Urteil des BVerwG vom 21.06.2007

Verwaltung Von Grundstücken, Enteignung, Ausschluss, Erbengemeinschaft

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
Verkündet
BVerwG 3 C 24.06
am 21. Juni 2007
VG 1 K 3193/04
Zweigler
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 21. Juni 2007
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Kley
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht van Schewick, Dr. Dette,
Liebler und Prof. Dr. Rennert
beschlossen:
Das Verfahren wird ausgesetzt.
Es wird gemäß Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG die Entschei-
dung des Bundesverfassungsgerichts dazu eingeholt, ob
§ 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 Satz 2 des Gesetzes über die
Entschädigung nach dem Gesetz über die Regelung offe-
ner Vermögensfragen (Entschädigungsgesetz - EntschG)
vom 27. September 1994 (BGBl I S. 2624) in der Fassung
des Entschädigungsrechtsänderungsgesetzes vom
10. Dezember 2003 (BGBl I S. 2471), soweit davon die
Rechte von Miterben betroffen sind, mit Art. 14 Abs. 1
Satz 1 des GG vereinbar ist.
G r ü n d e :
I
Die Vorlage betrifft die Frage, ob es mit Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG vereinbar ist,
dass nach der durch das Entschädigungsrechtsänderungsgesetz vom 10. De-
zember 2003 (BGBl I S. 2471) erfolgten Ergänzung von § 10 Abs. 1 Satz 1
Nr. 7 des Entschädigungsgesetzes - EntschG - Miterben, die mit den zu Gebote
stehenden Mitteln nicht auffindbar waren, von ihren Rechten hinsichtlich ehe-
mals staatlich verwalteter Vermögenswerte auch dann ausgeschlossen werden
können, wenn weitere Miterben vorhanden sind und deren Aufenthalt bekannt
ist.
Der 1977 verstorbene Vater der Klägerin war Eigentümer des im Beitrittsgebiet
gelegenen Grundstücks … Weg … in F. Die Klägerin ist Miterbin nach ihrem
Vater zu 1/3. Das Grundstück stand von 1963 bis zum 31. Dezember 1992 un-
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ter staatlicher Verwaltung nach § 6 der DDR-Verordnung zur Sicherung von
Vermögenswerten vom 17. Juli 1952 (GBl-DDR I S. 615).
Im September 1999 vom Landkreis Havelland angestellte Nachforschungen
ergaben zwar, dass der verstorbene Eigentümer des Grundstücks verheiratet
gewesen war und drei Töchter hatte, jedoch nichts zu deren aktuellem Aufent-
haltsort. Im Januar 2000 eröffnete das Bundesamt zur Regelung offener Ver-
mögensfragen das Aufgebotsverfahren gemäß § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7
EntschG i.V.m. § 15 GBBerG. Der Vermögenswert wurde im Bundesanzeiger
Nr. 120 vom 30. Juni 2000, Seite 12 294, bekanntgegeben; die Berechtigten
bzw. ihre Rechtsnachfolger wurden aufgefordert, sich bis zum 8. November
2001 beim Bundesamt zu melden. Im September 2000 machte eine der
Schwestern der Klägerin unter Vorlage eines entsprechenden Teilerbscheins
fristgerecht Ansprüche für sich und eine weitere Schwester geltend. Sie teilte
zugleich mit, dass sie den Aufenthaltsort der ungefähr im Jahr 1965 nach
Großbritannien verzogenen Klägerin, die geschieden sei und zwei Kinder habe,
trotz umfangreicher Nachforschungen nicht hätten ermitteln können. Auf Antrag
der Schwester bestimmte das Amtsgericht Nauen mit Beschluss vom 20. April
2001 den Prozessbevollmächtigten der Klägerin zu ihrem Abwesenheitspfleger
und betraute ihn mit ihrer Vertretung bei der Beantragung des Erbscheins nach
ihrem Vater sowie der Verwaltung und Verwertung des Nachlasses. Im Juli
2001 meldete der Abwesenheitspfleger der Klägerin ihre Ansprüche beim Bun-
desamt an und legte einen Teilerbschein vor, der sie als Miterbin auswies. Im
September 2001 wurden die Klägerin und ihre beiden Schwestern als Eigentü-
merinnen des Grundstücks in Erbengemeinschaft im Grundbuch eingetragen.
Nachdem auch weitere Recherchen nach dem Aufenthaltsort der Klägerin ohne
Erfolg geblieben waren, schloss das Bundesamt zur Regelung offener Vermö-
gensfragen mit Bescheid vom 9. September 2004 die Klägerin „mit ihren ge-
samthänderisch gebundenen Rechten an dem für sie eingetragenen Grund-
stücksmiteigentum und dem dazugehörigen Grundstückskonto“ aus und stellte
fest, dass ihr Miteigentumsanteil auf die Bundesrepublik Deutschland - Ent-
schädigungsfonds - übergehe. Zur Begründung heißt es: Mit der Ergänzung von
§ 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 EntschG durch das Entschädigungsrechtsände-
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rungsgesetz vom 10. Dezember 2003 sei klargestellt worden, dass dem Ent-
schädigungsfonds nicht beanspruchte Rechte auch dann zustünden, wenn es
sich um Rechte von Miteigentümern oder Miterben handele.
