Urteil des BVerwG vom 29.01.2009

Sperrfrist, Psychologisches Gutachten, Mitgliedstaat, Fahreignung

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
BVerwG 3 C 31.07
OVG 1 R 39/06
Verkündet
am 29. Januar 2009
Zweigler
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 29. Januar 2009
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Kley
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Dette, Liebler,
Prof. Dr. Rennert und Buchheister
für Recht erkannt:
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Oberver-
waltungsgerichts des Saarlandes vom 30. Januar 2007
wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.
G r ü n d e :
I
Der Kläger beansprucht, von seiner luxemburgischen Fahrerlaubnis in Deutsch-
land wieder Gebrauch machen zu dürfen.
Der Kläger ist luxemburgischer Staatsangehöriger mit Wohnsitz in Luxemburg.
Er hat seit dem 4. Januar 1980 eine luxemburgische Fahrerlaubnis der Klas-
sen B und C, die am 20. März 1986 auf die Klassen D und E erweitert wurde.
Durch Strafbefehl des Amtsgerichts Merzig vom 9. August 2004 wurde ihm die
Fahrerlaubnis für das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland entzogen, weil er
im Straßenverkehr ein Fahrzeug unter Alkoholeinfluss (1,9 Promille Blutalko-
holgehalt) geführt hatte. Zugleich wurde angeordnet, dass die deutsche Verwal-
tungsbehörde vor Ablauf von acht Monaten weder eine neue Fahrerlaubnis er-
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teilen noch das Recht wiedererteilen dürfe, von der ausländischen Fahrerlaub-
nis in der Bundesrepublik Deutschland Gebrauch zu machen.
Unter dem 15. Februar 2005 beantragte der Kläger, ihm dieses Recht mit Be-
ginn des 10. April 2005 wiederzuerteilen. Gleichzeitig erklärte er, dass er sich
keiner medizinisch-psychologischen Untersuchung unterziehen werde, und be-
rief sich dazu auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zur
Richtlinie des Rates vom 29. Juli 1991 über den Führerschein (91/439/EWG).
Der Beklagte lehnte den Antrag ab, weil nach wie vor erhebliche Bedenken hin-
sichtlich der Eignung des Klägers zum Führen von Kraftfahrzeugen bestünden.
Da der Kläger sich weigere, seine Fahreignung durch ein medizinisch-psycho-
logisches Gutachten nachzuweisen, könne nach § 11 Abs. 8 der Fahrerlaubnis-
Verordnung - FeV - auf seine Nichteignung geschlossen werden.
Nach erfolgloser Durchführung eines Widerspruchsverfahrens hat der Kläger
Klage erhoben. Er hat sich darauf berufen, dass ihm unter dem 18. Mai 2005
- also nach Ablauf der Sperrfrist - in Luxemburg eine neue Fahrerlaubnis für die
Klassen B, C, D und E ausgestellt worden sei, der der Beklagte die Anerken-
nung in Deutschland nicht versagen dürfe.
Das Verwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen. Es hat hervorgehoben, dass
die vom Kläger angeführte Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs
keine andere Entscheidung rechtfertige, weil dort darauf abgestellt werde, dass
dem Betroffenen ein neuer Führerschein nach Ablauf der im Inland geltenden
Sperrfrist ausgestellt worden sei. Damit sei aber nicht die bloße Ausstellung
eines neuen Dokuments gemeint, sondern die (Wieder-)Erteilung der durch den
Führerschein dokumentierten Fahrerlaubnis. Der Kläger habe keine neue Fahr-
erlaubnis in diesem Sinne erhalten; das ergebe sich aus den in dem Führer-
schein vermerkten Ausstellungsdaten hinsichtlich der verschiedenen Fahrer-
laubnisklassen.
