
Das Ministerium für das Hoch- und Fachschulwesen stimmte der Beendigung
zu.
Der Kläger kehrte am 2. Oktober 1967 in den VEB Rechenelektronik M./Z.-M.
zurück und erhielt dort zunächst befristete Arbeitsverträge als Technologe. Das
Arbeitsverhältnis wurde über den 31. März 1968 hinaus nicht verlängert. Ein im
April 1968 gestellter Antrag des Klägers, die Aspirantur an der K.-M.-Universität
wieder aufnehmen zu dürfen, blieb erfolglos, ebenso Bewerbungen im April
1969 um eine Stelle als Technologe im VEB Rechentechnik in S. und im Mai
1969 als 3. Sekretär beim Deutschen Kulturbund S.
Im August 1969 wurde gegen ihn nach einem Vorfall im Arbeitsamt J. ein Er-
mittlungsverfahren wegen Staatsverleumdung eingeleitet. Auf Veranlassung der
Staatsanwaltschaft wurde er vom 11. bis 23. September 1969 zur stationären
Beobachtung in ein Bezirkskrankenhaus für Psychiatrie und Neurologie
eingewiesen, wo auch ein nervenfachärztliches Gutachten erstellt wurde. We-
gen der Freiheitsentziehung vom 11. bis 23. September 1969 wurde der Kläger
mit Beschluss des Landgerichts M. vom 5. Januar 1994 strafrechtlich rehabili-
tiert.
Im Anschluss an seine Einweisung war der Kläger zunächst weiter arbeitslos.
Vom 16. Februar bis 2. September 1970 arbeitete er dann beim VEB C. Z. in J.
als Werkzeugmacher, ab dem 1. Oktober 1970 beim Kombinat Keramische
Werke H./Thüringen als Technologe. Dort war er vom 1. Januar 1976 bis zum
31. Dezember 1980 wissenschaftlicher Mitarbeiter, bis zum 31. Dezember 1985
Mitarbeiter „Standort“ und schließlich bis zu seiner Invalidisierung am
31. August 1987 Ingenieur.
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Am 28. Juni 1994 beantragte der Kläger seine berufliche Rehabilitierung ab
dem 5. Mai 1967 und machte als Benachteiligungen den Abbruch der Aspiran-
tur, seine dreimalige Arbeitslosigkeit in der Zeit von 1968 bis 1990 sowie die
rechtsstaatswidrige Einweisung in das Bezirkskrankenhaus geltend.
Das Landesamt für Soziales und Familie lehnte den Antrag mit Bescheid vom
18. Februar 2002 im Wesentlichen mit der Begründung ab, es sei nicht erkenn-
bar, dass der Kläger aus politischen Gründen aus dem Hochschuldienst entlas-
sen worden sei. Den Widerspruch des Klägers wies das Landesamt für Sozia-
les und Familie mit Bescheid vom 18. Januar 2007 zurück.
Die hiergegen erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht mit Urteil vom
23. Oktober 2008 abgewiesen. Die planmäßige Aspirantur mit dem Ziel der
Promotion sei keine berufsbezogene Ausbildung und kein Beruf im Sinne des
§ 1 Abs. 1 Nr. 4 BerRehaG. Mit der Promotion sei weder eine zwangsläufige
Fortführung zur Habilitation noch die Fortsetzung einer akademischen Karriere
an der Universität verbunden gewesen. In der Zeit vom 1. September 1967 bis
zum 16. Februar 1970 habe der Kläger weder einen Beruf ausgeübt noch
nachweisbare Versuche unternommen, einen qualifikationsgemäßen Beruf
auszuüben. Es spreche zwar manches dafür, dass er nach der Beendigung der
Aspirantur in dem Ruf gestanden habe, nicht systemkonform zu sein. Doch er-
gebe sich aus den Akten des Ministeriums für Staatssicherheit kein operativer
Vorgang mit dem Ziel, den Kläger beruflich zu diskriminieren. Zum Zeitpunkt der
Aspirantur lägen, soweit erkennbar, keine IM-Berichte zu ihm vor. Zwar könne
sich hinter dem Vorwurf, fachlich nicht ordnungsgemäß zu arbeiten, eine
systematische Diskriminierung aus politischen Gründen verbergen. Da das
Verhalten des Klägers aber von verschiedenen Organisationen und Einrichtun-
gen beanstandet worden sei, hätte es dafür einer übergeordneten Lenkung be-
durft. Diese sei nicht erkennbar. Zwar sei durchaus denkbar, dass aus Gründen
der Geheimhaltung entsprechende Dokumente nicht erstellt oder vernichtet
worden seien, doch auch insoweit fehlten fassbare Anzeichen.
