Urteil des BVerwG vom 20.11.2008

Gleichwertigkeit, Ausbildung, Praktikum, Berufliche Tätigkeit

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
BVerwG 3 C 25.07
VGH 21 BV 05.2230
Verkündet
am 20. November 2008
Zweigler
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
In der Verwaltungsstreitsache
- 2 -
hat der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 20. November 2008
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Kley
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Dette, Liebler,
Prof. Dr. Rennert und Buchheister
für Recht erkannt:
Das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom
16. Oktober 2006 wird geändert.
Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Bayeri-
schen Verwaltungsgerichts Augsburg vom 18. Mai 2005
wird zurückgewiesen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Berufungs- und des
Revisionsverfahrens.
G r ü n d e :
I
Der Kläger begehrt die Erlaubnis zum Führen der Berufsbezeichnung Ret-
tungsassistent.
Nach Abschluss einer Ausbildung zum Rettungssanitäter im Rahmen des sog.
520-Stunden-Programms war er ab Februar 1999 als Rettungssanitäter bei ei-
ner Rettungswache des Bayerischen Roten Kreuzes tätig und leistete in den
folgenden zwei Jahren insgesamt 1 462 Einsatzstunden auf Notfallrettungsmit-
teln (Rettungswagen, Notarztwagen) und 1 406 Einsatzstunden im Kranken-
transport.
1
2
- 3 -
Von Februar bis Juli 2001 nahm er unter Anrechnung der Zeit seiner Ausbil-
dung zum Rettungssanitäter an einem Lehrgang für Rettungsassistenten an
einer staatlich genehmigten Berufsfachschule teil. Am 27. Juli 2001 legte er die
staatliche Prüfung zum Rettungsassistenten ab. Anschließend war er erneut als
Rettungssanitäter tätig.
Auf seinen Antrag, die als Rettungssanitäter geleisteten Einsatzstunden auf die
für die Erlaubniserteilung nach § 7 des Rettungsassistentengesetzes
- RettAssG - vorgeschriebene praktische Tätigkeit von 1 600 Stunden bzw.
zwölf Monaten anzurechnen, teilte der Beklagte dem Kläger mit Schreiben vom
28. Juni 2001 mit, dass er noch 960 Stunden bzw. 7,2 Monate an praktischer
Tätigkeit sowie 30 Unterrichtsstunden ableisten müsse. Die nur beschränkte
Anrechnung ergebe sich aus den Vorgaben des Bayerischen Staatsministeri-
ums des Innern. Danach seien Einsatzstunden eines Rettungssanitäters in der
Notfallrettung zu einem Drittel zu berücksichtigen, wenn sie bei Beginn der Aus-
bildung zum Rettungsassistenten nicht länger als zwei Jahre zurücklägen. Zu-
sätzlich könnten Einsatzstunden im Krankentransport im Umfang von 4/6 der
tatsächlichen Notfallrettungszeiten angerechnet werden. Als absolute Ober-
grenze der Anrechnung seien 640 Stunden vorgesehen. Der Beklagte berück-
sichtigte auf dieser Grundlage von den vom Kläger geleisteten 1 462 Einsatz-
stunden in der Notfallrettung 487 Stunden (ein Drittel) und von den 1 406
Einsatzstunden im Krankentransport 974 Stunden (4/6 von 1 462 Stunden) als
grundsätzlich anerkennungsfähig, begrenzte die Anerkennung aber wegen der
nach der Vollzugspraxis vorgesehenen Höchstgrenze auf 640 Stunden.
