Urteil des BVerwG vom 14.04.2011

Überprüfung, Widerruf, Berechtigung, Lizenz

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
BVerwG 3 C 24.10
OVG 20 A 2921/07
Verkündet
am 14. April 2011
Zweigler
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 14. April 2011
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Kley und
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Liebler, Prof. Dr. Dr. h.c. Rennert,
Buchheister und Dr. Wysk
für Recht erkannt:
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Oberver-
waltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom
16. Oktober 2008 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.
G r ü n d e :
I
Der Kläger wendet sich gegen den Widerruf seiner Berechtigung zum Führen
von Luftfahrzeugen.
Der 1951 geborene Kläger erwarb im September 1991 erstmals einen Luftfah-
rerschein für Privatluftfahrzeugführer; er berechtigte ihn zum Führen von ein-
motorigen Landflugzeugen bis zu einer Höchstabflugmasse von 2 000 kg. Die
Erlaubnis wurde in der Folgezeit mehrfach verlängert. Zuletzt erhielt der Kläger
im August 2003 einen bis 24. August 2008 gültigen Luftfahrerschein für Privat-
luftfahrzeugführer; die dort eingetragene Klassenberechtigung für einmotorige
Landflugzeuge galt bis zum 19. August 2005.
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Mit Schreiben vom 9. August 2005 forderte die Beklagte den Kläger auf, einen
Antrag auf Durchführung der Zuverlässigkeitsüberprüfung nach § 7 des Luftsi-
cherheitsgesetzes (LuftSiG) zu stellen; sie wies zugleich darauf hin, dass eine
Weigerung Zweifel an seiner für die Erteilung von Fluglizenzen erforderlichen
Zuverlässigkeit begründe. Dieser Aufforderung kam der Kläger nicht nach.
Daraufhin widerrief die Beklagte mit Bescheid vom 31. März 2006 die dem Klä-
ger erteilte Erlaubnis für Privatflugzeugführer und forderte ihn zur Abgabe des
Luftfahrerscheins binnen einer Woche auf. Da wegen unterbliebener Antrag-
stellung keine Entscheidung der Luftsicherheitsbehörde über seine Zuverläs-
sigkeit vorliege, fehle eine Voraussetzung für die Erteilung dieser Erlaubnis. Die
Berechtigung zum Führen von Kleinflugzeugen sei deshalb nach § 4 Abs. 3 des
Luftverkehrsgesetzes (LuftVG) zu widerrufen. Den Widerspruch des Klägers
wies die Beklagte mit Bescheid vom 31. Mai 2006 zurück.
Seine Klage hat das Verwaltungsgericht abgewiesen. Die Berufung des Klägers
hat das Oberverwaltungsgericht zurückgewiesen. Zur Begründung führt es aus:
Die Anfechtungsklage bleibe trotz der mittlerweile abgelaufenen Gültigkeit der
Erlaubnisse zulässig; gemäß § 26a der Luftverkehrs-Zulassungs-Ordnung
(LuftVZO) vermittelten sie bei bloßem Zeitablauf, anders als im Fall des Wider-
rufs, ein Recht auf Erneuerung. Die Klage sei aber unbegründet. Die dem Klä-
ger erteilte Lizenz für einmotorige Flugzeuge bis zu einer Höchstabflugmasse
von 2 000 kg sei zu Recht widerrufen worden; denn er habe sich keiner Zuver-
lässigkeitsüberprüfung nach § 7 LuftSiG unterzogen, so dass eine positive
Feststellung seiner luftsicherheitsrechtlichen Zuverlässigkeit fehle. Mit der Neu-
regelung in § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 2. Alt. LuftVG seien die Anforderungen an
die Zuverlässigkeit von Luftfahrern zur Abwehr von äußeren Gefahren für die
Luftsicherheit („security“) angewachsen. Der Gesetzgeber habe dem Bewerber
hierfür eine Nachweispflicht auferlegt; sie sei vergleichbar mit der Forderung
nach einer Tauglichkeitsuntersuchung. Dieser Nachweis müsse in Form einer
durch die Luftsicherheitsbehörde nach einer Überprüfung gemäß § 7 LuftSiG
ausgestellten Bescheinigung geführt werden. Einen solchen Nachweis habe
der Kläger nicht erbracht. Entsprechend der Erhöhung der Anforderungen an
die Zuverlässigkeit sei die Widerrufsbefugnis angewachsen. Dass die Inhaber
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früher erteilter Erlaubnisse von der Erweiterung der Zuverlässigkeitsanforde-
rungen verschont bleiben sollten, habe der Gesetzgeber nicht angeordnet. Eine
solche Begünstigung sei auch aus dem Wortlaut von § 4 Abs. 3 LuftVG nicht
ableitbar. Die Ermächtigung zum Widerruf der Erlaubnis solle nicht der Korrek-
tur einer rechtswidrigen Erteilung dienen, sondern eine Reaktion auf nachträg-
lich eingetretene Umstände ermöglichen. Dadurch solle den aktuellen Sicher-
heitsanforderungen Rechnung getragen werden. Dass anderweitige Anhalts-
punkte für ein Gefährdungspotenzial fehlten, der Betroffene die Überprüfung
selbst zu beantragen habe und eine Antragstellung nicht mit Mitteln des Ver-
waltungszwangs durchgesetzt werden könne, führe auf kein anderes Verständ-
nis. Dem Zweck der Neuregelung widerspräche es, wenn die Überprüfung von
Altlizenzinhabern aufgeschoben würde oder - bei unbefristeten Erlaubnissen -
ganz unterbliebe. Dass zum Zeitpunkt des Widerrufs die in § 17 Abs. 1 LuftSiG
vorgesehene Durchführungsverordnung noch nicht erlassen gewesen sei, habe
den Kläger nicht hindern müssen, seine Überprüfung zu beantragen. Ebenso
wenig habe deshalb die Gefahr eines unzulässigen Eingriffs in das Recht auf
informationelle Selbstbestimmung bestanden; die im Luftsicherheitsgesetz ver-
ankerten Verfahrensrechte hätten den Kläger insoweit hinreichend geschützt.