Die vom Abwesenheitspfleger der Klägerin erhobene Klage hat das Verwal-
tungsgericht Potsdam mit Urteil vom 30. Juni 2005 abgewiesen. Zur Begrün-
dung wird ausgeführt: Es sei unschädlich, dass das ausgeschlossene Recht im
Bescheid als Grundstücksmiteigentum bezeichnet worden sei, denn es ergebe
sich aus der Begründung des Bescheides unzweifelhaft, dass der Anteil der
Klägerin als Miterbin gemeint sei. Unstreitig sei, dass das Grundstück bis zum
31. Dezember 1992 unter staatlicher Verwaltung gestanden habe und die Be-
klagte mit hinreichend hohem Aufwand, aber gleichwohl erfolglos versucht ha-
be, den Aufenthalt der Klägerin zu ermitteln. Es gebe, obgleich auch bereits ihre
beiden Schwestern erhebliche Anstrengungen zum Auffinden der Klägerin
unternommen hätten, keine Anhaltspunkte zu ihrem Aufenthaltsort und keinen
weiteren Ansatzpunkt für zusätzliche Nachforschungen. Die Voraussetzungen
von § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 EntschG seien erfüllt, auch wenn der Abwesen-
heitspfleger der Klägerin ihre Rechte angemeldet habe. Lasse man das Auftre-
ten eines gesetzlichen Vertreters genügen, werde der Zweck des Aufgebotsver-
fahrens unterlaufen. Der in § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 EntschG ermöglichte Aus-
schluss eines Eigentümers sei verfassungsgemäß. Es handele sich um eine
Inhalts- und Schrankenbestimmung des Eigentums, die wegen der Besonder-
heiten der Grundstückssituation im Beitrittsgebiet gerechtfertigt sei. Dies folge
aus dem massenhaften Phänomen der staatlichen Verwaltung von Grundstü-
cken in der ehemaligen DDR und der daraus resultierenden teilweise unklaren
Eigentumszuordnung sowie dem legitimen gesetzgeberischen Ziel, einen sozi-
alverträglichen Ausgleich u.a. durch die Gewährung von Entschädigungen und
Ausgleichsleistungen aus dem Entschädigungsfonds herbeizuführen.
Mit ihrer - vom Senat wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassenen - Revisi-
on macht die Klägerin geltend: Das angebliche Gesetzesanliegen, die offenen
Vermögensfragen im Hinblick auf ehemals staatlich verwaltete Grundstücke
alsbald zu bereinigen, erfordere nicht den Ausschluss eines Berechtigten unbe-
kannten Aufenthalts, wenn sich ein gerichtlich bestellter Abwesenheits- oder
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Nachlasspfleger für ihn gemeldet habe. Dieser sei als gesetzlicher Vertreter
befugt, sämtliche Rechte und Pflichten des abwesenden Grund-
stücks(mit)eigentümers wahrzunehmen. Mit seiner Bestellung und der Anzeige
des Vertretungsverhältnisses gegenüber dem Bundesamt handele es sich nicht
mehr um einen „nicht beanspruchten Vermögenswert“ im Sinne von § 10 Abs. 1
Satz 1 Nr. 7 EntschG. Außerdem seien § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 EntschG und
§ 15 GBBerG wegen Verstoßes gegen die verfassungsrechtliche Gewährleis-
tung des Eigentums in Art. 14 Abs. 1 GG verfassungswidrig. Bei der so eröffne-
ten Ausschlussmöglichkeit handele es sich nicht um eine Bestimmung von In-
halt und Schranken des Eigentums, sondern um eine entschädigungslose Ent-
eignung. Die Abführung der nicht beanspruchten Vermögenswerte an den Ent-
schädigungsfonds diene der Erfüllung einer öffentlichen Aufgabe, nämlich der
Finanzierung der sich aus dem Einigungsvertrag und den nachfolgenden Rege-
lungen ergebenden Wiedergutmachungsansprüche. Es sei nicht zu erkennen,
weshalb es für das Gemeinwohl abträglich sein solle, wenn Eigentümer oder
Miteigentümer eines Vermögenswertes unbekannt seien, da ihre Rechte durch
Nachlass- oder Abwesenheitspfleger bzw. gesetzliche Vertreter nach § 11b
VermG wahrgenommen werden könnten.
Die Beklagte tritt der Revision entgegen. Sie trägt vor: Seien Eigentümer oder
Erben eines ehemals staatlich verwalteten Grundstücks unbekannt oder unbe-
kannten Aufenthalts, hindere die Bestellung eines gesetzlichen Vertreters bzw.
Pflegers nicht die Durchführung des Aufgebotsverfahrens, da dessen Ziel sonst
verfehlt werde. Der Ausschluss nach § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 EntschG i.V.m.
§ 15 GBBerG sei keine Enteignung, sondern eine zulässige Inhalts- und
Schrankenbestimmung im Sinne von Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG. Zu den vorran-
gigen Aufgaben des Gesetzgebers in den neuen Bundesländern gehöre die
Grundbuchbereinigung. Eine Dauerfremdverwaltung von Grundbesitz nicht be-
kannter oder nicht auffindbarer Eigentümer, Miteigentümer oder Miterben solle
vermieden und die wirtschaftliche Entwicklung angekurbelt werden. Der Ge-
setzgeber habe bei der Bewältigung des Teilungsunrechts einen besonders
weiten Gestaltungsspielraum. Mit Blick auf die Interessen der betroffenen Ei-
gentümer und die Gemeinwohlbelange sei die Inhalts- und Schrankenbestim-
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mung verhältnismäßig, wenn das Bundesamt bei der Suche nach Eigentümern
bzw. Erben einen hohen Ermittlungsaufwand betrieben habe.
II
Das Verfahren wird gemäß Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG ausgesetzt und die Ent-
scheidung des Bundesverfassungsgerichts dazu eingeholt, ob § 10 Abs. 1
Satz 1 Nr. 7 Satz 2 EntschG vom 27. September 1994 (BGBl I S. 2624) in der
Fassung des Entschädigungsrechtsänderungsgesetzes vom 10. Dezember
2003 (BGBl I S. 2471), soweit davon Rechte von Miterben betroffen sind, mit
Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG vereinbar ist.
