Urteil des BVerwG vom 25.06.2015

Schkg, Beratungsstelle, Katholische Kirche, Sicherstellung

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
BVerwG 3 C 3.14
OVG 6 B 50.12
Verkündet
am 25. Juni 2015
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 25. Juni 2015
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Kley,
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Liebler, Dr. Wysk,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Kuhlmann und
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Rothfuß
für Recht erkannt:
Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Ober-
verwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg vom 5. Dezember
2013 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.
G r ü n d e :
I
Die Beteiligten streiten über öffentliche Fördermittel für eine Schwangerenbera-
tungsstelle im Land Brandenburg.
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Der Kläger ist eine als eingetragener Verein organisierte regionale Untergliede-
rung des Wohlfahrtsverbandes der katholischen Kirche. Im November 2007 be-
antragte er für seine Schwangerenberatungsstelle in C. eine öffentliche Förde-
rung der Personal- und Sachkosten für das Haushaltsjahr 2008 in Höhe von
54 326 €. Das beklagte Landesamt lehnte den Antrag durch Bescheid vom
17. April 2008 ab. Zur Begründung führte es aus: In dem betroffenen Versor-
gungsbereich Lausitz-Spreewald gebe es eine über den erforderlichen Bedarf
hinausgehende Anzahl von Beratungsstellen. Für diesen Fall des Überangebots
bestimme § 3 des Brandenburgischen Gesetzes zur Ausführung des Schwan-
gerschaftskonfliktgesetzes (BbgAGSchKG), dass vorrangig Beratungsstellen
gefördert würden, die neben der allgemeinen Beratung nach § 2 des Schwan-
gerschaftskonfliktgesetzes (SchKG) auch eine Konfliktberatung einschließlich
der Erteilung der für eine straffreie Abtreibung erforderlichen Beratungsbe-
scheinigung nach den §§ 5 ff. SchKG anböten. Die Beratungsstelle des Klägers
erfülle die Voraussetzung nicht, da sie keine Beratungsscheine ausstelle. Den
Widerspruch des Klägers wies der Beklagte mit Bescheid vom 28. Oktober
2008 zurück.
Mit der daraufhin erhobenen Klage hat der Kläger die Verpflichtung des Beklag-
ten begehrt, die Beratungsstelle in der beantragten Höhe zu fördern und
Rechtshängigkeitszinsen zu zahlen. Er hat geltend gemacht, § 3 BbgAGSchKG
verstoße gegen Verfassungsrecht und das Schwangerschaftskonfliktgesetz.
Zudem lägen die Anwendungsvoraussetzungen der Norm nicht vor. Das Ver-
waltungsgericht hat die Klage mit Urteil vom 21. Juni 2011 abgewiesen und da-
zu ausgeführt, nach § 3 BbgAGSchKG habe der Kläger keinen Anspruch auf
öffentliche Förderung. Die Vorschrift sei mit höherrangigem Recht vereinbar.
Die vorrangige Förderung von Beratungsstellen, die sowohl allgemeine Bera-
tungsleistungen als auch eine Konfliktberatung anböten, sei sachlich gerechtfer-
tigt. Sie gewährleiste eine umfassende Beratung und Hilfe aus einer Hand, wir-
ke der Zersplitterung der Beratungsstruktur entgegen und spare Kosten. Im Üb-
rigen wirkten nur diese Beratungsstellen in vollem Umfang am staatlichen Sys-
tem der Schwangerschaftsberatung mit. Das Ausführungsgesetz halte sich
auch im Rahmen der bundesgesetzlichen Ermächtigung des § 4 Abs. 3 SchKG.
Es stelle eine den Grundsätzen der Wohnortnähe und der Pluralität gerecht
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werdende Versorgung mit Beratungsstellen sicher. Ausreichend sei, wenn Rat-
suchende zwischen Beratungsstellen von mindestens zwei Trägern unter-
schiedlicher weltanschaulicher Ausrichtung wählen könnten.
Auf die Berufung des Klägers hat das Oberverwaltungsgericht das erstinstanzli-
che Urteil geändert und der Klage stattgegeben. Zur Begründung heißt es im
Wesentlichen: Rechtsgrundlage für den geltend gemachten Förderanspruch sei
§ 4 Abs. 2 SchKG in der bis zum 31. Dezember 2011 geltenden Fassung. Da-
nach hätten die zur Sicherstellung eines ausreichenden Angebots nach den
§§ 3 und 8 SchKG erforderlichen Beratungsstellen Anspruch auf eine ange-
messene öffentliche Förderung der Personal- und Sachkosten. Ausreichend im
Sinne von § 4 Abs. 2 SchKG sei nur ein Angebot, das wohnortnah sei und den
Ratsuchenden die Wahl zwischen Beratungsstellen unterschiedlicher weltan-
schaulicher Ausrichtung ermögliche. Aus dem Brandenburgischen Ausfüh-
rungsgesetz ergebe sich nichts anderes. Es schränke den Rechtsanspruch aus
§ 4 Abs. 2 SchKG nicht ein, sondern greife dessen Regelungen lediglich auf.
