Urteil des BVerwG vom 20.11.2014

Arzneimittel, Zigarette, Klage auf Unterlassung, Eugh

BVerwGE: nein
Fachpresse: ja
Sachgebiet:
Gesundheitsverwaltungsrecht einschl. des Rechts der Heil- und
Heilhilfsberufe und des Krankenhausfinanzierungsrechts sowie
des Seuchenrechts
Rechtsquelle/n:
GG Art. 12 Abs. 1
AMG § 2 Abs. 1
MPG § 2 Abs. 3
Stichworte:
Arzneimittel; Präsentationsarzneimittel; Funktionsarzneimittel;
Arzneimitteleigenschaft; elektronische Zigarette; E-Zigarette; Liquids;
nikotinhaltige Liquids; Nikotin; Verdampfen; Inhalieren; Rauchen; Tabakzigarette;
Genussmittel; pharmakologische Wirkung; therapeutische Eignung;
therapeutische Zweckbestimmung; therapeutischer Nutzen; Rauchentwöhnung;
Nikotinsucht; Erzeugnisse zur Heilung, Linderung oder Verhütung von
Krankheiten; Gesamtbetrachtung; Nikotinersatzpräparate; Medizinprodukt;
staatliches Informationshandeln; Aufgabe der Staatsleitung; öffentliche Warnung;
öffentliche Äußerungen; Äußern einer Rechtsansicht; funktionales Äquivalent;
Grundrechtseingriff; eingriffsgleiche Wirkung; verbotsähnliche Wirkung;
eingriffsgleiche Maßnahme; Berufsausübungsfreiheit; unternehmerische
Betätigung; Marktteilnehmer; Presseinformation; Pressemitteilung; mediale
Berichterstattung; Erlass; verwaltungsinternes Handeln; öffentlich-rechtlicher
Unterlassungsanspruch; Unterlassungsklage.
Leitsatz/-sätze:
1. Die öffentliche Warnung eines Gesundheitsministeriums vor dem Handel und
Verkauf von E-Zigaretten und nikotinhaltigen Liquids unter Hinweis darauf, die
Produkte unterfielen den arzneimittel- und medizinprodukterechtlichen
Vorschriften, greift wegen ihrer verbotsähnlichen Wirkung in die
unternehmerische Betätigungsfreiheit der Produkthersteller ein und bedarf daher
gemäß Art. 12 Abs. 1 GG einer gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage.
2. Die Aufgabe der Staatsleitung und die aus ihr abgeleitete Befugnis zu
staatlichem Informationshandeln genügen in diesem Fall nicht als Ermächtigung.
3. Nikotinhaltige Liquids, die zum Verdampfen in E-Zigaretten bestimmt sind und
die nicht als Mittel zur Heilung, Linderung oder Verhütung von Krankheiten
bezeichnet oder vermarktet werden, sind keine Arzneimittel im Sinne von § 2
Abs. 1 AMG (wie Urteile vom selben Tag in den Parallelverfahren BVerwG 3 C
25.13 und BVerwG 3 C 26.13).
4. E-Zigaretten sind keine Medizinprodukte im Sinne des
Medizinproduktegesetzes (wie Urteil vom selben Tag in dem Parallelverfahren
BVerwG 3 C 26.13).
Urteil des 3. Senats vom 20. November 2014 - BVerwG 3 C 27.13
I. VG Düsseldorf vom 10. Oktober 2012
Az: VG 16 K 3792/12
II. OVG Münster vom 17. September 2013
Az: OVG 13 A 2541/12
BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
BVerwG 3 C 27.13
OVG 13 A 2541/12
Verkündet
am 20. November 2014
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 20. November 2014
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Kley und
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Liebler, Dr. Wysk,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Kuhlmann und
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Rothfuß
für Recht erkannt:
Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Ober-
verwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen
vom 17. September 2013 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.
G r ü n d e :
I
Die Klägerin stellt elektronische Zigaretten (im Folgenden: E-Zigaretten) und mit
so genannten Liquids befüllte Filterkartuschen her. Die Flüssigkeiten bestehen
aus Propylenglykol, Glycerin, künstlichen Lebensmittelaromen und Wasser. Wie
zahlreiche andere Hersteller bietet die Klägerin die Liquids in verschiedenen
Geschmacksrichtungen mit und ohne Nikotin an. Mit der E-Zigarette lassen sich
die Liquids erhitzen („verdampfen“) und inhalieren.
Am 16. Dezember 2011 veröffentlichte das für Gesundheit zuständige Ministe-
rium des Beklagten eine Pressemitteilung unter der Überschrift „Ministerin
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Steffens warnt vor Verkauf von illegalen E-Zigaretten: Geschäftsgründungen
sind riskant - Gesundheitsschäden zu befürchten“. In der Mitteilung hieß es:
„Gesundheitsministerin Barbara Steffens hat heute … vor
dem Verkauf von elektronischen Zigaretten, die im Handel
als E-Zigaretten angeboten werden, gewarnt. ‚Der Handel
und der Verkauf von E-Zigaretten sowie von liquidhaltigen
Kartuschen, Kapseln oder Patronen für E-Zigaretten sind,
sofern die arzneimittel- und medizinprodukterechtlichen
Vorschriften nicht eingehalten werden, gesetzlich verbo-
ten. Insbesondere nikotinhaltige Liquids dürfen nur mit ei-
ner arzneimittelrechtlichen Zulassung in den Verkehr ge-
bracht werden. Bei nikotinfreien Liquids ist im Einzelfall
anhand der Inhaltsstoffe zu prüfen, ob sie den arzneimit-
telrechtlichen Vorschriften unterliegen. Wer gegen die ge-
nannten Vorschriften des Arzneimittelgesetzes verstößt,
setzt sich der Gefahr strafrechtlicher Ahndung aus. Eine
Information über diese geltende Rechtslage habe ich heu-
te an die Bezirksregierungen und die Kreise sowie kreis-
freien Städte in Nordrhein-Westfalen auf den Weg ge-
bracht‘, erläuterte die Ministerin. … ‚Angesichts der vielen
Fragezeichen und der rechtlichen Situation kann ich allen
Menschen nur abraten, ihre wirtschaftliche Existenz darauf
zu gründen. Viel Zeit und Geld könnten fehlinvestiert wer-
den‘, sagte die Ministerin“.
