Urteil des BVerwG vom 21.10.2010

Verordnung, Beginn der Frist, Verjährungsfrist, Euratom

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 3 C 3.10
VG 13 K 4803/07
Verkündet
am 21. Oktober 2010
Zweigler
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 21. Oktober 2010
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Kley
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Liebler, Prof. Dr. Dr. h.c.
Rennert, Dr. Möller und Dr. Wysk
beschlossen:
Das Verfahren wird ausgesetzt.
Dem Europäischen Gerichtshof werden folgende Fragen zur Ausle-
gung der Verordnung (EG, EURATOM) Nr. 2988/95 des Rates vom
18. Dezember 1995 (ABl Nr. L 312 S. 1) zur Vorabentscheidung vor-
gelegt:
1. Gilt Art. 3 der Verordnung auch für die Verjährung von An-
sprüchen auf Zinsen, die nach nationalem Recht neben der
Rückzahlung des aufgrund einer Unregelmäßigkeit rechts-
widrig erlangten Vorteils geschuldet sind?
Bei Bejahung von Frage 1:
2. Ist in den nach Art. 3 Abs. 3 der Verordnung gebotenen
Fristvergleich allein die Fristdauer einzubeziehen, oder
müssen auch nationale Bestimmungen einbezogen werden,
die den Beginn der Frist, ohne dass es hierfür weiterer
Umstände bedarf, auf das Ende des Kalenderjahres hi-
nausschieben, in denen der (hier: Zins-)Anspruch entsteht?
3. Beginnt die Verjährungsfrist auch für Zinsansprüche mit der
Begehung der Unregelmäßigkeit bzw. mit der Beendigung
der andauernden oder wiederholten Unregelmäßigkeit zu
laufen, selbst wenn die Zinsansprüche erst spätere Zeit-
räume betreffen und deshalb erst später entstehen? Wird
der Beginn der Verjährung bei andauernden oder wieder-
holten Unregelmäßigkeiten durch Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 2
der Verordnung auch in Ansehung der Zinsansprüche auf
den Zeitpunkt der Beendigung der Unregelmäßigkeit hin-
ausgeschoben?
4. Wann endet die Unterbrechungswirkung eines Bescheides
der zuständigen Behörde nach Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 3
Satz 2 der Verordnung, durch den der fragliche (hier: Zins-)
Anspruch dem Grunde nach festgestellt wird?
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G r ü n d e :
I
Der Klägerin wurden in den Zuckerwirtschaftsjahren 1994/95, 1995/96 und
1996/97 auf ihre monatlichen Anträge hin Lagerkostenvergütungen für die Ein-
lagerung von Zucker gewährt. Mit drei Bescheiden vom 30. Januar 2003 forder-
te die Beklagte Lagerkostenvergütungen für diese drei Jahre zurück, weil die
Klägerin in ihren Anträgen überhöhte Zuckermengen angegeben habe. In den
Bescheiden wurde dem Grunde nach festgestellt, dass die zurückgeforderten
Beträge vom Empfange an zu verzinsen seien; die Festsetzung der genauen
Zinshöhe wurde späteren Bescheiden vorbehalten.
Gegen die Bescheide erhob die Klägerin Widersprüche. Mit Widerspruchsbe-
scheiden vom 10. Oktober 2006 wurden die Rückforderungsbeträge reduziert,
die Widersprüche im Übrigen aber zurückgewiesen. Die Klägerin erhob Klage
mit dem Antrag, die Bescheide teilweise aufzuheben; hierüber ist bislang nicht
entschieden. In restlicher Höhe von 469 941,12 € wurden die Rückforderungs-
bescheide bestandskräftig. Die Klägerin bezahlte diesen Betrag am 15. No-
vember 2006.
Mit Bescheid vom 13. April 2007 setzte die Beklagte Zinsen auf den gezahlten
Betrag in Höhe von 298 650,93 € fest. Mit ihrem Widerspruch machte die Klä-
gerin unter anderem geltend, die Zinsansprüche seien teilweise verjährt. Mit
Widerspruchsbescheid vom 22. Oktober 2007 gab die Beklagte dem Wider-
spruch hinsichtlich der Zinsen für 1997 und 1998 statt, weil insoweit bei Erlass
der Bescheide vom 30. Januar 2003 eine vierjährige Verjährungsfrist abgelau-
fen gewesen sei. In restlicher Höhe von 237 644,17 € wies sie den Widerspruch
jedoch zurück; insoweit hätten die Rückforderungsbescheide vom 30. Januar
2003 den Lauf der Verjährungsfrist unterbrochen.