Im Januar 2003 beantragte der Kläger bei dem Beklagten, ihm die Erlaubnis
zum Führen der Berufsbezeichnung Rettungsassistent zu erteilen. Der Beklagte
lehnte den Antrag mit Bescheid vom 10. September 2003 ab. Die von dem
Kläger vor Beginn der theoretischen Ausbildung zum Rettungssanitäter ausge-
übte Tätigkeit mit überwiegendem Einsatz auf Rettungs- und Notarztwagen sei
zwar gemäß § 8 Abs. 2 Satz 2 RettAssG im Umfang ihrer Gleichwertigkeit auf
die praktische Tätigkeit anzurechnen. Dies könne aber nach der bayerischen
Vollzugspraxis nur zu einer Verkürzung, nicht zu einer vollständigen Anrech-
nung führen. Gleichwertigkeit bedeute nicht, dass die praktische Tätigkeit ganz
3
4
5
- 4 -
entfallen könne und eine Wahlmöglichkeit bestehe. Die Ableistung einer gege-
benenfalls verkürzten Praxisausbildung sei deshalb unabdingbar. Die nach der
Abschlussprüfung zum Rettungsassistenten absolvierten weiteren Zeiten als
Rettungssanitäter seien insgesamt nicht berücksichtigungsfähig.
Auf die hiergegen erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht den Beklagten
mit Urteil vom 18. Mai 2005 verpflichtet, dem Kläger die Erlaubnis zum Führen
der Berufsbezeichnung Rettungsassistent zu erteilen. Die berufliche Tätigkeit
des Klägers als Rettungssanitäter sei in vollem Umfang anzurechnen, da der
Kläger im Sinne des § 3 der Ausbildungs- und Prüfungsverordnung für Ret-
tungsassistenten überwiegend in der Notfallrettung eingesetzt worden sei. Eine
Anrechnungshöchstgrenze sei ebenso unzulässig wie eine Beschränkung auf
Zeiten, die innerhalb eines Zeitraumes von zwei Jahren vor Beginn der Ausbil-
dung abgeleistet worden seien.
Auf die Berufung des Beklagten hat der Verwaltungsgerichtshof mit Urteil vom
16. Oktober 2006 die erstinstanzliche Entscheidung abgeändert und die Klage
abgewiesen. Der unbestimmte Rechtsbegriff der Gleichwertigkeit sei durch die
vom Bayerischen Staatsministerium des Innern festgelegten Grundsätze zur
Anrechenbarkeit in nicht zu beanstandender Weise konkretisiert worden. Da-
nach seien im Fall des Klägers höchstens 640 Stunden anrechenbar. Er müsse
noch ein Praktikum im Sinne des § 7 RettAssG von rund 7,2 Monaten sowie
das Abschlussgespräch absolvieren. Die bayerische Vollzugspraxis entspreche
der Zielsetzung des Rettungsassistentengesetzes. § 2 Abs. 1 Satz 3 der Aus-
bildungs- und Prüfungsverordnung zeige, dass nur eine Verkürzung des Prakti-
kums möglich sei. Da der Kläger bereits durch die vor Beginn des Rettungsas-
sistentenlehrganges absolvierten Einsatzstunden die Höchstgrenze der anre-
chenbaren Zeiten erreicht habe, könne dahinstehen, ob die Ablehnung einer
Einbeziehung der danach absolvierten Einsatzstunden rechtmäßig sei.