Gemäß § 2 Abs. 1 BbgAGSchKG sei der erforderliche Bedarf an Beratungsstel-
len nur gedeckt, wenn Wohnortnähe und weltanschauliche Vielfalt des Bera-
tungsangebots gewährleistet seien. Eine Auswahlentscheidung nach § 3 Satz 1
BbgAGSchKG sei nur unter der Voraussetzung zu treffen, dass das Beratungs-
angebot über den nach § 2 BbgAGSchKG erforderlichen Bedarf hinausgehe.
Dementsprechend greife die Vorschrift nicht schon ein, wenn der Versorgungs-
schlüssel von einer Vollzeit-Beratungskraft je 40 000 Einwohner überschritten
werde, sondern es müssten zudem die Kriterien der Wohnortnähe und Träger-
vielfalt erfüllt sein. Danach komme § 3 BbgAGSchKG hier nicht zur Anwendung.
Die vom Kläger betriebene Beratungsstelle in C. sei für die Sicherstellung eines
ausreichenden pluralen Angebots nach § 3 SchKG und § 2 Abs. 1 BbgAG-
SchKG erforderlich. Richtig sei zwar, dass das Land Brandenburg traditionell
weltlich oder protestantisch geprägt sei. Dennoch stelle die katholische Kirche
dort keine zu vernachlässigende Gruppierung dar; denn der Anteil der Katholi-
ken an der Gesamtbevölkerung habe im fraglichen Jahr 2008 immerhin bei
3,12 % (knapp 80 000 Einwohner) gelegen. Darüber hinaus nehme die katholi-
sche Kirche in Fragen des Schwangerschaftsabbruchs einen exponierten, in
dieser Konsequenz von keinem anderen Träger von Beratungsstellen vertrete-
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nen Standpunkt ein. Der staatlichen Schutzpflicht für das ungeborene Leben
würde es nicht entsprechen, gerade dieses Beratungsangebot bei der öffentli-
chen Förderung unberücksichtigt zu lassen. Auch sei die erforderliche Pluralität
nicht bereits sichergestellt, wenn es im Versorgungsbereich zwei Beratungsstel-
len mit unterschiedlicher weltanschaulicher Ausrichtung gebe. Das hänge viel-
mehr von dem jeweiligen Beratungsangebot ab. Sofern eine gesellschaftlich
relevante Gruppe eine Beratung anbiete, die sich in ihrer weltanschaulichen
Ausrichtung von anderen Trägern unterscheide, sei der Beklagte bei entspre-
chender Beantragung grundsätzlich zu einer Förderung verpflichtet. Nur so sei
gewährleistet, dass ratsuchende Schwangere sich an eine Beratungsstelle ihres
Vertrauens wenden könnten. Nach der Förderpraxis des Beklagten und dem
Gleichbehandlungsgrundsatz habe der Kläger auch Anspruch auf Förderung im
beantragten Umfang einer vollen Personalstelle. Die von dem Beklagten einge-
reichten Unterlagen belegten, dass sich die Förderung der Beratungsstellen
nicht nach einem exakten Berechnungsschlüssel richte. Es könne aber davon
ausgegangen werden, dass die Ausstattung einer Beratungsstelle mit einem(r)
vollzeitbeschäftigten Berater(in) oder einer entsprechenden Zahl von Teilzeit-
kräften dem üblichen Umfang entspreche. Auch die tatsächliche Inanspruch-
nahme der Beratungsstelle des Klägers rechtfertige keine Reduzierung des
Förderumfangs. Zwar sei sie im Jahr 2008 nur von 171 Ratsuchenden aufge-
sucht worden. Dabei sei aber zu berücksichtigen, dass eine Mitarbeiterin über
längere Zeit erkrankt gewesen sei und dieser Ausfall nicht durch zusätzliches
Personal habe abgedeckt werden können.