Mit der Revision hat der Kläger die beanspruchte Verfolgungszeit auf den Zeit-
raum zwischen der Beendigung des Aspiranturverhältnisses (1. September
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1967) und dem 2. Oktober 1990 präzisiert. Das Verwaltungsgericht habe den
Charakter der Aspirantur falsch eingeschätzt. Sie sei im Sinne des § 1 Abs. 1
Nr. 4 BerRehaG Berufsausübung im erlernten Beruf und berufsbezogene Aus-
bildung gewesen. Die Entlassung habe ihm konkrete Aufstiegschancen ge-
nommen, aber auch die weitere Ausübung seines Berufes als Diplom-
Mineraloge verhindert. Auch den politischen Charakter der Entlassung habe
das Verwaltungsgericht verkannt. Sein damaliger wissenschaftlicher Betreuer
sei Mitglied des ZK der SED gewesen und habe ihm seine Weigerung verübelt,
in die SED einzutreten. Außerdem sei seine Kaderakte nach der Relegation
verschwunden. Dadurch sei es ihm unmöglich gewesen, auch nur eine sozial
gleichwertige Tätigkeit aufzunehmen.
Der Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil.
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Die Revision hat keinen Erfolg. Zwar verletzt das angefochtene Urteil Bundes-
recht, soweit es die Aspirantur nicht als Beruf und berufsbezogene Ausbildung
im Sinne von § 1 Abs. 1 des Beruflichen Rehabilitierungsgesetzes (BerRehaG)
anerkennt. Es erweist sich jedoch aus anderen Gründen im Ergebnis als richtig
(§ 144 Abs. 4 VwGO); denn die verwaltungsgerichtlichen Feststellungen tragen
in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise den Schluss, dass die be-
ruflichen Nachteile des Klägers nicht verfolgungsbedingt waren.
1. Der Kläger hat im Revisionsverfahren sein Klagebegehren in zulässiger Wei-
se klargestellt. Mit der Präzisierung der Verfolgungszeit (vgl. § 17 Abs. 1 i.V.m.
§ 22 Abs. 1 Nr. 3 BerRehaG) hat er zugleich verdeutlicht, dass er nur die vor-
zeitige Beendigung der Aspirantur als - in seinem Berufsweg fortwirkende - Ein-
griffsmaßnahme betrachtet.
2. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Anerkennung als Verfolgter im Sinne des
Beruflichen Rehabilitierungsgesetzes. Die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1
Nr. 4 BerRehaG, auf den sich der Kläger stützt, liegen nicht vor. Danach muss
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ein Betroffener durch eine „andere“, also nicht unter Nr. 1 bis 3 fallende Maß-
nahme im Beitrittsgebiet zumindest zeitweilig daran gehindert worden sein, sei-
nen bisher ausgeübten, begonnenen, erlernten oder durch den Beginn einer
berufsbezogenen Ausbildung nachweisbar angestrebten Beruf auszuüben; au-
ßerdem muss diese Maßnahme der politischen Verfolgung gedient haben.