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Mit ihrer Klage wendet sich die Klägerin gegen die Zinsfestsetzung für die Jahre
1999 bis 2002 in Höhe von 119 984,27 € mit der Begründung, die Zinsforderung
sei auch insoweit verjährt. Der Lauf der Verjährungsfrist sei durch die Be-
scheide vom 30. Januar 2003 nicht unterbrochen oder gehemmt worden. Maß-
geblich sei daher allein der Zinsbescheid vom 13. April 2007, bei dessen Erlass
aber die vierjährige Verjährungsfrist auch für die vor 2003 aufgelaufenen Zinsen
verstrichen gewesen sei.
Das Verwaltungsgericht hat den Zinsbescheid in Gestalt des Widerspruchsbe-
scheides im Umfang der Anfechtung mit Urteil vom 25. November 2009 aufge-
hoben. Zur Begründung hat es ausgeführt: Auf die Frage der Verjährung kom-
me es nicht an. Die Zinsforderung finde ihre Grundlage in § 14 des Marktorga-
nisationengesetzes. Nach dieser Vorschrift seien Ansprüche auf Erstattung von
besonderen Vergünstigungen „vom Zeitpunkt ihrer Entstehung an“ zu verzin-
sen. Die Rückforderung sei aber erst mit Bekanntgabe der Bescheide vom
30. Januar 2003 entstanden, so dass eine Zinspflicht für frühere Zeiträume
nicht bestehe.
Die Beklagte hat gegen dieses Urteil Revision eingelegt, mit der sie die Abwei-
sung der Klage erstrebt. Zur Begründung macht sie geltend, dass die Beschei-
de vom 30. Januar 2003 die Bewilligung der Lagerkostenvergütung rückwirkend
beseitigt habe, weshalb die Klägerin den überzahlten Betrag schon vom Zeit-
punkt des Empfanges an verzinsen müsse.
Die Klägerin verteidigt das angefochtene Urteil und beruft sich hilfsweise wei-
terhin auf Verjährung.
II
Ob die Revision begründet ist, kann das Bundesverwaltungsgericht nicht ab-
schließend beurteilen. Die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils er-
geben zwar eine Verletzung des Bundesrechts (1.). Ob das Urteil sich aber aus
anderen Gründen als richtig darstellt, wirft Fragen zum europäischen Ge-
meinschaftsrecht auf, welche die Einholung einer Vorabentscheidung des Eu-
ropäischen Gerichtshofs erfordern (2.).
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1. Das angefochtene Urteil beruht auf der Auffassung, die Pflicht zur Verzin-
sung des zu erstattenden Betrages sei erst mit der Rücknahme der Bewilli-
gungsbescheide durch die Aufhebungs- und Rückforderungsbescheide vom
30. Januar 2003 entstanden. Dem kann nicht gefolgt werden.
a) Die Verzinsungspflicht richtet sich nach nationalem Recht; darin ist dem Ver-
waltungsgericht beizupflichten. Maßgeblich ist § 14 Abs. 1 Satz 1 des Marktor-
ganisationengesetzes (MOG) in der Fassung des Art. 5 Ziff. 2 des Gesetzes zur
Änderung verwaltungsverfahrensrechtlicher Vorschriften (VwVfR-ÄndG) vom
2. Mai 1996 (BGBl I S. 656). Hiernach sind Ansprüche auf Erstattung von be-
sonderen Vergünstigungen - wie Vergütungen zum Ausgleich von Lagerkosten
(vgl. § 6 Abs. 1 Nr. 11 MOG) - vom Zeitpunkt ihrer Entstehung an mit 3 vom
Hundert über dem jeweiligen Diskontsatz der Deutschen Bundesbank zu ver-
zinsen, soweit Rechtsakte des Rates oder der Kommission der Europäischen
Gemeinschaften nichts anderes vorsehen.