Schließlich führe auch die inzwischen in Kraft getretene Luftsicherheits-
Zuverlässigkeitsüberprüfungsverordnung (LuftSiZÜV) nicht zu einer anderen
Bewertung; dort sei - schon wegen des Fehlens einer entsprechenden Ermäch-
tigungsgrundlage - für Altfälle nichts verbindlich geregelt. Zweifel an der Verfas-
sungsmäßigkeit der den Widerruf tragenden gesetzlichen Grundlagen bestün-
den nicht. Diese Regelungen seien auch mit dem Europäischen Gemein-
schaftsrecht vereinbar.
Zur Begründung seiner Revision macht der Kläger geltend: Das Bundesverfas-
sungsgericht habe sich in seinem Beschluss vom 4. Mai 2010 zwar ausführlich
mit der Frage der Zustimmungsbedürftigkeit des Gesetzes zur Neuregelung von
Luftsicherheitsaufgaben befasst, die Frage der Vereinbarkeit der Regelungen
mit den Grundrechten jedoch nur knapp und ungenügend behandelt. Es sei
nicht gerechtfertigt, von einem Flugzeugführer ohne konkreten Anlass sowie
ohne Erläuterung und Belehrung eine Generaleinwilligung zur Einsichtnahme in
alle über ihn gespeicherten Daten sowie zu deren Weiterverwendung zu ver-
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langen. Das Gemeinschaftsrecht sehe eine Erstreckung der luftsicherheits-
rechtlichen Überprüfung auf Luftfahrer im Sinne von § 7 Abs. 1 Nr. 4 LuftSiG
nicht vor; das nationale Recht dürfe darüber nicht hinausgehen, zumal kein
entsprechender Handlungsbedarf bestehe. Dem Luftsicherheitsgesetz lasse
sich keine Pflicht des Piloten entnehmen, einen Antrag auf Zuverlässigkeits-
überprüfung zu stellen. Diese Überprüfung eigne sich auch nicht zur Gefahren-
abwehr. Die bisher bekannt gewordenen Vorfälle seien nicht von Inhabern einer
gültigen Fluglizenz, sondern mit gestohlenen oder entführten Flugzeugen be-
gangen worden. Zudem würden Inhaber ausländischer Fluglizenzen nicht über-
prüft, ebenso wenig andere Personen, wie etwa die Führer von Tanklastzügen,
von denen ebenfalls Gefahren ausgehen könnten.
Der Senat hat das Revisionsverfahren mit Beschluss vom 20. Mai 2009 ausge-
setzt, nachdem dem Bundesverfassungsgericht in einem Normenkontrollverfah-
ren nach Art. 100 GG die Frage zur Entscheidung vorlag, ob § 7 Abs. 1 Nr. 4
LuftSiG i.V.m. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 LuftVG verfassungsgemäß ist. Das Bun-
desverfassungsgericht hat mit Beschluss vom 4. Mai 2010 - 2 BvL 8/07 und
9/07 - (NVwZ 2010, 1146) festgestellt, dass diese Regelungen mit dem Grund-
gesetz vereinbar sind, „soweit danach eine Zuverlässigkeitsprüfung für Luftfah-
rer im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 1 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 4 LuftVG er-
forderlich ist“.
Die Beklagte tritt der Revision entgegen. Das Berufungsgericht sei zu Recht
davon ausgegangen, dass die luftsicherheitsrechtliche Zuverlässigkeit auch bei
Inhabern von Altlizenzen zu überprüfen sei. Zweifel an der Zuverlässigkeit im
Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 LuftVG bestünden bereits dann, wenn wegen
eines fehlenden Antrags des Betroffenen eine Überprüfung nicht durchgeführt
werden könne. Das Bundesverfassungsgericht habe bestätigt, dass es verfas-
sungsgemäß sei, von Privatpiloten eine Zuverlässigkeitsüberprüfung zu verlan-
gen und ohne diesen Nachweis die Flugberechtigung zu widerrufen.
Der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht hält die
Revision ebenfalls für unbegründet und trägt im Einvernehmen mit den Bun-
desministerien des Innern und der Justiz vor: Die Beklagte habe die Fluglizenz
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des Klägers widerrufen dürfen. Wegen dessen Weigerung, sich einer Zuverläs-
sigkeitsüberprüfung zu unterziehen, hätten Zweifel an seiner Zuverlässigkeit im
Sinne von § 7 LuftSiG bestanden. Nach Wortlaut, Systematik, Entstehungsge-
schichte und Zweck der Regelungen seien auch Altlizenzinhaber zu überprü-
fen. Der mit der Überprüfung verbundene Eingriff in die allgemeine Handlungs-
freiheit des Art. 2 Abs. 1 GG sowie in das Recht auf informationelle Selbstbe-
stimmung sei im Hinblick auf das Gefährdungspotenzial im Luftverkehr und die
hochrangigen zu schützenden Rechtsgüter gerechtfertigt.
II
Die Revision des Klägers bleibt ohne Erfolg. Das Berufungsgericht hat ohne
Verstoß gegen Bundesrecht (§ 137 Abs. 2 VwGO) angenommen, dass sich
auch Privatpiloten, denen die Fluglizenz noch vor dem Inkrafttreten des Geset-
zes zur Neuregelung von Luftsicherheitsaufgaben erteilt wurde, einer Überprü-
fung ihrer luftsicherheitsrechtlichen Zuverlässigkeit nach diesem Gesetz zu un-
terziehen haben. Die entsprechenden Neuregelungen sind formell und materiell
verfassungsgemäß; sie beinhalten auch keinen Verstoß gegen Gemeinschafts-
recht.
1. Maßgeblich für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist beim Widerruf
einer Luftfahrererlaubnis nach § 4 Abs. 3 LuftVG der Zeitpunkt der letzten Be-
hördenentscheidung (vgl. zur Feststellung der Zuverlässigkeit nach § 29d
Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 LuftVG a.F.: Urteil vom 15. Juli 2004 - BVerwG 3 C 33.03 -
BVerwGE 121, 257 <260 f.>; ebenso OVG Berlin, Beschluss vom 12. Novem-
ber 2010 - 12 N 71.10 - juris Rn. 11 und VGH München, Urteil vom 3. März
2009 - 8 BV 07.496 - juris Rn. 14; vgl. auch OVG Münster, Beschluss vom
15. Juni 2009 - 20 B 148/09 - juris Rn. 7); danach kommt es hier auf den Erlass
des Widerspruchsbescheides am 31. Mai 2006 an.