Nach § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 Satz 1 EntschG sind an den Entschädigungs-
fonds Veräußerungserlöse nach § 11 Abs. 4 des Vermögensgesetzes und
sonstige nicht beanspruchte Vermögenswerte abzuführen, die bis zum 31. De-
zember 1992 unter staatlicher Verwaltung standen, wenn der Eigentümer oder
Inhaber sich nicht nach öffentlichem Aufgebot gemäß § 15 des Grundbuchbe-
reinigungsgesetzes gemeldet hat. Nach Satz 2 dieser Regelung sind nicht be-
anspruchte Vermögenswerte im Sinne des Satzes 1 auch die nicht bekannten
oder nicht auffindbaren Miteigentümern oder Miterben zustehenden Rechte.
Dieser Satz 2 wurde durch Art. 1 Nr. 6 Buchst. b des Entschädigungsrechtsän-
derungsgesetzes vom 10. Dezember 2003 (BGBl I S. 2471) angefügt. In der
Gesetzesbegründung wird hierzu ausgeführt, die Ergänzung stelle klar, dass
diese Vorschrift nicht nur für im Alleineigentum einer Person befindliche Ver-
mögensgegenstände gelte, sondern auch für Rechte von Miteigentümern und
Miterben. Handele es sich um Rechte an einer Gemeinschaft zur gesamten
Hand, so werde der Entschädigungsfonds Mitglied dieser Gemeinschaft
(BTDrucks 15/1180 S. 20).
1. Die Gültigkeit von § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 Satz 2 EntschG ist für die Ent-
scheidung im Revisionsverfahren erheblich, soweit dort als an den Entschädi-
gungsfonds abzuführende sonstige nicht beanspruchte Vermögenswerte aus-
drücklich auch die Rechte angesehen werden, die nicht auffindbaren Miterben
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zustehen. Wenn das Bundesverfassungsgericht die Vereinbarkeit der Vorschrift
mit dem Grundgesetz bejaht, wäre die Revision der Klägerin zurückzuweisen,
da es sich bei ihrer Mitberechtigung an dem Grundstück wegen ihres nach wie
vor unbekannten Aufenthalts um einen nicht beanspruchten Vermögenswert im
Sinne von § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 EntschG i.V.m. § 15 GBBerG handelt. Da-
nach war die Beklagte gemäß § 15 Abs. 3 Satz 1 GBBerG zum Erlass eines
Ausschlussbescheides ermächtigt. Wenn dagegen § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7
Satz 2 EntschG für nichtig erklärt wird, fehlte es an einer Rechtsgrundlage für
den Ausschluss der Klägerin, weshalb das Urteil des Verwaltungsgerichts zu
ändern und der angefochtene Bescheid aufzuheben wäre.
Die Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefrage entfällt nicht deshalb, weil das
angegriffene Urteil aus anderen Gründen entweder aufgehoben oder bestätigt
werden müsste, so dass es auf die Gültigkeit der dem Bundesverfassungsge-
richt vorgelegten Vorschrift nicht ankäme. Der angefochtene Ausschlussbe-
scheid erweist sich nicht bereits deshalb als rechtswidrig, weil der für die Kläge-
rin bestellte Abwesenheitspfleger ihre Rechte im Zuge des Aufgebotsverfahrens
angemeldet hat. Ebenso wenig ist der Ausschlussbescheid deshalb auf-
zuheben, weil unter Verstoß gegen § 15 Abs. 2 Satz 2 GBBerG nicht die zu
Gebote stehenden Mittel zum Auffinden der Klägerin eingesetzt wurden oder
das von der Beklagten durchgeführte Aufgebotsverfahren aus sonstigen Grün-
den fehlerhaft war.
a) Das Verwaltungsgericht hat zu Recht angenommen, es handele sich bei den
aus ihrer Miterbenstellung ergebenden Rechten der Klägerin in Bezug auf das
Grundstück um einen „sonstigen nicht beanspruchten Vermögenswert“ im Sin-
ne von § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 EntschG, obgleich ihr Abwesenheitspfleger un-
ter Vorlage eines Teilerbscheins ihre Ansprüche geltend gemacht hatte.
Das Ausschlussverfahren des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 EntschG i.V.m. § 15
GBBerG dient der baldigen Bereinigung der Eigentumsverhältnisse an staatlich
verwalteten Vermögenswerten bei unbekannten Berechtigten oder Berechtigten
unbekannten Aufenthalts (Beschluss vom 18. Mai 2006 - BVerwG 3 B 176.05 -
Buchholz 428.41 § 10 EntschG Nr. 4; Urteil vom 16. Mai 2007 - BVerwG 3 C
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25.06). Die Bestellung eines gesetzlichen Vertreters nach § 11b VermG oder
- wie hier - eines Abwesenheitspflegers nach § 1911 BGB bewirkt gerade nicht
die durch die Sonderregelung bezweckte Bereinigung der Vermögenslage, weil
sie die Eigentumsverhältnisse im Hinblick auf den Vertretenen nicht klärt. Es
bleibt nach wie vor unklar, ob er seine Eigentumsrechte jemals wieder wahr-
nehmen wird. Außerdem führt das Verfahren nach § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7
EntschG i.V.m. § 15 GBBerG zu einer besonderen Eigentumszuordnung, weil
der Vermögenswert oder der für ihn erzielte Erlös bei Erfolglosigkeit des Aufge-
botsverfahrens und - wie zu ergänzen ist - Fortdauer der Ungewissheit über den
Eigentümer oder seinen Aufenthalt bis zum Eintritt der Bestandskraft des Aus-
schlussbescheides (vgl. Urteil vom 16. Mai 2007 - BVerwG 3 C 25.06) an den
Entschädigungsfonds abzuführen ist. Diese besondere Eigentumszuordnung
könnte allein durch die Bestellung eines gesetzlichen Vertreters unterlaufen
werden, obwohl sich an dem für die Zuordnung maßgeblichen Sachverhalt - der
Unbekanntheit oder Unauffindbarkeit des Eigentümers - nichts ändert (vgl.