Mit der vom Oberverwaltungsgericht zugelassenen Revision rügt der Beklagte,
das angegriffene Urteil verletze § 3 und § 4 Abs. 2 und 3 SchKG. Zu Unrecht
habe das Berufungsgericht angenommen, dass die Beratungsstelle des Klägers
zur Sicherstellung eines ausreichenden pluralen Angebots im Sinne von § 3
SchKG erforderlich sei. Dem Pluralitätserfordernis werde entsprochen, wenn
die Ratsuchenden mindestens zwei weltanschaulich unterschiedlich ausgerich-
tete Beratungsstellen aufsuchen könnten. Weder aus der Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts noch aus der Entstehungsgeschichte des Schwan-
gerschaftskonfliktgesetzes noch aus Art. 4 GG lasse sich ableiten, dass der
katholischen Kirche bei der Verwirklichung des staatlichen Schutzkonzepts für
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das ungeborene Leben eine hervorgehobene Rolle zukommen solle. Jede Be-
ratungsstelle, gleich in welcher Trägerschaft, sei verpflichtet, ihre Beratung an
dem Ziel auszurichten, das ungeborene Leben zu schützen. Das Berufungsge-
richt verkenne zudem, dass die Erforderlichkeit einer Beratungsstelle nicht abs-
trakt beurteilt werden könne, sondern sich nach dem landesrechtlichen Bera-
tungskonzept und dem konkret bestehenden Beratungsangebot richte. Auf-
grund des geringen Bevölkerungsanteils von rund 3 % stellten die Katholiken im
Land Brandenburg keine gesellschaftlich relevante Gruppe dar, die zu berück-
sichtigen wäre. Das Berufungsgericht habe durch die Nichtanwendung von § 3
BbgAGSchKG außerdem gegen § 4 Abs. 3 SchKG verstoßen. Die Länder seien
von Bundesrechts wegen nicht verpflichtet, ein überschießendes Angebot an
Beratungsstellen zu finanzieren und dürften daher Auswahlkriterien aufstellen,
um einzelne Anbieter von der Förderung auszuschließen. § 3 BbgAGSchKG
halte sich im Rahmen der bundesgesetzlichen Ermächtigung und sei auch
sonst mit höherrangigem Recht vereinbar. Hilfsweise wendet sich der Beklagte
gegen den zuerkannten Förderumfang. Es sei willkürlich, dass das Berufungs-
gericht den Ansatz einer vollen Personalstelle unter Hinweis auf die Gleichbe-
handlung mit anderen geförderten Beratungsstellen begründe. Das Vorhalte-
prinzip nach § 3 Satz 1 SchKG und das Kriterium der Angemessenheit der För-
derung nach § 4 Abs. 2 SchKG würden außer Acht gelassen.
Der Kläger verteidigt das angegriffene Urteil.
Der Vertreter des Bundesinteresses trägt vor, dass die Länder nach § 4 Abs. 3
SchKG im Rahmen des bundesgesetzlichen Sicherstellungsauftrages das Ver-
fahren der öffentlichen Förderung selbst bestimmen könnten. Das Schwanger-
schaftskonfliktgesetz mache für die landesgesetzliche Ausgestaltung des Krite-
riums der unterschiedlichen weltanschaulichen Ausrichtung keine näheren Vor-
gaben.
II
Die Revision ist unbegründet. Das angefochtene Urteil beruht nicht auf der Ver-
letzung von Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 VwGO). Die Annahme des Oberverwal-
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tungsgerichts, der Kläger habe in dem beantragten Umfang Anspruch auf öf-
fentliche Förderung seiner Beratungsstelle in C., verstößt nicht gegen das Ge-
setz zur Vermeidung und Bewältigung von Schwangerschaftskonflikten
(Schwangerschaftskonfliktgesetz - SchKG) in der hier maßgeblichen Fassung
vom 21. August 1995 (BGBl. I S. 1050).
1. a) Gemäß § 4 Abs. 2 SchKG (nunmehr § 4 Abs. 3 SchKG) haben die zur Si-
cherstellung eines ausreichenden Angebotes nach den §§ 3 und 8 erforderli-
chen Beratungsstellen Anspruch auf eine angemessene öffentliche Förderung
der Personal- und Sachkosten. § 3 und § 8 SchKG verpflichten die Länder, ein
ausreichendes Angebot sowohl für die allgemeine Beratung in Fragen der Se-
xualaufklärung, Verhütung, Familienplanung und Schwangerschaft (§ 2 SchKG)
als auch für die Schwangerschaftskonfliktberatung (§§ 5 ff. SchKG) sicherzu-
stellen. Das Angebot der allgemeinen Beratung nach § 2 Abs. 1 SchKG richtet
sich an jede Frau und jeden Mann und ist unabhängig von einer Schwanger-
schaft. Die Schwangerschaftskonfliktberatung nach § 5 SchKG wendet sich an
ratsuchende Schwangere, die die Möglichkeit einer Abtreibung zumindest in
Erwägung ziehen. § 3 und § 8 SchKG erteilen für beide Beratungsarten und die
zugehörigen Beratungsstellen eigenständige Sicherstellungsaufträge an die
Länder. § 4 Abs. 2 SchKG knüpft daran an und bezieht allgemeine Beratungs-
stellen und Konfliktberatungsstellen gleichrangig in die öffentliche Förderung ein
(BVerwG, Urteil vom 15. Juli 2004 - 3 C 48.03 - BVerwGE 121, 270 <273 ff.>).
