Urteil des BVerwG vom 26.08.2010

Öffentliche Sicherheit, Gefährdung der Gesundheit, Ärztliche Behandlung, Unmittelbare Gefahr

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
BVerwG 3 C 28.09
OVG 8 LC 9/07 / OVG 8 LC 6/07
Verkündet
am 26. August 2010
Jesert
Hauptsekretärin
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
In den Verwaltungsstreitsachen
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hat der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 26. August 2010
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Kley und
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Liebler, Prof. Dr. Dr. h.c. Rennert,
Buchheister und Dr. Wysk
für Recht erkannt:
Die Revisionen der Kläger gegen die Urteile des Nieder-
sächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 18. Juni 2009
werden zurückgewiesen.
Die Kläger trägen die Kosten des Revisionsverfahrens je-
weils zur Hälfte.
G r ü n d e :
I
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Beklagte den Klägern zu Recht die Be-
handlung nach der Synergetik-Methode als unerlaubte Ausübung der Heilkunde
untersagt hat.
Der Kläger versteht sich als Begründer dieser Methode. An seinem Wohnsitz in
Hessen betreibt er seit den 1980er Jahren ein Synergetik-Institut, das Thera-
pien und Ausbildungskurse anbietet. Nach Eigendarstellungen in Broschüren
und im Internet beruht die Methode auf der mathematischen Beschreibung der
Selbstorganisation makroskopischer Systeme durch den Physiker Hermann
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Haken. Dessen Erkenntnisse seien auf die Selbstorganisationsfähigkeit der
Psyche in Tiefenentspannung übertragbar. Dem Klienten werde durch eine
Veränderung der neuronalen Informationsstruktur ermöglicht, während einer
Innenweltreise den Hintergrund von Krankheiten aufzulösen. Die Synergetik-
Therapie sei Anleitung zur Selbstheilung bei nahezu allen seelischen und kör-
perlichen Erkrankungen.
Die Therapie-Sitzungen verlaufen derart, dass dem Klienten die Augen verbun-
den werden und er sich auf eine gepolsterte Unterlage legt. Durch das Abspie-
len meditativer Musik, Vorlesen von Texten, Rückwärtszählen und der Sugges-
tion absteigender Treppen soll ein Zustand der Tiefenentspannung herbeige-
führt werden. Der Patient soll auf diese Weise, begleitet von dem Therapeuten,
in seine Innenwelt hinabsteigen, um unverarbeitete Erlebnisse und Konflikte
durch die innere Konfrontation neu zu gestalten. Durch den Einsatz von Geräu-
schen und Klängen sollen dramaturgische Effekte erzielt werden; ferner wird ein
Plastikschlagstock eingesetzt, um auf innere Bilder einschlagen zu können.
Gemeinsam mit der Klägerin eröffnete der Kläger Anfang des Jahres 2004 in G.
ein Informationscenter für ganzheitliche Therapie, in dem sie die Synergetik-
Therapie und das sogenannte Synergetik-Profiling anboten. In einer Broschüre
des Centers wird die Synergetik als neue Kraft im Gesundheitswesen bezeich-
net, die zu einer Selbstheilung von Krankheiten anleite. Zu dem Synergetik-
Profiling heißt es, dass der Kläger seine Erfahrungen mit Rasterfahndungsme-
thoden als Ingenieur beim Bundeskriminalamt erfolgreich in der Synergetik-
Therapie untergebracht habe; für ihn sei es oft ein Leichtes, den Hintergrund
von Krankheitsstrukturen mit einem synergetischen Profiling aufzudecken und
aufzulösen.
Der Beklagte untersagte den Klägern mit Bescheiden vom 8. Januar 2004 je-
weils unter Androhung eines Zwangsgeldes die selbständige Ausübung der Sy-
nergetik-Therapie und des Synergetik-Profilings und forderte sie auf, das Pra-
xisschild zu entfernen sowie die Angebote im Internet zu löschen. Die Tätigkeit
der Kläger sei eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit im Sinne des § 11 des
Niedersächsischen Sicherheits- und Ordnungsgesetzes; denn sie übten Heil-
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kunde ohne die erforderliche Erlaubnis nach dem Heilpraktikergesetz (HeilprG)
aus. Für die Tiefenentspannung bestünden Kontraindikationen; es könne zu
psychischen Veränderungen und Krisensituationen, ggf. auch zu Notfällen bei
körperlichen Erkrankungen kommen. Da nach den eigenen Angaben der Kläger
17 % der Klienten körperlich und 26 % psychisch krank seien, bedürfe es zur
Verhinderung von Gefahren vor und während der Therapie einer fachkundigen
Ausschlusskontrolle, zu der die Kläger mangels Vorbildung außer Stande seien.
Auf die Widersprüche der Kläger hin hob die Bezirksregierung die Ausgangsbe-
scheide insoweit auf, als den Klägern die Löschung ihrer Angebote im Internet
aufgegeben worden war, und wies sie im Übrigen zurück. Die Synergetik-
Methode sei als ein der Psychotherapie ähnliches Verfahren einzustufen, das
fließende Übergänge zur hypnotischen Induktion enthalte. Es ähnele dem psy-
chotherapeutischen Verfahren des katathymen Bilderlebens. Ohne fachkundige
Begleitung könne es dabei zu Komplikationen bis hin zum Auftreten psychoti-
scher Schübe kommen. Die Durchführung der Therapie verursache zudem mit-
telbare Gesundheitsgefahren, indem eine Hintergrundauflösung statt einer Be-
kämpfung der Krankheit durch Ärzte empfohlen werde.