Mit der Revision macht der Kläger geltend, § 8 Abs. 2 Satz 2 RettAssG eröffne
keinen Ermessensspielraum der Behörde. Voraussetzung für die Anerkennung
einer Tätigkeit als gleichwertig mit der praktischen Tätigkeit nach § 7 RettAssG
sei allein, dass diese Tätigkeit überwiegend auf Rettungs- und Notarztwagen
6
7
8
- 5 -
absolviert worden sei. Für die Annahme weiterer Voraussetzungen nach Maß-
gabe der bayerischen Vollzugspraxis sei kein Raum. Dem Gesetzgeber sei es
gerade um eine Vereinheitlichung des Berufsbildes und des Berufszugangs
durch eine abschließende Regelung gegangen. Somit sei nur zu klären, was
unter „überwiegend“ zu verstehen sei. Das vom Beklagten angenommene Ver-
hältnis von 60 zu 40 zugunsten der Einsatzzeiten in der Notfallrettung finde im
Gesetz keine Stütze. Hintergrund der vom Gesetzgeber getroffenen Lösung sei,
dass Rettungssanitäter wie im Übrigen auch Rettungsassistenten im Praktikum
nicht ausschließlich auf Notfallrettungsmitteln, sondern zum Teil auch als
Fahrer und im Krankentransport eingesetzt würden. Der Gesetzgeber habe er-
reichen wollen, dass nicht jede im Rettungsdienst geleistete Einsatzstunde oh-
ne Rücksicht auf die Art des Einsatzes in Anrechnung komme. Es reiche des-
halb aus, dass jedenfalls der größere Teil auf Notfallrettungsmitteln abgeleistet
worden sei. Angesichts der Bedeutung, die der Gesetzgeber der praktischen
Erfahrung beigemessen habe, müssten die Einsatzstunden auf Notfallret-
tungsmitteln voll angerechnet werden.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom
16. Oktober 2006 zu ändern und die Berufung zurückzu-
weisen.
Der Beklagte verteidigt das angegriffene Berufungsurteil.
Der Vertreter des Bundesinteresses tritt der Revision ebenfalls entgegen.
II
Die Revision hat Erfolg. Das Berufungsurteil verletzt Bundesrecht, weil es eine
Anrechnung der Tätigkeit des Klägers im Rettungsdienst nur bis zu einer be-
stimmten Höchstgrenze zulässt. Darin liegt ein Verstoß gegen § 8 Abs. 2 Satz 2
des Gesetzes über den Beruf der Rettungsassistentin und des Rettungsassis-
tenten - RettAssG - vom 10. Juli 1989 (BGBl I S. 1384), zuletzt geändert durch
9
10
11
12
- 6 -
Gesetz vom 2. Dezember 2007 (BGBl I S. 2686), der eine solche Anrech-
nungsgrenze nicht vorsieht. Das Urteil erweist sich auch nicht aus anderen
Gründen als richtig. Der Kläger hat einen Anspruch auf Erteilung der Erlaubnis
zum Führen der Berufsbezeichnung Rettungsassistent, weil er im Umfang der
nach § 7 RettAssG erforderlichen praktischen Tätigkeit gleichwertige und damit
gemäß § 8 Abs. 2 Satz 2 RettAssG anrechenbare praktische Tätigkeiten im
Rettungsdienst nachweisen kann.
Nach § 2 Abs. 1 RettAssG ist die Erlaubnis zum Führen der Berufsbezeichnung
Rettungsassistent zu erteilen, wenn der Antragsteller an dem Lehrgang nach
§ 4 RettAssG teilgenommen, die staatliche Prüfung bestanden sowie die prakti-
sche Tätigkeit nach § 7 RettAssG erfolgreich abgeleistet hat und keine Versa-
gungsgründe im Sinne der Ziffern 2 bis 4 der Vorschrift vorliegen.
