Urteil des BVerwG vom 29.10.2009

Mangel, Allgemeine Lebenserfahrung, Zahl, Ausnahmecharakter

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
BVerwG 3 C 26.08
OVG 5 B 827/06
Verkündet
am 29. Oktober 2009
Jesert
Justizobersekretärin
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 29. Oktober 2009
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Kley und
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Liebler, Prof. Dr. Dr. h.c. Rennert,
Buchheister und Dr. Wysk
für Recht erkannt:
Das Urteil des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts vom
25. Februar 2008 wird geändert. Die Berufung der Beklag-
ten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Dresden
vom 16. Mai 2006 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungs- und des Re-
visionsverfahrens.
G r ü n d e :
I
Die Klägerin betreibt in T. eine Pflegeeinrichtung im Sinne von § 71 Abs. 1, § 72
SGB XI. Sie wendet sich gegen Bescheide der Beklagten, mit denen sie im
Ausbildungsjahr 2005/2006 zu einem Ausgleichsbetrag zur Finanzierung der
Kosten der Ausbildungsvergütung herangezogen wurde.
Nach dem Gesetz über die Berufe in der Altenpflege - AltPflG - setzt die Er-
laubnis zum Führen der Berufsbezeichnung „Altenpfleger“ eine dreijährige Aus-
bildung voraus, die sich aus Unterricht in einer Altenpflegeschule und prakti-
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scher Ausbildung in einem Heim oder einer stationären Pflegeeinrichtung und in
einer ambulanten Pflegeeinrichtung zusammensetzt. Der Träger der prakti-
schen Ausbildung muss dem Schüler eine angemessene Ausbildungsvergütung
zahlen, soweit nicht Ansprüche auf Arbeitslosen- oder auf Übergangsgeld
bestehen. Nach Maßgabe von § 24 AltPflG kann der Träger der praktischen
Ausbildung die Kosten der Ausbildungsvergütung in den Entgelten oder Vergü-
tungen für seine Leistungen berücksichtigen. § 25 AltPflG ermächtigt die Lan-
desregierungen, durch Rechtsverordnung zu bestimmen, dass zur Aufbringung
der Mittel für die Kosten der Ausbildungsvergütung von den Einrichtungen, die
als Träger der praktischen Ausbildung in Betracht kommen, Ausgleichsbeträge
erhoben werden, und zwar unabhängig davon, ob dort Abschnitte der prakti-
schen Ausbildung durchgeführt werden. Dies gilt nach § 25 Abs. 1 Satz 2
AltPflG jedoch nur, wenn ein Ausgleichsverfahren erforderlich ist, um einen
Mangel an Ausbildungsplätzen zu verhindern oder zu beseitigen. Hat eine Lan-
desregierung ein solches Ausgleichsverfahren eingeführt, so ist sie nach § 25
Abs. 3 AltPflG verpflichtet, in angemessenen Zeitabständen die Notwendigkeit
der Fortführung zu überprüfen.
Der Freistaat Sachsen hat von der Ermächtigung des § 25 AltPflG mit der Al-
tenpflege-Ausgleichsverordnung Gebrauch gemacht. Die Verordnung trat am
1. August 2003, am selben Tag wie das Altenpflegegesetz, in Kraft. Die Lan-
desregierung ging davon aus, dass ein Mangel an Ausbildungsplätzen zwar
nicht bestehe, wohl aber drohe. Um den bis 2015 erwartbaren Bedarf zu de-
cken, würden jährlich 600 neue Ausbildungsplätze benötigt.
Die Beklagte zog die Klägerin mit Bescheid vom 15. September 2005 zur Zah-
lung eines Ausgleichsbetrages für das Ausbildungsjahr 2005/2006 in Höhe von
5 368,20 € heran. Ihr Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom
23. November 2005 zurückgewiesen.
Mit ihrer Klage hat sie geltend gemacht, den Heranziehungsbescheiden fehle
die gesetzliche Grundlage. Die Finanzierung im Ausgleichsverfahren (§ 25
AltPflG) sei gegenüber derjenigen im Abrechnungsverfahren (§ 24 AltPflG) sub-
sidiär. Von der Verordnungsermächtigung dürfe erst Gebrauch gemacht wer-
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den, wenn eine Finanzierung im Wege des Abrechnungsverfahrens zu einer
Unterversorgung mit Ausbildungsplätzen geführt habe oder zu führen drohe.
Die sächsische Landesregierung habe den Weg des Abrechnungsverfahrens
aber von vornherein nicht beschritten. Außerdem sei nicht dargetan, dass das
Ausgleichsverfahren erforderlich sei, um einen Mangel an Ausbildungsplätzen
zu verhindern oder zu beseitigen. Ausbildungsplätze seien 2005/2006 ausrei-
chend vorhanden gewesen; schon im Ausbildungsjahr 2004/2005 und erneut
2005/2006 sei die für erforderlich gehaltene Zahl von jeweils 600 neuen Ausbil-
dungsverhältnissen um mehr als 50 v.H. überschritten worden. Dementspre-
chend habe die Landesregierung die Erhebung der Umlage im Ausbildungsjahr
2006/2007 ausgesetzt. Damit sei die beim Erlass der Verordnung erstellte Be-
darfsprognose widerlegt. Die Prognose sei auch fehlerhaft. Sie beruhe auf lü-
ckenhaften und zudem überholten Daten, ziele ohne Begründung auf den Be-
darf bis zum Jahr 2015 und sei methodisch nicht nachvollziehbar. Schließlich
hätte die vorgeschriebene nachträgliche Überprüfung, ob die Umlagefinanzie-
rung fortzuführen sei, angesichts der aufgezeigten Entwicklung schon 2004
durchgeführt werden müssen. Sie hätte ergeben, dass der Bedarf erheblich
über- und das Angebot an Altenpflegern erheblich unterschätzt worden sei.