Mit ihren Klagen haben die Kläger geltend gemacht, die Synergetik-Methode
arbeite nicht mit Suggestionen und Hypnose. Das werde durch eine Stellung-
nahme des Psychologen Prof. Dr. R. bestätigt. Der Vorwurf, nur mit bestimmten
Ärzten zusammenzuarbeiten, sei ebenso unzutreffend wie die Annahme, die
Synergetik-Therapie sei darauf ausgerichtet, schulmedizinische Behandlungen
zu verhindern. Sie teilten zwar den Ansatz, dass eine Krebserkrankung konflikt-
bedingt sei. Allerdings setze die Synergetik nicht auf natürliche Heilkräfte, son-
dern fordere den Klienten auf, selbst etwas gegen die Krankheit zu tun. Im Üb-
rigen müsse berücksichtigt werden, dass sich die neue Synergetik-Therapie
nicht mehr der Behandlung von Krankheiten widme. Um die Trennung von den
Synergetik-Profilern zu verdeutlichen, sei ein eigener Berufsverband gegründet
worden. Ergänzend haben die Kläger Stellungnahmen des Psychologischen
Psychotherapeuten Dr. A. und des Juristen Prof. Dr. H. vorgelegt.
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Das Verwaltungsgericht hat die Klagen mit Urteilen vom 23. November 2006
abgewiesen. Die Berufungen der Kläger hat das Oberverwaltungsgericht mit
Urteilen vom 18. Juni 2009 zurückgewiesen. Zur Begründung hat es im We-
sentlichen ausgeführt: Der Beklagte habe zu Recht nicht zwischen Synergetik-
Therapie und Synergetik-Profiling unterschieden, weil im maßgeblichen Zeit-
punkt der von den Klägern geltend gemachte Unterschied, wonach sich die Sy-
nergetik-Therapie nicht mehr mit der Behandlung von Krankheiten befasse, ob-
jektiv nicht bestanden habe; vielmehr sei die Therapie als Selbstheilungsme-
thode und Innovation im Gesundheitswesen dargestellt worden. Erst ab 2005
sei der Synergetik-Therapie eine andere Zielrichtung zugeschrieben worden.
Dadurch würden die Untersagungsbescheide weder unbestimmt noch hätten
sie sich erledigt; Gegenstand der Untersagungen sei vielmehr die bei Erlass der
Bescheide ausgeübte Tätigkeit. Diese stelle eine Ausübung der Heilkunde im
Sinne des Heilpraktikergesetzes dar. Anders als bei Wunder- oder Geistheilern
berufe sich die Synergetik-Methode auf naturwissenschaftliche Zusammenhän-
ge, die sie auf die Heilung von Krankheiten übertrage. Ungeachtet der Bezeich-
nung als Selbstheilungsmethode würden die Kläger tätig, indem sie die Patien-
ten während der Therapie anleiteten, um den behaupteten Selbstorganisations-
prozess in Gang zu setzen. Von der Methode gingen unmittelbare Gefahren
aus. Nach den vorliegenden fachwissenschaftlichen Stellungnahmen sei davon
auszugehen, dass jedenfalls bei bestimmten psychischen Erkrankungen Kont-
raindikationen bestünden. Dabei gehe es nicht um eine bloß theoretische oder
geringfügige Gefahr; denn die Kläger wendeten sich gerade auch an Personen
mit psychischen Problemen. Dass es nach ihren Angaben trotz jahrelanger An-
wendung der Methode bislang nicht zu Schäden gekommen sei, schließe eine
unmittelbare Gefahr nicht aus. Die Behauptung sei objektiv nicht nachprüfbar
und im Übrigen auch deshalb zweifelhaft, weil die Therapeuten mangels medi-
zinischer Kenntnisse nicht in der Lage seien, die Folgen ihrer Tätigkeit zu er-
kennen. Die Behandlung sei ferner mittelbar gefährlich, weil sie diejenigen, die
daran glaubten, von einem möglicherweise notwendigen Arztbesuch abhalten
könne. Die Kläger verträten die Auffassung, dass eine wahre Heilung nicht
durch schulmedizinische Behandlung erfolgen könne, sondern durch die von
ihnen propagierte Hintergrundauflösung. Zwar behaupteten die Kläger, auf eine
Zusammenarbeit mit allen Ärzten hinzuwirken; auch enthielten die Patienten-
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informationsblätter Hinweise auf die Notwendigkeit, gegebenenfalls ärztliche
Hilfe in Anspruch zu nehmen. Darin liege jedoch nur der Versuch, sich von ei-
ner heilkundlichen Tätigkeit abzugrenzen, ohne den Anspruch aufzugeben,
Krankheiten besser als die Schulmedizin heilen zu können. Das Verbot sei ein
verhältnismäßiges Mittel zum Schutz der Bevölkerung. Durch die Heilpraktiker-
prüfung könne sichergestellt werden, dass die Kläger keinen Fehlvorstellungen
im medizinischen Bereich erlägen. Das Verbot sei schließlich ermessensfehler-
frei ergangen.
