Urteil des BVerwG vom 18.05.2010

Unabhängigkeit, Ablauf der Frist, Vertretung, Öffentliches Unternehmen

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
BVerwG 3 C 21.09
OVG 20 A 3609/07 u. 3607/07
Verkündet
am 18. Mai 2010
Jesert
Hauptsekretärin
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 18. Mai 2010
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Kley und
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Liebler, Prof. Dr. Dr. h.c. Rennert,
Buchheister und Dr. Wysk
für Recht erkannt:
Das Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land
Nordrhein-Westfalen vom 20. Mai 2009 wird geändert. Die
Berufungen der Klägerinnen gegen die Urteile des Verwal-
tungsgerichts Köln vom 14. November 2007 werden zu-
rückgewiesen.
Die Klägerinnen tragen jeweils die Kosten des sie betref-
fenden Berufungsverfahrens bis zur Verbindung der Ver-
fahren. Die danach entstandenen Kosten des Berufungs-
verfahrens und die Kosten des Revisionsverfahrens tra-
gen sie jeweils zur Hälfte.
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G r ü n d e :
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Die Klägerin zu 1 betreibt in der Rechtsform der Aktiengesellschaft einen Groß-
teil der Eisenbahnschienenwege in Deutschland. Ihre Gesellschaftsanteile wer-
den von der Klägerin zu 2 gehalten, an die sie auch durch einen Beherr-
schungs- und Gewinnabführungsvertrag gebunden ist. Die Klägerin zu 2 ist
ebenfalls eine Aktiengesellschaft, deren Aktien die beklagte Bundesrepublik
Deutschland hält. Zu ihrem Konzern gehören neben der Klägerin zu 1 auch
verschiedene Eisenbahnverkehrsunternehmen. Für ihre Konzerntöchter hält sie
verschiedene zentrale Servicefunktionen vor, die von diesen durch eine Kon-
zernumlage finanziert werden. Dazu zählt eine zentrale Rechtsabteilung, in der
etwa 160 Juristen - im Folgenden: Konzernjuristen - beschäftigt sind, die über-
wiegend auch als Rechtsanwälte zugelassen sind. Diese berät und vertritt alle
Gesellschaften des Konzerns, so auch die Klägerin zu 1, namentlich in Regulie-
rungssachen gegenüber der Bundesnetzagentur und anderen Stellen.
Die Beteiligten streiten über die Zulässigkeit der Inanspruchnahme dieser
Dienste durch die Klägerin zu 1 in Angelegenheiten, die die Zuweisung von
Zugtrassen und die Wegeentgelte betreffen. Anlass hierzu bot der Erlass von
§ 9a AEG im Jahre 2005, der in Umsetzung europarechtlicher Richtlinien die
Unabhängigkeit der Betreiber von Schienenwegen von Eisenbahnverkehrsun-
ternehmen in netzzugangsrelevanten Entscheidungen sicherzustellen sucht.
Die Klägerinnen haben auf die Neuregelung mit verschiedenen organisatori-
schen Maßnahmen reagiert. Im Mai 2005 haben sie ihren Beherrschungs- und
Gewinnabführungsvertrag dahin geändert, dass von dem Weisungsrecht der
Klägerin zu 2 die Unabhängigkeit der Klägerin zu 1 in netzzugangs- und ent-
geltrelevanten Fragen unberührt bleibe. Zugleich bestimmte die Klägerin zu 1,
dass Vorstandsmitglieder, die auch Funktionen in Eisenbahnverkehrsunter-
nehmen ausübten, von Entscheidungen in Netzzugangs- und Entgeltfragen
ausgeschlossen seien. Die Klägerin zu 2 bildete in der konzernzentralen
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Rechtsabteilung (GR) in der Unterabteilung „Regulierungs-, Wettbewerbs- und
Kartellrecht“ (GRK) ein eigenständiges Arbeitsgebiet „Regulierung“ (GRK R,
später GRK 1 bzw. ARK 1), das aus sieben Juristen besteht und mit der umfas-
senden und ausschließlichen Wahrnehmung der rechtlichen Interessen der
Eisenbahninfrastrukturunternehmen des Konzerns, darunter vor allem der Klä-
gerin zu 1, gegenüber der Bundesnetzagentur und anderen staatlichen Stellen
in sämtlichen Netzzugangs- und Regulierungsverfahren betraut ist. Die Juristen
dieses Arbeitsgebiets unterstehen dem Direktionsrecht des Leiters der Unterab-
teilung GRK. Nach einer Arbeitsanweisung ist ihnen nicht gestattet, in ihrem
Arbeitsgebiet Eisenbahnverkehrsunternehmen zu beraten oder zu vertreten
oder deren Interessen wahrzunehmen; Informationen haben sie vertraulich zu
behandeln. Innerhalb der Klägerin zu 1 sind die Aufgaben betreffend Netzzu-
gang und Wegeentgelte dem Vorstandsressort „Marketing/Vertrieb (I.NM)“ zu-
gewiesen. Operative Entscheidungen werden dezentral von den regionalen
Niederlassungen getroffen. Ihnen ist die zentrale Organisationseinheit „Grund-
sätze Netzzugang/Regulierung“ (I.NMN) vorgeordnet, die mit fünf Mitarbeitern
besetzt ist, davon zwei Juristen. Zu ihren Aufgaben gehört es, in Abstimmung
mit der zuständigen Konzernrechtsabteilung über die Einlegung von Rechtsbe-
helfen gegen Maßnahmen der Aufsichts- und Regulierungsbehörden zu ent-
scheiden. Die Erarbeitung von Entgeltgrundsätzen obliegt der zentralen Orga-
nisationseinheit „Marketing/Preispolitik“ (I.NMM), deren Mitarbeiter nach einer
internen Konzernrichtlinie keinerlei Einflussnahmen Dritter außerhalb der Klä-
gerin zu 1 zulassen dürfen. Schließlich bestellte die Klägerin zu 1 einen Unab-
hängigkeitsbeauftragten.
Mit Bescheid vom 24. November 2006 untersagte das Eisenbahn-Bundesamt
der Klägerin zu 1, bei Entscheidungen über den Netzfahrplan, bei der sonstigen
Zuweisung von Zugtrassen und bei Entscheidungen über die Wegeentgelte
nebst der Vorbereitung dieser Entscheidungen Juristen der Klägerin zu 2 mit
der Rechtsberatung oder Rechtsvertretung zu beauftragen, und verpflichtete
sie, die damit angeordnete Umorganisation ihrer rechtlichen Beratung und Ver-
tretung unverzüglich anzuzeigen. Zur Begründung hieß es: Seit 2005 seien öf-
fentliche Betreiber der Schienenwege gesetzlich verpflichtet, rechtlich, organi-
satorisch und in ihren Entscheidungen von Eisenbahnverkehrsunternehmen
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unabhängig zu sein, soweit Entscheidungen über die Zuweisung von Zugtras-
sen und über die Wegeentgelte betroffen seien. Zum einen dürften derartige
Entscheidungen nur von dem Personal des Betreibers der Schienenwege ge-
troffen werden, das keine Funktionen in Eisenbahnverkehrsunternehmen oder
mit diesen verbundenen Unternehmen ausübe (§ 9a Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AEG);
zum anderen müssten in Infrastrukturunternehmen, die über ein Mutterunter-
nehmen mit einem Eisenbahnverkehrsunternehmen verbunden sind, unter-
nehmensinterne Regelungen bestehen, die die Einflussnahme Dritter auf diese
Entscheidungen unterbänden (§ 9a Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 AEG). Gegen beide
Gebote verstoße die Klägerin zu 1, wenn sie - ohne eigene Rechtsabteilung -
sich von Juristen der zentralen Rechtsabteilung ihrer Konzernmutter bei Fragen
der Zuweisung von Zugtrassen und der Wegeentgelte beraten und vertreten
lasse. Das personelle Trennungsgebot betreffe nicht nur Entscheidungen im
operativen Geschäft, sondern schon jede Grundsatzentscheidung wie die For-
mulierung der „Schienennetz-Benutzungsbedingungen (SNB)“, und nicht nur die
Entscheidungen selbst, sondern auch deren Vorbereitung und erfasse deshalb
auch die Beratung der Entscheidungsorgane der Klägerin zu 1 und deren
Vertretung im Rechtsverkehr. Durch die Beauftragung von Juristen der Kon-
zernmutter werde dieser und mittelbar auch den Konzernschwestern die Mög-
lichkeit der Einflussnahme eröffnet, womit zugleich gegen das Gebot der Un-
terbindung derartiger Einflussnahmen verstoßen werde. Ob es tatsächlich zu
Einflussnahmen der Konzernmutter gekommen sei, sei unerheblich, da im Inte-
resse eines auch in den Augen der Wettbewerber und der Öffentlichkeit neutra-
len Netzbetreibers bereits die Möglichkeit der Einflussnahme unterbunden wer-
den solle.
Die verfügte Untersagung sei auch erforderlich, um die gesetzlichen Anforde-
rungen sicherzustellen, mildere Mittel seien nicht ersichtlich. Namentlich reich-
ten die internen Organisationsregeln der Klägerinnen nicht aus. Der Beherr-
schungsvertrag zwischen den Klägerinnen sehe zwar vor, dass die Klägerin
zu 2 der Klägerin zu 1 keine Weisungen erteile, die deren rechtlicher und orga-
nisatorischer Unabhängigkeit in Bezug auf Entscheidungen über die Zuweisung
von Zugtrassen und die Wegeentgelte zuwiderliefen; er wiederhole damit aber
lediglich den Gesetzeswortlaut. Dasselbe gelte für die Geschäftsordnung des
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Vorstandes der Klägerin zu 1, wonach Vorstandsmitglieder, die Funktionen in
verbundenen Eisenbahnverkehrsunternehmen ausübten, von der Beschluss-
fassung über Entscheidungen zu den in Rede stehenden Gegenständen aus-
geschlossen seien. Auch die neuen - seinerzeit noch geplanten - Bestimmun-
gen der unternehmensinternen Richtlinie 048.2001 seien unzureichend. Auch
wenn die gerichtliche und außergerichtliche Vertretung hiernach auf den Zeit-
raum nach Abschluss des Entscheidungsprozesses beschränkt werde, so blei-
be die Modifikation der getroffenen Entscheidung doch unbenommen; zugleich
würden künftige Entscheidungen vorgeprägt. Zudem betreffe die Beschränkung
nur die rechtliche Vertretung und lasse die vorherige Beratung unberührt. Die
weitere Bestimmung, Geschäftsgeheimnisse der Klägerin zu 1 und ihrer Kun-
den geheimzuhalten, und das Verbot der Vertretung widerstreitender Interessen
seien intransparent und nicht zu überwachen und schon deshalb ungeeignet,
die gesetzlichen Anforderungen zu erreichen. Sie seien ohnehin wenig
praxistauglich, zumal sich eine Interessenkollision auch erst einige Zeit nach
Auftragserteilung herausstellen könne, eine Auftragskündigung aber wenig
wahrscheinlich sei; auch sei die Vertretung gegenläufiger Interessen in nach-
folgenden Verfahren ebensowenig ausgeschlossen wie die gleichzeitige Vertre-
tung gegenläufiger Interessen durch enge Kollegen und deren Einflussnahme
im Wege kollegialer Kommunikation.