Mit Urteil vom 16. Mai 2006 hat das Verwaltungsgericht Dresden die angefoch-
tenen Bescheide aufgehoben. Dabei hat es sich die Einwände der Klägerin im
Wesentlichen zu eigen gemacht.
Auf die Berufung der Beklagten hat das Sächsische Oberverwaltungsgericht mit
Urteil vom 25. Februar 2008 das Urteil des Verwaltungsgerichts geändert und
die Klage abgewiesen. Der erhobene Ausgleichsbetrag entspreche den Vor-
aussetzungen der sächsischen Verordnung. Diese wiederum werde den Vor-
aussetzungen des § 25 AltPflG gerecht. Das Ausgleichsverfahren dürfe nicht
erst eingeführt werden, nachdem das Abrechnungsverfahren erfolglos erprobt
worden sei; allerdings müsse Grund zu der Annahme bestehen, dass bei Ein-
führung des Abrechnungsverfahrens ein Mangel an Ausbildungsplätzen entste-
hen oder nicht behoben werde. Hierbei stehe dem Verordnungsgeber ein Prog-
nosespielraum zu, der freilich, da die Ausgleichsumlage als Sonderabgabe ver-
fassungsrechtlich nur ausnahmsweise zulässig sei, einer intensivierten gericht-
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lichen Kontrolle unterliege. Einer solchen Kontrolle halte die sächsische Alten-
pflege-Ausgleichsverordnung stand. Der Verordnungsgeber habe auf der
Grundlage der ihm verfügbaren Daten den bis 2015 erwartbaren Anstieg der
pflegebedürftigen Personen und der deshalb benötigten Pflegekräfte prognosti-
ziert und hiervon den Bedarf an neuen Ausbildungsplätzen abgeleitet. Das sei
methodisch einwandfrei. Dass die gewählte Methode auch fehlerfrei angewen-
det worden sei, ergebe sich aus der schriftlichen Verordnungsbegründung so-
wie aus dem Zeugnis der zuständigen Mitarbeiterin in dem federführenden
Landesministerium. Das gelte auch hinsichtlich der weiteren Annahme, ohne
Einführung des Ausgleichsverfahrens werde es zu einem Mangel an Ausbil-
dungsplätzen in der Altenpflege kommen. Zunächst habe der Verordnungsge-
ber das Abrechnungsverfahren favorisiert, hiervon aber Abstand genommen,
nachdem sich der Landespflegeausschuss mit großer Mehrheit für das Aus-
gleichsverfahren ausgesprochen habe. Grund hierfür sei die Gefahr von Wett-
bewerbsnachteilen für die stationären Pflegeeinrichtungen gewesen, die die
Last der Ausbildung ganz überwiegend tragen würden. Dementsprechend hät-
ten sich im Landespflegeausschuss auch nur die Träger der ambulanten Pfle-
geeinrichtungen für das Abrechnungsverfahren ausgesprochen. Dieses Votum
habe der Verordnungsgeber dahin interpretiert, dass die Träger der stationären
Altenpflege wegen der von ihnen befürchteten Wettbewerbsverzerrungen im
Falle der Finanzierung der Ausbildungskosten im Abrechnungsverfahren die
Einrichtung von Ausbildungsplätzen zurückfahren würden und es dadurch zu
einem Mangel an Ausbildungsplätzen kommen werde. Das lasse Rechtsfehler
nicht erkennen. Daran ändere auch nichts, dass die Zahl der Ausbildungsplätze
sich tatsächlich günstiger entwickelt habe als angenommen und auch nach dem
Aussetzen des Ausgleichsverfahrens im Jahr 2006 noch weiter angestiegen sei;
dies sei möglicherweise darauf zurückzuführen, dass viele Auszubildende von
ihren Ausbildungsstätten auf den Bezug von Schüler-BAföG verwiesen worden
seien. Schließlich habe der Verordnungsgeber auch nicht seine Pflicht verletzt,
die Notwendigkeit des Ausgleichsverfahrens in angemessenen Abständen zu
überprüfen. Er habe, nachdem die Zahl der erforderlichen Ausbildungsplätze im
zweiten und im dritten Jahr nach dem Inkrafttreten der Verordnung überschrit-
ten worden sei, die Anwendung der Verordnung ausgesetzt und die Grundlagen
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der bisherigen Entscheidung überprüft. Zu einer früheren Reaktion auf die
tatsächliche Entwicklung sei er nicht verpflichtet gewesen.
Zur Begründung ihrer Revision wiederholt und vertieft die Klägerin ihr bisheriges
Vorbringen.
Die Beklagte verteidigt das Berufungsurteil. Anders als das Berufungsgericht
meint sie freilich, die Prognose des Verordnungsgebers zur Erforderlichkeit des
Ausgleichsverfahrens sei vom Gericht nur daraufhin zu überprüfen, ob sie ver-
tretbar sei. Dies ergebe sich aus ihrer Komplexität und liege bei Regelungen in
den Bereichen der Arbeitsmarkt-, Sozial- und Wirtschaftsordnung besonders
nahe, zumal wenn es um die Zwecktauglichkeit einer neuartigen, indirekt ver-
haltenslenkenden Maßnahme gehe.