Mit ihren Revisionen rügen die Kläger, das Berufungsgericht habe einen unzu-
treffenden Beurteilungszeitpunkt zugrunde gelegt, indem es auf die letzte Be-
hördenentscheidung abgestellt habe. Wegen der Ausstrahlungswirkung des
Art. 12 GG hätte es die Entwicklung bis zur mündlichen Verhandlung berück-
sichtigen müssen. Dass für gewerberechtliche Untersagungen mittlerweile an-
deres gelte, beruhe allein auf dem Umstand, dass dort ein Wiedererteilungsver-
fahren eingeführt worden sei, in dem nachträgliche Umstände Berücksichtigung
fänden. Das Berufungsgericht hätte deshalb einbeziehen müssen, dass sich die
„neue“ Synergie-Therapie nicht mehr der Behandlung kranker Menschen widme
und deshalb keine Gefahr für die Volksgesundheit bedeute. Im Übrigen sei
auch die Annahme unzutreffend, dass zum Zeitpunkt der Verbotsverfügung kei-
ne Unterschiede bestanden hätten. Bereits der Bescheid habe zwischen der
Synergetik-Therapie und dem Profiling differenziert. Das Berufungsgericht habe
einen anderen Sachverhalt als die Behörde zugrunde gelegt; das führe zu einer
unzulässigen Wesensänderung des Bescheids und zu einer Verletzung des
Bestimmtheitsgebots aus § 37 Abs. 1 VwVfG. Die Klägerin macht ergänzend
geltend, nur die Synergetik-Therapie anzuwenden, die auch gesunden Men-
schen nutzen könne. Zur Frage der unmittelbaren Gefahr habe das Berufungs-
gericht in beiden Verfahren den Sachverhalt unzureichend aufgeklärt. Es hätte
klären müssen, ob die synergetische Behandlung mit ähnlich invasiven oder
suggestiven Techniken arbeite wie die medizinische Hypnose oder das ka-
tathyme Bilderleben. Dazu sei in den Vorinstanzen umfangreich vorgetragen, es
seien Privatgutachten vorgelegt und die Einholung weiterer Sachverständigen-
gutachten gefordert worden. Indem das Berufungsgericht die Ausführungen der
Gutachter nicht berücksichtigt und ohne Einholung eines weiteren Sachver-
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ständigengutachtens entschieden habe, verstoße es gegen § 86 VwGO. Auch
bei der Annahme mittelbarer Gefahren habe es seine Sachaufklärungspflicht
verletzt. Ohne Parteivernehmung hätte nicht auf ihre mangelnde Bereitschaft
geschlossen werden dürfen, zur Einholung schulmedizinischer Behandlung zu
raten. Das Berufungsgericht habe zugleich gegen Art. 103 Abs. 1 GG versto-
ßen. Ohne einen gerichtlichen Hinweis hätten sie nicht damit rechnen müssen,
dass das Gericht die Gefährlichkeit der synergetischen Behandlungsmethode,
mithin eine Fachfrage, ohne Einholung einer sachverständigen Bewertung ent-
scheiden würde. Andernfalls hätten sie einen förmlichen Beweisantrag auf Ein-
holung eines Sachverständigengutachtens gestellt. Die Notwendigkeit einer
Heilpraktikererlaubnis sei zur Abwehr der angenommenen Gefahren zudem
ungeeignet. Ebenso wie in den Entscheidungen des Bundesverfassungsge-
richts zu Geist- und Wunderheilern sei auch ihre Tätigkeit durch eine ausge-
prägte Medizinferne gekennzeichnet. In einem solchen Fall werde die mittelbare
Gefahr, einen Kranken von einem erforderlichen Arztbesuch abzuhalten, nicht
etwa verringert, sondern vergrößert, wenn die Tätigkeit als staatlich genehmig-
ter und geprüfter Heilpraktiker ausgeübt werde. Schließlich sei das Verbot nicht
erforderlich. Es genüge, ihnen aufzugeben, Klienten nur nach Vorlage einer
ärztlichen Unbedenklichkeitsbescheinigung zu behandeln und die Klienten an-
zuhalten, medizinischen Rat in Anspruch zu nehmen. Ein solches Konsiliarver-
fahren sei für die psychotherapeutische Behandlung ausdrücklich vorgesehen.
Die Kläger rügen außerdem, dass die Vollmacht der Vertreterin des Beklagten
nicht bis zum Ende der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht
vorgelegen habe. Das müsse zu einer Zurückverweisung der Sache führen.
Der Beklagte verteidigt das Berufungsurteil.
II
Die Revisionen sind unbegründet. Die angegriffenen Entscheidungen verletzen
kein Bundesrecht im Sinne des § 137 Abs. 1 VwGO.
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1. Das Berufungsgericht ist mit Recht davon ausgegangen, dass die Klagen als
Anfechtungsklagen statthaft sind. Der von den Klägern geltend gemachte Um-
stand, dass die „neue“ Synergetik-Therapie nicht mehr der Behandlung von
Krankheiten diene, führt nicht dazu, dass sich der Streit um die Aufhebung der
Untersagungsverfügungen teilweise - hinsichtlich der untersagten Ausübung
der Synergetik-Therapie - in der Hauptsache erledigt hätte. Den Klägern ist
durch die angegriffenen Bescheide eine bestimmte Tätigkeit untersagt worden,
nämlich die Ausübung der Synergetik-Therapie und des Synergetik-Profilings in
der zum Zeitpunkt der Untersagung praktizierten Form. Die Rechtmäßigkeit der
Untersagung dieser konkreten Tätigkeit bildet den Streitgegenstand des verwal-
tungsgerichtlichen Verfahrens. Dass die Kläger die Untersagungsverfügungen
während des Verfahrens möglicherweise befolgen, indem sie die ihnen unter-
sagte Tätigkeit vorerst einstellen und eine andere Tätigkeit aufnehmen, lässt die
auf Dauer angelegte Rechtswirkung der Bescheide nicht entfallen. Die streitge-
genständliche Anwendung der Synergetik-Methode, die die Kläger wiederauf-
nehmen könnten, bleibt ihnen weiterhin untersagt. Aus dem gleichen Grund ist
eine Erledigung nicht durch die Schließung des Informationscenters in G. und
die Entfernung des dortigen Praxisschildes eingetreten.
2. Das Berufungsgericht hat ohne Verstoß gegen Bundesrecht angenommen,
dass die Untersagungsbescheide des Beklagten in Gestalt der Widerspruchs-
bescheide der Bezirksregierung rechtmäßig sind und die Kläger nicht in ihren
Rechten verletzen.
