Urteil des BVerwG vom 27.09.2006

Verteilung der Beweislast, Bundesamt, Unrichtigkeit, Umkehr der Beweislast

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
Verkündet
BVerwG 3 C 34.05
am 27. September 2006
OVG 21 A 4183/03
Wahl
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 27. September 2006
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Kley
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht van Schewick, Dr. Dette,
Liebler und Prof. Dr. Rennert
für Recht erkannt:
Das Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land
Nordrhein-Westfalen vom 15. April 2005 und das Urteil
des Verwaltungsgerichts K. vom 17. Juli 2003 werden ge-
ändert. Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
G r ü n d e :
I
Der Kläger begehrt die Berichtigung einer Eintragung in der über ihn geführten
Personenakte des Bundesamtes für Verfassungsschutz (Bundesamt).
Der 1949 geborene Kläger studierte von 19.. bis 19.. an der TU M. Ab August
1975 war er bei der M.-B.-B. GmbH in M. als S. und Leiter diverser Organisati-
onsabteilungen tätig. Im Mai 1994 wechselte er zur D.-B. A. AG (D.) in U., die in
die D. Ch. A. AG umgewandelt worden ist und in der Folgezeit mit anderen eu-
ropäischen Unternehmen zur E. A. D. a. Sp. C. E. N.V. fusioniert hat, einem im
zivilen und militärischen Bereich tätigen Luft- und Raumfahrtunternehmen.
Nunmehr ist er bei der Fa. E. Deutschland GmbH beschäftigt, einem Tochter-
unternehmen der E. N.V., bis Juni 2002 als Leiter des Bereichs „E.“ und seither
als Leiter des Bereichs „O. C.“.
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Der Kläger ist seit 19.. mit einer 19.. in Hongkong geborenen Frau verheiratet,
die 1986 durch Einbürgerung die deutsche Staatsangehörigkeit erwarb.
Sein damaliger Arbeitgeber hatte für den Kläger 1979 vom Bundesministerium
für Wirtschaft (im Folgenden: Ministerium) eine Ermächtigung zum Zugang zu
Verschlusssachen erhalten; sie wurde aber nicht ausgenutzt und 1993 zurück-
gegeben. Anfang 1995 stellte die D. erneut einen Antrag auf Ermächtigung zum
Zugang zu Verschlusssachen für den Kläger. Das lehnte das Ministerium mit
Bescheid vom 17. Dezember 1996 ab. Auf Nachfrage verwies das Ministerium
auf einen Bericht des Bundesamtes. Unter dem 31. Mai 1998 wandte der Klä-
ger sich an das Bundesamt mit der Bitte, ihm die Daten mitzuteilen, die über ihn
dort vorhanden oder gespeichert seien. Das Bundesamt antwortete am 31. Juli
1998, dass das Ministerium am 22. Mai 1995 eine erweiterte Sicher-
heitsüberprüfung über ihn beantragt habe. Dabei sei festgestellt worden, dass
er langjähriger Angehöriger der „Marxistischen Gruppe (MG)“ sei.
Der Kläger bestreitet dies. Mit Schreiben vom 13. November 1998 und vom
7. Januar 1999 beantragte er, die Angabe in der über ihn geführten Akte (sog.
Personenakte) zu löschen, hilfsweise zu berichtigen. Das lehnte das Bundes-
amt mit Bescheiden vom 23. Dezember 1998 und vom 22. Januar 1999 ab. In
der Personenakte sei vermerkt worden, dass der Kläger eine Mitgliedschaft in
der „Marxistischen Gruppe“ bestreite; mehr könne er nicht verlangen. Das Bun-
desamt gehe freilich weiterhin von der Richtigkeit der Eintragung aus. Dafür
gebe es konkrete und nachprüfbare Anhaltspunkte, die freilich aus Gründen des
Quellenschutzes nicht offengelegt werden könnten. Den Widerspruch wies das
Bundesamt mit Bescheid vom 9. März 1999 zurück.
Mit der vorliegenden Klage verfolgt der Kläger sein Berichtigungsbegehren wei-
ter.
Im Zuge eines am 20. Mai 1999 eingeleiteten gerichtlichen Eilverfahrens hat der
Kläger an Eides statt versichert, weder Mitglied noch Sympathisant der „Mar-
xistischen Gruppe“ zu sein oder jemals gewesen zu sein noch jemals an einer
ihrer Veranstaltungen teilgenommen zu haben. Die Beklagte hat sich in einem
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gerichtlichen Vergleich am 30. September 1999 verpflichtet, auf einen erneuten
Ermächtigungsantrag hin eine neue Sicherheitsüberprüfung über den Kläger
durchzuführen. Dessen Arbeitgeber stellte demzufolge am 22. Oktober 1999
einen erneuten Antrag auf Ermächtigung des Klägers zum Zugang zu
Verschlusssachen. Auf Anfrage des Ministeriums teilte das Bundesamt unter
dem 17. Januar 2000 mit, eine erweiterte Sicherheitsüberprüfung habe Um-
stände ergeben, die nach § 9 SÜG ein Sicherheitsrisiko darstellten. Der Kläger
sei 1988 gegenüber dem Landesamt für Verfassungsschutz Bayern von zwei
Informanten aus dem Umkreis der „Marxistischen Gruppe“ unabhängig vonein-
ander zweifelsfrei nach Lichtbildern als Mitglied der Gruppe identifiziert worden.
Obendrein habe ein dritter Informant die heutige Ehefrau des Klägers ebenfalls
als Gruppenmitglied identifiziert; sie habe zudem an einer öffentlichen Veran-
staltung der Gruppe teilgenommen. Die „Marxistische Gruppe“ sei eine revolu-
tionär-marxistische Organisation, die seit 1970 bestehe und ihre Mitgliederzahl
seither kontinuierlich habe erhöhen können. Sie arbeite konspirativ wie ein Ge-
heimbund. Ihre Binnenstruktur führe dazu, dass die lebenslang fest eingebun-
denen Anhänger - Austritte kämen nicht vor - nach Abschluss ihrer Ausbildung
als Akademiker zunehmend in wichtige Positionen in Staat und Gesellschaft
vorrückten und dort verdeckt arbeitende Einflussnetze und Seilschaften bilde-
ten, die jüngere Genossen kontinuierlich nachzögen. Daraus und aus den fami-
liären Beziehungen des Klägers nach C. ergäben sich angesichts seiner Be-
schäftigung bei einem Unternehmen der deutschen und westeuropäischen Luft-
fahrt- und Rüstungsindustrie erhebliche Sicherheitsbedenken. Daraufhin lehnte
das Ministerium die begehrte Ermächtigung mit Bescheid vom 2. März 2001
wiederum ab. Hiergegen hat der Kläger beim Verwaltungsgericht B. Klage er-
hoben, über die bislang nicht entschieden ist (VG …).