Der Vertreter des Bundesinteresses beteiligt sich am Verfahren. Er hält das
angefochtene Berufungsurteil für zutreffend. Namentlich habe der Verord-
nungsgeber das Ausgleichsverfahren einführen dürfen, ohne zuvor von der
Möglichkeit der Finanzierung der Ausbildungskosten im Abrechnungsverfahren
Gebrauch gemacht zu haben. Der Bundesgesetzgeber sei allerdings in tatsäch-
licher Hinsicht davon ausgegangen, dass von dieser Möglichkeit regelmäßig
Gebrauch gemacht werde. Der Landesverordnungsgeber müsse aber hiervon
unabhängig beurteilen, ob ein Ausbildungsplatzmangel drohe.
II
Die Revision ist begründet. Das Berufungsgericht hätte die Berufung der Be-
klagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts zurückweisen müssen. Das
Verwaltungsgericht hat die angefochtenen Bescheide mit Recht aufgehoben;
denn sie sind rechtswidrig. Die Bescheide beruhen auf § 2 der Verordnung der
Sächsischen Staatsregierung über die Erhebung von Ausgleichsbeträgen zur
Finanzierung der Kosten der Ausbildungsvergütung im Beruf der Altenpflege im
Freistaat Sachsen (Altenpflege-Ausgleichsverordnung - AltPflAusglVO) vom
24. Juli 2003 (SächsGVBl S. 196). Diese Verordnung ist aber kein gültiges
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Recht. Sie steht mit ihrer bundesgesetzlichen Grundlage und deren Zweck nicht
im Einklang.
Die Altenpflege-Ausgleichsverordnung beruht auf § 25 des Gesetzes über die
Berufe in der Altenpflege (Altenpflegegesetz - AltPflG) vom 17. November 2000
(BGBl I S. 1513) in der Fassung des Art. 15 des Gesetzes vom 16. Juli 2003
(BGBl I S. 1442; vgl. die Neubekanntmachung vom 25. August 2003, BGBl I
S. 1690). Durch diese Vorschrift werden die Landesregierungen ermächtigt,
durch Rechtsverordnung zu bestimmen, dass zur Aufbringung der Mittel für die
Kosten der Ausbildungsvergütung nach § 17 Abs. 1 AltPflG von den in § 4
Abs. 3 Satz 1 AltPflG genannten Einrichtungen Ausgleichsbeträge erhoben
werden, und zwar unabhängig davon, ob dort Abschnitte der praktischen Aus-
bildung durchgeführt werden. Das setzt aber nach § 25 Abs. 1 Satz 2 AltPflG
voraus, dass ein Ausgleichsverfahren erforderlich ist, um einen Mangel an
Ausbildungsplätzen zu verhindern oder zu beseitigen. Diese Zweckbestimmung
hat der Verordnungsgeber verkannt.
1. § 25 Abs. 1 Satz 2 AltPflG liegt die Erwartung des Bundesgesetzgebers
zugrunde, dass die Neuordnung der Ausbildung zum Altenpfleger und zur Al-
tenpflegerin im Regelfalle von sich aus dazu führt, dass ein angemessenes An-
gebot an Ausbildungsplätzen bereitgestellt wird. Sie ermächtigt die Landesre-
gierungen zur Einführung des Ausgleichsverfahrens daher nur, wenn besonde-
re Umstände in ihrem Land die Gefahr begründen, dass sich diese Regelerwar-
tung nicht erfüllt.
a) Der Bundesgesetzgeber hat die Ausbildung zum Altenpfleger mit dem Alten-
pflegegesetz neu geregelt. Er hat damit für die Zukunft eine Ordnung geschaf-
fen, die bei ihrem Inkrafttreten im Jahr 2003 zwar neu war, aber auf Dauer an-
gelegt ist. Dieser Ordnungsrahmen schließt die Pflicht der Träger der prakti-
schen Ausbildung ein, den Auszubildenden unter den Voraussetzungen des
§ 17 AltPflG eine Ausbildungsvergütung zu zahlen, und gibt ihnen das Recht,
die Kosten der Ausbildungsvergütung in den Entgelten oder Vergütungen für
ihre Leistungen zu berücksichtigen (§ 24 AltPflG). Bei Einrichtungen, die zur
Versorgung von Pflegebedürftigen nach dem Elften Buch Sozialgesetzbuch
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zugelassen sind, sowie bei Einrichtungen mit Vereinbarungen nach § 93 Abs. 2
des Bundessozialhilfegesetzes erfolgt die Berücksichtigung der Kosten der
Ausbildungsvergütung in den Vergütungen im Rahmen der Pflegesatzvereinba-
rung mit dem jeweiligen Kostenträger (§ 24 Satz 3 AltPflG).