Die dagegen eingelegte Berufung hat das Oberverwaltungsgericht zurückge-
wiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Der Kläger habe
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nicht den nach § 4 Abs. 4 der Verordnung über den internationalen Kraftverkehr
- IntKfzV - erforderlichen Nachweis erbracht, dass die Gründe, die zur
Entziehung der Fahrerlaubnis geführt hätten, nicht mehr bestünden. Dazu rei-
che weder der Ablauf der verhängten Sperrfrist aus noch genüge es, dass dem
Kläger in Luxemburg ein neuer Führerschein ausgestellt worden sei. Dabei ha-
be es sich lediglich um ein neues, die früher erworbene Fahrerlaubnis bestäti-
gendes Dokument gehandelt, ohne dass eine Überprüfung der Fahreignung
stattgefunden habe. Die Frage der Vereinbarkeit des in § 4 Abs. 4 IntKfzV nor-
mierten Zuerkennungsakts mit Bestimmungen der Richtlinie 91/439/EWG stelle
sich in diesem Fall nicht; denn nach Art. 8 Abs. 4 Unterabs. 1 der Richtlinie
könne ein Mitgliedstaat es ablehnen, die Gültigkeit eines Führerscheins anzu-
erkennen, der von einem anderen Mitgliedstaat einer Person ausgestellt wor-
den sei, auf die in seinem Hoheitsgebiet eine der in Absatz 2 der Vorschrift ge-
nannten Maßnahmen angewendet worden sei. Die Rechtsprechung des Euro-
päischen Gerichtshofs, nach der dieses Ablehnungsrecht nicht bestehe, wenn
die ausländische Fahrerlaubnis nach dem Entzug der Fahrerlaubnis und nach
Ablauf der verhängten Sperre in einem anderen Mitgliedstaat erworben worden
sei, lasse die Befugnis unberührt, die Gültigkeit einer vor dem Entzug der Fahr-
erlaubnis erworbenen ausländischen Fahrerlaubnis abzulehnen, die mit Wir-
kung für das Ausland ihre Gültigkeit behalten habe, weil sich der Entzug der
Fahrerlaubnis nur auf das Inland erstreckt habe. Vielmehr lasse sich dem Er-
fordernis, dass die Fahrerlaubnis nach dem Ablauf der Sperrfrist erworben wor-
den sein müsse, die Auffassung des Gerichtshofs entnehmen, dass der Betrof-
fene über den bloßen Ablauf der Sperrfrist hinaus die Wiedererlangung der
Fahreignung nachzuweisen habe. Ein solcher Nachweis könne zwar durch den
Erwerb der Fahrerlaubnis in einem anderen Mitgliedstaat der EU erbracht wer-
den; er setze jedoch nach Art. 7 der Richtlinie voraus, dass die Behörden zuvor
überprüft hätten, ob der Betroffene den Mindestanforderungen in Bezug auf die
physische und psychische Fahreignung entsprechend Anhang III der Richtlinie
genüge. Eine solche neue Fahrerlaubnis habe der Kläger nicht erworben, son-
dern nur einen Führerschein, der seine bereits bestehende Fahrerlaubnis bes-
tätige.
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Mit seiner Revision beruft sich der Kläger weiterhin darauf, dass die angegriffe-
nen Entscheidungen im Widerspruch zu der Rechtsprechung des Europäischen
Gerichtshofs stünden. Art. 1 Abs. 2 der Führerscheinrichtlinie verlange eine
gegenseitige Anerkennung der Führerscheine ohne jede materielle oder formel-
le Voraussetzung, wobei zwischen Führerschein und Fahrerlaubnis nicht unter-
schieden werde. Da seine Fahrerlaubnis während der in Deutschland laufenden
Sperrfrist in Luxemburg weiter gelte, könne er in seinem Heimatland gar keine
neue Fahrerlaubnis erwerben, es sei denn, er würde auch dort straßenver-
kehrsrechtlich auffällig werden und seine Fahrerlaubnis verlieren. Dies sei aber
nicht Sinn der gegenseitigen Anerkennung von Führerscheinen. Folglich streite
auch in seinem Fall der Wortlaut der Entscheidung des Europäischen Gerichts-
hofs denknotwendig für seinen Standpunkt; denn sein Führerschein sei nach
Ablauf der deutschen Sperrfrist ausgestellt worden. Dies sei jedoch nicht einmal
notwendig, weil auch sein „alter" Führerschein nach Ablauf der Sperrfrist in
Deutschland ohne Weiteres hätte Anerkennung finden müssen.