Abzustellen ist daher auf § 4 Abs. 3 i.V.m. Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 LuftVG sowie § 7
LuftSiG in der am 15. Januar 2005 in Kraft getretenen Fassung von Art. 1 des
Gesetzes zur Neuregelung von Luftsicherheitsaufgaben vom 11. Januar 2005
(BGBl I S. 78). Nach § 4 Abs. 3 LuftVG ist die für das Führen oder Bedienen
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eines Luftfahrzeuges erforderliche Erlaubnis zu widerrufen, wenn die Voraus-
setzungen nach Absatz 1 nicht mehr vorliegen. Gemäß § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3
LuftVG wird die Erlaubnis nur erteilt, wenn keine Tatsachen vorliegen, die den
Bewerber als unzuverlässig erscheinen lassen, ein Luftfahrzeug zu führen oder
zu bedienen, und keine Zweifel an seiner Zuverlässigkeit nach § 7 des Luftsi-
cherheitsgesetzes bestehen. § 7 Abs. 1 Nr. 4 LuftSiG sieht vor, dass zum
Schutz vor Angriffen auf die Sicherheit des Luftverkehrs (§ 1) die Zuverlässig-
keit von Luftfahrern im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Nr. 1 bis 3 und
5 des LuftVG und entsprechenden Flugschülern zu überprüfen ist. Keine An-
wendung findet dagegen die auf der Grundlage von § 17 LuftSiG erlassene
Luftsicherheits-Zuverlässigkeitsüberprüfungsverordnung (LuftSiZÜV) vom
23. Mai 2007 (BGBl I S. 947), da sie erst am 2. Juni 2007 in Kraft getreten ist.
2. Aufgrund des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Mai 2010
(a.a.O.) steht mit bindender Wirkung (§ 31 Abs. 1 und 2 BVerfGG) fest, dass
§ 7 Abs. 1 Nr. 4 LuftSiG i.V.m. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 LuftVG in der hier maß-
geblichen Fassung mit dem Grundgesetz vereinbar ist, soweit danach eine Zu-
verlässigkeitsüberprüfung für Privatpiloten erforderlich ist, die wie der Kläger im
Besitz einer Lizenz für (Land-)Flugzeuge im Sinne des § 1 Abs. 2 Nr. 1 LuftVG
sind. Soweit im Tenor dieser Entscheidung (vgl. BGBl I 2010 S. 885) Nr. 4 des
§ 1 Abs. 2 LuftVG - statt Nr. 5 - genannt wird, handelt es sich um eine offen-
sichtliche Unrichtigkeit (dazu das Urteil des Senats vom heutigen Tag im Ver-
fahren BVerwG 3 C 20.10), die für das vorliegende Verfahren keine Bedeutung
hat.
Die Verfassungsmäßigkeit der einschlägigen Norm ist in formeller und materiel-
ler Hinsicht umfassend bestätigt worden. In den Gründen seiner Entscheidung
hat das Bundesverfassungsgericht nicht nur ausgeführt, dass das Gesetz zur
Neuregelung von Luftsicherheitsaufgaben nicht der Zustimmung des Bundesra-
tes bedurfte (a.a.O. Rn. 126 ff.); es hat darüber hinaus klargestellt, dass die
ihm zur Überprüfung vorgelegten Normen weder gegen Grundrechte noch ge-
gen das Rechtsstaatsprinzip verstießen (a.a.O. Rn. 153 ff.). Hiervon hat der
Senat bei seiner Entscheidung auszugehen.
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3. Die Beklagte war zum Widerruf der Luftfahrererlaubnis nach § 4 Abs. 3
LuftVG befugt.
a) Die Voraussetzungen nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 LuftVG lagen beim Kläger
im Zeitpunkt des Widerrufs nicht vor; denn bereits ein Jahr zuvor, am
15. Januar 2005, war § 7 LuftSiG in Kraft getreten, der gegenüber dem bei Er-
teilung der Luftfahrerlizenz im Jahr 2003 geltenden Rechtszustand erhöhte An-
forderungen an die Zuverlässigkeit der Lizenzinhaber stellte. Diese Anforde-
rungen ergeben sich daraus, dass nach der neuen Konzeption des § 4 Abs. 1
Satz 2 Nr. 3 LuftVG i.V.m. § 7 LuftSiG Zweifel an der Zuverlässigkeit der er-
fassten Luftfahrer solange zu vermuten sind, bis sie gemäß den Vorgaben des
Luftsicherheitsgesetzes ausgeräumt werden. Beim Kläger bestanden, wie un-
ten näher auszuführen ist, die Zweifel in beachtlicher Weise fort, weil seine Zu-
verlässigkeit nicht überprüft war und eine Überprüfung infolge der Weigerung,
den dafür unabdingbaren Antrag zu stellen, aus Rechtsgründen nicht in Be-
tracht kam (vgl. § 7 Abs. 2 Satz 1 LuftSiG). Ab diesem Zeitpunkt erfüllte er die
in § 4 Abs. 1 LuftVG in Bezug genommenen Voraussetzungen „nicht mehr“. Mit
dieser Formulierung verlangt das Gesetz, dass erlaubnispflichtige Luftfahrer
stets die jeweils aktuellen Anforderungen im Sinne des Absatzes 1 erfüllen. Für
den Fall der Verschärfung gesetzlicher Voraussetzungen verwendet das Beru-
fungsgericht das treffende Bild eines „Anwachsens“ des individuellen Anforde-
rungsprofils. Der Widerruf ist damit - entgegen der Annahme des Klägers und
eines Teils der obergerichtlichen Rechtsprechung (vgl. VGH München a.a.O.