Im vorliegenden Rechtsstreit hat das Verwaltungsgericht K. um Vorlage der
vollständigen Personenakte über den Kläger gebeten. Mit Schreiben vom
17. Dezember 2001 hat das Bundesministerium des Innern mitgeteilt, dass die
Übersendung dieser Akte aus zwingenden nachrichtendienstlichen Gründen nur
in einem ganz eingeschränkten Umfang erfolgen könne. Mit Beschluss vom
7. November 2002 - BVerwG 2 AV 2.02 - hat das Bundesverwaltungsgericht
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festgestellt, dass die Verweigerung der Vorlage der vollständigen Personenakte
rechtmäßig sei.
Nach Durchführung einer Beweisaufnahme hat das Verwaltungsgericht K. die
Bescheide des Bundesamtes vom 23. Dezember 1998, vom 22. Januar 1999
und vom 9. März 1999 aufgehoben und die Beklagte verpflichtet, in der beim
Bundesamt geführten Personenakte des Klägers zu vermerken oder auf sons-
tige Weise festzuhalten, dass die über den Kläger gespeicherten Daten unrich-
tig sind, soweit derzeit aus ihnen hervorgehe, dass er Angehöriger bzw. Mitglied
der „Marxistischen Gruppe“ sei. Ob die Eintragung richtig sei oder nicht, lasse
sich infolge der Vorenthaltung weiter Bestandteile der Personenakte zwar nicht
aufklären. Die Einschränkung der Aufklärungsmöglichkeit des Gerichts müsse
jedoch mit Rücksicht auf die Grundrechte des Betroffenen auf informationelle
Selbstbestimmung und auf effektiven Rechtsschutz durch eine Verpflichtung
der Behörde kompensiert werden, die Richtigkeit der fraglichen Eintragung
selbst konkret und substantiiert zu überprüfen. An einer derartigen Überprüfung
habe es das Bundesamt vermissen lassen. Vor allem habe es die 1998 und
erneut 2000 erhobenen Einwände des Klägers nicht zum Anlass genommen,
die zuletzt 1988 gehörten Informanten erneut zu befragen.
Mit ihrer Berufung ist die Beklagte der Sachwürdigung durch das Verwaltungs-
gericht entgegengetreten. So sei der eine der beiden Informanten 1996 erneut
befragt worden; die andere Quelle sei nicht mehr verfügbar gewesen. In erster
Linie aber hat die Beklagte geltend gemacht, das Verwaltungsgericht sei von
einem unzutreffenden Sachverhalt ausgegangen, indem es ihr die Behauptung
unterstellte, der Kläger sei Angehöriger der „Marxistischen Gruppe“. Eine sol-
che Behauptung stelle sie nicht auf. Die „Marxistische Gruppe“ kenne keine
förmliche Mitgliedschaft; die Gruppenzugehörigkeit finde vielmehr „im Kopf des
Einzelnen“ statt. Die Feststellung in der Personenakte, der Kläger sei langjähri-
ges Mitglied der MG, stelle daher eine zusammenfassende Wertung tatsächli-
cher Anhaltspunkte für eine langjährige Zugehörigkeit des Klägers zur MG dar.
Dass derartige Anhaltspunkte bestünden, sei unbestritten und unbestreitbar.
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Mit Urteil vom 15. April 2005 hat das Oberverwaltungsgericht für das Land
Nordrhein-Westfalen die Berufung mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die
Beklagte verpflichtet werde, in den Akten des Bundesamtes - Personenakte - zu
vermerken oder auf sonstige Weise festzuhalten, dass die über den Kläger
gespeicherten Daten unrichtig seien, soweit aus ihnen hervorgehe, dass tat-
sächliche Anhaltspunkte dafür bestünden, dass der Kläger langjähriges Mitglied
der „Marxistischen Gruppe“ sei. Das Klagbegehren finde seine Grundlage in
§ 13 Abs. 1 BVerfSchG. Voraussetzung für den geltend gemachten Anspruch
sei, dass in Akten gespeicherte personenbezogene Daten unrichtig seien. Da-
von sei hier auszugehen. Die in der Personenakte enthaltene Angabe, es be-
stünden tatsächliche Anhaltspunkte für eine Mitgliedschaft des Klägers in der
„Marxistischen Gruppe“, sei ein personenbezogenes Datum. Sie sei auch un-
richtig. Das sei nicht nur der Fall, wenn sich ihre Unrichtigkeit positiv feststellen
lasse - daran fehle es -, sondern auch, wenn eine Unaufklärbarkeit der Unrich-
tigkeit zu Lasten der Beklagten gehe. So liege es hier. Zwar müsse grundsätz-
lich der Betroffene die Unrichtigkeit der Angabe beweisen; für das bloße
Bestreiten der Richtigkeit ohne Nachweis der Unrichtigkeit sehe das Gesetz
den Bestreitensvermerk vor. Er befinde sich aber regelmäßig in der Lage, den
Beweis für das Nichtvorhandensein tatsächlicher Umstände führen zu müssen.
Die Erforderlichkeit einer solchen negativen Beweisführung führe nicht zur Um-
kehr der Beweislast; es reiche aber aus, wenn der Beweispflichtige die Um-
stände widerlege, die nach dem substantiierten Vortrag der anderen Partei für
das Positive sprächen. Fehle es allerdings an einem substantiierten Vortrag der
anderen Partei, so sei der Betroffene seiner Widerlegungspflicht ledig. Es ob-
liege daher zunächst dem Bundesamt, die von ihm behaupteten Anhaltspunkte
für eine langjährige Mitgliedschaft des Klägers in der „Marxistischen Gruppe“ in
einer Weise darzulegen, die es dem Kläger ermögliche, diese zu widerlegen.