Die beiden in § 4 Abs. 2 SchKG in Bezug genommenen Vorschriften konkreti-
sieren den Sicherstellungsauftrag dahin, dass die Beratungsstellen wohnortnah
sein müssen (§ 3 Satz 1 und § 8 Satz 1 SchKG). Des Weiteren hat das Bera-
tungsangebot plural zu sein (§ 8 Satz 1 SchKG), es soll den Ratsuchenden die
Möglichkeit eröffnen, zwischen Beratungsstellen unterschiedlicher weltanschau-
licher Ausrichtung auszuwählen (§ 3 Satz 3 SchKG). Außerdem haben die Län-
der nach § 4 Abs. 1 Satz 1 SchKG dafür Sorge zu tragen, dass den Beratungs-
stellen für je 40 000 Einwohner mindestens eine Beraterin oder ein Berater voll-
zeitbeschäftigt oder eine entsprechende Zahl von Teilzeitkräften zur Verfügung
steht. Das Nähere zur öffentlichen Förderung der Beratungsstellen regelt nach
§ 4 Abs. 3 SchKG (nunmehr § 4 Abs. 4 SchKG) das Landesrecht.
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b) Das Land Brandenburg hat diesen Regelungsauftrag durch das Brandenbur-
gische Gesetz zur Ausführung des Schwangerschaftskonfliktgesetzes
(BbgAGSchKG) vom 12. Juli 2007 (GVBl. I S. 118) wahrgenommen. Danach
fördert das Land auf Antrag eines Trägers Beratungsstellen, die eine Schwan-
gerschaftsberatung nach § 2 SchKG anbieten, und staatlich anerkannte Kon-
fliktberatungsstellen, wenn sie für die Sicherstellung eines ausreichenden
wohnortnahen und pluralen Beratungsangebotes im Sinne des § 4 Abs. 1
SchKG erforderlich sind (§ 2 Abs. 1 BbgAGSchKG). Das Beratungsangebot ist
ausreichend, wenn der Versorgungsschlüssel des § 4 Abs. 1 Satz 1 SchKG
eingehalten ist. Für die Anwendung dieses Versorgungsschlüssels sind Versor-
gungsbereiche festzulegen, die bis zu fünf Landkreise und kreisfreie Städte um-
fassen können. Kosten für eine über den Versorgungsschlüssel hinausgehende
Zahl von Beratungskräften dürfen nur nach Maßgabe von § 4 Abs. 1 Satz 2 und
3 SchKG öffentlich gefördert werden (§ 2 Abs. 2 BbgAGSchKG). Geht die von
einem Träger oder mehreren Trägern beantragte Anzahl der Beratungsstellen
über den nach § 2 erforderlichen Bedarf hinaus oder wird für die nach § 2 erfor-
derlichen Beratungsstellen eine über den Versorgungsschlüssel hinausgehende
Förderung beantragt, werden vorrangig Beratungsstellen gefördert, die Bera-
tungsleistungen nach den §§ 2 und 5 bis 7 SchKG erbringen (§ 3 Satz 1
BbgAGSchKG).