Mit ihren Widersprüchen rügten die Klägerinnen einen Eingriff in ihre unter-
nehmerische Organisationsfreiheit, wenn die Einrichtung zentraler Servicefunk-
tionen im Konzern verboten und damit die Erzielung entsprechender Synergie-
effekte unmöglich gemacht werde; damit werde die Konzernstruktur insgesamt
in Frage gestellt. Ein derartiger Eingriff bedürfe einer eindeutigen gesetzlichen
Grundlage und eines überragenden öffentlichen Belangs. An beidem fehle es.
Das Gesetz begründe zwar Betreiberpflichten, überlasse es aber der unter-
nehmerischen Freiheit, mit welchen Maßnahmen diese Pflichten umzusetzen
seien. In der Sache untersage es nur die bestimmende Einflussnahme auf die
Entscheidungen der Organe des Schienenbetreibers, nicht aber den gesamten
vorherigen Prozess der Entscheidungsfindung und auch nicht den anschlie-
ßenden Vollzug der Entscheidung in einzelnen Anwendungsfällen einschließlich
der Verteidigung einer Maßnahme gegenüber Behörden und vor Gericht.
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Sowohl das Europarecht als auch ein Vergleich mit dem Energiewirtschafts-
und dem Aktienrecht sprächen für diese enge Auslegung. An den eigentlichen
Entscheidungen in diesem Sinne wirkten die Juristen der Konzernmutter aber
nicht mit. Sie berieten die Klägerin zu 1 nur zum rechtlichen Rahmen, aber nicht
zum Inhalt einer Entscheidung und verträten sie im Folgenden nur in einzelnen
Anwendungsfällen. Die Entscheidungen würden von den Organen der Klägerin
zu 1 getroffen, nämlich von deren Vorstand und von der Organisationseinheit
I.NMN.
Den Widerspruch der Klägerin zu 1 wies das Eisenbahn-Bundesamt mit Wider-
spruchsbescheid vom 11. April 2007, denjenigen der Klägerin zu 2 mit Wider-
spruchsbescheid vom 17. April 2007 zurück. Der Widerspruch der Klägerin zu 2
sei unzulässig. Sie sei nicht Adressatin des Untersagungsbescheides. Sie kön-
ne auch nicht als Dritte in ihrer unternehmerischen Entscheidungsfreiheit be-
troffen sein; als ein reines Staatsunternehmen sei sie nicht grundrechtsfähig.
Der Widerspruch der Klägerin zu 1 sei aus den Gründen der Ausgangsent-
scheidung unbegründet; was die Klägerin einwende, greife nicht durch. Insbe-
sondere sei der Begriff der „Entscheidung“ im Eisenbahngesetz gerade im Ge-
gensatz zu dem Begriff der „Letztentscheidung“ im Energiewirtschaftsgesetz
weit zu verstehen.
Das Verwaltungsgericht hat die Klagen mit Urteilen vom 14. November 2007
abgewiesen. Die Klägerin zu 2 sei nicht in eigenen Rechten betroffen. Ob sie
auch als öffentliches Unternehmen wegen Art. 87e GG grundrechtsfähig sei,
könne offenbleiben. Keinesfalls könne ihre Berechtigung aus Art. 12, Art. 14
und Art. 2 Abs. 1 GG weiter reichen als ihre Rechte nach „einfachem“ Recht.
Die Klägerin zu 2 habe sich aber durch den Gewinnabführungs- und Beherr-
schungsvertrag in den hier in Rede stehenden Angelegenheiten des Netzzu-
gangs und der Wegeentgelte jedes Weisungsrechts gegenüber der Klägerin
zu 1 begeben. Sie habe daher auch keinen rechtlich begründeten Einfluss dar-
auf, von welchen Juristen sich die Klägerin zu 1 bei netzzugangsrelevanten
Entscheidungen beraten lasse. Die Klägerin zu 1 sei in eigenen Rechten betrof-
fen, aber nicht verletzt. Die Untersagungsverfügung finde ihre Rechtsgrundlage
in § 9a Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AEG. Diese Vorschrift verlange, dass die netzzu-
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gangsrelevanten Entscheidungen ausnahmslos vom Personal des Infrastruk-
turunternehmens zu treffen seien. Das erfasse zwar nicht jede Vorarbeit zu ei-
ner Entscheidung - insofern genügten interne Schutzvorkehrungen -, umfasse
aber jede maßgebliche inhaltliche Beteiligung an der Entscheidungsfindung.
Hinsichtlich der Konzernjuristen liege eine Organisationsstruktur vor, die diesen
in bestimmten Fällen eine unzulässige Mitentscheidung eröffne. Mit zunehmen-
der Komplexität der aufgeworfenen Rechtsfragen nehme der Einfluss der Kon-
zernjuristen auf die zu treffende Entscheidung zu; gerade in komplexen Fällen
könne die eigene Organisationseinheit I.NMN der Klägerin zu 1 kaum mehr als
eine Plausibilitätskontrolle leisten. Die Untersagungsverfügung lasse sich zu-
dem auf § 9a Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 AEG stützen; denn die gegebene Organisati-
onsstruktur ermögliche dem Vorstand der Klägerin zu 2 vermöge seines Direk-
tionsrechts gegenüber den Konzernjuristen eine inhaltliche Einflussnahme auf
die Entscheidungen der Klägerin zu 1. Das interne Reglement der Klägerin zu 2
reiche nicht aus, diese Einflussnahme völlig auszuschließen, und dürfe es nach
§ 76 AktG auch gar nicht. Die Untersagungsverfügung sei auch verhältnismä-
ßig; der Klägerin zu 1 entstünden bei Übernahme der fünf bis sieben Konzern-
juristen keine nennenswerten Mehrkosten, und die behaupteten Synergieeffekte
blieben gewahrt.
Auf die Berufungen der Klägerinnen hat das Oberverwaltungsgericht die beiden
Verfahren zu gemeinsamer Verhandlung und Entscheidung verbunden. Mit Ur-
teil vom 20. Mai 2009 hat es den Bescheid des Eisenbahn-Bundesamtes vom
24. November 2006 und die beiden Widerspruchsbescheide aufgehoben. Zur
Begründung hat es ausgeführt: Die Untersagungsverfügung sei rechtswidrig;
sie finde in § 9a Abs. 1 AEG keine Grundlage. Die beanstandete Beauftragung
von Konzernjuristen führe nicht dazu, dass diese entgegen § 9a Abs. 1 Satz 2
Nr. 3 AEG Entscheidungen über den Netzzugang oder die Wegeentgelte träfen.
Die Vorschrift habe nur die Entscheidungsträger des Infrastrukturunternehmens
selbst im Blick und ordne deren persönliche Unabhängigkeit an. Daher erfasse
der Begriff der Entscheidung nur den Abschluss eines Willensbil-
dungsprozesses mit Anspruch auf Verbindlichkeit und Umsetzung, nicht aber
Vorarbeiten wie die Erarbeitung des Sachverhalts oder von Handlungsalternati-
ven. Auf die Phase der Entscheidungsvorbereitung ziele vielmehr § 9a Abs. 1
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Satz 2 Nr. 5 AEG; hier sollten Einflussnahmen Dritter durch unternehmensin-
terne Organisationsregeln unterbunden werden. Die Konzernjuristen träfen kei-
ne Entscheidungen im vorbeschriebenen Sinne und wirkten an solchen auch
nicht mit; es sei sichergestellt, dass ihre Tätigkeit erst einsetze, wenn das eige-
ne Personal der Klägerin zu 1 eine Entscheidung bereits getroffen habe. Dies
gelte für die allgemeinen Festlegungen in Rahmenverträgen und den Schie-
nennetz-Nutzungsbedingungen ebenso wie für einzelne Trassenzuweisungen
und Wegegeldfestsetzungen. Mit ihrer Tätigkeit gehe aber auch keine Einfluss-
nahme der Klägerin zu 2 auf die Entscheidungen der Klägerin zu 1 einher, die
sich nicht durch unternehmensinterne Regelungen ausschließen ließen und
hinlänglich ausgeschlossen seien. Der Arbeit der Konzernjuristen wohne nicht
schon für sich ein auf die Durchsetzung der Interessen konzernzugehöriger
Verkehrsunternehmen ausgerichtetes manipulatives Element inne; die Kon-
zernjuristen seien allein für die Klägerin zu 1 tätig und unterlägen nur deren
Weisungen. Ein solches manipulatives Element ergebe sich auch nicht daraus,
dass sie Angestellte der Klägerin zu 2 seien. Das allein begründe nicht den
Verdacht ihrer Voreingenommenheit; verbleibende Risiken seien durch unter-
nehmensinterne Regeln unterbunden. Das Weisungsrecht der Klägerin zu 2 als
Arbeitgeberin schließlich sei ausreichend beschränkt; aktienrechtlichen Beden-
ken gegen die rechtliche Wirksamkeit dieser Beschränkung bestünden nicht.