In einem an die Bezirksregierungen, Kreise und kreisfreien Städte gerichteten
Erlass vom selben Tag wies das Ministerium auf seine Rechtsauffassung zur
Einstufung der E-Zigaretten und Liquids hin. Nikotin sei eine pharmakologisch
wirksame Substanz. Nikotinhaltige Liquids unterfielen daher als Funktionsarz-
neimittel den arzneimittelrechtlichen Regelungen. Die E-Zigarette (Applikator)
unterliege den Kennzeichnungsvorschriften des Medizinproduktegesetzes. Der
Erlass wurde nachrichtlich an die Landesapothekerkammern übersandt.
Nachdem dem Beklagten mit Beschluss vom 23. April 2012 (OVG Münster
- 13 B 127/12 - NVwZ 2012, 767) untersagt worden war, die Verlautbarungen
über die rechtliche Einordnung der E-Zigarette und der Liquids zu wiederholen,
hat die Klägerin im Mai 2012 Klage auf Unterlassung der Äußerungen erhoben.
Sie hat geltend gemacht, der Inhalt der Pressemitteilung und des Erlasses sei
unrichtig. Nikotinhaltige E-Zigaretten seien keine Arzneimittel. Eine therapeuti-
sche Funktion komme ihnen nicht zu. Es handele sich vielmehr um Genussmit-
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tel. Zudem sei das Ministerium für die in Rede stehende Informationstätigkeit
unzuständig. Zu öffentlichen Warnungen vor Arzneimitteln sei allein das Bun-
desinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte berufen.
Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit Urteil vom 10. Oktober 2012 abge-
wiesen. Die Äußerungen stellten ein zulässiges Informationshandeln des Be-
klagten dar. Insbesondere verletzten sie nicht das Gebot der Richtigkeit und
Sachlichkeit. Die öffentliche Information über die arzneimittel- und medizinpro-
dukterechtliche Einstufung der E-Zigarette sei auch nicht als funktionales Äqui-
valent einer Verbotsverfügung anzusehen und unterliege daher nicht den für
einen Grundrechtseingriff geltenden Bindungen. Dasselbe gelte für den Erlass
an die nachgeordneten Behörden. Abgesehen davon sei die Rechtsauffassung
des Ministeriums nicht zu beanstanden. Nikotinhaltige Liquids erfüllten die Vo-
raussetzungen eines Funktionsarzneimittels im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 2
AMG. Die E-Zigarette als Applikator sei gemäß § 2 Abs. 3 MPG ein Medizin-
produkt.
Auf die Berufung der Klägerin hat das Oberverwaltungsgericht die erstinstanzli-
che Entscheidung geändert und der Klage stattgegeben. Zur Begründung heißt
es im Wesentlichen: Die Klägerin habe einen Anspruch auf Unterlassung der
streitigen Äußerungen, weil deren Wiederholung drohe und sie rechtswidrig in
die Berufsfreiheit der Klägerin eingriffen. Zwar stelle die verfassungsunmittelba-
re Aufgabenzuweisung der Staatsleitung grundsätzlich eine hinreichende Er-
mächtigung der Regierung zur Information der Öffentlichkeit dar. Auch liege
kein Verstoß gegen die Kompetenzordnung vor, da § 69 Abs. 4 AMG einer In-
formationstätigkeit der Länder nicht entgegenstehe. Jedoch genügten die Äuße-
rungen nicht den inhaltlichen Anforderungen an ein zulässiges staatliches In-
formationshandeln. Zum Zeitpunkt der Verlautbarung habe eine erhebliche
Rechtsunsicherheit bestanden, ob E-Zigaretten und nikotinhaltige Liquids den
Bestimmungen des Arzneimittelgesetzes und des Medizinproduktegesetzes
unterfielen. Das Ministerium hätte seine Rechtsauffassung daher als vorläufig
kennzeichnen oder als mit Unsicherheiten behaftet bezeichnen müssen. Unab-
hängig davon erwiesen sich die Äußerungen als funktionales Äquivalent einer
Verbotsregelung; denn sie beeinträchtigten den Absatz der E-Zigaretten und
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Liquids faktisch ähnlich wie eine rechtliche Verkaufsbeschränkung. Die ver-
botsähnliche Wirkung sei vom Ministerium auch bezweckt gewesen und durch
den Erlass vom 16. Dezember 2011, der über die nachgeordneten Behörden
hinaus auch den Apothekerkammern zur Kenntnis gegeben worden sei, noch
verstärkt worden. Wegen dieses Eingriffscharakters unterlägen die Äußerungen
denselben Rechtmäßigkeitsanforderungen wie ein belastender Verwaltungsakt.
Offen bleiben könne, ob für sie eine spezialgesetzliche Ermächtigungsgrundla-
ge erforderlich sei. Ihre Rechtswidrigkeit ergebe sich jedenfalls daraus, dass die
verlautbarte Rechtsauffassung unzutreffend sei. Im Regelfall seien nikotinhalti-
ge Liquids nicht als Arzneimittel einzustufen und erfüllten E-Zigaretten nicht die
Voraussetzungen eines Medizinprodukts. Etwas anderes gelte nur, wenn ihnen
von Seiten der Hersteller oder Vertreiber im Sinne eines Präsentationsarznei-
mittels nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 AMG eine Bestimmung zur Heilung oder Verhü-
tung von Krankheiten oder krankhaften Beschwerden zugeschrieben werde.