Das Altenpflegegesetz verfolgt zugleich das Ziel, ein ausreichendes - oder an-
gemessenes (vgl. § 25 Abs. 2 Satz 1) - Angebot an Ausbildungsplätzen sicher-
zustellen. Eine mögliche Ursache für ein unzureichendes Angebot sieht das
Gesetz in der besonderen Belastung der ausbildenden Pflegeeinrichtungen mit
den Kosten der Ausbildungsvergütung, die zu einem Wettbewerbsnachteil ge-
genüber den nichtausbildenden Pflegeeinrichtungen führen kann; denn es stellt
als Mittel zur Abhilfe ein Umlageverfahren bereit, durch das die unterschiedliche
Belastung ausgeglichen wird. Das Gesetz vertraut aber darauf, dass der
beschriebene rechtliche Rahmen grundsätzlich hinreicht, damit die Marktkräfte
ein angemessenes Angebot an Ausbildungsplätzen schaffen und dass es einer
staatlich veranstalteten Umlage zum Ausgleich der unterschiedlichen Kosten-
belastung im Regelfalle nicht bedarf. Denn es hat die Umlage- oder Ausgleichs-
regelung nicht voraussetzungslos, sondern nur für den Fall vorgesehen, dass
sie erforderlich ist, um einen Mangel an Ausbildungsplätzen zu verhindern oder
zu beseitigen (§ 25 Abs. 1 Satz 2 AltPflG). Zugleich ist es davon ausgegangen,
dass sich das Ausgleichsverfahren zu dem genannten Zweck nicht bundesweit
einheitlich, sondern nur aufgrund regionaler Besonderheiten als erforderlich
erweisen werde. Denn es hat zur Einführung des Ausgleichsverfahrens nicht
die Bundesregierung, sondern die jeweilige Landesregierung ermächtigt.
Der beschriebene Ausnahmecharakter des Ausgleichsverfahrens lässt sich
auch an der Entstehungsgeschichte der Regelung ablesen. Der Gesetzentwurf
der Bundesregierung hatte das Abrechnungsverfahren (§ 24) - das bereits Um-
lageelemente enthalten sollte, diese aber auf ausbildende Betriebe beschränk-
te - und das Ausgleichsverfahren zwischen ausbildenden und nichtausbilden-
den Betrieben (§ 25) noch gleichrangig nebeneinander gestellt (BTDrucks
14/1578 S. 8, 17 f.). Der Bundesrat schlug dann vor, die Umlageelemente des
Abrechnungsverfahrens aus Vereinfachungsgründen zu beseitigen, äußerte
aber zu der Gleichrangigkeit beider Finanzierungswege keine Änderungswün-
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sche (BTDrucks 14/1578 S. 24 f., vgl. S. 29 f.). § 25 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2
Satz 1 und Abs. 3 AltPflG gehen erst auf den Vorschlag des zuständigen Bun-
destagsausschusses zurück. Mit § 25 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 AltPflG sollte den
strengen Anforderungen Rechnung getragen werden, die das Bundesverfas-
sungsgericht an die finanzverfassungsrechtliche Zulässigkeit derartiger Son-
derabgaben - schon vor seinem Beschluss vom 17. Juli 2003 zu älteren landes-
rechtlich geregelten Altenpflegeumlagen (BVerfGE 108, 186 <217 f.>) - entwi-
ckelt hatte (vgl. Urteil vom 6. November 1984 - 2 BvL 19, 20/83 u.a. - BVerfGE
67, 256 <275 ff., 285 f.>; Beschlüsse vom 8. April 1987 - 2 BvR 909/82 u.a. -
BVerfGE 75, 108 <147 f.>, vom 31. Mai 1990 - 2 BvL 12, 13/88 u.a. - BVerfGE
82, 159 <179 ff.>, vom 24. Januar 1995 - 2 BvL 18/93 u.a. - BVerfGE 92, 91
<115 f.> und vom 9. November 1999 - 2 BvL 5/95 - BVerfGE 101, 141 <148>).
§ 25 Abs. 1 Satz 2 AltPflG geht darüber hinaus. Mit dieser Vorschrift sollte aus-
weislich der Gesetzesmaterialien eine Nachrangigkeit des Ausgleichsverfahrens
begründet werden (BTDrucks 14/3736 S. 29): „Dies bedeutet, dass zunächst
grundsätzlich von einem Abrechnungsverfahren nach § 24 ausgegangen wird.
Stellt sich jedoch heraus, dass die Altenheime bzw. stationären Pfle-
geeinrichtungen und ambulanten Dienste keine angemessene Zahl von Ausbil-
dungsplätzen für die Schülerinnen und Schüler bereitstellen, können die Länder
von der Ermächtigung der Umlagefinanzierung Gebrauch machen.“
b) Die Einführung des Ausgleichsverfahrens setzt damit die Feststellung be-
sonderer Umstände voraus, die den Schluss zulassen, dass sich die erwähnte
Regelerwartung des Bundesgesetzgebers in dem jeweiligen Lande voraussicht-
lich nicht erfüllen werde. Diese Feststellung ist Gegenstand der von § 25 Abs. 1
Satz 2 AltPflG geforderten Mangelprognose. Sie erfordert einen Vergleich des
im Lande vorhandenen und erwartbaren Bedarfs an Ausbildungsplätzen mit
dem vorhandenen und erwartbaren Angebot, unterfällt damit in eine Bedarfs-
prognose und eine Angebotsprognose. Für die Annahme eines Mangels genügt
noch nicht, dass das Angebot nur vorübergehend hinter dem Bedarf zurück-
bleibt. Ein Mangel ist vielmehr nur ein Fehlbestand von einiger Dauer. Auch die
Feststellung eines gegenwärtig vorliegenden Mangels setzt deshalb die Prog-
nose voraus, dass ein gegenwärtiger Fehlbestand nicht nur vorübergehend ist,
sondern in absehbarer Zukunft fortbestehen wird.