In Auslegung des Landesrechts hat das Oberverwaltungsgericht für den Senat
bindend (§ 137 Abs. 1, § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 560 ZPO) festgestellt, dass
die Anwendungsvoraussetzungen für die Auswahlregelung des § 3 Satz 1
BbgAGSchKG (erst) vorliegen, wenn neben der Einhaltung des Versorgungs-
schlüssels auch die Kriterien der Wohnortnähe und Trägervielfalt des Bera-
tungsangebots erfüllt sind. Dieses Auslegungsergebnis ist von Bundesrechts
wegen nicht zu beanstanden. In der Rechtsprechung des Senats ist geklärt,
dass die Länder nicht verpflichtet sind, ein Überangebot von Beratungsstellen
zu fördern. Der Landesgesetzgeber ist nach § 4 Abs. 3 SchKG berechtigt, für
einen solchen Fall Auswahlkriterien aufzustellen. Allerdings sind seinem Gestal-
tungsspielraum durch § 4 Abs. 2 SchKG und den Sicherstellungsauftrag der
§§ 3 und 8 SchKG Grenzen gesetzt. Der Landesgesetzgeber muss dafür Sorge
tragen, dass das geförderte Angebot den Prinzipien der Wohnortnähe und der
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weltanschaulichen Vielfalt entspricht (BVerwG, Urteile vom 15. Juli 2004 - 3 C
48.03 - BVerwGE 121, 270 <277> und vom 15. März 2007 - 3 C 35.06 - Buch-
holz 436.41 SchKG Nr. 3 Rn. 23). Diesen Anforderungen wird die berufungsge-
richtliche Auslegung des § 3 BbgAGSchKG gerecht, weil sie die Anwendbarkeit
der Auswahlregelung daran knüpft, dass das Beratungsangebot die Vorausset-
zungen der Wohnortnähe und Trägervielfalt erfüllt. Damit ermöglicht das Aus-
wahlverfahren, nur solche Anbieter von der Förderung auszuschließen, die für
die Sicherstellung eines ausreichenden wohnortnahen und pluralen Angebots
nicht erforderlich sind. Soweit das dazu führt, dass das Land Brandenburg auch
über den Versorgungsschlüssel hinaus zu einer Förderung verpflichtet sein
kann, liegt auch hierin kein Bundesrechtsverstoß. Nach § 4 Abs. 1 Satz 1
SchKG handelt es sich bei diesem Schlüssel um eine Mindestausstattung. Die
Länder sind daher nicht gehindert, eine weitergehende Förderung vorzusehen
(BVerwG, Urteil vom 15. Juli 2004 - 3 C 48.03 - BVerwGE 121, 270 <281>).
2. Danach hat der Kläger gemäß § 4 Abs. 2 SchKG und § 2 Abs. 1
BbgAGSchKG einen Anspruch auf öffentliche Förderung. Das Oberverwal-
tungsgericht hat entschieden, dass die von dem Kläger betriebene Beratungs-
stelle in C. für die Sicherstellung eines ausreichenden pluralen Angebots im
Sinne von § 3 SchKG und § 2 Abs. 1 BbgAGSchKG erforderlich ist und deshalb
§ 3 BbgAGSchKG nicht anwendbar ist. Das ist nicht zu beanstanden. Der in
dem angegriffenen Urteil zugrunde gelegte Pluralitätsbegriff wird den bundes-
rechtlichen Anforderungen gerecht.
a) Im Einklang mit der Senatsrechtsprechung ist das Oberverwaltungsgericht
davon ausgegangen, dass der Begriff der unterschiedlichen weltanschaulichen
Ausrichtung in § 3 Satz 3 SchKG mit dem Begriff des pluralen Angebots in § 8
Satz 1 SchKG gleichgesetzt werden kann (BVerwG, Urteil vom 15. März
2007 - 3 C 35.06 - Buchholz 436.41 SchKG Nr. 3 Rn. 18). Das Schwanger-
schaftskonfliktgesetz konkretisiert die Voraussetzungen nicht näher, die erfüllt
sein müssen, damit das Beratungsangebot dem Merkmal der Pluralität ent-
spricht. Die Auslegung ergibt, dass das Bundesrecht Mindestanforderungen für
die erforderliche Trägervielfalt aufstellt, die nicht unterschritten werden dürfen.
Die weitere Ausgestaltung obliegt nach § 4 Abs. 3 SchKG den Ländern.