Insgesamt halte das Gesetz - jenseits der Funktionstrennung auf der Ebene der
Entscheidungsträger - unternehmensinterne Regelwerke unter flankierender
Kontrolle eines Unabhängigkeitsbeauftragten im Regelfalle für ausreichend.
Allein die Bekämpfung eines „bösen Scheins“ rechtfertige keine weiterreichen-
den Maßnahmen. Auch das europäische Gemeinschaftsrecht lasse integrierte
Eisenbahnkonzerne weiterhin zu und fordere lediglich eine Ausgestaltung, bei
der die Unabhängigkeit des Schienenwegebetreibers von Verkehrsunterneh-
men in Fragen des Netzzugangs und der Wegeentgelte gesichert sei. Auch
gemeinschaftsrechtlich seien für eine Konzernstruktur typische unternehmens-
übergreifende Dienstleistungen wie die hier in Rede stehenden daher nicht
ausgeschlossen. Sei die angefochtene Untersagungsverfügung nach allem
rechtswidrig, so verletze sie nicht nur die Klägerin zu 1 als Adressatin, sondern
auch die Klägerin zu 2 in eigenen subjektiven Rechten, nämlich in ihrer Organi-
sationshoheit als konzernbeherrschendes Unternehmen, die durch ihre Privat-
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autonomie und durch Art. 87e GG rechtlich geschützt sei. Dagegen lasse sich
nicht mit dem Verwaltungsgericht einwenden, die Klägerin zu 2 habe sich ihres
Weisungsrechts begeben; der Ausschluss eines inhaltlichen Weisungsrechts
lasse ihr organisatorisches Weisungsrecht - die Dienste der zentralen Rechts-
abteilung in Anspruch zu nehmen - unberührt, das aber durch die Untersa-
gungsverfügung verkürzt werde.
Das Oberverwaltungsgericht hat die Revision zugelassen. Das Berufungsurteil
ist der Beklagten am 15. Juni 2009 zugestellt worden. Die Beklagte hat am
12. Juni 2009 Revision eingelegt und am 30. September 2009 - dem letzten
Tag der Frist - begründet. Der 46-seitige Begründungsschriftsatz ist nur auf der
ersten Seite unterschrieben; dort befinden sich der Revisionsantrag sowie ein
Verweis auf die nachstehenden Gründe der Anfechtung. Zur Sache macht die
Beklagte geltend: Beiden Klägerinnen fehle die Klagebefugnis. Als öffentliche
Unternehmen seien sie nicht grundrechtsfähig; einfachgesetzliche Abwehrrech-
te gegen Regulierungsverfügungen des Bundes stünden ihnen aber nicht zu.
Das Berufungsurteil verletze auch in der Sache Bundesrecht. Ziel des Gesetzes
sei die Gewährleistung eines chancengleichen, diskriminierungsfreien und
funktionsfähigen Wettbewerbs auf der Schiene und hierzu die prinzipielle Tren-
nung von Netz (Schiene) und Betrieb (Verkehr). Das sei prinzipiell gefährdet,
wenn das Infrastrukturunternehmen zwar rechtlich von Verkehrsunternehmen
getrennt werde, diesen aber durch eine Konzernstruktur verbunden bleibe und
dem Mutterkonzern durch einen Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag
unterworfen sei. Der Gesetzgeber habe Konzernstrukturen gleichwohl erlaubt,
suche aber gleichzeitig sicherzustellen, dass das Infrastrukturunternehmen in
Fragen des Netzfahrplans, des Netzzugangs und der Wegeentgelte frei von der
Beeinflussung durch Eisenbahnverkehrsunternehmen sei. Hierzu ordne § 9a
Abs. 1 Satz 1 AEG in Umsetzung europarechtlicher Vorgaben ausdrücklich
nicht nur die rechtliche, sondern auch die organisatorische Unabhängigkeit des
Schienenbetreibers an. Unternehmerische Funktionen, die Netzzugangsfragen
beträfen, müssten deshalb von Organisationseinheiten des Schienenbetreibers
wahrgenommen werden, die von der sonstigen Konzernorganisation getrennt
seien. § 9a Abs. 1 Satz 1 AEG sei kein bloßer Programmsatz, sondern die
Grundnorm, die in Satz 2 durch Regelbeispiele in bestimmter Hinsicht konkreti-
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siert werde und zugleich deren Auslegung steuere. Wenn dessen Nr. 3 Ent-
scheidungen über Netzzugang und Wegeentgelte dem eigenen Personal des
Infrastrukturunternehmens vorbehalte, so ziele das nicht bloß auf das formal-
juristisch zuständige Organ, sondern auf das gesamte Management in einem
funktionalen Sinne, weshalb der Begriff der Entscheidung den Prozess der Ent-
scheidungsfindung umfasse, soweit in ihm inhaltliche Vorfestlegungen getroffen
würden. Das werde durch Nr. 5 dahin ergänzt, dass auch weitere mögliche Ein-
flussnahmen zu unterbinden seien, ohne dass diese deshalb manipulativ sein
müssten. Rechtsberater und Bevollmächtigte aber seien in den Prozess der
Entscheidungsfindung eingebunden. Das gelte umso mehr, als die Rechtsposi-
tion der Klägerin zu 1 gegenüber den Aufsichts- und Regulierungsbehörden
praktisch allein von den Konzernjuristen formuliert und vertreten werde. Es sei
wirklichkeitsfern anzunehmen, die Konzernjuristen seien hierbei allein der Klä-
gerin zu 1 verpflichtet und keinem bestimmenden Einfluss ihrer Arbeitgeberin,
der Klägerin zu 2, ausgesetzt oder könnten einen solchen gar ignorieren oder
zurückweisen. Bloße konzerninterne Richtlinien seien ungeeignet, dieser Ge-
fahr zu begegnen, zumal das Europarecht bloß rechtliche Vorkehrungen nicht
genügen lasse, sondern den Nachweis ihrer praktischen Wirksamkeit fordere.
Die Klägerinnen halten die Revision für unzulässig, da sie formgerecht nicht
fristgemäß begründet worden sei. In der Sache verteidigen sie das Berufungs-
urteil mit im Wesentlichen übereinstimmenden Argumenten. § 9a Abs. 1 Satz 1
AEG sei keine Generalermächtigung mit nachfolgenden Regelbeispielen, son-
dern eine Zielvorgabe mit nachfolgenden Zielerreichungsmitteln. Diese Mittel
allerdings seien abschließend, schon weil sie das Ergebnis der gesetzgeberi-
schen Abwägung zwischen der - zulässigen - Konzernstruktur und der gebote-
nen Unabhängigkeit des Schienenbetreibers seien. Nach § 9a Abs. 1 Satz 2
Nr. 3 und 5 AEG sei die Unabhängigkeit des Infrastrukturunternehmens ge-
währleistet, wenn die netzzugangs- und entgeltrelevanten Entscheidungen von
seinem Personal getroffen würden (Nr. 3) und interne Regelungen die Einfluss-
nahme während der Entscheidungsfindung verhinderten (Nr. 5). Die juristischen
Berater und Bevollmächtigten gehörten nicht zum Entscheidungspersonal. Das
Berufungsgericht habe in tatsächlicher Hinsicht bindend festgestellt, dass das
interne Regelwerk der Klägerinnen hinreichend und effektiv sei, eine Einfluss-
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nahme der Klägerin zu 2 über die Konzernjuristen während der Entscheidungs-
findung zu verhindern, insbesondere dass die Konzernjuristen erst nach getrof-
fener Entscheidung eingeschaltet und ihre Empfehlungen von eigenen Juristen
des Infrastrukturunternehmens geprüft würden.
II
Die Revision hat Erfolg. Sie führt zur Wiederherstellung des klageabweisenden
erstinstanzlichen Urteils.
A. Die Revision ist zulässig. Sie wurde insbesondere ordnungsgemäß begrün-
det.
1. Gemäß § 139 Abs. 3 VwGO ist die Revision innerhalb einer Frist von einem
Monat, die von dem Vorsitzenden auf Antrag verlängert werden kann, zu be-
gründen; die Begründung muss einen bestimmten Antrag enthalten, die verletz-
te Rechtsnorm und, soweit Verfahrensmängel gerügt werden, die Tatsachen
angeben, die den Mangel ergeben. Dabei versteht sich von selbst, dass die
Begründung der Revision - ebenso wie nach § 139 Abs. 1 Satz 1 VwGO deren
Einlegung - schriftlich erfolgen muss (vgl. auch § 173 VwGO i.V.m. § 551 Abs. 2
Satz 1 ZPO). Schriftform verlangt grundsätzlich die eigenhändige Unterschrift
des dazu Berechtigten (Urteil vom 6. Dezember 1988 - BVerwG 9 C 40.87 -
BVerwGE 81, 32 <33>; Beschlüsse vom 27. Januar 2003 - BVerwG 1 B 92.02 -
und vom 5. Februar 2003 - BVerwG 1 B 31.03 - Buchholz 310 § 81 VwGO
Nr. 17 und 16). Die Unterschrift muss den Inhalt der Erklärung räumlich decken,
also hinter oder unter dem Text stehen. Das verlangt § 440 Abs. 2 ZPO für die
Beweiskraft von Privaturkunden und folgt auch ganz allgemein aus der Funktion
der Unterschrift, nicht nur die Gewähr für das Erklärte zu übernehmen, sondern
auch das Erklärte abzuschließen (BGH, Urteil vom 20. November 1990 - XI ZR
107/89 - BGHZ 113, 48). Eine „Oberschrift“ erlaubt regelmäßig nicht den
sicheren Schluss, dass das Nachfolgende vom Unter- bzw. Überzeichner her-
rührt und nicht blanko gegeben wurde (BGH, Beschluss vom 15. Juni 2004
- VI ZB 9/04 - NJW-RR 2004, 1364).