Europäisches Gemeinschaftsrecht enthält insofern keine Bestimmung, und
zwar weder das besondere Recht für den Zuckersektor (vgl. Art. 8 der Verord-
nung Nr. 1785/81 des Rates vom 30. Juni 1981 über die gemeinsame
Marktorganisation für Zucker, ABl Nr. L 177 S. 4, die Verordnung
Nr. 1358/77 des Rates vom 20. Juni 1977 zur Aufstellung allgemeiner Regeln
für den Ausgleich der Lagerkosten für Zucker, ABl Nr. L 156 S. 4, sowie die
hierzu ergangene Durchführungsverordnung Nr. 1998/78 der Kommis-
sion vom 18. August 1978, ABl Nr. L 231 S. 5) noch die sektorenübergreifende
Verordnung (EG, EURATOM) Nr. 2988/95 des Rates vom 18. Dezember 1995
über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften
(ABl Nr. L 312 S. 1). Dieser Verordnung lässt sich entgegen der Ansicht der
Klägerin insbesondere kein an die Mitgliedstaaten gerichtetes Verbot entneh-
men, bei der Rückforderung von Subventionen, die gemeinschaftsrechtlich ge-
regelt sind, Zinsen auf der Grundlage nationaler Rechtsvorschriften zu erheben,
wenn das Gemeinschaftsrecht eine Zinspflicht nicht begründet. In Art. 4 Abs. 2
der Verordnung ist lediglich bestimmt, dass eine Verzinsung möglicher Teil ei-
ner verwaltungsrechtlichen Maßnahme ist, mit der der durch eine Unregelmä-
ßigkeit erlangte Vorteil entzogen wird. Ob die Verzinsung aber vorgesehen wird,
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richtet sich nach anderweitigen Vorschriften; das können Vorschriften des
Gemeinschaftsrechts wie solche des nationalen Rechts sein.
b) Das Verwaltungsgericht hat aber § 14 Abs. 1 Satz 1 MOG unrichtig ausge-
legt. Wie erwähnt, sind gemäß § 14 Abs. 1 Satz 1 MOG Ansprüche auf Erstat-
tung von besonderen Vergünstigungen vom Zeitpunkt ihrer Entstehung an zu
verzinsen. Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts ist nicht ausge-
schlossen, dass derartige Erstattungsansprüche rückwirkend entstehen und
deshalb auch für zurückliegende Zeiträume zu verzinsen sind. So liegt es, wenn
der Bewilligungsbescheid, der der Leistung zugrunde lag, wie hier rückwirkend
aufgehoben oder widerrufen wird. Dies hat der Senat in seinem Urteil vom
heutigen Tage in der Parallelsache BVerwG 3 C 4.10 im Einzelnen dargelegt;
darauf wird verwiesen.
2. Das Urteil erwiese sich allerdings aus anderen Gründen als richtig (§ 144
Abs. 4 VwGO), wenn die festgesetzte Zinsforderung hinsichtlich der noch strit-
tigen Jahre 1999 bis 2002 verjährt wäre.
2.1 Nach deutschem Recht sind die Zinsansprüche nicht verjährt.
a) Das ergibt sich allerdings nicht schon daraus, dass die Verjährung der Zins-
ansprüche erst mit der Bekanntgabe der Rückforderungsbescheide vom
30. Januar 2003 zu laufen begonnen hätte. Zwar waren die Zinsansprüche,
auch soweit sie vergangene Zeiträume betrafen, erst von diesem Zeitpunkt an
durchsetzbar, weil ihre Entstehung die - rückwirkende - Beseitigung der Bewilli-
gungsbescheide voraussetzte. Daraus ist aber nicht zu schließen, dass sie
auch erst von diesem Zeitpunkt an verjähren konnten. Vielmehr sind auch sie
rückwirkend, nämlich sukzessive mit dem jeweils verzinsten Zeitraum entstan-
den. Dann aber erfordert es der Vertrauensschutz des Betroffenen, auch einen
rückwirkenden Beginn der Verjährung für möglich zu halten, unabhängig davon,
ob der zuständigen Behörde die anspruchsbegründenden Umstände seinerzeit
bereits bekannt waren oder hätten bekannt sein müssen.
b) Für die Zinsen für 1999 und 2000 gilt eine vierjährige, für diejenigen für 2001
und 2002 eine dreijährige Verjährungsfrist.