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Die gesetzliche Forderung nach einem pluralen Angebot wohnortnaher Bera-
tungsstellen soll den Ratsuchenden die Möglichkeit eröffnen, zwischen Bera-
tungsstellen unterschiedlicher weltanschaulicher Prägung zu wählen. Ziel ist,
dass sie eine Einrichtung ihres Vertrauens aufsuchen können, damit nicht
Schwellenängste und Vorbehalte gegenüber der Beratungsstelle ein vertrau-
ensvolles Beratungsgespräch behindern oder sogar die Inanspruchnahme der
Beratung verhindern (vgl. BVerwG, Urteil vom 15. März 2007 - 3 C
35.06 - Buchholz 436.41 SchKG Nr. 3 Rn. 18 und 20; amtliche Begründung
zum Entwurf eines Schwangeren- und Familienhilfeänderungsgesetzes, BT-
Drs. 13/285 S. 12 ; ebenso schon die amtliche Begründung
zum Entwurf eines Schwangeren- und Familienhilfegesetzes, BT-Drs. 12/2605
S. 16 und S. 20). Das gilt für die Konfliktberatungsstellen und die allge-
meinen Beratungsstellen gleichermaßen. Die öffentliche Förderung nach § 4
Abs. 2 SchKG dient der Umsetzung der staatlichen Schutzpflicht für das unge-
borene Leben. Die Beratung nach § 2 SchKG ist Teil des Schutzkonzepts und
trägt Wesentliches dazu bei (BVerwG, Urteil vom 15. Juli 2004 - 3 C
48.03 - BVerwGE 121, 270 <275 f.>). Daher kommt dem Anliegen eines von
Vertrauen geprägten Beratungsgesprächs auch für die Inanspruchnahme all-
gemeiner Beratungsleistungen eine besondere Bedeutung zu.
Dem Gesetzeszweck entsprechend verlangen § 3 Satz 2 und § 8 Satz 3 SchKG
"auch" die Förderung von Beratungsstellen in freier Trägerschaft. Gemäß § 3
Satz 3 SchKG sollen die Ratsuchenden zudem zwischen Beratungsstellen un-
terschiedlicher weltanschaulicher Ausrichtung auswählen können. Wie viele und
welche Angebote freier Träger gefördert werden müssen, damit das Kriterium
eines ausreichenden pluralen Beratungsangebotes erfüllt ist, lässt sich nicht
generalisierend beantworten. Ausgehend von dem mit dem Pluralitätsgebot ver-
folgten Zweck des Schwangerschaftskonfliktgesetzes kommt es insbesondere
im Interesse des verfassungsrechtlich gebotenen Lebensschutzes für die Beur-
teilung der erforderlichen Trägervielfalt maßgeblich auf den Beratungsbedarf
der Ratsuchenden an. An ihm ist das geförderte Angebot auszurichten. Ist zu
erwarten, dass das Beratungsangebot eines Anbieters, der sich in seiner welt-
anschaulichen Ausrichtung von anderen Anbietern unterscheidet, in relevantem
Umfang nachgefragt wird, ist dieser Träger bei der öffentlichen Förderung zu
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berücksichtigen. Der maßgebliche Beratungsbedarf kann von Bundesland zu
Bundesland und von Versorgungsbereich zu Versorgungsbereich unterschied-
lich ausfallen. Es obliegt den Ländern, ausgerichtet an diesem Beratungsbedarf
durch eine konkretisierende Regelung dafür Sorge zu tragen, dass das geför-
derte Angebot dem Gebot der weltanschaulichen Vielfalt genügt. Bundes-
rechtswidrig ist eine landesrechtliche Regelung (nur), wenn sie Beratungsstel-
len unberücksichtigt lässt, die zur Sicherstellung eines ausreichend pluralen
Beratungsangebots erforderlich sind. Dagegen ist es aus Sicht des Bundes-
rechts nicht zu beanstanden, wenn die landesrechtlich bestimmte Trägervielfalt
über den nach dem Schwangerschaftskonfliktgesetz gebotenen Mindeststan-
dard hinausreicht (vgl. BVerwG, Urteil vom 15. März 2007 - 3 C 35.06 - Buch-
holz 436.41 SchKG Nr. 3 Rn. 16).
b) Gemessen daran verstößt das angegriffene Urteil nicht gegen das bundes-
rechtliche Erfordernis eines pluralen Beratungsangebotes. Die Annahme des
Oberverwaltungsgerichts, die Beratungsstelle des Klägers dürfe zur Gewähr-
leistung einer ausreichenden Trägervielfalt nicht von der Förderung ausge-
schlossen werden, beruht auf einer rechtsfehlerfreien Auslegung und Anwen-
dung von § 2 Abs. 1 BbgAGSchKG und § 3 SchKG.