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Allerdings ist das Schriftformerfordernis kein Selbstzweck. Die Rechtsprechung
hat deshalb in Einzelfällen Ausnahmen zugelassen, wenn seinem Sinn und
Zweck auf anderem Wege genügt ist. Durch das Schriftformerfordernis soll die
verlässliche Zurechenbarkeit des Schriftsatzes sichergestellt werden. Es muss
gewährleistet sein, dass nicht nur ein Entwurf, sondern eine gewollte Prozess-
erklärung vorliegt, ferner, dass die Erklärung von einer bestimmten Person her-
rührt und diese für den Inhalt die Verantwortung übernimmt. Deshalb werden
Ausnahmen von dem Grundsatz handschriftlicher Unterzeichnung zugelassen,
wenn sich aus dem bestimmenden Schriftsatz allein oder in Verbindung mit
beigefügten Unterlagen die Urheberschaft und der Wille, das Schreiben in den
Rechtsverkehr zu bringen, hinreichend sicher, das heißt ohne die Notwendigkeit
einer Klärung durch Rückfrage oder durch Beweiserhebung, ergeben (Urteile
vom 26. August 1983 - BVerwG 8 C 28.83 - Buchholz 310 § 81 VwGO Nr. 9
und vom 6. Dezember 1988 - BVerwG 9 C 40.87 - BVerwGE 81, 32 <36>). Aus
Gründen der Rechtssicherheit kann dabei freilich nur auf die dem Gericht bei
Eingang des Schriftsatzes erkennbaren oder bis zum Ablauf der Frist bekannt
gewordenen Umstände abgestellt werden (Beschluss vom 27. Januar 2003
- BVerwG 1 B 92.02 - Buchholz 310 § 81 VwGO Nr. 17 = NJW 2003, 1544).
2. Im vorliegenden Fall ist diesen Anforderungen noch genügt.
a) Die Beklagte hat am letzten Tag der Revisionsbegründungsfrist einen
Schriftsatz eingereicht, der den Revisionsantrag sowie die Revisionsgründe
enthielt. Zwar hat der Prozessbevollmächtigte die Revisionsbegründungsschrift
nur auf ihrer ersten Seite - nach den Revisionsanträgen - unterschrieben.
Gleichwohl konnte kein Zweifel bestehen, dass auch die nachfolgende Darle-
gung der Revisionsgründe von ihm herrührt und von ihm willentlich in den
Rechtsverkehr gebracht worden war. Allerdings bietet eine Unterschrift auf der
ersten Seite Anlass zu Zweifeln, ob die Unterschrift bereits vor der Endkorrektur
geleistet wurde und deshalb die Endkontrolle durch den Unterzeichner nicht
mehr gewährleistet war. Hier kommt aber zum einen hinzu, dass die unter-
schriebene erste Seite einen inhaltlich abgeschlossenen Text darstellt, der für
sich genommen bereits wesentliche Teile der Revisionsbegründung - nämlich
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die Revisionsanträge - enthält und im Sinne einer wenn auch knapp gehaltenen
Übersicht auf die nachstehenden Gründe der Anfechtung verweist. Damit steht
fest, dass der gesamte Text keinen bloßen Entwurf mehr darstellt, sondern mit
dem Willen des Prozessbevollmächtigten in den Rechtsverkehr gegeben wurde;
und es ist hinlänglich dokumentiert, dass der Prozessbevollmächtigte auch für
den Inhalt der Gründe der Anfechtung die Verantwortung übernimmt (vgl. auch
BFH, Beschluss des Großen Senats vom 5. November 1973 - GrS 2/72 - BFHE
111, 278 = NJW 1974, 1582). Beides wird zum anderen durch die Vor-
geschichte bekräftigt: Der Prozessbevollmächtigte hat bereits zwei Wochen
zuvor eine frühere Fassung derselben Revisionsbegründung eingereicht, diese
dann aber wieder zurückgefordert, weil die nötige Abstimmung mit dem Beklag-
ten noch ausstehe. Wenn nunmehr die überarbeitete Revisionsbegründung mit
dem erwähnten Vorblatt vorgelegt wird, besteht kein vernünftiger Zweifel mehr
an der Verbindlichkeit und der Authentizität des Schriftsatzes. Dementspre-
chend hat auch keiner der Beteiligten einen derartigen Zweifel geäußert.
b) Nachdem die Klägerinnen die fehlende Unterschrift auf der letzten Seite der
Revisionsbegründung gerügt hatten, hat der Prozessbevollmächtigte der Be-
klagten das Fehlen damit erläutert, er habe nach Erstellen und Unterschreiben
des Schriftsatzes noch einige wenige Ergänzungen vorgenommen, die seine
Mitarbeiterin aber weisungswidrig nicht als „a-Seiten“ in den unterschriebenen
Ausdruck eingefügt habe; stattdessen sei die Datei verändert und insgesamt
nochmals ausgedruckt worden. Auch dieser Vortrag führt nicht dazu, die Revi-
sion für unzulässig zu erachten. Zwar legt der Prozessbevollmächtigte damit
selbst dar, dass der Schriftsatz nach Beifügung der Unter- oder hier der Ober-
schrift noch verändert worden sei, was deren Beglaubigungsfunktion in Zweifel
zieht. Er hat aber durch Vorlage des Manuskripts zugleich nachgewiesen, dass
die nachträglichen Veränderungen von seiner Hand stammten und seinem Büro
als Endkorrektur zur Einarbeitung übermittelt wurden. Dass dieser Nachweis
erst nach Ablauf der Revisionsbegründungsfrist geführt wurde, ist unschädlich,
weil auch die Zweifel, die er ausräumt, erst nach diesem Zeitpunkt aufgekom-
men sind.
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B. Die Revision hat nicht schon deshalb Erfolg, weil die Klagen unzulässig wä-
ren. Die Klägerinnen sind klagebefugt. Das hat das Berufungsgericht zutreffend
erkannt.
1. Die Beklagte meint, beiden Klägerinnen fehle die Klagebefugnis schon des-
halb, weil sie öffentliche Unternehmen seien, deren Geschäftsanteile - unmittel-
bar oder mittelbar - sämtlich von der beklagten Bundesrepublik Deutschland
gehalten würden. Dem kann nicht gefolgt werden. Nach § 42 Abs. 2 VwGO be-
steht die Klagebefugnis, wenn der Kläger eine Verletzung seiner subjektiv-
öffentlichen Rechte geltend macht und dies immerhin möglich ist. Die Klägerin-
nen machen geltend, das Eisenbahn-Bundesamt werfe ihnen zu Unrecht eine
Verletzung ihrer Pflichten aus § 9a des Allgemeinen Eisenbahngesetzes (AEG)
vom 27. Dezember 1993 (BGBl I S. 2378, 2396) in der Fassung des Dritten
Gesetzes zur Änderung eisenbahnrechtlicher Vorschriften vom 27. April 2005
(BGBl I S. 1138) vor und greife deshalb ohne zureichenden Grund in ihre un-
ternehmerische Handlungs- und Organisationsfreiheit ein. Dieser Vortrag ist
geeignet, eine Verletzung ihrer subjektiv-öffentlichen Rechte als möglich er-
scheinen zu lassen. Namentlich steht den Klägerinnen die Handlungs- und Or-
ganisationsfreiheit eines Eisenbahnunternehmens zu, die vom Allgemeinen
Eisenbahngesetz vorausgesetzt wird. Hierfür ist gleichgültig, ob das Eisen-
bahnunternehmen in privater oder öffentlicher Hand ist. Ebenso ist unerheblich,
ob sich die Klägerinnen auf Grundrechte berufen können und ob sie diese
obendrein mit der Verfassungsbeschwerde geltend machen könnten (vgl. hierzu
Windthorst in Sachs, Grundgesetz-Kommentar, 5. Aufl. 2009, Rn. 49 zu
Art. 87e GG; Dreier in ders. , Grundgesetz-Kommentar, Band 1,
2. Aufl. 2004, Rn. 68 ff. zu Art. 19 Abs. 3 GG; Burgi, DVBl 2006, S. 269; Kühne,
JZ 2009, 1071; zu Energiewirtschaftsunternehmen BVerfG, Kammerbeschlüsse
vom 16. Mai 1989 - 1 BvR 705/88 - NJW 1990, 1783 und vom 18. Mai 2009
- 1 BvR 1731/05 - NVwZ 2009, 1282; zu Telekommunikationsunternehmen
BVerfG, Beschluss vom 14. März 2006 - 1 BvR 2087/03 u.a. - BVerfGE 115,
205 <227 f.>; BVerwG, Urteil vom 25. April 2001 - BVerwG 6 C 6.00 -
BVerwGE 114, 160 <189>) .
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20
- 16 -
2. Auch der Klägerin zu 2 kann die Klagebefugnis nicht abgesprochen werden.
Sie ist zwar nicht Adressatin der angefochtenen Bescheide, wird von diesen
aber als Dritte in eigenen Rechten nachteilig betroffen.
Die angefochtenen Bescheide beruhen auf dem Vorwurf einer nach Maßgabe
des § 9a AEG unzulänglichen Entflechtung zwischen der Klägerin zu 1 und ih-
rem Mutterkonzern, der Klägerin zu 2. Die genannte Vorschrift dient zwar der
Herstellung und Aufrechterhaltung der Unabhängigkeit des konzernangehörigen
Schienenwegebetreibers, begründet aber Pflichten nicht nur für diesen, sondern
korrespondierend auch für die konzernverbundenen Eisenbahnver-
kehrsunternehmen und für das gemeinsame Mutterunternehmen. Hierbei tariert
sie das jeweilige Interesse an der unternehmerischen Organisationsfreiheit des
Konzerns und seiner Unternehmen einerseits und das öffentliche Entflech-
tungsinteresse andererseits aus. Indem sie das öffentliche Entflechtungsinter-
esse zugleich begründet und begrenzt, dient die Vorschrift auch dem Schutz
des privaten Interesses des Konzerns und seiner Unternehmen an der Achtung
ihrer unternehmerischen Organisationsfreiheit; insofern ist sie Schutznorm zu
deren Gunsten. Ob § 9a AEG darüber hinaus auch Schutznorm zugunsten der
mit dem verbundenen Eisenbahnverkehrsunternehmen konkurrierenden Eisen-
bahnverkehrsunternehmen ist, ist eine andere Frage (verneinend Kramer in
Kunz, Eisenbahnrecht, Rn. 4 zu § 9a AEG).