Der Kläger hat den Lehrgang nach § 4 RettAssG absolviert und die staatliche
Prüfung am 27. Juli 2001 bestanden. Zuverlässigkeit, gesundheitliche Eignung
und erforderliche Sprachkenntnisse (§ 2 Abs. 1 Ziffer 2 bis 4 RettAssG) stehen
nicht in Zweifel. Unstreitig ist ebenfalls, dass der Kläger die Voraussetzung
nach § 2 Abs. 1 Ziffer 1 Buchstabe b RettAssG, also das erfolgreiche Ableisten
der praktischen Tätigkeit nach § 7 RettAssG, nicht erfüllt. Die sich nach dem
vorgesehenen Ausbildungsgang an den Lehrgang und die staatliche Prüfung
anschließende praktische Tätigkeit im Sinne des § 7 RettAssG (Praktikum) um-
fasst mindestens 1 600 Stunden und dauert in Vollzeit zwölf Monate. Sie muss
bei einer hierzu besonders ermächtigten Einrichtung des Rettungsdienstes un-
ter Aufsicht eines Rettungsassistenten abgeleistet werden (§ 7 Abs. 1 und 2
RettAssG); sie beinhaltet die Teilnahme an mindestens 50 Unterrichtsstunden,
erfordert das Führen eines Berichtsheftes und endet mit einem Abschlussge-
spräch zur Feststellung der von dem Praktikanten erworbenen Kenntnisse und
Fähigkeiten (§ 2 der Ausbildungs- und Prüfungsverordnung für Rettungsassis-
tenten - RettAssAPrV - vom 7. November 1989, BGBl I S. 1966, zuletzt geän-
dert durch Gesetz vom 2. Dezember 2007, BGBl I S. 2686 <2725>). Der Kläger
hat nach den Feststellungen des Berufungsgerichts nach Bestehen der staatli-
chen Prüfung nicht als Praktikant gearbeitet, sondern (weiterhin) als Rettungs-
sanitäter.
13
14
- 7 -
Das Fehlen eines Praktikums nach § 7 RettAssG ist indes unschädlich, weil der
Kläger die Voraussetzungen des § 8 Abs. 2 Satz 2 RettAssG erfüllt. Danach ist
eine nach Abschluss der Ausbildung zum Rettungssanitäter im Rahmen des
sog. 520-Stunden-Programms abgeleistete Tätigkeit im Rettungsdienst im Um-
fang ihrer Gleichwertigkeit auf die praktische Tätigkeit nach § 7 RettAssG anzu-
rechnen. Voraussetzung für die Anerkennung einer Tätigkeit nach § 8 Abs. 2
Satz 2 RettAssG als gleichwertig ist, dass der Antragsteller während dieser Zeit
überwiegend auf Rettungs- und Notarztwagen eingesetzt war (§ 10 Abs. 1
RettAssG i.V.m. § 3 RettAssAPrV).
1. Das Berufungsgericht hat zu Unrecht angenommen, dass nach diesen Vor-
schriften die Anrechnung von Tätigkeiten im Rettungsdienst als gleichwertig ge-
nerell nur bis zu einer bestimmten Höchstgrenze (hier: 640 Einsatzstunden)
möglich sein soll.
Der Gesetzesvorbehalt in Art. 12 Abs. 1 GG verpflichtet den Gesetzgeber nicht,
den unbestimmten Rechtsbegriff der Gleichwertigkeit einer anderweitigen Aus-
bildung oder Berufserfahrung näher zu konkretisieren. Er kann die Konkretisie-
rung dem Gesetzesvollzug und der Kontrolle durch die Verwaltungsgerichte
überlassen (vgl. zu solchen Konstellationen etwa Urteile vom 19. März 1998
- BVerwG 2 C 2.97 - BVerwGE 106, 253 <255 f.> = Buchholz 111 Art. 37 EV
Nr. 5 S. 25, vom 10. Dezember 1997 - BVerwG 6 C 10.97 - BVerwGE 106, 24
<29> = Buchholz 111 Art. 37 EV Nr. 4 S. 15 und vom 23. Juni 1993 - BVerwG
11 C 12.92 - BVerwGE 92, 340 <349> = Buchholz 436.36 § 2 BAföG Nr. 23
S. 33 f.). Der Gesetzgeber ist auf der anderen Seite nicht gehindert, eine Kon-
kretisierung selbst vorzunehmen oder den Verordnungsgeber dazu zu ermäch-
tigen und die Exekutive auf diese Weise zu binden. In einem solchen Fall ist
kein Raum für eine Verwaltungspraxis, die über abschließende Regelungen des
Gesetzes oder der Verordnung hinausgeht.