Nicht überzeugen können allerdings die Ausführungen des Berufungsurteils,
schon mit Blick auf den von der katholischen Kirche in Fragen des Schwanger-
schaftsabbruchs vertretenen Standpunkt widerspreche es der staatlichen
Schutzpflicht für das ungeborene Leben, gerade ihr Beratungsangebot nicht in
die Förderung aufzunehmen. Hierauf lässt sich der Förderanspruch des Klägers
nicht stützen. § 4 Abs. 2 SchKG stellt allein darauf ab, dass eine Beratungsstel-
le Beratungsleistungen nach § 2 SchKG oder §§ 5 ff. SchKG erbringt und dass
ein entsprechender Beratungsbedarf besteht. Beide Beratungsarten sind Teil
der Umsetzung der staatlichen Schutzpflicht für das ungeborene Leben und
dem Lebensschutz gleichermaßen verpflichtet (BVerwG, Urteil vom 15. Juli
2004 - 3 C 48.03 - BVerwGE 121, 270 <275 f.>). Nicht tragfähig ist auch der
Hinweis des Oberverwaltungsgerichts auf Art. 4 GG. Die religiöse Ausrichtung
einer Beratungsstelle führt im Rahmen des § 4 Abs. 2 SchKG zu keiner Privile-
gierung. Entscheidend ist vielmehr, dass sie von den Ratsuchenden als Stelle
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ihres Vertrauens aufgesucht wird und damit zu dem gebotenen Lebensschutz
beiträgt. Auf Bedenken stößt ferner, wenn das Oberverwaltungsgericht das Be-
ratungsangebot eines Trägers wie … als weltanschaulich "neutral" einstuft und
damit sein Beitrag zur Pluralität in Frage gestellt wird. Der Begriff der unter-
schiedlichen weltanschaulichen Ausrichtung im Sinne des Schwangerschafts-
konfliktgesetzes ist weit auszulegen. Er bezieht sich, wie die Verknüpfung von
§ 3 Satz 3 mit Satz 2 SchKG deutlich macht, auf Beratungsstellen freier Träger
und erfasst daher - ausgehend von dem herkömmlichen Verständnis des Krei-
ses der freien Träger - neben Beratungsstellen mit einer religiösen oder weltan-
schaulichen Prägung auch Einrichtungen, die bewusst auf eine solche Festle-
gung verzichten.
Ungeachtet dessen hat das Oberverwaltungsgericht den Förderanspruch des
Klägers im Ergebnis zu Recht bejaht. Es hat zutreffend angenommen, dass das
Kriterium der Trägervielfalt nicht immer schon dann erfüllt ist, wenn im Versor-
gungsbereich zwei Beratungsstellen mit unterschiedlicher weltanschaulicher
Ausrichtung vorhanden sind, sondern die gebotene Vielfalt von dem tatsächli-
chen Beratungsangebot und -bedarf in dem Versorgungsbereich bestimmt wird.
Es hat sodann sachgerecht darauf abgestellt, dass ein Anbieter, dessen welt-
anschauliche Ausrichtung nach den Gegebenheiten im Land Brandenburg als
gesellschaftlich relevant einzustufen ist und sich von anderen Beratungsstellen
abhebt, grundsätzlich bei der öffentlichen Förderung zu berücksichtigen ist und
dazu festgestellt, dass diese Voraussetzungen bei dem Kläger vorliegen. Aus
dem Berufungsurteil sowie dem Urteil gleichen Rubrums im Parallelverfahren
OVG 6 B 48.12 (BVerwG 3 C 1.14) ergibt sich des Weiteren, dass das Bera-
tungsangebot des Klägers auch tatsächlich nachgefragt worden ist, also ein
entsprechender Beratungsbedarf bestanden hat. Das Oberverwaltungsgericht
hat hierzu ausgeführt, die Anzahl von Ratsuchenden, die die Beratungsstelle
des Klägers im Jahr 2007 aufgesucht hätten, sei vergleichbar mit der Inan-
spruchnahme verschiedener anderer (geförderter) Beratungsstellen (vgl. Se-
natsurteil vom 25. Juni 2015 - BVerwG 3 C 1.14 - S. 12 des Entscheidungsab-
drucks). Im Jahr 2008 ist die Anzahl der Ratsuchenden in der Beratungsstelle
des Klägers zwar rückläufig gewesen. Dabei ist allerdings in den Blick zu neh-
men, dass eine Mitarbeiterin lang andauernd erkrankt war und dieser Ausfall
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nicht ausgeglichen werden konnte. Aus der geringeren Inanspruchnahme im
Jahr 2008 ist daher nicht zu schließen, es fehle an einer hinreichenden Nach-
frage für das Beratungsangebot des Klägers. Die tatsächlichen Feststellungen
des Oberverwaltungsgerichts sind für das Revisionsverfahren verbindlich, da
der Beklagte sie nicht mit durchgreifenden Verfahrensrügen angegriffen hat
(§ 137 Abs. 2 VwGO).