Dafür sei indes nichts ersichtlich. Die Erzeugnisse seien auch keine Funktions-
arzneimittel im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a AMG. Es könne unterstellt
werden, dass marktübliche nikotinhaltige Liquids den menschlichen Stoffwech-
sel nennenswert beeinflussten. Das allein genüge jedoch nicht, um die Arznei-
mitteleigenschaft zu bejahen. Die gebotene Gesamtbetrachtung führe zu dem
Ergebnis, dass die Liquids ihrer Funktion nach nicht als Arzneimittel, sondern
als Genussmittel anzusehen seien. E-Zigaretten mit Nikotinlösungen ähnelten
und imitierten Tabakzigaretten, die offensichtlich keine Arzneimittel seien. Auch
die Beimengung von Aromastoffen stütze die Einstufung als Genussmittel. Die
zunehmende Verbreitung der E-Zigarette sei ebenfalls kein Gesichtspunkt, der
für die Annahme eines Arzneimittels sprechen könne; denn der steigende Ab-
satz sei darauf zurückzuführen, dass das Produkt vom Verbraucher überwie-
gend als Genussmittel angesehen werde. Die Gesundheitsrisiken, die mit dem
Verdampfen nikotinhaltiger Liquids verbunden seien, erschienen nicht größer
als die Gefahren des Tabakrauchens. Im Rahmen der Gesamtschau sei zudem
zu beachten, dass Funktionsarzneimittel typischerweise der Behandlung von
Krankheiten oder unerwünschten körperlichen Zuständen und Beschwerden
dienten. Es sei daher in den Blick zu nehmen, ob die Liquids objektiv geeignet
seien, zu arzneilichen Zwecken eingesetzt zu werden, und ob ihnen die An-
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wender überwiegend eine therapeutische Zweckbestimmung beimäßen. Beides
sei nicht der Fall.
Mit der vom Oberverwaltungsgericht wegen grundsätzlicher Bedeutung zuge-
lassenen Revision begehrt der Beklagte die Wiederherstellung des erstinstanz-
lichen Urteils. Er macht im Wesentlichen geltend: Das Berufungsurteil stehe
nicht im Einklang mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung zum staatlichen
Informationshandeln. Die Grundsätze über die Richtigkeit und Sachlichkeit einer
Information könnten nicht auf die amtliche Äußerung einer Rechtsauffassung
übertragen werden. Anders als Tatsachen seien rechtliche Wertungen nicht
dem Beweis zugänglich und ließen sich daher nicht abschließend als richtig
oder falsch qualifizieren. Zutreffend sei das Verwaltungsgericht daher davon
ausgegangen, dass die Eingriffsschwelle erst überschritten werde, wenn die
Rechtsauffassung völlig abwegig oder unter keinem erdenklichen Gesichts-
punkt mehr vertretbar erscheine. Abgesehen davon überzeuge die Annahme
einer Rechtsunsicherheit nicht; denn die zahlreichen Stellungnahmen, die eine
Arzneimitteleigenschaft bejahten, blieben unerwähnt. Im Übrigen habe das
Oberverwaltungsgericht die Arzneimitteleigenschaft der nikotinhaltigen Liquids
zu Unrecht verneint. Das Vorliegen eines therapeutischen Nutzens sei für die
Einstufung als Funktionsarzneimittel nicht zwingend. Auch die Voraussetzungen
einer funktionalen Eingriffsäquivalenz seien nicht erfüllt. Die streitigen Äußerun-
gen seien in ihrer Zielsetzung und Wirkung nicht mit einer Verbotsverfügung
vergleichbar. Ein wirtschaftlicher Schaden der Klägerin sei nicht dargelegt.
Er - der Beklagte - habe auch nicht bezweckt, den Handel mit E-Zigaretten und
Liquids faktisch unmöglich zu machen. Die offenkundig missverständliche Inter-
pretation der amtlichen Äußerungen durch Teile der Medien müsse er sich nicht
zurechnen lassen. Selbst wenn die Voraussetzungen eines Eingriffs bejaht
würden, sei er gerechtfertigt, weil das Ministerium die Liquids zu Recht als Arz-
neimittel eingestuft habe.
Die Klägerin verteidigt das angegriffene Berufungsurteil. Ergänzend trägt sie
vor, dass die Äußerungen wegen ihrer eingriffsgleichen Wirkung einer gesetzli-
chen Ermächtigungsgrundlage bedürften, an der es fehle.
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Der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht ist in
Übereinstimmung mit dem Bundesministerium für Gesundheit der Auffassung,
dass der Beklagte die Marktteilnehmer nicht auf verbleibende Unsicherheiten
bei der rechtlichen Einstufung der E-Zigarette hätte hinweisen müssen. Gelang-
ten die zuständigen Überwachungsbehörden zu dem Schluss, dass nikotinhalti-
ge E-Zigaretten ohne arzneimittelrechtliche Zulassung nicht verkehrsfähig sei-
en, müssten sie ein Inverkehrbringen unverzüglich und wirksam unterbinden.
Es sei daher nicht zu beanstanden, wenn das Ministerium wegen der Vielzahl
der befürchteten Verstöße auf diesen Sachverhalt aufmerksam mache und sei-
ne rechtliche Bewertung für Hersteller und Verbraucher deutlich mache.
II
Die Revision des Beklagten ist unbegründet. Das angefochtene Urteil beruht
nicht auf einer Verletzung von Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Das
Oberverwaltungsgericht hat der Klage zu Recht stattgegeben. Der Klägerin
steht der geltend gemachte Unterlassungsanspruch zu, weil die in Rede ste-
henden Äußerungen rechtswidrig in ihr Grundrecht auf freie Berufsausübung
eingreifen.
