Urteil des BVerwG vom 16.09.2004

Pachtvertrag, Verordnung, Beendigung, Eugh

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
BVerwG 3 C 30.03
OVG 10 LB 238/01
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 16. September 2004
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht
Prof. Dr. D r i e h a u s sowie die Richter am Bundesverwaltungsgericht
van S c h e w i c k , Dr. D e t t e , L i e b l e r und Prof. Dr. R e n n e r t
ohne mündliche Verhandlung für Recht erkannt:
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Niedersächsi-
schen Oberverwaltungsgerichts vom 29. Januar 2003 wird zu-
rückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Revisionsverfahrens ein-
schließlich der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen.
G r ü n d e :
I.
Der Kläger bewirtschaftete einen Milcherzeugungsbetrieb und hatte vom Beigelade-
nen Flächen hinzugepachtet. Aufgrund seiner Kündigung wurden das Pachtverhältnis
zum 1. Mai 1995 beendet und die Pachtflächen an den Beigeladenen zurückge-
geben. Mit Bescheid vom 31. Mai 1995, korrigiert mit Widerspruchsbescheid vom
19. März 1998, bescheinigte die Beklagte dem Beigeladenen, dass von der dem Be-
trieb des Klägers zustehenden Milchreferenzmenge ein der Pachtfläche entspre-
chender Teil von 5.751 kg zum 1. Mai 1995 auf ihn übergegangen sei. Hiergegen
richtet sich die Klage.
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Das Verwaltungsgericht hat sie abgewiesen. Mit seiner Berufung hat der Kläger unter
anderem geltend gemacht, die umstrittene Teilreferenzmenge habe deshalb nicht auf
den Beigeladenen übergehen können, weil dieser selbst keine Milch erzeuge. Der
Beigeladene habe die Pachtflächen zwar an einen Milcherzeuger weiterverpachtet,
jedoch erst mit Pachtvertrag vom 6./20. September 1995 und damit mehr als vier
Monate nach Rückerhalt der Flächen. Der Beigeladene hat entgegnet, er sei Eigen-
tümer großer Ländereien, die er sämtlich unter Einschaltung von Maklern an Land-
wirte verpachte. So habe er auch für die vom Kläger zurückerhaltenen Flächen einen
neuen Pächter gefunden und ihm die Pachtflächen sogleich zum 1. Mai 1995 über-
geben. Der Abschluss des Pachtvertrages habe sich indes noch hingezogen. Zum
einen habe die Beklagte erst am 31. Mai 1995 die auf die Pachtfläche entfallende
Referenzmenge mitgeteilt, die aus Sicht des Beigeladenen überraschend gering sei.
Zum anderen habe der neue Pächter den zum Teil schlechten Zustand der Flächen
beanstandet, weshalb im Juli 1995 eine Ortsbegehung erfolgt sei, die zu einer Be-
standsaufnahme und zu detaillierten Vereinbarungen in dem dann geschlossenen
Pachtvertrag geführt habe. Der Vertrag gelte rückwirkend ab dem 1. Mai 1995.
Mit Urteil vom 29. Januar 2003 hat das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht die
Berufung des Klägers zurückgewiesen. Die Beklagte habe den Übergang der
fraglichen Referenzmenge auf den Beigeladenen mit Recht bescheinigt. Zwar er-
zeuge der Beigeladene selbst keine Milch. Für den Übergang der Referenzmenge
auf den Verpächter bei Beendigung eines Pachtverhältnisses genüge jedoch, wenn
der Verpächter die Pachtfläche an einen Milcherzeuger weiterverpachte. Im vorlie-
genden Fall seien die Pachtflächen zum 1. Mai 1995 von dem neuen Pächter über-
nommen und bewirtschaftet worden. Zwar sei der Pachtvertrag erst am 6./20. Sep-
tember 1995 geschlossen und erst hierbei auch die Übertragung der Referenzmenge
vereinbart worden. Das sei aber unschädlich. Zum einen gehe die Referenzmenge
nicht mit Abschluss des Pachtvertrages, sondern mit Einräumung des Besitzes an
der Pachtfläche auf den neuen Pächter über. Zum anderen könne es vielerlei Um-
stände geben, weshalb sich die Übertragung der Referenzmenge verzögere. So sei
denkbar, dass der bisherige Pächter einen Referenzmengenübergang bestreite und
der Verpächter darum erst prozessieren müsse. Es könne dem Verpächter nicht zu-
gemutet werden, dem neuen Pächter eine Referenzmenge zu übertragen, die ihm
noch gar nicht zustehe.