Beschluss vom 18. Mai 2006 a.a.O.; i.E. ebenso Broschat, in: Fieberg u.a.,
VermG, § 10 EntschG Rn. 42a und Kuhlmey/Wittmer, in: Kimme , Offe-
ne Vermögensfragen, § 10 EntschG Rn. 34). Bereits der Umstand, dass der
Gesetzgeber ein Aufgebots- und Ausschlussverfahren ungeachtet dessen vor-
gesehen hat, dass § 11b VermG oder § 1911 BGB die Möglichkeit zur Bestel-
lung eines gesetzlichen Vertreters geben, wenn der Eigentümer unbekannt oder
unbekannten Aufenthalts ist, belegt, dass der Gesetzgeber das Tätigwerden
eines solchen Vertreters nicht als ausreichend angesehen hat, um die ge-
wünschte Klärung der Eigentumsverhältnisse herbeizuführen. Für das gerichtli-
che Aufgebotsverfahren nach §§ 946 ff. ZPO, das vor der Einführung des be-
hördlichen Verfahrens nach § 15 GBBerG bei der Abwicklung der staatlichen
Verwaltung zur Klärung der Eigentumsverhältnisse Anwendung fand, wird
ebenfalls davon ausgegangen, dass das Handeln eines Abwesenheitspflegers
den Fristablauf nicht unterbricht (vgl. Eickmann, in: Münchener Kommentar,
ZPO, Band 3, 2. Aufl. 2001, §§ 977 bis 981 Rn. 4).
b) Der Ausschlussbescheid ist auch nicht deshalb rechtswidrig, weil die Beklag-
te im Vorfeld des Aufgebotsverfahrens nicht, wie nach § 15 Abs. 2 Satz 1 und 2
GBBerG erforderlich, die zu Gebote stehenden Mittel zur Ermittlung des Auf-
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enthalts der Klägerin eingesetzt hat. An den hierbei zu betreibenden Aufwand
sind im Hinblick auf den mit dem Aufgebots- und Ausschlussverfahren verbun-
denen Eingriff in die durch Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG geschützten Rechte stren-
ge Anforderungen zu stellen (zutreffend VG Berlin, Beschluss vom 6. November
2003 - 29 A 294/02 - VIZ 2004, 463; vgl. auch Antwort der Bundesregierung auf
die Kleine Anfrage der Abgeordneten Voßhoff u.a., BTDrucks 14/7237 S. 2 f.).
Diesen Anforderungen wurde hier indes genügt. Weder über die vom Landkreis
Havelland im September 1999 gestellten Anfragen beim Landeseinwohneramt
und beim Landesarchiv Berlin sowie bei den Nachlassgerichten Berlin-
Charlottenburg und Berlin-Schöneberg noch durch die zusätzlichen Recherchen
der Beklagten beim Berliner Landesamt zur Regelung offener Ver-
mögensfragen, bei den Nachlassgerichten in Langenfeld und Lippstadt, der
Stadtverwaltung Hilden und beim Abwesenheitspfleger der Klägerin konnte de-
ren Aufenthaltsort ermittelt werden. Auch die Nachforschungen der beiden
Schwestern der Klägerin in Großbritannien (u.a. Kontaktaufnahme mit der Poli-
zei und der Stadtverwaltung in Glasgow, Aufgabe einer Suchanzeige in der ört-
lichen Zeitung) waren ohne Erfolg geblieben. Weitere Erfolg versprechende
Ermittlungsansätze sind - wie auch zwischen den Beteiligten unstreitig ist - nicht
ersichtlich.
c) Anhaltspunkte dafür, dass es im Aufgebotsverfahren zu Verfahrensfehlern
gekommen ist, die zur Rechtswidrigkeit des Ausschlussbescheides führen, gibt
es nicht. Der Vermögenswert wurde gemäß § 15 Abs. 2 Satz 3 GBBerG im
Bundesanzeiger vom 30. Juni 2000 und vom 30. Dezember 2000 mit den er-
forderlichen Angaben bekannt gegeben; die Berechtigten bzw. ihre Rechts-
nachfolger wurden aufgefordert, sich beim Bundesamt zu melden. Zwar ist die-
se Bekanntgabe bereits vor der Ergänzung von § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7
EntschG durch das am 17. Dezember 2003 in Kraft getretene Entschädigungs-
rechtsänderungsgesetz erfolgt. Doch folgt aus dieser Ergänzung nicht etwa das
Erfordernis einer erneuten Bekanntgabe. Der Text des Aufgebotes, das sich
nicht nur an die Berechtigten, sondern ausdrücklich auch an ihre Rechtsnach-
folger wandte, machte auch für Miterben in einer noch nicht auseinanderge-
setzten Erbengemeinschaft unmissverständlich deutlich, dass sie ihre Rechte
rechtzeitig anmelden mussten, um deren Verlust zu vermeiden. In diesem Sin-
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ne haben die beiden weiteren Miterbinnen des Grundstückseigentümers, die
Schwestern der Klägerin, die im Aufgebotsverfahren ausgesprochene Aufforde-
rung ersichtlich auch verstanden.
d) Umgekehrt gibt es keinen rechtlichen Grund, weshalb das Urteil des Verwal-
tungsgerichts auch dann Bestand haben könnte, wenn die den Ausschluss an-
ordnende Regelung in § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 Satz 2 EntschG unwirksam wä-
re. Hält das Bundesverfassungsgericht die in Satz 2 enthaltene Regelung für
verfassungswidrig, soweit sie die Rechte von unbekannten Miterben oder Mit-
erben unbekannten Aufenthalts ausdrücklich einbezieht, steht dies zugleich
einer Auslegung des Satzes 1 entgegen, die - bei Nichtigkeit des Satzes 2 - je-
denfalls dessen Regelungsgehalt bereits dem alten Satz 1 beilegen würde.
2. § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 Satz 2 EntschG in der Fassung des Entschädi-
gungsrechtsänderungsgesetzes ist nach der Auffassung des Senats mit Art. 14
Abs. 1 Satz 1 GG unvereinbar. Bei dem Ausschluss von Miterben, die der Per-
son oder aber jedenfalls nach ihrem Aufenthalt unbekannt sind, handelt es sich
nicht um eine entschädigungslose Enteignung gemäß Art. 14 Abs. 3 GG, son-
dern um eine Inhalts- und Schrankenbestimmung im Sinne von Art. 14 Abs. 1
Satz 2 GG. Sie genügt nicht den an eine solche Inhalts- und Schrankenbe-
stimmung zu stellenden verfassungsrechtlichen Anforderungen.
a) Durch den angegriffenen Ausschlussbescheid und die zugrunde liegenden
Regelungen wird der Schutzbereich von Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG berührt. Da-
bei kann dahinstehen, ob das Eigentum oder das Erbrecht betroffen ist, das
neben dem Erblasser auch das Recht des testamentarischen oder gesetzlichen
Erben schützt, die vererbten Gegenstände zu erlangen (vgl. BVerfGE 91, 346
<360>; 97, 1 <6>). Eigentum und Erbrecht unterliegen gleichermaßen dem
Schutz von Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG.
Die Klägerin ist als Miterbin Teil der Gesamthandsgemeinschaft, der gemäß
§ 2032 BGB der Nachlass als gemeinschaftliches Vermögen zusteht. Allerdings
weicht die vom Gesetzgeber in § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 Satz 2 EntschG ge-
wählte Konstruktion von dem erbrechtlichen System des Bürgerlichen Gesetz-
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buches insofern ab, als dieses vor der erbrechtlichen Auseinandersetzung nur
Rechte der Miterben am Nachlass insgesamt kennt (vgl. § 2032 BGB) und dem
Miterben nur eine Verfügung über seinen Anteil an dem Nachlass gestattet (vgl.
§ 2033 Abs. 1 BGB), nicht aber über seinen Anteil an einzelnen Nachlassge-
genständen (§ 2033 Abs. 2 BGB). Demgegenüber betrifft die genannte Aus-
schlussregelung Rechte an einzelnen Nachlassgegenständen, die sie entzieht
und auf den Entschädigungsfonds überleitet. Die Folge ist eine unterschiedliche
personelle Zusammensetzung der Erbengemeinschaft, je nach dem, um
welchen Nachlassgegenstand es geht. Eine solche Vorgehensweise ist dem
Gesetzgeber jedoch nicht verwehrt. Eine vergleichbare „Aufspaltung“ des Nach-
lasses nimmt etwa auch § 2a Abs. 1a VermG vor.
b) In der Entziehung der vermögenswerten Rechte, die sich aus der Miterben-
stellung der Klägerin in Bezug auf das Grundstück ergeben, liegt keine Enteig-
nung, die den Anforderungen von Art. 14 Abs. 3 GG entsprechen muss, son-
dern eine Bestimmung von Inhalt und Schranken des Eigentums im Sinne von
Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG.
Die Enteignung ist auf die vollständige oder teilweise Entziehung konkreter sub-
jektiver, durch Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG gewährleisteter Rechtspositionen zur
Erfüllung bestimmter öffentlicher Aufgaben gerichtet (stRspr, vgl. u.a. BVerfGE
100, 226 <240>; 101, 239 <259>; 102, 1 <15 f.>; 104, 1 <9>). Die Enteignung
setzt den Entzug konkreter Eigentumspositionen voraus, doch ist nicht jeder
Entzug eine Enteignung im Sinne von Art. 14 Abs. 3 GG. Diese ist beschränkt
auf solche Fälle, in denen Güter hoheitlich beschafft werden, mit denen ein
konkretes, der Erfüllung öffentlicher Aufgaben dienendes Vorhaben durchge-
führt werden soll (vgl. BVerfGE 38, 175 <179 f.>; 104, 1 <9 f.>).
Auf eine solche hoheitliche Güterbeschaffung zur Durchführung eines konkre-
ten Vorhabens zielt die Entziehung von vermögenswerten Rechten auf der
Grundlage eines Ausschlussbescheides nach § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 EntschG
i.V.m. § 15 GBBerG jedoch nicht ab. Der Ausschlussbescheid regelt die Neu-
zuordnung von vermögenswerten Rechten für den Fall, dass nach ergebnislo-
sen Aufklärungsbemühungen auch ein nachfolgend eingeleitetes Aufgebotsver-
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fahren zur Ermittlung eines Eigentümers oder Miteigentümers bzw. Erben oder
Miterben, sei es der Person oder dem Aufenthaltsort nach, ohne Erfolg geblie-
ben ist. Damit sollen nach der Beendigung der staatlichen Verwaltung von
Vermögenswerten im Beitrittsgebiet, die gemäß § 11a Abs. 1 Satz 1 VermG
spätestens zum 31. Dezember 1992 eingetreten ist, die Eigentumsverhältnisse
bei unbekannten Berechtigten oder Berechtigten unbekannten Aufenthalts be-
reinigt und eine - auch nur faktische - Herrenlosigkeit beseitigt werden.
Allerdings hat sich der Gesetzgeber zu den mit dem Aufgebots- und Aus-
schlussverfahren nach § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 EntschG i.V.m. § 15 GBBerG
verfolgten Zielen weder in den Materialien zum Entschädigungsgesetz (vgl. zu
§ 10 Abs. 1 Nr. 8 EntschG i.d.F. des Regierungsentwurfs: BTDrucks 12/4887
S. 37 sowie Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses,
BTDrucks 12/7588 S. 40) noch in der Begründung für die Anfügung von § 15
GBBerG im Zweiten Gesetz zur Änderung zwangsvollstreckungsrechtlicher
Vorschriften - 2. Zwangsvollstreckungsnovelle - vom 17. Dezember 1997 (vgl.
Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses, BTDrucks 13/9088
S. 26) ausdrücklich geäußert. Jedoch ergibt sich aus der Begründung zu § 10
Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 EntschG, wonach an den Entschädigungsfonds nicht an-
derweitig zuzuordnende Vermögenswerte aus dem Bereich des Amtes für den
Rechtsschutz des Vermögens der Deutschen Demokratischen Republik und
Überweisungen der Hinterlegungsstellen nach § 4 Abs. 2 des Schuldbuchbe-
reinigungsgesetzes abzuführen sind, dass es dem Gesetzgeber darauf ankam,
die Entstehung von „herrenlosem“ Vermögen zu vermeiden (BTDrucks 12/4887
S. 37). Dieser Gedanke kann wegen der Vergleichbarkeit der Ausgangssituati-
on auch auf die an ein ergebnisloses Aufgebotsverfahren anknüpfende Rege-
lung in Nr. 7 übertragen werden.
Das mit der Regelung angestrebte Ziel der Vermeidung herrenlosen Vermö-
gens bedarf dabei der Präzisierung. Davon geht offensichtlich auch der Ge-
setzgeber selbst aus, nachdem er das Adjektiv „herrenlos“ in der Gesetzesbe-
gründung in Anführungszeichen gesetzt hat. Nachdem er einen Ausschluss
auch für solche Vermögenswerte vorsieht, bei denen lediglich der Aufenthaltsort
des Eigentümers/Erben bzw. Miteigentümers/Miterben unbekannt ist, ist of-
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fensichtlich auch eine faktische Herrenlosigkeit gemeint, also der Fall, dass der
Berechtigte zwar der Person nach feststeht, aber nicht auffindbar und damit
nicht erreichbar ist.
Zwar gibt es mit dem Erlass eines Ausschlussbescheides nicht nur einen Ver-
lierer, sondern durch die Neuzuordnung der Rechte auch einen Gewinner. Be-
günstigt durch einen auf der Grundlage von § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 EntschG
i.V.m § 15 GBBerG ergangenen Ausschlussbescheid wird der Entschädigungs-
fonds. Damit wird der Eigentumszugriff aber nicht zu einem Güterbeschaf-
fungsvorgang und damit zu einer Enteignung im Sinne von Art. 14 Abs. 3 GG.
Dies gilt selbst in Ansehung der Aufgabe des Fonds, Leistungen nach dem Ent-
schädigungsgesetz und dem Ausgleichsleistungsgesetz zu finanzieren. Darin
liegt nach der dargestellten Intention des Gesetzgebers nicht der Grund für die
Entziehung der Rechte, sondern allenfalls für die Auswahl desjenigen, der den
Vermögenswert erhalten soll. Die damit ermöglichte Verwendung der entzoge-
nen Vermögenswerte ist nicht, wie dies für eine Enteignung im Sinne von
Art. 14 Abs. 3 GG erforderlich wäre, Zweck des Aufgebots- und Ausschlussver-
fahrens nach § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 EntschG i.V.m. § 15 GBBerG, sondern
Folge der angestrebten Eigentumsbereinigung.
Demgemäß handelt es sich bei der in § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 EntschG getrof-
fenen Regelung um eine Inhalts- und Schrankenbestimmung des Eigentums im
Sinne des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG (ebenso i.E. VG Berlin, Beschluss vom
6. November 2003 - 29 A 294/02 - a.a.O.). Solche Vorschriften bleiben auch
dann Inhalts- und Schrankenbestimmungen, wenn sie konkrete Vermögenspo-
sitionen ganz oder teilweise entziehen oder hierzu für den Einzelfall die Vor-
aussetzung bilden (vgl. zum erweiterten Verfall von Gegenständen des Täters
oder Teilnehmers nach § 73d StGB: BVerfGE 110, 1 <24 f.> m.w.N.; vgl. a.
BVerfGE 83, 201 <211 ff.>). Auch eine - etwa wegen einer Verletzung des Ver-
hältnismäßigkeitsgrundsatzes - verfassungswidrige Inhaltsbestimmung stellt
nicht zugleich einen „enteignenden Eingriff“ im verfassungsrechtlichen Sinne
dar und kann wegen des unterschiedlichen Regelungsgehalts von Inhaltsbe-
stimmung und Enteignung auch nicht in einen solchen umgedeutet werden
(BVerfGE 79, 174 <192> m.w.N.).
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c) Nach der Überzeugung des Senats hat der Gesetzgeber mit der Einfügung
von Satz 2 in § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 EntschG die Grenzen einer im Rahmen
von Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG verfassungsrechtlich zulässigen Regelung über-
schritten.
aa) Bei der Bestimmung von Inhalt und Schranken im Sinne von Art. 14 Abs. 1
Satz 2 GG muss der Gesetzgeber die schutzwürdigen Interessen des Berech-
tigten und die Belange des Gemeinwohls in einen gerechten Ausgleich und ein
ausgewogenes Verhältnis bringen. Er muss sich dabei im Einklang mit allen
anderen Verfassungsnormen halten; insbesondere ist er an den verfassungs-
rechtlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und den Gleichheitssatz des
Art. 3 Abs. 1 GG gebunden. Das Wohl der Allgemeinheit ist nicht nur Grund,
sondern auch Grenze für die dem Berechtigten aufzuerlegenden Belastungen.