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2. Die Sächsische Altenpflege-Ausgleichsverordnung wird den beschriebenen
Anforderungen nicht gerecht.
a) Das gilt allerdings entgegen der Auffassung der Klägerin nicht schon des-
halb, weil die Landesregierung nach Inkrafttreten des Altenpflegegesetzes am
1. August 2003 nicht noch einige Zeit zugewartet hat, ob sich die Regelerwar-
tung des Bundesgesetzgebers in die Entstehung eines angemessenen Ange-
bots von Ausbildungsplätzen erfüllen werde. Der beschriebene Ausnahmecha-
rakter des Ausgleichsverfahrens lässt sich nicht im Sinne einer zeitlichen Nach-
rangigkeit verstehen; für die Startphase des Altenpflegegesetzes gelten inso-
fern keine zusätzlichen Anforderungen. Eine Landesregierung durfte das Aus-
gleichsverfahren auch sogleich zum 1. August 2003 einführen, wenn sich dies
zur Verhinderung oder zur Beseitigung eines Ausbildungsplatzmangels als er-
forderlich erwies. Es mag sein, dass sich die oben wiedergegebene Passage
der Begründung für die Beschlussempfehlung des zuständigen Bundes-
tagsausschusses im Sinne einer auch zeitlichen Priorität des Abrechnungsver-
fahrens lesen lässt. Eine derartige Beschränkung des Landesverordnungsge-
bers hätte aber, wenn sie denn gewollt gewesen sein sollte, im Wortlaut des
Gesetzes keinen Ausdruck gefunden. Sie ließe sich auch sachlich nicht recht-
fertigen. Gesetzt, in einem Land hätte schon 2003 ein erheblicher Mangel an
Ausbildungsplätzen bestanden, der gerade in den Anfangsjahren der gesetzli-
chen Neuregelung nur durch eine „Anschubfinanzierung“ im Wege der Umlage
wirksam hätte beseitigt werden können, so wäre kein Grund ersichtlich, wes-
halb die betreffende Landesregierung an einer sofortigen Einführung eines
hiernach erforderlichen Ausgleichsverfahrens gehindert und zu weiterem Zu-
warten gezwungen gewesen sein sollte. Dies gilt umso mehr, als in einigen
Ländern vor Erlass der bundesgesetzlichen Regelung ein Umlageverfahren
bereits bestand, dessen Fortführung nicht von vornherein ausgeschlossen wer-
den sollte.
b) Die Verordnung missachtet jedoch den Ausnahmecharakter des Ausgleichs-
verfahrens und damit den Zweck der gesetzlichen Ermächtigung.
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Die Begründung der Verordnung beruft sich zwar darauf, dass nur durch die
Einführung des Ausgleichsverfahrens ein ausreichendes Angebot an Ausbil-
dungsplätzen im Beruf der Altenpflege im Freistaat Sachsen sichergestellt wer-
den könne. Sie führt hierfür aber keine besonderen Umstände gerade des Frei-
staats Sachsen an. Vielmehr führt sie die mangelnde Eignung der alleinigen
Refinanzierungsmöglichkeit über § 24 AltPflG ausschließlich auf den Wettbe-
werbsnachteil der ausbildenden gegenüber den nichtausbildenden Pflegeein-
richtungen zurück. Sie verweist nämlich ausschließlich darauf, dass bei einer
Finanzierung nach § 24 AltPflG allein die ausbildenden Pflegeeinrichtungen ihre
Entgelte und Vergütungen erhöhen müssten und damit einen Wettbe-
werbsnachteil gegenüber den nichtausbildenden Pflegeeinrichtungen erlitten.
Demgegenüber sichere die Finanzierung der Ausbildungskosten im Wege der
Ausgleichsumlage eine gleichmäßige Belastung all derjenigen Einrichtungen,
die von dieser Ausbildung profitieren (Begründung S. 7, vgl. S. 8). Damit hat die
Landesregierung die Altenpflege-Ausgleichsverordnung allein mit dem Umlage-
zweck als solchem begründet. Sie hat sich über die Wertung des Bundesge-
setzgebers, dass eine Finanzierung über die Entgelte und Vergütungen ohne
Umlage im Regelfalle die Entstehung eines angemessenen Angebots an Aus-
bildungsplätzen nicht behindere, hinweggesetzt und ihr eine gegenteilige Wer-
tung gegenübergestellt.
Das trägt nicht. Einer Landesregierung ist es verwehrt, die Ausgleichsregelung
allein deshalb einzuführen, weil sie die Regelerwartung des Bundesgesetzge-
bers nicht teilt, sondern der Auffassung ist, die bloße Möglichkeit der Finanzie-
rung der Ausbildungsvergütung im Abrechnungsverfahren nach § 24 AltPflG sei
unzureichend und werde die Entstehung einer hinlänglichen Zahl von Ausbil-
dungsplätzen behindern. Das Ausgleichsverfahren nach § 25 AltPflG ist die
- begründungsbedürftige - Ausnahme; der Landesverordnungsgeber darf es
nicht zur Regel machen.