Mit der vorzeitigen Beendigung der planmäßigen Doktoraspirantur war ein Ein-
griff in eine Rechtsposition im Sinne des § 1 Abs. 1 BerRehaG verbunden. Die
Aspirantur war durch eine Doppelnatur als eigenständiger Beruf und zugleich
als Ausbildung für einen angestrebten neuen Beruf gekennzeichnet. Ihre er-
zwungene vorzeitige Beendigung kommt darüber hinaus - worauf hier nur der
Vollständigkeit halber hingewiesen sei - als Anknüpfungspunkt für Benachteili-
gungen in der beruflichen Tätigkeit bei dem Betrieb in Betracht, der den Aspi-
ranten an die Hochschule entsandt hat, was der Kläger mit Blick auf das Aus-
laufen seiner Tätigkeit als Diplom-Mineraloge im VEB Rechenelektronik
M./Z.-M. zum 1. April 1968 geltend macht. Diese Unterscheidungen sind nicht
nur für die Prüfung der Verfolgungszusammenhänge und -zeiten von Bedeu-
tung, sondern auch etwa für die im rentenrechtlichen Nachteilsausgleichsver-
fahren vorzunehmende Eingruppierung in eine Qualifikationsgruppe (Anlage 13
zum Sechsten Buch Sozialgesetzbuch - SGB VI; dazu Urteil des Senats vom
27. April 2006 - BVerwG 3 C 15.05 - Buchholz 428.8 § 22 BerRehaG Nr. 1 =
ZOV 2006, 287).
a) Die Aspirantur ist zum einen ein Beruf im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 4
BerRehaG. Das ergibt sich aus der Verordnung über die wissenschaftliche As-
pirantur an den Universitäten und Hochschulen der Deutschen Demokratischen
Republik vom 15. November 1951 (GBl der DDR S. 1091; im Folgenden: VO
1951). Sie bestimmte die Aufnahmemodalitäten und den rechtlichen Rahmen
der Tätigkeit.
§ 3 VO 1951 sah vor, dass planmäßige und außerplanmäßige Aspiranturen
vergeben werden durften. Beide konnten den Erwerb des Doktorgrades (Dok-
toraspiranturen) oder die Habilitation zum Ziel haben. Auch die planmäßige
Doktoraspirantur war als befristeter vollzeitiger Beruf ausgestaltet. Zugelassen
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werden konnten nur hauptberuflich Beschäftigte mit einer abgeschlossenen
Berufsausbildung. Während die außerplanmäßigen Aspiranten ihre hauptberuf-
liche Tätigkeit außerhalb der Universität beibehielten (§ 5 VO 1951), waren
planmäßige Aspiranten von den sie delegierenden Betrieben oder sonstigen
Arbeitsstellen freizugeben (§ 9 VO 1951). Mit ihrer Zulassung wurden sie in die
aufnehmende Universität oder Hochschule eingegliedert und deren Angehörige
neben Hochschullehrern und wissenschaftlichen Mitarbeitern (vgl. Akademie für
Staats- und Rechtswissenschaft der DDR , Verwaltungsrecht, Lehr-
buch, 2. Aufl., Staatsverlag der DDR, Berlin 1988, Abschn. 14.4.2, S. 325 f. zur
Rechtslage nach der nachfolgenden Aspirantenordnung vom 22. September
1972, GBl der DDR II S. 648). Doktoraspiranten erlangten einen Sonderstatus,
der sie den Angehörigen des Lehrkörpers im Wesentlichen gleichstellte (vgl.