Einschränkungen seiner Befugnisse dürfen nicht weiter gehen, als der Schutz-
zweck reicht, dem die Regelung dient. Überschreitet der Gesetzgeber bei der
Bestimmung von Inhalt und Schranken diese Grenzen, so ist die gesetzliche
Regelung unwirksam (stRspr, vgl. u.a. BVerfGE 100, 226 <240 f.> m.w.N.).
bb) Zwar ist ausgehend von diesen Grundsätzen die Grundregelung des § 10
Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 Satz 1 EntschG verfassungsgemäß. Das aus verfassungs-
rechtlicher Sicht legitime Anliegen des die Wiedervereinigung und ihre Folgen
regelnden Gesetzgebers, „herrenloses“, d.h. auch faktisch herrenloses Vermö-
gen zu vermeiden, rechtfertigt es grundsätzlich, einen in angemessener Zeit mit
zumutbaren Mitteln nicht auffindbaren Eigentümer oder Rechtsinhaber mit sei-
nen Rechten auszuschließen. Eine solche Maßnahme ist zur Verwirklichung
des mit dem Gesetz verfolgten Ziels erforderlich, klare Eigentumsverhältnisse
zu schaffen. Ein herrenloser Zustand lässt sich bei unbekanntem Eigentümer
oder bei unbekanntem Aufenthalt dieses Eigentümers auf Dauer nur durch Zu-
ordnung des Vermögenswertes an einen neuen Eigentümer vermeiden, der zur
Ausübung seines Rechts und damit auch zur Wahrnehmung der damit verbun-
denen Pflichten bereit und in der Lage ist. Aus diesem Grund führen bloße Ver-
tretungsregelungen wie die gesetzliche Vertretung nach § 11b VermG oder die
Bestellung eines Pflegers nach § 1911 BGB oder § 1960 BGB nicht weiter, weil
sie am Kernproblem - der Herrenlosigkeit - nichts ändern. Sie sind darauf ange-
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legt, vorübergehende Verwaltungs- oder auch Verfügungshindernisse zu besei-
tigen, ohne jedoch die Eigentumszuordnung hinsichtlich des Vermögenswertes
oder des dafür erzielten Erlöses endgültig zu bereinigen und damit den Rechts-
verkehr von den mit der ungeklärten Eigentumssituation verbundenen Proble-
men dauerhaft zu entlasten.
cc) Grundlegend anders verhält es sich bei der Berechtigung eines Miterben an
einem Vermögenswert. Das Ziel, herrenloses Eigentum zu vermeiden, erfordert
in solchen Fällen nicht den Ausschluss des unbekannten Miterben oder des
Miterben unbekannten Aufenthalts, um einen neuen, erreichbaren Eigentümer
an seine Stelle zu setzen, der die Funktion des Eigentümers nicht nur rechtlich,
sondern auch faktisch ausfüllt.
In Ansehung der nach § 2032 BGB zur gesamten Hand gehaltenen Nachlass-
gegenstände gibt es bei der Unauffindbarkeit eines Miterben gerade keinen
herrenlosen Zustand, der einen staatlichen Zugriff auf die Rechte dieses Miter-
ben erforderlich machen würde. Anders als beim Alleineigentum, bei dem bei
Nichtgreifbarkeit des Eigentümers die mit dem Eigentum verbundenen Rechte
und Pflichten gegenüber Dritten dauerhafter Regelung bedürfen, gibt es bei der
gesamthänderischen Erbengemeinschaft bereits gesetzliche Vorkehrungen,
falls einzelne Miterben unbekannt oder unbekannten Aufenthalts sind. Die
§§ 2038 ff. BGB räumen den übrigen Miterben entsprechende Verwaltungs-
rechte ein, unter anderem über die Notgeschäftsführungsbefugnis nach § 2038
Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2 BGB. Auch die Eigentumszuordnung regelt das Zivil-
recht. An die Stelle des nicht auffindbaren Miterben treten - im Falle einer To-
deserklärung und je nach deren Zeitpunkt - die an seiner Stelle berufenen Er-
ben, oder es findet nach § 2094 Abs. 1 BGB Anwachsung statt. Die Probleme,
die mit den Vorschriften des Bürgerlichen Rechts bewältigt werden müssen,
bestehen lediglich „nach innen“, also innerhalb der Erbengemeinschaft. Im Au-
ßenverhältnis gibt es mit den übrigen auffindbaren Miterben sowohl für Private
als auch für die Behörden verantwortliche Ansprechpartner, denen die Nach-
lassgegenstände gemeinschaftlich zugeordnet sind. Insofern kann im Hinblick
auf die Nachlassgegenstände weder von einer rechtlichen noch von einer fakti-
schen Herrenlosigkeit gesprochen werden. Herrenlos ist allenfalls die Mitbe-
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rechtigung des nicht auffindbaren Miterben. Faktische oder rechtliche Beein-
trächtigungen im Rechtsverkehr, derer sich der Staat im Interesse des Ge-
meinwohls über die im Bürgerlichen Recht bereits getroffenen Regelungen hin-
aus annehmen müsste, entstehen daraus nicht. Probleme dürften sich im Ge-
genteil eher dann ergeben, wenn der Entschädigungsfonds nach dem Aus-
schluss des unbekannten oder unauffindbaren Miterben dessen Stelle in der
Erbengemeinschaft einnimmt. Ein solches den in der Regel familiär verbunde-
nen Erben fremdes Zwangsmitglied, das lediglich ein finanzielles, aber kein
Affektionsinteresse hinsichtlich der Nachlassgegenstände hat, wird bei der ge-
meinschaftlichen Verwaltung des Nachlasses nicht den Erhalt des Familiener-
bes im Auge haben, sondern vor allem dessen Verwertung. Insoweit wird es
ohne Rücksicht auf familiäre Interessen die Auseinandersetzung des Erbes
betreiben, die es gemäß § 2042 Abs. 1 BGB regelmäßig verlangen kann.