Damit verbindet sich ein Weiteres. Zweck der Einführung des Ausgleichsverfah-
rens darf nur die Verhinderung oder die Beseitigung eines Ausbildungsplatz-
mangels sein. Zweck darf nicht allein die Heranziehung auch der nichtausbil-
denden Pflegeeinrichtungen zu den Kosten der Ausbildung, also nicht allein der
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Umlagezweck als solcher sein. Das Altenpflegegesetz sieht für die Finanzierung
der Kosten der Ausbildungsvergütung vorrangig das Abrechnungsverfahren
nach § 24 AltPflG vor. Das schließt ein, dass nichtausbildende Betriebe mit
diesen Kosten im Regelfalle nicht belastet werden. Eine Landesregierung darf
das Ausgleichsverfahren nach § 25 AltPflG nicht allein deshalb einführen, weil
sie die Nichtbelastung der nichtausbildenden Betriebe für ungerecht hält oder
weil sie Wettbewerbsnachteile für die ausbildenden Betriebe vermeiden will.
Auch dann wird der Ausnahmecharakter des Ausgleichsverfahrens missachtet
und § 25 Abs. 1 Satz 2 AltPflG verletzt. Die Beseitigung von Wettbewerbs-
nachteilen darf hiernach nicht das Ziel, sondern kann nur das Mittel des Ver-
ordnungsgebers sein; Ziel darf nur die Verhinderung oder Beseitigung eines
Mangels an Ausbildungsplätzen sein.
c) Dementsprechend liegt dem Entschluss des sächsischen Verordnungsge-
bers, das Ausgleichsverfahren einzuführen, eine unzureichende Mangelprog-
nose zugrunde.
aa) Soweit eine hoheitliche Entscheidung Prognosen erfordert, kommt dem
Entscheidungsträger ein Prognosespielraum zu, der vom Gericht nur auf Prog-
nosefehler hin überprüft werden kann. Das findet seinen Grund in den Sachge-
gebenheiten einer Prognose. Prognoseentscheidungen, die sich nicht lediglich
auf die allgemeine Lebenserfahrung stützen, beruhen auf der Anwendung sta-
tistischer Methoden, die Aussagen über die Wahrscheinlichkeit zukünftiger
Entwicklungen ermöglichen. Ausgehend von gegenwärtigen Gegebenheiten,
der sog. Prognosebasis, wird das Ergebnis der Prognose dabei mit Hilfe ma-
thematischer Verfahren gewonnen und in einem Zahlenwert ausgedrückt. Da-
her ist die Überprüfung durch das Gericht darauf begrenzt, ob zutreffende Aus-
gangswerte zugrunde gelegt wurden, ob sich die Prognose methodisch auf ein
angemessenes Prognoseverfahren stützen lässt und ob dieses Verfahren kon-
sequent verfolgt wurde (BVerfG, Urteil vom 24. Oktober 2002 - 2 BvF 1/01 -
BVerfGE 106, 62 <152 f.>; BVerwG, Urteile vom 29. Januar 1991 - BVerwG 4 C
51.89 - BVerwGE 87, 332 <354 f.> = Buchholz 442.40 § 9 LuftVG Nr. 7 S. 37,
vom 17. April 2002 - BVerwG 9 CN 1.01 - BVerwGE 116, 188 <189 ff.> =
Buchholz 310 § 47 VwGO Nr. 155 S. 78 ff. und vom 18. März 2004 - BVerwG
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3 C 24.03 - BVerwGE 120, 227 <232 f.> = Buchholz 442.40 § 32 LuftVG Nr. 10
S. 4 f.; vgl. Rennert, in: Eyermann, VwGO-Kommentar, 12. Aufl. 2006, § 114
Rn. 63 ff., 83 m.w.N.). Erweist sich die Prognose hiernach als rechtmäßig, so
wird sie nicht nachträglich dadurch rechtswidrig, dass sie sich nicht bewahrhei-
tet; eine von der prognostizierten abweichende tatsächliche Entwicklung kann
den Entscheidungsträger nur dazu nötigen, seine Entscheidung zu überprüfen
(BVerfG, Urteil vom 1. März 1979 - 1 BvR 532/77 u.a. - BVerfGE 50, 290
<335>; BVerwG, Urteil vom 7. Juli 1978 - BVerwG 4 C 79.76 u.a. - BVerwGE
56, 110 <121> = Buchholz 442.40 § 8 LuftVG Nr. 2 S. 10 f.).
Weil es sich insofern um Konsequenzen aus den Sachgegebenheiten einer
jeden Prognoseentscheidung handelt, gilt dies unabhängig davon, ob die Prog-
nose im Rahmen der Normsetzung oder der Normanwendung und ob sie vom
Gesetzgeber oder von der Verwaltung getroffen wurde. Keiner Entscheidung
bedarf hingegen, ob die gerichtliche Überprüfung der vorliegend in Rede ste-
henden Prognose zusätzlich deshalb weiter zurückzunehmen ist, weil sie im
Rahmen der Verordnungsgebung getroffen wurde. Das Berufungsgericht hält
insofern einen strengen Maßstab für geboten, lehnt also eine weitere Rück-
nahme der Kontrolldichte ab. Die Beklagte will die gerichtliche Nachprüfung
demgegenüber auf eine Vertretbarkeits- oder gar eine bloße Evidenzkontrolle
zurückgenommen wissen (vgl. hierzu BVerfG, Urteil vom 1. März 1979 a.a.O.