Die Bescheide stützen sich auf die gefahrenabwehrrechtliche Generalklausel
des § 11 des Niedersächsischen Sicherheits- und Ordnungsgesetzes. Danach
können die Verwaltungsbehörden und die Polizei die notwendigen Maßnahmen
treffen, um eine Gefahr abzuwehren, soweit nicht weitere Vorschriften die Be-
fugnisse der Verwaltungsbehörden und der Polizei besonders regeln. Das Beru-
fungsgericht hat die Voraussetzungen dieser Ermächtigungsnorm bejaht. Die
Auslegung und Anwendung irrevisiblen Landesrechts ist grundsätzlich Sache
der Landesgerichte. Das Revisionsgericht hat nur zu überprüfen, ob bei der
Anwendung und Auslegung des Landesrechts das höherrangige Bundesrecht
beachtet worden ist. Der revisionsgerichtlichen Überprüfung unterliegt ferner
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eine bundesrechtliche Frage, die für die nach irrevisiblem Recht zu treffende
Entscheidung vorgreiflich ist.
a) Hinsichtlich des Prüfungsgegenstandes hat das Berufungsgericht angenom-
men, dass die von den Klägern angeführte „neue“ Synergetik-Methode, die
nicht mehr der Behandlung von Krankheiten diene, für die Rechtmäßigkeit der
angegriffenen Bescheide nicht entscheidungserheblich sei. Dagegen ist auch
im Lichte des Grundrechts der Kläger aus Art. 12 Abs. 1 GG nichts zu erinnern.
Es ist zwar richtig, dass ein effektiver Schutz der Berufsfreiheit gebieten kann,
im gerichtlichen Verfahren auch nachträglich eingetretene Umstände in Rech-
nung zu stellen, die zur Rechtswidrigkeit einer ursprünglich rechtmäßigen Un-
tersagungsverfügung führen, soweit deren Berücksichtigung nicht einem ge-
sonderten Wiedererteilungsverfahren vorbehalten ist. Das kann die tatsächli-
chen Voraussetzungen für die Ausübung einer bestimmten Tätigkeit betreffen,
etwa die zwischenzeitliche Wiedererlangung einer zunächst entfallenen persön-
lichen Eignung oder Zuverlässigkeit, oder die rechtlichen Voraussetzungen,
etwa den zwischenzeitlichen Wegfall einer ursprünglich vorhandenen Rechts-
grundlage für die Untersagung infolge einer Gesetzesänderung (s. dazu das
von den Klägern angeführte Urteil vom 5. August 1965 - BVerwG 1 C 69.62 -
BVerwGE 22, 16). Um derartige Aspekte geht es hier jedoch nicht. Mit dem
Einwand, die „neue“ Synergetik-Therapie diene nicht mehr der Krankenbehand-
lung, machen die Kläger keine nachträglichen Umstände geltend, die die Beur-
teilung der ihnen durch die angegriffenen Bescheide untersagten Tätigkeit än-
dern könnten, sondern behaupten lediglich, statt der untersagten nunmehr eine
andere Tätigkeit auszuüben. Das berührt nicht die hier zu entscheidende Frage,
ob die den Klägern konkret untersagte Tätigkeit (weiterhin) eine unerlaubte
Ausübung der Heilkunde darstellt.
Im Übrigen ergäbe sich selbst bei Mitberücksichtigung der von den Klägern gel-
tend gemachten nachträglichen Umstände keine andere Bewertung. Ausweis-
lich der zu den Akten gereichten Unterlagen über die vielfältigen Internetdarstel-
lungen des Synergetik-Instituts und der Berufsverbände wird auch die Synerge-
tik-Therapie weiterhin als therapeutische Maßnahme bei körperlichen oder see-
lischen Beeinträchtigungen dargestellt und keine klare Abgrenzung der ver-
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meintlich unterschiedlichen Berufsbilder vorgenommen. Eine solche Abgren-
zung wäre den Klägern in der Praxis auch gar nicht möglich, da sie nicht in der
Lage sind, zwischen gesunden und kranken Klienten zu unterscheiden.
b) Die den Klägern untersagte Tätigkeit ist eine erlaubnispflichtige Ausübung
der Heilkunde im Sinne des Heilpraktikergesetzes - HeilprG - vom 17. Februar
1939 (RGBl I S. 251, BGBl III 2122-2), zuletzt geändert durch Artikel 15 des Ge-
setzes vom 23. Oktober 2001 (BGBl I S. 2702).
Ausübung der Heilkunde nach § 1 Abs. 2 HeilprG ist jede berufs- oder ge-
werbsmäßig vorgenommene Tätigkeit zur Feststellung, Heilung oder Linderung
von Krankheiten, Leiden oder Körperschäden bei Menschen. Wegen der mit
dem Erlaubniszwang verbundenen Beschränkung der Berufsfreiheit des Art. 12
Abs. 1 GG fallen darunter nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesver-
waltungsgerichts nur solche Heilbehandlungen, die nach allgemeiner Auffas-
sung ärztliche Fachkenntnisse erfordern und gesundheitliche Schäden verursa-
chen können. Ärztliche Fachkenntnisse können erforderlich sein im Hinblick auf
das Ziel, die Art oder die Methode der Tätigkeit oder auch schon im Hinblick auf
die Feststellung, ob im Einzelfall mit der Behandlung begonnen werden darf,
ohne dass der Patient durch die Verrichtung selbst unmittelbar Schaden nimmt.
