Urteil des BVerwG vom 25.06.2009

Grundstück, Wegnahme, Sicherheitsleistung, Rückforderung

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
BVerwG 3 C 24.08
VG 8 K 1918/06
Verkündet
am 25. Juni 2009
Jesert
Justizobersekretärin
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 25. Juni 2009
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Kley
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Dette, Liebler,
Prof. Dr. Rennert und Buchheister
für Recht erkannt:
Das Urteil des Verwaltungsgerichts Köln vom
7. November 2007 wird geändert. Der Rückforderungs-
und Leistungsbescheid des Beklagten vom 26. April 2005
und der Beschwerdebescheid der Bezirksregierung Müns-
ter vom 6. März 2006 werden aufgehoben.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
G r ü n d e :
I
Im Streit ist die Rückforderung von Lastenausgleichsleistungen.
Die Klägerin, die die DDR 1959 verlassen hatte, erbte 1976 von ihrem Onkel
ein mit einem Mietshaus bebautes Grundstück in M. (DDR). Auf ihren Antrag
stellte das Ausgleichsamt des Beklagten mit Gesamtbescheid vom
18. September 1984 hinsichtlich des Grundvermögens einen Wegnahmescha-
den in Höhe von 24 300 M/Ost fest und gewährte mit Bescheid vom gleichen
Tage eine Hauptentschädigung in Höhe von 15 170 DM.
Für die Klägerin war zunächst ein Abwesenheitspfleger bestellt, das Grundstück
war unter Zwangsverwaltung gestellt worden. 1986 wurde eine Aufbauhypothek
in Höhe von 18 800 M/Ost eingetragen und alsbald valutiert. 1988 wurde das
Grundstück in Volkseigentum überführt; dabei wurde die Aufbauhypothek ge-
löscht.
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Auf ihren Antrag hin wurde das Grundstück mit Bescheid vom 14. September
1999 an die Klägerin zurückübertragen. In dem Bescheid war bestimmt, dass
sie für die gelöschte Aufbauhypothek einen Ablösebetrag in Höhe von
7 200 DM zu zahlen habe. Auf den Widerspruch der Klägerin hin wurde der
Ablösebetrag mit Widerspruchsbescheid vom 14. Juni 2004 auf 4 806,14 €
festgesetzt. Die Bescheide wurden bestandskräftig.
Mit Leistungsbescheid vom 26. April 2005, bestätigt mit Beschwerdeentschei-
dung der Bezirksregierung vom 6. März 2006, forderte der Beklagte von der
Klägerin 8 846,40 € Hauptentschädigung zurück. Mit ihrer Klage hat die Kläge-
rin geltend gemacht, der Schaden sei nicht ausgeglichen worden; weil sie den
geforderten Ablösebetrag bislang nicht habe bezahlen können, sei das Eigen-
tum an dem Hausgrundstück noch nicht auf sie übergegangen.
Mit Urteil vom 7. November 2007 hat das Verwaltungsgericht die Klage abge-
wiesen. Der Rückforderungsbescheid sei rechtmäßig, da der Schaden bei wirt-
schaftlicher Betrachtungsweise mit Eintritt der Bestandskraft des Restitutions-
bescheides ausgeglichen sei; auf die Frage, ob die Klägerin wieder Eigentüme-
rin geworden sei, komme es nicht an.
Zur Begründung ihrer Revision trägt die Klägerin vor, der Beklagte selbst habe
den Schadensausgleich vereitelt, indem er ein Guthaben, das sie für die Ablö-
sezahlung angespart habe, für den Rückforderungsbetrag gepfändet habe. Da
sie als Rentnerin keinen weiteren Bankkredit erhalte, sei sie außer Stande, die
Ablösesumme ein zweites Mal aufzubringen. Sie stehe damit schlechter da als
vor der rechtsstaatswidrigen Wegnahme durch die Behörden der DDR.
Der Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil. Das Verwaltungsgericht habe
zutreffend bejaht, dass der Schaden ausgeglichen sei, wenn der Berechtigte
das entzogene Vermögen zwar noch nicht zurückerhalten habe, den Eigen-
tumsübergang jedoch gegen Zahlung eines Ablösebetrags herbeiführen könne.
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II
Die Revision der Klägerin ist begründet. Das Verwaltungsgericht hat verkannt,
dass die Voraussetzungen für eine Rückforderung des gewährten Schadens-
ausgleichs nicht vorliegen.