Der Beklagte verteidigt die angegriffenen Bescheide und verweist darauf, dass
der Kläger nicht darauf angewiesen sei, eine neue Fahrerlaubnis in seinem
Heimatland zu beantragen. Vielmehr bleibe es ihm unbenommen, in Deutsch-
land einen Antrag zu stellen, mit seiner „alten“ ausländischen Fahrerlaubnis
fahren zu dürfen, wovon er auch Gebrauch gemacht habe. Wenn er dann aller-
dings nicht bereit sei, die gesetzlich vorgeschriebenen Bedingungen zu erfüllen,
müsse der Antrag abgelehnt werden.
Nach Auffassung des Vertreters des Bundesinteresses begegnet das Beru-
fungsurteil keinen rechtlichen Bedenken. Der Sache nach gehe es darum, ob
ein Mitgliedstaat überhaupt die Möglichkeit habe, einen Entzug der Fahrerlaub-
nis wirksam anzuordnen. Müsste er nach dem Ablauf der Sperrfrist die bisher
erteilte ausländische Fahrerlaubnis wieder anerkennen, ginge der angeordnete
Entzug ins Leere. Eine Entziehung der Fahrerlaubnis bringe das Recht zum
Führen eines Kraftfahrzeuges im Inland nicht nur vorübergehend zum Erliegen,
sondern lasse es vollständig entfallen. Ohne eine erneute Eignungsprüfung
könne nicht sichergestellt werden, dass die Eignung, deren Fehlen zur Entzie-
hung der Fahrerlaubnis geführt habe, bei Ablauf der Sperrfrist wieder bestehe.
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Eine erneute Fahrberechtigung für das Inland setze daher eine Entscheidung
der Fahrerlaubnisbehörde nach § 4 Abs. 4 IntKfzV voraus. Alternativ könne
auch die Erteilung einer deutschen Fahrerlaubnis das Recht zum Führen von
Kraftfahrzeugen im Inland neu begründen. Der Betroffene sei hierdurch in sei-
nen Rechten auch nicht übermäßig beeinträchtigt. Es sei ihm nicht verwehrt,
nach Ablauf der Sperrfrist (im Ausland oder in Deutschland) eine neue Fahrer-
laubnis zu erwerben oder die Wiedererlangung seiner Eignung nach Maßgabe
der deutschen Bestimmungen nachzuweisen.
II
Die Revision ist nicht begründet.
Die angegriffenen Urteile lassen keinen Verstoß gegen Bundesrecht erkennen.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Erteilung des Rechts, von seiner luxem-
burgischen Fahrerlaubnis in Deutschland Gebrauch zu machen.
1. Rechtsgrundlage für sein Begehren ist nicht mehr der von den Vorinstanzen
angewendete § 4 Abs. 4 IntKfzV, sondern § 29 Abs. 4 der Fahrerlaubnis-
Verordnung - FeV - in der Fassung der Vierten Verordnung zur Änderung der
Fahrerlaubnis-Verordnung und anderer straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften
vom 18. Juli 2008 (BGBl I S. 1338). Mit Art. 2 dieser insoweit am 30. Juli 2008
in Kraft getretenen Verordnung ist die Verordnung über internationalen Kraft-
fahrzeugverkehr aufgehoben worden. Gleichzeitig hat der eingefügte § 29 FeV,
dessen Absatz 3 mit Wirkung vom 19. Januar 2009 durch Art. 1 Nr. 5 der Drit-
ten Verordnung zur Änderung der Fahrerlaubnis-Verordnung vom 7. Januar
2009 (BGBl I S. 29) erneut geändert worden ist, die bisher in § 4 IntKfzV getrof-
fenen Regelungen im Wesentlichen wortgleich ersetzt. Das Revisionsgericht
muss bei seiner Entscheidung das Recht anwenden, das das Tatsachengericht,
entschiede es jetzt, zu berücksichtigen hätte. Das sind hier die aktuell gelten-
den Bestimmungen des Fahrerlaubnisrechts, weil der Kläger die Erteilung des
Rechts, von seiner luxemburgischen Fahrerlaubnis im Inland Gebrauch zu ma-
chen, jetzt begehrt, und sich der maßgeblichen Vorschrift der Fahrerlaubnis-
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Verordnung nicht entnehmen lässt, dass sie ihren Geltungsanspruch nicht auf
diesen, nach ihrem Inkrafttreten zu entscheidenden Sachverhalt erstrecken will.