§ 10 VO 1951). Dementsprechend war ihre persönliche Rechtsstellung geprägt
durch finanzielle Unabhängigkeit als Vollstipendiaten (§ 17 VO 1951) unter Ein-
schluss aller Sondervergünstigungen, die für Angehörige der sog. schaffenden
Intelligenz festgesetzt waren (§ 22 VO 1951), sowie einer beitragsfreien Mit-
gliedschaft in der Sozialversicherung (§ 19 VO 1951) und uneingeschränkten
Benutzungsrechten (§ 10 Satz 2 VO 1951). Korrespondierend bestand ihre Ar-
beit in einer vollzeitigen Tätigkeit als Forscher und Lehrende, die sie nach ei-
nem individuell festgesetzten Arbeitsplan zu erfüllen hatten (§ 12 VO 1951);
Nebenbeschäftigungen außer der pädagogischen Arbeit im Rahmen der Aus-
bildung waren ihnen untersagt (§ 4 VO 1951). Dass die Aspirantur, wie sogleich
auszuführen ist, zugleich und vor allem als Ausbildung verstanden wurde, ver-
schlägt unter dem Aspekt der Berufsausübung nichts; denn die Ausbildung be-
stand darin, dass der Aspirant gerade jene Tätigkeit wahrzunehmen und sich in
ihr zu bewähren hatte, die nach erfolgreichem Abschluss auch seine spätere
Berufstätigkeit prägen sollte. Daher ist dem Kläger zuzustimmen, dass die
planmäßige wissenschaftliche Doktoraspirantur verglichen werden kann mit
wissenschaftlichen Assistenten an einer deutschen Universität oder mit Beam-
ten im Vorbereitungsdienst, die ebenfalls höherbewertete Berufstätigkeiten an-
streben, aber gleichwohl einen Beruf ausüben. Die Einordnung der Aspirantur
als Beruf könnte die geltend gemachte Verfolgungszeit allerdings längstens bis
zum Ablauf der vertraglich festgelegten Dauer der Aspirantur tragen, hier also
bis zum 28. Februar 1968.
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b) Die planmäßige Aspirantur ist jedoch zugleich als berufsbezogene Ausbil-
dung für einen nachweisbar angestrebten (neuen) Beruf im Sinne des § 1
Abs. 1 BerRehaG anzusehen. Nach § 1 VO 1951 war sie zur systematischen
Ausbildung von Hochschullehrern und Forschern eingerichtet und befähigte zur
Übernahme einer solchen Tätigkeit (VO 1951 Präambel). Dabei führte zwar nur
die Aspirantur mit dem Ziel der Habilitation unmittelbar zum Beruf des Hoch-
schullehrers; für diesen war die Doktoraspirantur, worauf der Beklagte richtig
hinweist, nur eine notwendige Vorstufe. Jedoch führte die Doktoraspirantur
daneben unmittelbar zu dem Beruf des Forschers (§ 4 VO 1951). Die berufliche
Ausrichtung wurde mit der gewählten Fachrichtung bei Aufnahme in eine Aspi-
rantur konkretisiert (vgl. § 5 Satz 2, § 13 Abs. 1 VO 1951); die Verwendung der
Absolventen der Aspirantur in einem der erworbenen Qualifikation angemesse-
nen Beruf wurde durch eine Verwendungsentscheidung festgelegt, die das
Staatssekretariat für Hochschulwesen der DDR bzw. das Fachministerium ge-
mäß § 23 VO 1951 zu treffen hatte. Entgegen der Annahme des Beklagten war
dabei die Weiterverwendung nicht auf den Hochschulbereich beschränkt, was
vor allem für Doktoraspiranten bedeutsam war, die ihre neue Tätigkeit in ihrem
alten oder einem neuen Betrieb ausüben sollten.
c) Daraus folgt, dass der Kläger nicht nur - wie vom Beklagten angenommen -
einen nicht rehabilitierungsfähigen so genannten Aufstiegsschaden erlitten hat.
Aufstiegsschäden entstehen durch den Eingriff in Qualifizierungsmaßnahmen
innerhalb eines ausgeübten Berufs (Urteil vom 30. Juni 1998 - BVerwG 3 C
39.97 - Buchholz 115 Sonstiges Wiedervereinigungsrecht Nr. 13 = ZOV 1999,
55). Sie bleiben, wie auch andere berufliche Chancen, als hypothetische (Auf-
stiegs-)Möglichkeiten im Vorfeld der Schutzwirkung des § 1 Abs. 1 BerRehaG
(Urteil vom 12. Februar 1998 - BVerwG 3 C 25.97 - Buchholz 115 Sonstiges
Wiedervereinigungsrecht Nr. 11 S. 22 = ZOV 1998, 278). Der Kläger hatte aber
bereits mit Aufnahme in die Doktoraspirantur eine hinreichend verfestigte An-
wartschaft auf eine höherwertige Berufstätigkeit erworben und nicht nur die
Aussicht auf den Erwerb eines akademischen Grades oder einer Zusatzqualifi-
kation innerhalb der ausgeübten Tätigkeit.