S. 333 f.). Zu unterschiedlichen Ergebnissen führt das hier nicht.
Die gerichtliche Nachprüfung einer Prognoseentscheidung des Verordnungs-
gebers setzt voraus, dass das Gericht die tatsächlichen Annahmen, die der
Verordnungsgeber seiner Prognose zugrunde gelegt hat, feststellen kann (vgl.
BVerfG, Urteil vom 24. Oktober 2002 a.a.O. S. 152 f.). War die Verordnung
nicht von vornherein mit einer Begründung versehen, die die maßgebenden
Gesichtspunkte deutlich macht, so muss die Entstehungsgeschichte nachträg-
lich rekonstruierbar sein. Begründungslücken oder Fehler des Ableitungszu-
sammenhanges können den Schluss nahelegen, dass die Anforderungen an
eine rechtmäßige Prognose verletzt wurden. Das lässt sich nicht dadurch korri-
gieren, dass die Entscheidung des Verordnungsgebers mit nachträglichen Er-
wägungen unterlegt wird. Diese Grundsätze, die das Bundesverfassungsgericht
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für Normen in Zahlenform aufgestellt hat (BVerfG, Beschluss vom 22. Oktober
1991 - 1 BvR 393/85 - BVerfGE 85, 36 <57>), gelten bei Normen, deren Recht-
mäßigkeit von einer Prognose abhängt, gleichermaßen. Sie gelten zumal, wenn
der Verordnungsgeber eine Landesregierung und damit ein Kollegialorgan war.
Gegenstand einer gerichtlichen Beweisaufnahme muss dann stets die Willens-
bildung in diesem Kollegialorgan sein. Erwägungen in einem Fachministerium,
auch dem federführenden, die sich die Landesregierung nicht zu eigen gemacht
hat oder die gar erst nachträglich angestellt wurden, sind unerheblich.
bb) Der sächsische Verordnungsgeber hat seiner Entscheidung, das Aus-
gleichsverfahren einzuführen, eine Bedarfsprognose zugrunde gelegt, die für
die Jahre 2003 bis 2015 von einem jährlich gleichen Zusatzbedarf von jeweils
600 neuen Ausbildungsplätzen ausgegangen ist (vgl. § 2 Abs. 1 Satz 1
AltPflAusglVO sowie Verordnungsbegründung S. 9). Das Berufungsgericht hat
diese Annahme gebilligt. Inwieweit die Angriffe der Revision hiergegen durch-
greifen, mag offen bleiben. Zwar dürfte die Prognose auch insofern Einwänden
begegnen, und der Versuch des Berufungsgerichts, die gegebene Verord-
nungsbegründung durch abweichende Erwägungen des federführenden Sozi-
alministeriums, die im Wege der Einvernahme der zuständigen Mitarbeiterin
dieses Ministeriums in den Prozess eingeführt wurden, in einzelnen Punkten
nachzubessern, kann aus den angeführten Gründen nicht gelingen. Die hier-
nach relevanten Fehler dürften aber allenfalls dazu geführt haben, dass der
Bedarf eher unterschätzt worden ist; unter Zugrundelegung der - einwandfrei
ermittelten - Ausgangsdaten und bei fehlerfreier Handhabung der vom Verord-
nungsgeber gewählten, im Grundsatz sachlich angemessenen Prognoseme-
thode ergäbe sich wohl ein um einiges größerer Bedarf an neuen Ausbildungs-
plätzen. Doch mag dies dahinstehen.
cc) Der Verordnungsgeber hat aber unterlassen, der Bedarfsprognose eine
Prognose der erwartbaren Entwicklung des Angebots an Ausbildungsplätzen
gegenüberzustellen. Er hat ohne eine solche Angebotsprognose angenommen,
dass der Bedarf ohne Einführung des Ausgleichsverfahrens nicht werde befrie-
digt werden können. Auch dies hat das Berufungsgericht gebilligt. Das hält der
Nachprüfung nicht stand.
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Der Verordnungsgeber hat schon unterlassen, den im Jahr 2003 vorhandenen
Bestand an Ausbildungsplätzen zu erheben. Zwar hat er festgestellt, dass es
2003 etwa 900 Fach- bzw. Berufsfachschüler der Altenpflege gab; das betraf
aber nur Plätze der schulischen, nicht der praktischen Ausbildung. Vollends
fehlt eine differenzierende Analyse der Ausbildungsplätze in Heimen, in ande-
ren stationären sowie in ambulanten Pflegeeinrichtungen. Hiergegen lässt sich
nicht einwenden, der Verordnungsgeber sei offenbar davon ausgegangen, dass
die benötigten Ausbildungsplätze im Jahr 2003/2004 bereitgestellt würden;
denn er habe die Einführung des Ausgleichsverfahrens nicht damit gerechtfer-
tigt, dass ein bereits bestehender Mangel an Ausbildungsplätzen beseitigt,
sondern damit, dass ein drohender Mangel verhindert werden müsse. Das
vermag die vermisste Erhebung des Ausgangsbestandes nicht zu ersetzen.