Nach § 342 Abs. 3 i.V.m. § 349 Abs. 1 Satz 1 LAG sind, wenn nach dem
31. Dezember 1989 ein Schaden ganz oder teilweise ausgeglichen wird, die zu
viel gewährten Ausgleichsleistungen zurückzufordern. Der Schaden der Kläge-
rin lag hier in der Entziehung des Eigentums an dem Hausgrundstück. Dem
Beklagten ist zwar zuzugeben, dass die gesetzliche Regelung auf den Schaden
Bezug nimmt, der bei der Gewährung des Lastenausgleichs festgestellt worden
ist (Urteil vom 22. Oktober 1998 - BVerwG 3 C 37.97 - BVerwGE 107, 294
<296> = Buchholz 427.3 § 349 LAG Nr. 5 S. 15). Der festgestellte Wegnahme-
schaden muss keine Entziehung des Eigentums sein, sondern kann auch in der
Begründung staatlicher Zwangsverwaltung bestehen. Wird der Schaden jedoch
durch weitere Maßnahmen der DDR - etwa durch eine Überführung in Volksei-
gentum - intensiviert, so setzt ein Schadensausgleich voraus, dass auch diese
weiteren Maßnahmen ausgeglichen werden. Entscheidend für den Scha-
densausgleich ist die Wiedergewinnung der Rechtsmacht, über den wegge-
nommenen Vermögensgegenstand zu verfügen. Der Geschädigte muss mithin
rechtlich die Position zurückerlangen, die er vor der Wegnahme innehatte (Ur-
teile vom 27. April 2006 - BVerwG 3 C 28.05 - Buchholz 427.3 § 349 LAG
Nr. 11 Rn. 22 und vom 10. Juli 2008 - BVerwG 3 C 40.07 - Buchholz 427.3
§ 349 LAG Nr. 17 Rn. 13 und 16). War der Geschädigte vor der Wegnahme
Eigentümer eines Hausgrundstücks, so ist dieser Schaden erst ausgeglichen,
wenn er das Eigentum an dem Hausgrundstück wiedererlangt hat.
Wann und wie die Rückgabe eines Grundstücks erfolgt, ist im Vermögensge-
setz geregelt. In Fällen, in denen nach § 18 Abs. 1 Satz 1 VermG ein Ablösebe-
trag für frühere Grundpfandrechte nach § 16 VermG zu hinterlegen ist, geht das
Eigentum an dem Grundstück gemäß § 18a VermG auf den Berechtigten über,
wenn die Entscheidung über die Rückübertragung unanfechtbar geworden ist
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und der Berechtigte den Ablösebetrag unter Verzicht auf die Rücknahme - zur
Auskehr an die Prätendenten (§ 18b VermG) - hinterlegt hat (§ 18a Nr. 1
VermG) oder hierfür Sicherheit nach den Vorschriften des 2. Abschnitts der
Hypothekenablöseverordnung geleistet hat (§ 18a Nr. 3 VermG); als Si-
cherheitsleistung kann das Vermögensamt alternativ auch eine Sicherungshy-
pothek begründen (§ 18a Nr. 3 Satz 2 i.V.m. § 34 Abs. 1 Satz 3 VermG). Das
Eigentum geht über, wenn die genannten Voraussetzungen erfüllt sind, der Ein-
tragung ins Grundbuch bedarf es hierfür nicht; die Eintragung dient lediglich
noch der Berichtigung des Grundbuchs (vgl. § 34 Abs. 2 VermG). Entgegen der
Auffassung des Verwaltungsgerichts reicht in diesen Fällen die Unanfechtbar-
keit der Entscheidung über die Rückübertragung für den Eigentumsübergang
also nicht. Der Berechtigte muss vielmehr auch etwaige Zahlungsansprüche,
sofern sie festgesetzt wurden, erfüllen oder - wenn er deren Festsetzung an-
ficht - hierfür jedenfalls Sicherheit leisten. Diese Grundentscheidung hat der
Gesetzgeber mit dem Zweiten Vermögensrechtsänderungsgesetz vom 14. Juli
1992 (BGBl I S. 1257) getroffen (vgl. BTDrucks 12/2480 S. 10, 35, 50 ff.;
BTDrucks 12/2695 S. 12 ff., 30; BTDrucks 12/2944 S. 11 f., 42 f., 53 f.); sie
wurde durch die Änderungen durch das Vermögensrechtsbereinigungsgesetz
vom 20. Oktober 1998 (BGBl I S. 3180) als solche nicht berührt (vgl. BTDrucks
13/10246 S. 4, 6, 15, 18 f.).
Das Lastenausgleichsrecht schließt an diese Regelung des Vermögensgeset-
zes an. Bestand der Schaden in der Wegnahme eines Grundstücks, so tritt der
Schadensausgleich im Sinne von § 342 Abs. 3 i.V.m. § 349 Abs. 1 Satz 1 LAG
erst mit der Rückgabe des Grundstücks nach dem Vermögensgesetz ein. Da-
von ist der Gesetzgeber selbst ausgegangen. Im Gesetzentwurf der Bundesre-
gierung zum Vermögensrechtsbereinigungsgesetz heißt es zur Begründung der
vorgeschlagenen Änderung von § 349 LAG, dass die Rückübertragung nach
dem Vermögensgesetz den Schadensausgleich im Sinne des Lastenaus-
gleichsgesetzes bewirkt (BTDrucks 13/10246 S. 21).