3. Ein Bundesrechtsverstoß ergibt sich auch nicht daraus, dass das Oberver-
waltungsgericht dem Kläger einen Förderanspruch im Umfang einer vollen Per-
sonalstelle zuerkannt hat.
a) § 4 Abs. 2 SchKG gewährt einen Anspruch auf eine angemessene öffentliche
Förderung der Personal- und Sachkosten. Nach der Rechtsprechung des Se-
nats ist die Förderung angemessen, wenn sie (mindestens) 80 % der notwendi-
gen Personal- und Sachkosten deckt (BVerwG, Urteile vom 3. Juli 2003 - 3 C
26.02 - BVerwGE 118, 289 <294 ff.> und vom 15. Juli 2004 - 3 C
48.03 - BVerwGE 121, 270 <281 f.>). Die Notwendigkeit der Kosten bestimmt
sich danach, welche Personal- und Sachmittel die Beratungsstelle benötigt, um
ein ausreichendes sowie fachgerechtes Beratungsangebot nach § 2 und/oder
§§ 5 ff. SchKG sicherstellen und die Beratungstätigkeit ordnungsgemäß durch-
führen zu können (vgl. § 4 Abs. 1 Satz 2, § 9 Nr. 1 SchKG; BVerwG, Beschluss
vom 8. August 2011 - 3 B 96.10 - juris Rn. 3). Der Umfang des erforderlichen
Personals richtet sich also nach dem Umfang der anfallenden Beratungsleis-
tungen. Zudem ist bei der Bemessung der Personalausstattung die Vorhalte-
pflicht des Staates zu berücksichtigen. Danach ist die Vorhaltung eines dem
Sicherstellungsauftrag entsprechenden Personalbestandes auch dann zu för-
dern, wenn wegen einer unzureichenden Nachfrage die Beratungskapazitäten
nicht ausgeschöpft werden. Erst wenn die fehlende Auslastung über eine länge-
re Zeit andauert, sich also verfestigt hat, ist es gerechtfertigt, darauf mit einer
entsprechenden Reduzierung des Förderumfangs zu reagieren oder gegebe-
nenfalls die Erforderlichkeit der Beratungsstelle neu zu bewerten (BVerwG, Ur-
teil vom 3. Juli 2003 - 3 C 26.02 - BVerwGE 118, 289 <296>).
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b) Das angegriffene Urteil steht hiermit im Einklang. Das Oberverwaltungsge-
richt hat angenommen, dass die Ausstattung einer Beratungsstelle mit einer
vollen Stelle dem üblichen Umfang im Land Brandenburg entspricht und dass
sich die tatsächliche Inanspruchnahme der Beratungsstelle des Klägers in ei-
nem Rahmen bewegt, der nach der Förderpraxis des Landes den Ansatz einer
Vollzeitkraft rechtfertigt. Die im Vergleich zum Vorjahr geringere Anzahl von
Ratsuchenden steht dem nicht entgegen. In Bezug auf die durch das Oberver-
waltungsgericht festgestellte Auslastung der Beratungsstelle im Jahr 2007 hat
der Senat mit Urteil vom 25. Juni 2015 in dem Parallelverfahren - BVerwG 3 C
1.14 - entschieden, dass der Ansatz einer Vollzeitkraft revisionsrechtlich nicht
zu beanstanden ist (vgl. S. 13 ff. des Urteilsabdrucks). Danach durfte das Ober-
verwaltungsgericht trotz der schwächeren Auslastung auch für 2008 von der
Angemessenheit des beantragten Förderumfangs ausgehen; denn es hat nicht
festgestellt, dass es sich hierbei um eine dauerhafte Entwicklung gehandelt hat.
4. Der Einräumung einer - nur vorsorglich beantragten - Stellungnahmefrist für
den Beklagten zu dem Schriftsatz des Klägers vom 23. Juni 2015 bedurfte es
nicht. Es dürfte sich im Wesentlichen schon nicht um Vorbringen handeln, das
als inhaltlich neu einzustufen ist. Jedenfalls ist aus diesem Schriftsatz kein neu-
er entscheidungserheblicher Vortrag zum Nachteil des Beklagten berücksichtigt
worden. Das gilt auch für die Argumentation des Klägers, sein Förderanspruch
könne nicht mit der Begründung verneint werden, dass der entsprechende Be-
ratungsbedarf bereits durch die vom Land Brandenburg geförderten Beratungs-
stellen des Vereins … gedeckt sei. Hierauf kam es für die Revisionsentschei-
dung nicht an, weil in dem in Rede stehenden Versorgungsbereich Lausitz-
Spreewald keine solche Beratungsstelle zur Verfügung stand.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Kley
Liebler
Dr. Wysk
Dr. Kuhlmann
Rothfuß
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