1. Der öffentlich-rechtliche Anspruch auf Unterlassung der Wiederholung einer
amtlichen Äußerung setzt voraus, dass diese rechtswidrig in subjektive Rechte
des Betroffenen eingreift und die konkrete Gefahr ihrer Wiederholung droht.
Fehlt es - wie hier - an einer spezialgesetzlichen Grundlage, leitet sich der Un-
terlassungsanspruch aus einer grundrechtlich geschützten Position des Be-
troffenen ab. Die Grundrechte schützen vor rechtswidrigen Beeinträchtigungen
jeder Art, auch solchen durch schlichtes Verwaltungshandeln. Der Betroffene
kann daher, wenn ihm eine derartige Rechtsverletzung droht, gestützt auf das
jeweilige Grundrecht Unterlassung verlangen (BVerwG, Urteile vom 23. Mai
1989 - 7 C 2.87 - BVerwGE 82, 76 <77 f.> und vom 21. Mai 2008 - 6 C 13.07 -
BVerwGE 131, 171 Rn. 13; Beschluss vom 11. November 2010 - 7 B 54.10 -
juris Rn. 14). Diese Voraussetzungen liegen vor.
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2. Dass die Klägerin die Gefahr einer Wiederholung der beanstandeten Äuße-
rungen durch den Beklagten zu besorgen hat (vgl. BVerwG, Urteile vom
15. Dezember 2005 - 7 C 20.04 - Buchholz 11 Art. 4 GG Nr. 78 Rn. 34 und vom
25. Januar 2012 - 6 C 9.11 - BVerwGE 141, 329 Rn. 21), hat das Oberverwal-
tungsgericht ausgehend von seinen das Revisionsgericht bindenden Tatsa-
chenfeststellungen (§ 137 Abs. 2 VwGO) zutreffend angenommen.
3. Die streitigen Äußerungen verletzen die Klägerin in ihrer Berufsausübungs-
freiheit.
a) Art. 12 Abs. 1 GG schützt (u.a.) die Erwerbszwecken dienende freie unter-
nehmerische Betätigung einschließlich der Teilhabe am Wettbewerb (BVerwG,
Urteile vom 18. April 1985 - 3 C 34.84 - BVerwGE 71, 183 <189> und vom
7. Dezember 1995 - 3 C 23.94 - Buchholz 11 Art. 12 GG Nr. 240 S. 66). Zwar
haben die Wettbewerber keinen grundrechtlichen Anspruch darauf, dass die
Wettbewerbsbedingungen für sie gleich bleiben. Insbesondere gewährleistet
Art. 12 Abs. 1 GG keinen Anspruch auf eine erfolgreiche Marktteilhabe oder auf
Sicherung künftiger Erwerbsmöglichkeiten. Die Wettbewerbsposition und damit
auch die erzielbaren Erträge unterliegen vielmehr den jeweiligen Funktionsbe-
dingungen des Marktes. Entsprechend ist nicht jedes marktbezogene Informa-
tionshandeln des Staates schon als Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit zu
bewerten (vgl. BVerfG, Beschluss vom 26. Juni 2002 - 1 BvR 558,
1428/91 - BVerfGE 105, 252 <265 ff.>; Nichtannahmebeschluss vom 28. Juli
2004 - 1 BvR 2566/95 - NJW-RR 2004, 1710 <1711>; BVerwG, Urteil vom
7. Dezember 1995 - 3 C 23.94 - Buchholz 11 Art. 12 GG Nr. 240 S. 66 f.). Eine
staatliche Informationstätigkeit, die sich nachteilig auf die unternehmerische
Wettbewerbsposition auswirken und den Markterfolg des Unternehmers behin-
dern kann, stellt aber jedenfalls dann eine Beeinträchtigung des Grundrechts
aus Art. 12 Abs. 1 GG dar, wenn sie in der Zielsetzung und ihren Wirkungen
Ersatz für eine behördliche Maßnahme ist, die als Grundrechtseingriff zu quali-
fizieren wäre. Bei Vorliegen eines solchen funktionalen Äquivalents eines Ein-
griffs hängt die Rechtmäßigkeit des Informationshandelns davon ab, dass die
für Grundrechtseingriffe maßgeblichen rechtlichen Anforderungen erfüllt sind
(BVerfG, Beschlüsse vom 26. Juni 2002 - 1 BvR 558, 1428/91 - BVerfGE 105,
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252 <273> und vom 24. Mai 2005 - 1 BvR 1072/01 - BVerfGE 113, 63 <76, 78>;
Kammerbeschluss vom 31. August 2009 - 1 BvR 3275/07 - NVwZ 2009, 1486
Rn. 11).
b) Danach greifen die Äußerungen über die rechtliche Einstufung der E-Ziga-
retten und Liquids unzulässig in die unternehmerische Betätigungsfreiheit der
Klägerin ein.
aa) Die Verlautbarungen des Ministeriums stellen sich als funktionales Äquiva-
lent eines klassischen Grundrechtseingriffs mittels hoheitlicher Regelung dar.
Eine solche eingriffsgleiche Maßnahme liegt vor, wenn der Staat zielgerichtet
zu Lasten bestimmter Betroffener einen im öffentlichen Interesse erwünschten
Erfolg herbeiführen will. Der nachteilige Effekt darf nicht nur zufällig eintreten
oder unvorhersehbare Folge des staatlichen Handelns sein (BVerwG, Urteile
vom 7. Dezember 1995 - 3 C 23.94 - Buchholz 11 Art. 12 GG Nr. 240 S. 66 f.
und vom 15. Dezember 2005 - 7 C 20.04 - Buchholz 11 Art. 4 GG Nr. 78
Rn. 29 f.). Diese Voraussetzungen sind hier nach den Feststellungen des Ober-
verwaltungsgerichts erfüllt. Danach haben die streitigen Äußerungen die unter-
nehmerische Tätigkeit der Klägerin faktisch ähnlich wie eine rechtliche Ver-
kaufsbeschränkung beeinträchtigt. Der Hinweis auf die drohenden strafrechtli-
chen Konsequenzen sei in besonderem Maße geeignet gewesen, Marktteil-
nehmer vom Handel mit E-Zigaretten und nikotinhaltigen Liquids abzuhalten.