Auch Tätigkeiten, die für sich gesehen ärztliche Fachkenntnisse nicht voraus-
setzen, fallen unter die Erlaubnispflicht, wenn sie nennenswerte Gesundheits-
gefährdungen zur Folge haben können. Dazu zählen auch mittelbare Gefähr-
dungen, wenn durch die Behandlung ein frühzeitiges Erkennen ernster Leiden
verzögert wird und die Wahrscheinlichkeit einer solchen Gefährdung nicht nur
geringfügig ist. Eine solche Gefahr besteht dann, wenn die in Rede stehende
Heilbehandlung als eine die ärztliche Berufsausübung ersetzende Tätigkeit er-
scheint (vgl. zu alledem Urteile vom 20. Januar 1966 - BVerwG 1 C 73.64 -
BVerwGE 23, 140 <146 ff.>, vom 25. Juni 1970 - BVerwG 1 C 53.66 -
BVerwGE 35, 308 <311> und vom 11. November 1993 - BVerwG 3 C 45.91 -
BVerwGE 94, 269 <274>; Beschluss vom 25. Juni 2007 - BVerwG 3 B 82.06 -
Buchholz 418.04 Heilpraktiker Nr. 23 Rn. 4; Urteil vom 26. August 2009
- BVerwG 3 C 19.08 - BVerwGE 134, 345 <346>; Beschluss vom 28. Oktober
2009 - BVerwG 3 B 39.09 - juris Rn. 3). Je weiter sich dabei das Erscheinungs-
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bild des Heilers von der medizinischen Behandlung entfernt, desto geringer wird
das Gefährdungspotential im Hinblick auf mittelbare Gefahren. Wenn Tätigkei-
ten nicht mehr den Eindruck erwecken, Ersatz für eine medizinische Behand-
lung sein zu können, weil sie nur auf eine spirituelle Wirkung angelegt sind, un-
terfallen sie nicht mehr dem Erlaubniszwang des Heilpraktikergesetzes (vgl. zu
sog. Geist- oder Wunderheilern BVerfG, Kammerbeschlüsse vom 2. März 2004
- 1 BvR 784/03 - NJW-RR 2004, 705 f. und vom 3. Juni 2004 - 2 BvR 1802/02 -
NJW 2004, 2890 f.; s. hingegen zum Heilmittelwerbeverbot auch für Geistheiler
BVerfG, Kammerbeschluss vom 20. März 2007 - 1 BvR 1226/06 - NJW-RR
2007, 1048).
aa) Das Berufungsgericht hat seiner Prüfung diese Maßstäbe zugrunde gelegt
und zutreffend angewandt. Die Synergetik-Methode, gleich ob als Therapie
oder als sog. Profiling, soll Krankheiten heilen oder lindern. Die Methode prä-
sentiert sich als etwas grundsätzlich Neues im Gesundheitswesen, als die „vier-
te Kraft“ im Gesundheitswesen neben Ärzten, Heilpraktikern und Psychothera-
peuten sowie als höchste Stufe der Heilung - auf unterster Stufe steht danach
die Schulmedizin mit einer bloßen Symptombekämpfung oder -unterdrückung.
Dem so vermittelten Eindruck einer Heiltätigkeit können die Kläger nicht mit Er-
folg entgegenhalten, sie gäben keine Heilversprechen ab. Die Präsentation der
Methode ist vielmehr genau darauf gerichtet. Das zeigt sich beispielhaft an den
Aussagen zur Behandlung von Brustkrebserkrankungen. So werden in einer
sog. Brustkrebsstudie zahlreiche Beispiele einer Behandlung durch die Syner-
getik-Therapie vorgestellt, zum Teil mit Ultraschallaufnahmen, die das Ver-
schwinden von Knoten in der Brust nach einigen Synergetik-Sitzungen belegen
sollen.
Anders als sog. Wunder- oder Geistheiler setzt die Methode der Kläger auch
nicht auf eine bloß spirituelle oder rituelle Heilung, die sich derart von dem Er-
scheinungsbild einer medizinischen Behandlung entfernt, dass sie nicht mehr
den Eindruck erwecken kann, es handele sich um einen Ersatz für medizinische
Betreuung. Vielmehr wird gerade dieser Eindruck erweckt. Das ergibt sich be-
reits aus dem äußeren Erscheinungsbild. Der Patient wird in Therapie-Sitzun-
gen behandelt, die durchaus einer psychologischen oder psychotherapeuti-
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schen Behandlung ähneln. Es ergibt sich weiter aus der in Anspruch genom-
menen naturwissenschaftlichen Grundlage der Methode. Vor allem aber stellt
sich die Methode als der Schulmedizin überlegen dar, die lediglich Symptome
bekämpfe, während die Synergetik den Krankheitshintergrund auflöse. In den
Eigendarstellungen wird die Methode der Behandlung durch Ärzte, Heilpraktiker
und Psychotherapeuten als Alternative gegenübergestellt („Heilung versus
Selbstheilung“). Auch dies zeigt sich exemplarisch an den Aussagen über die
Behandlung von Brustkrebserkrankungen. In den Broschüren wird die Wirksam-
keit der schulmedizinischen Behandlung angezweifelt und als lebensgefährlich
bezeichnet. Zudem wird die Ansicht vertreten, dass durch die vom Arzt gestellte
Diagnose ein Schock ausgelöst werde, der häufig zusätzlich Lungenkrebs er-
zeuge. Dagegen setzen die Kläger ihre Methode der wahren Heilung, die auf
der vermeintlichen Erkenntnis basiert, dass Krebs in der linken Brust in der Re-
gel auf einem Versorgungskonflikt beruhe, in der rechten Brust hingegen auf
einem Partnerschaftskonflikt, die jeweils durch die Synergetik-Therapie aufge-
löst werden könnten.
Die Kläger können nicht mit Erfolg geltend machen, die Patienten heilten sich
bei ihrer Reise in die Innenwelt selbst. Die Betonung der Selbstheilung, mit der
die Kläger den Patienten die Verantwortung für Erfolg oder Misserfolg der The-
rapie zuweisen, kann nicht verdecken, dass die Methode ohne den Therapeu-
ten nicht durchgeführt werden kann. Dessen Tätigkeit wird unter anderem in
den vorgelegten Arbeitsanweisungen für Synergetik-Therapeuten im Einzelnen
beschrieben. Der Kläger bietet zudem zahlreiche Kurse an, die gerade zur Aus-
übung dieser Tätigkeit befähigen sollen.