Rn. 22; VGH Mannheim, Urteil vom 29. Juli 2008 - 8 S 904/08 - ZLW 2009, 721
) - nicht nur dann zulässig, wenn vom Piloten ursprünglich erfüllte An-
forderungen später nicht mehr erfüllt werden.
b) Die Regelung des § 7 Abs. 1 Nr. 4 LuftSiG war nach der dargestellten Kon-
zeption ohne Weiteres anwendbar. Die Inhaber bereits erteilter und noch gülti-
ger Lizenzen wie der Kläger (im Folgenden: Altlizenzinhaber) waren von ihr
nicht ausgenommen (vgl. auch Meyer, in: Grabherr/Reidt/Wysk, LuftVG, Kom-
mentar, § 7 LuftSiG Rn. 21 ff.). Insbesondere hatten sie sich nicht erst, wie der
Kläger in Übereinstimmung mit obergerichtlicher Rechtsprechung (VGH Mün-
chen a.a.O., VGH Mannheim a.a.O. und OVG Berlin, Beschluss vom
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1. Oktober 2007 - 12 S 58.07 - juris) meint, im Falle einer Verlängerung oder
Erneuerung der Lizenz einer Überprüfung zu unterziehen. Das ergibt sich
schon aus dem Wortlaut des § 7 LuftSiG, der den zu überprüfenden Personen-
kreis mit dem Begriff „Luftfahrer“ umschreibt, ohne danach zu differenzieren, ob
der Betroffene Inhaber einer Lizenz ist oder ihre erstmalige Erteilung, Verlänge-
rung oder Erneuerung anstrebt. Zudem entspricht die sofortige Anwendbarkeit
den Auslegungsgrundsätzen des intertemporalen Verwaltungsrechts, wonach
Rechtsänderungen grundsätzlich alle bei ihrem Inkrafttreten einschlägigen Fälle
erfassen, sofern das Gesetz nicht mit hinreichender Deutlichkeit etwas Abwei-
chendes bestimmt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 7. Juli 1992 - 2 BvR 1631/90
u.a. - BVerfGE 87, 48; BVerwG, Urteil vom 26. März 1985 - BVerwG 9 C
47.84 - Buchholz 402.25 § 10 AsylVfG Nr. 1 m.w.N.). Für eine solche
Einschränkung fehlen hier Anhaltspunkte, zumal das Luftsicherheitsgesetz für
die Durchführung der Überprüfung keine Übergangsregelung enthält. Die Zu-
verlässigkeitsregelung in § 26a i.V.m. § 24 der Luftverkehrs-Zulassungs-
Ordnung, die in der bis zum 30. Juni 2007 geltenden Fassung keinen Hinweis
auf § 7 LuftSiG enthielt, war in Übereinstimmung mit der gesetzlichen Neurege-
lung auszulegen und lässt sich daher nicht gegen deren Inhalt einwenden.
Vor allem aber sprechen Sinn und Zweck der Regelung deutlich dafür, auch
Altlizenzinhaber unverzüglich einer Zuverlässigkeitsüberprüfung zu unterziehen.
Die im Gesetz zur Neuregelung von Luftsicherheitsaufgaben vorgenommenen
Rechtsänderungen gehen ausweislich der Gesetzesbegründung auf eine Ände-
rung der Beurteilung der Sicherheitslage im Luftraum in Reaktion auf die terro-
ristischen Anschläge vom 11. September 2001 zurück; verwiesen wird in der
Gesetzesbegründung zusätzlich auf die Entführung eines Motorseglers in
Frankfurt am Main im Januar 2003 durch einen - wie sich später herausgestellt
hat - offensichtlich geistig Verwirrten (BTDrucks 15/2361 S. 14). Mit der Rege-
lung in § 7 LuftSiG soll eine umfassendere und effektivere Durchführung der
Zuverlässigkeitsüberprüfungen ermöglicht werden (a.a.O. S. 16). Ziel der Aus-
dehnung der Zuverlässigkeitsüberprüfung auf Luftfahrer sowie Flugschüler ist
es, einen besseren Schutz auch auf Kleinflughäfen und der allgemeinen Luft-
fahrt zu gewährleisten (a.a.O. S. 17). Dem Gesetzgeber ist ausdrücklich an ei-
ner raschen Umsetzung gelegen (a.a.O. S. 35). Dass er ein konsequentes
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Überprüfungsregime einrichten wollte, lässt sich überdies § 17 Abs. 1 Nr. 1
LuftSiG entnehmen, der von der Notwendigkeit von Wiederholungsprüfungen
ausgeht. All dies zeigt, dass den neuen Anforderungen an die luftsicherheits-
rechtliche Zuverlässigkeit umgehend und umfassend Geltung verschafft werden
sollte. Dieses Ziel würde aber - bei einer Geltungsdauer der Flugberechtigun-
gen von regelmäßig fünf Jahren (vgl. § 4 der Verordnung über Luftfahrtpersonal
- LuftPersV) - nur mit teils erheblicher Zeitverzögerung erreicht, wenn die Zu-
verlässigkeitsüberprüfung bei Inhabern von Altlizenzen erst bei der Verlänge-
rung einer bestehenden Berechtigung anstünde. Eine Zuverlässigkeitsüberprü-
fung würde bei einem solchen Verständnis der Regelung sogar gänzlich entfal-
len, wenn eine Flugberechtigung zeitlich unbeschränkt erteilt wurde. Dies ist
nach § 41 Abs. 1 Satz 1 LuftPersV etwa bei der Berechtigung für Motorsegler
der Fall. Motorsegler machen jedoch nach einer Übersicht des Luftfahrt-
Bundesamtes rund 14 % der in der Bundesrepublik registrierten Luftfahrzeuge
aus (2 948 von 21 327 nach dem Stand von 2008). Es kann nicht angenommen
werden, dass der Gesetzgeber solche Sicherheitslücken sehenden Auges in
Kauf nehmen wollte, zumal er in der Gesetzesbegründung gerade auch auf
einen Vorfall mit einem Motorsegler verweist. Ebenso wenig handelt es sich bei
der Überprüfung der Altlizenzinhaber um ein bloßes Übergangsphänomen (so
gegen VGH Mannheim zutreffend auch Meyer, a.a.O. § 7 LuftSiG Rn. 24).