Das Bundesamt habe die angeführten Anhaltspunkte - die Angaben dreier In-
formanten und deren Glaubwürdigkeit - nur in pauschaler und für den Kläger
unangreifbarer Form mitgeteilt. Dies habe zur Folge, dass die Unaufklärbarkeit
der Unrichtigkeit zu Lasten der Beklagten gehe, weshalb der Kläger so zu stel-
len sei, als habe er die Unrichtigkeit tatsächlich bewiesen. Etwas anderes erge-
be sich auch nicht aus dem Umstand, dass die Beklagte die vermisste Sub-
stantiierung mit Recht verweigert habe. Berechtigterweise geheim gehaltene
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Tatsachen dürften nur unter strengen Voraussetzungen, nämlich nur dann zu
Lasten des Rechtsuchenden berücksichtigt werden, wenn die dies rechtferti-
genden Gründe gewichtiger seien als die damit einhergehende Verkürzung des
Rechtsschutzes. Dass die vom Bundesamt angeführten Belange des Quellen-
schutzes und des Geheimhaltens der nachrichtendienstlichen Erkenntnisme-
thoden und Arbeitsweisen jegliche nähere Substantiierung der behaupteten
Anhaltspunkte verböten, sei aber nicht nachvollziehbar. So sei nicht erkennbar,
weshalb auch die Identität des längst aus der „Marxistischen Gruppe“ ausge-
schiedenen Informanten auch heute noch nicht aufgedeckt werden könne. Fer-
ner sei unerfindlich, weshalb auch nicht eine einzige MG-Veranstaltung genannt
werden könne, an der der Kläger teilgenommen haben solle. Schließlich habe
die Beklagte nicht überzeugend darzulegen vermocht, inwiefern von der
„Marxistischen Gruppe“ auch heute noch eine derartige Gefahr ausgehe, dass
es gerechtfertigt erscheinen könne, ihrer Beobachtung Grundrechtspositionen
von Einzelnen zu opfern. So werde die Gruppe seit etlichen Jahren im „Verfas-
sungsschutzbericht“ nicht mehr erwähnt. Für eine vom Kläger selbst ausge-
hende Gefahr fehle jeder Anhaltspunkt, zumal die ihn betreffenden Umstände
mehr als 20 Jahre zurücklägen und ihm zudem 1979 eine Ermächtigung zum
Zugang zu Verschlusssachen erteilt worden sei, die er dann 1993 aus freien
Stücken zurückgegeben habe.
Gegen dieses Urteil richtet sich die vom Senat zugelassene Revision der Be-
klagten. Die Beklagte macht geltend: Nach dem Wortlaut von § 13 Abs. 1
BVerfSchG setze ein Berichtigungsanspruch voraus, dass das Bundesamt die
Unrichtigkeit der Akten positiv feststelle. Daran fehle es; das Bundesamt gehe
vielmehr unverändert von der Richtigkeit des Inhalts der Personenakte aus. Das
Berufungsgericht dehne die Vorschrift auf Fälle der Nichterweislichkeit aus.
Dies möge angebracht sein, wenn die Nichterweislichkeit auf eine rechtswidrige
Weigerung des Bundesamtes zurückgehe, seine Quellen zu nennen. Eine
rechtmäßige Weigerung dürfe aber nicht zu Lasten des Bundesamtes gehen.
Diese Auslegung des Gesetzes führe zu untragbaren Konsequenzen für die
weitere Tätigkeit des Verfassungsschutzes und die Sicherheitsüberprüfung. Ein
Aktenvermerk, vorliegende tatsächliche Anhaltspunkte für einen sicherheitsre-
levanten Tatbestand seien unrichtig, sei nämlich gleichbedeutend mit der ak-
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tenmäßigen Feststellung, dass derartige Anhaltspunkte nicht bestünden. Damit
wäre aber einer weiteren Beobachtung des Klägers der Boden entzogen, ob-
wohl der Tatbestand des § 4 Abs. 1 Satz 3 BVerfSchG erfüllt sei. Zudem müsse
das Bundesamt der für eine Sicherheitsüberprüfung zuständigen Stelle
- entgegen der wahren Sachlage - mitteilen, dass Anhaltspunkte für ein vom
Kläger ausgehendes Sicherheitsrisiko nicht bestünden. Die vom Berufungsge-
richt vorgenommene Beweislastverteilung stehe ferner in einem Wertungswi-
derspruch zu dem sonstigen Recht der Sicherheitsüberprüfung, nach dem Si-
cherheitsinteressen in aller Regel Vorrang vor anderen Belangen besäßen
(§ 14 Abs. 3 Satz 2 SÜG). Das Berufungsgericht verkenne schließlich den sys-
tematischen Ort, an dem die Konsequenzen aus der Nichterweislichkeit von
Umständen infolge einer berechtigten Geheimhaltung zu ziehen seien. Aus dem
Inhalt der Personenakte beim Bundesamt erwüchsen dem Kläger noch keine
beruflichen Nachteile. Seine Rechtssphäre werde erst durch die Entscheidung
der für die Sicherheitsüberprüfung zuständigen Stelle betroffen, der das
Bundesamt seine Erkenntnisse - einschließlich eines etwaigen Bestreitens-
vermerks des Betroffenen - mitzuteilen habe.
Der Kläger verteidigt das angefochtene Urteil. Dass Daten in einer beim Bun-
desamt geführten Personenakte im Sinne von § 13 Abs. 1 BVerfSchG auch
dann unrichtig seien, wenn die Unaufklärbarkeit ihrer Richtigkeit zu Lasten der
Beklagten gehe, entspreche einer verfassungskonformen Auslegung dieser
Vorschrift, die seinen Grundrechten auf informationelle Selbstbestimmung und
auf effektiven Rechtsschutz Rechnung trage.
II
Die Revision ist begründet. Das Berufungsurteil verletzt Bundesrecht (§ 137
Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Das Oberverwaltungsgericht hätte der Berufung der Be-
klagten stattgeben und die Klage abweisen müssen.