Da die Eigendarstellungen der Kläger auch die Synergetik-Therapie als Metho-
de zur Behandlung von Krankheiten präsentiert haben, war für das Berufungs-
gericht eine ergebnisrelevante Unterscheidung zwischen der Therapie und dem
sog. Profiling nicht veranlasst. Es hat wie der Beklagte beide „Therapie-For-
men“ in den Blick genommen und beide für eine erlaubnispflichtige Ausübung
der Heilkunde gehalten. Eine „Wesensänderung“ (gemeint ist offenbar eine ei-
genmächtige Änderung der in Rede stehenden Berufsbilder) oder ein von den
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Klägern wohl in diesem Zusammenhang gesehener Verstoß gegen den Be-
stimmtheitsgrundsatz liegt darin nicht.
bb) Die Einordnung der Synergetik-Methode als erlaubnispflichtige Heiltätigkeit
hängt somit von der Einschätzung der mit dieser Tätigkeit verbundenen Risiken
ab. Dies betrifft die Ebene der Tatsachenfeststellung, die nach § 137 Abs. 2
VwGO den Tatsachengerichten vorbehalten ist. Das Berufungsgericht hat so-
wohl eine unmittelbare als auch eine mittelbare Gesundheitsgefährdung bejaht.
Die dagegen erhobenen Verfahrensrügen greifen nicht durch.
Das Berufungsgericht hat seine Pflicht zur Sachverhaltsaufklärung nach § 86
VwGO nicht dadurch verletzt, dass es zur Beurteilung der unmittelbaren Ge-
sundheitsgefährdungen keinen (weiteren) Sachverständigen herangezogen hat.
Mit dieser Rüge können die Kläger schon deshalb nicht durchdringen, weil sie
einen förmlichen Beweisantrag in der Vorinstanz nicht gestellt haben. Ihr Ein-
wand, durch einen unterbliebenen Hinweis des Gerichts darauf, dass es auf der
Grundlage des bisherigen Prozessstoffes entscheiden wolle, von einem solchen
Antrag abgehalten worden zu sein, ist unbegründet. Das Gericht muss nur auf
solche Umstände hinweisen, mit denen auch ein erfahrener Prozessvertreter
nicht zu rechnen braucht. Solche Umstände lagen hier nicht vor. Die Frage der
Gesundheitsgefährdung hatte im Verfahren breiten Raum eingenommen; von
den Beteiligten waren zudem schon verschiedene fachkundliche Stellungnah-
men vorgelegt worden. Es war deshalb nicht überraschend, dass das Beru-
fungsgericht auf der Grundlage dieses Prozessstoffes eine Sachentscheidung
treffen würde. Überdies ist die Frage der unmittelbaren und mittelbaren Gefähr-
dung ausweislich der Niederschrift der mündlichen Verhandlung vor dem Beru-
fungsgericht mit den Beteiligten noch einmal näher erörtert worden. Aus dem
Umstand, dass das Gericht nach dieser Erörterung die Anträge entgegenge-
nommen und abschließend nur noch die Höhe des Streitwertes angesprochen
hat, mussten die Kläger bzw. ihr Prozessbevollmächtigter notwendig folgern,
dass es nicht die Absicht hat, von Amts wegen weitere Beweise zu erheben.
Die Notwendigkeit der Einholung eines Sachverständigengutachtens brauchte
sich dem Berufungsgericht auch nicht aufzudrängen. Es ist insbesondere nicht
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so, dass das Gericht eine Fachfrage selbst beantwortet hat, ohne über die dazu
nötige Sachkenntnis zu verfügen. Es hat sich vielmehr auf die bereits vorlie-
genden sachverständigen Einschätzungen von Prof. Dr. R. und des Psycholo-
gischen Sachverständigen der Gutachterstelle Nordrhein, Dr. A., gestützt, sich
mit den weiteren von den Klägern vorgelegten Stellungnahmen von Prof. Dr. H.
und Prof. Dr. R. auseinandergesetzt und die vom Beklagten vorgelegten fach-
wissenschaftlichen Informationen sowie die seiner Einschätzung nach überzeu-
genden amtsärztlichen Erwägungen einbezogen. Auf dieser Grundlage ist es zu
der Feststellung gelangt, dass die Synergetik-Therapie jedenfalls bei psychi-
schen Erkrankungen wie Psychosen und Borderline-Erkrankungen kontraindi-
ziert ist und deshalb ihre Anwendung eingedenk der Angabe des Klägers, dass
26 % der Patienten psychisch krank sind, ein nicht unerhebliches Gefahren-
moment darstellt. Die Einholung eines Sachverständigengutachtens hätte sich
nur dann aufgedrängt, wenn sich aus den bereits vorliegenden fachlichen Ein-
schätzungen kein plausibles Bild ergeben hätte. Es erscheint indes schon aus
der Laiensphäre plausibel, dass das bei der Synergetik-Therapie beabsichtigte
„Aufräumen in der Innenwelt“ durch die Konfrontation mit unverarbeiteten Er-
lebnissen und Konflikten angesichts der hervorgerufenen emotionalen Reaktio-
nen („weinen, schreien, spüren, draufhauen“) für Menschen mit bestimmten
psychischen Erkrankungen abträglich oder gefährlich sein kann.
Die Kläger meinen demgegenüber, ein Sachverständigengutachten hätte sich
deshalb aufdrängen müssen, weil die Frage ungeklärt geblieben sei, ob die Pa-
tienten bei der Synergetik-Therapie ebenso wie bei bestimmten Psychothera-
pieverfahren in eine Art Hypnose versetzt würden. Diese Frage war für das Be-
rufungsgericht indes nicht entscheidungserheblich. Es hat unabhängig von der
„richtigen“ Beschreibung des Zustandes der Patienten zwischen Tiefenent-
spannung und Hypnose oder Trance maßgeblich darauf abgestellt, dass die
Behandlung bei bestimmten psychischen Erkrankungen kontraindiziert ist.