Nach § 29 Abs. 4 FeV wird das Recht, von einer ausländischen Fahrerlaubnis
nach einer der in Absatz 3 Nr. 3 und 4 (seit 19. Januar 2009 richtig: Absatz 3
Satz 1 Nr. 3 und 4) genannten Entscheidungen Gebrauch zu machen, auf An-
trag erteilt, wenn die Gründe für die Entziehung nicht mehr bestehen. Mit der
Entziehung der Fahrerlaubnis für das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland
nach § 69 StGB und der Verhängung der Sperrfrist für eine Wiedererteilung
nach § 69a StGB sind zu Lasten des Klägers Entscheidungen nach § 29 Abs. 3
Satz 1 Nr. 3 und 4 FeV getroffen worden, an die der Antrag des Klägers nach
§ 29 Abs. 4 FeV anknüpft. Voraussetzung für einen Erfolg dieses Antrages ist,
dass die Gründe für die Entziehung der Fahrerlaubnis entfallen sind. Grund für
diese Maßnahme war, dass der Kläger sich wegen Fahrens unter Alkoholein-
fluss im Straßenverkehr (1,90 Promille Blutalkoholgehalt) als ungeeignet zum
Führen eines Kraftfahrzeuges erwiesen hatte. Dieser Grund besteht nach wie
vor, so dass der Beklagte den Antrag des Klägers zu Recht abgelehnt hat.
Die Voraussetzungen, unter denen in solchen Fällen eine Wiedergewinnung der
Fahreignung anzunehmen ist, lassen sich § 13 FeV entnehmen. Nach Satz 1
Nr. 2 Buchst. d dieser Vorschrift ordnet die Fahrerlaubnisbehörde zur
Vorbereitung von Entscheidungen über die Erteilung einer Fahrerlaubnis die
Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens an, wenn die Er-
laubnis aus einem der unter Buchst. a bis c genannten Gründe entzogen wor-
den ist. Buchstabe c nennt als Grund das Führen eines Fahrzeuges im Stra-
ßenverkehr u.a. bei einer Blutalkoholkonzentration von 1,6 Promille und mehr.
Diese Vorschrift gilt entsprechend für die Vorbereitung einer Entscheidung über
die Wiedererteilung des Rechts, von einer ausländischen Fahrerlaubnis im In-
land Gebrauch zu machen, wenn dieses Recht aus den in der Norm genannten
Gründen entzogen worden war. Ob die Wiedergewinnung der Fahreignung
ausnahmsweise - abgesehen von dem noch zu erörternden Neuerwerb einer
Fahrerlaubnis in einem anderen EU- oder EWR-Staat - in anderer Weise als
durch die Beibringung eines solches Gutachtens nachgewiesen werden kann,
wie das OVG Saarlouis in einem Eilverfahren entschieden hat (Beschluss vom
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9. August 2000 - 9 V 21/00 - ZfS 2001, 142), mag dahingestellt bleiben; denn
der Kläger weigert sich unter Hinweis auf seine ausländische Fahrerlaubnis,
jeglichen Nachweis seiner Fahreignung nach Ablauf der Sperrfrist zu erbringen.
2. Das Verlangen, den Nachweis der Fahreignung nach Ablauf der Sperrfrist zu
erbringen, verstößt nicht gegen europäisches Recht. Soweit der Kläger sich auf
den nach diesem Zeitpunkt ausgestellten luxemburgischen Führerschein beruft,
handelt es sich nach den das Revisionsgericht bindenden Feststellungen des
Berufungsgerichts nicht um eine neu erteilte Fahrerlaubnis, sondern lediglich
um ein neues Dokument, das die bisher erteilten Fahrerlaubnisse ausweist.
Deshalb ist die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (Urteil vom
29. April 2004 - Rs. C-476/01, Kapper - Slg. 2004, I-5205, 5225; Beschluss vom
6. April 2006 - Rs. C-227/05, Halbritter - Slg. 2006, I-49), nach der es einem
Mitgliedstaat verwehrt ist,
„das Recht zum Führen eines Kraftfahrzeugs aufgrund ei-
nes in einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führer-
scheins und damit dessen Gültigkeit in seinem Hoheits-
gebiet deshalb nicht anzuerkennen, weil sich sein Inhaber,
dem in dem erstgenannten Staat eine vorher erteilte
Fahrerlaubnis entzogen worden war, nicht der nach den
Rechtsvorschriften dieses Staates für die Erteilung einer
neuen Fahrerlaubnis nach dem genannten Entzug erfor-
derlichen Fahreignungsprüfung unterzogen hat, wenn die
mit diesem Entzug verbundene Sperrfrist für die Erteilung
einer neuen Fahrerlaubnis abgelaufen war, als der Füh-
rerschein in dem anderen Mitgliedstaat ausgestellt wurde,"
hier von vornherein nicht einschlägig.