1. Die Vorinstanzen haben ihrer Entscheidung § 13 Abs. 1 des Gesetzes über
die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder in Angelegenheiten des Ver-
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fassungsschutzes und über das Bundesamt für Verfassungsschutz (Bundesver-
fassungsschutzgesetz - BVerfSchG) vom 20. Dezember 1990 (BGBl I S. 2954),
zuletzt geändert durch Art. 2 des Gesetzes vom 21. Juni 2005 (BGBl I S. 1818),
zugrundegelegt. Das ist richtig. Demgegenüber ist § 22 Abs. 1 Satz 2 des Ge-
setzes über die Voraussetzungen und das Verfahren von Sicherheitsüberprü-
fungen des Bundes (Sicherheitsüberprüfungsgesetz - SÜG) vom 20. April 1994
(BGBl I S. 867), zuletzt geändert durch Art. 4 des genannten Gesetzes vom
21. Juni 2005, nicht einschlägig. Zwar wendet sich diese Vorschrift auch an die
im Verfahren der Sicherheitsüberprüfung mitwirkende Behörde und damit im
Rahmen von § 3 Abs. 2 SÜG ebenfalls an das Bundesamt für Verfassungs-
schutz. Sie gilt aber nur für Daten, die im Rahmen einer Sicherheitsüberprüfung
(§ 1 Abs. 1 SÜG) erhoben wurden. Das zeigt der systematische Zusammen-
hang mit § 18 Abs. 4, § 19 Abs. 3, § 22 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 und § 23 Abs. 1
SÜG. Dabei mag dahinstehen, ob sich der Anwendungsbereich des § 22 Abs. 1
SÜG obendrein auf die Sicherheitsüberprüfungsakte (§ 18 Abs. 4 SÜG) selbst
beschränkt oder aber auf diejenigen Daten erstreckt, die das Bundesamt nach
§ 20 Abs. 2 SÜG zur Erfüllung seiner Aufgaben zugleich in andere Akten über-
nommen hat. Im vorliegenden Falle hat das Bundesamt die strittigen Daten
außerhalb einer Sicherheitsüberprüfung erhoben, nämlich anlässlich einer Be-
obachtung der „Marxistischen Gruppe“.
2. Stellt das Bundesamt für Verfassungsschutz fest, dass in Akten gespeicherte
personenbezogene Daten unrichtig sind oder wird ihre Richtigkeit von dem Be-
troffenen bestritten, so ist dies gemäß § 13 Abs. 1 BVerfSchG in der Akte zu
vermerken oder auf sonstige Weise festzuhalten. Die Vorinstanzen haben an-
genommen, dass sich diese Vorschrift nicht lediglich an das Bundesamt richtet,
sondern dem Betroffenen auch subjektive Rechte verleiht. Dem ist zuzustim-
men. Für die zweite Alternative der Vorschrift - den Bestreitensvermerk - folgt
dies schon aus ihrem Wortlaut. Es ist nicht erkennbar, weshalb für ihre erste
Alternative - den Unrichtigkeitsvermerk - anderes gelten soll. In dieselbe Rich-
tung weist auch der Vergleich mit der entsprechenden Vorschrift des allgemei-
nen Datenschutzrechts. § 13 Abs. 1 BVerfSchG entspricht § 20 Abs. 1 Satz 2
des Bundesdatenschutzgesetzes (BDSG) vom 20. Dezember 1990 in der Fas-
sung der Bekanntmachung vom 14. Januar 2003 (BGBl I S. 66), zuletzt geän-
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dert durch Gesetz vom 5. September 2005 (BGBl I S. 2722). Diese Bestimmung
aber findet sich in einem Unterabschnitt des Gesetzes, der ausdrücklich mit
„Rechte des Betroffenen“ überschrieben ist. Dass sich sowohl § 20 Abs. 1
Satz 2 BDSG als auch § 13 Abs. 1 BVerfSchG - wie übrigens auch § 22 Abs. 1
Satz 2 SÜG - nach ihrer Formulierung in erster Linie an die Behörde wenden,
trägt dem Umstand Rechnung, dass Richtigstellungen zumeist von Amts wegen
vorzunehmen sind, weil der Betroffene von dem Datum oder seiner Unrichtig-
keit keine Kenntnis hat (Gola/Schomerus/Klug, BDSG, 8. Auflage 2005, § 20
Rn. 1).
3. In der beim Bundesamt über den Kläger geführten Personenakte sind un-
streitig personenbezogene Daten enthalten, die den Verdacht begründen, er
gehöre seit geraumer Zeit der „Marxistischen Gruppe“ an. Die Vorinstanzen
haben weder festgestellt, dass diese Daten richtig, noch, dass sie unrichtig
sind. Grund hierfür ist die Weigerung des Bundesministeriums des Innern als
der für das Bundesamt zuständigen obersten Aufsichtsbehörde, die Personen-
akte im gerichtlichen Verfahren vollständig vorzulegen. Die Weigerung wurde
damit begründet, das Bekanntwerden des Inhalts der gesperrten Aktenteile
würde dem Wohl des Bundes oder eines Landes Nachteile bereiten, weil dies
die künftige Erfüllung der Aufgaben des Bundesamtes gefährden würde. Das
Bundesverwaltungsgericht hat die Weigerung im Zwischenverfahren nach § 99
Abs. 2 VwGO durch Beschluss vom 7. November 2002 - BVerwG 2 AV 2.02 -
(NVwZ 2003, 347) für rechtmäßig erklärt.
Die Vorinstanzen haben die Frage der Richtigkeit der umstrittenen Daten für
nicht weiter aufklärbar gehalten. Die vom Bundesamt vorgelegte Inhaltsauskunft
haben sie für zu allgemein und daher nicht beweiskräftig erachtet, eine
Beweisaufnahme „in camera“ oder die Einschaltung eines Beweismittlers nicht
in Erwägung gezogen (vgl. hierzu Mayen, NVwZ 2003, 537). Die Beteiligten
haben dies nicht mit Verfahrensrügen angegriffen.
4. Ist infolge einer Weigerung der zuständigen obersten Aufsichtsbehörde nach
§ 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO, Urkunden oder Akten vorzulegen, elektronische Do-
kumente zu übermitteln oder Auskünfte zu erteilen, im gerichtlichen Verfahren
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nicht feststellbar, ob in Akten des Bundesamtes gespeicherte personenbezo-
gene Daten richtig oder unrichtig sind, so kann der Betroffene nicht nach § 13
Abs. 1 BVerfSchG die Beifügung eines Unrichtigkeitsvermerks verlangen. Die
gegenteilige Ansicht des Berufungsgerichts ist mit § 13 Abs. 1 BVerfSchG und
mit § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO nicht vereinbar.
a) Der Anspruch auf Vermerk der Unrichtigkeit in Akten gespeicherter perso-
nenbezogener Daten setzt nach § 13 Abs. 1 BVerfSchG - ebenso wie nach § 20
Abs. 1 Satz 2 BDSG, § 22 Abs. 1 Satz 2 SÜG - voraus, dass die Unrichtigkeit
festgestellt wird. Damit ist die positive Feststellung der Unrichtigkeit gemeint.