Vor allem aber fehlt eine Prognose zur künftigen Entwicklung der Zahl der Aus-
bildungsplätze. Namentlich wurde die Ausbildungsbereitschaft der vorhandenen
und der möglichen zusätzlichen Ausbildungsträger nicht erkundet. Hierzu hätten
die diesbezüglichen Absichten aller möglichen Ausbildungsträger erfragt und
auf ihre Plausibilität hin gewürdigt werden müssen. In diesem Zusammenhang
kommt auch der Frage der Kosten der Ausbildung für den Ausbildungsträger
Bedeutung zu, die freilich nach ihrem Umfang abzuschätzen und einem
gegenläufigen Nutzen gegenüberzustellen sind. Hinsichtlich der Kosten hätte es
der Feststellung bedurft, welche Vergütungen den Auszubildenden bislang
bezahlt wurden und in absehbarer Zukunft bezahlt werden würden; hierbei hät-
ten auch anderweitige Finanzierungsmöglichkeiten wie etwa das sog. Schüler-
BAföG in Rechnung gestellt werden müssen. Hinsichtlich des Nutzens ist an
Vorteile ausbildender Betriebe bei der Qualität ihres Personals, wenn dieses
zugleich Lehrpersonal ist, sowie bei der Auswahl ihres künftigen Personals un-
ter den eigenen Ausbildungsabsolventen zu denken; diese Vorteile können,
auch wenn sie nicht unmittelbar „geldwert“ sind, einen Betrieb durchaus zum
Ausbilden veranlassen.
Alles das fehlt. Stattdessen hat sich der Verordnungsgeber mit der Bekundung
einiger Vertreter von Verbänden der Pflegeeinrichtungen im Landespflegeaus-
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schuss begnügt, wonach die Ausbildungsbereitschaft ohne Einführung des
Ausgleichsverfahrens zurückgehen werde; diese Bekundung sei „nachvollzieh-
bar“, der Verordnungsgeber „mache sie sich zu eigen“. Das kann eine auf Tat-
sachen gegründete Prognose nicht ersetzen. Zwar sind die Bekundungen der
möglichen Ausbildungsträger im Rahmen der gebotenen Prognose nicht ohne
Bedeutung. Der Verordnungsgeber darf sie sich aber nicht kritiklos zu eigen
machen. Vielmehr muss er prüfen, inwieweit diesen Bekundungen Tatsachen
zugrunde liegen. Hierzu gehört nicht nur der Umstand, dass die Berücksichti-
gung der Kosten der Ausbildungsvergütung in den Entgelten, soweit Pflegekas-
sen die Kostenträger sind, an deren mangelnder Zustimmung zu der nötigen
Pflegesatzvereinbarung scheitert oder zu scheitern droht, zumal dasselbe für
die Aufwendungen für einen Ausgleichsbetrag nach § 25 AltPflG gälte (vgl. § 24
Satz 3 AltPflG i.V.m. §§ 82a, 85, 89 SGB XI). Ferner muss der Verordnungsge-
ber in Rechnung stellen, ob und in welchem Maße die Bekundungen interes-
sengeleitet sind; hierzu besteht umso mehr Anlass, wenn die Verbandsvertreter
den Verordnungsgeber zu einem bestimmten Verhalten - nämlich zum Erlass
(oder ggf. umgekehrt zum Nichterlass) der in Rede stehenden Ausgleichsver-
ordnung - veranlassen wollen. Schließlich und vor allem muss der Verord-
nungsgeber die Einschätzungen sämtlicher Arten von Ausbildungsbetrieben in
Rechnung stellen; er darf sich nicht einseitig nur der Einschätzung der Träger
der stationären Einrichtungen - und hier gar nur der „großen“ - anschließen und
eine gegenläufige Einschätzung anderer Trägergruppen allein deshalb überge-
hen, weil diese im Landespflegeausschuss in der Minderheit sind.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
Kley
Liebler
Prof. Dr. Dr. h.c. Rennert
Buchheister
Dr. Wysk
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Sachgebiet:
BVerwGE:
nein
Gesundheitsverwaltungsrecht
Fachpresse: nein
Recht der Heilberufe
Rechtsquelle:
AltPflG § 25
Stichworte:
Altenpflege; Ausbildung zum Altenpfleger; Ausbildungsvergütung; Finanzierung
der Kosten der Ausbildungsvergütung; Pflegesatz; Abrechnungsverfahren;
Ausgleichsverfahren; Umlage; Umlageverfahren; Mangel an Ausbildungsplät-
zen; Prognose; Prognosespielraum; Einschätzungsprärogative; gerichtliche
Kontrolle; Verordnung; Verordnungsgeber; Normgeber; Verordnungsbegrün-
dung; Beweisaufnahme.
Leitsatz:
Ein Ausgleichsverfahren ist nur dann erforderlich im Sinne des § 25 Abs. 1
Satz 2 AltPflG, wenn in dem betroffenen Land besondere Umstände die Gefahr
begründen, dass sich die der Vorschrift zugrunde liegende Regelerwartung, ein
angemessenes Angebot an Ausbildungsplätzen werde bereitgestellt werden,
nicht erfüllt.
Die Rechtmäßigkeit einer Prognoseentscheidung des Verordnungsgebers ist
anhand der ihr zugrunde gelegten tatsächlichen Annahmen zu überprüfen.
Lassen sich diese nicht oder nur unvollständig ermitteln oder sind sie fehlerhaft,
lässt sich der Mangel nicht durch nachgeschobene Erwägungen korrigieren.
Urteil des 3. Senats vom 29. Oktober 2009 - BVerwG 3 C 26.08
I. VG Dresden vom 16.05.2006 - Az.: VG 13 K 2758/05 -
II. OVG Bautzen vom 25.02.2008 - Az.: OVG 5 B 827/06 -