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Gemäß §§ 197, 201 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) in der bis zum
31. Dezember 2001 gültigen Fassung verjährten Ansprüche auf Rückstände
von Zinsen in vier Jahren vom Schluss des Jahres an, in welchem der Zinsan-
spruch entstand. Die genannten Vorschriften finden auf Zinsansprüche aus öf-
fentlichem Recht entsprechende Anwendung (Urteil vom 17. August 1995
- BVerwG 3 C 17.94 - BVerwGE 99, 109 <110>).
Das Schuldrechts-Modernisierungsgesetz vom 26. November 2001 (BGBl I
S. 3138) hat die Verjährungsfrist für Zinsen auf drei Jahre verkürzt (§ 195 BGB
in der seit dem 1. Januar 2002 geltenden Fassung); die Frist beginnt unverän-
dert mit dem Schluss des Jahres, in dem der Zinsanspruch entsteht (§ 199 Abs.
1 Nr. 1 BGB n.F.). Die Verkürzung ist im öffentlichen Recht nachzuvollziehen;
die Regelung des Bürgerlichen Gesetzbuchs ist deshalb auch in ihrer neuen
Fassung auf Zinsansprüche aus öffentlichem Recht entsprechend anzuwenden.
Nach Art. 229 § 6 Abs. 1 Satz 1 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen
Gesetzbuch (EGBGB) finden die Vorschriften über die Verjährung in der neuen
Fassung auf die am 1. Januar 2002 bestehenden und noch nicht verjährten
Ansprüche Anwendung. Hinsichtlich der Verjährungsfrist bestimmt Art. 229 § 6
Abs. 4 EGBGB, dass, wenn die neue Frist kürzer ist als die bisherige, die kür-
zere neue Frist ab dem 1. Januar 2002 läuft, dass Verjährung jedoch spätes-
tens mit dem Ablauf der bisherigen längeren Frist eintritt. Dies führt dazu, dass
es hinsichtlich der Zinsen für 1999 und für 2000 bei der bisherigen vierjährigen
Frist bleibt.
c) Der Lauf der Verjährungsfrist wurde durch Erlass der Rückforderungsbe-
scheide vom 30. Januar 2003 gehemmt. Das ergibt sich aus § 53 Abs. 1 des
Verwaltungsverfahrensgesetzes (VwVfG). Ein Verwaltungsakt, der zur Feststel-
lung oder Durchsetzung des Anspruchs eines öffentlich-rechtlichen Rechtsträ-
gers erlassen wird, hemmt hiernach die Verjährung dieses Anspruchs; die
Hemmung endet mit Eintritt der Unanfechtbarkeit des Verwaltungsakts oder
sechs Monate nach seiner anderweitigen Erledigung.
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2.2 Die Frage der Verjährung könnte jedoch bei Anwendung des Art. 3 der Ver-
ordnung (EG, EURATOM) Nr. 2988/95 anders zu beurteilen sein. Insofern stel-
len sich verschiedene Fragen zur Auslegung dieser Vorschrift, die der Senat
nicht ohne Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofs beantworten
kann.
a) Die Verordnung ist grundsätzlich anwendbar. Sie gilt für die Rückforderung
von Leistungen, die der Erstattungspflichtige aufgrund einer Unregelmäßigkeit
erlangt hat, sofern die Leistung von der Behörde im Namen oder für Rechnung
des Gemeinschaftshaushalts erbracht wurde. Diese Voraussetzungen sind hier
gegeben. Die Klägerin hat die zu erstattende Leistung aufgrund einer Unregel-
mäßigkeit erlangt. Dabei steht der Anwendung der Verordnung nicht entgegen,
dass die Unregelmäßigkeiten vor ihrem Inkrafttreten begangen wurden (EuGH,
Urteil vom 29. Januar 2009 - C-278/07, Vosding u.a. - EuGHE 2009 I-457
Rn. 31 ff.). Die Leistung wurde von der Beklagten auch im Namen oder für
Rechnung des Gemeinschaftshaushalts erbracht (vgl. zu dieser Voraussetzung
EuGH, Urteile vom 24. Juni 2004 - C-278/02, Handlbauer - EuGHE 2004 I-6194
und vom 29. Januar 2009 a.a.O. ). Die Vergütung für
Lagerkosten für Zucker wird von den Mitgliedstaaten für Rechnung des Ge-
meinschaftshaushalts gewährt. Daran ändert es nichts, dass die Aufwendungen
für diese Vergütung durch eine Abgabe der Zuckerbetriebe refinanziert werden
sollen.