Lässt sich hingegen weder die Richtigkeit noch die Unrichtigkeit feststellen, so
kann der Betroffene lediglich die Beifügung eines Bestreitensvermerks
verlangen. Dies zeigt schon das Nebeneinander des Richtigstellungs- und des
Bestreitensvermerks in den angeführten Vorschriften.
Es ergibt sich auch aus einem systematischen Vergleich mit den entsprechen-
den Vorschriften über personenbezogene Daten, die in Dateien gespeichert
sind. Auch diese sind nach § 12 Abs. 1 BVerfSchG bzw. § 20 Abs. 1 Satz 1
BDSG, § 22 Abs. 1 Satz 1 SÜG nur dann zu berichtigen, wenn sie unrichtig
„sind“, wenn also ihre Unrichtigkeit positiv feststeht. Soweit ihre Richtigkeit vom
Betroffenen bestritten wird und sich weder die Richtigkeit noch die Unrichtigkeit
feststellen lässt, sieht das allgemeine Datenschutzrecht in § 20 Abs. 4 BDSG
gerade nicht die Berichtigung, sondern lediglich die Sperrung vor; ihre Übermitt-
lung oder Nutzung ist dann nach Maßgabe von § 20 Abs. 7 BDSG einge-
schränkt, aber nicht völlig ausgeschlossen. Zwar fehlt eine entsprechende Re-
gelung für den Geltungsbereich des Bundesverfassungsschutzgesetzes. Dies
wirft die Frage auf, ob § 20 Abs. 4, Abs. 7 BDSG entsprechend anwendbar ist
oder ob die Nichtfeststellbarkeit der Richtigkeit oder Unrichtigkeit von in Dateien
gespeicherten personenbezogenen Daten hier nicht zu ihrer Sperrung führen
soll, weil dies mit der besonderen Aufgabe des Verfassungsschutzes und dem
Charakter nachrichtendienstlicher Tätigkeit nicht zu vereinbaren wäre. Das mag
auf sich beruhen. Keinesfalls aber lässt sich daraus umgekehrt folgern, in der-
artigen non-liquet-Situationen seien die betreffenden Daten zu berichtigen. Es
kann nicht angenommen werden, dass der Gesetzgeber die Tätigkeit des Bun-
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desamtes für Verfassungsschutz stärker beschränken wollte als die Tätigkeit
von Verwaltungsbehörden im Allgemeinen.
b) Damit ist zugleich über die Verteilung der Beweislast entschieden: Verlangt
der Betroffene die Beifügung eines Unrichtigkeitsvermerks zu in Akten enthal-
tenen personenbezogenen Daten, so trägt er die Beweislast, wenn sich im Pro-
zess weder die Richtigkeit noch die Unrichtigkeit feststellen lässt. Das gilt auch
dann, wenn dem Betroffenen damit im Einzelfall der Beweis für das Nichtvorlie-
gen eines Umstandes obliegt; die Schwierigkeit eines Negativbeweises ändert
die Verteilung der Beweislast grundsätzlich nicht (stRspr; vgl. Urteil vom 30. Ja-
nuar 1997 - BVerwG 2 C 10.96 - BVerwGE 104, 55 <58> = Buchholz 232 § 79
BBG Nr. 113 S. 8; BGH, Urteile vom 16. Oktober 1984 - VI ZR 304/82 - NJW
1985, 264 <265>, vom 13. Dezember 1984 - III ZR 20/83 - NJW 1985, 1774
<1775> und vom 13. Mai 1987 - VIII ZR 137/86 - BGHZ 101, 49 <55>). Ange-
sichts der beschriebenen gesetzlichen Regelung besteht auch für den vorlie-
genden Zusammenhang des Datenschutzrechts kein Anlass, von diesen
Grundsätzen abzugehen.
Das hat das Berufungsgericht nicht verkannt. Es hat aber gemeint, dem Kläger
sei der Nachweis der Unrichtigkeit gelungen, weil der Beklagten der Vortrag
konkreter, widerlegbarer Umstände für die Richtigkeit oblegen habe und sie
dem nicht nachgekommen sei. Dem kann nicht gefolgt werden.
Das Berufungsgericht hat sich für seine Auffassung auf die Rechtsprechung
des Bundesgerichtshofs berufen. Hiernach ist den besonderen Schwierigkeiten,
denen die beweisbelastete Partei bei sog. negativen Tatsachen regelmäßig
ausgesetzt ist, bei der Art und Weise der Beweisführung dadurch Rechnung zu
tragen, dass der nicht Darlegungspflichtige näher vorträgt, was für das Positive
spricht, und die darlegungspflichtige Partei alsdann dem entgegenstehende
Tatsachen vorzutragen hat (BGH, Urteile vom 13. Dezember 1984 - III ZR
20/83 - NJW 1985, 1774 <1775> und vom 16. Dezember 1993 - I ZR 231/91 -
NJW-RR 1994, 1068 <1069>). Hintergrund dieser sog. sekundären Darle-
gungspflicht der nicht beweisbelasteten Partei sind Erwägungen der prozessua-
len Zumutbarkeit: Die zivilrechtliche Rechtsprechung erlegt dem Gegner der
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primär behauptungs- und beweisbelasteten Partei eine sekundäre Behaup-
tungslast vor allem dann auf, wenn die darlegungspflichtige Partei außerhalb
des von ihr darzulegenden Geschehensablaufs steht und keine nähere Kennt-
nis der maßgebenden Tatsachen besitzt, während der Prozessgegner sie hat
und ihm nähere Angaben zumutbar sind (BGH, Urteile vom 8. Oktober 1992
- I ZR 220/90 - NJW-RR 1993, 746 <747>, vom 18. Mai 1999 - X ZR 158/97 -
NJW 1999, 2887 <2887 f.> und vom 27. September 2002 - V ZR 98/01 - NJW
2003, 1039 <1040>).