Nur diese Auslegung wird der Regelungskonzeption des Gesetzes gerecht. In-
dem der Schadensausgleich nicht schon mit der Unanfechtbarkeit der Rückga-
beentscheidung eintritt, sondern außerdem voraussetzt, dass damit verbundene
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Zahlungsansprüche erfüllt oder hierfür doch Sicherheit geleistet wird, ordnet
das Gesetz einen Vorrang der Ablöseansprüche der nach § 7 bzw. § 16 VermG
Berechtigten sowie des Entschädigungsfonds gegenüber dem Rückzahlungs-
anspruch des Ausgleichsfonds an. Das ist von Bedeutung, wenn der Wert des
Vermögensgegenstandes gering ist und die sonstigen Mittel des Berechtigten
begrenzt sind, also zur Erfüllung sowohl der Ablöseansprüche als auch des
Rückzahlungsanspruchs nicht ausreichen. Zugleich bewirkt die Regelung, dass
der Berechtigte seine Mittel zunächst für die Ablöseansprüche einsetzen kann;
sie verhindert, dass - bei begrenzten Mitteln des Berechtigten - durch eine vor-
zeitige Beitreibung der Rückforderung des Ausgleichsfonds die Erfüllung der
Ablöseansprüche und damit die Erfüllung der Rückgabevoraussetzungen des
§ 18a VermG überhaupt vereitelt wird.
Das wird durch § 349 Abs. 3a LAG mittelbar bestätigt. Diese Regelung erlaubt
dem Ausgleichsfonds ausnahmsweise, schon im Vorfeld der Rückübertragung
Sicherheit für den voraussichtlich zurückzufordernden Betrag unter der Bedin-
gung zu verlangen, dass die Entscheidung über die Rückübertragung so wie
beabsichtigt ergeht und bestandskräftig wird. Das lässt zwar aus sich heraus
noch nicht erkennen, ob die Bestandskraft des Rückübertragungsbescheides
den Schadensausgleich auch dann bewirkt und den Rückforderungsanspruch
auch dann begründet, wenn mit der Rückübertragung die Pflicht zur Erfüllung
von Ablöseansprüchen nach § 18 VermG verbunden ist, ob es sich mit anderen
Worten auch dann schon um einen bestehenden oder erst noch um einen künf-
tigen Rückzahlungsanspruch handelt. Das Gesetz sieht aber in § 349 Abs. 3a
Satz 2 LAG vor, dass der Bescheid des Ausgleichsamtes, mit dem die Sicher-
heitsleistung für den Rückforderungsbetrag angeordnet wird, nicht vom Aus-
gleichsamt, sondern vom Vermögensamt zugestellt werden soll. Ausweislich
der Gesetzesbegründung soll damit verhindert werden, dass der Berechtigte
zur Sicherheitsleistung verpflichtet wird, ohne dass er den Vermögenswert zu-
rückerhält (BTDrucks 13/10246 S. 21). Der Gesetzgeber ging mithin davon aus,
dass der Schadensausgleich erst bewirkt ist, wenn der Berechtigte den Vermö-
genswert zurückerhält. Dafür genügt der Eintritt der Unanfechtbarkeit des
Rückübertragungsbescheides nur dann, wenn Ausgleichszahlungspflichten mit
der Rückübertragung nicht verbunden sind.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Kley
Dr. Dette
Liebler
Prof. Dr. Rennert
Buchheister
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Sachgebiet:
BVerwGE:
nein
Lastenausgleich
Fachpresse:
ja
Rechtsquellen:
LAG
§ 349 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3a
VermG
§ 18a
Stichworte:
Schadensausgleich; Rückforderung von Lastenausgleich wegen Schadensaus-
gleichs; Restitution; Rückgabe; Rückübertragung; Restitutionsbescheid; Rück-
gabebescheid; Rückübertragungsbescheid; Aufbauhypothek; Ausgleichszah-
lung; Ablösebetrag; Sicherheitsleistung; Sicherungshypothek.
Leitsatz:
Bestand der Schaden in der Wegnahme eines Hausgrundstücks, so ist dieser
Schaden erst dann im Sinne des § 342 Abs. 3 i.V.m. § 349 Abs. 1 Satz 1 LAG
ausgeglichen, wenn der Geschädigte oder sein Rechtsnachfolger das Eigentum
an dem Grundstück zurückerlangt hat. Dafür genügt die Unanfechtbarkeit eines
vermögensrechtlichen Rückübertragungsbescheides nur dann, wenn dem Be-
rechtigten kein Ablösebetrag auferlegt worden ist.
Urteil des 3. Senats vom 25. Juni 2009 - BVerwG 3 C 24.08
I. VG Köln vom 07.11.2007 - Az.: VG 8 K 1918/06 -