§ 7 Abs. 6 LuftSiG kann einer Einbeziehung der Altlizenzinhaber nicht entgegen
gehalten werden (anders OVG Berlin a.a.O. Rn. 7; offengelassen von VGH
Mannheim a.a.O. Rn. 20). Dort ist geregelt, dass ohne eine abgeschlossene
Zuverlässigkeitsüberprüfung, bei der keine Zweifel an der Zuverlässigkeit
verbleiben, dem Betroffenen kein Zugang zu den nicht allgemein zugänglichen
Bereichen des Flugplatzgeländes gewährt werden (Abs. 1 Nr. 1 und 5) oder er
seine Tätigkeiten (Abs. 1 Nr. 2 und 3) nicht aufnehmen darf. Zwar enthält diese
Regelung keine vergleichbare Sperre für Luftfahrer im Sinne von § 7 Abs. 1
Nr. 4 LuftSiG; sie werden in § 7 Abs. 6 LuftSiG nicht erwähnt. Doch ergibt sich
bei ihnen eine im Wesentlichen wirkungsgleiche Sanktionierung des Unterblei-
bens oder des nicht erfolgreichen Absolvierens der Zuverlässigkeitsüberprü-
fung daraus, dass ihre Lizenz gemäß § 4 Abs. 3 LuftVG vollständig oder teil-
weise zu widerrufen ist. Dadurch werden sie - nicht anders als die in § 7 Abs. 6
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LuftSiG genannten Personen - daran gehindert, ihre nach der Wertung des Ge-
setzgebers potenziell die Luftsicherheit gefährdende spezifische Betätigung,
hier das Führen von Luftfahrzeugen, auszuüben. Damit spricht § 7 Abs. 6
LuftSiG nicht gegen, sondern gerade für eine Erstreckung des Überprüfungser-
fordernisses auf Altlizenzinhaber; denn auch diese Regelung zeigt, dass es
dem Gesetzgeber darum ging, die Aufnahme oder Fortführung der von § 7
Abs. 1 LuftSiG erfassten Betätigungen zu unterbinden, solange die betreffen-
den Personen nicht den Nachweis ihrer luftsicherheitsrechtlichen Zuverlässig-
keit erbracht haben.
Den Widerruf einer bestehenden Flugberechtigung hindert auch nicht, dass
zum Zeitpunkt des behördlichen Einschreitens die in § 17 Abs. 1 LuftSiG vor-
gesehene Verordnung zu den Einzelheiten der Zuverlässigkeitsüberprüfung
noch nicht erlassen war. Die gesetzlichen Regelungen in § 4 Abs. 3, § 4 Abs. 1
Satz 2 Nr. 3 2. Alt. LuftVG sowie § 7 LuftSiG bieten für den Widerruf eine aus-
reichende Rechtsgrundlage. Von einer sofortigen Anwendbarkeit der gesetzli-
chen Neuregelungen zur Zuverlässigkeitsüberprüfung nach deren Inkrafttreten
ging auch der Gesetzgeber selbst aus; nach der Gesetzesbegründung sollten
bis zum Erlass der in § 17 LuftSiG vorgesehenen Verordnung die Vorschriften
der auf der Grundlage des § 32 Abs. 2b LuftVG a.F. erlassenen Luftverkehr-
Zuverlässigkeitsüberprüfungsverordnung (LuftVZÜV) vom 8. Oktober 2001
(BGBl I S. 2625) fortgelten, soweit § 7 LuftSiG nicht ausdrücklich eine anders-
lautende gesetzliche Regelung trifft (BTDrucks 15/2361 S. 22).
Eine unzulässige Rückwirkung der gesetzlichen Neuregelungen ist mit der
Erstreckung der Zuverlässigkeitsüberprüfung auf Altlizenzinhaber nicht verbun-
den. Dass nach Erlaubniserteilung zusätzliche Anforderungen an die Zuverläs-
sigkeit von Privatpiloten gestellt werden, führt zu keiner echten Rückwirkung.
Damit wird nicht gestaltend in einen in der Vergangenheit abgeschlossenen
Sachverhalt eingegriffen; eine bereits erteilte Flugberechtigung wird nicht für
die Vergangenheit, sondern nur für die Zukunft in Frage gestellt. Soweit durch
den Widerruf eine erteilte Berechtigung in ihrer Geltungsdauer verkürzt wird
und darin zumindest eine unechte Rückwirkung liegt, ist dies durch überwie-
gende Gründe des Allgemeinwohls gerechtfertigt. Der Gesetzgeber ist nicht
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gehindert, eine von ihm in Wahrnehmung seiner Schutzpflicht aus Art. 2 Abs. 2
GG vorgenommene Verschärfung der Anforderungen an die luftsicherheits-
rechtliche Zuverlässigkeit dadurch effektiv umzusetzen, dass er den betreffen-
den Personenkreis unverzüglich und vollständig der von ihm als geboten erach-
teten Überprüfung unterzieht. Die Inhaber einer Flugberechtigung haben weder
ein schutzwürdiges Vertrauen darauf, dass die Anforderungen an die Zuverläs-
sigkeit nicht erhöht werden noch darauf, dass deren Durchsetzung unterbleibt
oder aufgeschoben wird (vgl. zum Widerruf nach einer Erhöhung der Zuverläs-
sigkeitsanforderungen im Waffenrecht: Urteil vom 16. Mai 2007 - BVerwG 6 C
24.06 - Buchholz 402.5 WaffG Nr. 93). Mit dem Einwand, der Vergleich mit dem
Waffenrecht sei untauglich, weil es sich bei Waffen anders als bei Flugzeugen
um „Tötungsmaschinen“ handele, wird verkannt, dass es hier allein um das Ge-
fährdungspotenzial und die Missbrauchsgefahr geht, die mit einem Flugzeug
ebenso wie mit einer Waffe verbunden sein können. Einwendungen in Bezug
auf das Rückwirkungsverbot hat im Übrigen auch das Bundesverfassungsge-
richt in seinem Beschluss vom 4. Mai 2010 (a.a.O.) nicht erhoben, obwohl den
beiden Vorlagebeschlüssen des Verwaltungsgerichts jeweils Klagen von Altli-
zenzinhabern zugrunde lagen und das Vorlagegericht ausdrücklich dargelegt
hatte, dass das Überprüfungserfordernis nach seiner Auffassung auch Altli-
zenzinhaber einschließe.
c) Zum Widerruf der Erlaubnis führende Zweifel an der luftsicherheitsrechtli-
chen Zuverlässigkeit im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 2. Alt. LuftVG beste-
hen auch dann, wenn der nach § 7 Abs. 2 Satz 1 LuftSiG für die Einleitung des
Überprüfungsverfahrens erforderliche Antrag nicht gestellt wurde.