Diese Rechtsprechung ist auf dem Hintergrund der sog. Verhandlungsmaxime
ergangen, welche den Zivilprozess beherrscht (vgl. BGH, Urteil vom 11. Juni
1990 - II ZR 159/89 - NJW 1990, 3151), während der Verwaltungsprozess vom
Grundsatz der Amtsermittlung geprägt wird. Schon deshalb schlägt sich die
materielle Beweislast im Verwaltungsprozess nicht in einer prozessualen Dar-
legungslast nieder. Vielmehr sind die Beteiligten hier grundsätzlich ohne Rück-
sicht auf die Verteilung der materiellen Beweislast zur Mitwirkung bei der Sach-
aufklärung verpflichtet (§ 86 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 VwGO). Das schließt
selbstverständlich nicht aus, dass einem Beteiligten eine besondere Mitwir-
kungspflicht hinsichtlich solcher Umstände obliegt, die allein in seiner Sphäre
liegen (vgl. BVerwG, Urteil vom 30. Januar 1997 a.a.O. S. 58 f. bzw. S. 8 f.).
Das Bundesamt aber war zu der vom Berufungsgericht vermissten näheren
Darlegung „widerlegbarer Umstände“ nicht verpflichtet, ja rechtlich gar nicht im-
stande. In der Diktion der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs war ihm die
nähere Darlegung rechtlich nicht möglich oder „zumutbar“. Dem stand nämlich
die Sperrerklärung des Bundesinnenministeriums nach § 99 Abs. 1 Satz 2
VwGO entgegen. Macht die oberste Aufsichtsbehörde von dieser Möglichkeit
der Geheimhaltung rechtmäßig Gebrauch, so ist der im Prozess beteiligten Be-
hörde insoweit eine nähere Darlegung aus Rechtsgründen nicht möglich. Dass
die Sperrerklärung im vorliegenden Fall aber rechtmäßig war, steht nach der
Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts im Zwischenverfahren nach § 99
Abs. 2 VwGO bindend fest.
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c) Aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG folgt nichts anderes.
Dieses Grundrecht gewährleistet dem Betroffenen effektiven Rechtsschutz bei
der Durchsetzung eines behaupteten Datenberichtigungsanspruchs. Die
Rechtsschutzgarantie schließt ein, dass die Verwaltungsvorgänge, welche der
behördlichen Weigerung, die Daten zu berichtigen, zugrundeliegen, dem Ge-
richt zur Verfügung stehen, soweit sie für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit
des behördlichen Verhaltens von Bedeutung sein können (BVerfG, Beschluss
vom 27. Oktober 1999 - 1 BvR 385/90 - BVerfGE 101, 106 <122>). Art. 19
Abs. 4 GG schließt allerdings, obwohl er vorbehaltlos formuliert ist, Einschrän-
kungen nicht von vornherein aus. Es ist anerkannt, dass Ansprüche auf Akten-
vorlage, die sich dem Grunde nach aus Art. 19 Abs. 4 GG ergeben, einge-
schränkt werden können, wenn das Bekanntwerden der Akten dem Wohl des
Bundes oder eines deutschen Landes Nachteile bereiten würde. Hierzu gehört
auch der Schutz nachrichtendienstlicher Informationen, Informationsquellen und
Arbeitsweisen sowie die Einhaltung von Vertraulichkeitszusagen an Informanten
(BVerfG, Beschluss vom 27. Oktober 1999 a.a.O. S. 127 f.). Die Ansprüche aus
Art. 19 Abs. 4 GG dürfen aber auch dann nur unter Wahrung derjenigen An-
forderungen eingeschränkt werden, die sich aus dem Grundsatz der
Verhältnismäßigkeit ergeben (BVerfG, Beschluss vom 27. Oktober 1999 a.a.O.
S. 124 f.).
§ 99 VwGO stellt eine verfassungsrechtlich einwandfreie Gesetzesgrundlage für
die Einschränkung von Verfahrensansprüchen auf Aktenvorlage, Auskunft usw.
dar. Namentlich lässt sich verfassungsrechtlich nicht beanstanden, dass nach
§ 99 Abs. 2 VwGO die erforderliche Abwägung zwischen dem Rechts-
schutzinteresse des Betroffenen und dem öffentlichen Interesse an der Wahr-
heitsfindung im Prozess auf der einen und den öffentlichen Geheimschutzbe-
langen auf der anderen Seite nicht in dem Rechtsschutzverfahren selbst, son-
dern abschließend in einem gesonderten Zwischenverfahren erfolgt (vgl.
BVerfG, Beschluss vom 14. März 2006 - 1 BvR 2087/03 und 2111/03 - DVBl
2006, 694). Daraus folgt im Gegenschluss, dass dem Gericht im Hauptsache-
verfahren eine eigenständige - ggf. abweichende - Bewertung der öffentlichen
Geheimschutzbelange und deren Abwägung mit dem Rechtsschutzinteresse
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des Betroffenen verwehrt ist. Dies ist dem Hauptsachegericht auch gar nicht
möglich, schon weil die oberste Aufsichtsbehörde nicht verpflichtet ist, die
Gründe für ihre Sperrerklärung nach § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO auch im Haupt-
sacheverfahren mitzuteilen. Das Berufungsgericht hätte seine Entscheidung
daher nicht - unter anderem - damit begründen dürfen, für die Weigerung des
Bundesamtes zu näherer Substantiierung seien hinreichende Gründe des Ge-
heimschutzes, welche die Belange des Klägers überwögen, nicht oder doch
nicht durchgängig erkennbar.
Wird im Zwischenverfahren nach § 99 Abs. 2 VwGO festgestellt, dass die
Sperrerklärung rechtmäßig ist, so steht damit für das Hauptsacheverfahren bin-
dend fest, dass die Aktenvorlage oder Auskunftserteilung aus Rechtsgründen
nicht möglich ist, ohne dass es auf die Gründe hierfür noch ankäme. Gleichwohl
gebieten Art. 19 Abs. 4 GG und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, dass
das Hauptsachegericht die ihm verbleibenden Möglichkeiten der Sachauf-
klärung vollständig ausschöpft und dass es die ihm zugänglichen Tatsachen
sämtlich in seine Sachwürdigung einbezieht. Führt die Sperrerklärung dazu,
dass bestimmte Umstände nicht aufklärbar bleiben oder dass die Aussagekraft
festgestellter Tatsachen vermindert ist, so hat es auch dies angemessen zu
würdigen. Dabei hat es sich im Zweifel an der gesetzlichen Verteilung der ma-
teriellen Beweislast zu orientieren (vgl. Beschlüsse vom 21. Juni 1993
- BVerwG 1 B 62.92 - Buchholz 310 § 99 VwGO Nr. 22 S. 13 und vom 1. Feb-
ruar 1996 - BVerwG 1 B 37.95 - Buchholz 310 § 99 VwGO Nr. 24 S. 8 f.). Das
gilt auch dann, wenn der Betroffene - wie hier - die materielle Beweislast trägt
(vgl. Beschluss vom 15. August 2003 - BVerwG 20 F 8.03 - Buchholz 310 § 99
VwGO Nr. 34 S. 20 f. und dazu BVerfG, Beschluss vom 14. März 2006 - 1 BvR
2087/03 und 2111/03 - Rn. 100 = DVBl 2006, 694 <697>). Art. 19 Abs. 4 GG
gebietet nicht - lässt nicht einmal zu -, die jeweilige gesetzliche Verteilung der
Beweislast zu verändern.