Vergleichbares gelte für die Information des Ministeriums, es habe die nachge-
ordneten Behörden über seine Rechtsauffassung unterrichtet; denn dadurch sei
den Marktteilnehmern der Eindruck vermittelt worden, es sei mit einem baldigen
ordnungsbehördlichen Einschreiten gegen den Vertrieb der E-Zigaretten und
nikotinhaltigen Liquids zu rechnen. Damit seien die Absatzmöglichkeiten der
Klägerin (und anderer Hersteller) erheblich behindert worden. Der nachteilige
Effekt für den Handel und Verkauf dieser Produkte sei von dem Ministerium
auch beabsichtigt gewesen (UA S. 21 ff.). Diese Annahmen des Berufungsge-
richts sind revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Die Bewertung der Zielset-
zung und Wirkungen der Äußerungen gehört zur Tatsachenfeststellung und
-würdigung, die für den Senat bindend ist. Durchgreifende Verfahrensrügen
hiergegen hat der Beklagte nicht erhoben (§ 137 Abs. 2 VwGO).
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Ein Rechtsfehler liegt auch nicht in der Annahme des Berufungsgerichts, durch
die mediale Berichterstattung über die Äußerungen des Ministeriums sei deren
verbotsähnlicher Effekt noch verstärkt worden. Bei der Bewertung der Wirkun-
gen, die von der Presseinformation vom 16. Dezember 2011 ausgegangen
sind, ist maßgeblich darauf abzuheben, wie die Äußerungen vom verständigen
Durchschnittspublikum aufgenommen und verstanden worden sind (objektiver
Empfängerhorizont). Dabei ist auch die Medienberichterstattung zu berücksich-
tigen, die zur Verbreitung der Äußerungen in besonderem Maße beigetragen
hat. Die Einbeziehung der Medien als Multiplikatoren war von dem Ministerium
zudem beabsichtigt; denn die Mitteilung war ausdrücklich an die Presse gerich-
tet. Soweit der Beklagte auf eine teilweise missverständliche Interpretation der
Presseinformation in den Medien verweist, hat das Berufungsgericht dem ent-
gegengesetzt, dass es sich um eine unerhebliche Abweichung gehandelt hat
und es im Übrigen an dem Beklagten liegt, den mit einer unzutreffenden Be-
richterstattung verbundenen Wirkungen seines Informationshandelns erforderli-
chenfalls entgegenzusteuern. Dagegen ist aus Sicht des Revisionsrechts nichts
zu erinnern.
Ebenso wenig ist zu beanstanden, dass das Oberverwaltungsgericht neben den
Verlautbarungen in der Pressemitteilung auch Äußerungen aus dem Erlass vom
16. Dezember 2011 Eingriffswirkung beigemessen hat. Richtig ist allerdings,
dass das Ministerium die nachgeordneten Behörden über seine Rechtsauffas-
sung zur Einstufung der E-Zigaretten und Liquids informieren durfte. Solches
Handeln gehört zum Aufgabenkreis einer obersten Aufsichtsbehörde. Die Wei-
tergabe von Informationen an nachgeordnete Stellen im Erlasswege ist auch
keine öffentliche Informationstätigkeit, sondern vielmehr eine interne Verwal-
tungsmaßnahme. Dass der Erlass nachrichtlich an die Landesapothekerkam-
mern zur Kenntnis gegeben worden ist, steht dem nicht entgegen; denn sie sind
in die öffentliche Aufgabe, eine ordnungsgemäße Arzneimittelversorgung der
Bevölkerung sicherzustellen (§ 1 AMG, § 1 Abs. 1 ApoG), nach Maßgabe der
Vorschriften des nordrhein-westfälischen Heilberufsgesetzes einbezogen. Das
Berufungsgericht durfte die in dem Erlass getroffenen Aussagen zur arzneimit-
telrechtlichen und medizinprodukterechtlichen Beurteilung der E-Zigaretten und
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Liquids aber gleichwohl berücksichtigen, weil das Ministerium hierauf in seiner
Pressemitteilung ausdrücklich Bezug genommen und den Erlass damit zum
Gegenstand seines öffentlichen Informationshandelns gemacht hat. Demzufol-
ge bezieht sich der tenorierte Unterlassungsanspruch der Klägerin, worauf der
Senat zur Klarstellung hinweist, nur auf öffentliche Äußerungen und nicht auf
Mitteilungen diesen Inhalts mit rein verwaltungsinterner Zweckbestimmung.
bb) Der Grundrechtseingriff ist nicht gerechtfertigt, weil dem Beklagten für die
Äußerungen die erforderliche gesetzliche Ermächtigungsgrundlage (Art. 12
Abs. 1 Satz 2 GG) fehlt.
Die unmittelbar durch die Landesverfassung zugewiesene Aufgabe der Staats-
leitung bietet insoweit keine hinreichende Grundlage. Erweist sich die staatliche
Informationstätigkeit - wie hier - als funktionales Äquivalent eines Eingriffs, ist
auch dafür eine besondere gesetzliche Ermächtigung erforderlich, weil andern-
falls durch die Wahl der Handlungsform die verfassungsrechtlichen Anforderun-
gen an einen Grundrechtseingriff umgangen werden könnten (BVerfG, Be-
schluss vom 26. Juni 2002 - 1 BvR 670/91 - BVerwGE 105, 279 <303>;
BVerwG, Urteil vom 15. Dezember 2005 - 7 C 20.04 - Buchholz 11 Art. 4 GG
Nr. 78 Rn. 26 f.). Angesichts dessen braucht die in diesem Zusammenhang von
den Beteiligten aufgeworfene Frage nicht beantwortet zu werden, ob für die Zu-
lässigkeit staatlichen Informationshandelns, das die Äußerung von Rechtsan-
sichten zum Gegenstand hat, auf die Vertretbarkeit der Rechtsauffassung ab-
zustellen ist und ob der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verlangt, die Marktteil-
nehmer auf die Vorläufigkeit der rechtlichen Bewertung hinzuweisen.