Die von den Klägern erhobene Gehörsrüge greift ebenfalls nicht durch. Das
Berufungsgericht hat ihren Sachvortrag und die von ihnen vorgelegten Unterla-
gen nicht übergangen, sondern lediglich in einem Sinne gewertet, den sie für
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unzutreffend halten. Damit lässt sich eine Verletzung rechtlichen Gehörs nicht
begründen.
cc) Die unmittelbaren Gefahren begründen die Einordnung der Heiltätigkeit als
erlaubnispflichtige Ausübung der Heilkunde, ohne dass es noch darauf ankäme,
ob von der Tätigkeit auch nennenswerte mittelbare Gesundheitsgefährdungen
ausgehen. Auch diese Gefahren hat das Berufungsgericht indes mit Recht be-
jaht. Nach der Eigendarstellung versteht sich die Synergetik-Therapie als eine
Alternative zur üblichen Schulmedizin, welche unfähig zu einer wahren Heilung
von Krankheiten sei. Patienten, die sich bereits in ärztlicher Behandlung befin-
den, wird der Rat erteilt, den Arzt zu wechseln, wenn dieser den Aspekt der
Selbstheilung nicht nachvollziehen könne („denn Sie bekommen ja auch nicht
beim Metzger kompetente Antworten auf die Frage nach vegetarischer Ernäh-
rung“). Die Kläger stellen demgegenüber in Aussicht, mit der Synergetik-
Therapie praktisch jede Art von Erkrankungen körperlicher oder seelischer Art
bis hin zu Selbstmordgefährdung im Wege der aktiven Selbstheilung behandeln
zu können. Daraus ergeben sich gerade für Patienten, die an ernsthaften
Krankheiten leiden, mittelbare Gefahren, weil sie veranlasst werden könnten,
allein auf die Wirksamkeit der von den Klägern propagierten Methode zu ver-
trauen, anstatt sich in ärztliche Behandlung zu begeben.
Diese Gefahr wird nicht dadurch beseitigt, dass die Kläger die Patienten in ei-
nem Informationsblatt darüber informieren, dass sie über keine medizinische
Qualifikation verfügten, keine Diagnosen oder Therapien im medizinischen Sin-
ne durchführten und keine Heilkunde ausübten, und auch nicht dadurch, dass
ähnliche Aussagen in die sog. Ethik-Richtlinien des Berufsverbandes aufge-
nommen wurden. Diese Formulierungen dienen ersichtlich nur dem Versuch
einer formalen Abgrenzung von einer erlaubnispflichtigen Ausübung der Heil-
kunde im Sinne des Heilpraktikergesetzes. Sie erwecken auf den Patienten,
soweit er sie überhaupt zur Kenntnis nimmt, eher den Eindruck eines typischen
Absicherungsvermerks „im Kleingedruckten“. Dem entspricht der weitere Hin-
weis in dem Informationsblatt, dass der Klient - und gerade nicht der Thera-
peut - die alleinige Verantwortung für die Entscheidung zu tragen habe, ob me-
dizinische Versorgung in Anspruch genommen werde. Für den Patienten ent-
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halten die Hinweise darauf, dass die Synergetik-Therapie keine schulmedizini-
sche Behandlung sei, zudem keine weiterführenden Informationen, sondern
wiederholen nur, was sich aus der Eigendarstelllung der Synergetik-Therapie
ohnehin ergibt. Der die mittelbare Gefahr begründende Anspruch, der schulme-
dizinischen Behandlung überlegen zu sein und sie ersetzen zu können, wird
dadurch nicht aufgegeben. All das hat das Berufungsgericht auf der Grundlage
seiner tatsächlichen Feststellungen zutreffend erkannt.
Die Rüge der Kläger, die Annahme einer mittelbaren Gefahr durch das Beru-
fungsgericht leide an einer mangelnden Sachverhaltsaufklärung, weil keine Par-
teivernehmung zu ihrer inneren Bereitschaft durchgeführt worden sei, ihren Kli-
enten die Einholung schulmedizinischer Beratung nahezulegen, geht fehl. We-
der haben die Kläger solches beantragt noch musste es sich dem Berufungsge-
richt aufdrängen. Ob nennenswerte mittelbare Gesundheitsgefährdungen anzu-
nehmen sind, kann nur auf Grund einer generalisierenden und typisierenden
Betrachtung der in Rede stehenden Tätigkeit beurteilt werden. Maßgebliche Be-
deutung haben in diesem Zusammenhang vor allem die Krankheiten, die
behandelt werden sollen, und die Erwartungen der Patienten, die sich an die
Behandlung knüpfen (Urteil vom 11. November 1993 a.a.O. S. 275). Es kommt
deshalb nicht auf eine innere Bereitschaft der Kläger und auch nicht auf ihre
Bekundungen im Verfahren an, sondern auf den äußeren Eindruck, der sich
aus der Eigendarstellung der Therapie-Methode für die angesprochenen Per-
sonenkreise ergibt.