5. Eine Verletzung des Klägers in anderen Grundrechten ist nicht erkennbar.
a) Ohne Erfolg beruft sich der Kläger auf sein Grundrecht auf informationelle
Selbstbestimmung, das aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG herzuleiten ist
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(BVerfG, Urteil vom 15. Dezember 1983 - 1 BvR 209/83 u.a. - BVerfGE 65, 1)
und nicht nur in Ansehung von in Dateien - automatisiert - gespeicherten, son-
dern auch von in herkömmlichen Akten enthaltenen personenbezogenen Daten
besteht (BVerfG, Beschluss vom 9. März 1988 - 1 BvL 49/86 - BVerfGE 78, 77
<84>). Es gebietet, dass das Gesetz organisatorische und verfahrensrechtliche
Vorkehrungen treffen muss, dass unrichtige personenbezogene Daten gelöscht
oder berichtigt werden (vgl. BVerfG, Urteil vom 15. Dezember 1983 a.a.O.
S. 46). Dem ist durch § 13 Abs. 1 BVerfSchG Genüge geschehen. Das Grund-
recht gebietet nicht, dass der Betroffene auch die Löschung oder Berichtigung
solcher Daten verlangen kann, die die Behörde für richtig hält und deren Rich-
tigkeit oder Unrichtigkeit infolge einer berechtigten Sperrerklärung nach § 99
VwGO im Prozess nicht aufgeklärt werden kann.
Allerdings wird hierdurch das grundrechtlich geschützte Recht des Betroffenen
verkürzt, grundsätzlich selbst zu entscheiden, wann und innerhalb welcher
Grenzen persönliche Lebenssachverhalte offenbart werden (BVerfG, Urteil vom
15. Dezember 1983 a.a.O. S. 41 f.), und grundsätzlich selbst über die Preisga-
be und Verwendung seiner persönlichen Daten zu bestimmen (BVerfG, Urteil
vom 15. Dezember 1983 a.a.O. S. 43). Denn die in der über den Betroffenen
beim Bundesamt geführten Personenakte enthaltenen Daten sind zur Verwen-
dung im Rahmen der Sicherheitsüberprüfung nach dem Sicherheitsüberprü-
fungsgesetz bestimmt und können zudem als Grundlage für eine weitere Be-
obachtung und Datenerhebung über den Betroffenen dienen.
Dass personenbezogene Daten, die die Behörde für richtig hält und deren Rich-
tigkeit oder Unrichtigkeit infolge einer berechtigten Sperrerklärung nicht aufge-
klärt werden kann, nicht gelöscht oder berichtigt, sondern lediglich mit einem
Bestreitensvermerk versehen werden, ist aber durch hinlängliche Gründe des
gemeinen Wohls gerechtfertigt. Von einer Löschung oder Berichtigung würden
auch Daten erfasst, die richtig sind, deren Richtigkeit lediglich vor Gericht nicht
bewiesen werden kann, oder die möglicherweise richtig sind, deren Richtigkeit
aber nicht oder noch nicht feststeht. Es besteht ein erhebliches öffentliches In-
teresse daran, dass derartige Daten in den Personenakten des Bundesamtes
erhalten bleiben und von diesem nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften
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verwendet werden dürfen. Andernfalls wäre die Erfüllung der gesetzlichen Auf-
gaben des Bundesamtes gefährdet; damit würde zugleich den im Interesse der
öffentlichen Sicherheit in verschiedenen empfindlichen Bereichen vorgeschrie-
benen Sicherheitsüberprüfungen eine wesentliche Grundlage entzogen. Be-
gründen nämlich derartige Daten den Verdacht etwa verfassungsfeindlicher
Bestrebungen oder einer sicherheitsgefährdenden oder geheimdienstlichen Tä-
tigkeit für eine fremde Macht, so bilden sie überhaupt erst die Grundlage für
eine weitere Sammlung und Auswertung von Informationen (§ 4 Abs. 1 Satz 3
i.V.m. § 3 Abs. 1 Nr. 1 und 2 BVerfSchG). Zugleich bilden sie eine Grundlage
für das Votum, welches das Bundesamt als mitwirkende Behörde im Rahmen
von Sicherheitsüberprüfungen (§ 3 Abs. 2 SÜG, § 3 Abs. 2 Nr. 1 BVerfSchG)
gegenüber der zuständigen Stelle abzugeben hat (§ 5 Abs. 1 i.V.m. § 14 Abs. 2
SÜG).
Den Belangen des Betroffenen wird durch den Bestreitensvermerk hinlänglich
Rechnung getragen. Bei seiner eigenen künftigen Sammlung und Auswertung
von Informationen muss das Bundesamt das Bestreiten ohnehin berücksichti-
gen; es ist verpflichtet, von Amts wegen die Richtigkeit seiner Daten zu über-
prüfen und Anhaltspunkten für die Unrichtigkeit - vor allem natürlich einem aus-
drücklichen Bestreiten durch den Betroffenen - nachzugehen. Bei seinem Vo-
tum im Rahmen der Sicherheitsüberprüfung muss es bei der Einschätzung, ob
ein Sicherheitsrisiko vorliegt, das Bestreiten darlegen und mitbewerten (§ 16
Abs. 2 Satz 1 SÜG). Hierdurch fließt das Bestreiten auch in die Entscheidung
der zuständigen Stelle ein, ob ein Sicherheitsrisiko vorliegt, das der sicher-
heitsempfindlichen Tätigkeit des Betroffenen entgegensteht (§ 14 Abs. 3 SÜG;
vgl. hierzu etwa Beschlüsse vom 13. Oktober 1998 - BVerwG 1 WB 86.97 -
BVerwGE 113, 267 <268> = Buchholz 402.8 § 5 SÜG Nr. 5 S. 17 und vom
31. Juli 2002 - BVerwG 1 WB 24.02 - Buchholz 402.8 § 5 SÜG Nr. 14 S. 24 f.
m.w.N.).