Die angegriffenen Äußerungen des Beklagten lassen sich auch nicht auf § 69
Abs. 1 Satz 1 des Arzneimittelgesetzes (AMG) stützen. Zwar kann die Vorschrift
dahin ausgelegt werden, dass die zuständigen Landesbehörden zur Wahrneh-
mung ihrer Überwachungsaufgaben erforderlichenfalls auch befugt sind, öffent-
liche Warnungen oder Empfehlungen auszusprechen (Kloesel/Cyran, Arznei-
mittelrecht, 3. Aufl., Stand: April 2014, § 69 AMG, Rn. 20; Delewski, in: Kügel/
Müller/Hofmann, AMG, 2012, § 69 Rn. 6: keine Beschränkung der Handlungs-
formen). Die materiellen Eingriffsvoraussetzungen liegen jedoch mangels Ver-
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stoßes gegen arzneimittelrechtliche Bestimmungen nicht vor. Das Oberverwal-
tungsgericht hat ohne Rechtsfehler angenommen, dass nikotinhaltige Liquids
im Regelfall - und so auch die von der Klägerin vertriebenen Produkte - keine
Arzneimittel im Sinne von § 2 Abs. 1 AMG sind. Ebenso scheidet § 26 Abs. 2
Satz 4 des Medizinproduktegesetzes (MPG) als Ermächtigungsgrundlage aus,
da E-Zigaretten nicht als Medizinprodukte im Sinne von § 2 Abs. 3 oder § 3
Nr. 1 bis 3 MPG einzustufen sind.
(1) Unter den Begriff des Präsentationsarzneimittels nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 AMG
und Art. 1 Nr. 2 Buchst. a der Richtlinie 2001/83/EG des Europäischen Parla-
ments und des Rates vom 6. November 2001 zur Schaffung eines Gemein-
schaftskodexes für Humanarzneimittel (ABl. Nr. L 311 S. 67) i.d.F. der Richtlinie
2012/26/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober
2012 zur Änderung der Richtlinie 2001/83/EG hinsichtlich der Pharmakovigilanz
(ABl. Nr. L 299 S. 1) fallen Stoffe oder Zubereitungen aus Stoffen, die zur An-
wendung im oder am menschlichen Körper und als Mittel mit Eigenschaften zur
Heilung oder Linderung oder zur Verhütung menschlicher Krankheiten oder
krankhafter Beschwerden bestimmt sind. Ein Erzeugnis erfüllt diese Merkmale,
wenn es entweder ausdrücklich als Mittel mit Eigenschaften zur Heilung, Linde-
rung oder Verhütung von Krankheiten bezeichnet oder empfohlen wird oder
wenn sonst bei einem durchschnittlich informierten Verbraucher auch nur
schlüssig, aber mit Gewissheit der Eindruck entsteht, dass das Produkt in An-
betracht seiner Aufmachung die betreffenden Eigenschaften haben müsse
(stRspr; z.B. BVerwG, Urteile vom 3. März 2011 - 3 C 8.10 - Buchholz 418.32
AMG Nr. 60 Rn. 12 und vom 26. Mai 2009 - 3 C 5.09 - Buchholz 418.710 LFGB
Nr. 6 Rn. 21 f.; EuGH, Urteil vom 15. November 2007 - C-319/05, Kommission
./. Bundesrepublik Deutschland - Slg. 2007, I-9811 Rn. 43 ff. m.w.N.).
Nach den bindenden Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts (§ 137
Abs. 2 VwGO) werden die von der Klägerin hergestellten Liquids und E-Ziga-
retten sowie sonstige marktübliche Erzeugnisse dieser Art nicht als Mittel prä-
sentiert, die zur Heilung, Linderung oder Verhütung von Krankheiten bestimmt
sind. Weder nach ihrer Bezeichnung und den werbenden Aussagen noch nach
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der Produktaufmachung im Übrigen nehmen die Erzeugnisse in Anspruch, Ei-
genschaften zur Behandlung der Nikotin- oder Tabaksucht aufzuweisen.