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3. Die Entlassung des Klägers aus der Aspirantur diente aber nicht der politi-
schen Verfolgung, wie es § 1 Abs. 1 Nr. 4 BerRehaG für eine berufliche Reha-
bilitierung weiter voraussetzt.
Das Verwaltungsgericht hat ausdrücklich verneint, dass der Kläger von einer
politisch motivierten beruflichen Diskriminierung betroffen war. Es hat dies auf
tatsächliche Feststellungen gestützt, die auch schon den Zeitraum der vorzeiti-
gen Beendigung der Aspirantur umfassen. Seine Schlussfolgerung, dass selbst
unter Anwendung der Beweiserleichterung aus § 25 Abs. 2 Satz 1 BerRehaG
hinreichende Anhaltspunkte für eine berufliche Diskriminierung fehlen, ist bun-
desrechtlich nicht zu beanstanden.
Das Verwaltungsgericht hat auf der Grundlage der zahlreichen im Verwaltungs-
verfahren eingeholten Auskünfte festgestellt, dass der Kläger erst Anfang der
1970er Jahre in den Blick des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) geraten
ist. Dann aber bedarf es für die davor liegenden Zeiträume erst recht hinrei-
chend aussagekräftiger Anhaltspunkte für einen politisch motivierten Willens-
entschluss, den Kläger beruflich zu benachteiligen. Solche Anhaltspunkte sind
nicht festgestellt. Dabei hat das Verwaltungsgericht zu Recht erwogen, ob sich
hinter den gegen den Kläger erhobenen fachlichen und persönlichen Vorwürfen
verschiedener Stellen seit der Aspirantur eine systematische Diskriminierung
verberge; es hat dies aber mit der Erwägung verworfen, dass dafür eine über-
geordnete Lenkung bzw. ein „kollusives Vorgehen“ aller beteiligten Stellen er-
forderlich sei, was sich den Unterlagen nicht entnehmen lasse. Diese Erwä-
gungen sind revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, zumal das Verwaltungs-
gericht es ausgeschlossen hat, dass Dokumente aus Gründen der Geheimhal-
tung nicht erstellt oder vernichtet worden sind. Die verwaltungsgerichtlichen
Feststellungen sind für den Senat bindend (§ 137 Abs. 2 VwGO). Gegen sie hat
der Kläger keine durchgreifenden Rügen vorgebracht, insbesondere keine
weitergehenden Ermittlungsansätze aufgezeigt.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Kley
Liebler
Prof. Dr. Dr. h.c. Rennert
Buchheister
Dr. Wysk
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Sachgebiet:
BVerwGE:
nein
Recht zur Bereinigung von SED-Unrecht
Fachpresse: ja
Rechtsquellen:
BerRehaG
§ 1 Abs. 1 Nr. 4, § 25 Abs. 2 Satz 1
Verordnung über die wissenschaftliche Aspirantur an den
Universitäten und Hochschulen der Deutschen Demokratischen Republik
vom 15. November 1951 (GBl DDR S. 1091)
Stichworte:
Aspirantur; planmäßige Aspirantur; Doktoraspirantur; vorzeitige Entlassung;
Promotion; Beruf; berufsbezogene Ausbildung; ausgeübter Beruf; nachweislich
angestrebter Beruf; Aufstiegsschaden; politische Verfolgung; Glaubhaftma-
chung; berufliche Diskriminierung; Nachweis.
Leitsatz:
Die erzwungene vorzeitige Beendigung einer planmäßigen Doktoraspirantur an
einer Universität oder Hochschule der DDR ist ein Eingriff sowohl in den Beruf
des Aspiranten als auch in die berufsbezogene Ausbildung zum Forscher der
gewählten Fachrichtung.
Urteil des 3. Senats vom 18. März 2010 - BVerwG 3 C 34.09
I. VG Meiningen vom 23.10.2008 - Az.: VG 8 K 72/07 Me -