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Mit der vom Senat zugelassenen Revision bemängelt der Kläger, das Berufungsge-
richt habe seinen Vortrag ignoriert, dass die Flächen nicht am 1. Mai 1995, sondern
erst am 20. September 1995 an den neuen Pächter übergeben worden seien. Die
Pachtflächen seien daher nicht bei Ende des bisherigen Pachtverhältnisses vom
Beigeladenen auf einen Milcherzeuger übergeben worden. Der Beigeladene habe
auch keine konkreten Vorbereitungen getroffen, die in kürzester Zeit zu einer derarti-
gen Übergabe geführt hätten. Habe die fragliche Referenzmenge daher nicht an den
Beigeladenen übergehen können, so sei sie bei ihm, dem Kläger, verblieben.
Die Beklagte und der Beigeladene verteidigen das Berufungsurteil.
Der Vertreter des Bundesinteresses beteiligt sich am Verfahren. Er verteidigt eben-
falls das angefochtene Urteil und bringt ergänzend vor: Das vom Europäischen Ge-
richtshof aufgestellte Erfordernis, der Verpächter, der nicht selbst Milch erzeuge,
müsse die an ihn zurückgefallene Fläche „alsbald“ an einen Milcherzeuger weiter-
verpachten, sei als erfüllt anzusehen, wenn binnen drei Monaten ein neuer Pachtver-
trag geschlossen und die Fläche an den neuen Pächter übergeben werde. Die Frist
beginne jedoch nicht vor Erteilung der - ggf. mit einem Widerrufsvorbehalt versehe-
nen - Bescheinigung des Referenzmengenübergangs an den Verpächter. Ihr Lauf
müsse zudem als gehemmt angesehen werden, wenn die Bescheinigung angefoch-
ten werde.
Die Beteiligten haben auf mündliche Verhandlung verzichtet.
II.
Die Revision ist unbegründet.
1. Das Berufungsgericht hat festgestellt, dass der Beigeladene die vom Kläger zu-
rückerhaltene Pachtfläche noch im Mai 1995 an den neuen Pächter übergeben habe.
Die hiergegen erhobene Aufklärungsrüge des Klägers greift nicht durch. Das Be-
rufungsgericht hat seine Pflicht, den Sachverhalt zu erforschen (§ 125 Abs. 1, § 86
Abs. 1 VwGO), nicht verletzt. Die Beteiligten haben in der mündlichen Verhandlung
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vor dem Berufungsgericht ausweislich der Niederschrift keinen Beweisantrag gestellt.