b) Art. 12 Abs. 1 GG ist nicht betroffen. Welche personenbezogenen Daten
über den Kläger in den Akten des Bundesamtes gespeichert sind, lässt die Be-
rufsausübung des Klägers unberührt. Auswirkungen auf die Berufsausübung
kann erst die Sicherheitsüberprüfung mit sich bringen. Auch in deren Rahmen
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bildet das Votum des Bundesamtes lediglich einen internen Mitwirkungsakt,
welcher die außenwirksame Entscheidung der zuständigen Stelle vorbereitet
(§ 14 Abs. 2 und 3 SÜG); nur gegen diese steht Rechtsschutz offen (§ 44a
VwGO). Im vorliegenden Fall hat die zuständige Stelle - das Bundesministerium
für Wirtschaft - dem Arbeitgeber des Klägers eine Verschlusssachenermächti-
gung für den Kläger versagt. Der Kläger hat dies vor dem Verwaltungsgericht B.
angefochten. In diesem Verfahren kann er seine Rechte geltend machen. Dabei
wird auch zu entscheiden sein, ob er durch die Versagung der Verschluss-
sachenermächtigung in seinem Grundrecht aus Art. 12 Abs. 1 GG betroffen ist
(verneinend Urteile vom 22. Dezember 1987 - BVerwG 1 C 34.84 u.a. - und
vom 13. Dezember 1994 - BVerwG 1 C 19.92 - Buchholz 11 Art. 12 GG Nr. 189
und 236).
6. Das angefochtene Urteil, mit dem die Berufung der Beklagten gegen das
Urteil des Verwaltungsgerichts K. zurückgewiesen wurde, erweist sich auch
nicht aus anderen Gründen als richtig.
Das Berufungsgericht hat infolge einer zulässigen Klageänderung über einen
anderen Streitgegenstand entschieden als das Verwaltungsgericht; schon des-
halb kann auf die Erwägungen, die das Verwaltungsgericht angestellt hat, nur
bedingt zurückgegriffen werden. Auch abgesehen hiervon halten diese Erwä-
gungen aber einer Überprüfung ebenfalls nicht stand. Das Verwaltungsgericht
hat gemeint, dass die Verkürzung der Möglichkeiten des Gerichts zur Feststel-
lung der Richtigkeit oder Unrichtigkeit der umstrittenen Daten durch eine Pflicht
des Bundesamtes zur eigenen Überprüfung zu kompensieren sei. Dagegen
lässt sich nichts erinnern, vielmehr versteht es sich von selbst, dass das Bun-
desamt von Amts wegen verpflichtet ist, die Richtigkeit seiner Akten bei gege-
benem Anlass - namentlich auf ein Bestreiten durch den Betroffenen hin - zu
überprüfen. Das Verwaltungsgericht hat der Klage stattgegeben, weil diese
Überprüfung seit 1988 unterblieben, jedenfalls aber nicht genügend substanti-
iert dargelegt worden sei. Das hält der Nachprüfung nicht stand. Zum einen ist
eine Überprüfung durchaus erfolgt; dies hat das Bundesamt im Berufungsver-
fahren in tatsächlicher Hinsicht unwidersprochen klargestellt. Soweit das Ver-
waltungsgericht aber - zum anderen - eine substantiierte Darlegung der Über-
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prüfungsergebnisse vermisst, missachtet es ebenso wie das Berufungsgericht
die Bedeutung der rechtmäßigen Sperrerklärung nach § 99 Abs. 1 Satz 2
VwGO.
Weitere Ermittlungen sind nicht angezeigt. Namentlich besteht nicht die Mög-
lichkeit, das Bundesamt auch im vorliegenden Hauptsacheverfahren zur Vorla-
ge der gesperrten Akten „in camera“ zu veranlassen. Das geltende Prozess-
recht sieht eine Beweisaufnahme „in camera“ nicht vor (BVerwG, Beschluss
vom 15. August 2003 - BVerwG 20 F 3.03 - BVerwGE 118, 352 <356>; vgl.
BVerfG, Beschluss vom 14. März 2006 - 1 BvR 2087/03 und 2111/03 -
Rn. 112 f. sowie Sondervotum Rn. 158, DVBl 2006, 694 <698 f., 703>). Das-
selbe gilt für eine Beweisaufnahme durch einen Beweismittler (vgl. Mayen,
NVwZ 2003, 537). Dann aber muss nach Beweislast entschieden und die Klage
abgewiesen werden.
Kley van Schewick Dr. Dette
Liebler Prof. Dr. Rennert
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Sachgebiet:
BVerwGE: ja
Datenschutzrecht
Fachpresse: ja
Rechtsquellen:
BVerfSchG
§ 13 Abs. 1
VwGO
§ 99
Stichworte:
Verfassungsschutz; Personenakte; Datenschutz; Berichtigung; Berichtigungs-
anspruch; Unrichtigkeitsvermerk; Bestreitensvermerk; Sperrerklärung; in-came-
ra-Verfahren; Beweislast; Darlegungspflicht; effektiver Rechtsschutz; informati-
onelle Selbstbestimmung.
Leitsatz:
Ist infolge einer Weigerung der zuständigen obersten Aufsichtsbehörde nach
§ 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO, Urkunden oder Akten vorzulegen, elektronische Do-
kumente zu übermitteln oder Auskünfte zu erteilen, im gerichtlichen Verfahren
nicht feststellbar, ob in Akten des Bundesamtes für Verfassungsschutz gespei-
cherte personenbezogene Daten richtig oder unrichtig sind, so kann der Betrof-
fene nicht nach § 13 Abs. 1 BVerfSchG die Beifügung eines Unrichtigkeitsver-
Urteil des 3. Senats vom 27. September 2006 - BVerwG 3 C 34.05
I. VG Köln
vom 17.07.2003 - Az.: VG 20 K 2054/99 -
II. OVG Münster vom 15.04.2005 - Az.: OVG 21 A 4183/03 -