Die angefochtenen Bescheide betreffen die Klägerin zu 2 auch tatsächlich
nachteilig. Auch wenn der Ausgangsbescheid nur an die Klägerin zu 1 gerichtet
ist, so hat das darin verfügte Verbot, sich der Dienste der Rechtsabteilung der
Klägerin zu 2 zu bedienen, für diese doch unmittelbare tatsächliche Folgen.
Diese Folgen bestehen entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts un-
abhängig davon, ob die Klägerin zu 2 in dem gemeinsamen Beherrschungs-
und Gewinnabführungsvertrag auf die Ausübung ihres Weisungsrechts in An-
gelegenheiten des Netzzugangs und der Wegeentgelte verzichtet hat.
C. Die Revision ist aber in der Sache begründet. Das Berufungsgericht hätte die
Berufungen der Klägerinnen gegen die klageabweisenden Urteile des Ver-
waltungsgerichts zurückweisen müssen; denn die angefochtenen Bescheide
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sind rechtmäßig. Zwar hält das Berufungsurteil den Einwänden der Beklagten
stand, soweit sie § 9a Abs. 1 Satz 1 AEG (dazu 1.) und § 9a Abs. 1 Satz 2 Nr. 3
AEG betreffen (dazu 2.). Die angefochtenen Bescheide finden ihre Grundlage
jedoch in (§ 5a Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1, § 5 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m.) § 9a Abs. 1
Satz 2 Nr. 5 AEG (dazu 3.). Mit Recht hat das Verwaltungsgericht die Untersa-
gungsverfügung auch für verhältnismäßig erachtet (dazu 4.).
1. a) Das Berufungsgericht hat es mit Recht abgelehnt, schon einen Verstoß
der Klägerin zu 1 gegen § 9a Abs. 1 Satz 1 AEG anzunehmen, der die Auf-
sichtsbehörde zum Einschreiten veranlassen könnte. Diese Vorschrift stellt kei-
ne Generalklausel dar, sondern formuliert die Ziele, denen die in § 9a Abs. 1
Satz 2 AEG im Einzelnen vorgesehenen Maßnahmen und Pflichten der Eisen-
bahnunternehmen dienen. Sie leitet damit deren Auslegung, vermag jedoch
allein für sich keine Pflichten zu begründen, die dort nicht vorgesehen sind.
Das ergibt sich zweifelsfrei aus dem Wortlaut der Eingangswendung in Satz 2,
welche die nachstehende Liste von Maßnahmen und Pflichten der Eisenbahn-
unternehmen mit den Worten „zur Erreichung der in Satz 1 genannten Ziele“ an
den Satz 1 anschließt. Es ergibt sich auch aus der Abfolge dieser Liste, welche
die in Satz 1 angesprochenen Hinsichten der gebotenen Unabhängigkeit des
Schienenwegebetreibers abhandelt (Nr. 1 - rechtliche Unabhängigkeit; Nr. 2 -
organisatorische Unabhängigkeit; Nr. 3 bis 5 - Unabhängigkeit in den Entschei-
dungen) und um eine Bestimmung über die Besetzung der Aufsichtsräte (Nr. 6)
ergänzt. Hingegen fehlen typische Wendungen zur Kennzeichnung von bloßen
Regelbeispielen („insbesondere“, „etwa“). Es ergibt sich schließlich aus dem
Gebot der Bestimmtheit eines Gesetzes, das wie § 9a Abs. 1 AEG privaten Un-
ternehmern Pflichten auferlegt (ebenso Gerstner in Hermes/Sellner, AEG-Kom-
mentar, Rn. 30 zu § 9a AEG).
b) In § 9a Abs. 1 Satz 1 AEG eine Formulierung der Gesetzesziele zu sehen,
stimmt mit europäischem Gemeinschaftsrecht überein. § 9 Abs. 1c AEG dient
der Umsetzung der Richtlinie 91/440/EWG des Rates vom 29. Juli 1991 zur
Entwicklung der Eisenbahnunternehmen der Gemeinschaft (ABl Nr. L 237
S. 25) in der Fassung der Änderungsrichtlinie 2001/12/EG des Europäischen
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- 18 -
Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2001 (ABl Nr. L 75 S. 1) - im Fol-
genden: Richtlinie 91/440/EWG -, § 9a AEG obendrein der Umsetzung der
Richtlinie 2001/14/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom
26. Februar 2001 über die Zuweisung von Fahrwegkapazitäten der Eisenbahn,
die Erhebung von Entgelten für die Nutzung von Eisenbahninfrastruktur und die
Sicherheitsbescheinigung (ABl Nr. L 75 S. 29). Nach Art. 6 Abs. 3 der Richtlinie
91/440/EWG treffen die Mitgliedstaaten die erforderlichen Maßnahmen, um
sicherzustellen, dass die Funktionen nach Anhang II - das sind hier Entschei-
dungen über die Trassenzuweisung und über die Wegeentgelte (zweiter und
dritter Spiegelstrich) -, die für einen gerechten und nichtdiskriminierenden Zu-
gang zur Infrastruktur ausschlaggebend sind, an Stellen oder Unternehmen
übertragen werden, die selbst keine Eisenbahnverkehrsleistungen erbringen.
Nach Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2001/14/EG müssen Entscheidungen über die
Wegeentgelte und nach Art. 14 Abs. 2 dieser Richtlinie auch Entscheidungen
über die Zuweisung von Fahrwegkapazität von Stellen (des Infrastrukturunter-
nehmens oder von Dritten) getroffen werden, die rechtlich, organisatorisch und
in ihren Entscheidungen von Eisenbahnverkehrsunternehmen unabhängig sind.
Diese Anforderungen greift § 9a Abs. 1 Satz 1 AEG in derselben Rechtsqualität
wie die Richtlinien - als Zielvorgabe - auf und setzt sie im Katalog des nachfol-
genden Satzes 2 um. Die zwischen der Europäischen Kommission und der
Bundesrepublik Deutschland kontrovers diskutierte Frage, ob § 9a Abs. 1 AEG
- zusammen mit weiteren Maßnahmen - zur Umsetzung der genannten Richtli-
nien genügt, richtet sich daher allein an den Katalog des § 9a Abs. 1 Satz 2
AEG, vermag aber die Rechtsqualität des § 9a Abs. 1 Satz 1 AEG nicht zu ver-
ändern.
c) Die Vorgaben des Gemeinschaftsrechts müssen nicht nur rechtlich umge-
setzt werden; die Umsetzung muss zur Verwirklichung des Entflechtungsziels
auch tatsächlich wirksam sein. Das entspricht dem allgemeinen gemeinschafts-
rechtlichen Grundsatz des „effet utile“. Es kommt zudem in Art. 6 Abs. 3 Satz 2
der Richtlinie 91/440/EWG zum Ausdruck, wonach die Mitgliedstaaten unge-
achtet der Organisationsstrukturen der beteiligten Unternehmen den Nachweis
zu erbringen haben, dass das Ziel der Entflechtung erreicht worden ist (vgl.
auch Monopolkommission, Sondergutachten 46, 2007, Rn. 67 f.). Zwar gehen
28
- 19 -
Art. 4 Abs. 2, Art. 14 Abs. 2 der Richtlinie 2001/14/EG als spezielleres Recht
dem Art. 6 Abs. 3 der Richtlinie 91/440/EWG vor (insoweit zutreffend Hermes in
Hermes/Sellner, a.a.O., Einführung B Rn. 42 ff.). Das lässt aber den beschrie-
benen Grundsatz einschließlich seiner Ausprägung in Art. 6 Abs. 3 Satz 2 der
Richtlinie 91/440/EWG unberührt.
2. § 9a Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AEG verbietet Doppelfunktionen des entscheiden-
den Personals des Schienenwegebetreibers. Das bezieht - und beschränkt -
sich auf die zu im Rechtssinne bindenden Entscheidungen berufenen Organe
und Mitarbeiter des Infrastrukturunternehmens. Hiergegen hat die Klägerin zu 1
nicht verstoßen. Das hat das Berufungsgericht zutreffend erkannt; die Angriffe
der Revision gehen insoweit fehl.
a) Der in § 9a Abs. 1 AEG mehrfach verwendete Begriff der Entscheidung ist
durchgängig in demselben Sinne zu verstehen. Entscheidungen sind Willens-
entschließungen von hierzu befugten Organen und Mitarbeitern des Infrastruk-
turunternehmens, die dessen Handeln steuern. Dies gilt gleichermaßen für Ent-
scheidungen, die unmittelbar nach außen wirken, wie für solche, die durch ein
anderes Organ oder einen anderen Mitarbeiter des Unternehmens umgesetzt
werden müssen, sofern dieser hierzu rechtlich verpflichtet oder nach den Ge-
pflogenheiten des Unternehmens hierzu gehalten ist (vgl. BVerfG, Urteil vom
31. Oktober 1990 - 2 BvF 3/89 - BVerfGE 83, 60 <73>). Entscheidungscharak-
ter hat auch die Wahrnehmung von Mitentscheidungsbefugnissen.
Entscheidungen in diesem Sinne sind nicht nur Entscheidungen des Vorstands
oder anderer gesetz- oder satzungsmäßiger Organe der Gesellschaft; sie kön-
nen auch von nachgeordneten - angestellten - Mitarbeitern getroffen werden,
sofern diese nach den unternehmensinternen Regeln hierzu befugt sind. Ent-
scheidungen sind auch nicht nur Grundsatzentscheidungen. Die Versuche der
Klägerinnen, Einzelfallentscheidungen, die in Ausführung von Grundsatzent-
scheidungen ergehen (Entscheidungen im operativen Geschäft), den Charakter
einer Entscheidung im Sinne des § 9a Abs. 1 AEG abzusprechen, gehen fehl;
sie übersehen, dass § 9a Abs. 1 AEG anders als § 8 Abs. 2 Nr. 1 des Energie-
wirtschaftsgesetzes (EnWG) vom 7. Juli 2005 (BGBl I S. 1970, 3621) gerade
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nicht einengend nur von „Letztentscheidungen“ spricht. Umgekehrt lässt sich
auch bei Grundsatzentscheidungen der Entscheidungscharakter nicht allein
deshalb bestreiten, weil sie rechtlich bindende Außenwirksamkeit erst vermöge
nachfolgender Einzelentscheidungen erlangen. Entscheidung in diesem Sinne
ist damit auch das Aufstellen der Schienennetz-Benutzungsbedingungen (vgl.