Es fragt sich aber,
ob Art. 3 der Verordnung auch für die Verjährung von Zin-
sen gilt, die nach nationalem Recht neben der Rückzah-
lung des aufgrund einer Unregelmäßigkeit rechtswidrig er-
langten Vorteils geschuldet sind.
Richtig ist, dass die Rückforderung von Leistungen gemäß Art. 4 Abs. 2 der
Verordnung auch Zinsen umfasst, sofern solche - wie hier durch das nationale
Recht - vorgesehen sind. Der Bundesfinanzhof hat daraus gefolgert, dass die
Bestimmungen des Art. 3 der Verordnung über die Verjährung auch für solche
Zinsen gelten (BFH, Urteil vom 17. März 2009 - VII R 3/08 - BFHE 225, 289
). Das erscheint aber nicht als zwingend. Ebenso ist denkbar, dass sich
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Zinsansprüche, die durch nationales Recht begründet sind, auch hinsichtlich
ihrer Verjährung nach diesem nationalen Recht richten.
Der Zweck des Art. 3 der Verordnung spricht nicht für seine Anwendung auch
auf Zinsansprüche. Die Verordnung insgesamt dient, wie schon ihr Titel sagt,
der Wahrung der finanziellen Interessen der Gemeinschaft. Art. 3 der Verord-
nung verfolgt diesen Zweck, indem er verhindert, dass die Verfolgung von Un-
regelmäßigkeiten dadurch unangemessen erschwert oder unmöglich wird, dass
nationales Recht sie einer allzu kurzen Verjährungsfrist unterwirft. Deshalb sieht
die Vorschrift für die Verjährung eine Mindestfrist von regelmäßig vier Jahren
vor (Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 1); bei dem nationalen Verjährungsrecht kann es
nur verbleiben, wenn dieses längere Fristen bestimmt (Art. 3 Abs. 3). Der
genannte Zweck der Verordnung beschränkt sich aber auf die jeweilige Haupt-
forderung, also auf die Rückforderung überzahlter Beihilfen oder auf die verwal-
tungsrechtliche Sanktion selbst. Die Wahrung der finanziellen Interessen der
Gemeinschaft erfordert es hingegen nicht, auch für die Verzinsung eine kürzere
Verjährungsfrist als vier Jahre auszuschließen. Art. 4 Abs. 2 der Verordnung
belegt, dass Zinsen überhaupt nicht erhoben werden müssten, ohne dass hier-
durch die finanziellen Interessen der Gemeinschaft gefährdet würden. Wenn
das nationale Recht die Erhebung von Zinsen vorsieht, so fließt das Aufkom-
men aus solchen Zinsansprüchen nicht in den Gemeinschaftshaushalt, sondern
kommt dem Haushalt des Mitgliedstaats zugute. Dann aber werden die finan-
ziellen Interessen der Gemeinschaft nicht gefährdet, wenn Zinsen nach natio-
nalen Vorschriften erhoben werden, aber in weniger als vier Jahren verjähren
können.