§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 2. Alt. LuftVG stellt zur Gewährleistung der luftsicher-
heitsrechtlichen Zuverlässigkeit strenge Anforderungen. Soweit es um den
Schutz vor Angriffen auf die äußere Sicherheit des Luftverkehrs, insbesondere
vor Flugzeugentführungen, Sabotageakten und terroristischen Anschlägen geht
(vgl. § 1 LuftSiG, sog. „security“), ist eine Versagung der Luftfahrererlaubnis
und - in Verbindung mit § 4 Abs. 3 LuftVG - der Widerruf einer bestehenden
Erlaubnis schon dann vorgesehen, wenn Zweifel an der Zuverlässigkeit beste-
hen; damit sind die Anforderungen strenger als bei der ersten Alternative von
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§ 4 Abs. 1 Satz 2 LuftVG, der in Bezug auf die flugbetriebstechnische Sicher-
heit („safety“) das Vorliegen von Tatsachen verlangt, die den Bewerber als un-
zuverlässig erscheinen lassen. Dieser strenge Maßstab ist wegen des gerade
beim Luftverkehr hohen Gefährdungspotenzials und der Hochrangigkeit der zu
schützenden Rechtsgüter nicht zu beanstanden. Der Senat hat deshalb in sei-
nem Urteil vom 15. Juli 2004 entschieden, dass es keinen Bedenken begegnet,
die Zuverlässigkeit - damals im Sinne von § 29d LuftVG - bereits dann zu ver-
neinen, wenn hieran auch nur geringe Zweifel bestehen (BVerwGE, a.a.O.
S. 262). Dem hat sich das Bundesverfassungsgericht in seinem
(Kammer-)Beschluss vom 4. August 2009 für die Zuverlässigkeitsüberprüfung
nach § 7 LuftSiG angeschlossen (1 BvR 1726/09 - NVwZ 2009, 1429 Rn. 11).
Wie das Berufungsgericht zu Recht angenommen hat, bestehen Zweifel an der
Zuverlässigkeit im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 2. Alt. LuftVG bereits
dann, wenn sie - etwa wegen fehlender Antragstellung - nicht positiv durch die
zuständige Luftsicherheitsbehörde festgestellt werden konnte. § 7 Abs. 2 Satz 1
LuftSiG setzt für die luftsicherheitsrechtliche Überprüfung einen Antrag des Be-
troffenen voraus. Damit hat der Gesetzgeber, nicht anders als beim Nachweis
der Tauglichkeit nach § 4 Abs. 1 Nr. 4 LuftVG, eine Mitwirkungspflicht des Be-
werbers um eine Fluglizenz oder des Inhabers einer solchen Lizenz vorgese-
hen. Eine vergleichbare Mitwirkungspflicht des Betroffenen hatte im Übrigen
auch bereits unter der Geltung des früheren § 29d LuftVG bestanden; dort setz-
te die Überprüfung die Zustimmung des Betroffenen voraus. Wird der nun nach
§ 7 Abs. 2 LuftSiG erforderliche Antrag nicht gestellt, erfolgt keine Durchset-
zung dieses Mitwirkungserfordernisses im Wege des Verwaltungszwanges,
sondern eine Sanktionierung dieses Unterlassens dadurch, dass die Luftfahrt-
behörde die Erteilung der Berechtigung verweigert oder eine bestehende Be-
rechtigung nach § 4 Abs. 3 LuftVG widerruft. Die Antragstellung nach § 7
Abs. 2 LuftSiG ist damit als Obliegenheit des Betroffenen ausgestaltet. Dabei
handelt es sich um ein grundsätzlich zulässiges Regelungsmodell. Auch in an-
deren Zusammenhängen, etwa im Fahrerlaubnisrecht, kann bei Verweigerung
einer vom Betroffenen zu Recht geforderten Mitwirkung auf seine fehlende Eig-
nung geschlossen werden (vgl. § 11 Abs. 8 FeV). Eine solche Mitwirkungslast
darf hier deswegen auferlegt werden, weil die Zuverlässigkeitsüberprüfung an
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die freie Entscheidung des Betroffenen anknüpft, eine Fluglizenz erwerben
oder behalten zu wollen, und die Tatsachen, die Anlass zu Zweifeln an der luft-
sicherheitsrechtlichen Zuverlässigkeit geben können, für die zuständige Luftsi-
cherheitsbehörde selten offen zutage liegen, sondern sich regelmäßig erst
durch eine Nachfrage insbesondere bei den allgemein für die Abwehr von terro-
ristischen Bestrebungen zuständigen Behörden nach dort vorliegenden Er-
kenntnissen ergeben.
d) Das Unterlassen eines Antrags auf Überprüfung berechtigt die Behörden
freilich nur dann zu einem Widerruf, wenn das Überprüfungsverfahren, dem
sich der Betroffene verweigert, rechtskonform ausgestaltet ist. Dies zu überprü-
fen ist dem Senat trotz der Bindungswirkung des Beschlusses des Bundesver-
fassungsgerichts nicht verschlossen, weil es ausdrücklich klargestellt hat, dass
seine Entscheidung allein das Erfordernis der Zuverlässigkeitsüberprüfung be-
trifft, nicht aber deren nähere Ausgestaltung (a.a.O. Rn. 155). Indes bestehen
auch in dieser Hinsicht keine Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Zuverlässig-
keitsüberprüfung. Insbesondere greifen die Einwände des Klägers nicht durch,
der in der Verfahrensausgestaltung einen Verstoß gegen das Recht auf infor-
mationelle Selbstbestimmung sieht.