§ 14d Abs. 1 Nr. 6 AEG sowie § 4 Eisenbahninfrastruktur-Benutzungsverord-
nung vom 3. Juni 2005, BGBl I S. 1566).
b) § 9a Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 bis 5 AEG sucht die Unabhängigkeit des Schienen-
wegebetreibers in seinen Entscheidungen auf verschiedene Weise zu sichern
(vgl. BTDrucks 15/3280 S. 12 und 16). Nr. 3 sichert die persönliche Unabhän-
gigkeit des zur Entscheidung berufenen Personals, Nr. 4 die rechtliche Ent-
scheidungsfreiheit gegenüber fremden Weisungen, Nr. 5 schließlich die sachli-
che Unabhängigkeit der Entscheidung gegenüber fremder Einflussnahme. Allen
diesen Sicherungen ist gemein, dass sie den Vorgang der Entscheidungsfin-
dung betreffen. Zwar lässt sich begrifflich zwischen dem Inhalt der Entschei-
dung als dem Entschiedenen und dem Vorgang der Entscheidungsfindung als
dem Entscheiden in derselben Weise unterscheiden, wie dies aus dem Pla-
nungsrecht zwischen dem Abwägungsergebnis als dem inhaltlich Abgewoge-
nen und dem Abwägungsvorgang als dem Prozess des Abwägens bekannt ist.
Es führt aber in die Irre, hieraus Schlüsse für das systematische Verhältnis zie-
hen zu wollen, in dem § 9a Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 und Nr. 5 AEG zueinander ste-
hen. § 9a Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AEG betrifft nicht das inhaltliche Ergebnis einer
Entscheidung, sondern stellt ebenso wie Nr. 4 und 5 Anforderungen an den
Vorgang der Entscheidungsfindung. Der Vorgang der Entscheidungsfindung
wird lediglich unter verschiedenen Aspekten erfasst. Dabei greift in rein zeitli-
cher Betrachtung allerdings Nr. 5 am weitesten aus, weil hier auch Tätigkeiten
nicht selbst entscheidungsbefugter Mitarbeiter erfasst werden, die lediglich der
Entscheidungsvorbereitung dienen. Insofern - aber auch nur insofern - ist es
richtig, § 9a Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 AEG der Entscheidungsvorbereitung, § 9a
Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 und 4 AEG hingegen eher der Entscheidung selbst zuzu-
ordnen (vgl. BTDrucks 15/3280 S. 16 f.).
32
- 21 -
Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem europäischen Gemeinschafts-
recht. Es ist zwar richtig, dass der Anhang II zur Richtlinie 91/440/EG im ersten
Spiegelstrich zwischen „Vorarbeiten“ und „Entscheidung“ unterscheidet. Damit
wird aber der Begriff der „Entscheidung“ weder auf die abschließende Phase
der Entscheidungsfindung - das Treffen der Entscheidung - noch gar auf die in-
haltliche Entscheidung im Sinne des Entschiedenen beschränkt. Das hieße
nämlich, dass Art. 6 Abs. 3 der Richtlinie 91/440/EG bei netzzugangsrelevanten
Entscheidungen, welche der Anhang II im zweiten und dritten Spiegelstrich an-
spricht, überhaupt keine Anforderungen zum Vorfeld dieser abschließenden
Phase stellt; das kann nicht richtig sein. Im Übrigen dient § 9a AEG, wie ge-
zeigt, nicht nur der Umsetzung des Art. 6 Abs. 3 der Richtlinie 91/440/EG, son-
dern vor allem der Umsetzung der - insofern spezielleren - Art. 4 Abs. 2 und
Art. 14 Abs. 2 der Richtlinie 2001/14/EG.
c) § 9a Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AEG ordnet nicht an, dass der Schienenwegebetrei-
ber seine Entscheidungen selbst, d.h. durch eigenes Personal trifft; das setzt
die Vorschrift - als Ergebnis der rechtlichen (Nr. 1) und organisatorischen (Nr. 2)
Selbständigkeit - voraus. Nr. 3 bestimmt vielmehr, dass dieses Personal des
Infrastrukturunternehmens nicht zugleich Funktionen in verbundenen Ver-
kehrsunternehmen ausüben darf. „Funktionen“ meint vergleichbare Entschei-
dungskompetenzen in dem verbundenen Verkehrsunternehmen oder dem ge-
meinsamen Mutterkonzern; dabei ist gleichgültig, ob die dortige Funktion sach-
lich zu einer Einflussnahme auf die Entscheidungen des Infrastrukturunterneh-
mens führen kann (zu eng insofern Gerstner in Hermes/Sellner, AEG-Kommen-
tar, Rn. 35 zu § 9a AEG). Die Vorschrift verfügt damit ein Mitwirkungsverbot für
eigene Funktionsträger des Infrastrukturunternehmens mit Doppelfunktion; es
handelt sich um eine Inkompatibilitätsnorm.
Aus dem Prozess der Entscheidungsfindung erfasst die Vorschrift nur dessen
Abschluss, das „Treffen“ der Entscheidung. Damit betrifft die Vorschrift nur das-
jenige Personal, das Entscheidungen des Schienenwegebetreibers in dem ein-
gangs beschriebenen Sinne „treffen“ kann, das mit anderen Worten den Schie-
nenwegebetreiber binden (festlegen) kann, also die Organe (Organwalter) so-
wie die nach den unternehmensinternen Regeln hierfür zuständigen Mitarbeiter
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des Infrastrukturunternehmens. Hingegen ist das zu- und vorarbeitende Perso-
nal ohne eigene Entscheidungskompetenz nicht von Nr. 3 erfasst; insofern ist
dem Berufungsgericht gegen die Angriffe der Revision zuzustimmen.
Rechtliche Berater und Bevollmächtigte zählen jedoch nicht zum entscheiden-
den Personal des Schienenwegebetreibers. Das gilt auch, soweit sie als dessen
Vertreter im Rechtsverkehr über dessen Entscheidungen - etwa bei Vertrags-
und Vergleichsverhandlungen - disponieren dürfen. Vertreter sind keine
Organe; sie sind vielmehr an ihren Auftrag gebunden und unterliegen der Wei-
sung des auftraggebenden Organs; nur dieses ist dem Unternehmen gegen-
über rechtlich verantwortlich. Wollte man dies anders sehen, so dürfte das In-
frastrukturunternehmen auch keine selbständigen Rechtsanwälte mehr beauf-
tragen, weil es sich nicht um „Personal des Betreibers der Schienenwege“ han-
delt.
3. Indem die Klägerin zu 1 Juristen ihrer Konzernmutter mit ihrer rechtlichen Be-
ratung und Vertretung beauftragt, verstößt sie aber gegen die in § 9a Abs. 1
Satz 2 Nr. 5 AEG normierte Pflicht, die Einflussnahme von Dritten auf ihre netz-
zugangsrelevanten Entscheidungen zu unterbinden. Das hat das Berufungsge-
richt verkannt.
a) § 9a Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 AEG sichert die Unabhängigkeit der netzzugangsre-
levanten Entscheidungen des Schienenwegebetreibers gegen fremde Einfluss-
nahme. Im Verfahren der Entscheidungsfindung zielt die Vorschrift damit nicht
nur auf deren abschließende Phase - das „Treffen“ der Entscheidung - und
auch nicht nur auf das die Entscheidung „treffende“ Personal, sondern nimmt
auch weitere Phasen der Entscheidungsvorbereitung (vgl. BTDrucks 15/3280
S. 16 f.) und die insofern befassten Personen in den Blick. Erfasst werden damit
alle Vorbereitungshandlungen, mit denen sachlich auf die zu treffende Ent-
scheidung Einfluss genommen wird oder Einfluss genommen werden kann. Die
Vorschrift geht damit deutlich über § 8 Abs. 4 EnWG hinaus. Auch Nachberei-
tungshandlungen kommen in Betracht, wenn sie auf die Entscheidung noch
- etwa verändernd - Einfluss haben können. Nicht erfasst werden lediglich rein
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- 23 -
technische Handlungen wie Schreibarbeiten, Anmietung von Räumen und der-
gleichen.
Jede Vorarbeit nimmt potentiell Einfluss auf eine Entscheidung; darin liegt ge-
rade ihr Sinn. Das will die Vorschrift nicht ausschließen. Sie will nicht jegliche
Einflussnahme bekämpfen, sondern nur die im Interesse eines Eisenbahnver-
kehrsunternehmens. Das ergibt sich aus ihrem Zweck, den Schienenwege-
betreiber in seinen netzzugangsrelevanten Entscheidungen von Eisenbahnver-
kehrsunternehmen unabhängig zu stellen (vgl. § 9a Abs. 1 Satz 1 AEG sowie
oben C.1.). Dass die Einflussnahme obendrein manipulativ ist, also den Cha-
rakter einer nicht offengelegten oder sachwidrigen Fremdbestimmung trägt, ist
entgegen der Annahme des Berufungsgerichts nicht erforderlich; auch die offe-
ne und sachorientierte Einflussnahme soll unterbunden werden. Jedenfalls soll
die Einflussnahme im Interesse eines Verkehrsunternehmens ausgeschlossen
werden, das mit dem Schienenwegebetreiber in einem Konzern verbunden ist,
wie die Eingangswendung des § 9a Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 AEG zeigt; „Unterneh-
men gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und 3“ sind gerade derart integrierte Eisen-
bahnunternehmen. Ob auch Vorkehrungen gegen eine Einflussnahme im Inte-
resse eines anderen, nicht konzernverbundenen Verkehrsunternehmens gebo-
ten sind, mag offenbleiben.