Dem Berufungsgericht musste sich eine entsprechende Beweiserhebung auch nicht
aufdrängen (vgl. Beschluss vom 22. Februar 1988 - BVerwG 7 B 28.88 - NVwZ 1988,
1019 m.w.N.). Namentlich bot das Vorbringen des Klägers im Schriftsatz vom
15. Januar 2003, auf das er seine Aufklärungsrüge im Revisionsverfahren stützt,
hierzu keinen Anlass. Der Beigeladene hatte zuvor die Anbahnung des neuen Pacht-
verhältnisses detailliert geschildert und unter Beweis gestellt. Der Kläger hat dies in
dem angeführten Schriftsatz lediglich in allgemeinen Wendungen bezweifelt und ge-
fragt, weshalb noch am 24. Juli 1995 eine Ortsbegehung durchgeführt worden sei,
wenn die Flächen durch den neuen Pächter bereits im Mai 1995 in Besitz genommen
worden seien. Darin konnte ein substantiiertes Bestreiten nicht gesehen werden. Der
Beigeladene hat auf das klägerische Vorbringen zudem im Einzelnen geantwortet,
und der Kläger ist auf seine Einwände nicht mehr zurückgekommen. Es lässt sich
daher nicht beanstanden, dass das Berufungsgericht von der Richtigkeit der
Angaben des Beigeladenen ausgegangen ist.
2. Das Berufungsurteil steht auch im Übrigen mit Bundes- und europäischem Ge-
meinschaftsrecht im Einklang.
Zur Entscheidung des Rechtsstreits sind diejenigen Vorschriften des Gemeinschafts-
rechts und der Milch-Garantiemengen-Verordnung heranzuziehen, die sich für den
Zeitpunkt der Rückgabe der Pachtflächen, also für den 1. Mai 1995, Geltung bei-
messen (stRspr; vgl. Urteil vom 18. Dezember 2003 - BVerwG 3 C 48.02 - m.w.N.).
Am 1. Mai 1995 galten die Verordnung (EWG) Nr. 3950/92 des Rates vom 28. De-
zember 1992 über die Erhebung einer Zusatzabgabe im Milchsektor (ABl Nr.
L 405/1), zuletzt - rückwirkend - geändert durch die Verordnung (EG) Nr. 1109/96
des Rates vom 20. Juni 1996 (ABl Nr. L 148/13), die Verordnung (EWG) Nr. 536/93
der Kommission vom 9. März 1993 zur Durchführung dieser Verordnung (ABl Nr.
L 57/12) in der Fassung der Änderungsverordnung (EWG) Nr. 470/94 der Kommissi-
on vom 2. März 1994 (ABl Nr. L 59/5) sowie - in Ausfüllung der den Mitgliedstaaten
eingeräumten Regelungsspielräume - die Milch-Garantiemengen-Verordnung (MGV)
vom 25. Mai 1984 (BGBl I S. 720) in der Fassung der Bekanntmachung vom
21. März 1994 (BGBl I S. 586), zuletzt geändert durch die 32. Änderungsverordnung
vom 26. September 1994 (BGBl I S. 2575).
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Nach Art. 7 Abs. 2 VO (EWG) Nr. 3950/92 werden bei Beendigung landwirtschaftli-
cher Pachtverhältnisse, abgesehen von hier nicht vorliegenden Ausnahmen, die ver-
fügbaren Referenzmengen der betreffenden Betriebe nach den von den Mitglied-
staaten festgelegten Bestimmungen unter Berücksichtigung der berechtigten Inte-
ressen der Beteiligten ganz oder teilweise "auf die Erzeuger übertragen, die sie
übernehmen". Das setzt voraus, dass entweder der Verpächter, an den der verpach-
tete Betrieb oder die verpachteten Flächen zurückfallen, oder aber der neue Pächter,
an den der Verpächter die Pachtsache alsbald wieder verpachtet, selbst Milcherzeu-
ger ist (EuGH, Urteil vom 20. Juni 2002 - Rs. C-401/99 - Thomsen, Slg. I-5775, 5791;
BVerwG, Urteil vom 18. Dezember 2003 - BVerwG 3 C 48.02 -). Eine alsbaldige
erneute Verpachtung liegt nicht nur vor, wenn der neue Pachtvertrag im Zeitpunkt
der Beendigung des alten Pachtverhältnisses bereits geschlossen ist. Vielmehr reicht
aus, dass der Verpächter in diesem Zeitpunkt konkrete Vorbereitungen dafür trifft, die
Pachtflächen in kürzester Zeit wiederum an einen Milcherzeuger zu verpachten,
sofern diese Vorbereitungen alsbald zum Abschluss eines neuen Pachtvertrages
führen (vgl. für den vergleichbaren Fall der Aufnahme einer eigenen Milcherzeugung
durch den Verpächter: EuGH, Urteil vom 20. Juni 2002 ). Ob der neue
Pachtvertrag als Folge derartiger Vorbereitungen anzusehen ist und "alsbald" zu-
stande kommt, hängt von den Umständen des Einzelfalles ab. Ob es hierfür äußerste
zeitliche Grenzen gibt, braucht aus Anlass des vorliegenden Falles nicht entschieden
zu werden.