Dabei scheiden die §§ 4a, 4f und 5 des Bundesdatenschutzgesetzes (BDSG)
als Überprüfungsmaßstab für die Regelungen des Luftsicherheitsgesetzes zur
Erhebung und Verarbeitung personenbezogener Daten aus. Es handelt sich
jeweils um bundesgesetzliche Regelungen. Welcher Regelung im Verhältnis zu
einer zweiten Regelung gleicher Normqualität der Vorrang zukommt, bestimmt
sich nach den Kriterien der Spezialität („lex specialis derogat legi generali“) und
der zeitlichen Reihenfolge („lex posterior derogat legi priori“). Danach kommt
den im Luftsicherheitsgesetz zum Umgang mit personenbezogenen Daten ge-
troffenen Regelungen als den gegenüber dem Bundesdatenschutzgesetz spe-
zielleren und später erlassenen Bestimmungen der Vorrang zu. Abgesehen
davon beansprucht das Bundesdatenschutzgesetz nach seinem § 1 Abs. 2
Nr. 1 Buchst. a für die Erhebung, Verarbeitung und Nutzung personenbezoge-
ner Daten durch öffentliche Stellen des Landes, auch wenn sie Bundesrecht
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ausführen, ohnehin nur Geltung, soweit der Datenschutz nicht durch Landes-
recht geregelt ist.
Damit können die angegriffenen Verfahrensregelungen des Luftsicherheitsge-
setzes nur unmittelbar am Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung
aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG gemessen werden. Es gewährleistet
die Befugnis des Einzelnen, grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Ver-
wendung seiner personenbezogenen Daten zu bestimmen. Dieses Recht ist
jedoch nicht schrankenlos gewährleistet. Einschränkungen sind im überwie-
genden Allgemeininteresse zulässig. Sie bedürfen einer verfassungsmäßigen
gesetzlichen Grundlage, die dem rechtsstaatlichen Gebot der Normenklarheit
entsprechen muss. Bei seinen Regelungen hat der Gesetzgeber ferner den
Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten. Auch hat er organisatorische
und verfahrensrechtliche Vorkehrungen zu treffen, die einer Verletzung des
Persönlichkeitsrechts entgegenwirken (grundlegend BVerfGE 65, 1 <42 ff.>).
Die in § 7 LuftSiG getroffenen Regelungen über das Verfahren der Überprüfung
genügen, auch ohne dass zum hier maßgeblichen Zeitpunkt die in § 17 Abs. 1
LuftSiG vorgesehene Rechtsverordnung zur Regelung der Einzelheiten der Zu-
verlässigkeitsüberprüfung erlassen war, den Anforderungen an die Bestimmt-
heit und Klarheit der Eingriffsnorm. Die Vorschrift legt ausdrücklich die Stellen
fest, an die die Luftsicherheitsbehörde Anfragen richten oder wohin sie die
Übermittlung von personenbezogenen Daten vornehmen kann. Dass wesentli-
che Regelungslücken in Bezug auf die Speicherung personenbezogener Daten
bestehen, hat der Kläger nicht dartun können. Grenzen für die Speicherung
ergeben sich inhaltlich aus der Zweckbindung der erhobenen Daten, die gemäß
§ 7 Abs. 7 LuftSiG nur zum Zwecke der Überprüfung der Zuverlässigkeit ver-
wendet werden dürfen, und in zeitlicher Hinsicht aus den in § 7 Abs. 11 LuftSiG
geregelten Löschungsfristen. Nötigenfalls kann subsidiär auf die allgemeinen
datenschutzrechtlichen Regelungen im Bundesdatenschutzgesetz oder - wie
hier - im jeweiligen Landesdatenschutzgesetz zurückgegriffen werden (vgl. § 6
Abs. 1 LuftSiG).
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§ 7 LuftSiG enthält zudem ausreichende verfahrensrechtliche Schutzvorkeh-
rungen zugunsten des Betroffenen. Er ist nach § 7 Abs. 2 Satz 3 LuftSiG bei
der Antragstellung über die zuständige Luftsicherheitsbehörde, den Zweck der
Datenerhebung und -verarbeitung, die beteiligten Stellen sowie mögliche
Übermittlungsempfänger zu unterrichten. Danach trifft der Einwand des Klägers
nicht zu, er werde nicht hinreichend über den Umfang der Eingriffe in sein
Grundrecht informiert und er wisse auch nicht, worin er konkret einwillige. Dem
Betroffenen muss nach § 7 Abs. 5 LuftSiG vor der Entscheidung Gelegenheit
zur Äußerung zu den eingeholten Auskünften gegeben werden, soweit sie
Zweifel an seiner Zuverlässigkeit begründen und Geheimhaltungspflichten nicht
entgegenstehen. Damit hat er - entgegen der Behauptung des Klägers - auch
die Möglichkeit, die eventuelle Unrichtigkeit bestimmter Angaben geltend zu
machen. Schließlich sieht § 7 Abs. 7 LuftSiG - wie bereits erwähnt - eine
Zweckbindung der erhobenen Daten vor, und § 7 Abs. 11 LuftSiG enthält Rege-
lungen über die Löschung von im Rahmen der Zuverlässigkeitsüberprüfung
gespeicherten Daten.
Dass der Gesetzgeber mit den zur Zuverlässigkeitsüberprüfung getroffenen
Verfahrensregelungen die Grenzen der Erforderlichkeit des Eingriffs in das
Recht auf informationelle Selbstbestimmung überschritten hat, ist ebenfalls
nicht zu erkennen. Entgegen dem Einwand des Klägers hat er keine generelle
Rundumabfrage bei allen möglichen Stellen vorgesehen, sondern insoweit dif-
ferenziert. Anfragen beim Bundeskriminalamt, dem Zollkriminalamt, den Nach-
richtendiensten des Bundes und dem Bundesbeauftragten für die Unterlagen
des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Re-
publik sind nicht ohne Weiteres vorgesehen, sondern nur, soweit dies im Ein-
zelfall erforderlich ist (vgl. § 7 Abs. 3 Nr. 2 LuftSiG). Gleiches gilt nach Nr. 4 für
Anfragen bei den Ausländerbehörden und nach Nr. 5 für Anfragen an den Flug-
platzbetreiber, Luftfahrtunternehmen sowie den gegenwärtigen Arbeitgeber.
Weitergehende Einschränkungen bestehen nach § 7 Abs. 4 LuftSiG für das
Einholen von Auskünften bei den Strafverfolgungsbehörden; Voraussetzung
dafür ist, dass die Auskünfte der in Absatz 3 Nr. 2 und 3 genannten Behörden
Anhaltspunkte für Zweifel an der Zuverlässigkeit des Betroffenen begründen.