dd) Die Einordnung der Tätigkeit als erlaubnispflichtige Ausübung der Heilkun-
de stellt keinen unverhältnismäßigen Eingriff in die Berufsfreiheit aus Art. 12
Abs. 1 GG dar. Das Ziel des Gesetzes, die Gesundheit der Bevölkerung durch
einen Erlaubniszwang für Heilbehandler ohne Bestallung zu schützen, ist durch
Art. 12 Abs. 1 GG gedeckt. Die Gesundheit der Bevölkerung ist ein besonders
wichtiges Gemeinschaftsgut, zu dessen Schutz eine solche subjektive Berufs-
zulassungsschranke nicht außer Verhältnis steht (BVerfG, Beschluss vom
10. Mai 1988 - 1 BvR 482/84 und 1166/85 - BVerfGE 78, 179 <192>). Der Er-
laubnisvorbehalt ist auch im Falle der von den Klägern ausgeübten Tätigkeit
geeignet, die festgestellten Gefahren zu verringern. Anders als bei Geist- oder
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Wunderheilern gehen von der Synergetik-Therapie unmittelbare Gefahren aus,
die die Kläger erkennen bzw. vermeiden müssen. Da die Therapieform außer-
dem nicht bloß den Eindruck einer außerhalb der Heilkunde stehenden eher
spirituellen Methode erweckt, sondern sich als wissenschaftlich begründete Al-
ternative zur Schulmedizin versteht, lässt sich die Erwägung des Bundesverfas-
sungsgerichts nicht übertragen, wonach eine Heilpraktikererlaubnis eher die
Erwartung verstärke, sich in sachkundige Hände zu begeben, und deshalb für
medizinferne Tätigkeiten zur Gefahrenabwehr ungeeignet sei.
Ein gleich geeignetes milderes Mittel ist nicht ersichtlich. Die Verpflichtung, sich
zu Beginn einer Behandlung eine ärztliche Unbedenklichkeitsbescheinigung
vorlegen zu lassen und jeden Patienten anzuhalten, ärztlichen Rat in Anspruch
zu nehmen, ist kein gleich geeignetes Mittel. Die Kläger müssen, wenn sie
Krankheiten behandeln wollen, selbst einschätzen können, ob ihre Methode
gefahrlos angewandt werden kann oder ob die Grenzen ihrer Fähigkeiten über-
schritten sind und ein Arzt eingeschaltet werden muss. Das gilt für die Aufnah-
me einer Behandlung wie für deren Fortsetzung. Nicht nur zu Beginn einer The-
rapie, sondern auch im Verlauf der Behandlung können sich Komplikationen
ergeben, die die Kläger erkennen und auf die sie gegebenenfalls reagieren
müssen. Die dafür erforderlichen Grundkenntnisse und die nötige charakterliche
Zuverlässigkeit werden durch die Überprüfung vor Erteilung der Heilpraktikerer-
laubnis sichergestellt. Der Hinweis der Kläger auf das Konsiliarverfahren im
Rahmen der psychotherapeutischen Behandlung liegt neben der Sache. Anders
als ein für sein Fachgebiet ausgebildeter und approbierter Psychotherapeut
sind die Kläger auf keinem Gebiet medizinisch ausgebildet, nehmen aber für
sich in Anspruch, praktisch alle körperlichen und seelischen Krankheiten be-
handeln zu können. Für ein „Konsiliarverfahren“ ist unter diesen Umständen
von vornherein kein Raum. Letztlich läuft auch dieser Ansatz der Kläger ledig-
lich darauf hinaus, die Verantwortung für ihr Tun anderen zuzuweisen.
3. Die Sache ist nicht an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Die Rüge,
der Beklagte sei in den Berufungsverfahren nicht vorschriftsmäßig vertreten
gewesen, weil bis zum Erlass der Urteile keine Prozessvollmacht der Behör-
denvertreterin vorgelegt worden sei, bezeichnet keinen Verfahrensmangel. Las-
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sen sich juristische Personen des öffentlichen Rechts durch eigene Beschäftig-
te mit Befähigung zum Richteramt vertreten (§ 67 Abs. 4 Satz 4 VwGO), bedarf
es nicht der Vorlage einer Prozessvollmacht; diese Vertreter sind keine Pro-
zessbevollmächtigten (Beschlüsse vom 16. März 1993 - BVerwG 4 B 253.92 -
Buchholz 310 § 67 VwGO Nr. 80 und vom 26. März 1993 - BVerwG 4 NB
45.92 - Buchholz 406.11 § 1 BauGB Nr. 63; Schmidt in: Eyermann, VwGO,
13. Aufl. 2010, § 67 Rn. 14). Eine fehlende Terminsvollmacht führt allenfalls
dazu, dass der Beklagte so zu behandeln ist, als wenn er die mündliche Ver-
handlung nicht wahrgenommen hätte. Das hindert das Gericht indes nicht an
einer Sachentscheidung (§ 102 Abs. 2 VwGO).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 159 Satz 1 VwGO.
Kley
Liebler
Prof. Dr. Dr. h.c. Rennert
Buchheister
Dr. Wysk
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Sachgebiet:
BVerwGE:
nein
Recht der Heilberufe
Fachpresse: ja
Rechtsquellen:
GG
Art. 12 Abs. 1
HeilprG § 1 Abs. 2
Stichworte:
Synergetik-Therapie; Synergetik-Profiling; Ausübung der Heilkunde; Erlaubnis-
pflicht; Heilpraktiker; Heilpraktikererlaubnis; Untersagung; Gefahr für die öffent-
liche Sicherheit; nachträgliche Umstände; Heilbehandlung; Geist- und Wunder-
heiler; ärztliche Fachkenntnisse; unmittelbare Gefährdung der Gesundheit; mit-
telbare Gefährdung; Verhältnismäßigkeit.
Leitsatz:
Die Behandlung nach der Synergetik-Methode ist eine erlaubnispflichtige Aus-
übung der Heilkunde im Sinne des Heilpraktikergesetzes.
Urteil des 3. Senats vom 26. August 2010 - BVerwG 3 C 28.09
I. VG Braunschweig vom 23.11.2006 - Az.: VG 5 A 133/04 und 5 A 102/04 -
II. OVG Lüneburg
vom 18.06.2009 - Az.: OVG 8 LC 9/07 und 8 LC 6/07 -