Die Unzulässigkeit einer Höchstanrechnungsgrenze ergibt sich bereits unmit-
telbar aus dem Regelungszusammenhang des § 8 Abs. 2 Satz 2 RettAssG. Die
Vorschrift selbst sieht eine derartige Beschränkung nicht vor. Wenn der Ge-
15
16
17
18
- 8 -
setzgeber eine Anrechnung im Umfang der Gleichwertigkeit vorsieht, beinhaltet
dies auch die Möglichkeit einer Anrechnung der anderweitigen Tätigkeit auf das
gesamte Praktikum. Zu diesem Schluss zwingt der Umstand, dass der Gesetz-
geber in derselben Vorschrift an anderer Stelle ausdrücklich eine Begrenzung
der Anrechenbarkeit bestimmt hat. So wird nach § 8 Abs. 4 RettAssG bei Voll-
zugsbeamten mit Sanitätsausbildung der Lehrgang um 600 Stunden bzw. um
sechs Monate verkürzt. Nach § 8 Abs. 5 RettAssG können bestimmte Zeiten bis
zu drei Monaten auf das Praktikum angerechnet werden. Eine Anrech-
nungsgrenze hat der Gesetzgeber ebenfalls in § 8 Abs. 1 Satz 1 RettAssG for-
muliert. Danach kann eine andere Ausbildung im Umfang ihrer Gleichwertigkeit
auf die Dauer des Lehrgangs angerechnet werden, wenn dessen Durchführung
und die Erreichung des Ausbildungsziels dadurch nicht gefährdet werden. Mit
dieser Formulierung lässt der Gesetzgeber erkennen, dass er keine Gesamtan-
rechnung ermöglichen, sondern die Durchführung zumindest eines verkürzten
Lehrgangs sicherstellen wollte. Angesichts eines solchen Normumfeldes verbie-
tet es sich, bei § 8 Abs. 2 Satz 2 RettAssG eine Anrechnungsgrenze anzuneh-
men. Wenn der Gesetzgeber auch hier eine Begrenzung der Anrechenbarkeit
gewollt hätte, so hätte er es zum Ausdruck gebracht. Dies bestätigt sich zusätz-
lich durch § 8 Abs. 1 Satz 2 RettAssG. Danach kann eine außerhalb des Gel-
tungsbereichs des Gesetzes abgeleistete praktische Tätigkeit im Umfang ihrer
Gleichwertigkeit „ganz oder teilweise“ auf die praktische Tätigkeit nach § 7
RettAssG angerechnet werden. Dadurch wird der Behörde ein Ermessen eröff-
net, eine gleichwertige praktische Tätigkeit im Ausland in ihrer Gesamtlänge
oder kürzer anzurechnen, um auch bei längeren an sich gleichwertigen prakti-
schen Tätigkeiten im Ausland über eine nur teilweise Anrechnung dieser Zeit
von dem Antragsteller noch die Absolvierung eines Restpraktikums nach § 7
RettAssG verlangen zu können. Eine solche Regelung fehlt bei § 8 Abs. 2
Satz 2 RettAssG.
Aus § 2 Abs. 1 Satz 3 RettAssAPrV folgt schon deshalb nichts Gegenteiliges,
weil auch der Verordnungsgeber keine Höchstanrechnungsgrenze vorsehen
könnte, die nach dem gesetzlichen Regelungszusammenhang ausgeschlossen
ist. Im Übrigen trifft die Norm lediglich eine Folgeregelung für den Fall einer
Verkürzung des Praktikums; dann soll auch die Zahl der während des Prakti-
19
- 9 -
kums zu absolvierenden Unterrichtsstunden (regulär 50) entsprechend reduziert
werden. Damit ist nicht gesagt, dass nur eine Verkürzung und nicht auch eine
Anrechnung auf das ganze Praktikum möglich ist. Der Verordnungsgeber hatte
keinen Anlass, an dieser Stelle eine Folgeregelung in Bezug auf die Un-
terrichtsstunden für den Fall einer vollständigen Anrechnung zu treffen. Soweit
kein Praktikum absolviert werden muss, weil Tätigkeiten im Rettungsdienst auf
das gesamte Praktikum angerechnet werden, entfallen zwangsläufig auch die
Unterrichtsstunden als ein Element des Praktikums (vgl. - zum Berichtsheft -
Beschluss vom 15. März 2002 - BVerwG 3 B 110.01 - Buchholz 418.15
Rettungswesen Nr. 10).