Diese Rechtsprechung ist auf Art. 1 Abs. 2 i.V.m. Art. 8 Abs. 2 und 4 der Richt-
linie 91/439/EWG des Rates vom 29. Juli 1991 über den Führerschein (ABl
Nr. L 237 S. 1) in der Fassung der Richtlinie 97/26/EG des Rates vom 2. Juni
1997 (ABl Nr. L 150 S. 41) gestützt. Diese Richtlinie ist trotz einer inzwischen
ergangenen Neufassung auf den Führerschein des Klägers noch anwendbar
(vgl. Erwägungsgrund 5 der Richtlinie 2006/126/EG des Europäischen Parla-
ments und des Rates vom 20. Dezember 2006 über den Führerschein
Nr. L 403 S. 18>). Während Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 91/439/EWG die ge-
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genseitige Anerkennung der von den Mitgliedstaaten ausgestellten Führer-
scheine vorschreibt, ermächtigt Art. 8 Abs. 2 den Mitgliedstaat des ordentlichen
Wohnsitzes vorbehaltlich der Einhaltung des straf- und polizeirechtlichen Terri-
torialprinzips, auf den Inhaber eines von einem anderen Mitgliedstaat ausge-
stellten Führerscheins seine innerstaatlichen Vorschriften über Einschränkung,
Aussetzung, Entzug oder Aufhebung der Fahrerlaubnis anzuwenden. Weiter
regelt Art. 8 Abs. 4 Unterabs. 1, dass ein Mitgliedstaat es ablehnen kann, die
Gültigkeit eines Führerscheins anzuerkennen, der von einem anderen Mitglied-
staat einer Person ausgestellt wurde, auf die in seinem Hoheitsgebiet eine der
in Absatz 2 genannten Maßnahmen angewendet wurde.
Auf der Grundlage dieser Vorschriften war es europarechtlich erlaubt, dem Klä-
ger die in einem anderen Mitgliedstaat erteilte Fahrerlaubnis für das Gebiet der
Bundesrepublik Deutschland unter Verhängung einer Sperrfrist zu entziehen.
Eine nach Ablauf der Sperrfrist in einem anderen Mitgliedstaat erteilte neue
Fahrerlaubnis muss allerdings grundsätzlich im Inland anerkannt werden. Dies
gilt jedoch nicht bei bloßer Ausstellung eines neuen Ausweises über die alte,
teilweise (im Inland) entzogene Fahrerlaubnis; denn die Führerscheinrichtlinie
dient gerade dazu, die Grundanforderungen an die Eignung zum Führen von
Kraftfahrzeugen weitergehend zu harmonisieren (8. Erwägungsgrund). Es liegt
daher auf der Hand, dass nur eine neue Fahrerlaubnis anerkannt werden muss,
also eine Erlaubnis, der eine Eignungsüberprüfung, wie sie Art. 7 der Richtlinie
vorsieht, vorausgegangen ist.
Müsste ein lediglich neu ausgestelltes Dokument über die im Ausland noch be-
stehende Fahrerlaubnis anerkannt werden, käme dies der Sache nach einem
Wiederaufleben des Rechts, von der alten Fahrerlaubnis im Inland Gebrauch zu
machen, nach Ablauf der Sperrfrist gleich. Folgerichtig stellt sich der Kläger
auch auf den Standpunkt, dass seine alte Fahrerlaubnis selbst ohne Ausstel-
lung eines neuen Dokuments in Deutschland ohne Weiteres Anerkennung fin-
den müsste. Diese Rechtsauffassung geht jedoch nicht nur an Art. 8 Abs. 4 der
Richtlinie vorbei, der die Mitgliedstaaten ausdrücklich ermächtigt, in diesen Fäl-
len den ausländischen Führerschein nicht anzuerkennen, sie verfehlt auch den
Inhalt der Urteile des Europäischen Gerichtshofs, auf die der Kläger sich beruft.