(2) Die Produkte erfüllen auch nicht die Voraussetzungen eines Funktionsarz-
neimittels nach § 2 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a AMG und Art. 1 Nr. 2 Buchst. b der
Richtlinie 2001/83/EG. Hierzu zählen alle Stoffe und Stoffzubereitungen, die im
oder am menschlichen Körper angewendet oder einem Menschen verabreicht
werden können, um die physiologischen Funktionen durch eine pharmakologi-
sche, immunologische oder metabolische Wirkung wiederherzustellen, zu korri-
gieren oder zu beeinflussen. Die Entscheidung, ob ein Erzeugnis unter diese
Definition fällt, ist von Fall zu Fall zu treffen. Dabei sind alle Merkmale des Pro-
dukts zu berücksichtigen (vgl. § 2 Abs. 3a AMG, Art. 2 Abs. 2 der Richtlinie
2001/83/EG), insbesondere seine Zusammensetzung, seine pharmakologi-
schen, immunologischen oder metabolischen Eigenschaften, die Modalitäten
seines Gebrauchs, der Umfang seiner Verbreitung, seine Bekanntheit bei den
Verbrauchern und die Risiken seiner Verwendung (stRspr des EuGH; z.B. Ur-
teile vom 3. Oktober 2013 - C-109/12, Laboratoires Lyocentre - Rn. 42 und vom
15. Januar 2009 - C-140/07, Hecht-Pharma - Slg. 2009, I-41 Rn. 32, jeweils
m.w.N.). Im Rahmen dieser Einzelfallprüfung sind die pharmakologischen, im-
munologischen oder metabolischen Eigenschaften das Kriterium, auf dessen
Grundlage ausgehend von den Wirkungsmöglichkeiten des Erzeugnisses zu
beurteilen ist, ob es zur Wiederherstellung, Korrektur oder Beeinflussung der
physiologischen Funktionen im oder am menschlichen Körper angewandt oder
einem Menschen verabreicht werden kann (EuGH, Urteil vom 3. Oktober
2013 - C-109/12, Laboratoires Lyocentre - Rn. 43). Das Produkt muss die Kör-
perfunktionen nachweisbar und in nennenswerter Weise wiederherstellen, kor-
rigieren oder beeinflussen können, wobei auf dessen bestimmungsgemäßen,
normalen Gebrauch abzustellen ist (EuGH, Urteile vom 6. September
2012 - C-308/11, Chemische Fabrik Kreussler - Rn. 35 und vom 30. April
2009 - C-27/08, BIOS Naturprodukte - Slg. 2009, I-3785 Rn. 21 ff.; BVerwG,
Urteil vom 26. Mai 2009 - 3 C 5.09 - Buchholz 418.710 LFGB Nr. 6 Rn. 13
m.w.N.).
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Nicht erfasst vom Begriff des Funktionsarzneimittels sind Stoffe oder Stoffzu-
sammensetzungen, deren Wirkungen sich auf eine schlichte Beeinflussung der
physiologischen Funktionen beschränken, ohne dass sie geeignet wären, der
Gesundheit unmittelbar oder mittelbar zuträglich zu sein (EuGH, Urteil vom
10. Juli 2014 - C-358/13 und C-181/14 - Rn. 38; BVerwG, Beschluss vom
25. Oktober 2007 - 3 C 42.06 - PharmR 2008, 254 <256>; Rennert, NVwZ
2008, 1179 <1184>). Daher können Erzeugnisse, die nicht zu therapeutischen,
sondern ausschließlich zu Entspannungs- oder Rauschzwecken konsumiert
werden und dabei gesundheitsschädlich sind, nicht als Arzneimittel im Sinne
von § 2 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a AMG, Art. 1 Nr. 2 Buchst. b der Richtlinie
2001/83/EG eingestuft werden (EuGH, Urteil vom 10. Juli 2014 - C-358/13 und
C-181/14 - Rn. 46). Schließlich genügt es nicht, dass das fragliche Erzeugnis
Eigenschaften besitzt, die der Gesundheit im Allgemeinen förderlich sind, oder
dass es einen Stoff enthält, der für therapeutische Zwecke verwendet werden
kann. Ihm muss vielmehr tatsächlich die Funktion der Heilung, Linderung oder
Verhütung von Krankheiten oder krankhaften Beschwerden zukommen (EuGH,
Urteil vom 15. November 2007 - C-319/05, Kommission ./. Bundesrepublik
Deutschland - Slg. 2007, I-9811 Rn. 64 f.). Mit anderen Worten, das Produkt
muss objektiv geeignet sein, für therapeutische Zwecke eingesetzt zu werden.
Danach sind nikotinhaltige Liquids nicht als Funktionsarzneimittel anzusehen.
Zwar ist nach den Feststellungen des Berufungsgerichts zugrundezulegen,
dass Nikotin ein Stoff ist, der pharmakologische Wirkungen entfaltet und in den
marktüblichen Liquids in einer Dosierung vorhanden ist, die bei bestimmungs-
gemäßem Gebrauch eine nennenswerte Einwirkung auf den Stoffwechsel her-
vorruft. Bei der gebotenen Gesamtschau aller Produktmerkmale ist das Ober-
verwaltungsgericht aber rechtsfehlerfrei zu dem Schluss gelangt, dass die Er-
zeugnisse nach ihrer Funktion Genussmittel sind und ihnen keine Arzneimittel-
eigenschaft zukommt. Für die Genussmitteleigenschaft spricht, dass die niko-
tinhaltige E-Zigarette eine große Ähnlichkeit mit Tabakzigaretten aufweist. Das
ergibt sich aus der äußeren Form, der sonstigen Aufmachung und der Art der
Anwendung der E-Zigarette. Danach wird mit dem Verdampfen der Liquids das
Rauchen der Tabakzigarette imitiert. Durch den Zusatz von Aromastoffen soll
ein angenehmer Geschmack erzeugt werden, wobei dem Anwender vielfältige
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Geschmacksvarianten zur Auswahl stehen. Das unterscheidet die Liquids von
dem zur Rauchentwöhnung zugelassenen Arzneimittel „Nicorette Inhaler“, das
allein Menthol und Nikotin enthält. Auch fehlt eine Dosierungsempfehlung, wie
sie für Arzneimittel typisch ist. Des Weiteren hat das Berufungsgericht festge-
stellt, dass die Liquids nicht geeignet sind, zu therapeutischen Zwecken einge-
setzt zu werden. Es stützt sich darauf, dass allein die Möglichkeit, Entzugs-
symptome kurzfristig zu lindern, die Annahme einer arzneilichen Zweckbestim-
mung nicht rechtfertigt, weil die Aufnahme und Anreicherung von Nikotin der
Gesundheit schaden. Diese Argumentation ist nicht zu beanstanden (vgl.
EuGH, Urteil vom 10. Juli 2014 - C-358/13 und C-181/14 - Rn. 32 ff.). Einen
Vergleich mit den zur Substitution von Betäubungsmitteln zugelassenen Arz-
neimitteln hat das Oberverwaltungsgericht unter Hinweis auf die dafür beste-
henden speziellen gesetzlichen Bestimmungen überzeugend abgelehnt.