Soweit das Berufungsgericht auf den Zweck des Gesetzes abstellt, eine qualifi-
zierte und an der modernen Notfallmedizin orientierte Ausbildung des Begleit-
personals sicherzustellen, ergibt sich aus dieser vom Gesetzgeber erklärterma-
ßen (vgl. BTDrucks 11/2275 S. 7 f.) verfolgten Absicht nicht, dass er die Ableis-
tung eines Praktikums zumindest in der Form eines Restpraktikums für unver-
zichtbar hält und deshalb eine Anrechung nach § 8 Abs. 2 Satz 2 RettAssG nur
bis zu einer absoluten Höchstgrenze zulässig ist. Der wesentliche Teil der Aus-
bildung zum Rettungsassistenten, durch den die Qualität gegenüber den bishe-
rigen Ausbildungen gehoben wird, ist gerade für die nach dem 520-Stunden-
Programm ausgebildeten und bereits im Rettungsdienst tätigen Rettungssanitä-
ter nicht das Praktikum, sondern der Lehrgang nach § 4 RettAssG mit den
Ausbildungsinhalten nach § 1 RettAssAPrV i.V.m. Anlage 1 der Verordnung.
Die Bedeutung des Lehrgangs für die Ausbildung zeigt sich auch daran, dass
die staatliche Prüfung zum Rettungsassistenten an diesen Lehrgang anschließt
und nicht an das nach dem Lehrgang zu absolvierende Praktikum. Im Einklang
damit hat der Gesetzgeber die Anrechnungsmöglichkeiten in Bezug auf den
Lehrgang - anders als bei dem Praktikum - so gestaltet, dass zumindest ein
verkürzter Lehrgang in jedem Fall absolviert werden muss (§§ 6, 8 Abs. 1
Satz 1, Abs. 2 Satz 1 RettAssG).
2. Die ohne eine Anrechnungsgrenze berücksichtigungsfähigen Einsatzstunden
des Klägers als Rettungssanitäter sind gemäß § 8 Abs. 2 Satz 2 RettAssG in
einem Umfang gleichwertig, der zu einer Anrechnung auf das gesamte Prakti-
20
21
- 10 -
kum (1 600 Stunden) führt. Es kommt insoweit nur darauf an, dass der Kläger
überwiegend auf Rettungs- und Notarztwagen eingesetzt war.
a) Welche Anforderungen an eine Tätigkeit im Rettungsdienst zu stellen sind,
um sie als gleichwertig mit einem Praktikum nach § 7 RettAssG anzuerkennen,
hat der Verordnungsgeber in § 3 RettAssAPrV normiert. Diese Regelung ist ab-
schließend. Das folgt bereits aus ihrem Wortlaut. Die Vorschrift nennt die
überwiegende Tätigkeit in der Notfallrettung nicht als „eine“ Voraussetzung, die
in Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs der Gleichwertigkeit durch wei-
tere Bedingungen ergänzt werden könnte, sondern als einzige Voraussetzung.