Hinzu kommt, dass Art. 3 der Verordnung nach seiner Regelungskonzeption
nicht auf Zinsansprüche angelegt ist. Die Vorschrift regelt „die Verjährung für
die Verfolgung“ von Unregelmäßigkeiten, hat also die Befugnis (und die Pflicht)
der Behörde vor Augen, eine Unregelmäßigkeit mit einer verwaltungsrechtli-
chen Maßnahme oder Sanktion zu ahnden. Diese Befugnis wird schon durch
die Unregelmäßigkeit selbst begründet. Dementsprechend knüpft der Beginn
der Verjährung an die Begehung der Unregelmäßigkeit selbst an, bei andau-
ernden oder wiederholten Unregelmäßigkeiten an deren Beendigung. All dies
liegt bei Zinsansprüchen anders. Zinsansprüche entstehen nicht schon mit der
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Unregelmäßigkeit, sondern sukzessive mit jedem weiteren Zeitablauf. Bei an-
dauernden und wiederholten Unregelmäßigkeiten können Zinsansprüche auch
schon für Zeiträume entstehen, während derer die Unregelmäßigkeit noch nicht
beendet ist. Das wirft die Frage auf, wann die Verjährung derartiger Zinsan-
sprüche beginnt. Hätte das Gemeinschaftsrecht auch die Verjährung von Zins-
ansprüchen erfassen wollen, so wäre zu erwarten gewesen, dass es hierfür
besondere Regelungen getroffen hätte.
In diesem Zusammenhang ist daran zu erinnern, dass nach deutschem Recht
Zinsansprüche zwar abhängig (akzessorisch) vom Bestehen der Hauptforde-
rung, ansonsten aber selbständig sind. In Ansehung der Verjährung bedeutet
dies, dass sie ebenfalls nicht mehr geltend gemacht werden können, wenn die
Hauptforderung verjährt ist, dass sie im Übrigen aber selbständig (sukzessive)
entstehen und selbständig (ebenso sukzessive) verjähren können.
b) Sollte Art. 3 der Verordnung auf Zinsansprüche anzuwenden sein, so stellen
sich weitere Fragen.
aa) Gemäß Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 1 der Verordnung beträgt die Verjährungs-
frist, da sektorbezogene Regelungen des Gemeinschaftsrechts keine kürzere
Frist bestimmen, vier Jahre. Nach Art. 3 Abs. 3 der Verordnung behalten die
Mitgliedstaaten jedoch die Möglichkeit, eine längere Frist anzuwenden. Hierzu
stellt sich die Frage,
ob in den nach Art. 3 Abs. 3 der Verordnung gebotenen
Fristvergleich allein die Fristdauer einzubeziehen ist oder
ob auch nationale Bestimmungen einbezogen werden
müssen, die den Beginn der Frist, ohne dass es hierfür
weiterer Umstände bedarf, auf das Ende des Kalenderjah-
res hinausschieben, in denen der Zinsanspruch entsteht.
In Deutschland besteht nämlich die Besonderheit, dass die kurzen Fristen - die
zwei- oder vierjährige nach altem, die dreijährige nach neuem Recht - erst am
Ende des Kalenderjahres zu laufen beginnen, in dem der Anspruch entstanden
ist (§§ 198, 201 BGB a.F., § 199 Abs. 1 BGB n.F.). Sie betragen daher nur in
dem seltenen Ausnahmefall genau zwei, drei oder vier Jahre, wenn der An-
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spruch genau am 31. Dezember eines Jahres entstanden ist, sind in allen an-
deren Fällen aber länger.
Die Frage kann für diejenigen Zinsansprüche offenbleiben, deren Verjährung
nach nationalem Recht die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs in der
seit 1. Januar 2002 geltenden - neuen - Fassung zugrunde zu legen wären;
denn diese sehen eine Frist von nur drei Jahren vor, die auch bei Einbeziehung
des hinausgeschobenen Fristbeginns keinesfalls länger ist als die vierjährige
gemeinschaftsrechtliche Regelfrist. Insofern verbleibt es bei der Geltung des
Gemeinschaftsrechts. Dies betrifft aber nur die in 2001 und 2002 aufgelaufenen
Zinsen (vgl. oben 2.1 b). Die Verjährung der in 1999 und 2000 aufgelaufenen
Zinsen hingegen richtet sich, wendet man nationales Recht an, nach dem
Bürgerlichen Gesetzbuch in der bis zum 31. Dezember 2001 gültigen Fassung,
nach dem die kurze Verjährungsfrist vier Jahre beträgt. Stellt man für den von
Art. 3 Abs. 3 der Verordnung (EG, EURATOM) Nr. 2988/95 geforderten Frist-
vergleich nur auf diese Fristdauer ab, so ist die nationale Frist nicht länger, son-
dern genauso lang wie die gemeinschaftsrechtliche Regelfrist; dann ist allein
Gemeinschaftsrecht maßgebend (so BFH, Urteil vom 17. März 2009,
BFHE 225, 289). Bezieht man hingegen den regelmäßig hinausgeschobenen
Fristbeginn mit ein, so ist die Frist nach nationalem Recht länger als nach dem
Gemeinschaftsrecht, und das nationale Recht wäre maßgebend.