Mit Recht hat das Berufungsgericht angenommen, dass die beschriebenen Voraus-
setzungen hier erfüllt sind. Der Beigeladene erzeugt zwar selbst keine Milch, hat aber
im Zeitpunkt des Rückfalls der Pachtflächen am 1. Mai 1995 konkrete Vorberei-
tungen dafür getroffen, die Pachtflächen in kürzester Zeit wiederum an einen Milch-
erzeuger zu verpachten. Nach seinem insoweit unwidersprochenen Vortrag hat er
schon vor diesem Zeitpunkt einen Makler eingeschaltet, der ihm einen neuen Pächter
zugeführt hat. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts hat er diesem die
Pachtflächen schon am 1. Mai 1995 - im Vorgriff auf den mündlich bereits verabre-
deten Pachtvertrag - zur Bewirtschaftung übergeben. Dass sich der Abschluss des
Pachtvertrages bis in den September 1995 hinein verzögert hat, schadet nicht. Der
Beigeladene hat hierfür plausible Gründe angeführt.
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Keiner Entscheidung bedarf, zu welchem Zeitpunkt die fragliche Milchreferenzmenge
auf den neuen Pächter übergegangen ist: schon mit Einräumung des Besitzes an
den Pachtflächen oder erst mit Abschluss des Pachtvertrages. In beiden Fällen hat
der Kläger die Referenzmenge zum 1. Mai 1995 verloren. Ebenso wenig muss erör-
tert werden, ob die Beklagte den Übergang der Referenzmenge auf den Beigelade-
nen bescheinigen durfte oder sogleich ihren Übergang auf den neuen Pächter hätte
bescheinigen müssen. Diese Frage lässt die Rechtssphäre des Klägers unberührt.
Prof. Dr. Driehaus
van Schewick
Dr. Dette
Liebler
Prof. Dr. Rennert
B e s c h l u s s
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Revisionsverfahren auf 575,10 € fest-
gesetzt.
Prof. Dr. Driehaus
Liebler
Prof. Dr. Rennert
Sachgebiet:
BVerwGE:
nein
Milchgarantiemengenrecht
Fachpresse:
ja
Rechtsquelle:
VO (EWG) Nr. 3950/92 Art. 7 Abs. 2
Stichworte:
Milchquote; Referenzmenge; Rückgewähr nach Ende eines Pachtverhältnisses; als-
baldige Weiterverpachtung an aktiven Milcherzeuger.
Leitsatz:
Bei Beendigung landwirtschaftlicher Pachtverhältnisse fällt eine mitverpachtete
Milchreferenzmenge auch dann an den Verpächter zurück, wenn er in diesem Zeit-
punkt konkrete Vorbereitungen dafür trifft, die Pachtflächen in kürzester Zeit wieder-
um an einen Milcherzeuger zu verpachten, sofern diese Vorbereitungen alsbald zum
Abschluss eines neuen Pachtvertrages führen.
Urteil des 3. Senats vom 16. September 2004 - BVerwG 3 C 30.03
I. VG Oldenburg vom 13.07.1999 - Az.: VG 12 A 1553/98 -
II. OVG Lüneburg vom 29.01.2003 - Az.: OVG 10 LB 238/01 -