Mit „Einflussnahme von Dritten außerhalb des Betreibers der Schienenwege“ ist
in erster Linie diese ideelle - sachlich-inhaltliche - Einflussnahme im Interesse
eines (verbundenen) Eisenbahnverkehrsunternehmens gemeint. Eine andere
Frage ist, ob die Wendung obendrein den möglichen Träger der Einflussnahme
anspricht, ob mit anderen Worten nur die Einflussnahme durch solche Perso-
nen unterbunden werden soll, die dem Infrastrukturunternehmen nicht selbst
angehören. Hierdurch würde die Reichweite der Vorschrift allerdings einge-
schränkt, ihre praktische Wirksamkeit erheblich relativiert. Dann wären nämlich
Vorkehrungen gegen Einflussnahmen im Interesse eines (verbundenen) Eisen-
bahnverkehrsunternehmens durch eigene Bedienstete des Infrastrukturunter-
nehmens nicht geboten - auch nicht durch solche, die zugleich im Dienst des
Eisenbahnverkehrsunternehmens stehen, noch durch solche, die zuvor bei ihm
beschäftigt waren oder demnächst zu diesem wechseln oder zurückkehren
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(vgl. Monopolkommission, Sondergutachten 46, Rn. 68). Doch bedarf auch die-
se Frage keiner Entscheidung.
Eine Einflussnahme im Interesse eines (im Konzern verbundenen) Eisenbahn-
verkehrsunternehmens muss „unterbunden“, das heißt tatsächlich wirksam
ausgeschlossen werden. Das Gesetz bekämpft damit nicht erst die Einfluss-
nahme selbst, sondern bereits die Gefahr der Einflussnahme; und es gebietet
nicht erst wirksame Maßnahmen gegen eine konkret drohende Einflussnahme,
sondern wirksame Vorkehrungen gegen jede Möglichkeit der Einflussnahme.
Insofern stellt § 9a Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 AEG einen abstrakten Gefährdungstat-
bestand dar; darauf hat das Verwaltungsgericht zutreffend hingewiesen. Dies
steht im Einklang mit dem europäischen Gemeinschaftsrecht; hiernach muss
die Unabhängigkeit des Schienenwegebetreibers nicht nur rechtlich, sondern
auch tatsächlich wirksam gesichert sein (vgl. oben C.1.c). Ob das Gesetz dar-
über hinaus auch dem „bösen Schein“ wehren will, wie zwischen den Beteiligten
umstritten und von den Vorinstanzen mit unterschiedlichem Ergebnis erörtert
worden ist, kann offenbleiben.
b) Die Beauftragung der „Konzernjuristen“ begründet die Gefahr der Einfluss-
nahme im Interesse eines konzernverbundenen Eisenbahnverkehrsunterneh-
mens auf die netzzugangsrelevanten Entscheidungen des Schienenwege-
betreibers.
Juristische Berater und Bevollmächtigte nehmen in dem beschriebenen Sinne
Einfluss auf die Entscheidungen ihres Auftraggebers. Das gilt zweifelsfrei für die
juristische Beratung; sie zeigt Handlungsalternativen auf und bewertet sie nach
ihrer rechtlichen Realisierbarkeit und ihren - auch wirtschaftlichen - Folgen. Es
gilt aber auch für die Vertretung des Schienenwegebetreibers im Rechtsverkehr
mit Dritten, sei es mit dessen Kunden, sei es mit Behörden und vor Gericht.
Schon soweit dabei lediglich bereits getroffene Entscheidungen verteidigt wer-
den, sind Bevollmächtigte regelmäßig auch zu deren Veränderung befugt, etwa
im Vergleichswege; die Möglichkeit der Einflussnahme besteht auch dann,
wenn der ihrer Vollmacht zugrundeliegende Auftrag eine Disposition über die
getroffene Entscheidung nur nach Rücksprache und Zustimmung zulässt.
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Regelmäßig bereiten rechtliche Vertreter aber auch künftige Entscheidungen
vor, sei es, dass sie Verhandlungen für künftige Verträge führen, sei es, dass
sie die Entscheidungsfreiheit des Unternehmens gegenüber behördlichen
Eingriffen zu wahren suchen. Deshalb lässt sich die Möglichkeit ihrer sachlichen
Einflussnahme zeitlich nicht auf die Phase der Entscheidungsvorbereitung
beschränken und demzufolge auch nicht dadurch ausschließen, dass eine
Mandatierung nur für die Phase der Verteidigung einer getroffenen Entschei-
dung vorgesehen wird.
Wenn solche juristischen Berater und Bevollmächtigten Angestellte eines mit
dem Infrastrukturunternehmen verbundenen Eisenbahnverkehrsunternehmens
oder des gemeinsamen Mutterunternehmens sind, begründet dies die Gefahr,
dass sie ihre - Einfluss nehmende - Tätigkeit (auch) im Interesse des Eisen-
bahnverkehrsunternehmens entfalten. Hierfür ist gleichgültig, ob sie innerhalb
ihres eigenen Unternehmens von Weisungen ihres Arbeitgebers freigestellt
sind, ob mit anderen Worten eine gezielte Einflussnahme des Eisenbahnver-
kehrsunternehmens oder des Mutterunternehmens vermittels seines Arbeit-
nehmers auf einzelne Entscheidungen des Infrastrukturunternehmens ausge-
schlossen ist; die zwischen den Beteiligten umstrittene und von den Vorinstan-
zen unterschiedlich beantwortete Frage, ob eine derartige Freistellung von
Weisungen gesellschafts- und arbeitsrechtlich überhaupt möglich und ob sie
tatsächlich wirksam wäre, bedarf daher keiner Entscheidung. Eine Einfluss-
nahme im Interesse des (verbundenen) Eisenbahnverkehrsunternehmens kann
nämlich - auch ohne Weisung - von dem Arbeitnehmer selbst ausgehen, weil
die Beförderung der Interessen des Eisenbahnverkehrsunternehmens zugleich
in seinem eigenen persönlichen Interesse liegt. Ein „Konzernjurist“ ist als Ar-
beitnehmer persönlich von seinem Arbeitgeber abhängig. Verfolgen der Arbeit-
geber und der fremde Auftraggeber unterschiedliche Interessen, wie dies zwi-
schen einem Verkehrsunternehmen und einem Infrastrukturunternehmen viel-
fach der Fall ist, so gerät der Konzernjurist typischerweise in eine Interessen-
kollision. Es besteht die naheliegende Gefahr, dass er den Interessen seines
Arbeitgebers im Zweifel den Vorzug gibt, schon weil er dort seine bisherige be-
rufliche Laufbahn zurückgelegt hat - beruflich „groß geworden“ ist - und seine
künftige Laufbahn nicht in Frage stellen will. Auch wenn er also aufgrund unter-
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nehmensinterner Regeln sachlichen Weisungen seines Arbeitgebers in den
Angelegenheiten des Infrastrukturunternehmens nicht unterliegt, ist doch nicht
ausgeschlossen und kann schlechterdings wirksam nicht ausgeschlossen wer-
den, dass der Konzernjurist - bewusst oder nicht - auch in diesen Angelegen-
heiten die Interessen seines Arbeitgebers zur Geltung bringt.
Hiergegen können die Klägerinnen nicht auf das professionelle Selbstverständ-
nis eines juristischen Beraters und seine persönliche Integrität verweisen. An-
waltliches Standesrecht und Berufsethos sind wichtige Grundpfeiler einer
Rechtspflege, die allein dem Recht verpflichtet ist. Insofern wirken sie einer in-
teressengeleiteten Rechtsberatung entgegen; sie vermögen sie jedoch nicht
sicher auszuschließen und machen deshalb rechtliche Vorkehrungen gegen
Interessenkollisionen nicht entbehrlich. Auch die richterliche Unabhängigkeit
und das sie tragende richterliche Berufsethos kann Rechtsvorschriften über den
Ausschluss und die Ablehnung von Richtern wegen der Besorgnis der Befan-
genheit nicht erübrigen.
c) Die Klägerinnen haben keine unternehmensinternen Regelungen geschaffen,
die die beschriebene Gefahr der Einflussnahme seitens der Konzernjuristen auf
die netzzugangsrelevanten Entscheidungen der Klägerin zu 1 wirksam
unterbinden. Zwar richtet sich § 9a Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 AEG an beide miteinan-
der verbundenen Unternehmen und erlaubt und gebietet beiderseitige interne
Regelungen, welche die gebotene Unterbindung gegebenenfalls im Zusam-
menwirken bewerkstelligen. Im vorliegenden Fall aber könnte die Gefahr der
Einflussnahme wirksam nur durch eine Regelung der Klägerin zu 1 mit dem
Inhalt unterbunden werden, dass die Beauftragung externer - d.h. nicht unter-
nehmensangehöriger - Juristen als ihre rechtlichen Berater oder Vertreter nur in
Betracht kommt, wenn diese nicht Arbeitnehmer der Klägerin zu 2 oder eines in
deren Konzern verbundenen Eisenbahnverkehrsunternehmens sind. Eine sol-
che Regelung wäre nicht wegen § 43a, § 46 BRAO überflüssig. Sie fehlt; die
Klägerin zu 1 weigert sich, sie zu erlassen.
Hiergegen kann nicht eingewendet werden, von dem Schienenwegebetreiber
könne eine derartige unternehmensinterne Regelung nach § 9a Abs. 1 Satz 2
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Nr. 5 AEG ihrer Art nach nicht verlangt werden. Richtig ist allerdings, dass der
Gesetzgeber offenbar vornehmlich an interne Regelungen zur Beschränkung
der unternehmensübergreifenden konzerninternen Kommunikation dachte; die
Gesetzesbegründung spricht daher von „chinese walls“ (BTDrucks 15/3280
S. 16 f.), also von unternehmensinternen Regelungen zur Abschottung des In-
formationsverkehrs gegenüber anderen konzernverbundenen Unternehmen
(vgl. Kühling, Sektorspezifische Regulierung in den Netzwirtschaften, 2004,
S. 351 f.; Masing, 66. Deutscher Juristentag, D 116 f.; Gerstner in Hermes/
Sellner, AEG-Kommentar, Rn. 37 zu § 9a AEG; Soldner, Liberalisierung des
Eisenbahnwesens, 2008, S. 140 ff.). Daraus lässt sich aber nicht schließen,
dass der Schienenwegebetreiber eine bestehende Möglichkeit der Einfluss-
nahme nur auf dem Wege von Kommunikationsregeln unterbinden müsste, sie
aber, soweit solche untauglich sind, hinnehmen oder gar selbst eröffnen dürfte.