Der Unterschied wirkt sich freilich nicht für sämtliche in den Jahren 1999 und
2000 aufgelaufenen Zinsen aus, sondern nur für diejenigen, die bis zum
30. Januar 1999 entstanden sind, also - etwas vergröbernd - lediglich für die
Zinsen für den Januar 1999; denn diese waren bei Erlass der Rückforderungs-
bescheide vom 30. Januar 2003, die am 31. Januar 2003 bekannt gegeben
wurden, bei Anwendung des Gemeinschaftsrechts verjährt, bei Anwendung des
nationalen Rechts infolge des hinausgeschobenen Fristbeginns hingegen un-
verjährt.
bb) Ist Gemeinschaftsrecht anwendbar, so stellt sich des Weiteren die - bereits
angesprochene - Frage, zu welchem Zeitpunkt der Lauf der Verjährungsfrist
beginnt. Dabei müssen zwei Teilfragen unterschieden werden.
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Nach Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 1 Satz 1, Unterabs. 2 der Verordnung (EG,
EURATOM) Nr. 2988/95 beginnt die Verjährungsfrist mit der Begehung der Un-
regelmäßigkeit, bei andauernden oder wiederholten Unregelmäßigkeiten mit
deren Beendigung zu laufen. Sollte Art. 3 der Verordnung Zinsansprüche er-
fassen, so stellt sich die Frage,
ob die Verjährungsfrist auch für sie mit der Begehung oder
der Beendigung der Unregelmäßigkeit zu laufen beginnt,
selbst wenn die Zinsansprüche erst spätere Zeiträume
betreffen und deshalb erst später entstehen.
Das wirft vor allem dann Probleme auf, wenn das nationale Recht vorsieht,
dass Zinsen erst für die Zeit nach der Ahndung der Unregelmäßigkeit verlangt
werden können; sie könnten dann verjährt sein, noch ehe sie entstanden sind.
Hiervon zu unterscheiden ist die weitere Frage,
ob der Beginn der Verjährung bei andauernden oder wie-
derholten Unregelmäßigkeiten durch Art. 3 Abs. 1
Unterabs. 2 der Verordnung auch in Ansehung der Zins-
ansprüche auf den Zeitpunkt der Beendigung der Unre-
gelmäßigkeit hinausgeschoben wird.
Sieht das nationale Recht - wie in Deutschland - vor, dass Zinsen für die Zeit
seit Erlangung des rechtswidrigen Vorteils verlangt werden können, so entste-
hen Zinsansprüche auch für Jahre, während derer die Befugnis der Behörde zur
Rückforderung des Vorteils selbst noch nicht verjährt ist, weil die Unregel-
mäßigkeit noch andauert oder wiederholt wird. Das kann zur Akkumulation ganz
erheblicher Zinsen führen, die die Hauptforderung erreichen oder übersteigen.
Das deutsche Recht unterwirft derartige Ansprüche auf rückständige Zinsen
auch deshalb einer von der Hauptforderung gesonderten - und damit ebenfalls
sukzessiven - Verjährung, um eine solche Akkumulation zu vermeiden, die rui-
nös wirken könnte und jedenfalls als unbillig erscheint (vgl. oben 2.1 a).
cc) Schließlich ist zweifelhaft, welche Auswirkungen der Erlass der Rückforde-
rungsbescheide vom 30. Januar 2003 und der darin verfügten Feststellung der
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Zinspflicht dem Grunde nach auf die Verjährung nach dem Gemeinschaftsrecht
hat.