Auch aus der Kommentarliteratur ergeben sich keine überzeugenden Argumen-
te für die mit dem Entschädigungsrechtsänderungsgesetz vorgenommene Pa-
rallelisierung von Alleineigentum einerseits und Rechten von Miterben anderer-
seits. Dort wird - ohne weitere Begründung - nur darauf verwiesen, dass etwas
anderes mit Sinn und Zweck dieser Vorschrift nicht vereinbar sei und ein An-
wachsen bei den Mitgliedern der Gemeinschaft nicht zu begründen wäre
(vgl. Broschat, in: Fieberg u.a., VermG, § 10 EntschG Rn. 42b). Das erste Ar-
gument trifft jedoch aus den dargestellten Gründen gerade nicht zu, der zweite
Einwand geht im Hinblick auf die vom Gesetzgeber in § 2094 BGB getroffene
Regelung fehl.
dd) Zudem wirft die in § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 EntschG eingefügte Regelung
im Hinblick auf den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG deshalb Probleme auf,
weil das Vermögensgesetz für die Restitution im Gegensatz zur Abwicklung der
staatlichen Verwaltung eine Verweigerung der Rückgabe bei einem
unbekannten Miterben oder einem Miterben unbekannten Aufenthalts ebenso
wenig kennt wie den nachträglichen, nach der Restitution vorzunehmenden
Ausschluss eines solchen Miterben von seinen Rechten. Nach § 2a Abs. 1
Satz 1 VermG wird ein Vermögenswert an eine Erbengemeinschaft selbst dann
zurückgegeben, wenn deren Mitglieder nicht sämtlich namentlich bekannt sind;
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in diesem Fall wird der Vermögenswert der Erbengemeinschaft nach dem zu
bezeichnenden Erblasser restituiert. Es ist dann ausschließlich Sache der wei-
teren Miterben, die Probleme zu bereinigen, die sich durch die Unauffindbarkeit
eines Miterben ergeben. Ein sachlicher Grund dafür, warum das Recht eines
unauffindbaren Miterben im Fall der Beendigung der staatlichen Verwaltung als
nicht beanspruchter Vermögenswert qualifiziert wird, während es im Fall der
vermögensrechtlichen Restitution ausreicht, dass einer der Miterben den An-
spruch der in der Erbengemeinschaft verbundenen Erben geltend macht
(vgl. § 2039 BGB), ist nicht ersichtlich. Der vergleichende Blick auf § 2a Abs. 1
Satz 1 VermG zeigt, dass der Gesetzgeber im Vermögensrecht trotz nicht voll-
ständig aufgefundener Erbengemeinschaften keine herrenlosen Zustände ge-
sehen hat, die eine Abhilfe durch hoheitliche Maßnahmen erfordern.
ee) Die Zuweisung eines nicht beanspruchten Miterbenanteils an den Entschä-
digungsfonds führt neben der Verletzung des individuellen Eigentums oder Erb-
rechts zudem zu einem Eingriff in die durch Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG ebenfalls
gewährleistete Institutsgarantie des Erbrechts. Zu deren grundlegendem Gehalt
gehören die Testierfreiheit und das Prinzip des Verwandtenerbrechts (vgl.
BVerfGE 93, 165 <173>). Bei gewillkürter Erbfolge wird die Testierfreiheit be-
einträchtigt, weil entgegen § 2094 Abs. 1 BGB selbst dann keine Anwachsung
stattfindet, wenn der Erblasser die gesetzliche Erbfolge ausgeschlossen und
damit zum Ausdruck gebracht hat, dass bei Ausfall eines Erben nur die von ihm
eingesetzten Personen erbberechtigt sein sollen. Bei gesetzlicher Erbfolge ent-
fällt das Verwandtenerbrecht im Umfang des dem unauffindbaren Miterben zu-
stehenden Erbanteils. Auch diese Eingriffe in die Institutsgarantie sind aus den
bereits dargestellten Gründen verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt.
3. Eine verfassungskonforme Auslegung von § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 Satz 2
EntschG in der Fassung durch das Entschädigungsrechtsänderungsgesetz, mit
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der die dargestellten Gründe für die Verfassungswidrigkeit der Regelung ausge-
räumt werden könnten, ist angesichts des eindeutigen Wortlauts der Norm und
deren Entstehungsgeschichte nicht möglich.
Kley van Schewick Dr. Dette
Liebler Prof. Dr. Rennert
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Sachgebiet:
BVerwGE:
nein
Entschädigungsrecht
Fachpresse: ja
Rechtsquellen:
GG
Art. 14 Abs. 1 Satz 1, Art. 14 Abs. 1 Satz 2, Art. 14 Abs. 3
EntschG § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7
GBBerG
§ 15
BGB
§§ 1911, 2032, 2033, 2038, 2039, 2042 Abs. 1, § 2094
VermG
§ 2a Abs. 1 und Abs. 1a, § 11b
Stichworte:
Staatliche Verwaltung; nicht auffindbarer Eigentümer; nicht bekannter oder nicht
auffindbarer Miterbe; Erbe; Erbengemeinschaft; Gesamthandseigentum;
herrenloses Eigentum; öffentliches Aufgebot; Aufgebotsverfahren; Ausschluss;
Ausschlussbescheid; Eigentum; Erbrecht; Enteignung; Inhalts- und Schranken-
bestimmung; Entschädigungsfonds; Vorlage an das Bundesverfassungsgericht
gemäß Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG.
Leitzsatz:
§ 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 Satz 2 des Gesetzes über die Entschädigung nach
dem Gesetz über die Regelung offener Vermögensfragen (Entschädigungsge-
setz - EntschG) vom 27. September 1994 (BGBl I S. 2624) in der Fassung des
Entschädigungsrechtsänderungsgesetzes vom 10. Dezember 2003 (BGBl I
S. 2471) ist, soweit davon Rechte einzelner nicht auffindbarer Miterben betrof-
fen sind, nicht mit Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG vereinbar.
Beschluss des 3. Senats vom 21. Juni 2007 - BVerwG 3 C 24.06
I. VG Potsdam vom 30.06.2005 - Az.: VG 1 K 3193/04 -