Es folgt außerdem aus dem Regelungszusammenhang. Der Gesetzgeber hat
die nähere Bestimmung der materiellen Gleichwertigkeit bei § 8 Abs. 2 Satz 2
RettAssG - anders als bei § 8 Abs. 1 RettAssG - nicht dem Gesetzesvollzug
überlassen, sondern den Verordnungsgeber ermächtigt, die Voraussetzungen
für die Gleichwertigkeit zu regeln. Der Verordnungsgeber hat von der Ermächti-
gung Gebrauch gemacht und als Voraussetzung für die Anerkennung als
gleichwertig die überwiegende Tätigkeit in der Notfallrettung bestimmt. Ohne
gegenteilige Anhaltspunkte kann daraus nur geschlossen werden, dass der
Verordnungsgeber die Ermächtigung auch in diesem Punkt ausgeschöpft hat
und nicht nur eine Mindestvoraussetzung formulieren wollte, die von der Exeku-
tive je nach Dafürhalten übernommen oder verschärft werden kann. Im Übrigen
hat der Gesetzgeber in § 10 Abs. 1 RettAssG selbst kenntlich gemacht, inwie-
weit der Verordnungsgeber lediglich zur Regelung von „Mindestanforderungen“
ermächtigt wird, also noch Raum bleibt für Ergänzungen. Die Konkretisierung
der Gleichwertigkeit zählt nicht dazu. Gegen das Verständnis des Beklagten
spricht schließlich die erklärte Absicht des Gesetzgebers, mit dem Rettungsas-
sistentengesetz eine bundeseinheitliche Regelung des Berufsbildes des Ret-
tungsassistenten und des Berufszugangs zu schaffen (vgl. BTDrucks 11/2275
S. 7 f.). Damit lässt sich die Vorstellung, die Gesundheitsbehörden der Länder
könnten die gesetzlichen Anforderungen an die materielle Gleichwertigkeit je-
weils durch weitere Vorgaben ergänzen, nicht vereinbaren.
Aus dem vom Berufungsgericht angeführten Urteil des Senats vom 8. Dezem-
ber 1994 - BVerwG 3 C 10.93 - (BVerwGE 97, 179 = Buchholz 418.15 Ret-
22
23
- 11 -
tungswesen Nr. 3) folgt nichts anderes. Der Senat hat dort ausgeführt, die
Gleichwertigkeit im Sinne des § 8 RettAssG sei gegenüber der nach § 13
RettAssG erforderlichen Tätigkeit im Rettungsdienst ein „zusätzliches Kriteri-
um“, das unbeschadet der Notwendigkeit einer Tätigkeit bei der Notfallrettung
das Abweichen von der gesetzlich festgelegten Art der praktischen Tätigkeit
gestattet (a.a.O. S. 184 bzw. S. 24). Damit ist gemeint, dass schon das Tatbe-
standsmerkmal der Tätigkeit im Rettungsdienst eine Tätigkeit auch in der Not-
fallrettung voraussetzt und nicht vorliegt, wenn (wie in jenem Fall) überhaupt
keine Zeiten in der Notfallrettung absolviert wurden. Das zusätzliche Kriterium
der Gleichwertigkeit ergibt sich gemäß § 3 RettAssAPrV daraus, dass die Tä-
tigkeit im Rettungsdienst nicht nur auch, sondern überwiegend in der Notfallret-
tung absolviert worden sein muss.
Die bayerische Vollzugspraxis erweist sich hiernach auch insoweit als rechts-
widrig, als Einsatzzeiten der Rettungssanitäter in der Notfallrettung nur zu ei-
nem Drittel berücksichtigt werden. Es kommt deshalb nicht mehr darauf an,
dass es außerdem sachwidrig ist, von diesen Einsatzzeiten nur ein Drittel zu
berücksichtigen, während Zeiten im Krankentransport in einem Umfang von 4/6
der tatsächlichen Notfallrettungszeiten, insoweit aber im Verhältnis 1:1, in An-
satz kommen. Dies würde nach der Berechnung des Beklagten im Falle des
Klägers zu dem sinnwidrigen Ergebnis führen, dass von seinen Einsatzzeiten in
der Notfallrettung als der das Berufsbild prägenden Tätigkeit deutlich weniger
Stunden zu berücksichtigen wären als von den annähernd gleichen Einsatzzei-
ten im Krankentransport. Eine solche Berechnungsmethode kann nicht richtig
sein. Eine Beschränkung der Anrechenbarkeit auf Zeiten vor Beginn der Aus-
bildung ist - unabhängig von der Frage ihrer sachlichen Begründbarkeit - eben-
falls bereits deshalb rechtswidrig, weil sie über die abschließend normierten
Gleichwertigkeitsvoraussetzungen hinausgeht.