Der Europäische Gerichtshof hat festgestellt, dass der Erlass eines Rückforde-
rungsbescheides den Lauf der vierjährigen Verjährungsfrist nach Art. 3 Abs. 1
Unterabs. 3 der Verordnung (EG, EURATOM) Nr. 2988/95 unterbricht und dass
diese Frist danach von neuem zu laufen beginnt (Urteil vom 29. Januar 2009
a.a.O. ). Hiernach hätten die Rückforderungsbescheide den Lauf
der - noch offenen (vgl. oben aa) - Verjährung auch hinsichtlich der Zinsen am
31. Januar 2003 unterbrochen; es hätte eine neue Frist zu laufen begonnen, die
dann am 31. Januar 2007 abgelaufen wäre. Bei Erlass des Zinsbescheides am
13. April 2007 wäre die Zinsforderung mithin bereits verjährt gewesen.
Hier kommt freilich hinzu, dass die Rückforderungsbescheide auch die Zins-
pflicht selbst dem Grunde nach verbindlich festgestellt haben. Die Feststellung
wurde allerdings von der Klägerin angefochten und ist bislang nicht bestands-
kräftig. Dies wirft die Frage auf, ob die Zinsforderung während der Dauer des
behördlichen und gerichtlichen Überprüfungsverfahrens verjähren kann. Nach
Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 3 Satz 2 der Verordnung (EG, EURATOM) Nr. 2988/95
beginnt die Verjährungsfrist „nach jeder eine Unterbrechung bewirkenden
Handlung“ von neuem. Es ist daher zu fragen,
wann die Unterbrechungswirkung eines Bescheides der
zuständigen Behörde endet, durch den der fragliche (hier:
Zins-)Anspruch dem Grunde nach festgestellt wird.
Wie gezeigt (oben 2.1 c), bewirkt ein solcher Bescheid nach dem deutschen
Recht in der seit 2002 gültigen Fassung, dass die Verjährung bis zu dessen Un-
anfechtbarkeit gehemmt ist (§ 53 Abs. 1 Satz 2 VwVfG). Während der Dauer
eines Widerspruchs- oder Klageverfahrens kann also keine Verjährung eintre-
ten. Das trägt dem Umstand Rechnung, dass der Erlass eines solchen Be-
scheides einem Vertrauen des Betroffenen, die Behörde werde den (hier: Zins-)
Anspruch nicht mehr geltend machen, die Schutzwürdigkeit genommen ist.
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Es spricht vieles dafür, auch für das Gemeinschaftsrecht anzunehmen, dass die
unterbrechende Wirkung eines derartigen Bescheides bis zu dessen Unan-
fechtbarkeit anhält.
Kley
Liebler
Prof. Dr. Dr. h.c. Rennert
Dr. Möller
Dr. Wysk
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Sachgebiet:
BVerwGE:
nein
Allgemeines Verwaltungsrecht
Fachpresse: ja
Subventionsrecht
Landwirtschaftsrecht
Rechtsquellen:
VO
(EG, EURATOM) Nr. 2988/95 Art. 3
MOG § 14
BGB § 199 Abs. 1 n.F.
Stichworte:
Landwirtschaft; Zucker; Einlagerung von Zucker; Lagerkostenvergütung; Unre-
gelmäßigkeit; Rücknahme; Rückforderung; Zinsen; Verzinsung; Verjährung; Ver-
jährungsfrist; Mindestfrist; Fristbeginn; Unterbrechung; Hemmung.
Leitsätze:
Dem Europäischen Gerichtshof wird die Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt,
ob Art. 3 der Verordnung (EG, EURATOM) Nr. 2988/95 auch für die Verjährung
von Ansprüchen auf Zinsen gilt, die nach nationalem Recht neben der Rückzah-
lung des aufgrund einer Unregelmäßigkeit rechtswidrig erlangten Vorteils ge-
schuldet sind.
Falls die Frage zu bejahen ist, werden dem Europäischen Gerichtshof weitere Fra-
gen zur Auslegung von Art. 3 der Verordnung (EG, EURATOM) Nr. 2988/95 mit
Blick auf Zinsansprüche vorgelegt.
Beschluss des 3. Senats vom 21. Oktober 2010 - BVerwG 3 C 3.10
I. VG Köln vom 25.11.2009 - Az.: VG 13 K 4803/07 –