Ebensowenig ist der Schienenwegebetreiber auf den Erlass eines diesbezügli-
chen Verhaltenskodex („code of conduct“) beschränkt, durch den in Ergänzung
der Arbeitsverträge die Mitarbeiterpflichten seiner Arbeitnehmer konkretisiert
werden, auch wenn arbeitsrechtliche Regelungen selbstverständlich unbe-
nommen sind. Erst recht lässt sich § 9a Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 AEG nicht auf das
Gebot einer unternehmensinternen Gleichbehandlungsrichtlinie oder eines
Gleichbehandlungsprogramms im Sinne des § 8 Abs. 5 EnWG reduzieren. Die
Vorschrift verlangt vielmehr den Erlass einer jeglichen unternehmensinternen
Regelung, die zur Unterbindung fremder Einflussnahme geeignet ist, auch etwa
einer organisatorischen. Es ist deshalb ohne Belang, ob eine unternehmensin-
terne Regelung, dass Konzernjuristen nicht mit der rechtlichen Beratung oder
Vertretung des Schienenwegebetreibers beauftragt werden dürfen, ihrer Art
nach eine solche der informationellen oder der organisatorischen Desintegration
wäre.
4. Findet die angefochtene Untersagungsverfügung damit in § 5a Abs. 1 und 2,
§ 5 Abs. 1 Nr. 1, § 9a Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 AEG eine hinreichende Rechtsgrund-
lage, so hat das Eisenbahn-Bundesamt auch sein Ermessen fehlerfrei ausge-
übt. Das hat zwar - von seinem rechtlichen Standpunkt aus folgerichtig - nicht
das Berufungsgericht, wohl aber das Verwaltungsgericht geprüft und mit Recht
angenommen.
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a) Die Untersagung ist zur Zweckerreichung geeignet und erforderlich. Wie ge-
zeigt, gebietet § 9a Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 AEG dem Infrastrukturunternehmen den
Erlass eigener unternehmensinterner Regeln, die seinem Personal die Beauf-
tragung von Juristen, die bei einem konzernverbundenen Eisenbahnverkehrs-
unternehmen oder bei dem gemeinsamen Mutterunternehmen beschäftigt sind,
als rechtliche Berater und/oder Vertreter untersagen. Weigert sich das Infra-
strukturunternehmen, derartige unternehmensinterne Regeln zu erlassen, so
kommt für die Eisenbahnaufsichtsbehörde nur in Betracht, die fehlende unter-
nehmensinterne Regel durch eine hoheitliche Regelung zu ersetzen. Dies stellt
keine Ersatzvornahme im vollstreckungsrechtlichen Sinne dar, setzt also insbe-
sondere nicht die vorherige Anordnung voraus, die fehlende unternehmensin-
terne Regelung zu erlassen; die möglichen Aufsichtsmaßnahmen werden durch
§ 5a Abs. 2 AEG nicht in diesem Sinne beschränkt. Davon unberührt bleibt die
Möglichkeit des Eisenbahninfrastrukturunternehmens, durch Erlass der fehlen-
den unternehmensinternen Regelung - und deren tatsächliche Befolgung - die
hoheitliche Aufsichtsmaßnahme zu erübrigen.
b) Durch die Untersagung wird die Freiheit der beteiligten Unternehmen, sich
als konzernverbundene Aktiengesellschaften zu organisieren, nicht übermäßig
eingeschränkt. Auch hier mag offenbleiben, ob das Recht der Klägerinnen zur
unternehmerischen Selbstorganisation nicht nur einfach-rechtlich, sondern auch
als Grundrecht besteht, obwohl sie unmittelbare oder mittelbare Bundes-
unternehmen sind. Die Einschränkungen dieses Rechts stehen jedenfalls of-
fensichtlich nicht außer Verhältnis zu dem Gewicht der damit verfolgten öffentli-
chen Belange.
Das Gesetz bezweckt, den Wettbewerb der Eisenbahnverkehrsunternehmen
auf dem Eisenbahnnetz herzustellen und zu sichern. Das setzt den freien und
gleichen Zugang aller Verkehrsunternehmen zum Netz voraus. Weil der Netz-
betreiber ein faktisches Monopol innehat, aber über den Zugang zu seinem
Netz entscheidet, muss sichergestellt werden, dass er diese Entscheidungen
diskriminierungsfrei trifft. Das wiederum setzt voraus, dass sie von jeglicher Ein-
flussnahme seitens eines der beteiligten Eisenbahnverkehrsunternehmen frei
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gehalten werden. § 9a AEG dient dazu, die Unabhängigkeit des Schienenwe-
gebetreibers in seinen netzzugangsrelevanten Entscheidungen auch unter den
Bedingungen einer Konzernstruktur zu sichern. Das Gesetz verfolgt damit einen
Gemeinwohlbelang von erheblichem Gewicht, der zudem durch das europäi-
sche Gemeinschaftsrecht vorgegeben ist. Es ist zugleich bemüht, bestehende
Konzernstrukturen so weit wie möglich zu schonen; der Gesetzgeber ist nicht
so weit gegangen, Konzernverbindungen zwischen dem Netzbetreiber und ein-
zelnen Eisenbahnverkehrsunternehmen gänzlich zu untersagen.
Das auf § 9a Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 AEG gestützte, an den Schienenwegebetrei-
ber gerichtete Verbot, Konzernjuristen zu beauftragen, führt nicht dazu, dass
die Konzernmutter - die Klägerin zu 2 - keine zentrale Rechtsabteilung für alle
Konzerntöchter mehr vorhalten könnte. Deren Tätigkeit für die konzernangehö-
rigen Eisenbahnverkehrsunternehmen bleibt unbenommen, ebenso deren Tä-
tigkeit für die konzernangehörigen Infrastrukturunternehmen, soweit es nicht um
Angelegenheiten des Netzzugangs und der Wegeentgelte geht. Die Sorge der
Klägerinnen, dass damit sämtliche zentralen Dienste („shared services“) der
Konzernmutter in Frage gestellt werden, überzeichnet das Gewicht des Eingriffs
erheblich; in der Folge der hier untersagten Dienstleistungen der zentralen
Rechtsabteilung mögen zwar weitere zentrale Dienste wie etwa zentrale EDV-
Abteilungen einer genaueren Überprüfung anhand von § 9a Abs. 1 Satz 2 Nr. 5
AEG zu unterziehen sein, doch kann keine Rede davon sein, dass die Grund-
entscheidung, Konzernverbindungen weiterhin zu akzeptieren, weitgehend oder
gar völlig unterlaufen würde. Im Übrigen muss betont werden, dass diese
Grundentscheidung ihre Grenze in der auch gemeinschaftsrechtlich gebotenen
Sicherung der Unabhängigkeit des Schienenwegebetreibers in seinen netzzu-
gangsrelevanten Entscheidungen findet.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 159 Satz 1 VwGO, § 100
Abs. 1 ZPO.
Kley
Liebler
Prof. Dr. Dr. h.c. Rennert
Buchheister
Dr. Wysk
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Sachgebiet:
BVerwGE:
ja
Verkehrswirtschaftsrecht
Fachpresse: ja
Rechtsquellen:
VwGO
§ 139
AEG
§ 9a
Stichworte:
Rechtsmittel; Revision; Rechtsmittelbegründung; Revisionsbegründung; Frist;
Rechtsmittelbegründungsfrist; Revisionsbegründungsfrist; Schriftform; Unter-
schrift; Eisenbahn-Bundesamt; Regulierung; Regulierungsbehörde; Eisenbahn-
unternehmen; Eisenbahninfrastrukturunternehmen; Eisenbahnverkehrsunter-
nehmen; Schienenwegebetreiber; Konzern; Eisenbahnkonzern; verbundene
Unternehmen; vertikal verbundene Unternehmen; Entflechtung; unbundling;
Entscheidung; Entscheidungsvorbereitung; Einflussnahme; Rechtsberater;
rechtliche Berater; juristische Berater; Konzernjuristen.
Leitsatz:
Die Vorschrift des § 9a Abs. 1 Satz 1 AEG stellt keine Generalklausel dar, son-
dern formuliert die Ziele, denen die in § 9a Abs. 1 Satz 2 AEG im Einzelnen
vorgesehenen Maßnahmen und Pflichten der Eisenbahnunternehmen dienen.
Sie leitet damit deren Auslegung, kann jedoch für sich allein keine Pflichten be-
gründen, die dort nicht vorgesehen sind.
§ 9a Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AEG verbietet Doppelfunktionen des entscheidenden
Personals des Schienenwegebetreibers. Das bezieht - und beschränkt - sich
auf die zu im Rechtssinne bindenden Entscheidungen berufenen Organe und
Mitarbeiter des Schienenwegebetreibers.
§ 9a Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 AEG sucht die Unabhängigkeit der netzzugangsrele-
vanten Entscheidungen des Schienenwegebetreibers gegen jede Einflussnah-
me im Interesse eines konzernverbundenen Eisenbahnverkehrsunternehmens
zu sichern. Erfasst werden alle Vorbereitungshandlungen, mit denen sachlich
auf die zu treffende Entscheidung Einfluss genommen werden kann.
Ein Schienenwegebetreiber darf sich in netzzugangsrelevanten Angelegenhei-
ten nicht von Juristen rechtlich beraten oder vertreten lassen, die Angestellte
eines konzernverbundenen Eisenbahnverkehrsunternehmens oder des ge-
meinsamen Mutterunternehmens sind.
Urteil des 3. Senats vom 18. Mai 2010 - BVerwG 3 C 21.09
I. VG Köln
vom 14.11.2007 - Az.: VG 18 K 1596/07 u.1572/07 -
II. OVG Münster vom 20.05.2009 - Az.: OVG 20 A 3609/07 u. 3607/07 -