Einen gewissen Spielraum belässt § 3 RettAssAPrV lediglich bei der Auslegung
des dort nicht näher konkretisierten Begriffes des „überwiegenden“ Einsatzes
auf Rettungs- und Notarztwagen. Insoweit ist das von dem Beklagten geforder-
te Verhältnis von 60 zu 40 zugunsten der Notfallrettung, also die Berücksichti-
gung von Einsatzzeiten im Krankentransport im Umfang von 4/6 der Notfallret-
24
25
- 12 -
tungszeiten, nicht sachwidrig. Es trägt dem Umstand Rechnung, dass die Not-
fallrettung für den Rettungsdienst und das Berufsbild des Rettungsassistenten
prägend ist und deshalb insoweit ein merklich überwiegender Zeitanteil verlangt
werden kann.
b) Der Kläger hat nach den Feststellungen des Berufungsgerichts vor Beginn
der Ausbildung zum Rettungsassistenten zwischen Februar 1999 und Februar
2001 als Rettungssanitäter 1 462 Stunden auf Notfallrettungsmitteln und 1 406
Stunden auf Krankentransportwagen absolviert. Unter Berücksichtigung einer
Anrechnung der Einsatzzeiten im Krankentransport im Umfang von 4/6 der Not-
fallrettungszeiten ergeben sich daraus weit mehr als 1 600 gleichwertige
Einsatzstunden, so dass der Kläger das Erfordernis der praktischen Tätigkeit
auf diesem Wege erfüllt hat.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 und 2 VwGO.
Kley
Dr. Dette
Liebler
Prof. Dr. Rennert
Buchheister
26
27
Sachgebiet:
BVerwGE:
nein
Recht der Heilhilfsberufe
Fachpresse:
ja
Rechtsquellen:
GG
Art. 12 Abs. 1
RettAssG
§ 2 Abs. 1, §§ 4, 7, 8 Abs. 2 Satz 2, §§ 10, 13
RettAssAPrV § 2 Abs. 1 Satz 3, § 3
Stichworte:
Rettungsassistent, Rettungssanitäter, Ausbildung, praktische Tätigkeit, Prakti-
kum, Tätigkeit im Rettungsdienst, Anrechnung, Höchstgrenze, Gleichwertigkeit,
überwiegende Tätigkeit in der Notfallrettung, Vollzugspraxis.
Leitsätze:
Auf die praktische Tätigkeit im Rahmen der Ausbildung zum Rettungsassisten-
ten können nach § 8 Abs. 2 Satz 2 RettAssG Tätigkeitszeiten als Rettungssani-
täter nicht nur bis zu einer Höchstgrenze, sondern im Umfang ihrer Gleichwer-
tigkeit vollständig angerechnet werden.
Die Gleichwertigkeit einer Tätigkeit als Rettungssanitäter wird in § 3 der Ausbil-
dungs- und Prüfungsverordnung für Rettungsassistenten abschließend konkre-
tisiert. Einziges Kriterium ist danach der überwiegende Einsatz auf Rettungs-
und Notarztwagen.
Urteil des 3. Senats vom 20. November 2008 - BVerwG 3 C 25.07
I. VG Augsburg
vom 18.05.2005
- Az.: VG Au 7 K 03.1408 -
II. VGH München vom 16.10.2006
- Az.: VGH 21 BV 05.2230 -