Der Einwand, die Einbeziehung anhängiger Ermittlungsverfahren und nicht nur
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rechtskräftig erfolgter Verurteilungen verletze die Unschuldsvermutung, ist un-
begründet. Damit wird der rechtliche Zusammenhang verkannt, in dem die Un-
schuldsvermutung von Bedeutung ist (vgl. BVerfGE 22, 254 <265>). Bei der
Überprüfung der luftsicherheitsrechtlichen Zuverlässigkeit geht es nämlich nicht
um die Feststellung eines strafwürdigen Verhaltens, sondern es handelt sich
um eine Maßnahme der Gefahrenabwehr. Ungeachtet dessen wird die Luftsi-
cherheitsbehörde bei der Würdigung der ihr zugänglich gemachten Erkenntnis-
se zu berücksichtigen haben, ob es sich um noch laufende Ermittlungen oder
um eine bereits rechtskräftige Verurteilung handelt. Auch dass die Luftsicher-
heitsbehörde nach § 7 Abs. 7 Satz 2 LuftSiG unter anderem den gegenwärti-
gen Arbeitgeber des Betroffenen über das Ergebnis der Überprüfung unterrich-
tet, führt zu keinem unverhältnismäßigen Eingriff in das Selbstbestimmungs-
recht des Überprüften. Mit dem Begriff „Arbeitgeber“ ist, wie sich aus der Sys-
tematik von § 7 LuftSiG erschließt, nicht jeglicher Arbeitgeber gemeint; vielmehr
kommt es darauf an, ob das Arbeitsverhältnis gerade der Wahrnehmung einer
der in § 7 Abs. 1 LuftSiG genannten Tätigkeiten dient.
Soweit das Recht auf informationelle Selbstbestimmung durch die sogenannte
Nachberichtspflicht des § 7 Abs. 9 LuftSiG verletzt sein soll, ist zu berücksichti-
gen, dass diese in aller Regel nicht die hier in Rede stehende Erstentscheidung
über die luftsicherheitsrechtliche Zuverlässigkeit und die Konsequenzen einer
unterbliebenen Überprüfung betrifft, sondern Folgefragen. Abgesehen davon ist
diese Regelung auch der Sache nach nicht zu beanstanden. Wegen des be-
sonderen Gefährdungspotenzials von Anschlägen auf die Sicherheit des Luft-
verkehrs und in Bezug auf den in Betracht kommenden Täterkreis besteht ein
berechtigtes Interesse daran, dass die Luftsicherheitsbehörde über Verände-
rungen bei den Beurteilungsgrundlagen für die Zuverlässigkeit unterrichtet wird.
Ansonsten könnten diese Erkenntnisse erst bei der nächsten turnusmäßigen
Überprüfung einfließen (vgl. dazu BTDrucks 15/2361 S. 18).
4. Die Erstreckung der Zuverlässigkeitsüberprüfung auf Privatpiloten steht mit
dem Europäischen Gemeinschaftsrecht in Einklang. Sie verstößt insbesondere
nicht gegen die Verordnung (EG) Nr. 2320/2002 des Europäischen Parlamen-
tes und des Rates vom 16. Dezember 2002 zur Festlegung gemeinsamer Vor-
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schriften für die Sicherheit der Zivilluftfahrt (ABl Nr. L 353 S. 1). Dort ist zwar
eine Überprüfung von Privatpiloten nicht vorgesehen, doch steht es den Mit-
gliedstaaten nach Art. 6 Satz 1 frei, Maßnahmen anzuwenden, die strenger
sind als die Maßnahmen dieser Verordnung (vgl. auch Erwägungsgrund
Nr. 19). Insoweit bleibt es der Einschätzung des jeweiligen Mitgliedstaates
überlassen, ob er ein entsprechendes Gefährdungspotenzial sieht. Mit der
Ausdehnung des von der luftsicherheitsrechtlichen Überprüfung betroffenen
Personenkreises in Deutschland ist keine unzulässige Inländerdiskriminierung
verbunden. Dabei handelt es sich weniger um ein Problem des Gemeinschafts-
rechts, als um einen möglichen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Eine Verlet-
zung des Gleichbehandlungsgebotes ist jedoch, wie das Bundesverfassungs-
gericht bindend entschieden hat, nicht zu erkennen (Beschluss vom 4. Mai
2010 a.a.O. Rn. 156).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Kley
Liebler
Prof. Dr. Dr. h.c. Rennert
Buchheister
Dr. Wysk
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Sachgebiet:
BVerwGE: nein
Luftverkehrsrecht
Fachpresse: ja
Rechtsquellen:
LuftVG
§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 und Abs. 3
LuftSiG
§§ 7, 17
BVerfGG
§ 31 Abs. 1 und 2
GG
Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1
VO (EG) Nr. 2320/2002
Stichworte:
Gefahr für die Sicherheit des Luftverkehrs; Luftverkehr; Luftsicherheit; luftsi-
cherheitsrechtliche Überprüfung; Luftsicherheitsbehörde; Luftfahrtbehörde; Ge-
setz zur Neuregelung von Luftsicherheitsaufgaben; Zuverlässigkeit; Zuverläs-
sigkeitsüberprüfung; Zweifel an der luftsicherheitsrechtlichen Zuverlässigkeit;
Erlaubnis für Luftfahrer; Fluglizenz; Flugberechtigung; Widerruf; Pilot; Privatpi-
lot; Recht auf informationelle Selbstbestimmung; Datenschutz; Normenklarheit;
Normenbestimmtheit; Bestimmtheitsgrundsatz; Verhältnismäßigkeitsgrundsatz;
Rückwirkung; Altlizenzinhaber; Bindungswirkung; Normenkontrolle.
Leitsatz:
Auch Altlizenzinhaber haben sich der Überprüfung ihrer luftsicherheitsrechtli-
chen Zuverlässigkeit nach dem Gesetz zur Neuregelung von Luftsicherheits-
aufgaben zu unterziehen.
(wie Urteil vom gleichen Tag im Verfahren BVerwG 3 C 20.10)
Urteil des 3. Senats vom 14. April 2011 - BVerwG 3 C 24.10
I. VG Arnsberg vom 30.08.2007 - Az.: VG 7 K 2608/06 -
II. OVG Münster vom 16.10.2008 - Az.: OVG 20 A 2921/07 -