Schließlich ist den Liquids auch nicht deshalb eine therapeutische Eignung bei-
zumessen, weil Erzeugnisse wie Nikotinpflaster oder der „Nicorette Inhaler“ als
Arzneimittel eingestuft (und zugelassen) sind. Grundlage für die Qualifizierung
dieser Nikotinersatzpräparate als Arzneimittel ist ihr Anspruch und ihre objektive
Bestimmung, zur Rauchentwöhnung angewendet zu werden. Ein solcher thera-
peutischer Nutzen kommt der E-Zigarette nicht zu. Das Berufungsgericht hat
angenommen, dass sich eine Eignung der E-Zigarette als Mittel zur Erreichung
eines Rauchstopps und zur Behandlung der Nikotinsucht mit dem Ziel der Ent-
wöhnung wissenschaftlich nicht belegen lässt. Dabei stützt es sich auf ver-
schiedene sachverständige Stellungnahmen und wissenschaftliche Erkennt-
nismaterialien. Dementsprechend messen auch die Konsumenten den Produk-
ten überwiegend keine arzneiliche Zweckbestimmung bei, sondern verwenden
sie als Genussmittel. Verfahrensrügen gegen diese Tatsachenfeststellungen
hat der Beklagte nicht erhoben. Sie sind deshalb der Revisionsentscheidung
zugrundezulegen (§ 137 Abs. 2 VwGO).
Danach lässt sich die Arzneimitteleigenschaft auch nicht damit begründen, dass
mit der Verwendung der Liquids gesundheitliche Risiken verbunden sind. Das
Oberverwaltungsgericht hat nicht verkannt, dass die von dem Inhalieren des
Nikotindampfes ausgehenden gesundheitlichen Gefahren noch nicht abschlie-
ßend erforscht sind. Nach seinen Feststellungen sind nach dem derzeitigen
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Stand der Wissenschaft die Gesundheitsrisiken bei bestimmungsgemäßer An-
wendung der E-Zigarette eher geringer einzuschätzen als die Gefahren des
Rauchens herkömmlicher Tabakzigaretten; jedenfalls seien sie nicht größer.
Dieser Befund legt zwar eine Regulierung des Inverkehrbringens und der Kenn-
zeichnung nikotinhaltiger Liquids nahe (vgl. dazu Art. 1 Buchst. f und Art. 20 der
Richtlinie 2014/40/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom
3. April 2014 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mit-
gliedstaaten über die Herstellung, die Aufmachung und den Verkauf von Taba-
kerzeugnissen und verwandten Erzeugnissen und zur Aufhebung der Richtlinie
2001/37/EG , die von den Mitgliedstaaten bis zum 20. Mai
2016 umzusetzen ist ). Allein das Bestehen von Gesundheitsri-
siken bei der Anwendung eines Produkts rechtfertigt es aber nicht, es als Arz-
neimittel anzusehen (vgl. EuGH, Urteile vom 30. April 2009 - C-27/08, BIOS
Naturprodukte - Slg. 2009, I-3785 Rn. 24 ff. und vom 10. Juli 2014 - C-358/13
und C-181/14 - Rn. 48 f.).
§ 2 Abs. 3a AMG und Art. 2 Abs. 2 der Richtlinie 2001/83/EG führen zu keiner
abweichenden rechtlichen Bewertung. Aus ihnen ergibt sich für den Fall, dass
ein Erzeugnis unter die Definition des Arzneimittels fällt und zugleich unter die
Begriffsbestimmung eines Erzeugnisses nach § 2 Abs. 3 AMG fallen kann, der
Vorrang des Arzneimittelrechts. Die Anwendung der „Zweifelsfallregelung“ des
§ 2 Abs. 3a AMG beruht somit auf der Prämisse, dass das betreffende Produkt
die Voraussetzungen eines Arzneimittels erfüllt (vgl. EuGH, Urteil vom 15. Ja-
nuar 2009 - C-140/07, Hecht-Pharma - Slg. 2009, I-41 Rn. 24 m.w.N.; BVerwG,
Urteil vom 26. Mai 2009 - 3 C 5.09 - Buchholz 418.710 LFGB Nr. 6 Rn. 15).
Der Nichteinstufung als Arzneimittel steht schließlich nicht entgegen, dass niko-
tinhaltige Liquids in anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union als Arz-
neimittel behandelt werden mögen. Nach ständiger Rechtsprechung des Euro-
päischen Gerichtshofs lässt sich nach der gegenwärtigen - nicht vollständigen -
Harmonisierung auf dem Gebiet des Arzneimittelrechts nicht ausschließen,
dass die Frage der Arzneimitteleigenschaft eines Erzeugnisses unterschiedlich
beurteilt wird. Der Umstand, dass Liquids für E-Zigaretten in einem Mitgliedstaat
als Arzneimittel qualifiziert werden, bindet andere Mitgliedstaaten daher nicht
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(EuGH, Urteile vom 3. Oktober 2013 - C-109/12, Laboratoires Lyocentre -
Rn. 45 ff. und vom 15. Januar 2009 - C-140/07, Hecht-Pharma - Slg. 2009, I-41
Rn. 28).
(3) Fehlt den Liquids die Arzneimitteleigenschaft, handelt es sich bei den E-
Zigaretten, mittels derer sie verdampft und inhaliert werden, auch nicht um Me-
dizinprodukte. Sie sind weder im Sinne von § 2 Abs. 3 MPG dazu bestimmt,
Arzneimittel zu verabreichen, noch liegt ein Fall des § 3 Nr. 1 bis 3 MPG vor.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Kley
Liebler
Dr. Wysk
Dr. Kuhlmann
Rothfuß
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