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Der Gerichtshof bringt in den bereits genannten Entscheidungen und besonders
in den kürzlich ergangenen Urteilen vom 26. Juni 2008 (Rs. C-329/06 und
343/06 sowie Rs. C-334/06 bis C-336/06) zweifelsfrei zum Ausdruck, dass sich
die Anerkennungspflicht im Falle der Fahrerlaubnisentziehung auf eine neu er-
worbene Fahrerlaubnis bezieht (a.a.O. Rn. 52 sowie a.a.O. Rn. 49), bei der es
Sache des Ausstellerstaates ist zu prüfen, ob die im Gemeinschaftsrecht auf-
gestellten Mindestvoraussetzungen erfüllt sind. Eine solche Prüfung findet na-
turgemäß nicht statt, wenn lediglich das Dokument über eine bestehende Fahr-
erlaubnis erneuert wird. Die Eignungsbeurteilung des Ausstellerstaates muss
die im Inland zulässigerweise festgestellte Nichteignung entkräften; dies setzt
naturgemäß voraus, dass die Eignungsbeurteilung der im Inland getroffenen
Maßnahme nachfolgt. Dem Kläger hilft es daher auch nicht weiter, dass das
europäische Recht begrifflich nicht präzise zwischen der Fahrerlaubnis und dem
Führerschein als das die Erlaubnis ausweisende Dokument unterscheidet. Nach
dem dargestellten Zweck der Bestimmungen lässt sich daraus keinesfalls
folgern, dass bereits ein neues Dokument allein den Anerkennungszwang aus-
löst.
Der Senat ist auch nicht gehindert zu entscheiden, ohne zuvor den Europäi-
schen Gerichtshof anzurufen; denn es ist nicht ernstlich zu bezweifeln, dass die
Anerkennungspflicht der Mitgliedstaaten sich auf eine nach Ablauf der Sperrfrist
erworbene Fahrerlaubnis bezieht und nicht auf einen - nach Art eines Er-
satzführerscheins für ein abhanden gekommenes Dokument ausgestellten -
Ausweis über eine alte Fahrerlaubnis.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Kley
Dr. Dette
Liebler
Prof. Dr. Rennert
Buchheister
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Sachgebiet: BVerwGE:
nein
Straßenverkehrsrecht Fachpresse:
ja
Rechtsquellen:
RL 91/439/EWG
Art. 1 Abs. 2, Art. 7 Abs. 1 Buchst. a, Art. 8 Abs. 2 und 4
FeV
§§ 13, 29 Abs. 3 und 4
IntKfzV
§ 4 Abs. 4
Stichworte:
Ausländische Fahrerlaubnis; Entziehung der Fahrerlaubnis; Erteilung des
Rechts, von einer ausländischen Fahrerlaubnis Gebrauch zu machen; Sperr-
frist; Fahreignung; Wiedergewinnung der Fahreignung; Eignungsprüfung; medi-
zinisch-psychologisches Gutachten; Führerschein; Anerkennung von Führer-
scheinen; Führerscheinrichtlinie.
Leitsatz:
Ist eine ausländische Fahrerlaubnis für das Gebiet der Bundesrepublik
Deutschland wegen mangelnder Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen
entzogen worden, setzt die Wiedererteilung des Rechts, von der Erlaubnis im
Inland Gebrauch zu machen, den Nachweis wiedergewonnener Fahreignung
voraus. Dieser Nachweis wird nicht durch einen Führerschein erbracht, der in
einem anderen EU-Mitgliedstaat zwar nach Ablauf der in Deutschland verhäng-
ten Sperrfrist ausgestellt worden ist, sich aber nach Art eines Ersatzführer-
scheins darauf beschränkt, die bisherige, für das Gebiet der Bundesrepublik
Deutschland entzogene Fahrerlaubnis auszuweisen.
Urteil des 3. Senats vom 29. Januar 2009 - BVerwG 3 C 31.07
I. VG Saarlouis vom 27.06.2006 - Az.: VG 3 K 383/05 -
II. OVG Saarlouis vom 30.01.2007 - Az.: OVG 1 R 39/06 -